Gott, der Barmherzige und Gerechte. Islam und Christentum im Vergleich


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2016

81 Páginas, Calificación: 1,7


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Die Grundlagen der Glaubensverständnisse von Muslimen und Christen
1.1 Die Buch gewordene Offenbarung
1.2 Die Fleisch gewordene Offenbarung
1.3 Gegenüberstellung der unterschiedlichen Offenbarungsvorstellungen

2. Die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehung zu Gott
2.1 Der Mensch, ein schwacher Statthalter Gottes auf Erden
2.2 Der Mensch, das sündhafte Ebenbild
2.3 Die Sünde als Ursache für die Schwäche des Menschen
2.3.1 Die Erbsünde, die Sünde und der Mensch
2.3.2 Der Schaitan, die Sünde und der Mensch
2.3.3 Die Erbsünde und der Schaitan im Kontext der Menschenbilder

3. Die Barmherzigkeit Gottes
3.1 Gott, der barmherzige Vater
3.2 Gott, der barmherzige Erbarmer
3.3 Vgl. der göttlichen Barmherzigkeit mit Implikationen auf das Miteinander

4. Der gerechte Gott
4.1 Der wahrhaft-gerechte Gott
4.2 Gerechtigkeit Gottes als das gemeinschaftsgemäße Verhalten
4.3 Die Wahrhaftigkeit der Gemeinschaftsgemäßheit

5. Das Verhältnis zwischen Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Oder: Über des Menschen »Rechtfertigung«.
5.1 Gerecht durch Glauben und gute Taten
5.2 Rechtfertigender Glauben
5.3 Das Für und Wider der Auffassungen zur Heilserlangung

6. Der barmherzige und gerechte Gott im Kontext einer unbarmherzigen und ungerechte Welt

7. Zusammenfassende Überlegungen

Literaturverzeichnis

Danksagung

Vorwort

Als evangelischer Christ habe ich mich mit dem islamischen Glauben erst im Rahmen meines Studiums, insbesondere zur Verfassung dieser Arbeit beschäftigt. Im Laufe der Lektüre wurde mir zunehmend bewusst, dass es in dieser Arbeit nicht möglich sein wird, eine allumfassende Betrachtung der islamischen Position inklusive ihren unterschiedlichen Konfessionen und Strömungen wiederzugeben. Ich beschränke mich in meinen Darlegungen daher auf die mit beträchtlichen Abstand größte islamische Konfession, die sunnitische, die allerdings ihrerseits durch ihre vielfältigen Auslegungsschulen und regionalen Unterschiede ebenfalls nicht vollständig zu erfassen ist. Ergänzt wird diese sunnitische Tradition mit den Ausführungen verhältnismäßig liberaler muslimischer Theologen, die auf eine Reform des Islams zielen und eines schiitischen Theologen (A. Falatouri). Schlussendlich orientiere ich mich an den Worten des Korans, auch wenn diese bereits im arabischen Original vielseitig zu interpretieren sind und dies in den diversen Übersetzungen potenziert wird. Außerdem wird die eher im schiitischen Spektrum angesiedelte islamische Mystik mit einfließen, die als Korrektiv der großen Rechtsschulen gilt und bis heute eine wichtige Position innerhalb der Volksfrömmigkeit im Islam einnimmt. Die Eigenarten der Schia hingegen können nicht behandelt werden.

Die christliche Perspektive entnehme ich primär der evangelischen Theologie, widme mich aber auch den Werken katholischer Theologen. Zumindest bezüglich des Kerns dieser Arbeit, lässt sich von einer Ausnahme abgesehen, kein nennenswerter konfessioneller Unterschied ausmachen. Dennoch muss auch hier angemerkt werden, dass nur ein Bruchstück der christlichen Glaubensvielfalt mit in die Arbeit einfließen konnte.

Auf theologiegeschichtliche Entwicklungen beider untersuchter Religionen kann nur dann eingegangen werden, wenn diese einen konkreten Sachverhalt explizit zu verdeutlichen vermögen. Deshalb stelle ich zwar bedauernd fest, weder das volle Spektrum des islamischen, noch des christlichen Glaubens erfassen zu können, bin aber zugleich zuversichtlich, ein differenziertes und vielfältiges Bild zeichnen zu können.

Häufig und so gut es mir möglich ist, verwende ich Ausdrücke aus den Quellensprachen (Arabisch, Griechisch, Hebräisch und Latein). Bezüglich des Arabischen bitte ich gewisse Inkonsistenzen der Schreibweisen zu entschuldigen; sie sind den unterschiedlichen Vorlagen der untersuchten Literatur geschuldet. Einzelne Worte habe ich jedoch – sofern sie nicht im Zitat erscheinen – einheitlich eingearbeitet.

Die Verwendung der Quellenworte erscheint sinnvoll, weil diese häufig vielseitiger zu erfassen sind als die gemeinläufige Bedeutung der Übersetzung. Eine Ausnahme mache ich dennoch, obwohl es an manchen Stellen die Formulierung erleichtert hätte: Auch der Gott aus den koranischen Schilderungen wird stets als »Gott« und nicht mit dem arabischen Pendant »Allah« benannt. Hiermit will ich versuchen, unterschwellige Differenzen nicht aufkommen zu lassen. Der im Islam geschilderte Gott ist der Eine. Der Eine, zu dem sich auch Juden und Christen bekennen. Eine Unterscheidung wäre nicht nur sachlich, sondern auch für die Glaubensgrundlage aller drei großen abrahamitischen monotheistischen Religionen nicht zu rechtfertigen.

Quellenbelege aus den Heiligen Schriften berufen sich, sofern nicht anders vermerkt, stets auf die Lutherübersetzung von 1984 und die Koranübersetzung von Hans Zirker (2013). Zur Verbesserung des Leseflusses sind Bibel- und Koranbelege (xx:xx) direkt im Text in Klammern angegeben und Fußnoten, die über einen Quellenbeleg hinaus zusätzliche oder weiterführende Informationen enthalten, sind besonders hervorgehoben. Die URL und das Abrufungsdatum der verwendeten Onlinequellen sind zu Gunsten der Textästhetik lediglich im Literaturverzeichnis angegeben, in den Fußnoten jedoch deutlich als solche markiert. Pfingsten, 2016

Einleitung

Das zentrale Thema dieser Arbeit, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes, spielt in beiden zur Untersuchung herangezogenen Religionen eine entscheidende Rolle. Ihm, dem barmherzigen und gerechten Gott, steht sein Geschöpf, der Mensch gegenüber. Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf sollte die belebte und unbelebte Schöpfung wohl behütet eingebettet sein. Allerdings gehört es „zur realistischen Wahrnehmung der Wirklichkeit“, dass die irdische Schöpfung unter vielfältigen menschlichen Verfehlungen zu leiden hat. 1 Es hat den Anschein, als stünde das Geschöpf Mensch seinem Schöpfer diametral entgegen und die Schöpfung sei nicht sicher eingebettet, sondern vielmehr schmerzhaft zwischen beiden eingekeilt. Sie scheint sich selbst überlassen zwischen Gesetzmäßigkeit und Chaos; dem Menschen in hohem Maße ohnmächtig gegenüber stehend.

Die Menschheitsgeschichte kann (und sollte) zwar als eine Erfolgsgeschichte betrachtet werden, da die Menschen sich seit Jahrtausenden weiterentwickeln, allerdings kann (und sollte) sie ebenso als eine Tragödie begriffen werden. Nicht nur andere Menschen und Spezies sind dem Menschengeschlecht oft wehrlos ausgeliefert, auch die unbelebte Schöpfung wird seit Anbeginn dieser Geschichte vom Menschen belastet und ausgebeutet. Je weiter diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben wird, desto höher wird gleichzeitig das in ihr enthaltene tragische Potential. Jeder Fortschritt birgt in des Menschen Händen zugleich unabsehbare Risiken für die gesamte Schöpfung. Diese Risiken sind heute größer denn je. Leider hat sich das tragische Potential schon auf mannigfaltige Weise auf der Erde manifestiert: Kriege, rücksichtslos Ausnutzung der Umwelt und anderer Geschöpfe und die Vernichtung ganzer Arten seien als hinweisgebende Schlagworte angezeigt.

Während das individuelle Leid in der Menschheitsgeschichte möglicherweise früher größer war, ist es Teil der Erfolgsgeschichte, dass der zunächst seiner Umwelt ausgelieferte Mensch sich immer besser gegen sie zu Wehr zu setzten lernte. Die Menschen wurden zum größten Teil sesshaft und schufen sich ihre eigene, von der Natur nahezu entkoppelte Kultur und besiegten viele Krankheiten, die zuvor die gesamte Art bedrohten. Dem Menschen wird daher folgerichtig im Islam und im Christentum eine besondere Rolle innerhalb der Schöpfung zugeschrieben.

Das Leid auf dieser Erde, das alles Geschöpfliche mit einschließt, ist seit einiger Zeit nicht mehr vordergründig auf Naturgewalten vielfältiger Art zurück zu führen, sondern zum großen Teil auf das Wesen der Menschen selbst, dem offensichtlich ein verheerendes zerstörerisches Potential innewohnt.

Wie ist es möglich, dass der Mensch sich so gravierend von der Beschreibung seines barmherzigen und gerechten Schöpfers unterscheidet? Warum überlässt der Schöpfer seine Schöpfung scheinbar sich selbst und übergibt sie noch dazu auf den ersten Blick tatenlos seiner mitunter unbarmherzigen und ungerechten Kreatur namens Mensch? Muss Er in seiner Allmacht und Allwissenheit nicht das Risikopotential erkannt haben? Und wenn ja, trifft ihn dann nicht zumindest ein Mitverursachen der Misere, dem Leid der Welt? Und wenn nein, müsste dann Gott vielleicht nur als barmherzig, nicht aber als allmächtig begriffen werden? 2 Es stellt sich also frei nach Fulbert Steffensky zitiert die Frage: Kann man Gott damit davon kommen lassen? 3

Zur Behandlung dieser Fragen werden zunächst die Grundlagen des muslimischen und christlichen Glaubens, speziell ihre Offenbarungen beleuchtet, die den Gläubigen das Bild des barmherzigen und gerechten Gottes vermitteln. Da der Mensch als Subjekt der Religionen und als ausführende Gewalt auf der Erde in keiner theologischen Überlegung außer Acht gelassen werden sollte, folgt eine Abhandlung über die Stellung des Menschen zur Schöpfung und zum Schöpfer. Hieran anschließend wird versucht den Grund für das zerstörerische Potential des Menschen zu beschreiben. Hiervon ausgehend legen wir den Fokus auf die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes. Dem folgt eine Gegenüberstellung der beiden sich zumindest auf den ersten Blick grundsätzlich unterscheidenden Attribute Gottes. Im gleichen Zuge versuchen wir aus den gewonnenen Erkenntnissen über das barmherzige und gerechte Wesen Gottes zu erschließen, wie der dem göttlichen Wesen zu weiten Teilen widersprechende Mensch dennoch vor Ihm bestehen kann. Der Bogen wird so wieder zu dem gläubigen Menschen gespannt, dessen Hoffnung auf ein jenseitiges Leben in beiden Religionen fest verankert ist. Vor dem abschließenden Fazit wird in dem Lichte der gewonnen Einsichten der Schöpfer, die Schöpfung und das Geschöpf miteinander in Beziehung gesetzt.

1. Die Grundlagen der Glaubensverständnisse von Muslimen und Christen

Jede Offenbarung zeigt etwas auf, das bis dato verborgen und unbekannt war. Im theologischen Zusammenhang enthüllt sie eine göttliche Botschaft und macht sie den Menschen zugänglich. Sowohl der Islam als auch das Christentum sehen sich als Empfänger einer göttlichen Botschaft und verstehen sich demnach als Offenbarungsreligionen. Inhaltlich betrachtet decken beide Offenbarungen ein bestimmtes Gottesverständnis auf. Dieses „Gottesverständnis bedingt ein bestimmtes Weltverständnis, das ein bestimmtes Selbstverständnis einschließt und dadurch daseinsbestimmende Bedeutung erhält.“ Härle bezeichnet diesen „unauflöslichen Zusammenhang“ als Wirklichkeitsverständnis, da das Gottesbild der Menschen unmittelbaren Einfluss auf den Gläubigen an sich und seine Stellung in der Welt hat.4

Das Wesen Gottes, wie es die Offenbarungen verkünden und im Verlauf dieser Arbeit unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet wird, unterscheidet sich im Islam und im Christentum im Wesentlichen nicht. Gewiss bestehen unterschiedliche Akzentuierungen, die es miteinander zu vergleichen gilt, denn diese Nuancen haben mitunter eine stark potenzierende Wirkung auf das damit einhergehende Selbst- und Weltverständnis der Menschen. Im Detail wird das Wirklichkeitsverständnis in seinen verschiedenen Facetten in den darauffolgenden Kapiteln behandelt.

