Die Modernisierung der Volksrepublik China

Eine Fallstudie zur Modernisierungstheorie Rostows


Estudio de caso, 2021

30 Páginas, Calificación: 1,0

Anónimo


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Modernisierungstheorie
2.1 Theoriegeschichte
2.2 Rostows Stufentheorie
2.3 Kritik

3. Chinas Modernisierung nach dem Tod Maos
3.1 Historische Voraussetzungen
3.2 Die Vier Modernisierungen Deng Xiaopings
3.3 Wirtschaftliche Bedeutung des Sozialismus chinesischer Prägung

4. Verordnung der Modernisierung Chinas in der Stufentheorie Rostows
4.1 Traditionelle Gesellschaft
4.2 Anlaufperiode
4.3 Wirtschaftlicher Aufstieg
4.4 Entwicklung zur Reife
4.5 Zeitalter hohen Massenkonsums

5. Schlussbetrachtungen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist – Hauptsache, sie fängt Mäuse“1

Mit diesem Sprichwort aus seiner Heimatprovinz Sichuan rechtfertigte der zweite `überragende Führer´ Chinas, Deng Xiaoping, die von ihm seit dem Tod Mao Tse-tungs in 1976 durchgesetzte Reform- und Öffnungspolitik. Die am 1. Oktober 1949 ausgerufene `kommunistische´2 Volksrepublik China hat sich seitdem von einem Bauernstaat zu einer ökonomischen, technologischen und militärischen Großmacht mit einer sozialistischen Markwirtschaft entwickelt, die im Jahr 2019 400 Millionen Menschen zu ihrer wirtschaftsdemographischen Mittelschicht zählt.3 Würde die chinesische Mittelschicht ein eigenes Land bilden, wäre dieses, abgesehen von Indien und China selbst, das größte Land dieser Welt. Kein anderer Staat in der Geschichte der Menschheit konnte Armut in einem annähernd ähnlichen Maße reduzieren und sein Land so schnell und effizient modernisieren, wie es China in den letzten 40 Jahren tat.4

Dieses erfolgreiche Entwicklungsmodell wurde erstmals in 2004 vom Amerikaner Joshua Cooper Ramo, in Anlehnung an den neoliberalen `Washington Consensus`, mit dem Begriff `Beijing Consensus` bezeichnet.5 Seitdem verstärkte sich das wissenschaftliche Interesse am chinesischen Entwicklungsweg im Kontext der entwicklungstheoretischen Debatte zunehmend, mit dem Ziel, neue Erkenntnisse darüber zu erlangen, ob er womöglich auch für die Modernisierung anderer Entwicklungsstaaten Asiens und der Welt in Frage kommen könnte, sowie zur Verifizierung, bzw. Falsifizierung von verschiedenen Entwicklungstheorien.

In dieser Arbeit soll mit der Analyse des wirtschaftlichen Entwicklungsweges China eine Fallstudie zur deterministischen entwicklungstheoretischen Strömung der Modernisierungstheorie durchgeführt werden. Dabei wird sich an der Frage orientiert, ob die Modernisierungstheorie den rasanten ökonomischen Aufschwung Chinas nach Maos Tod vom planwirtschaftlichen Entwicklungsland zum Industrieland mit sozialistischer Marktwirtschaft erklären kann. Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, soll bei der Beantwortung der Leitfrage der wirtschaftswissenschaftliche Aspekt der Modernisierungstheorien, der auf den Ökonomen Walt

Whitman Rostow zurückgeht, im Fokus liegen. Der Demokratisierungs-Aspekt soll nach einer kurzen Darstellung größtenteils nebensächlich bleiben, denn heute ist eindeutig, dass eine Demokratisierung bei der Modernisierung der Volksrepublik China bisher ausblieb, was sich in der Belegung des 153. Ranges (Score 2,29) im Demokratieindex 2020 widerspiegelt, in dem China als zunehmend autoritäreres Regime aufgelistet wird (2005 noch ein Score von 2,97, bzw. 138. Rang).6 7 Neben einigen anderen hochentwickelten und trotzdem autoritären Staaten fungiert das chinesische Fallbeispiel daher momentan als belegendes Argument zur Falsifikation der universalistischen Modernisierungstheorien mit explizitem Demokratisierungs-Aspekt.

