Psychodramaarbeit mit aggressiven Jugendlichen


Examensarbeit, 2008

39 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. J. L. Moreno und die Entstehung des Psychodramas

2. Theoretische Grundlagen des Psychodramas
2.1. Das triadische System
2.2. Spontanität und Kreativität
2.3. Tele
2.4. Rollentheorie

3. Methoden des Psychodramas
3.1. Instrumente im Psychodrama
3.1.1. Bühne
3.1.2. Protagonist
3.1.3. Therapeutischer Leiter
3.1.4. Hilfs-Ichs
3.1.5. Publikum
3.2. Ablauf einer Psychodramasitzung
3.2.1. Erwärmungsphase
3.2.2. Spielphase
3.2.3. Integrationsphase
3.3. Handlungstechniken in der Spielphase
3.3.1. Rollentausch
3.3.2. Doppeln
3.3.3. Spiegeln
3.3.4. Selbstgespräch

4. Aggressionen
4.1. Was ist Aggression
4.2. Theorien zur Entstehung von Aggressionen
4.2.1. Triebtheorie
4.2.2. Frustrations-Aggressions-Theorie
4.2.3. Lerntheorie
4.2.4. Stressbewältigungstheorie

5. Psychodramaarbeit mit aggressiven Jugendlichen
5.1. Das Jugendalter
5.2. Rahmenbedingungen
5.2.1. Gruppengröße und Zusammensetzung der Gruppe
5.2.2. Co-Leiter
5.2.3. Gruppenregeln
5.3. Besonderheiten im Ablauf
5.3.1. Erwärmung
5.3.2. Spielphase
5.3.3. Integrationsphase
5.4. Nutzeffekt der Klienten
5.4.1. Stressoren anders bewerten
5.4.2. Aggressionshemmungen fördern
5.4.3. Erweiterung des Rollenrepertoires

Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Zunahme aggressiven Verhaltens unter Jugendlichen ist heutzutage in aller Munde. Fast täglich wird in den Medien über gewalttätige Jugendliche berichtet, deren Straftaten immer brutalere Ausmaße anzunehmen scheinen. Dass die Gesellschaft die Aggressivität mancher Jugendlichen momentan als ein brisantes Problem betrachtet, sieht man insbesondere an der aktuellen Debatte um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, sowie an den unzähligen Medienberichten über Programme für so genannte ‚Aussteiger’, welche den amerikanischen Boot-Camps ähneln. Neben diesen Programmen, welche die Jugendlichen meist aus ihrem alten Leben herausreißen, existiert jedoch auch eine große Anzahl anderer Anti-Aggressions-Trainings, an welchen Jugendliche einmal oder mehrmals wöchentlich teilnehmen können. Solch eine Art von Training stellt das Psychodrama dar, welches in der Arbeit mit aggressiven Jugendlichen unter anderem von Roger Schaller im Kinderheim Bachtelen in Grenchen erfolgreich eingesetzt wird. Während meiner Literaturrecherche musste ich jedoch erkennen, dass das Psychodrama hinsichtlich dieses Aspekts bis heute kaum betrachtet wurde.

In der folgenden Abhandlung möchte ich darstellen, inwiefern das Psychodrama eine Möglichkeit darstellt, mit aggressiven Jugendlichen zu arbeiten, unter der Zielsetzung, deren aggressives Verhalten für die Zukunft einzuschränken. Hierzu beleuchte ich zunächst die Entstehung des Psychodramas um anschließend auf die verschiedenen theoretischen Grundlagen einzugehen, auf welchen Moreno die Methode des Psychodramas aufgebaut hat. Im Anschluss stelle ich unter dem Kapitel ‚Methoden des Psychodramas’ die verschiedenen Instrumente des Psychodramas, den üblichen Ablauf einer Psychodramasitzung, sowie die wichtigsten Handlungstechniken, welche meist in der Spielphase des Psychodramas verwendet werden, dar. In der nachfolgenden Spezifizierung des Begriffes ‚Aggression’, stütze ich mich überwiegend auf Nolting, welcher ein umfassendes Buch hierzu geschrieben hat. Im letzten Abschnitt erläutere ich schließlich das Psychodrama mit aggressiven Jugendlichen. Zunächst lege ich hierzu die besondere entwicklungsspezifische Situation von Jugendlichen allgemein dar. Danach gehe ich darauf ein, welche Rahmenbedingungen beim Psychodrama mit aggressiven Jugendlichen eingehalten werden sollten und welche Besonderheiten sich aus der besonderen Problematik für den Ablauf des Psychodramas ergeben. Anknüpfend konkretisiere ich, welcher Nutzeffekt sich aus der Psychodramaarbeit für das Klientel ‚aggressive Jugendliche’ ergeben kann. Zum Schluss gebe ich noch einen Ausblick darüber, ob und inwiefern das Psychodrama ein sinnvolles Training darstellt, um aggressive Jugendliche bei einer Modifikation ihres Verhaltens zu unterstützen.

