Neue Techniken nehmen nicht mehr nur wesentlichen Einfluss auf industrielle und
administrative Arbeit, sondern infiltrieren den Alltag der modernen Gesellschaft von
allen Seiten. Jeder Lebensbereich ist mehr oder weniger durch technische Artefakte
und Verfahren strukturiert und zwischenmenschliche Kommunikation maßgeblich
von Technik geprägt. Die Risiken nuklearer Energien, globaler Informations- und
Kommunikationssysteme und komplexer Industrietechnologien sind zwar fest im
Bewusstsein der Gesellschaft verankert, werden aber von dem täglich
wahrgenommenen praktischen Mehrwert, den neue Technologien bieten, überlagert.
Der technische Fortschritt schreitet seit einigen Jahrzehnten, aber besonders in den
letzten zehn Jahren rasant voran. Diese Entwicklung und der dadurch provozierte
gesellschaftliche Wertewandel ließ die von den Geisteswissenschaften lange Zeit
vernachlässigte Technologie auch in den Fokus der Soziologie rücken. Diese so
genannte Techniksoziologie beschäftigt sich seit knapp 30 Jahren mit Technik und
Gesellschaft und deren wechselseitiger Beeinflussung. Sie stellt die Frage, ob die
Gesellschaft überhaupt in der Lage dazu ist, eine solche Technisierung mit dem
kulturellen Modell zu vereinbaren. Selbstbild, Lebensstil und Arbeitsweise können
kaum mehr auf die gleiche Art und Weise definiert werden, wie man es vor 50
Jahren noch konnte. Die Technisierung bietet ein immenses Potenzial an
Möglichkeiten, das die Gesellschaft auf allen erdenklichen Ebenen voranbringt.
Gleichzeitig birgt sie aber auch viele Risiken. Großtechnische Systeme haben ein
enormes Zerstörungspotenzial, v. a. im militärischen Bereich, aber auch komplexe
industrielle Produktionstechnologien können bei minimal inkorrekter Bedienung
Katastrophen verursachen. Außerdem können technische Systeme auch bloß so
perfekt sein wie die aus Menschen zusammengesetzten Organisationen, die sie
entwerfen, fabrizieren oder betreiben. Sicherheitsvorkehrungen und –standards,
sowie die stetige Forschung und Weiterentwicklung führen zwar zu einer
Reduzierung der Gefahren auf ein Minimum, jedoch kann ein gewisses Restrisiko
niemals ausgeschlossen werden. Dieses Restrisiko ist unvermeidbar, da Technik
spätestens in letzter Instanz vom Menschen gemacht ist. Unbeabsichtigtes
Fehlverhalten und Achtlosigkeit, genauso wie einkehrende Routine im Arbeitsalltag
können immer wieder zu fehlerhaften Handlungen und somit zu fatalen
Katastrophen und Unfällen führen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Kultur und Technik