In diesem Kapitel soll die vermittelnde Kraft dieser Verständnisse betrachtet werde: Die Offenbarungen nach muslimischer und christlicher Lehre. Der Fokus liegt in diesem Kapitel primär auf der vergleichenden Darlegung der Art und Weise der Offenbarung und die damit einhergehenden Konsequenzen. Der Inhalt der Offenbarungen wird in den folgenden Kapiteln detaillierter behandelt, dennoch wäre es nicht zweckdienlich, ihn an dieser Stelle gänzlich auszuklammern.

1.1 Die Buch gewordene Offenbarung

„Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muḥammad ist der Gesandte Gottes.“

Das hier zitierte Glaubensbekenntnis der Muslime, die šahāda, 5 ist zwar sehr kompakt, stellt aber trotzdem in Kurzform alles dar, was sie glauben. Im Zentrum steht der „klassische Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes“ 6 (tauḥīd) wie sie Muḥammad, seinem Gesandten übermittelt und es im Koran festgehalten wurde. Nach muslimischer Auffassung ist ein Gesandter Gottes mehr als ein Prophet, denn er bekommt „den besonderen Auftrag, heilige Texte zu übermitteln“. 7

Im Wesentlichen begreift sich der Islam „als eine Religion, die einerseits die überlieferte abrahamitische Tradition reformuliert und andererseits einen genuin eigenen theologischen Standpunkt hinsichtlich der Gottesoffenbarung darlegt.“8 Als Neuformulierung ist der Koran zu verstehen, weil er den jüdisch-christlichen monotheistischen Gottesglauben aufgreift und weil er sich explizit auf die Tora und das Evangelium bezieht. So werden im Koran biblische Propheten und Gestalten aufgegriffen und teilweise ohne nähere Erklärungen kurz erwähnt. Der Koran setzt also die Kenntnis über diese Schriften voraus und bestätigt deren Wahrheitsgehalt (z.B. 2:136, 3:3). Dennoch formuliert er Geschichten um (z.B. reduziert er die Josefsgeschichte; vgl. Sure 12 u. Gen 37-50) und versieht sie zum Teil mit neuen Nuancen (bspw. die Paradiesgeschichte: s.u.). Der Grund dieser Diskrepanzen zwischen den älteren Überlieferungen und dem Koran kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden, 9 allerdings ist nach muslimischer Überzeugung die Darstellung im Koran in jeder Hinsicht als die Wahrheit schlechthin anzusehen. 10

Begründet wird dies mit dem speziellen Offenbarungsverständnis des Islam: Der Koran gilt als das unmittelbare Wort Gottes und als solches kann es nicht irren. Muslime sehen in ihm die Arabisch verfasste Abschrift der „Mutter der Schrift“, 11 die Gott auf die Erde „hinabgesandt“ hat (97:1). Der Engel Gabriel 12 (2:97) hat diese Urschrift Muḥammad offenbart und ihn beauftragt, diese Botschaft zu verkünden (96:1-5). Der im verständlichen Arabisch verfasste Koran (19:97) will „Führung und Barmherzigkeit [sein] für Leute, die glauben“ (z.B. 2:2).

Den Überlieferungen zur Folge waren die Offenbarungsereignisse für Muḥammad nicht angenehm, geradezu schmerzhaft. 13 Dennoch tat er wie ihm befohlen und begann, die ihm offenbarten Wahrheiten in Mekka zu verkünden, bzw. sie aus seiner Erinnerung zu rezitieren. 14 Muḥammad empfing zwischen den Jahren 610 und 632 etappenweise weitere Offenbarungen, bis diese schließlich die Urschrift im Wesentlichen abgebildet hatten. Zunächst tradierte er und seine Gefolgschaft den Inhalt mündlich, bis sich seine Begleiter bemühten, „den Wortlaut der Offenbarung, das, was sie verstanden und sich eingeprägt hatten, schriftlich festzuhalten.“ 15 Diese schriftliche Fixierung der Offenbarungen ist bis heute in Form des Korans konserviert und stellt nach islamischer Lehre das „endgültige Wort Gottes“ dar: 16

Gott selbst hat den Koran gelehrt (55:2), er ist göttlichen Ursprungs (32:2). In der darauffolgenden Sure (32:3) wehrt sich der Koran gegen die Vermutung, Muḥammad hätte sich seinen göttlichen Auftrag lediglich ausgedacht. Um seinen Gottesauftrag zu beweisen muss ein Prophet im jüdisch-christlichen Umfeld ein „Beglaubigungswunder“ durchführen können. Dieses Wunder ist nach islamischer Auffassung der Koran selbst und zugleich bedeutend wertvoller als übliche Wundertaten, denn er gilt als ein bis heute existierendes Werk als „Dauerwunder“. 17

Vom genauen Verhältnis zwischen Gott und Koran herrschen seit Anbeginn des Islams unterschiedliche Auffassungen und diese wurden in theologischen Streitgesprächen (Kalām) dargelegt. 18

Muḥammad empfing nicht nur über einen langen Zeitraum die Offenbarungen, auch kam es während dieser Zeit zu entscheidenden Veränderungen in seinem Leben: Er wirkte bis 622 in Mekka als Verkünder der göttlichen Botschaft und hat dort verhältnismäßig wenige Anhänger mit seiner Botschaft für sich gewinnen können. Schließlich musste er von dort fliehen 19 und entwickelte sich in seiner neuen Wirkungsstätte, Medina, zu einer entscheidenden politischen Persönlichkeit. 20

Sein Erfolg bestätigte seine Autorität: Nach innen zu sich selbst, wie auch nach außen zu seinen Anhängern. Dieser Rollenwechsel Muḥammads hat Änderungen des Gehaltes seiner Offenbarungen mit sich gebracht. Die Suren in Mekka sind eher kurz und prägnant, „friedlich und versöhnlich“, „poetisch, meditativ und apokalyptisch“ und die verwendete Prosa ist „deskriptiv und belehrend“.21 In dieser Phase richtet sich Muḥammad primär an die Polytheisten in Mekka und wollte sie zur Umkehr zu dem einen Gott aufrufen und warnte vor dessen unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Gericht (z.B. Sure 101). 22 In Medina hatte Muḥammad mit seiner Verkündigung mehr Erfolg und aufgrund vermittelnder und streitschlichtender Tätigkeit wurde er zeitnah „Mittelpunkt des gesellschaftlichen und politischen Lebens der Stadt.“23 „Er konnte sich [sic: fortan] nicht mehr damit begnügen, eine von Askese inspirierte, auf das Jenseits gerichtete Botschaft zu predigen, er mußte sich mit dem Alltag der Muslime beschäftigen“.24 Erkennen lässt sich dies im Koran, der von da an neben prophetischen Teilen zunehmend gesetzgebenden Charakter entwickelt. Auch finden während Muḥammads Wirken in Medina Berichte über Krieg und Gewalt Einzug in den Koran.

Zu Beginn dieser Phase versuchte Muḥammad noch „seine Gefolgschaft vor kriegerischen Unternehmungen zurückzuhalten“ (4:77), später dann hat er ihnen „ausdrücklich die Erlaubnis dazu erteilt“ (z.B. 22:39).25 Die in dieser Zeit offenbarte Sure 8 ist übersetzt mit „Die Beute“ und beschäftigt sich u.a. damit, wie die Kriegsbeute in der muslimischen Gesellschaft aufzuteilen sei. In der folgenden Sure 9, der chronologisch vorletzten von Muḥammad offenbarten, findet sich der zum Mord Andersgläubiger ermutigende und verheerende Vers 5.

Muḥammad hatte die visionsartigen Offenbarungen auch im alltäglichen Leben, häufig wenn er sich innerhalb seiner Gemeinschaft mit einem „Entscheid in einer religiösen Frage“ konfrontiert sah: Die Offenbarungen passten sich an die Notwendigkeiten der jeweiligen Situationen an.26 Der Koran ist „reines göttliches Wort, aber […] gleichermaßen zutiefst bezogen auf die innerste Persönlichkeit des Propheten Mohammed“ 27 und dieses Innerste war von seinen Lebensumständen beeinflusst.

Neben seiner Funktion als Empfänger der Offenbarung, fungierte er zusätzlich als wichtigster Interpret der göttlichen Botschaft. Gerade in der medinischen Phase bezog sich dies neben dem Gottesglauben auch auf die Führung einer Gemeinschaft. Der Koran enthält daher Vorschriften und Gesetze, die als offenbartes Gotteswort im Islam oberste Autorität genießen. 28

Allerdings können nicht alle das Leben betreffende Bereiche mit dem Koran abgedeckt werden, sodass sich in der islamischen Tradition nach dem Ableben Muḥammads eine zweite Hauptquelle der Rechtleitung Gottes für die Menschen herausbildete: Der Wille Gottes kann ebenfalls im Weg des Propheten, der Sunna, erkannt werden. 29 „Seine Lebensweise, sein Verhalten, seine Äußerungen und Sprüche“, seine „Erläuterungen, Verordnungen, Billigung und Tadel“ wurden von seinen Anhängern zunächst mündlich überliefert und anschließend schriftlich in den Hadīthen (Überlieferungen) fixiert.30

Der Koran und die Sunna bilden zusammen die Grundlage für das islamische Rechtssystem, der Scharīʿa. 31 Geläufigstes Mittel zur Urteilsfindung in theologischen und juristischen Fragen, die nicht direkt in den Quellen behandelt werden, ist die „Methode der Analogie“. 32 Die Scharīʿa ist allerdings kein einheitliches System, sie ist als „menschliches Konstrukt“ in jedem muslimischen Land, je nachdem welche Rechtsschule vorherrscht, unterschiedlich definiert. 33

Aufgrund der sehr umfangreichen und zum Teil widersprüchlichen Überlieferungen, sowohl innerhalb des Korans selbst als auch zwischen dem Koran und den Hadīthen 34 und aufgrund des Verständnisses des Korans als unmittelbares Wort Gottes, ergeben sich für das islamische Rechtssystem und die hermeneutische Arbeit Komplikationen. Sie übersehen, „dass wörtlich genommene Aussagen, die man auch absolut setzt, oft zeitbedingt und in manchen Aspekten auf andere Lebensumstände nicht übertragbar sind.“ 35

Bedenkt man, dass der Koran selbst mitteilt, dass in ihm „eindeutig gefasste Verse“ und „mehrdeutige“ enthalten sind (3:7), scheint die Zuhilfenahme eines kritischen Blicks bei der Auslegung der Mehrdeutigen zwingend notwendig zu sein. 36 Bedauerlicherweise muss einem aufgeklärten Standpunkt folgend darauf hingewiesen werden, dass sich diese Einsicht in weiten Teilen des Islams bislang nur zu einem bescheidenen Teil durchzusetzen vermochte.37

1.2 Die Fleisch gewordene Offenbarung

Der christliche Glaube gründet auf Jesus von Nazareth. Zunächst begründet er sich durch das Leben Jesu, wie es in den Evangelien bekundet ist. Die als Legende zu betrachtende Geburts- und Kindheitsgeschichte Jesu, wie sie von Matthäus und Lukas geschildert wird, bietet einen Vorgriff auf das, was das Leben Jesu ausmachte. Nach der geheimnisvollen Geburt in ärmster Behausung (Lk 2,7) flieht die junge Familie nach göttlicher Warnung in die Fremde (Mt 2,16). Die enge Beziehung seiner Eltern zu Gott ging auch auf ihn über. Spätestens nach seiner Taufe 38 begann Jesus als ein in Armut lebender Wanderprediger sich vornehmlich fremden, schwachen, kranken und ausgegrenzten Menschen hinzuwenden. Ihnen verkündigte er das Evangelium, die „Heilszusage für Verlorene, Erwählung derer, die vor der Welt nichts gelten“,39 die frohe Botschaft, die „zum Vertrauen auf Gottes schöpferisches, versöhnendes und vollendendes Wirken einlädt.“ 40

Darüber hinaus verkündete er das anbrechende und schon angebrochene Reich Gottes für diejenigen, die seine Lehre nicht nur aufbewahren, sondern auch umsetzen. 41 Im Namen Gottes vergab er den Menschen ihre Sünden und wirkte Wunder (z.B. Mt 9,1-8). Bereits nach überschaubarer Wirkungszeit 42 scherte er eine beachtliche Anzahl an ihm nachfolgenden Menschen um sich.

Dieses an sich schon - im wahrsten Sinne des Wortes - wundervolle Leben, hätte wohl nie die bis heute zu sehende und spürende Wirkung entfalten können, wenn nicht die Geschehnisse um Ostern geschehen wären. Denn das Christentum begründet sich neben seiner öffentlichen Wirksamkeit auch auf das Leid Jesu am Kreuz, seinen Tod und seine Auferstehung. Diese Geschehnisse brachten die noch zuweilen zweifelnde und in den letzten Momenten leugnende Jüngerschaft Jesu (Mt 26,31 ff) endgültig zu der Überzeugung: Jesus ist der Christus, der Immanuel, der Gott mit uns (Mt 1,23), der Sohn Gottes.

Zusammengefasst gewährt das NT einen Einblick auf das öffentliche Wirken Jesu von Nazareth und bezeugt die Christusverehrung der frühen Christengemeinde.