Die Beantwortung der Forschungsfrage soll dementsprechend vielmehr Erkenntnisse liefern, die sich auf eine Aufarbeitung der ökonomischen Entwicklung Chinas seit 1949 stützen und Erklärungsansätze liefern sollen, wie sich das chinesische Bruttoinlandsprodukt von 1980 bis 2020 nahezu verfünfzigfachen konnte.8 Zur besseren Strukturierung der Arbeit soll die These untersucht werden, dass die chinesische Gesellschaft seit der Amtszeit des aktuellen Staatspräsidenten Xi Jinpings den Übergang zum Rostowschen Zeitalter des Massenkonsums und damit, wie von den USA befürchtet,9 die Aufschließung zum ökonomischen, technologischen und militärischen Stand des neoliberalen Westens einleiten konnte. Das Ziel dieser Fallstudie ist es, die Stufen wirtschaftlicher Entwicklung der klassischen Modernisierungstheorie Rostows am chinesischen Fallbeispiel zu bestätigen oder womöglich auch zu widerlegen.

Zu diesem Zweck wird im zweiten Kapitel zunächst der theoretisch-analytische Rahmen dargestellt und das Konzept der Modernisierungstheorie mit Fokus auf Rostows 5-Stufenmodell des wirtschaftlichen Wachstums ausgeführt, sowie die wissenschaftliche Debatte der Modernisierungstheorie und deren Kritik aufgearbeitet. Ebenso sollen mit Hilfe modernisierungstheoretischer Literatur Schlüsselbegriffe wie Entwicklung und Modernisierung definiert werden. Kapitel 3 widmet sich der Analyse der besonderen wirtschaftlichen Entwicklung und Modernisierung der Volksrepublik Chinas unter Deng Xiaoping, die mit Unterstützung wirtschaftlicher Kennzahlen im historischen Kontext abgebildet werden soll. Zuletzt werden dann in Kapitel 4 die Ergebnisse der Analyse aus Kapitel 3 interpretiert und zusammen mit den in Kapitel 2 erarbeiteten Indikatoren zur Prüfung der These genutzt, die im besten Fall in einer kompetenten und wissenschaftlich belegten Beantwortung der Forschungsfrage münden wird.

2. Die Modernisierungstheorie

2.1 Theoriegeschichte

Die eigentliche Geschichte der Modernisierungstheorie beginnt mit der berühmten Inauguraladresse des amerikanischen Präsidenten Truman am 20. Januar 1949 vor dem US-Kongress, in der er im vierten Punkt die erstmalige Forderung nach Entwicklungshilfe in Form von technischer Hilfe und Krediten für die unterentwickelten Regionen der Welt (größtenteils Kolonien) aussprach, die durch die westlichen Industrienationen zu leisten sei.10 In den folgenden zwei Jahrzehnten entwickelte sich die entwicklungstheoretische Debatte unter der Dominanz dieser `Großen Theorie´, welche von einer Dichotomie bei dem Entwicklungsstand der Länder der Welt ausgeht. Alle dieser neu aufsprießenden Modernisierungstheorien stützten sich auf „die Annahme eines Prozesses, der zu einer Angleichung der Entwicklungsländer an die Industrieländer führt.“11 Entwicklung wird in der aus dem Keynesianismus der 40er Jahre entstandenen Entwicklungsökonomie und davon ausgehend „bei der Entstehung dieses neuen Politikfeldes Entwicklungspolitik rein wirtschaftlich im Sinne von Wachstum verstanden, wobei dieses vorrangig durch Industrialisierung zu erreichen sei.“12

Als Grundannahmen der verschiedenen Modernisierungstheorien lässt sich der folgende konzeptuelle Konsens beschreiben: 1) Tradition und Moderne sind der Anfangs- und Endpol von Entwicklung, 2) Die Entwicklung von Tradition zur Moderne ist unausweichlich und einheitlich und 3) Tradition ist das Haupthindernis für Entwicklung.13 Dieses mit einem deduktivem Empiriebezug erarbeitete, unilineare Geschichtsverständnis, welches Entwicklung als einen Stufenverlauf versteht, geht von einer einheitlich ausdifferenzierten Dritten Welt aus und orientiert sich beim Begriff der Moderne am Ideal der liberalen und kapitalistischen Demokratien.14