2.1 Die Techniksoziologie
2.2 Technikdeterminismus vs. Sozialkonstruktivismus
2.3 Akteurs-Netzwerk-Theorie
2.3.1 Terminologie der ANT
3 Systemische Unfälle und Katastrophen
3.1 Thematische Einordnung und relevante Vertreter
3.2 Das globale und das lokale Netzwerk.
3.3 Obligatorischer Passagepunkt
3.4 Interpretative Flexibilität und reziproke Simplifizierung
3.5 Interaktive Komplexität
3.6 Rationale Entscheidungen im situativen Kontext
4 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Neue Techniken nehmen nicht mehr nur wesentlichen Einfluss auf industrielle und administrative Arbeit, sondern infiltrieren den Alltag der modernen Gesellschaft von allen Seiten. Jeder Lebensbereich ist mehr oder weniger durch technische Artefakte und Verfahren strukturiert und zwischenmenschliche Kommunikation maßgeblich von Technik geprägt. Die Risiken nuklearer Energien, globaler Informations- und Kommunikationssysteme und komplexer Industrietechnologien sind zwar fest im Bewusstsein der Gesellschaft verankert, werden aber von dem täglich wahrgenommenen praktischen Mehrwert, den neue Technologien bieten, überlagert. Der technische Fortschritt schreitet seit einigen Jahrzehnten, aber besonders in den letzten zehn Jahren rasant voran. Diese Entwicklung und der dadurch provozierte gesellschaftliche Wertewandel ließ die von den Geisteswissenschaften lange Zeit vernachlässigte Technologie auch in den Fokus der Soziologie rücken. Diese so genannte Techniksoziologie beschäftigt sich seit knapp 30 Jahren mit Technik und Gesellschaft und deren wechselseitiger Beeinflussung. Sie stellt die Frage, ob die Gesellschaft überhaupt in der Lage dazu ist, eine solche Technisierung mit dem kulturellen Modell zu vereinbaren. Selbstbild, Lebensstil und Arbeitsweise können kaum mehr auf die gleiche Art und Weise definiert werden, wie man es vor 50 Jahren noch konnte. Die Technisierung bietet ein immenses Potenzial an Möglichkeiten, das die Gesellschaft auf allen erdenklichen Ebenen voranbringt. Gleichzeitig birgt sie aber auch viele Risiken. Großtechnische Systeme haben ein enormes Zerstörungspotenzial, v. a. im militärischen Bereich, aber auch komplexe industrielle Produktionstechnologien können bei minimal inkorrekter Bedienung Katastrophen verursachen. Außerdem können technische Systeme auch bloß so perfekt sein wie die aus Menschen zusammengesetzten Organisationen, die sie entwerfen, fabrizieren oder betreiben. Sicherheitsvorkehrungen und –standards, sowie die stetige Forschung und Weiterentwicklung führen zwar zu einer Reduzierung der Gefahren auf ein Minimum, jedoch kann ein gewisses Restrisiko niemals ausgeschlossen werden. Dieses Restrisiko ist unvermeidbar, da Technik spätestens in letzter Instanz vom Menschen gemacht ist. Unbeabsichtigtes Fehlverhalten und Achtlosigkeit, genauso wie einkehrende Routine im Arbeitsalltag können immer wieder zu fehlerhaften Handlungen und somit zu fatalen Katastrophen und Unfällen führen.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit sollen mögliche Auslöser und Gründe für technische Katastrophen stehen. An einigen Beispielen soll vor einem organisationssoziologischen Hintergrund verdeutlicht werden, warum Katastrophen unvermeidbar sind.[1] In diesem Zusammenhang sollen v. a. die organisatorischen Netzwerke als „Bedieninstanz“ thematisiert werden, deren Schwachpunkte katastrophale Folgen haben können. Als Grundlage dienen Texte der Organisationssoziologin Diane Vaughan, des Katastrophenforschers Charles
Perrow, sowie Beiträge von John Law und Michel Callon. Law und Callon gelten gemeinsam mit Bruno Latour als Begründer der Akteurs-Netzwerk-Theorie[2]. Die ANT repräsentiert gewissermaßen den modernen Mittelweg zwischen den beiden wesentlichen Ausprägungen der Techniksoziologie: dem Technikdeterminismus und dem Sozialkonstruktivismus. Ausgehend von der Techniksoziologie und ihren beiden ersten Ansätzen soll über die ANT der Netzwerkbegriff fokussiert werden, um diesen wiederum auf die risikoreichen, großtechnischen Systeme und Katastrophen zu übertragen.
