Syntaktische Zweifelsfälle aus der Perspektive der Grammatikalisierungsdebatte

Am Beispiel deutscher Präpositionen


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

20 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Was ist ein Zweifelsfall?

3. Grammatikalisierung – Theorie und grundsätzliche Begrifflichkeiten

4. Grammatikalisierung deutscher Präpositionen
4.1 Vorbemerkung zum Präpositionsbegriff
4.2 Prototypisierung und Grammatikalisierung
4.3 präpositionale Zweifelsfälle als Folge von Grammatikalisierungsprozessen

5. Der Umgang mit syntaktischen Zweifelsfällen im Duden
5.1 Die Frage der Prä- oder Poststellung am Beispiel gemäß
5.2 Die Frage nach der Kasusrektion ursprünglicher Dativpräpositionen
5.2.1 Das Beispiel gemäß
5.2.2 Statistische Häufigkeit und sprachliche Norm

6. Resümee

Quellen und Literatur:

1. Einleitung

Das Konzept der Grammatikalisierung eignet sich neben sprachvergleichenden Untersuchungen und der Beschreibung historischer Entwicklungen auch zur Einordnung synchroner Erscheinungen. Somit sollen im synchronen Sprachgebrauch vorkommende Zweifelsfälle anhand dieser Theorie beleuchtet werden.

Nachdem in einem ersten Schritt geklärt wird, was hier mit „Zweifelsfall“ gemeint ist, sollen die Grundzüge des Grammatikalisierungskonzeptes in Kapitel 3 vorgestellt werden, um dann näher auf die Grammatikalisierung deutscher Präpositionen einzugehen. Ausschlaggebend ist dabei nicht zuletzt das im Jahr 2000 erschienene Werk von Claudio Di Meola, der dieses Phänomen erstmalig ganzheitlich betrachtet. Es wird versucht, grammatikalisch zweifelhafte oder mehrdeutige Fälle im präpositionalen Gebrauch zu erklären. Dies kann zwar nicht ganz ohne den Rückgriff auf die diachrone Entwicklung geschehen, doch wird der Schwerpunkt der hier vorliegenden Arbeit deutlich durch die synchrone Betrachtung der präpositionalen Zweifelsfälle bestimmt. Beispielhaft für Varianten im Sprachgebrauch werden besonders der Wechsel zwischen Prä- und Poststellung sowie die Alternation zwischen Dativ- und Genitivrektion betrachtet.

Schließlich soll die Darstellung syntaktischer Zweifelsfälle in einem der wichtigsten deutschsprachigen Nachschlage, dem Duden, untersucht werden hinsichtlich der vorangestellten Beobachtungen zur Grammatikalisierung deutscher Präpositionen.

Unterschiedliche Herangehensweisen an das Phänomen Zweifelsfall sollen kontrastiert, aber auch Gemeinsamkeiten bei der Betrachtung dieser Fälle herausgestellt werden.

2. Was ist ein Zweifelsfall?

Ausgangspunkt für die Frage, was denn mit einem Zweifelsfall gemeint sei, ist die Beobachtung, dass es im realen Sprachgebrauch immer wieder vorkommt, dass ein Sprecher[1] sich nicht sicher ist, welche grammatische Form er denn nun für seine Aussage zu verwenden habe.

Diese Unsicherheiten können auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache auftreten und die Aussprache oder genaue Form eines Wortes, aber auch die Anordnung der Wörter im Satzzusammenhang betreffen.

So hat der mit einem Zweifelsfall konfrontierte Sprecher also plötzlich mindestens zwei Varianten zur Auswahl, von denen er nicht sicher ist, welche „richtig“, d.h. standartsprachlich ist.

Um einen Zweifelsfall dennoch von einem schlichten „Fehler“ unterscheiden zu können, muss es sich bei dem Sprecher auf jeden Fall um einen Muttersprachler handeln, denn dieser trifft seine Entscheidung gewöhnlich auf Basis seines „Sprachgefühls“, welches ihn aber nun scheinbar verlassen hat.

In Anlehnung an Metzlers Sprachlexikon meint „Sprachgefühl“ (engl. „linguistic intuition“) hier die vortheoretische Bezeichnung für die intuitive Fähigkeit von muttersprachlichen Sprachbenutzern, ihre Sprache stilsicher zu gebrauchen und Ausdrücke und Konstruktionen auf ihre Richtigkeit, Angemessenheit und Akzeptierbarkeit zu überprüfen. Denn der weitgehend intuitive, nicht begründbare Charakter des Sprachgefühls indiziert den besonderen und schwer erforschbaren Charakter unserer „praktischen“ Sprachkenntnis, mit der weder ein explizites Regelwissen noch ein begründetes Urteil über die Produkte des Sprechens korrespondiert (vgl. Glück 2000, 658).

