Die Entstehung der sozialen Arbeit. Eine Analyse von Helmut Lambers "Geschichte der Sozialen Arbeit. Wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde"


Term Paper, 2021

20 Pages, Grade: 1.7


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Inhaltsverzeichnis

Vorwort:

Einleitung:

Teil I: Geschichtlicher Kontext und Relevanz
Warum einen Blick in die Geschichte werfen?
Archaische Gesellschaft:
Hochkultivierte Gesellschaft:
Moderne Gesellschaft:
Ausblick:

Teil II: Soziale Arbeit und die soziale Frage:
Hilfe als erwartbare gesellschaftliche Handlungsform:
Armut und Hilfe:
Was heißt sozial und was ist ein soziales Problem?
Helfen aus heutiger Sicht. Was hat sich geändert?

Fazit:

Quellen:
Bücher:

Abbildungsverzeichnis:

Vorwort:

"Die Sinnkonstitution Sozialer Arbeit wird in dem in allen Gesellschaften und innerhalb ihrer Entwicklungen zu beobachtenden Bestrebungen gesehen, Formen des Bedarfsausgleiches zu schaffen. Unter Bedarfsausgleich wird die Hilfe verstanden, die in Gesellschaften als angemessene Menschensorge angesichts der durch ständige Ausdifferenzierung von Gesellschaften hervorgerufenen "humanen Folgeproblemen" (Hildebrandt 1999, S.279) für erwartbar gehalten wird."

(Lambers 2018: 9)

Einleitung:

In meiner Hausarbeit beschäftige ich mich mit dem Hilfeverständnis im Wandel der Gesellschaft. Anthropologen und Soziologen gehen davon aus, dass das menschliche Verhalten zu großen Teilen durch Interaktionen gelernt wird. Damit ist ein Großteil des menschlichen Verhaltensrepertoires nicht angeboren, sondern wird durch eigene oder beobachtete Erfahrungen erlernt. Einflüsse aus Erfahrung und Physiologie interagieren auf vielfältige Weise und bestimmen das Verhalten des Menschen. Wie sieht es mit dem menschlichen Verhaltensprinzip der Hilfe aus? In meiner Hausarbeit betrachte ich den von Helmut Lambers beschriebenen Formenwandel von der persönlichen Hilfe zur gesellschaftlichen Hilfe. Dazu verwende ich sein Buch "Geschichte der Sozialen Arbeit. Wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde." Dieses ergänze ich durch weitere Literatur. Aufgrund der Kürze der Hausaufgabe werde ich mich nicht den epochalen und geschichtlichen Gegebenheiten in all ihrer Tiefe widmen, sondern beschäftige mich vorwiegend mit den Erwartungstypen und - muster des Helfens, die in den verschiedenen Gesellschaften, den verschiedenen Epochen entstanden sind. Wie wurde aus privater Hilfe eine Form der gesellschaftlichen Hilfe, die zu einer Verberuflichung der sozialen Arbeit führte. Dabei nehme ich den Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft in den Fokus, da hier die Anfänge einer Professionalisierung sozialer Hilfe liegen. Lambers probiert Geschichte sozialer Arbeit nicht nur aus dem Blickwinkel erster Organisationsformen und Verberuflichungen zu betrachten, sondern auch aus der Perspektive eines Formenwandels des Helfens im Wandel gesellschaftlicher Entwicklung. Warum wollen wir helfen und wenn wir helfen wollen, wie und aus welcher Motivation heraus? Helfen gesehen "als gesellschaftlich, strukturell, sinnvolles, wechselseitiges Handeln" ( Lambers 2018:17), weil Menschen auf der Verliererseite gesellschaftlicher Entwicklungen stehen und Formen des Bedarfsausgleiches dieses ausgleichen? Oder helfen wollen aufgrund eines dem Menschen innewohnenden Antriebes zu helfen und Hilfe zu bekommen, als Urkategorie des Gemeinschaftshandelns? Helfen um des Helfens willens als eine Art vorbehaltlosem Helfen? Meine Hausarbeit gliedert sich in einem Vorwort, einer Einleitung, zwei großen Teilen und einem abschliessenden Fazit. Im ersten Teil meiner Hausarbeit werde ich mich zunächst an den Leitfaden von Lambers halten, der die Gesellschaft in einem geschichtlichen Kontext betrachtet und in die folgenden drei Kategorien unterteilt: Archaische Gesellschaft, Hochkultivierte Gesellschaft und Moderne Gesellschaft. Daran anschließend werde ich mich im zweiten Teil meiner Hausaufgabe der sozialen Frage und der Frage was ist ein soziales Problem widmen, um einen Überblick zu bekommen, wo Soziale Arbeit als Profession im Bereich der Hilfe heute steht und wie die Begriffe Hilfe und Armut in diesem Kontext zu sehen sind. Durch die Betrachtung des geschichtlichen Kontextes, wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde, erhoffe ich mir neue Einsichten zu erlangen und Entwicklungsräume zu eröffnen, da ich im Prinzip des Helfenwollens die Grundlage Sozialer Arbeit sehe, mit der ich mich gerne kritisch und offen auseinander setzten möchte. Von gesellschaftlicher Relevanz ist für mich die Möglichkeit sich durch diese Betrachtung zu vergegenwärtigen auf welcher Grundlage geholfen wird und wie Begegnung im Hilfeprozess gestaltet werden kann.