Die soziologischen und politikwissenschaftlichen Modernisierungstheorien, die wirtschaftliche Entwicklung mit sozialer und politischer Entwicklung verbinden, gehen auf den Soziologen Seymour Martin Lipset zurück. Aufbauend auf grundsätzlichen Theoremen der soziologischen Systemtheorie von Talcott Parson, postulierte Lipset industrielle Modernisierung als die fun- damentale Erfolgsbedingung für die Demokratisierung von Staaten, mit der These, dass „je reicher ein Land ist, es umso wahrscheinlicher ist, dass das politische System demokratisch ist und als Demokratie Bestand haben wird.“15 Wie in der Einleitung erwähnt, sind die universellen Gesetze dieser Strömungen deshalb leicht zu falsifizieren, da jeder (wohlhabende) moderne Staat mit einem stabilen autoritären System ein Gegenargument der These darstellt (China, Saudi-Arabien, VAE…). Zusätzlich sank die Zahl der bestehenden liberalen Demokratien im Rahmen der zunehmend autoritären Tendenzen des letzten Jahrzehnts, trotz globaler ökonomischer Entwicklungszusammenarbeit, von 41 auf 32.16

Unter der Verbreitung der Modernisierungstheorie durch die US-Regierungen ist allerdings kein nobles, philanthropisches Unterfangen zu verstehen, dass sich für die Etablierung von Menschenrechten in der Welt einsetzt, sondern muss als außenpolitische Strategie im Kontext des Ost-West-Konfliktes betrachtet werden. Das von Truman verkündete `Vier-Punkte-Programm´ hatte nämlich unter anderem den Hintergrund, dass es im Rahmen der nach dem Zweiten Weltkrieg beginnenden dritten Dekolonisationswelle17 aus Sicht der USA für die Verfolgung ihrer berüchtigten `Politik der Eindämmung` notwendig erschien, dem zunehmend beliebter werdenden sowjetischen Modell ein attraktiveres westliches Gesellschaftsmodell entgegenzustellen; der strategische Stellenwert der Entwicklungshilfe im Ost-West-Konflikt wurde allerdings erst 1957 von Milikan und Rostow theoretisch begründet.“18 Im folgenden Unterkapitel sollen nun diese wirtschaftswissenschaftlichen Ideen des amerikanischen Ökonomen und Wirtschaftshistorikers Walt Whitman Rostow genauer ausgeführt werden.

2.2 Rostows Stufentheorie

In seinem 1960 erschienenen Hauptwerk, `Stadien wirtschaftlichen Wachstums`19, skizziert Rostow die ökonomische Kategorisierung der Gesellschaften der Welt mit fünf aufeinander aufbauenden Stufen: 1) die traditionelle Gesellschaft, 2) die Anlaufperiode, die die Voraussetzungen für den `Take-off` schafft, 3) die Periode des wirtschaftlichen Aufstieges (Take-off), 4) die Entwicklung zur Reife und 5) das Zeitalter hohen Massenkonsums.20 In ihm erläutert er seine dem damaligen Zeitgeist entsprechende Auffassung, „der Entwicklungsstand eines Lan- des (so das Kernargument) lasse sich quantitativ anhand volkswirtschaftlicher Indikatoren bestimmen.“21 Rostow setzt damit Entwicklung mit wirtschaftlichem Wachstum gleich und versteht sie dabei als „nachholende Industrialisierung, bzw. nachholende Modernisierung“.22

Die traditionelle Gesellschaft im deterministisch konzipierten Stufenmodell Rostows basiert auf vor-Newtonscher Technik und Wissenschaft und der davon ausgehenden Einstellung zur physikalischen Welt, wodurch zielorientierte Forschung nicht existieren könne und „die Anwendungsmöglichkeiten der modernen Wissenschaft und Technik nicht voll ausgeschöpft“23 würden. Newtons Naturgesetze symbolisieren hier die notwendige Zäsur, nach deren Auftreten eine Gesellschaft in der Lage ist, durch die Manipulation der Natur im Kontext der klassischen Mechanik, volkswirtschaftlich relevante Produktivitätssteigerungen herbeizuführen, um so die Beschränkungen natürlicher Produktionskapazitäten und des Bevölkerungswachstum zugunsten eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums aufzuheben.24 „Die Geschichte der traditionellen Gesellschaften war demgemäß in der älteren und jüngeren Vergangenheit die Geschichte eines ständigen Wandels.“25