Erst wenn in den Folgekapiteln Grammatikalisierungsprozesse betrachtet werden, mögen einige der Zweifelsfälle anhand dieser Theorie leichter verständlich werden, sodass im Zuge dessen auch dieser „besondere und schwer erforschbare Charakter unserer ‚praktischen’ Sprachkenntnis“ zumindest unter dem Aspekt der Grammatikalisierung etwas besser verstehbar wird.

Statistisch gesehen ist es natürlich eher unwahrscheinlich, dass nur ein einziger Muttersprachler zwischen mehreren Varianten zweifelt, sodass im Folgenden davon ausgegangen wird, dass es sich bei den zweifelnden Personen um mehrere handelt.

Ein Zweifelsfall soll also verstanden werden als eine sprachliche Einheit, bei der muttersprachliche, kompetente Sprecher in Hinsicht auf mindestens zwei Varianten darüber in Zweifel geraten, welche der Varianten standartsprachlich ist.

3. Grammatikalisierung – Theorie und grundsätzliche Begrifflichkeiten

Zunächst soll nun ein Einblick in die Theorie der Grammatikalisierung sowie deren Grundbegrifflichkeiten gegeben werden, mithilfe derer dann in den Folgekapiteln versucht werden soll, einige syntaktische Zweifelsfälle in Bezug auf die Kategorie Präposition zu erklären.

„Die Neuartigkeit der Grammatikalisierungsforschung ergibt sich aus ihrer spezifischen Perspektive: die kontinuierliche Entstehung immer neuer grammatischer Elemente und die Flexibilität grammatischer Systeme werden als Grundprinzipien der Sprache betrachtet und ins Zentrum der Forschung gerückt“ (Diewald 1997, VII).

Als Ausgangsbasis werden Sprachzeichen[2] in zwei Großgruppen unterteilt, wobei die Eigenschaften der Zeichen, die klassifiziert werden sollen, (nur) prototypisch sind.

Bei der ersten Gruppe handelt es sich um „Inhaltswörter“, die auch „lexikalische Zeichen“, „autosemantische Zeichen“ oder „Lexeme“ genannt werden. Sie dienen der Benennung von Dingen und Vorgängen, d.h. von außersprachlichen Inhalten. Ihre Funktion wird somit als denotativ bezeichnet.

Dagegen dienen Funktionswörter, die man auch als „grammatische Zeichen“, „synsemantische Zeichen“ oder „Grammeme“ bezeichnen kann, dazu, Beziehungen zwischen den Sprachzeichen oder zwischen Sprachzeichen und Sprechsituation herzustellen. Sie haben somit relationale Funktion.

Innerhalb dieser beiden Gruppen lassen sich jeweils wieder zwei weitere Unterscheidungskriterien finden: Es handelt sich um eine formale Differenzierung zwischen freien Morphemen, die ohne Hinzufügen weiterer Elemente als selbstständige Wörter auftreten können, und gebundenen Morphemen, die nur in Verbindung mit weiteren Morphemen wortfähig sind.

Beispiele für diese so entstehenden vier Gruppen sind Bus als ein freies Inhalts- und mit, an oder zwischen als ein freie Funktionswörter, sowie geh- in gehen[3] als gebundenes lexikalisches und –te in lachte oder weinte als gebundenes grammatisches Morphem. Gebundene Funktionswörter sind somit Affixe.

Lexikalische und grammatische Zeichen können somit beide sowohl frei, als auch gebunden auftreten. Es besteht allerdings die Tendenz, dass erstere praktisch eher frei vorkommen, während zu beobachten ist, dass grammatische Zeichen weitaus häufiger gebunden auftreten. Diese Tendenz, grammatische Zeichen eher als gebundene zu realisieren, zeigt sich zum Beispiel daran, dass freie Funktionswörter im Zuge des Sprachwandels oftmals zu gebundenen werden. Präpositionen sind trotz ihrer grammatischen Funktion dagegen typischerweise frei und historisch aus lexikalischen Zeichen entstanden.

Des Weiteren unterscheiden sich die beiden Gruppen durch ihre Größe und Geschlossenheit. So bilden lexikalische Zeichen ein sehr großes und lockeres Wortfeld, da es sich hierbei um eine offene Klasse handelt, zu der ständig zahlreiche Mitglieder verschiedener Wortarten wie Substantive und Adjektive hinzukommen, alte aber auch verloren gehen. Innerhalb der Gruppe grammatischer Zeichen gibt es dagegen eigentlich stärker geschlossene Klassen, sodass hier die Anzahl der Mitglieder weitgehend konstant bleibt. Beispielsweise die Klasse von Hilfsverben zur Tempusbildung umfasst nur drei Elemente (haben, sein und werden).