Um einen guten Lesefluss zu ermöglichen, habe ich überwiegend männliche Bezeichnungen gewählt und alle Zitate der neuen Rechtschreibung angepasst. Wo Unterschiede im Sinn vorliegen würden, wurden die Zitate allerdings in der alten Schreibung belassen.

1. J. L. Moreno und die Entstehung des Psychodramas

Der Begründer des Psychodramas Jakob Levy Moreno, wird, laut seiner Geburtsurkunde[1], am 18. Mai 1889 in Bukarest geboren und zieht im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern nach Wien. Weshalb er in seinen Büchern den 20. Mai 1892 als Geburtsjahr angibt und meint, er sei in einer stürmischen Nacht auf einem Schiff auf dem schwarzen Meer geboren, ist bis heute nicht geklärt. Über die erstmalige Durchführung des Psychodramas berichtet Moreno in seinem vielfach zitierten Erlebnis im Alter von fünf Jahren: Seine Eltern waren ausgegangen und er beschloss mit den Nachbarskindern im Kellerraum des Hauses ‚Lieber Gott’ zu spielen. Der Himmel wurde gebaut, indem die Kinder Stühle auf einem Tisch übereinander stapelten, bis die Decke erreicht war und Moreno in seiner „göttlichen Rolle“ den höchsten Punkt erklimmte. Die anderen Kinder sangen und flügelten als Engel um das Gebilde herum. Das erste Psychodrama Morenos, „in dem [er] gleichzeitig als Leiter und Protagonist handelte“, fand damit sein Ende, dass eines der Kinder ihn aufforderte ebenfalls zu fliegen. Er breitete seine Arme aus und fand sich mit einem gebrochenen Arm auf dem Boden wieder.[2]

1910 studiert Moreno an der Wiener Universität Medizin und verbringt seine Freizeit damit, im Park Kindern märchenhafte Geschichten zu erzählen und mit ihnen spontane Aufführungen zu veranstalten. Er promoviert 1917 zum Doktor der Medizin und wirkt von da an bis 1924 als Amtsarzt in Bad Vöslau.[3] Moreno verliert jedoch nie sein Interesse für das freie Spiel, da er überzeugt ist, dass es „die kreativen Potenziale des Menschen freisetzen und ihn zu Freiheit und Schöpfertum zurückführen kann“ und stereotype Verhaltensmuster dadurch „durchbrochen und mittels Freisetzung von Spontaneität durch authentischen Selbstausdruck erweitert werden.“[4] Er veranstaltet am 1. April 1921 im Komödienhaus in Wien sein erstes öffentliches Stegreiftheater, welches jedoch in einem Fiasko endet:

„Er schlug vor das Thema des ‚Königsromans’ frei zu behandeln. Es gab weder Schauspieler noch

ein Regiebuch noch einen Handlungsentwurf. Auf der leeren Bühne stand lediglich ein mit Samt

bezogener Sessel, einem Königsthron ähnlich, auf dem eine vergoldete Krone lag.[…] Jedem stand

es frei, auf die Bühne zu kommen und als König zu agieren. Zwischen 19 und 22 Uhr (so lange

dauerte die Aufführung) kam allerdings niemand auf die Bühne.“[5]

Da sein Experiment von der Öffentlichkeit nicht angenommen wird, gründet Moreno stattdessen „das ‚Stegreiftheater’ (1921) in der Maysedergasse, nahe der Wiener Oper.“[6]