Neben dieser » revelatio specialis «, der Christusoffenbarung, existiert für viele christliche Theologen, allen voran Paulus, eine weitere Offenbarung: Das Wirken des allmächtigen Gottes lässt sich in seinen Werken erkennen. In der Schöpfung vermag sich Gott seinen Geschöpfen ebenfalls zu offenbaren und auch das Gewissen der Menschen weist auf Ihn hin (vgl. Röm 1,19 u. 2,14). 43

Über diese » revelatio generalis « , der allgemeinen, allen Menschen zugänglichen Offenbarung, hat sich Gott den Schilderungen des NT nach auch außerhalb, bzw. vor dem Wirken Christi, besonderen Menschen direkt und unmittelbar offenbart. Die erste Gestalt, der sich Gott dem Wort nach offenbart hat, war nach Überlieferung der Genesis Abraham (15,1), der „Vater des Glaubens“ (Röm 4).44

Der wichtige Vertreter dieser Lehre, Paul Althaus († 1966), bezeichnete diese Erschließungsmöglichkeit Gottes als Uroffenbarung und stellt ihr die Heilsoffenbarung durch Christus gegenüber. Dabei weist er deutlich darauf hin, dass die Offenbarung in der Schöpfung zwar den Schöpfer erahnen lassen und sich auf die Heilsoffenbarung zu beziehen vermag, doch keineswegs mit der Offenbarung Christi gleichgestellt werden kann. 45 Für Paulus birgt diese allgemeine Form der Gottesoffenbarung das Risiko, „verkannt, mißachtet und mißbraucht“ zu werden und kann den Menschen nicht aus seinem mit Sünde behafteten Leben befreien; sie fungiert vielmehr dazu, den Menschen einen Entschuldigungsgrund zu nehmen: Kein Mensch kann behaupten, „Gott habe sich ihm nicht erschlossen“,46 denn „Gottes unsichtbares Wesen […] wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken“ (Röm 1,20).

Auch wenn „Gottes unsichtbares Wesen“ in der Schöpfung gesehen werden kann, vermag es nichts über die heilvollen Absichten des göttlichen Willens zu verraten, denn der „Gottesgedanke als Konstrukt der Vernunft“ ist zu undeutlich.47

Um den Menschen diesen Heilsplan zu übermitteln, hat sich Gott nicht nur durch Jesus Christus, sondern sich auch mit und in Ihm offenbart: durch Ihn im Sinne von Jesus von Nazareth, der den barmherzigen Gott predigte (Lk 15); mit Ihm bezogen auf das Wirken Jesu, denn er lebte, was er verkündete; 48 in Ihm bezogen auf die Menschwerdung Gottes in Christus: „Er ist offenbart im Fleisch“ (1. Tim 3,16). Das NT im Ganzen berichtet von dieser Christusoffenbarung und der Evangelist Johannes im speziellen definiert sie: „Das Wort ward Fleisch“ (Joh 1, 14), Jesus Christus ist das „Wort Gottes“ (Apk 19,13).

Wenn die Apostel Christi das Wort verkündigen, betonen sie, dass es sich hierbei nicht um Menschenworte (1 Thess 2,13) sondern um reines Gotteswort handelt (1 Ptr 4,11). Die Apostel konnten das Wort lediglich verkündigen, weil „Gott durch das Wort der menschlichen Zeugen sein eigenes, in Christus gesprochenes Wort weiter zuspricht.“ 49 Die von der Gottesoffenbarung berichtende Bibel wird verstanden als eine „Sammlung menschlicher Glaubenszeugnisse […], durch deren Dienst Gott weiterhin Glauben schafft und erhält.“50

Diese Auffassung ermöglicht die historisch-kritische wissenschaftliche Erforschung der Bibel, die „nach dem Damals des menschlichen Redens und Geschehens“ fragt und nach der Bedeutung, die die Worte hatten und was sie in unserer heutigen Zeit zu bedeuten vermögen. 51 Weil das Wort Gottes den Menschen in seiner „konkreten persönlichen und geschichtlichen Situationen erreichen“ will, „muss es freilich in veränderte Situationen hinein auch auf neue Weise ausgelegt werden“.

Nicht nur aus Verbundenheit und Verwurzelung mit der jüdischen Tradition hat sich die Alte Kirche für den Doppelkanon entschieden, sondern somit auch der „typologische Deutung des Alten Testaments“ den Weg geebnet (65). Alttestamentliche Verheißungen können so in direkten Bezug zum NT gesetzt und ihm gegenübergestellt werden. Nicht nur Jesus Christus verkündete und deutete die alten Schriften, auch Paulus bezog sich auf sie und prägte den christlichen Glauben maßgeblich. 52

Ganz gleich ob man wie K. Barth „das Alte Testament als Christuszeugnis im Modus der Erwartung“ auslegt oder wie in der lutherischen Tradition die „Einheit von Altem und Neuem Testament“ als „Dialektik von Gesetz und Evangelium“ begreift (66), wurde durch die Anerkennung des Doppelkanons das zur Verfügung stehende glaubensschaffende Spektrum erweitert. Ähnlich verhält es sich mit dem neutestamentlichen Kanon: In ihn fand Einzug, was sich in der Urkirche „als gottesdienstliche Vorleseschrift durchgesetzt und bewährt hatte“. 53

Die Bibel als menschliches Zeugnis kann weder „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ gedacht werden, noch als Glaubensgrund fungieren. Sie bezeugt den Gottesglauben der Christen und kann als „Medium, in dem Gott und Mensch zusammenkommen“ dienen (57). Beide müssen wieder zusammenfinden, weil sich der Mensch durch sein sündhaftes Wesen von Gott entfernte. In den Geschichten der Bibel kann der Mensch die Botschaft entdecken, die ihn wieder „ins rechte Verhältnis zu Gott“ setzen kann. „In dieser Wirksamkeit hat sie als menschliches Wort doch Teil an der schöpferischen Kraft des Wortes Gottes, deutet sie hin auf die göttliche Autorschaft des Heiligen Geistes und entspricht sie dem Heil, das der christliche Glaube in Jesus Christus erkennt“ (72).

Die vielen verschiedenen Autoren und den ihnen folgenden Übersetzern und Auslegern der Bibel „könnte[n] so verstanden werden als Gottes Weg zum Menschen.“54 Die Vielfalt der Bibel eröffnet den Menschen demnach gleich mehrere Wege, Gott erfahrbar zu machen und dient zugleich „als Korrektiv gegenüber einer auswählenden Theologie“, die den Fokus auf das eine, oder das andere zu legen versucht. 55

1.3 Gegenüberstellung der unterschiedlichen Offenbarungsvorstellungen

Auf die inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Differenzen der jeweiligen Offenbarungen Gottes und die damit einhergehenden Wirklichkeitsverständnisse werden in den folgenden Kapiteln eingegangen. Dieser Abschnitt ist dem Vergleich der unterschiedlichen Offenbarungsverständnisse gewidmet.

Tworuschka vergleicht die Sendung des Korans an die Menschen mit der Geburt Christi: „Die heilige Nacht des Christentums ist die Weihnacht, in der Gott in einem Stall Mensch wurde. Im Islam entließ Gott im heiligen Monat Ramadan aus Gnade und Barmherzigkeit ein Buch, den Koran, der […] den Menschen zur »Rechtleitung« übermittelt wurde.“ Die Herabsendung des Korans bezeichnet er daher treffend als die „Islamische Weihnacht“ und vergleicht: „Im Christentum ist die sinngebende Mitte eine Person, im Islam ein Buch“.56 Dies unterstreicht den hohen Stellenwert des Korans im Islam und macht deutlich, dass er nicht mit der Heiligen Schrift der Christen verglichen werden kann, sondern mit Jesus Christus. Der Versuch eines Christen, den Koran auf eine Ebene mit der Bibel zu stellen, gliche dem Versuch eines Muslims, Christus auf eine Ebene Muḥammads zu stellen. Nimmt man beide Religionen ihrem Kern nach ernst, wird deutlich: Es verbietet sich, denn wie „ein Christ sagen kann, daß er mit Christus lebe, so kann das der Moslem vom Koran sagen.“57

Betrachten wir zunächst die Verständnisse der allgemeinen Offenbarung Gottes in der Schöpfung, fällt auf, dass diese sich in beiden Religionen sehr ähneln und auch die Konsequenzen vergleichbar sind. Prinzipiell kann sich Gott in der Schöpfung zu erkennen geben und lässt einen Rückschluss auf sein den Geschöpfen zugewandtes Wesen zu. Jedoch bleiben die speziellen Offenbarungen darin im Verborgenen: islamischerseits die für Menschen zwingend notwendige Rechtleitung des Korans; christlicherseits die frohe Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes.

Nach koranischer und paulinischer Auffassung war Abraham der erste Empfänger dieser Gottesoffenbarung und kann als „Vater aller Gläubigen und Vorbild aller Gottergebenen“ 58 bezeichnet werden. Der Koran bemüht sich an sehr vielen Stellen, dieses gemeinsame und verbindende Element zu unterstreichen und erkennt daher die vorangehenden prophetischen Schriften weitgehend an.

Mit dieser natürlichen Offenbarung zusammenhängend ist das grundlegende „Gottausgerichtetsein“ der Menschen „Inhalt aller von Gott gesandten Botschaften“ und entspricht der ursprünglichen „Haltung der von Gott geschaffenen Natur des Menschen“.59 Im Islam ist dieser Aspekt stärker betont und unumstritten. Er hat aber ebenfalls im christlichen Spektrum seinen Platz gefunden, auch wenn die gängige protestantische Lehrmeinung besagt, dass diese Ausrichtung des Menschen durch die „Sünde faktisch vielfach verstellt, verdrängt und pervertiert“ wurde.60

Betrachtet man die Menschen, für welche die jeweiligen speziellen Offenbarungen bestimmt sind, fällt auf, dass beide Religionen sich hierin nicht unterscheiden: Als Empfänger kommt jeder einzelne Mensch in Frage. Der Koran begreift sich selbst als ein Buch, das an alle Menschen gerichtet ist (vgl. 7:158 u. 2:21). 61 Genauso begreift sich die Christusoffenbarung als jedem Menschen zustehend (vgl. Röm 1,16 u. 1 Tim 2,4). 62 Die Intentionen der beiden Offenbarungen scheinen sich zwar zu unterscheiden, und zwar in dem Sinne, dass der Koran primär von den Menschen erwartet, Gott zu dienen, seinen vorgegebenen Weg zu gehen und so gute Taten zu vollbringen, wohingegen nach traditioneller christlicher Auffassung der Glaube an den Heilswillen Gottes betont wird. Doch gewiss lässt sich die universale Ausgerichtetheit beider Offenbarungen feststellen und festhalten.

Christen sehen die Offenbarung Gottes durch, mit und in Jesus Christus und nicht in der darüber berichtenden Heiligen Schrift. Der Vorteil dieses Offenbarungsverständnisses ist, dass sich die historisch-kritische Auseinandersetzung mit den Schriften leichter durchsetzen konnte und so hilft, die Glaubensgrundlagen im Lichte der Vergangenheit zu betrachten und so auf die Lebenswirklichkeit der Gegenwart zu übertragen.

Die geläufige muslimische Lesart hingegen, die den Koran als ewiges Wort Gottes betrachtet, gestaltet dieses Unterfangen schwieriger. Die Offenbarung galt und gilt damals genau wie heute. Dies behindert die Anpassung des islamischen Glaubens an die Moderne. Auch wenn schon seit langer Zeit rationalistischer Koranlesarten und Exegesen existieren, konnten sich diese bis heute nicht durchsetzen. Die Angst vor historisch-kritischer Exegese ist weit verbreitet, weil damit die Angst einhergeht, dass „die göttliche Autorität und Integrität des Korans“ beschädigt werden könnte.63 Dennoch gibt es in die Zukunft weisende Reformansätze, die primär in der islamischen Diaspora gedeihen. Doch diese stehen „nicht nur der Bastion der traditionellen Exegese gegenüber, sondern zugleich einer wachsenden islamistischen Schriftauslegung, die in rigoristischer Weise den Koran zum absoluten, im Prinzip zeitlosen und unmittelbar im Wortlaut gültigen Maßstab gesellschaftlichen Lebens machen will.“ 64

Das vielfältige Gesamtbild, welches die kanonischen Bücher, Briefe und Psalmen der Bibel zusammen zeichnen, kann den Menschen ebenso viele Wege zur Gotteserkenntnis eröffnen. Der Koran hingegen ist zwar ein einziges Buch, bietet aber in sich aufgrund seiner Mehrdeutigkeiten ähnlich viele Auslegungsmöglichkeiten. Vor allem dann, wenn man zusätzlich noch die Sunna Muḥammads miteinbezieht. Zirkers Aussage über die Koranübersetzungen in „hundertfacher Gestalt“ geht noch einen Schritt weiter: Da sich alleine schon durch die vieldeutigen Wörter im Arabischen Original mehrere Übersetzungsmöglichkeiten anbieten, wird das den Menschen zur Verfügung stehende Angebot der Wege zu Gott mit jeder Übersetzung vervielfältigt. 65

So unüberbrückbar die Differenzen im speziellen Offenbarungsverständnis auch trotz aller erwähnten Gemeinsamkeiten zu sein scheinen, lassen sie sich relativieren, wenn man den Kern der göttlichen Offenbarung weiter beleuchtet: Durch die göttliche Offenbarung „wird die Gegenwart Gottes sinnlich wahrnehmbar“. „Offenbarung ist der Ausdruck von diesem Erlebnis: sich in der Welt in die Gegenwart dessen einzufinden, was nicht von der Welt ist.“ Die Offenbarung des göttlichen ist für einen Menschen eine derart einschneidende Erfahrung, dass sie das Potential besitzt, den ganzen Menschen zu erneuern, ihn „gleichsam neu [zu] erschaffen.“ Wenn die Worte Gottes dem Menschen „unter die Haut“ gehen und den Weg in das Herz 66 der Menschen finden, ist dieser fortan „das schöne Vorbild, spirituelle, ethische und religiöse Instanz, unersetzbar und unüberbietbar“. Dies beschreibt Maulānā Rūmī mystisch treffend: „Nun passe ich nicht mehr in mich. Denn mein Haus ist erfüllt von ihm.“ 67

Die im vorangehenden Abschnitt zitierten Stellen beziehen sich auf das Offenbarungserleben Muḥammads. Dennoch kann von ihr ausgehend begriffen werden, was die Offenbarung Gottes mit einem Menschen - unabhängig seiner Religion – erreichen will: Gott will den Menschen ganz einnehmen und verbessern.