Wenngleich grammatische Zeichen typischerweise geschlossene Klassen bilden, deren Anzahl von Mitgliedern benennbar sind, können aber auch neue grammatische Zeichen entstehen. So kann sich auch bei geschlossenen grammatischen Klassen der Mitgliederbestand verändern (vgl. Diewald 1997, 1ff). Die für grammatische Zeichen eher untypische relative Offenheit des Wortfeldes Präposition kommt in Kapitel 4 näher zum Ausdruck.

Veränderungen im Mitgliederbestand einer Klasse einerseits und andererseits den Wechsel einzelner Elemente von einer Klasse in eine andere untersucht die Grammatikalisierungsforschung. Dabei geht sie von unterschiedlichen Grammatikalisierungsgraden aus und integriert Übergangsfälle zwischen ‚sauber getrennten Kategorien’, indem sie von einem Prozess ausgeht und deshalb von Anfang an keine scharfen Grenzen zwischen Einheiten und Kategorien erwartet.

Sie macht es sich also zur Aufgabe, eine mehr oder weniger ausgeprägte Kategorialität von Formen zu untersuchen.

Diese Untersuchungen haben sowohl einen diachronen, als auch einen synchronen Aspekt: Ersterer

„[...]betrifft die Entstehung grammatischer Bedeutung bei einem Zeichen, das zunächst nur lexikalische Bedeutung hatte. Es war dieser historische Aspekt der Grammatikalisierung, der zuerst in der Sprachwissenschaft Bedeutung fand und Anlaß zur inzwischen berühmten ersten Definition der Grammatikalisierung gab. Sie stammt von Meillet [1912] 1926, der in dem Aufsatz ‚L´évolution des formes grammaticales’ zeigt, daß grammatische Formen durch zwei verschiedene Prozesse entstehen, nämlich einerseits durch Analogie [...] oder eben durch Grammatikalisierung [...] (Diewald 1997, 5f).

Der zweite, synchrone Aspekt der Grammatikalisierung wird dargestellt durch das gleichzeitige Auftreten von sprachlichen Zeichen in verschiedenen Stufen zwischen lexikalischer und grammatischer Funktion.

Bei der Untersuchung von Grammatikalisierungsgraden deutscher Präpositionen im folgenden Kapitel soll dieser synchrone Aspekt im Vordergrund stehen, auch wenn es immer wieder nötig sein wird, ansatzweise auch auf die bisherige diachrone Entwicklung einer Präposition einzugehen.

Der Vollständigkeit wegen soll an dieser Stelle noch erwähnt sein, dass innerhalb der Grammatikalisierungsforschung noch ein weiteres Untersuchungsfeld wichtig ist, das mithilfe der Grammatikalisierung untersucht werden kann: Der Sprachvergleich zwischen unterschiedlichen Sprachen. Hierbei wird deutlich,

„[...]wie wichtig es (auch in der Grammatikalisierungsforschung) ist, zwischen der Bedeutungs- oder Inhaltsseite und der Form- oder Ausdrucksseite der Sprache zu unterscheiden. [...]. Erst diese Unterscheidung öffnet die Augen für die Tatsache, dass die ‚gleichen’ Inhalte sowohl lexikalisch als auch grammatisch ausgedrückt werden können (Diewald 1997, 8).

[...]


[1] Aus Gründen der einfacheren und flüssigeren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit im Sinne des „generischen Maskulinum“ nur die maskuline Form von Personenbezeichnungen verwendet. Es sind aber in gleicher Weise beide Geschlechter gemeint.

[2] Bei dieser Klassifizierung werden Eigennahmen ausgeschlossen und im Folgenden außer Acht gelassen.

[3] Abzusehen ist hier vom Imperativ der 2. Person Singular des Präsens Aktiv. Doch nimmt der Imperativ ohnehin eine Sonderrolle ein, denn Flexion versteht sich als ein regelmäßiges Veränderungsmuster durch alle Klassen., der Imperativ existiert aber lediglich in der 2. Person Aktiv. Somit wird er gelegentlich von Grammatikern auch zur Wortbildung und nicht zur Konjugation von Verben gezählt.

Fin de l'extrait de 20 pages

Résumé des informations

Titre
Syntaktische Zweifelsfälle aus der Perspektive der Grammatikalisierungsdebatte
Sous-titre
Am Beispiel deutscher Präpositionen
Université
Ruhr-University of Bochum  (Germanistisches Institut)
Cours
Hauptseminar: Syntaktische Zweifelsfälle
Note
1,3
Auteur
Année
2005
Pages
20
N° de catalogue
V113904
ISBN (ebook)
9783640147366
ISBN (Livre)
9783640147397
Taille d'un fichier
494 KB
Langue
allemand
Mots clés
Syntaktische, Zweifelsfälle, Perspektive, Grammatikalisierungsdebatte, Hauptseminar, Syntaktische, Zweifelsfälle
Citation du texte
Sandra Küpeli (Auteur), 2005, Syntaktische Zweifelsfälle aus der Perspektive der Grammatikalisierungsdebatte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/113904

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