„Das zweite Wachstumsstadium umfasst Gesellschaften im Übergang, das heißt jenem Zeitraum, in dem die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Aufstieg geschaffen werden.“26 In dieser Phase kommt es zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und Produktion, zur Ausdehnung der Außenhandelsbeziehungen auf Basis von Rohstoffexport (getauscht gegen Kapital und industrielle Vorprodukte) und zum Aufbau der Infrastruktur zur besseren Erschließung der Märkte.27 Während der Anlaufperiode wird das Potential der modernen Wissenschaft erstmals ausgeschöpft, was eine Technologisierung einsetzen lässt, durch die Bildung immer wichtiger wird.28 Nach Rostows Verständnis kann sie endogen entstehen oder wie in der neueren Geschichte vermehrt exogen, „durch das Eindringen entwickelterer Gesellschaften“.29

Der wirtschaftliche Aufstieg markiert den großen Wendepunkt in der Entwicklung moderner Gesellschaften: nachdem im letzten Stadium alte Hindernisse und Widerstände überwunden worden und stetigem Wachstum nichts mehr im Weg steht, wird Wachstum unter der zunehmenden Dominanz treibender Kräfte wirtschaftlichen Fortschrittes zum Normalzustand der Ge- sellschaft.30 Bei diesem ökonomischen `Take-off´ wird wie bei einem startenden Flugzeug eine kritische Schwelle durchbrochen, indem die fokussierte Entwicklung wichtiger industrieller Sektoren und eine „Steigerung des Anteils der produktiven Investitionen am Volkseinkommen auf mindestens 10%“31 erreicht wird. In dieser etwa 20-30-jährigen Phase der Urbanisierung kann das benötigte Kapital auch importiert werden, was den besonderen Aspekt der Theorie für die Entwicklungspolitik als Finanzierungshilfe ausmacht, auf die Rostow als ehemaliges hochrangiges Mitglied der US-Regierung (Berater des Außenministers unter Kennedy und ehemaliger nationaler Sicherheitsberater unter Johnson) unmittelbaren Einfluss hatte.32

Im etwa 40 Jahre dauernden viertem Stadium, der Entwicklung zur Reife, das durch „die weitgehende Ausdehnung der modernen Technik auf alle wirtschaftlichen Aktivitäten“33 und die ständige Investitionsquote von 10-20% des Volkseinkommens gekennzeichnet ist, steigt das Pro-Kopf-Produkt und es kommt zur sektoralen Schwerpunktverlagerung.34 Während neue Industrien heranwachsen und alte absterben, schafft die Gesellschaft zur Unterstützung des Wachstumsprozesses institutionelle Verhältnisse, „die mit den Erfordernissen der modernen, effizienten Produktion in Einklang stehen.“35 Daraus ergibt sich, dass die gereifte Gesellschaft mit spezialisierterer Industrie nun die Fähigkeiten besitzt, „zu produzieren, was sie möchte“.36

Im finalen Stadium der kapitalistischen Entwicklung, dem Zeitalter des Massenkonsums, verbraucht die breite Masse der Bevölkerung nun „über die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens wie Nahrung, Wohnung und Kleidung hinaus zusätzliche und dauerhafte Konsumgüter.“37 Dieser steigende soziale Konsum wird durch das erhöhte Pro-Kopf-Einkommen und die staatliche Verteilungspolitik eines sich herausbildenden Wohlfahrtstaates katalysiert,38 indem sich die die Leitsektoren der Wirtschaft „in Richtung (dieser) dauerhafter Konsumgüter und Dienstleistungen“39 verschoben haben.