Durch ein weiteres Experiment, welches er an einer seiner Schauspielerinnen ausführt, die sich in der Öffentlichkeit zurückhalten kann, in der Ehe hingegen schreckliche Wutanfälle bekommt und sich nicht mehr unter Kontrolle hat, entdeckte Moreno „welche therapeutischen Möglichkeiten, im Ausspielen, im aktiven und strukturierten Ausleben von seelischen Konfliktsituationen liegen.“[7] Moreno lässt die Schauspielerin die Rollen von cholerischen, ordinären und einfachen Frauen spielen, in denen sie ihr impulsives Temperament einsetzen kann. Dies führt bei der jungen Frau zu einer tiefen Erleichterung und zu erheblichen Verbesserungen in ihrem Leben: „Ihr Eheleben wurde in dieser Zeit spürbar friedlicher und ihre Wutausbrüche seltener, kürzer und weniger heftig. Manchmal musste sie sogar mitten in einem Anfall lachen, weil ihr ähnliche, auf der Bühne gespielte Szenen einfielen.“[8] In Österreich gelingt es Moreno jedoch nicht bei der Verbreitung seines therapeutischen Ansatzes einen Erfolg zu verzeichnen.

„Der Abgang seiner Stegreifschauspieler, die zum traditionellen Theater zurückkehrten, der

Misserfolg seiner Bücher […] bewogen Moreno 1926 [eigentlich 21.12.1925[9] ] zu dem Entschluss in

die Vereinigten Staaten auszuwandern […] Moreno findet im amerikanischen Volk, das durch seine

an Pioniertaten reiche Vergangenheit und seine pragmatische Philosophie auf die Psychologie des

Handelns vorbereitet ist, einen hervorragend geeigneten Boden für das Psychodrama.[…] Von 1929

bis 1931 werden dreimal pro Woche in der Carnegie Hall öffentliche Veranstaltungen von

kollektivem Stergreiftheater abgehalten: ein Zuschauer bringt sein Problem auf die Bühne statt es im

Geheimen jemandem in seinem Sprechzimmer anzuvertrauen, und die Anwesenden nehmen

spontan am Spiel teil.“[10]

Trotz diesem Erfolg widmet sich Moreno in den Staaten zunächst der Entwicklung seiner Soziometrie und stellt sein, in Wien entwickeltes Konzept der ‚Gruppenpsychotherapie’ „erstmals 1932 beim Jahrestreffen der American Psychiatric Association sowie [in] einer Publikation aus demselben Jahr“[11] offiziell vor. Die psychodramatische Bewegung schreitet derweil fort: „1936 wurde das erste therapeutische Psychodrama-Theater für Moreno in […] Bacon im Staate New York gebaut.“[12] Moreno „gründet die Gesellschaft für Psychodrama und Gruppenpsychotherapie und zwei Trainingsakademien in Beacon und New York“ und „1946 erscheint ‚Psychodrama, Band 1’ in Morenos eigenem Verlag ‚Beacon House’.“[13] 1974 erleidet Moreno mehrere kleine Schlaganfälle und wird bettlägerig. Das Leben wird für Moreno zu einer Qual, da er sich nicht mehr frei bewegen kann, er Schwierigkeiten beim Sprechen hat und das Essen ihm Schmerzen bereitet. Er beschließt, „das Ende nicht hinauszuzögern. Von da an aß er nicht mehr und trank nur noch klares Wasser. […] Moreno starb am 14.Mai 1974.“[14]

2. Theoretische Grundlagen des Psychodramas

2.1. Das triadische System

In seinem bekanntesten Buch ‚Gruppenpsychotherapie und Psychodrama’ definiert Moreno das Psychodrama folgendermaßen: „Drama ist ein griechisches Wort und bedeutet ‚Handlung’ (oder etwas, was geschieht). Psychodrama kann als diejenige Methode bezeichnet werden, welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet.“[15] Seine Idee ist, „dass Probleme im Zusammenleben mit anderen Menschen entstehen und dass sie deshalb am besten in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen wieder zu lösen seien.“[16]

Er beschreibt das Psychodrama als „Tiefentherapie der Gruppe“, welches anfängt, „wo die Gruppenpsychotherapie aufhört und [sie erweitert], um sie wirksamer zu machen.“[17]

Die Gruppenpsychotherapie, die also in einem engen Zusammenhang mit dem Psychodrama steht, definiert Moreno wie folgt: „eine Methode, welche die zwischenmenschlichen Beziehungen und die psychischen Probleme mehrerer Individuen einer Gruppe bewusst im Rahmen empirischer Wissenschaft behandelt.“[18]