2 Kultur und Technik
2.1 Die Techniksoziologie
Auf der Suche nach einer klaren Definition des Technikbegriffs, um davon ausgehend die Techniksoziologie darzulegen, wird deutlich, dass Technik meist in Abgrenzung zu einer anderen Substanz bestimmt wird. Vielen theoretischen Ansätzen aus den Sozialwissenschaften und insbesondere der Soziologie wird eine Dichotomie der Technik und Kultur, der Technik und der Gesellschaft oder auch der Technik und der Natur zu Grunde gelegt. Das durch das menschliche Zutun erzeugte Artefakt trennte die Technik von der sich selbst erzeugenden Natur.[3] Je mehr die moderne Gesellschaft aber in der Lage ist, die technische Konstruiertheit der Umwelt und Natur wissenschaftlich zu erklären, desto mehr löst sich diese substantielle Trennung. In dieser Arbeit soll im Folgenden unter Technik „[…] die
Gesamtheit derjenigen kreativ und kunstfertig hervorgebrachten Verfahren und Einrichtungen […], die in Handlungszusammenhänge als Mittler eingebaut werden, um Tätigkeiten in ihrer Wirksamkeit zu steigern, um Wahrnehmungen in ihrem Spektrum zu erweitern und um Abläufe in ihrer Verläßlichkeit zu sichern “[4], verstanden werden. Die Technik verhilft dem Menschen demzufolge dazu, sein Handeln zu simplifizieren, es effizienter zu gestalten und neue Fertigkeiten zu ermöglichen. Je nachdem aus welcher Perspektive man Technik definiert, nimmt sie wiederum unterschiedliche Gestalt an. Aus technikgenetischer Perspektive versteht man v. a. die intelligente Kombination von funktionalen Gesichtspunkten zu einem komplexen technischen Gebilde, durch dessen Einsatz sich Leistungen dauerhaft steigern lassen.[5] Aus kulturtheoretischer Perspektive hingegen wird der Technik auch eine empirisch-kausale Einwirkung und Veränderung der Objektwelt zugeschrieben.[6]
„Technik selbst wird zum Träger kultureller Bedeutung und Wertvorstellung, ist materialisierter Ausdruck von Sinnbezügen und spielt als Paradigma medialer Objektivierung eine bedeutende Rolle für unser Weltverständnis.“[7]
Es ist kaum noch möglich, eine klare Trennlinie zwischen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und dem zweckdienlichen Handeln durch Technik zu ziehen, da sie in enger Wechselwirkung zueinander stehen. Ein Lebensbereich, der noch nicht von technischer Entwicklung tangiert wird, ist praktisch nicht zu finden. Eben dieser hohe Grad der Verwicklung der Technik und der sozialen und kulturellen Interaktion gestaltet die Techniksoziologie so schwierig.
Im Zentrum der Techniksoziologie stehen die Auswirkungen der Technik auf eine Gesellschaft, bzw. die Frage, inwiefern sich Technik und Gesellschaft gegenseitig beeinflussen und bedingen. Da uns die Soziologie „[…] die Dinge anders betrachten lehrt, als wie sie gemeinhin erscheinen“[8], erklärt es sich von selbst, dass die Techniksoziologie nicht den stofflichen oder physikalischen Charakter der Technik betrachtet, sondern vielmehr ihre moralische Natur und ihren sozialen Zwang zum Gegenstand hat. Der Technikbegriff wird in diesem Zusammenhang sehr weit gefasst. Er kann sowohl innovative Nukleartechnologien, als auch die Technik beim Kartoffeln schälen umfassen.
Die Techniksoziologie hat noch keine lange Tradition. Im Vorwort der 1982 von Rodrigo Jokisch herausgegebenen Aufsatzsammlung „Techniksoziologie“ heißt es noch, dass es bisher keine nennenswerte Techniksoziologie gebe und sich erst sehr wenige Soziologen mit dem breiten sozialen Wirkungsspektrum der Technik auseinandergesetzt hätten.[9] Die Soziologin Nina Degele beweist 20 Jahre später in der „Einführung in die Techniksoziologie“ (2002), dass diese „Bindestrich- Soziologie“ einen großen Schritt Richtung Moderne gemacht hat und nicht mehr darauf beharrt, das Soziale auch nur mit dem Sozialen zu erklären. Stattdessen fühle die Soziologie sich herausgefordert, die Auswirkungen der Technik auf die Gesellschaft, die Kultur und soziale Strukturen von ihrem Standpunkt zu erklären; die Technik also als sozialen Prozess zu betrachten.[10] Es lassen sich gewissermaßen Parallelen erkennen zwischen heute und hundert Jahren zuvor. Ende des 20. Jahrhunderts etablierte sich aufgrund gesellschaftlicher Verunsicherungen, die aus der Industrialisierung, der Demokratisierung, der Säkularisierung, der Rationali- sierung und der Emanzipation hervorgingen, die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin.[11] Von den vorhergehenden Phänomenen lassen sich heutzutage nur noch die wenigsten Menschen verunsichern. Stattdessen ängstigen sie sich vor Naturkatastrophen, dem Klimawandel, dem Terrorismus, nuklearen Waffen und vor der nicht einschätzbaren Gefahr durch die globale Vernetzung von Kommunikations- und Informationssystemen.[12] Aber welche Disziplin, wenn nicht die Soziologie, ist in der Lage dazu auch derartige Verunsicherungsphänomene aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive greifbar zu machen? Schließlich hat die Techniksoziologie nicht den Anspruch, dass Soziologen von heute auf morgen spezialisierten technischen Sachverstand an den Tag legen. Vielmehr soll sie dieses Wissen sinnvoll in gesamtgesellschaftliche Deutungen einbetten.[13]
Innerhalb der Techniksoziologie gibt es zwei wesentliche Strömungen: Den Technikdeterminismus und den Sozialkonstruktivismus. Diese sollen im folgenden Unterpunkt dargelegt werden.