Die „Gegenwart Gottes“ ist für Muslime in dem Akt des Rezitierens des Korans zu erfahren. Genauer: Der Koran wird „erst zum Koran, wenn er rezitiert und gehört wird“.68 Überträgt man dies auf das christliche Offenbarungsverständnis, kann gesagt werden: Christus wird erst zum Christus im Menschen, wenn der Mensch auf ihn hört und sein Leben von ihm leiten lässt. Oder: Gott offenbart sich dem Menschen erst dann, wenn die Worte Christi nicht nur im Herzen aufbewahrt werden, sondern auch im Herzen des Menschen bewegt werden, auf dass der ganze Mensch bewegt werde (vgl. Lk 2,19). Dieser Akt des Offenbarwerdens Gottes ist der Grund für die Religionen im Ganzen, da durch sie der einzelne Mensch von Gott ergriffen werden kann. 69

2. Die Stellung des Menschen in der Welt und seine Beziehung zu Gott

Der Mensch ist das höchstentwickelte Lebewesen auf Erden und ist „mit der Fähigkeit zu logischem Denken und zur Sprache, zur sittlichen Entscheidung und Erkenntnis von Gut und Böse“ ausgestat-tete.70 Als solches schreibt sich der Mensch eine Sonderrolle in der Welt zu. Ausdruck findet dies im Selbstverständnis der Menschen, die Krone der Schöpfung zu sein. Zum einen ist dies auf die Erfahrung der Menschheit zurückzuführen, aufgrund ihrer geistigen Fähigkeiten und ihrer Anpassungsfähigkeit anderen Lebewesen gegenüber überlegen zu sein. Zum anderen spiegelt sich diese Erfahrung in großem Maße in den Traditionen der Heiligen Schriften wider, die dem Mensch eine besondere Rolle zusprechen. Die Sonderrolle des Menschen zeigt sich vor allem darin, dass er sowohl sich selbst als auch der Welt gegenübertreten kann und seine unmittelbare Erfahrung abstrahieren sowie transzendieren kann.

Die unbestrittene Sonderrolle führt allerdings auch zu der Möglichkeit des Menschen, Taten zu vollbringen, die ihn nicht nur selbst in den Abgrund zu reißen vermögen, sondern auch die Erde gefährden oder zerstören können. 71

2.1 Der Mensch, ein schwacher Statthalter Gottes auf Erden

Der arabische Begriff Islām leitet sich von dem Verb „sich hingeben“ (aslama) ab und bedeutet Hingabe. Der sich dem einen Gott „hingebende Mensch“ wird Muslim genannt.72 Islam meint die „Annahme von Gottes Liebe und Barmherzigkeit und deren Verwirklichung im Handeln“.73 Diese Definition trifft selbstverständlich auch auf Angehörige anderer Religionsgemeinschaften zu und kann daher als „Islam im Allgemeinen“ bezeichnet werden, wohin gegen Islam im Speziellen sich auf den „Weg zur Gottesgemeinschaft“ bezieht, der im Koran offenbart wurde und der in den folgenden Kapiteln dargestellt wird.74

Bei der Schöpfung des Menschen hat Gott ihm Seinen „Geist eingeblasen“ (15:29, 38:72) und das Menschengeschlecht wird im Koran als die schönste Gestalt (95:4, vgl. auch 40:64) bezeichnet. Als solches soll der Mensch khalifa 75 , Gottes Statthalter (2:30) auf Erden sein. Um dieses Amt ausfüllen zu können, hat das Menschengeschlecht vor Anbeginn aller Zeit mit Gott einen „Urpakt“76 geschlossen (7:171 f.), der den Menschen die dafür nötigen Eigenschaften und eine enge Gottesbindung zusichert. Damit der Mensch ein angemessener Statthalter Gottes sein kann, trägt er von Grund auf das Gute in sich, denn Gott hat „alles, was er erschaffen [hat], gut gemacht“ (32:7).

In diesem Urzustand (fiṭra) ist der Mensch dazu veranlagt, sich Gott hinzugeben, das Leben auf Ihn auszurichten und ein gewissenhafter Diener Gottes (Abd 77 )zu sein. „Während er Gott gegenüber nur »Knecht« [sic: Abd ] ist, kann er doch allen übrigen denkbaren Herrschaften überlegen entgegentreten im Bewußtsein, daß Gott ihn ermächtigt und freigesetzt hat.“78 Gott hat den Menschen dazu befähigt, sein Verwalter zu sein, damit dieser die von Ihm gewollte Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit auf Erden umsetze. 79 Doch durch das Leben auf der Welt, durch von außen auf ihn einwirkende Einflüsse besteht die Gefahr, dass er sich von diesem Gott gefälligen Urzustand wegentwickelt.80

Diese Gefahr ist sogar immanent, da der Mensch im Koran nicht nur als ein gutes Geschöpf, sondern zugleich auch als ein schwaches Wesen beschrieben wird (4:28). Der Koran ist „durchdrungen von der Vorstellung der Schwäche und Sündhaftigkeit des Menschen und seiner Neigung, die flüchtigen Freuden dieser Welt dem von Gott befohlenen Guten vorzuziehen“. 81

Dennoch ist der Mensch mit „allen Bindungen an Gott und mit allen guten Eigenschaften bedacht“ worden, jedoch verläuft sein Leben aufgrund seiner Entscheidungsfreiheit stets „im Spannungsfeld guter und schlechter Eigenschaften“.82 Um nicht diesen negativen Attributen zu verfallen und somit den Auftrag Gottes zu seiner Stellvertretung auf Erden zu gefährden, muss der Mensch stets versuchen, gut zu handeln. Da dieser aber unwissend ist (33:72) und aus sich selbst heraus nicht in jeder Situation wissen und entscheiden kann, was gut und böse ist, benötigt er die Rechtleitung des allmächtigen und allwissenden Gottes.

Im Rahmen des Urpaktes hat sich der Mensch zur Anerkennung der „ursprünglichen Offenbarung“ Gottes verpflichtet.83 Diese wurde der Menschheit nach und nach durch die Kette der Propheten gleichermaßen übermittelt und besagt, dass der Mensch nicht nur an den einen Gott glauben, sondern auch dessen uneingeschränkte Souveränität anerkennen soll (36:60). Der Islam erkennt somit alle biblischen Propheten und auch Jesus von Nazareth als Überbringer der göttlichen Botschaft an (5:46) und sieht in Muhammed den letzten von Gott gesandten Menschen, der mit dem Koran die Prophetenkette besiegelt (33:40) und die Uroffenbarung Gottes am genauesten wiederzugeben vermag.

Im Koran findet der gläubige Muslim die wörtliche Offenbarung Gottes und die benötigte Rechtleitung für ein gottgefälliges Leben. Ein Leben im Sinne Gottes ist besonders erstrebenswert, weil die Propheten, allen voran Muḥammad, den Menschen die Gottesfurcht bzw. Frömmigkeit (Taqwā) empfohlen und befohlen haben. 84 Nicht nur um im irdischen Leben von Gott bevorteilt zu werden, 85 sondern vor allem um beim fest erwarteten Jüngsten Gericht vor Gott bestehen und den ewigen Qualen der Hölle entrinnen zu können. Die Menschen haben ihr Schicksal selbst in der Hand, sind für sich selbst verantwortlich und können sich in jeder Situation frei entscheiden und sich so auch aktiv dem Willen Gottes entziehen86. Auf diesem Weg verfehlt aber der Mensch Gottes Plan für ihn und vergibt die Chance auf einen positiven Ausgang des Gerichts, das ihm ewiges Glück im Paradies verspricht.

Für den Muslim steht fest, dass neben der Einhaltung des Urvertrages nur gute Taten helfen können, um dieses Ziel der ewigen Glückseligkeit zu erreichen, bzw. dem Schicksal der ewigen Verdammung zu entrinnen. Daher schöpft er aus der geoffenbarten Rechtleitung in Form des Korans und unterwirft sich so hingebungsvoll dem allumfassenden Gotteswillen. 87 Auf diesem Weg versucht er dem von Gott für ihn gerade gezeichneten Weg zu folgen (vgl. 6:153) und ein guter Statthalter Gottes auf Erden zu sein. Doch aufgrund seiner Schwäche kommt der Mensch von dem rechten Weg ab und verliert sich auf Irrwegen (7:146).

SCHIMMEL zitiert den Sufi Maulana Rumi († 1273), welcher diese „zweifache Natur des Menschen“ nicht als einen Dualismus von Leib und Seele beschreibt, sondern mit der Möglichkeiten des Menschen sich in jeder Situation entweder für das Gute oder das Böse entscheiden zu müssen88. Entscheidet sich der Mensch für das Gute, ist er ein Diener Gottes und darf als solcher das höchste Ansehen vor Gott genießen, vor dem sich sogar die Engel verneigen müssen (2:34). Dies wird damit begründet, dass der Mensch als Stellvertreter Gottes, anders als die Engel, die nicht anders können als Gott zu fürchten (16:50) und zu gehorchen (66:6), 89 diese Wahlfreiheit hat und deshalb „rangmäßig sogar über den Engeln steht.“90

Lässt sich jedoch der Mensch von seinen negativen Attributen leiten und entscheidet sich folglich für das Böse, handelt er Gott zuwider und wird zum „Allerniedrigsten“ (95:5) degradiert und muss um sein Seelenheil fürchten. Dem Koran folgend ist diese Entscheidungsfreiheit und das ganze Leben des Menschen als eine von Gott gestellte Prüfung zu betrachten, mit der er den Zweck verfolgt, herauszufinden, „wer von euch am besten handelt“ (67:2).

Doch auch wenn der Mensch irrt, schlecht handelt und so eine Teilprüfung unzureichend oder gar nicht bestanden hat, kann er sich in seinem Kummer und in seiner Angst, die sich in Gewissensbissen äußert, im Gebet jederzeit an Gott wenden und auf die von den Propheten offenbarte Barmherzigkeit Gottes hoffen, die ihm seine Fehltritte verzeiht und ihn wieder zurück auf den rechten Weg führen mögen (3:193 91 ). Gott weiß über die Fehleranfälligkeit seines Geschöpfes, er ist ihm näher als seine Halsschlagader und weiß, „was ihm seine Seele einflüstert“ (50:16) und erwartet vom Menschen in „Furcht und Begehren“ (32:16) angerufen zu werden.

Das Leben der Menschen wird nach islamischer Auffassung von gegensätzlichen Gefühlen bestimmt: Zum einen von der im Koran häufig erwähnten Furcht vor Gott (Taqwā), „dem Herrscher am Tag des Gerichts.“ (1:4), zum anderen aber auch von der Hoffnung auf sein barmherziges Wesen (1:3), dass den Menschen immer wieder auf den rechten Weg leitet (1:6 f.). 92 An eben diese sich zu widersprechen scheinenden Gefühle werden die Muslime in ihren Pflichtgebeten mehrmals täglich erinnert. 93 Doch genau diese Mischung ist gemäß einer von A. Schimmel übersetzten und erläuterten, allerdings nicht näher benannten Überlieferung Muhammeds der Weg zu Gott: „Furcht und Hoffnung […]‚ »sind die beiden Flügel, mit denen die Seele zu Gott fliegt«, denn allzu-viel Furcht lähmt die Seele, während allzu große Hoffnung dazu führen kann, daß sie ihre Pflichten vergißt, sich frivolen Vergnügungen zuwendet. Doch ist die Hoffnung immer stärker“,94 wird doch Gottes Erbarmungswille in 113 der 114 Suren den folgenden Versen voran gestellt.