2.3 Kritik

Die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Modernisierungstheorien brachte viele weitere entwicklungstheoretische Ansätze hervor, angefangen mit der zweiten `Großen Theorie´ - die Dependenztheorie der 70er Jahre. Jene kritisiert das unilineare und deterministische Gesichtsbild und die modernisierungstheoretische Definition von Entwicklung als Modernisierung/Industrialisierung als eurozentrisch und empirisch fehlerhaft und rekonstruiert Entwicklung und Unterentwicklung als strukturellen Zusammenhang im kapitalistischen System, das seinen Ursprung in der imperialistischen Ausbeutung durch die europäischen Kolonialmächte hat.40 41 Außerdem entwickelte sich mit der Theorie multipler Modernitäten die Auffassung, „Industrialisierungs- und Modernisierungsprozesse in anderen Weltregionen verliefen aufgrund eigenständiger Entwicklung, nach ganz eigenständigen Mustern und kombinierten die Teilsysteme in kulturspezifischer Weise.“42 Ein weiteres Argument der kritischen Stimmen der Modernisierungstheorien ist gegen die soziologischen und politikwissenschaftlichen Strömungen gerichtet und bemerkt unter Stützung auf empirische Befunde, dass Demokratisierung kein simples Nebenprodukt wirtschaftlicher Entwicklung ist und der Demokratisierungsprozess kein bestimmtes Stadium an wirtschaftlicher Entwicklung voraussetzt, sondern erst nach dem Einsetzen durch die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst werden kann.43

3. Chinas Modernisierung nach dem Tod Maos

3.1 Historische Voraussetzungen

Der chinesische Drang nach Modernisierung beruhte auf einem sinozentrischen Kultur- und Selbstverständnis, welches durch den Zerfall der (letzten) Qing-Dynastie und die zunehmende technische Überlegenheit des Westens in Frage gestellt wurde, und durch fünf Schlüsselereignisse verstärkt wurde: 1) die Niederlage in den Opiumkriegen (1839-42 & 1856-60), 2) die Zunahme ausländischen Einflusses und ausländischer Kontrolle, 3) der Aufstieg Japans und die militärischen Niederlagen gegen Japan, 4) die 4.Mai-Bewegung von 1919 und 5) die Gründung der Sowjetunion“.44 Chinas früheste Modernisierungsbestrebungen in Folge des Trauma der Opium-Kriege, von denen sich westliche Technologie in Einklang mit chinesischem Denken anstatt Verwestlichung erhofft wurde, führten zwar zu ein wenig Industrialisierung, jedoch wurden sie durch die konstante Bedrohung durch ausländische Mächte und massiver ziviler Rebellionen, sowie durch die Abwesenheit politischer Kohäsion zunichte gemacht.45

Nachdem vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis zur Gründung der ersten chinesischen Republik in 1912 die politische Vorherrschaft in der Gesellschaft durch die Politik von „Konfuzius als Reformer“46 eingenommen wurde, stellte die `4.-Mai-Bewegung´ von 1919, die als Reaktion auf die verweigerte Rückgabe der deutschen Kolonie Qingdao durch die Versailler Friedenskonferenz entstand und eine anti-konfuzianische Kulturrevolution und ein neues modernisierendes Gesellschaftsmodell forderte, einen weiteren Meilenstein in der chinesischen Modernisierungsdebatte dar.47 Durch die Nichtbereitschaft zur Reformen seitens der Nationalen Volkspartei (Kuomintang) scheiterte der von dieser Bewegung inspirierte Modernisierungsentwurf, auch da 1927 der Chinesischen Bürgerkrieg ausbrach, der von 1937 bis 1945 noch zusätzlich durch den Zweiten Weltkrieg und den Einfall Japans in China unterbrochen wird.48

Als der legendäre `Lange Marsch´ und der dadurch ermöglichte Wiederaufbau der kommunistischen Partei Chinas (KPCh) schließlich den Sieg über die ehemalig verbündeten Kuomintang Chiang Kei-sheks und somit ein Ende des chinesischen Bürgerkrieg brachte, der 1949 in der Ausrufung der Volksrepublik China gipfelte, stand das von Mao Tse-tung geführte Politbüro der KPC vor der gewaltigen Aufgabe, die Modernisierung des chinesischen Bauernstaates mit frisch verstaatlichten Privatunternehmen weiterzuführen. Die seitdem vollzogene ökonomische Entwicklung Chinas lässt sich durch den Personalwechsel des Überragenden Führers nach Maos Tod leicht in zwei Phasen mit jeweils eigenen ordnungspolitischen Leitbildern einteilen: 1) von 1949-1978 die Phase der Zentralverwaltungswirtschaft und Klassenkampf und 2) seit 1978 die Reform- und Transformationsära mit marktwirtschaftlichen Prinzipien.49

[...]