Teil I: Geschichtlicher Kontext und Relevanz

Warum einen Blick in die Geschichte werfen?

Zu meiner Schulzeit, der Enkelnachkriegsgeneration in Deutschland der 80er/ 90 er Jahre, stand Geschichte im Schulunterricht und in der Erziehung aufgrund der noch im Kollektivbewusstsein ganz präsenten Nachkriegsgeschichte des 2. Weltkrieges und den Gräueltaten des Naziregimes als Mahnmal Geschichte nicht zu wiederholen. Daraus für die Zukunft zu lernen und es anders zu machen. Jungen Menschen soll durch die Beschäftigung mit Geschichte die Möglichkeit gegeben werden sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, indem sie etwas über ihre Herkunft, die Veränderung und Entwicklung der Gesellschaft, die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und letztlich etwas über ihre eigene Identität vermittelt bekommen, welches sie befähigen soll, freie Entscheidungen im Zusammenleben mit anderen Menschen auf Grund ihrer historische Kenntnisse treffen zu können. Dies zeigt, dass Geschichte für die Persönlichkeitsentwicklung herangezogen werden kann, um zu einem, jedenfalls in meiner Erziehung gewünschten, selbst- kritischen, toleranten und respektvollen Menschen in der Gesellschaft zu werden, der in der Auseinandersetzung mit anderen seinen eigenen Standpunkt erarbeitet und zum Wohle aller der Gesellschaft beiträgt. Inzwischen wird in den Geisteswissenschaften nicht nur diskutiert, dass politische und Wirtschaftssysteme früher anders waren als heute. Vielmehr wird heute nach der historischen Veränderlichkeit von Körpern, Gefühlen oder sozialen Werten gefragt. Fast alles was wir heute für selbstverständlich und vielleicht für natürlich halten, erweist sich bei genauerem Hinsehen als historisch gewachsen und wandelbar. "Geschichte bereitet so in der Tat für die Zukunft vor, aber nicht einfach als eine Blaupause, sondern als Bewusstsein, dass wir offen für alle möglichen Entwicklungen sein müssen." (Institut für Geschichtswissenschaften: Warum Geschichte studieren? 2016) Nun richte ich meinen Blick auf die von Lambers bezeichnete archaische Gesellschaft, die einfachste menschliche Gesellschaftsform, in der Helfen schon stattgefunden hat, auch wenn die allgemeine Geschichtsschreibung und Epochenbildung nach Lambers erst mit dem Mittelalter ihre Anfänge nimmt.

Archaische Gesellschaft:

"Archaische Gesellschaften sind einfache, relativ autonome und autarke Stammesgesellschaften." ( Lambers 2018: 28) Der Grad der Individualität ist sehr gering. Der Einzelne ist vollständiges Mitglied des Stammes, der bei fehlenden erwarteten Eigenschaften ausgeschlossen, ausgegrenzt oder abgestoßen werden kann. Das zeigen praktizierte Kindstötungen, die bis in das Mittelalter moralisch geduldet wurden, wenn das Kind zu klein, zu schwach, zu krank war und nicht der Überlebensfähigkeit des Stammes diente. Stämme leben dabei segmentär differenziert. "Das bedeutet, dass sie in weitestgehend voneinander unabhängigen Einheiten (Stämmen) leben, die für sich gegenseitig Umwelt sind. Archaische Gesellschaften stellen demnach relativ gleiche, segmentär differenzierte Einheiten auf einfacher Entwicklungsstufe mit geringer Komplexität dar. Die Identität des Einzelnen wird über seine Stammeszugehörigkeit begründet." ( Lambers 2018: 28,29) Die Kommunikation beruht vorwiegend auf oraler Kommunikation. Schriftsprache ist keine allgemeingültige Sprache. "Das Zusammenleben ist arbeitsteilig und auf der Basis von Geschlechts- und Altersrollen organisiert. Ausnahmen bilden bestimmte Mitglieder, die über Spezialkenntnisse verfügten, z.B. Medizinmänner oder Häuptlinge, Älteste, die über entsprechende Fähigkeiten oder Machtbefugnisse verfügen. Eine geringfügige Ausdifferenzierung politischer Herrschaft. Kinder werden erst nach vollständiger Initiation als vollwertige Mitglieder der Stammesgesellschaft gesehen. Gegenseitiges Helfen gilt dem Überleben des Stammes und dient nicht der Vorstellung von Gerechtigkeit. "Helfen als eine Form des Bedarfsausgleiches in archaischen Gesellschaften ist durch unmittelbare Gegenseitigkeit oder Wechselseitigkeit der Hilfe- und Dankesverpflichtung geprägt und ist ein Merkmal üblicher sozialer Austauschbeziehungen." ( Lambers 2018: 29) Archaische Gesellschaften gibt es vereinzelt auch heute noch als isolierte bzw. außerhalb der industriellen Zivilisation lebende Ethnien. Kennzeichnend für das Verständnis von Hilfe in archaischen Gesellschaften ist der reziproke Erwartungstyp, unter dem die gegenseitige Hilfe als ein Verhaltensprinzip zu verstehen ist.

Hochkultivierte Gesellschaft:

Nach Lambers umspannen hochkultivierte Gesellschaftsformen in etwa die Zeit des Mittelalters, der Neuzeit bzw. Renaissance, der Aufklärungszeit und der klassisch- idealistischen Zeit (Klassik, Idealismus und Romantik). Eine zeitgeschichtlich weite Spanne vom 6. Jahrhundert - bis weit in das 19. Jahrhundert hinein, die gekennzeichnet ist durch komplexe, dynamische gesellschaftliche Veränderungen. "Wechselseitige persönliche Hilfe (reziproker Erwartungstyp) wird zunehmend durch Bindung von Hilfe an Religion und Moral abgelöst." ( Lambers 2018: 41) Eine Voraussetzung für die Entwicklung komplexer Gesellschaftsformen sieht Lambers in dem "Übergang des Menschen von Jäger und Sammler zu sesshaften Kulturen." ( Lambers 2018: 42) Ackerbau und Viehzucht werden im Laufe der Zeit nicht mehr nur für die eigene Selbstversorgung betrieben. Ein rapider ansteigendes Bevölkerungswachstum lässt Städte entstehen, die einen Mittelpunkt für Handel und Herrschaft darstellen. Die Schrift als Kommunikationsmittel gewinnt an Bedeutung. Religion in Form eines Allgottglaubens ist kennzeichnend. Musik, bildende Kunst und Wissenschaft entwickeln sich. Die Komplexität an Informationen nimmt zu. Es wird ein gemeinsames Denken und Fühlen durch Sprache, Kultur und Religion gebildet. "Der einzelne Mensch war darauf angewiesen, viel mehr Informationen und Zusammenhänge des gesellschaftlichen Lebens zu bekommen und zu verarbeiten, um sein eigenes Leben führen zu können. Der Einzelne lief Gefahr in der Masse unterzugehen und dieser Umstand förderte den Blick auf den Einzelmenschen und seine Bedürfnisse. Dabei wurde auch die Sicht für die Individualität und Eigenheit von Menschen freigelegt." ( Lambers 2018: 43) Erste Organisationen von Politik und Verwaltung werden gebildet, die Arbeitsteilung wird entdeckt und Gesellschaftsklassen mit Spezialisierung und Klassenunterschieden bilden sich heraus, die in einem Schichtverhältnis von Über- und Unterordnung zu einander stehen. Eine komplexe und differenzierte Gesellschaftsstruktur entsteht, die gekennzeichnet ist durch "die Herausbildung von Ungleichheit in Form schichten gebundener Machtstrukturen." ( Lambers 2018: 43) Gesellschaftszugehörigkeit wird zunehmend über die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht definiert, die die Identität eines Menschen formt. Position und Identität des Einzelnen sind in der sozialen Ordnung festgeschrieben. "Das Fehlen standesgemäß erwarteter Eigenschaften führt zur Exklusion aus dem Stand, nicht aus der Gesellschaft." ( Lambers 2018: 45) Im Gegensatz zu der segmentären Ordnung archaischer Gesellschaften, sind hochkultivierte Gesellschaften stratifikatorisch differenziert. "Sie leben in weitestgehend ungleichen Einheiten (Schichten, Ständen, Klassen), die für sich gegenseitig Umwelt sind." ( Lambers 2018: 44) Diese Umwelt besteht aus großen, wenig überschaubaren, geordneten Einheiten, wie Städte, Fürstentümer und Reiche. Die Form des Helfen ändert sich. "Hilfeanlass, Hilfeerbringung und Dankesverpflichtung haben sich im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung zeitlich immer weiter voneinander entfernt." ( Lambers 2018: 46) Luhmann spricht von einer "Dehnbarkeit der Dankbarkeit", in der ein Raum für neue Möglichkeiten der Dankesverpflichtung entsteht, die zeitlich versetzt sein können. Verläuft die Befriedigung von Bedürfnissen und die wechselseitige Hilfe und- Dankesleistung in der archaischen Gesellschaft noch recht unkompliziert, wird es in der Hochkultivierten Gesellschaft schon komplexer. Der Bedarf nach einer Präzisierung von Hilfe- und Dankesverpflichtung entsteht, die an Gerechtigkeitsvorstellungen gebunden wird. Dafür bietet sich der christliche Glaube an. "Helfen wird zur christlichen Tugend erklärt." ( Lambers 2018: 47) "Der Wegfall der unmittelbaren Hilfe auf Gegenseitigkeit hatte die Entpflichtung von Hilfe zur Folge. Andererseits muss man von einer Verpflichtung zur Hilfe sprechen, da sie fortan moralisch gefordert und als kulturell erwünschtes, sinnvolles Handeln von Gesellschaft gefordert wurde." ( Lambers 2018: 47) Durch den Wegfall unmittelbarer Hilfe, entstehen Konsensualverträge. "Das sind Verträge, an die sich jeder gebunden fühlt (z.B. " gibst du mir, so geb` ich dir"), obwohl es gar keinen formalen Einzelvertrag gibt. Es besteht allgemein ein informeller, moralisch gebundener Konsens darüber, wie Handeln und Erleben in eine verbindliche Wechselbeziehung gesetzt werden und damit praktisch Erwartungssicherheit hergestellt wird." ( Lambers 2018: 47) Lambers spricht von einem konsensualen Erwartungstyp. Aus der wechselseitigen Erwartungsstruktur der Hilfe- und Dankesverpflichtung archaischer Gesellschaften wird eine moralisch generalisierte, schichten mäßig geordnete Erwartungsstruktur des Helfens.

Moderne Gesellschaft:

Die moderne Gesellschaft umfasst in etwa die Zeit der Frühmoderne, der Industrialisierung, sowie der Moderne und Spätmoderne. Etwa die Zeit des 18. Jahrhunderts und des Übergangs zum 19. Jahrhundert bis heute. Kennzeichnend für die soziale Arbeit ist die Zeit der Industrialisierung, in der soziale Arbeit als Verberuflichung ihre Anfänge nimmt. Dies ist mit dem Wegfall der (Groß)- Familien, der Zunft, der Dorfgemeinschaft zu begründen. Hungersnöte, Seuchen, die Auswirkungen der napoleonischen Kriege und die dramatischen Veränderungen von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft fordern neue Lösungen für komplexe gesellschaftliche Probleme. Die Armut kann nicht mehr allein durch den Verbund der (Groß)- Familie versorgt und verhindert werden. Öffentliche Fürsorge wird notwendig, die durch die Bismarckischen Gesetze auch eine Angelegenheit des Staates wird. Der Staat reagiert in Form der Sozialgesetze auf die soziale Not der Arbeiterschaft. "Unter dem Druck der neuen Produktionsverhältnissen entstanden Proletariat und Massenarmut einerseits sowie das verstärkte Interesse an der Realisierung von Individualitätsidealen andererseits." ( Lambers 2018: 114) Durch Technologisierung, Ökonomisierung und Globalisierung kommt es zu einer großen gesellschaftlichen Differenzierung. Gesellschaften sind nach Lambers "stratifikatorisch, d.h nach Schichten differenziert. Gleichzeitig ist jedoch die Ausbildung einer funktionalen Differenz beobachtbar. Es bilden sich immer mehr eigene, relativ autonome Funktionssysteme zur Bearbeitung ungleicher gesellschaftlicher Aufgaben aus. "Beispiele für solche Funktionssysteme sind das Recht, die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, die Bildung und Erziehung, die Religion, die Medizin, die Kunst und die Massenmedien." ( Lambers 2018: 109) Organisationsformen gewinnen an Bedeutung, die eine Form gesellschaftliche Handelns darstellen und eng in Verbindung mit der modernen, nachrevolutionären Gesellschaft stehen. Nach breiten öffentlichen Diskussionen kommt es zu dem Konsens, "dass sich in den traditionellen Strukturen der kommunalen und privaten Armenpflege mit ihren vielfältigen Zersplitterungen, mangelnder Koordination und Einheitlichkeit, Zufälligkeiten und Willkür zeitgemäße Grundsätze einer Sozialfürsorge nicht verwirklichen lassen." ( Hering/ Münchmeier 2014: 62) Die Gründung des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit im Jahre 1880 ist der Versuch diesen Missständen entgegenzutreten. In diesem Zuge entstehen in vielen Großstädten Zentralen für private Wohltätigkeit, aus denen wieder eine Fülle von länderübergreifenden Fachorganisationen, Zentralvereinen und Dachverbänden einhergeht, die zu einem wichtigen Motor der Neustrukturierung des Armenwesens werden. ( vgl. Hering/ Münchmeier 2014: 63,64) Eine Vielzahl unterschiedlicher eigenständiger sozialer Systeme, die gleichberechtigt ungleiche gesellschaftliche Aufgaben und Probleme bearbeiten. "Hilfe wird zur gesellschaftlichen sicher erwartbaren Leistung". ( Lambers 2018: 113) und bedeutet nicht an der Verhinderung von " Problemfällen "zu arbeitet, sondern an deren Beseitigung mitzuwirken. "Organisationen arbeiten nicht an der Änderung von Strukturen, die Hilfsbedürftigkeit erzeugen." ( Lambers 2018: 113) Der einzelne Mensch wird zunehmend zum Individuum, dessen Suche nach Individualität zur Privatsache wird. Kommunikation bekommt eine besondere Bedeutung, die sich mit den komplexen gesellschaftlichen Strukturen und Systemen mitentwickelt. Verbreitungsmedien wie Zeitungen, Fernseher, Radio und Internet bieten eine überschaubare Vielfalt an Informationen und Identitäten. Die Gesellschaftszugehörigkeit des Einzelnen zu den Teilsystemen wird mittels der Kommunikation mitentschieden, da die Gesellschaft dem Individuum keinen festen Platz in der Gesellschaft mehr zuordnet und die Kommunikation je nach erbrachter oder nicht erbrachter Kommunikationseigenschaft zur Exklusion oder Inklusion der Person in das entsprechende (Teil)- System mitentscheidet. "Die Gesellschaftszugehörigkeit des Einzelnen ist über die kommunikative Anschlussfähigkeit zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen gekennzeichnet (Inklusion)." ( Lambers 2018: 113) Fürsorge wird planmäßig, rational und organisiert. Es bilden sich organisierte Sozialsysteme, die sich auf das Helfen spezialisieren. Lambers spricht von einem funktional- strukturellen Erwartungstyp. "Das bedeutet, dass Hilfe nun zur sicher erwartbaren gesellschaftlichen Leistung wird. Sie erfolgt ausschließlich auf der Grundlage gesellschaftlich definierter Hilfsbedarfe und dazu passender Hilfsprogramme. Nur der Vergleich von Tatbestand und Programm löst Hilfe aus. Ursprüngliche, wechselseitige Hilfe verbleibt im Privatleben." ( Lambers 2018: 108)

Ausblick:

Die Veränderungsprozesse der Industrialisierung führen zu tiefgreifenden Veränderungen gesellschaftlicher Systeme, die mit einem neuen Verständnis über die gesellschaftlichen Aufgaben öffentlicher Fürsorge einhergehen. Fürsorgemaßnahmen gehen über die klassische Armenfürsorge hinaus, in der planvolles und wissenschaftlich begründetes Handeln von Bedeutung wird. Da die individuelle Daseinsvorsorge durch die Wirtschaft und die ökonomischen Umbrüche der Industrialisierung zunehmend versagt und es zu einer Verelendung der arbeitenden Schichten kommt, übernehmen Staat und Kommunen mehr Aufgaben. Mit Beginn des 20.Jahrhunderts setzt sich die Ausdifferenzierung der Wohlfahrtspflege des 19. Jahrhunderts fort. Es bilden sich zwei Hauptstränge heraus. Die staatliche öffentliche Wohlfahrtspflege und die freie Wohlfahrtspflege (vorher private Wohltätigkeit), die nebeneinender funktionieren und sich im Verlauf der Geschichte weiter ausdifferenzieren und spezialisieren. (Gesundheits-, Jugend-, Wohnungs- und Erwerbslosenfürsorge). "Mit dem Ausbau der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege setzte ein Prozess der Verwissenschaftlichung und Verberuflichung des Sozialen ein." ( Lambers 2018: 154). Ausbildungsstätten für soziale Berufe werden gegründet, die vorwiegend auf die bürgerliche Frauenbewegung zurückgehen, in derem Zuge Alice Salomon, Jane Adams und M ary Richmond zu nennen sind. Helfen wird professionalisiert. "Mit der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 wurde der neue Staat als parlamentarische Republik, als Rechts- und Sozialstaat geboren." ( Lambers 2018: 154) Das Subsidiaritätsprinzip bekommt eine besondere Bedeutung, welches als Strukturprinzip das Verhältnis der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege bestimmt. Der Staat, der sowohl unterstützend als auch kontrollierend tätig werden kann, übernimmt die Finanzierung der Sozialen Arbeit zu einem Großteil und führt in bestimmten Bereichen Aufsicht, wohingegen die konkrete Arbeit von den zivilgesellschaftlichen Organisationen (Wohlfahrtsverbände) ausgeführt wird. "Solange die Bürgerinnen und Bürger selbst in der Lage sind, gesellschaftlich als notwendig erbrachte Hilfe zu organisieren, soll sich der Staat zurückhalten." ( Lambers 2018: 184) In der zweiten Hälfte des 20.Jahrhundert kommt die Idee des Wohlfahrtstaates als ein verfassungsrechtliches Element zur Entfaltung. Das Sozialstaatsprinzip wird im Grundgesetz (GG) und ab 1969 in dem Sozialgesetzbuch (SGB) rechtlich verankert. Der Prozess der Professionalisierung von Hilfe geht mit einem dynamischen Prozess der Verrechtlichung des Sozialen einher. Hilfe im Sinne eines Verhaltensprinzips wird somit nicht nur professionalisiert, sondern auch institutionalisiert und ist durch eine Rechtsordnung angeleitet oder beeinflusst. Sie dient somit auch der Konfliktverhütung und -lösung, damit ein geordnetes und friedliches Miteinander möglich ist. Ein Kennzeichen Moderner Gesellschaften ist die Entwicklung weitestgehend eigenständiger gesellschaftlicher Funktionssyteme, wozu auch die Wissenschaft gehört. "So wird auch die spätestens mit der Industrialisierung entstandene soziale Frage verstärkt zum Thema von Forschung und Entwicklung." ( Lambers 2018: 232),

Teil II: Soziale Arbeit und die soziale Frage:

Hilfe als erwartbare gesellschaftliche Handlungsform:

Der vorangegangene Teil I der Hausarbeit skizziert den Weg von der wechselseitigen Hilfe zur Hilfe, die als sicher erwartbare gesellschaftliche Leistung gesehen werden kann. "Dieser Prozess der Hilfe basiert auf zwei Grundpfeilern: Subjekten, die der Hilfe bedürfen und Institutionen, Professionellen, die helfen wollen." ( Schilling/ Klus 2018: 17) Nach Luhmann dient Helfen zunächst einmal dazu einen Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse eines anderen Menschen zu leisten. Hilfe dient der wechselseitigen Befriedung individueller Bedürfnisse, muss darüber hinaus aber auch als Hilfe verstanden werden, die gesellschaftliche Prozesse ausgleichen und befrieden kann. Das heißt, "dass Menschen die Hilfe ihrer Gruppe, Familie, ihres Clans oder Stammes brauchten, um zu überleben" ( Schilling/ Klus 2018: 17), welches auch anders herum so gesehen werden kann, dass das Wohlergehen der Gruppe von dem einzelnen Individuum abhängig ist. Hilfe kann somit auch als eine organisierte Hilfeleistung der Gesellschaft an einzelne Mitglieder verstanden werden, "die in der Gefahr stehen, sich aus dem Gemeinschafts- und Gesellschaftsgefüge, aus ihrer Ordnung und ihrem Leben herauszulösen und ihr zu entgleiten. Konkreter gesagt: die Fürsorge versucht Menschen, die den Anforderungen des Gemeinschafts- und Gesellschaftslebens- sei es in wirtschaftlicher, sei es in moralischer Hinsicht- nicht genügen können, zu stützen und zu halten, oder, wenn es sein muss, sie an anderer geeigneter Stelle einzugliedern, damit sie aus eigener Kraft am Leben des Ganzen wieder sinnvoll teilnehmen können." ( Scherper 1966,10 in Schilling/ Klus 2018: 19) "Dabei verflochten sich in Bezug auf den Klienten gegenüber meist Hilfe und Kontrolle; Disziplinierung war nicht bloße Repression, sondern auch die Formulierung und Durchsetzung von Verhaltenserwartungen und sozial- bzw. Normalitätsstandards, deren Internalisierung für die AdressatInnen- die Armen, die Elendsbevölkerung, Randgruppen- durchaus funktional, d.h. unter den jeweils gegebenen Verhältnissen hilfreich sein konnten." (Hammerschmidt/ Tennstedt in Thole 2012: 73) Hilfe ist somit immer auch abhängig von gesellschaftlichen Erwartungen, Überzeugungen und Wertevorstellungen.

Armut und Hilfe:

Unter Armut wird zunächst die materielle Armut verstanden. In der vorindustriellen Zeit wird materielle Armut von den Primärverbänden, den bäuerlichen (Groß)-Familien und einfachen Dorfgemeinschaften aufgefangen. Erst durch Kriege, Krankheiten und gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen, die die Kapazitäten der sozialen Primärverbände übersteigt, wird Armut öffentlich. Es bilden sich öffentlich- hoheitliche Leistungssysteme aus. "Aus den beiden Grundkategorien Hilfe und Armut folgt logischer Weise die Herausbildung von sozialen Organisationen. Dies bedeutet, dass in dem Maße, wie gegenseitige Hilfe die Kapazitäten der sozialen Primärverbände überstieg, öffentliche Hilfsorganisationen notwendig wurden und es entstand die öffentliche Armenpflege bzw.- Fürsorge." ( Schilling/ Klus 2018: 19) Dabei kristallisierten sich zwei Stränge heraus, die sich im Inhalt und in der Zielgruppe unterscheiden lassen. Die Erwachsenenfürsorge und die Kinderfürsorge, aus denen sich Sozialarbeit sowie Sozialpädagogik entwickelte. In der Erwachsenenfürsorge wurde Hilfe bei materieller Not und wirtschaftlichen Versagen angeboten. In der Kinderfürsorge bei Unzulänglichkeiten gegenüber der moralischen Ordnung. "Die beiden Grundtypen der Hilfsbedürftigkeit stehen zwar in Wechselbeziehung, dennoch kann man sie deutlich voneinander unterscheiden: Unter Armut wurde in ihrer typischen Ausprägung ein Notstand des Erwachsenen, unter Verwahrlosung dagegen eine typische Erscheinung jugendlicher Hilfsbedürftigkeit verstanden." (Schilling/ Klus 2018: 18)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Entstehungsgeschichte (Schilling/ Klus 2018: 19)

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Details

Title
Die Entstehung der sozialen Arbeit. Eine Analyse von Helmut Lambers "Geschichte der Sozialen Arbeit. Wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde"
Course
Soziales Engagement während der Industrialisierung
Grade
1.7
Author
Year
2021
Pages
20
Catalog Number
V1137375
ISBN (eBook)
9783346513915
ISBN (Book)
9783346513922
Language
German
Keywords
Soziale Arbeit
Quote paper
Laura Griesch (Author), 2021, Die Entstehung der sozialen Arbeit. Eine Analyse von Helmut Lambers "Geschichte der Sozialen Arbeit. Wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1137375

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"Geschichte der Sozialen Arbeit. Wie aus Helfen Soziale Arbeit wurde"



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