2.2 Technikdeterminismus vs. Sozialkonstruktivismus
Eine Diskussion, die in der Techniksoziologie immer wieder thematisiert wird, ist eine Ähnliche wie die um das Huhn und das Ei: Was war zuerst da? Verändert die Technik die Gesellschaft oder macht die Gesellschaft aus ihren sozialen Strukturen heraus technische Innovationen erst möglich?
Was heute oft als Folge von Technik bezeichnet wird, muss nicht die unmittelbare Wirkung, also kein technischer Determinismus sein. Technikdeterminismus bedeutet, dass Technik durch ihre Entwicklung eine kulturelle und soziale Anpassung erzwingt. In diesem Fall ist die Technik also die bestimmende Größe.[14] Ohne Technik würden die Menschen sich kaum von einer Gruppe Primaten unterscheiden. Laut dieses Ansatzes ist Technik in fast allen Lebensbereichen konstituierend, bedeutet Fortschritt und Effizienz und treibt die Technik selbst voran. Ropohl unterscheidet außerdem den genetischen und den konsequentiellen Technikdeterminismus. Als genetisch bezeichnet er technischen Wandel, wenn er in sich selbst determiniert ist und eine eigene innere Verlaufslogik besitzt, also autonom von der Gesellschaft funktioniert. Unter konsequentiellem Technikdeterminismus hingegen versteht er das individuelle und soziale Handeln, welches von technischen Entwicklungen hervorgerufen wird.[15] In der einschlägigen Literatur wird zumeist vom zweiten Ansatz, dem konsequentiellen Technik- determinismus, ausgegangen. William Ogburn bezeichnet dieses ständige Hinterherhinken der gesellschaftlichen hinter der technischen Entwicklung als „cultural lag“.[16] Auf den ersten Blick erscheint es einleuchtend, dass beispielsweise eine Erfindung wie das Mobiltelefon zunächst einmal von den Menschen angenommen, der Umgang damit erlernt werden und der Erwerb finanziell erschwinglich sein muss, damit die Gesellschaft sich in ihren sozialen Strukturen bzw. in ihrem Kommunikationsverhalten verändert. Aus dieser Perspektive betrachtet man demnach die Folgen der Einführung des Mobiltelefons, also die Wirkung von Technik, blendet dabei aber die Frage aus, weshalb Mobiltelefone eine solche Anziehungskraft auf Menschen haben und warum diese Technik überhaupt in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Folgen entstanden ist.
Wesentliche Vertreter des technikdeterministischen Ansatzes sind Martin Heidegger, Edmund Husserl und Lewis Mumford. Ihre Theorien finden noch heute Einzug in den techniksoziologischen Diskurs und v. a. in die Technikfolgen- forschung, obwohl sie in der Literatur des letzten Jahrzehnts zumeist als nicht mehr zeitgemäß betrachtet werden.[17] Nicht mehr zeitgemäß ist diese Perspektive deshalb, weil sie direkt am fertigen Produkt, also an der schon entwickelten Technik, ansetzt; den komplexen sozialen Prozessen die dahinter stecken aber nur wenig bis keine Beachtung schenkt.
[...]
[1] vgl. Perrow 1984, S. 437
[2] An Stelle von „Akteur-Netzwerk-Theorie“ wird im Folgenden, die auch in der Literatur verwendete Abkürzung ANT verwendet.
[3] vgl. Rammert 2000, S. 45
[4] Rammert 2000, S. 42
[5] vgl. ebd.
[6] vgl. Hörning 1995, S. 133
[7] ebd., S. 132
[8] Durkheim 1970, S. 85
[9] vgl. Jokisch 1982, S. VII
[10] vgl. Degele 2002, S. 7
[11] vgl. ebd., S. 12
[12] vgl. ebd., S. 17
[13] vgl. ebd., S. 18
[14] vgl. Rammert 2006, S. 13
[15] vgl. Ropohl 1991, 193 f.
[16] vgl. Rammert 2006, S. 15
[17] vgl. Degele 2002, S. 9
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