1 Franz, Uli: Porträt - Deng Xiaoping; in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier China, 06.08.2008 (https://www.bpb.de/internationales/asien/china/44262/deng-xiaoping abgerufen 15.03.2021).

2 Kommunistisch in Anführungszeichen, weil die VR China ja nie kommunistisch (klassenlos) war.

3 Vgl. Cyrill, Melissa: China’s Middle Class in 5 Simple Questions, 12.02.2019 (https://www.china-briefing.com/news/chinas-middle-class-5-questions-answered/ abgerufen 15.03.2021).

4 Vgl. Sator, Andreas: Wo die Armut zu Hause ist: Die sieben Länder mit den meisten Armen; in: Der Standard, Armut, 21.11.2016 (https://www.derstandard.at/story/2000047140544/wie-sich-die-laender-mit-den-meisten-armen-der-welt abgerufen 16.03.2021).

5 Vgl. Ramo, Joshua Cooper: The Beijing Consensus, London 05.11.2004 (The Foreign Policy Centre) (https://fpc.org.uk/publications/the-beijing-consensus/ abgerufen 15.03.2021).

6 Vgl. The Economist: The Economist Intelligence Unit’s Democracy Index 2020 (https://infographics.economist.com/2020/democracy-index-2019/ abgerufen 15.03.2021).

7 Vgl. Kekic, Laza: The Economist Intelligence Unit’s index of democracy, 2007 (https://www.economist.com/media/pdf/democracy_index_2007_v3.pdf abgerufen 15.03.2021).

8 Vgl. Statista: China - Bruttoinlandsprodukt (BIP) in jeweiligen Preisen von 1980 bis 2019 und Prognosen bis 2025, Internationale Länderdaten, 2021 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/19365/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-china/ abgerufen 16.03.2021).

9 Vgl. Fischer, Malte: China wird zum Westen aufschließen, 14.09.2020 (https://www.wiwo.de/politik/ausland/eu-china-gipfel-china-wird-zum-westen-aufschliessen/26185198.html abgerufen 23.03.2021).

10 Vgl. Menzel, Ulrich/Nuscheler, Franz/Stockmann, Reinhard: Entwicklungstheorie Theorie – Probleme - Strategien, Berlin 2016, S.28.

11 Mürle, Holger: Entwicklungstheorie nach dem Scheitern der großen Theorie, INEF Report, Heft 22,1997, S.9. (https://www.die-gdi.de/fileadmin/user_upload/pdfs/messner/Entwicklungstheorie-nach-dem-Scheitern-der-grossen-Theorie.pdf abgerufen 17.03.2021).

12 Menzel, Ulrich: Entwicklungstheorie Geschichte und Hauptkontroversen, S.20.; in: Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaften, Nr.12, Braunschweig Januar 2010.

13 Vgl. Kimakowitz, Ernst: The Evolution of and Current Debate in Development Thinking - What Defines Good Development, S. 7.; in: Humanistic Management Network, research Paper Series No. 13-04, St. Gallen 23.01.2012 (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1989954 abgerufen 17.03.2021).

14 Vgl. Mürle, 1997, S.15.

15 Merkel, Wolfgang: Systemtheorien, Opladen 1999, S.83-84.

16 Vgl. Kniewel, Jan-Niklas: Autokratisierung - Ein weiteres schlechtes Jahr für die Demokratie; in: Katapult Magazin, 11.03.2021 (https://katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/ein-weiteres-schlechtes-jahr-fuer-die-demokratie/ abgerufen 17.03.2021).

17 Vgl. Fischer-Tine, Harald: Dekolonisation im 20. Jahrhundert; in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier, (Post)kolonialismus und Globalgeschichte, 20.05.2016 (https://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/postkolonialismus-und-globalgeschichte/219139/dekolonisation-im-20-jahrhundert abgerufen 17.03.2021).