Die Soziometrie, deren Entwicklung Moreno sich mehrere Jahre widmete, befasst sich „sowohl mit der Erhebung und Darstellung als auch mit der Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen“[19] Ihr wichtigstes Instrument ist der soziometrische Test, eine „Methode der Erforschung sozialer Strukturen durch Messung der Anziehung und Abstoßung, die zwischen den Angehörigen einer Gruppe bestehen.“[20] Diese Messung erfolgt dadurch, dass die Angehörigen der Gruppe aufgefordert werden, „andere Individuen ihrer eigenen oder einer anderen Gruppe zu wählen.“[21]

Das Psychodrama, die Gruppenpsychotherapie und die Soziometrie, fasst Moreno unter dem Begriff ‚triadisches System’ zusammen:

„Moreno hat die unlösliche Verbundenheit dieser drei Elemente immer wieder betont: das szenische

Spiel [Psychodrama], das sich mit der individuellen Wirklichkeit des Patienten in seiner Gegenwart,

Vergangenheit und Zukunft diagnostisch und therapeutisch befasst, die Soziometrie und

Sozioanalyse als diagnostisches Instrument zur Untersuchung von gruppendynamischen Prozessen

und die Gruppenpsychotherapie als therapeutische Methode zur Behandlung der Pathologie des

Individuums in der Gruppe und durch die Gruppe und zur Behandlung von pathologischen

Zuständen, die sich in der Gruppe selbst, d.h. in ihrem Sozialgefüge, vorfinden.“[22]

2.2. Spontanität und Kreativität

Für Moreno sind die wichtigsten Bestandteile des Kosmos Kreativität und Spontaneität: „Kreativität gehört in die Kategorie der Substanz – sie ist die Ursubstanz; Spontaneität gehört in die Kategorie der Katalysatoren – sie ist der Erzkatalysator.“[23] Somit sind Kreativität und Spontaneität, als die Basis und der Beschleuniger aller schöpferischen Prozesse. Moreno bewegt sich „auf dem urreligiösen Grunde, von welchem aus der Mensch als ein Abbild und Teil der kosmischen Trias gesehen wird, als Geschöpf der kosmischen Kreativität“[24] und somit sind in seinem Menschenbild Kreativität und Spontanität auch im Menschen als kosmischem Wesen angelegt. Dass der Mensch Spontaneität nur für seine Handlungen braucht, ist nach Moreno ein Trugschluss: Sie „kann bei einem Menschen ebenso präsent sein, wenn er denkt, wie wenn er fühlt, wenn er ruhig ist, wie wenn er in Aktion ist.“[25] Spontaneität kann sich sowohl kreativ als auch destruktiv (beispielsweise wenn sie in Aggressionsausbrüche mündet) auswirken. Deshalb ist das „Ziel der Psychodramatherapie nach Moreno […] weder die bloße Freisetzung der Spontaneität noch ihre Unterdrückung“, sondern „vielmehr die menschliche Spontaneität freizusetzen und gleichzeitig in das gesamte Lebensgefüge des Menschen sinnvoll zu integrieren.“[26] Moreno ist der Meinung Spontaneität sei, „obgleich universell und entwicklungsmäßig am ältesten […] im Menschen doch die an schwächsten entwickelte Kraft und oft durch kulturelle Einrichtungen gehemmt und entmutigt“ und fordert deshalb die „Übung der Spontaneität“ als Lehrfach in den Institutionen.[27]

2.3. Tele

Moreno führte „mit der Entwicklung der Soziometrie […] im Zuge der Beobachtung und Messung zwischenmenschlicher Beziehungen den Begriff ‚Tele’ ein, der in der Psychodrama-Literatur oft mit dem Begriff ‚Begegnung’ gleichgesetzt wird.“[28] Die Ungenauigkeit Morenos, nicht zwischen der Begegnung als subjektivem Erleben und dem Tele als objektiver Erfahrung zu unterscheiden, wurde von vielen Autoren übernommen, was zu theoretischen Ungenauigkeiten führt. Leutz beschreibt den Begriff des Teles im Sinne Morenos, wenn sie schreibt:

„Tele ist ein augenblickliches gegenseitiges Innewerden der Persönlichkeit des anderen und seiner

gegenwärtigen Befindlichkeit, gegebenenfalls seiner Lebensumstände. Tele ist nicht einseitige

Einfühlung, Tele ist Begegnung. Moreno nennt sie im Hinblick auf die beidseitige Intentionalität

‚Zweifühlung’ (oder bei mehrseitiger Intentionalität ‚Mehrfühlung’). Tele ist der beidseitig voll

entfaltete gesunde zwischenmenschliche Beziehungsmodus.“[29]