2.2 Der Mensch, das sündhafte Ebenbild

„Zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes“ schuf Gott den Menschen. So übersetzt die Einheitsübersetzung die folgenreichste theologisch-anthropologische Stellungnahme der Bibel über das Wesen des Menschen, wie sie in der Priesterschrift (Gen 1,26) zu finden ist. Dieser Vers ist nicht nur einer der wenigen in der Bibel überlieferten Abhandlungen, die das Menschsein als solches zu beschreiben versuchen, er ist zugleich auch einer, der in seiner Wirkungsgeschichte schon viele verschiedene Deutungsansätze durchlaufen hat.95 Die im jüdischen Kontext und vom Christentum übernommene Vorstellung der Gottebenbildlichkeit bedarf der näheren Erläuterung wegen zusätzlichen Aussagen über negative Eigenschaften des Menschen, die dem göttlichen Wesen krass widersprechen.

Im hebräischen Originaltext werden zwei verschiedene Wörter für »Bild« 96 verwendet und Luther versuchte dieser Tatsache mit der Übersetzung „ein Bild, das uns gleich sei“ Rechnung zu tragen und führt uns zugleich in die richtige Richtung. Gottebenbildlichkeit kann und darf weder als eine physiologische noch psychologische Ähnlichkeit des Menschen mit seinem Schöpfer betrachtet werden. 97 Diese Einsicht vermag auch Luthers Übersetzung zu vermitteln, indem sie den vergleichenden Charakter hervorhebt und nicht den abbildenden. Dennoch gilt die „Erschaffung und Bestimmung des Menschen zum Bild Gottes“, also zur Gottebenbildlichkeit, ohne Einschränkung „als die entscheidende theologische Aussage über den Menschen, die ihn einerseits von allen anderen Geschöpfen unterscheidet […], ihn andererseits aber auch zu allen anderen Geschöpfen in Beziehung setzt“.98 Die hier von Härle beschriebene Bestimmung des Menschen zum Bild Gottes hebt die besondere Beziehung des Menschen zu Gott hervor. Der Mensch ist „zur Gemeinschaft mit Gott“ bestimmt.99

Der Mensch, der von Gott nur „wenig niedriger gemacht“ wurde als Er selbst (Ps 8,6), bekommt unmittelbar nach seiner Schöpfung zum Bilde Gottes eine Sonderrolle auf der Welt zugesprochen. Diese Sonderrolle definiert die Beziehung zu allen anderen Geschöpfen: er soll „herrschen über […] alle Tiere“ auf der Erde (Gen 1,26) und ein „Repräsentant der Herrschaft Gottes“ auf Erden sein.100 Dieser Auftrag des Menschen gegenüber der Schöpfung ist häufig Gegenstand von Kritik, weil die Herrschaft in einem gewalttätigen und ausbeuterischen Sinn verstanden wird. 101 Dass diese auf den Menschen fokussierte Interpretation 102 des Herrschaftsauftrag so eben nicht zu verstehen ist, zeigt sich im Lichte der Präzisierung dieses Auftrages: Der Mensch soll die Schöpfung bebauen und bewahren (Gen 2,15). Dieser an einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt appellierende Zusatz verbietet implizit ausbeuterisches Verhalten. Zugleich befähigt und erlaubt er aber auch dem Menschen, sich die Schöpfung „untertan“ zu machen (Gen 1,28) und gestattet ihm sich von seinen anderen Geschöpfen zu ernähren (Gen 9,2).

Die Ebenbildlichkeit, der Auftrag über die Schöpfung zu herrschen, und das ganze Leben des Menschen kann und muss mit dem Geist Gottes in Verbindung gebracht werden. Im AT spielt der Geist zwar nur eine Nebenrolle, doch ermöglicht er das Leben des Menschen. 103 Der Geist Gottes wohnt im Menschen (1. Kor 3,16; Röm 8,9-11; 2. Tim 1,14), befähigt ihn zum Glauben und gibt ihm so Anteil an der „göttlichen Natur“ (2 Petr 1,4) 104 Paulus sieht im Geist dasjenige Element, dass dem Menschen bewusst machen kann, dass es sich bei ihm um ein Kind Gottes handelt 105 (Röm 8,16) und das den Menschen mit vielfältigen Gaben ausstattet (1. Kor 12). Bezüglich der Geistwirkung sei noch anzumerken, dass auch der „böse Geist“ im alttestamentlichen Befund zu tragen kommt. 106

Versteht man, wie es Ps 8 nahelegt, jedes Geschöpf als ein „Lob Gottes“ und schreibt dem Menschen die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidende und in seiner Geisteskraft begründete prinzipielle Fähigkeit zu, in sich selbst und in der Schöpfung im Ganzen, diese Bestimmung zum Gotteslob erkennen zu können, wird die Sonderrolle des Menschen um einen weiteren Aspekt ausgedehnt, der das Wesen des Menschen bestimmt. Diese Fähigkeit des Erkennens, die mit der Ebenbildlichkeit und der damit einhergehenden Unterscheidungsfähigkeit von „gut und böse“ (Gen 3,22) verbunden werden kann, hat zur Folge, dass er in der Lage ist, „dieser Bestimmung in seinem Verhalten […] [zu] widersprechen“107. Aus diesem Grund muss sich jedes andere Geschöpf und sogar die irdische Schöpfung vor ihrem Hüter und Bewahrer hüten, hat doch kein anderes Lebewesen ein so großes zerstörerisches Potential wie der Mensch. 108 Der - sei es bewusst oder unbewusst 109 – wider seine göttliche Bestimmung handelnde Mensch gefährdet die Schöpfung. Dies erkannte im christlichen Umfeld auch Paulus: „Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden“ (Röm 8,19) und sich ihrer Bestimmung entsprechend verhalten mögen. Und es war auch Paulus, der den Grund für diese Verkennung der auf Gott und die Schöpfung ausgerichteten Berufung des Menschen in aller Deutlichkeit mit seinem sündhaften Wesen in Verbindung brachte und es der Gottebenbildlichkeit entgegenstellte. Nicht zu vergessen sind aber auch die in älteren Überlieferungen erhaltenen Aussagen, die im Zusammenhang mit der Ebenbildlichkeit betrachtet, in eine ähnliche Richtung weisen: Weil „die Bosheit groß war“ und die Herzen der Menschen böse waren (Gen 6,5), bereute Gott gar seine Schöpfung, da sie „ihn in seinem Herzen“ bekümmerte (Gen 6,6). 110

Hiervon ausgehend beschreibt Paulus in seinen Briefen das widersprüchliche Wesen und Leben des Menschen, das sich in einem stetigen Kampf zwischen seinen beiden Naturen befindet: Auf der einen Seite der gottgewollte geistig-seelische Teil, der den Menschen ermöglicht, Gottes Bestimmung gerecht zu werden und zu leben. Auf der anderen Seite der fleischlich-leibliche, von der Sünde beherrschte und von Gott abgewandte Teil, der zum Tod führt (vgl. Röm 8,6). Beide Teile gehören zueinander und bilden eine Einheit. Der Mensch lässt sich nicht auf einen der beiden Teile reduzieren. Pannenberg stellt fest: „Trotz der Betonung der leibseelischen Einheit des Menschen hat damit auch der Dualismus von Leib und Seele in das christliche Menschenbild Eingang gefunden“111.

Der vernunftbegabte Mensch, der über sein Wesen und Leben zu reflektieren im Stande ist, stellt fest, dass in seinem natürlichen Stand „sein Verhältnis zu Gott […] nachhaltig und tiefgreifend gestört“ ist: Immer wieder handelt er gegen seine Gottebenbildlichkeit und bedarf deshalb der „Erneuerung“.112

Der Christenmensch ist sich seiner geschöpflichen Schuldhaftigkeit und Anfälligkeit bewusst. Er bittet deshalb regelmäßig und vertrauensvoll im Vaterunser um die Vergebung seiner Sünden Neben „dem Vertrauen auf Gott“ ist auch die „wahre Gottesfurcht“ bezeichnend für das Verhältnis zwischen dem Christmenschen und Gott: 113 Das nötige Urvertrauen lässt sich nur zu etwas aufbauen, „für das Achtung und Ehrfurcht empfunden wird“, und somit ist „Ehrfurcht im Vertrauen auf Gott stets vorausgesetzt.“ Allerdings entsteht aus einer „Gottesfurcht“ nicht zwangsläufig ein vertrauensbasiertes Verhältnis zu Gott. Gerade wenn die Furcht dominiert, kann sich eine „Gottesangst“ entwickeln, die nach dem Verständnis der Reformatoren ihrer Auffassung der „wahren Gottesfurcht“ widerspricht und der Bestimmung des Menschen nicht gerecht wird. Die „Ehrfurcht vor Gott als dem unumschränkten Herrn ist wesentlicher Bestandteil des Evangeliums – aber sie ist nicht sein Zentrum.“114 Der Mensch legt sein Leben in die Hände Gottes, aus Ehrfurcht vor seiner Größe und in dem Glauben, dass Gott es gut mit ihm meint, auch wenn er das Gute in einer tragischen Situation oft nicht begreifen kann.115

Paulus benennt im Galaterbrief exemplarisch die zum Verderben führenden „Werke des Fleisches“, für die der Mensch um Vergebung bitten muss und stellt ihnen die „Frucht“ der Geisteswerke gegenüber (Gal 5,19). Zur Überwindung des fleischlichen, sündigen und zum Tode führenden Wesens beschreibt der christliche Glauben einen Weg: Das „Sein in“ Christus (2. Kor 5,17), das „Sein im Geist“ (Gal 2,20) im Sinne von »an der Seite Jesu Christi« dem himmlischen Vater vertrauen. Dies schenkt dem Glaubenden „neues Sein, neues Leben“, sodass „Jesus Christus seinerseits in ihm ist und lebt.“116

Die auf Gott ausgerichtete Bestimmung des Menschen lässt sich „mit letzter Klarheit erst aus der Christusbotschaft“ begreifen, „indem sie das Erscheinen des Gottessohnes im Fleisch zur Überwindung von Sünde und Tod mit der Frage nach dem Ziel des menschlichen Lebens [sic: das Sein-in-Gott] verbindet“ und abschließend klärt.117

Die „Würde des Menschen“ ist nach „christlicher Auffassung in seiner Gottebenbildlichkeit“ begründet und ist „christologisch und eschatologisch bestimmt.“ 118 Das Menschsein kann als ein Prozess zur Menschwerdung begriffen werden: „Gott arbeitet am Menschen, damit der Mensch seine wahre Würde entdecke“ (ebd.). Die Gottebenbildlichkeit in diesem Sinne ist eine Vorwegnahme auf das, was der Mensch in Christus und im Eschaton sein wird und nicht als Ist-Zustand des irdischen Menschen zu begreifen (vgl. 489). „Damit ergibt sich eine unerwartete Möglichkeit, der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit des Menschen zu entsprechen, nämlich »so gesinnt« zu sein, »wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht« (Phil 2,5)“ (486): das „Sein im“ Geist und die dadurch folgende Ausrichtung des Lebens auf ein barmherziges und gerechtes Miteinander und die „liebende Hingabe für andere“;119 so wie es Jesus Christus dem Menschen vorgemacht hat (vgl. ebd.).

2.3 Die Sünde als Ursache für die Schwäche des Menschen

In den vorangehenden Abschnitten wurde die Sonderrolle des Menschen nach muslimischen und christlichen Verständnis beschrieben und zugleich auf die damit einhergehende Gefahr hingewiesen, die für den individuellen Menschen an sich, seine Mitmenschen und die gesamte Schöpfung besteht. Nun soll versucht werden, das bereits erwähnte Wesen und den Ursprung dieser Gefahr zu bestimmen. Auch wenn der Begriff der Sünde und das sündhafte Wesen des Menschen hauptsächlich im Christentum eine dominante Stellung einnimmt, ist doch der Gedanke des Menschen, der wider seiner göttlichen Intention handelt, auch im Islam bestimmend. In diesem Kapitel werden das Wesen und die Herkunft dieses Verhaltens beschrieben und wie der Islam und das Christentum versuchen, dieses einzudämmen. Abschließend werden die gewonnenen Erkenntnisse auf die oben beschriebenen Menschenbilder bezogen und miteinander verglichen.

2.3.1 Die Erbsünde, die Sünde und der Mensch

Das „Sünde-Tun des Menschen ist Ausdruck seines Sünder-Seins, und dies ist der Grundschaden des Menschen.“120 Die Frage nach dem Grund für diesen Schaden in der Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, der doch „zum Bilde Gottes“ erschaffen wurde, beschäftigt Theologen im jüdisch-christlichem Umfeld schon seit Anbeginn der Überlieferungen. Doch bevor die möglichen „Wurzeln der Sünde“ 121 hier näher thematisiert werden, folgt zunächst eine Einführung über den Begriff der Sünde. Zum einen im Kontext zu den hebräischen und griechischen Wörtern für „Sünde“ und „sündigen“, zum anderen zum Gebrauch des Begriffes in unserer heutigen weitgehend säkularisierten Welt. Hiervon ausgehend werden das Wesen der Sünde und die Möglichkeit der Überwindung eben dieser beschrieben.