18 Menzel, 2010, S.19.

19 Rostow, Walt Whitman: The Stages of Economic Growth – A Non-communist Manifesto, Cambridge 1990.

20 Rostow, Walt Whitman: Die fünf Wachstumsstadien – eine Zusammenfassung, 1960, S. In: Schmidt, Lukas/Schröder, Sabine (Hrsg.): Entwicklungstheorien, Wien 2016, S. 45-54.

21 Schrader, Heiko: Entwicklungssoziologie, S.108; in: Kneer, Georg/Schroer, Markus (Hrsg.): Handbuch Spezielle Soziologien, Wiesbaden 2010, S.105-121.

22 Ebd. S.109.

23 Lee, Byeouk-Gyu: Energie und Umweltpolitik in der VR China, Wiesbaden 2019, S.17.

24 Vgl. Menzel, 2010, S.91.

25 Rostow, 1960, S.46.

26 Ebd. S.47.

27 Vgl. Lee, 2010, S.18.

28 Vgl. Menzel, 2010, S.92.

29 Rostow, 1960, S.48.

30 Vgl. Rostow, 1960, S.49.

31 Lee, 2010, S.18.

32 Vgl. Menzel, 2010, S.91-92.

33 Lee, 2010, S.18.

34 Vgl. Menzel, 2010, S.92.

35 Rostow, 1960, S.51.

36 Ebd. S.52.

37 Lee, 2010, S.19-19.

38 Vgl. Menzel, 2010, S.93.

39 Rostow, 1960, S.52.

40 Vgl. Schrader, 2010, S.109.

41 Vgl. Pollack, Detlef: Modernisierungstheorie – revised: Entwurf einer Theorie moderner Gesellschaften, S.1f.; in: Zeitschrift für Soziologie, 45(4), 2016, S.219–240. (https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-2015-1013/html abgerufen 18.03.2021).

42 Oesterdiekhoff, Georg W.: Modernisierungstheorie und Wandel der Weltgesellschaft, S.28.; in: Soziologie, 35(1), 2016, S.26-41. (https://doi.org/10.1007/s11617-006-0003-1 abgerufen 18.03.2021).

43 Vgl. Limongi, Fernando/ Przeworski, Adam: Modernization – Theories and Facts, S.176-177; in: World Politics, Vol. 49/No. 2, Cambridge 1997, S.155-183. (https://www.jstor.org/stable/25053996 abgerufen 18.03.2021).

44 Heberer, Thomas: Das Politische System der VR China im Prozess des Wandels, S.40.; in: Heberer, Thomas/Derichs, Claudia (Hrsg.): Einführung in die politischen System Ostasiens, Wiesbaden 2013, S.21-178.

45 Vgl. Tang, Liang: China`s Authoritarian Path of Development, New York 2017, S.25.

46 Meissner, Werner: Kulturelle Identitätssuche von 1840-1949, S.230.; in: Fischer, Doris/Müller-Hofstede, Christoph (Hrsg.): Länderbericht China (Bundeszentrale für politische Bildung), Schriftenreihe Band 1501, Bonn 2014, S.221-246.

47 Vgl. Heberer, 2013, S.42.

48 Vgl. Ebd. S.42-43.

49 Vgl. Taube, Markus: Wirtschaftliche Entwicklung und ordnungspolitischer Wandel in der Volksrepublik China seit 1949, S.645; in: Fischer, Doris/Müller-Hofstede, Christoph (Hrsg.): Länderbericht China (Bundeszentrale für politische Bildung), Schriftenreihe Band 1501, Bonn 2014, S.645-679.

Final del extracto de 30 páginas

Detalles

Título
Die Modernisierung der Volksrepublik China
Subtítulo
Eine Fallstudie zur Modernisierungstheorie Rostows
Universidad
University of Rostock
Calificación
1,0
Año
2021
Páginas
30
No. de catálogo
V1138681
ISBN (Ebook)
9783346512871
ISBN (Libro)
9783346512888
Idioma
Alemán
Palabras clave
modernisierung, volksrepublik, china, eine, fallstudie, modernisierungstheorie, rostows
Citar trabajo
Anónimo, 2021, Die Modernisierung der Volksrepublik China, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1138681

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