Dieser zwischenmenschliche Beziehungsmodus kann durch unterschiedlich starke Anziehungen zwischen den Personen verschiedenste Ausprägungen haben, welche man durch den soziometrischen Test herausfinden kann. Außerdem findet in zwischenmenschlichen Beziehungen oft auch eine ‚Übertragung’ statt, so dass „der andere nicht als die Persönlichkeit, die er ist, von Bedeutung [ist], sondern hauptsächlich als Träger unbewusster Wunsch- und Erinnerungsvorstellungen.“[30] Dieses Phänomen stellt für Moreno eine psychopathologische Abzweigung des Teles dar.[31]

2.4. Rollentheorie

Die Rollentheorie von Moreno ist für das Psychodrama zum einen „von zentraler Bedeutung, da alles psychodramatische Handeln an Rollen gebunden ist“ und zum anderen, da sich „die theoretische Fundierung der zentralen psychodramatischen Handlungstechniken (-> Doppel,

-> Rollentausch, -> Spiegel) aus der Theorie der Rollenentwicklung“[32] ableitet. Interaktion zwischen zwei Individuen geschieht über die Rollen, welche diese Individuen in der Situation annehmen. Den Ausdruck ‚Rolle’ beschreibt Moreno wie folgt:

„ Rolle kann definiert werden als die aktuelle und greifbare Form, die das Selbst annimmt. Wir definieren

Rolle also als die funktionale Form, die der Mensch in einem spezifischen Moment annimmt, in dem er auf

eine spezifische Situation reagiert, an der andere Personen oder Dinge beteiligt sind.“[33]

Der Mensch bedient sich somit in verschiedenen Situationen unterschiedlicher Rollen. Probleme können sich für einen Menschen ergeben, wenn er über ein eingeschränktes Rollenrepertoire verfügt, da er auf Grund dieses Defizits manchmal nicht angemessen auf die Rolle eines anderen Menschen reagieren kann. Die Persönlichkeit eines Menschen geht, nach der Rollentheorie Morenos, aus der Gesamtheit der verschiedenen Rollen eines Menschen hervor, welche drei verschiedenen Dimensionen entstammen können, die Zeintlinger-Hochreiter in Anlehnung an Moreno und Leutz anschaulich ausführt:

1. Physiologische oder psychosomatische Rollen

umfassen das bis zum Tode immer in mehr oder weniger vielfältiger Weise zu vollziehende Handeln des

Körpers (die Rolle des Essenden, Schlafenden, sexuelle Rollen…), das von Anfang an mit psychischen

Komponenten verbunden ist. […] Sie dienen a) der Erhaltung des Organismus und b) als Grundlage für

die weitere Rollenentwicklung […]

2. Psychische oder psychodramatische Rollen

repräsentieren die individuellen Ideen und Erfahrungen einer Person. Psychische oder

psychodramatische Rollen sind ganz besonders an zwischenmenschliche Konstellationen gebunden, die

so mächtig sein können, dass Leutz von ‚Konstellationszwang’ spricht. Eine Rolle fordert die andere

heraus (z.B. fordert die Rolle des Kränkenden die Rolle eines Gekränkten heraus).

3. Soziale oder „offizielle“ Rollen

sind vom gesellschaftlichen Zusammenleben vorgegebene und individuell gestaltete stereotype

Handlungsmuster wie Berufsrollen (Arzt, Polizist…) und Beziehungsrollen (Vater, Sohn, Ehemann…),

Freizeitrollen (Angler…), die mit einem von ihrem einzelnen Repräsentanten unabhängigen Rollenstatus

innerhalb einer bestimmten Kultur verbunden ist. In der Ausführung sozialer Rollen zeigt sich der Grad

der Freiheit oder Abhängigkeit einer Person gegenüber von Rollenkonserven. Völlige Rollenkonformität

geht einher mit Mangel an Zivilcourage und Selbstbehauptung und geht auf Kosten der

Selbstverwirklichung.“[34]

Unterschiedliche Rollen können einen Menschen auch in einen Konflikt bringen. Da solche Konflikte oft in psychische Probleme münden, nehmen sie im Psychodrama eine wichtige Stellung ein. Von Ameln, Gertsmann und Kramer erwähnen sechs „verschiedene Formen von Störungen im Zusammenhang mit Rollen“:

„- ‚Intra-Sender-Konflikt’: Ein und dieselbe Bezugsperson stellt in sich widersprüchliche Forderungen

an den Rolleninhaber;