Im hebräischen Originaltext des AT werden drei unterschiedliche Worte verwendet, die im deutschen gewöhnlich mit „Sünde“ oder „sündigen“ übersetzt werden. Diese Wörter bedeuten so viel wie „ein Ziel verfehlen“ (ḥaḥā’t), „abweichen, abkehren, sich vergehen“ (` āwon) und „abfallen, entziehen“ (paeš`). Eines haben alle diese Worte im theologischen Kontext gemein: die Verletzung des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen dem Menschen und Gott. 122 Der an sich sündige Zustand des Menschen, 123 der „in den Ursprungsbedingungen eines jeden Menschen bereits vorliegt“, kann daher als eine „elementare Beziehungsstörung“ bezeichnet werden. Als eine Beziehungsstörung zwischen dem Menschen und sich selbst, im Sinne einer inneren Zerrüttung, zwischen anderen Geschöpfen, vor allem aber zwischen dem Menschen und Gott. Hierbei geht es nicht um einzelne böse Taten oder Handlungen des Menschen, „sondern um die grundsätzliche Verfaßtheit menschlichen Seins“124: Das „Trachten“ des menschlichen Herzes ist böse (Gen 6,5). Diese sündhafte Verfasstheit des Menschen führt zu den einzelnen Verfehlungen, die ein Mensch begeht. Dies kann sowohl bewusst geschehen, im Sinne von ‚sich verweigern‘, aber auch unbewusst im Sinne von ‚sich-verlaufen‘.

Im NT dominiert der griechischer Begriff für Sünde (ἁμαρτία) die gesamte Überlieferung und bedeutet wie ḥaḥā’t „ein Ziel verfehlen“, auch im Sinne von „abkommen, sich verlaufen oder verirren“. Die Grundbedeutung ist folglich „immer ein Verhalten, bei dem ein angestrebtes Ziel nicht erreicht, sondern verfehlt wird.125 Mit Paulus fand allerdings im NT eine neue Dimension des Sündenverständnisses Einzug in den christlichen Glauben: die Sünde ist zu verstehen als eine „Macht, die den Menschen zwar nicht gegen seinen Willen in Besitz nimmt, der sich der Mensch aber ausliefert und so ihr Sklave wird.“ Von diesem Verständnis ausgehend nimmt die Sünde als selbstverschuldete, bewusste Tat des Menschen weder im AT noch im NT eine große Rolle ein. Der biblischen Überlieferung nach vermag sich also die Eigenschuld des Menschen an seinem sündhaften Verhalten und Wesen in Grenzen zu halten. 126

[...]


1 Vgl. W. Härle, Dogmatik, Berlin 32007, 648: Andere Kreaturen sind weniger als Mittäter, sondern vielmehr als Opfer des Menschen zu betrachten. „Dies ist heute so unübersehbar geworden, daß es keinerlei Illustration und keines Beleges bedarf“ (ebd. Anm. 80).

2 Diese Frage stellt der Erziehungswissenschaftler und Laientheologe h.Retter bereits in dem Untertitel seines Buches: H. Retter, Protestantische Selbstvergewisserung zwischen Theologie und Pädagogik. Was nun, wenn Gott nur barmherzig, doch nicht allmächtig ist? (Forum Theologie und Pädagogik 20), Berlin 2011

3 „Ich ärgere mich über eine theologisch-bürgerliche Abgefundenheit und Bescheidenheit, die nur sagt, was zu sagen ist. Die Armen dieser Erde können sich so viel Bescheidenheit nicht erlauben“ (F. Steffensky, Was meine ich eigentlich, wenn ich Gott sage? in: J. Ebach et al. (Hg.), Gretchenfrage: von Gott reden - aber wie? Jabboq 2 Bd. 1, Gütersloh 2002, 24 – 35, 29).

4 Härle, Dogmatik, 83

5 Die hier verwende Übersetzung stammt aus: A. M. Karimi, Hingabe. Grundfragen der systematisch-islamischen Theologie (Rombach Wissenschaften), Freiburg, Br., Berlin, Wien 12015, 49;

6 M. Tworuschka/U. Tworuschka, Islam-Lexikon, Düsseldorf 2002, 102 und vgl. dazu Sure 112 als mögliche Quelle der šahāda, die in diesem speziellen Wortlaut im Koran nicht überliefert ist.

7 Als Gesandte gelten neben Muḥammad Mose (Thora), David (Psalter) und Jesus (Evangelium) (R. Aslan, Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart (Piper), München 22012, 55

8 Karimi, 2015, 18

9 Siehe hierzu z.B. R. Paret, Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, Stuttgart 51980, 92-94).

10 Es gilt die Vorstellung vom Koran als Korrektor der alten, zum Teil angeblich manipulierten prophetischen Überlieferungen (vgl. A. T. Khoury, Der Koran. Erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 32007, 34 f.)

11 43:3 f.: Der Koranübersetzer Bubenheim übersetzt „Mutter der Schrift“ mit „Urschrift“.

12 An anderer Stelle des Korans geht die Übermittlung an Muḥammad direkt von Gott aus (z.B. in 42:52).

13 Vgl. H. Stieglecker, Die Glaubenslehre des Islam, Paderborn 1962, 360 f. u. vgl.: Muḥammad litt unter Psychosen und Epilepsie (H. Abdel-Samad, Mohamed. Eine Abrechnung, München 2015, 197-201).

14 Siehe hierzu das arab. Wort qurʾān: es „stammt vom Verb qara’a: lesen, vorlesen, vortragen“ ab (Khoury, Der Koran. Erschlossen und kommentiert, 15).

15 Ebd., 17; Aus diesem Grund ist der Koran „kein homogenes, auf einmal vorgetragenes Ganzes“ (ebd.)

16 Ebd. 14 u. vgl. Muḥammad als das „Siegel der Propheten“, der die vorherigen Offenbarungen bestätigte und im Koran abschließt (ebd. 14 u. 28).

17 Stieglecker, 1962, 371; Der Koran im Arabischen original scheint außerordentliche literarische Qualität u. poetische Schönheit zu besitzen. Zur Zeit der Entstehung glich ihm nichts (17:88, vgl. 11:13, 10:38). „Man muß das als eine Art ästhetischen Gottesbeweises verstehen“ (N. Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, München 42011, S 241).

18 Koranische Begründung dieser Streitgespräche z.B. in 29:46; Ein Überblick über die Kontroversen der islam. Frühzeit: Die traditionelle, hanbalitische Auslegung sah den Koran als ein unerschaffenes Abbild des Wort Gottes, das selbst ewig Bestand hat und in sich selbst widerspruchsfrei ist (vgl. 4:82). Die rationalistisch geprägte Strömung der Muʿtazila hingegen vertrat die Ansicht, dass nur Gott selbst unerschaffen ist. Demnach muss der Koran erschaffen sein. Die vermittelnden Ashʿariten formulierten den Kompromiss und betrachten das Wort Gottes, den Inhalt des Korans, als ewiglich und unerschaffen, die „Hülle“, die einzelnen Buchstaben jedoch nicht (vgl. Khoury, Der Koran. Erschlossen und kommentiert, 28 u. Karimi, 16 ff).

19 Karimi weist in zweierlei Hinsicht auf die große Bedeutung dieser hiğra (Flucht) hin: Zum einen weltlicher Natur, da die islamische Zeitrechnung mit ihr begann, zum anderen in theologisch-spiritueller Hinsicht, da er die hiğra positiv deutet: Die Flucht „ist mit der Erkenntnis verbunden, dass die wahre Heimat des Gläubigen nicht hier oder dort ist, sondern dass der Mensch als Mensch in der Welt exiliert“ (vgl. ebd., 2015, 25-27).

20 Vom weltabgewandten Asketen wurde Muḥammad zum „klugen, abwägenden Staatsmann, zum weisen Gesetzgeber, zum politischen Führer und zum Feldherrn, kurz, zur Zentralfigur der frühislamischen Gemeinde.“ (A. T. Khoury, Islam kurz gefaßt, Frankfurt am Main 1998, 35)

21 Vgl. Abdel-Samad (s.Anm.13), 179 f.

22 Den „Leuten der Schrift“, den „Schriftbesitzern“ (also Juden und Christen; vgl. bspw. 21:48 u. 5:46) und deren Schriften zollte er zu dieser Zeit großen Respekt (bspw. 29:46). Muḥammad wandte sich an eine Gesellschaft „die bereits monotheistische und zumindest henotheistische Tendenzen aufwies“, die Botschaft des tauḥīd war daher nichts Neues, wohl aber sein zweites „Hauptthema der frühsten Verkündigungen“: „der Verfall der mekkanischen Stammesethik“ und damit einhergehend die „Mißhandlung und Ausbeutung der Schwachen und Schutzlosen“, die Muḥammad deutlich kritisierte (Aslan (s. Anm. 7), 60). In den ersten Jahren bezeichneten sich lediglich 30-40 Menschen als seine Gefährten. Diese waren jedoch aus einflussreichen Familien und Clans. Mit „rund siebzig Anhängern“ zog er aufgrund der akuten Gefahr getrennt von ihnen nach Medina aus (ebd. 62 u. 69).

23 Khoury, Islam kurz gefaßt (s.Anm.20), 34

24 Ders., Einführung in die Grundlagen des Islams, Würzburg 41995, 26

25 Paret (s.Anm.9), 129

26 Vgl. Stieglecker (s.Anm.13), S 360

27 H. Zirker, Islam. Theologische und gesellschaftliche Herausforderungen, Düsseldorf 11993, 157 und vgl. dazu 2:97 u. 26:192-194: Der Koran ist im Herzen Muḥammads.

28 Allerdings sind im Koran verhältnismäßig wenige dieser Aussagen: „Nur etwa 6% […] widmen sich konkreten Vorschriften“ (Tworuschka (s.Anm.6), 135; Im Folgenden lediglich »Tworuschka«); Konkrete „juristische Aussagen“ gar nur etwa 1% -von insgesamt 6236 Versen 80 (M. Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion, Freiburg 32014, 160).

29 Koranische Legitimation z.B. in 3:132; Ausführlicher beschrieben in Aslan (s.Anm.7), 87 f.

30 Vgl. Khoury, Islam kurz gefaßt (s.Anm.20), 24 f.; „knapp zweihundert Jahre nach Muḥammads Tod kursierten […] rund siebenhundertausend Hadithe“ (Aslan (s.Anm.7), 87 f.).

31 Scharīʿa wird im Deutschen gewöhnlich mit „Gesetz“ übersetzt, bedeutet aber ursprünglich sowohl „göttliche Weisung“ als auch „»der Weg zur Tränke« zum »Wasser des Lebens«“ (M. S. Abdullah, Islam. Für das Gespräch mit Christen, Altenberge 1984, 20 u. Zirker, Islam (s.Anm.27), 103) Versetzt man sich in die Wüstenwelt Arabiens ein, wird deutlich, was dies für Muslime bedeutet: Die göttliche Weisung ist überlebensnotwendig (vgl. Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands/Evangelische Kirche in Deutschland, Was jeder vom Islam wissen muss, Gütersloh 22013, 62 f.). Diese Quelle wird in folgenden Anm. abgekürzt: »[V]E[L]KD, (s. Anm. 31)«.

32 A. T. Khoury, Toleranz im Islam, München 1980, 98: Die Quellen werden auf Präzedenzfälle untersucht, „um aus dem Bekannten und Anerkannten auf den vorliegenden Fall schließen zu können“ (ebd.)

33 Khorchide (s.Anm.28), 143; Dies macht den Islam anpassungsfähig, begünstigt die Ausbreitung und sorgt im Positiven wie im Negativen für die Vielfalt innerhalb des islamischen Glaubens. Er vermag „lokale Sitten“ in sein Rechtssystem zu assimilieren. Auf der anderen Seite gibt es Strömungen, die gerade dieses deutlich und mit ablehnen und ihre Überzeugung mit Gewalt versuchen durchzusetzen. Bspw. versucht der Wahhabismus den „Islam von allen fremden Einflüssen“ zu reinigen und gleicht so mehr einer Ideologie als einer Religion (vgl. [V]E[L]KD, (s. Anm. 31), 111.155).

34 Bspw. weist der Koran darauf hin, dass Gott die Menschen bewusst zu unterschiedlichen „Völkern und Stämmen gemacht“ habe (49:13 vgl. 10:99), damit sie einander kennenlernen und um die „guten Dinge“ wetteifern (2:148). Diese Suren beziehen sich zwar auf „Andersgläubige“ und die folgenden auf „Ungläubige“, dennoch kann ein Widerspruch konstatiert werden, da die Grenzen zwischen beiden Gruppen nicht klar gezogen werden können: „Bekämpft sie, bis es kein Aufruhr mehr gibt und die Religion ganz Gott zukommt (8:39), denn „Aufruhr ist schlimmer als Töten“ (2:217). Bezügl. widersprüchlicher Hadīthe s. bspw. Aslan (s.Anm.7), 87-92).

35 Khoury, Der Koran. Erschlossen und kommentiert (s.Anm.10); 35; „Diese Gefahr ist deutlich erkennbar vor allem bei den Islamisten, den Fundamentalisten des Islams“ (ebd.)

36 Der Koranübersetzter Zirker erachtet den Koran nicht nur als „Glaubensbuch“ der Muslime, sondern auch als „Weltliteratur“ und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es für “literarisch anspruchsvolle Werke abwegig“ wäre zu erwarten, dass diese „durchgängig deutlich, gar eindeutig sein müssten“ (H. Zirker, Der Koran, Darmstadt 42013, 10)

37 Vgl. [V]E[L]KD, (s. Anm. 31), 19-22

38 Stichwort: Jesus als Jünger des Johannes. S. dazu: J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Teil 1. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 21973, 51-56

39 Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 304

40 Ders., Zur Gegenwartsbedeutung der »Rechtfertigungs«-lehre, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, 1998, 101–139; Das „Proprium“ und „Herz der Verkündigung Jesu“ ist die „Verkündigung der Liebe Gottes, der Güte des Vaters “ (M. Hengel/A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum (Geschichte des frühen Christentums ; Bd. 1), Tübingen 2007, 453; Hervorhebungen von M. Hengel).

41 Vgl.: „Das Verbindungsglied zwischen der anbrechenden Gottesherrschaft und der Inanspruchnahme des Menschen für Gott und seinen Willen ist nichts anderes als die Liebe“ (Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 311).

42 Hengel schätzt die Zeit des öffentlichen Wirkens auf „ein bis eineinhalb Jahre“. Diese Spanne „ist im Grunde die erfüllteste Zeit der Weltgeschichte“. „Von keiner vergleichbar kurzen Zeitspanne aus dem Leben eines Menschen sind derartige, die Jahrtausende und die Kontinente überspannende Wirkungen ausgegangen, obgleich sich dieses Geschehen […] in dem weltvergessenen Winkel Galiläa […] zutrug“ (Hengel/Schwemer (s.Anm.40), 346)

43 „Die Werke der Schöpfung bezeugen die Existenz Gottes und seine Macht, die Stimme des Gewissens seinen Willen.“ (W. Joest/J. v. Lüpke, Dogmatik Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes, Stuttgart 52010, 2010, 23)

44 Auch wenn an keiner vorherigen Stelle der Begriff „Offenbarung“ oder „offenbaren“ fällt, sei dennoch angemerkt, dass die Ureltern bereits Gottesoffenbarung erhalten haben: sie sprachen miteinander. Auch sprach Gott zu Noah (Gen 6,13) und nach Abraham zu vielen weiteren Propheten (z.B.. Mose u. Elia). Vgl. hierzu: „Die allgemeine Offenbarung, auf die der Mensch immer schon in seiner Vernunft bezogen“ und nach römisch-katholischem Verständnis das „Angelegtsein der Gotteserkenntnis“ im Menschen. Aber: Auch wenn das angelegte „Wissen um Gott dem Menschen allgemein möglich ist, wird es durch Sünde faktisch vielfach verstellt, verdrängt“ (vgl. ebd., 23 ff).

45 Vgl. ebd. 24 f.; „Es handelt sich um ein Thema mit sehr mannigfaltigen Variationen, deren cantus firmus aber doch darin zu erkennen ist, dass die Christusoffenbarung nicht exklusiv, sondern in Beziehung auf eine ihr schon vorgegebene Gottesbekundung zum Gegenstand der Dogmatik wird“ (ebd.)

46 Vgl. Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 2007, 99

47 Vgl. Joest/Lüpke, Dogmatik Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes (s.Anm.43), 2010, 26

48 Für Matthäus sind die Taten und Wunder Christi „Taten der Barmherzigkeit“: Er macht blinde zu sehenden, taube zu hörenden, lahme zu gehenden, hungernde satt und tote zu lebenden (vgl. W. Kasper, Barmherzigkeit. Grundbegriffe des Evangeliums ; Schlüssel christlichen Lebens, Freiburg 12014, 72).

49 Joest/Lüpke, Dogmatik Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes (s.Anm.43), 53 und vgl. 54: Lange ging man davon aus, dass die Autoren des NT „von Jesus Christus selbst [zur Verkündigung] erwählt wurden. Doch „an den Evangelien, haben zu viele Einzeltraditionen, Redaktoren usw. mitgewirkt, als dass sie en bloc auf einen bestimmten Personenkreis von Jesus selbst berufener Apostel zurückgeführt werden könnten.“

50 Ebd., 72

51 Vgl. ebd.; In der aktuellen Verkündigung geht es um das „Heute des Wortes Gottes, das uns durch sie begegnet“ (ebd.); Diese wissenschaftliche Errungenschaft begann erst im 18. Jhd. Das Altprotestantische Schriftverständnis war ein anderes: „Der Ursprung der Schrift ist göttlich – menschlich nur insofern, als die biblischen Autoren einem sich auf jedes Wort erstreckenden Diktat des Heiligen Geistes als Schreiber dienten; nicht sie, sondern Gott selbst ist der eigentliche Autor der Heiligen Schrift“. Nach diesem Verständnis war die Heilige Schrift „irrtums- und widerspruchsfreie[s] Wort Gottes“ (ebd. 50 f.). Im Folgenden werden Belege aus dieser Dogmatik von Joest/Lüpke, die keines weiteren Kommentars bedürfen, direkt im Text in Klammern vorgenommen

52 Man denke hier z.B. an die Gegenüberstellung von Adam und Christus in Röm 5,12 ff., die das Wirklichkeitsverständnis der Christenheit grundlegend beeinflusst hat.

53 Ebd. 56; Bewährt hat es sich in dem Sinne, als das er den Menschen eine „geistliche Erfahrung“ machen kann, durch die „der dreieinige Gott gegenwärtig wird“ und Menschen zum Glauben leitet (vgl. ebd.)

54 So formulierte es K. Barth (zitiert nach ebd. 57 f.).

55 Ebd. 63; In dieser Hinsicht ist der biblische Kanon „als Gesprächszusammenhang“ zu begreifen, indem sich die unterschiedlichen Texte „wechselseitig“ auslegen lassen (vgl. ebd. 60)

56 U. Tworuschka/M. Tworuschka, Methodische Zugänge zu den Weltreligionen. Einführung für Unterricht und Studium, Frankfurt am Main 11982, 166 f.

57 Abdullah (s.Anm.31), 29

58 Khoury, Der Koran. Erschlossen und kommentiert (s.Anm.10), 51; Paulus: Abraham ist der „Vater aller, die als Unbeschnittene glauben“ (Röm 4,11); Vgl. Gen 12,3 u. die Stammbäume Jesu von Matthäus (1,1) und Lukas (3,34).

59 A. Falaturi (Hg.), Der Islam - Religion der Rahma, der Barmherzigkeit. In: Universale Vaterschaft Gottes: Begegnung der Religionen (14), Freiburg im Breisgau 1987, 75

60 Joest/Lüpke, Dogmatik Bd. 1: Die Wirklichkeit Gottes (s.Anm.43), 23 f.

61 Khorchide zählt „neunzehn Stellen“ im Koran, die an „alle Menschen“ zu „jeder Zeit und an jedem Ort“ gerichtet sind, „unabhängig davon, ob sie Muslime sind oder nicht“ (vgl. Khorchide (s.Anm.28), 196).

62 Vgl.: „Nicht nur wenigen Gerechten, sondern allen eröffnet Jesus Zugang zu Gott, für alle ist Platz im Reiche Gottes, keiner ist ausgeschlossen“ (Kasper (s.Anm.48), 73).

63 [V]E[L]KD, (s. Anm. 31), 169

64 Ebd. 22 f.; Einer dieser Reformansätze in Deutschland geht derzeit vom islamischen Lehrstuhl in Münster aus. A. Karimi konstatiert mit Recht die Schwierigkeiten „unserer Zeit“, die den islamischen Glauben derart herausfordert, dass sich eine vernunftbasierte Auseinandersetzung mit eben diesem geradezu aufdrängt. An die alte islamische Tradition des theologischen Streitgesprächs (Kalām) anschließend, versuchen sie, diese „Herausforderung“ anzunehmen (Vgl. Karimi (s.Anm.5), 18). M. Khorchide unterscheidet bspw. im Koran zwischen theologischen Aussagen des Gesandten Muḥammad, die als „kontextunabhängig“ und „ahistorisch“ gelten und den „Kern des Koran“ ausmachen. Diese „allgemeingültigen Prinzipien“ verhindern „Beliebigkeit und völlige[n] Relativismus in den Lesarten des Koran“. Demgegenüber stehen Passagen von dem Propheten Muḥammad („Interpret“ und „Staatsoberhaupt“), die als „kontextabhängige juristische und gesellschaftliche Aspekte […] dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen“ und dementsprechend zu behandeln sind. Diese Unterscheidung der „Doppelrolle Muhammeds“ wurde schon von seinen frühsten Gefährten erkannt und unterschieden (vgl. Khorchide (s.Anm.28), 121-171).

65 Vgl. Zirker, Der Koran (s.Anm.36), 8; Zu der Vielseitigkeit der Arabischen Sprache: Sure 4:34 behandelt die Stellung der Frau. Einer Übersetzung nach besitzt die Frau eine angesehene Stellung, einer anderen nach soll sie bei „Widersetzlichkeit“ geschlagen werden. „Aufgrund der Offenheit der arabischen Sprache“ sind diese gänzlich komplementären Übersetzungen möglich und gleichermaßen korrekt (vgl. Aslan (s.Anm.7), 90).

66 Al-Gazzali beschreibt das „Herz“: „Und wenn wir von dem Herzen sprechen, so wisse, dass wir damit jenes Wesen intendieren, dass man manchmal als Geist bezeichnet und manchmal als das Selbst. [...] und man kann es mit dem äußeren Auge sehen. Das, was man mit diesem Auge sehen kann, gehört zu dieser Welt, der Welt des Anscheins. Das wahre Wesen des Herzens aber ist nicht von dieser Welt“ (Karimi (s.Anm.5), 58).

67 Vgl. ebd., 190-193; „Gott wird nicht Mensch, aber im Herzen des Menschen offenbar, damit der Mensch nota bene Mensch werde“ (ebd. 192).

68 Ebd. 190 f.

69 „Offenbarung als Schlüsselerlebnis“: So überschreibt H.-M.Barth ein Kapitel und legt unter Bezugnahme auf I.T. Ramsey (1957) dar, dass eine Offenbarung einer „Erschließungssituation“ gleicht, deren Folge neben der „Klärung“ ein „Engagement“ (engl.: commitment) zur Folge hat (vgl. H.-M. Barth, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen, Gütersloh 32008, 144 f.). Dazu auch: Wo der Glaube geweckt wird, „entsteht ein neues Selbstverständnis und Selbstverhältnis“. Dies ist zwar auf das Evangelium bezogen, kann aber auf den Islam übertragen werden (Härle, Zur Gegenwartsbedeutung der »Rechtfertigungs«-lehre (s.Anm.40), 131)

70 Duden online, Stichwort: Mensch.

71 „Je komplexer die Lebendigkeit des Seins, desto gefährdeter scheint das Leben. Zwischen dem gesetzmäßigen Lauf der Gestirne und der eruptiven Gewalt des Lebendigen zum Guten und Bösen lassen sich viele unerkannte »Welten« vermuten“ (G. H. Dietrich, Das Verständnis von Natur und Welt bei Rudolf Bultmann und Karl Löwith. Eine vergleichende Studie, Hamburg 1986, 313).

72 Abdullah (s.Anm.31), 29

73 Khorchide (s.Anm.28), 87

74 Ebd.., 88

75 H.Zirker weist darauf hin, dass der der westlichen Welt bekannte Begriff „Kalif“, im Sinne einer religiös-politische Führungskraft in der islamischen Gesellschaft, im Koran nicht bekannt ist. Der Koran sieht in jedem (gläubigen) Menschen einen Kalifen (vgl. Zirker, Islam (s.Anm.27), 81).

76 Khoury (s.Anm.32), 28 f.

77 Eine andere mögliche Übersetzung von Abd ist „Sklave“ oder „Knecht“, allerdings verkennen diese mit negativer Bedeutung belegten Worte den wichtigen Aspekt, dass sich der Mensch freiwillig, zunächst im besagten Urpakt, vor allem aber auch später im Verlauf seines Lebens, vollends aus eigenen Stücken für ein auf Gott ausgerichtetes Leben entschieden hat. Er dient Gott, weil er es will und nicht, weil er wie ein Sklave dazu gezwungen wurde oder wird (vgl. Tworuschka (s.Anm.6), 145).

78 Zirker, Islam (s.Anm.27), 81

79 Khorchide (s.Anm.28), 94; Zirker: „ Als Khalifa soll der Mensch im Auftrag Gottes herrschen und für die Durchsetzung der Gerechtigkeit in der Welt sorgen“ (Zirker, Islam (s.Anm.27), 81).