- ‚Inter-Sender-Konflikt’: Zwei verschiedene Bezugspersonen stellen unvereinbare Erwartungen an den Rolleninhaber;
- ‚Inter-Rollen-Konflikt’: Widersprüche zwischen zwei verschiedenen Rollen eines Individuums […]
- ‚Person-Rollen-Konflikt’: Widersprüche zwischen den Rollenerwartungen und dem Selbst;
- ‚Rollenambiguität’: Unpräzise oder mehrdeutige Rollenerwartungen;
- ‚Rollenüberlastung’: Überforderung des Rolleninhabers durch widersprüchliche

Rollenerwartungen.“[35]

3. Methoden des Psychodramas

3.1. Instrumente im Psychodrama

Es existieren fünf Instrumente, von Moreno auch ‚Werkzeuge’ genannt, derer sich die psychodramatische Methode hauptsächlich bedient: „der Bühne (Schauplatz), des Protagonisten […], des therapeutischen Leiters […], des Stabes der therapeutischen Hilfskräfte, der ‚Hilfs-Iche’ […] und des Publikums.“[36] Da diese für das Psychodrama charakteristisch sind, möchte ich sie im Weiteren näher erläutern.

3.1.1. Bühne

Als Bühne reicht jeder genügend große Raum aus, der von der Gruppe als Bühne definiert wird. Für Moreno stellt der Bühnenraum „eine Erweiterung des Lebens über das wirkliche Leben hinaus [dar]. Wirklichkeit und Phantasie sind nicht in Widerstreit, sondern beide sind Funktionen innerhalb einer weiteren Sphäre, der psychodramatischen Welt von Objekten, Personen und Ereignissen.“[37] Der Protagonist kann sich auf der Bühne frei fühlen Neues auszuprobieren, er kann in Rollen schlüpfen ohne sich zu etwas zu verpflichten, also ohne jeglichen Druck. Endet das Drama, so verlässt der Protagonist die Bühne und taucht wieder, zusammen mit den Erfahrungen welche er auf der Bühne gesammelt hat, in sein altes Leben ein.

[...]


[1] vgl. Moreno (1982), S. 70, Fußnote 2

[2] vgl. ebd., S.70-71

[3] vgl. ebd, S.71

[4] vgl. von Ameln/Gerstmann/Kramer (2004), S.199

[5] Scategni (1994), S.33

[6] Moreno (1973), S.14

[7] ebd., S.14

[8] Scategni (1994), S.34

[9] von Ameln/Gerstmann/Kramer (2004), S.200

[10] Anzieu (1984), S.31

[11] von Ameln/Gerstmann/Kramer (2004), S.225

[12] Scategni (1994), S.36

[13] von Ameln/Gerstmann/Kramer (2004), S.202

[14] vgl. Barz (1988), S.22-23

[15] Moreno (1973), S.77

[16] Zeintlinger-Hochreiter (1996), S. 35

[17] Moreno (1973), S.76

[18] Moreno (1973), S.52

[19] Zeintlinger-Hochreiter (1996), S.177

[20] Moreno (1973), S.20

[21] ebd., S.20

[22] Petzold (1978), S.78-79

[23] Moreno (1974), S.12

[24] vgl. Leutz (1986), S.55

[25] Moreno (1989), S.82

[26] vgl. Leutz (1986), S.56

[27] vgl. Moreno (1959), S.34

[28] Zeintlinger-Hochreiter (1996), S.142

[29] Leutz (1986), S.20

[30] Leutz (1986), S.18

[31] vgl. Moreno (1973), S.30

[32] vgl. vonAmeln/Gerstmann/Kramer (2004), S.215-216

[33] Moreno (1989), S.105

[34] Zeintlinger-Hochreiter (1996), S.129-130

[35] vonAmeln/Gerstmann/Kramer (2004), S.221

[36] Moreno (1973), S.77

[37] Moreno (1973), S.77

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Psychodramaarbeit mit aggressiven Jugendlichen
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
39
Katalognummer
V113577
ISBN (eBook)
9783640132584
ISBN (Buch)
9783640135257
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychodramaarbeit, Jugendliche, Psychodrama, Aggressionen, Umgang mit Aggressionen
Arbeit zitieren
Julia Weiß (Autor:in), 2008, Psychodramaarbeit mit aggressiven Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113577

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Titel: Psychodramaarbeit mit aggressiven Jugendlichen



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