80 Vgl. F. Heiler, Die Religionen der Menschheit, Stuttgart 51991, 507

81 A. Schimmel, Die Zeichen Gottes. Die religiöse Welt des Islam, München 1995, 288; Darüber hinaus ist er beschrieben als „frevelhaft“ (14:34), „undankbar“ (80:17) gleichgültig (26:136), „streitsüchtiger als alles“ (16:4), „furchtsam“, „ängstlich“ und „engherzig“(70:19-21), „hochmütig“ (46:10), „gesetzlos“ (96:6), „unverständig“ (33:72) und lehnt sich immer wieder gegen Gottes Wort auf (31:19).

82 Abdullah (s.Anm.31), 75

83 Vgl. Khoury (s.Anm.32), 29

84 Siehe z.B. 7:201, 9:108, 49:13 und vgl.: L. Lewisohn, Taqwa, 2004 (10.4.2016), URL s. Literaturverzeichnis.

85 So spricht bspw. Sure 106 den Menschen Schutz bei ihren Karawanenreisen zu, wenn sie Gott verehren. H. Zirker sieht die „radikale Jenseitsorientierung“ einerseits und Gottes „entschiedenen Zuwendung zur diesseitigen Welt“ im Islam so deutlich beschrieben wie in keiner anderen Religion. Beides wird den Gläubigen z.B. in 3:148 vorbehaltlos zugesprochen: „So gab ihnen Gott den Lohn des Diesseits und den schönen Lohn des Jenseits“ (Zirker, 1993, 83).

86 Barth (s.Anm.69), 554

87 Das Verbalsubstantiv » lsläm « leitet sich von dem dazugehörigen Verb » aslama « ab („sich [Gott] ergeben, anheimstellen, unterwerfen; Zirker, Islam (s.Anm.27), 243). lsläm kann somit als die „völlige Hingabe“ oder das „hingebungsvolle Unterwerfen“ bezeichnet werden (H.-M. Barth, 2008, 90). Die Steigerungen „völlig“ und „hingebungsvoll“ haben im arabischen Ursprung zwar keinen Ursprung, doch würde wohl kein frommer Muslim widersprechen, wenn man seine Religion als „völlige Hingabe Gottes“ und ihn als der „sich Gott hingebungsvoll Unterwerfende“ bezeichnen würde. Schließlich gehören „Verbeugung und Niederwerfung“ zu den „wesentlichen Bestandteilen des islamischen Gottesdienstes“ (Paret, 1980, 81).

88 Schimmel, Die Zeichen Gottes (s.Anm.81), 224

89 Der Koran nennt in einer seiner Schöpfungsgeschichte des Menschen eine Ausnahme: Der von einigen Gelehrten als Engel betrachtete Iblis weigerte sich hochmütig vor Adam niederzuwerfen und wurde deshalb „ungläubig“ (2:34) und verflucht (38:74). Aus Rache versucht er seitdem, die Menschen auf Irrwege zu locken und somit von Gott zu entfernen (38:82). R. Paret legt schlüssig dar, das entgegen der üblichen Übersetzung von kafara („Unglaube“) die treffendere Übersetzung „Undankbar sein“ ist. Wie kann ein Wesen das mit Gott spricht nicht sogleich an Ihn glauben? (Vgl. Paret, 1980, 82 f.) Ähnliche argumentiert M. Khorchide und schlägt den Begriff Ablehnung/Verweigerung vor (vgl. Khorchide, 2014, 89-91).

90 Tworuschka (s.Anm.6), 89

91 „Vergib uns unsere Sünden“: Der gleiche Wortlaut wie die Arab. Übersetzung von Mt 6,12. Der Koran zitiert also „in deutlichem Anklang“ einen Teil des Vaterunsers (H. Zirker, 1993, 99 u. ebd. Anm. 27).

92 1:6 f. hat eine zentrale Bedeutung in dem muslimischen Alltag. Es Teil des mehrmals täglichen Pflichtgebets (Barth (s.Anm.69), 555).

93 Jeder Muslim soll fünf Mal am Tag zu festgeschrieben Zeiten sein Gebet verrichten (4:103). Teil jedes Gebetes ist die eröffnende Sure 1 des Korans.

94 Schimmel, Die Zeichen Gottes (s.Anm.81), 306

95 Dazu: „Die Bestimmung des Menschen zum Ebenbild Gottes“ (Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 434-437).

96 Und zwar hebr. ṣäläm und demût (lat. imago und simililtudo). Beiden Begriffe sind zwar verwandt, haben aber eine leicht unterschiedliche Bedeutung: S äläm orientiert sich am „konkreten Bild, etwa einer Skulptur“ (auch »Abbild«), demût eher „am abstrakten Gedanken des »Aussehens wie«, der Ähnlichkeit“ (H.-M. Barth, 2008, 484)

97 In der Gottebenbildlichkeit eine physiologische Ähnlichkeit zu suchen, führte zu dem Einwand L. Feuerbachs: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde!“ Versucht man hingegen die Ähnlichkeit psychologisch zu verstehen, stößt man an Probleme mit den negativen Eigenschaften des Menschen, die mit dem christl. Gottesverständnis nicht zu vereinbaren sind (vgl. H.-M. Barth, 2008, 485).

98 Ebd., 434

99 W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen 1991, 232

100 Barth (s.Anm.69), 485

101 Für dieses Verständnis hauptverantwortlich war lange Zeit die Übersetzung des hebr. Verbum für »herrschen« (radah) aus Gen 1,26.28, das mit „niedertrampeln, unter die Füße treten“ (der Kelter) interpretiert wurde. Bezugnehmend auf diese Verständnis, äußerte z.B. C. Amery 1972 sehr deutlich in seinem Buch „Das Ende der Vorsehung“, welches er markant untertitelte: „Die gnadenlosen Folgen des Christentums“ (vgl. H.-M. Barth, 2008, 485 f. und W. Härle, 2007, 437 f.).

102 „Nicht um des Menschen und seiner besonders gefährdeten Existenz willen, sondern um der Schöpfung im Ganzen und ihres Fortbestehens willen ist »Herrschaft« notwendig.“ (C. Link, Schöpfung. Bd II, Gütersloh 1991, 392)

103 Vgl. mit dem „Odem des Lebens“ in Gen 2,7 mit dem „Geist Gottes“ in Gen 6,3 u. Ps 104,29 f.

104 Die in der orthodoxen Theologie verbreitete Annahme der „Vergöttlichung“ des Menschen fußt auf diesem Vers. Diese zwar in evangelischen Kreisen nur zurückhaltend verwendet Annahme ist jedoch „nicht grundsätzlich zu kritisieren“ ist (vgl. Härle, 2007, 362, Anm. 10).

105 Nach christologischer Auffassung bekommt der Mensch diese Einsicht durch Jesus Christus, durch das Leben in Christus.

106 In 1. Sam 16,14 ängstigt ein solcher Geist Saul; in 1. Kön 22,20 verbreitet er die Unwahrheit und in Jes 19,14 wird ein Geist beschrieben, der „Ägypten [zum] taumeln“ bringt.

107 Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 429

108 Im Laufe der Menschheitsgeschichte, potenziert im letzten Jahrhundert, wird dieses zerstörerische Potential immer größer. Einge Beispiele: Die Erfindung von ABC-Waffen, die nicht nur andere Menschen zu vernichten in der Lage sind, großflächige Waldrodungen, Massentierhaltung und Vernichtung, uvm.

109 Sünden kann „indirekt“ geschehen, „als Implikation menschlichen Sichselberwollens, indem der Mensch darin durch sein eigenes Ich den Platz besetz, der eigentlich Gott zukommt“ (Pannenberg (s.Anm.99), 298).

110 Als Folge dessen lässt Gott die Sintflut über die Schöpfung kommen und gewährt nur einigen ausgewählten Geschöpfen die Gnade. Diese Überlieferung ist wörtlich nur schwer mit der Barmherzigkeit Gottes in Einklang zu bringen, kann aber veranschaulichen, wieviel Gott daran gelegen ist, dass der Mensch seine von Gott gewollte gute Natur den bösen Kräften entgegenstellt.

111 Vgl. ebd., 211 f.

112 Vgl. Barth (s.Anm.69), 487 f.

113 „Der Mensch ist das Geschöpf, das um sich selbst, um seine göttliche Bestimmung, darum aber auch um seine Gefährdung weiß. Er ist das Geschöpf, das unter einer Bestimmung steht, nämlich der Bestimmung zur Gottebenbildlichkeit, die er erreichen oder verfehlen kann. Anders gesagt: Dem Menschen ist sein Dasein nicht nur gegeben, sondern so gegeben, daß es gelingen oder scheitern kann und daß er das auch weiß oder es doch ahnt.“ Und muss in der Selbstbestimmung sich immer für eine Seite entscheiden (Erkenntnis über Gut und Böse). „Dabei bedeutet das Sich-Einlassen auf das Böse einerseits, daß das Erfahrungsspektrum des Menschen ungeheuer ausgeweitet wird, daß aber andererseits eben damit auch ein lebensbedrohlicher Riß durch sein Dasein geht.“ (Härle, 2007, 470)

114 Jeremias, Neutestamentliche Theologie (s.Anm.38), 175

115 Vgl. Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 482

116 G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 3, Tübingen 1979, 65

117 Pannenberg (s.Anm.99) 233

118 Vgl. Barth (s.Anm.69), 488; Im folgenden Teil werden diese Quellenbelege im Text angegeben.

119 Ebd., 486

120 Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 478

121 Härle erläutert warum die Formel „Wurzel der Sünde“ treffender ist als die üblich verwendete Formel „Ursprung der Sünde“: Diese Formel kann im Sinne eines zeitlichen Anfangs der Sünde missverstanden werden. Diesen zeitlichen Anfang können wir ohnehin nicht bestimmen und die hier verwendete Formel verweist „darauf, daß es um die Frage nach dem sachlichen Grund [der Herkunft der Sünde] geht“ (W. Härle, 2007, 465, Anm. 11).

122 Härle bestimmt das Wesen der Sünde als die „Verfehlung der Lebensbestimmung [zur Liebe], als Verlorenheit, Scheitern oder Mißlingen des Lebens“. „Sünde ist ihrem Wesen nach stets Verfehlung der Liebe.“ Denkt man die Gemeinschaft mit Gott definiert durch Liebe, ist die Sünde das Element, das nicht nur die Beziehung zu ihm stört und ein heilvolles Leben des Menschen behindert, sondern auch das Element, das den Menschen vom liebevollen Umgang mit sich, anderen Menschen und Gott fernhält (vgl. Härle, 2007, 465 f.). Die Verletzung dieser beschriebenen Gemeinschaft kann vielfältig geschehen: Im Sinne von einer Verfehlung von Gottes Gesetzen, die eine Abkehr von dem gottgewollten Pfad und folglich ein Irren auf gottwidrigen Wegen darstellt. Oder im Sinne von einer Entzweiung der Natur des Menschen, die zu Gewissenskonflikten führt (ebd. 495-497).

123 Dieser Zustand wird als Erbsünde, Ursünde oder peccatum originale bezeichnet . „Siehe, ich bin als Sünder geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“(Ps 51,7; Vgl. auch Röm 5,12-21 und 7,7-25)

124 Vgl. Barth (s.Anm.69), 493

125 Härle, Dogmatik (s.Anm.1), 459

126 Vgl. ebd., 459-461; Daher wird die Sünde in den lutherische Bekenntnisschriften die Sünde auch als „Seuche“ bzw. „Krankheit“ aufgefasst, die den Menschen befällt (vgl. Härle, 2007 461).

Final del extracto de 81 páginas

Detalles

Título
Gott, der Barmherzige und Gerechte. Islam und Christentum im Vergleich
Universidad
University of Koblenz-Landau  (Evangelische Religionslehre)
Calificación
1,7
Autor
Año
2016
Páginas
81
No. de catálogo
V1138314
ISBN (Ebook)
9783346527448
ISBN (Libro)
9783346527455
Idioma
Alemán
Notas
Prof. Dr. B.: "Der Autor hat die Arbeit mit großer Sorgfalt und großem Differenzierungsvermögen verfasst. Stilistisch ist die Arbeit fast tadellos. Das Thema wird in überlegter Weise seinen verschiedenen Aspekten ausgebreitet und immer in seiner vergleichenden Ausrichtung gehalten. Er fügt ständig neue Aspekte zu dem islamisch-christlichen Vergleich hinzu und lässt so ein differenziertes vielschichtiges Bild entstehen." Kritik und Notenabzug gab es für mein Plädoyer für einen Glauben, WIE Jesus von Nazareth ihn hatte, statt für einen reinen Glauben AN Jesus Christus.
Palabras clave
Gott, Christentum, Islam, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Religion, Zweifel, Schöpfer, Koran, Bibel, Schöpfung, Offenbarung, Liebe, Geschöpf, Menschen, Jesus
Citar trabajo
Fabian Dietrich (Autor), 2016, Gott, der Barmherzige und Gerechte. Islam und Christentum im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138314

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