Zum Verhältnis des Menschen zum Tier. Unter Bezugnahme der philosophischen Anthropologie Max Schelers


Essay, 2019

13 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Zum Verhältnis des Menschen zum Tier unter Bezugnahme der philosophischen Anthropologie Max Schelers

„Ungebrochen durch alle naturwissenschaftliche Erschütterung lebt der Geist alter Schöpfungsmythen fort in den Selbstverständlichkeiten eines materialistischen Weltbildes ohne echt Sensibilität für das Lebensinteresse aller nichtmenschlichen Natur. Seit zweitausend Jahren sieht sich der Mensch als legitimer Herrscher über eine beherrschbare Umwelt, geschaffen zum Zweck ihrer Ausbeutung. Doch was lange, vielleicht schon zu lange, gut ging, führt heute in immer schnelleren Schritten zur Katastrophe.“1

Richard David Precht

In Deutschland leben ungefähr 8 Millionen Vegetarier und rund 1,3 Millionen Veganer, die Tendenz ist steigend. Dies zeigen aktuelle Studien des Instituts für Demoskopie Allensbach, das Meinungsforschungsinstitut YouGov und das Marktforschungsinstitut Skopos.2 Noch im Jahr 2008 lag die Anzahl der vegan lebenden Menschen nur bei rund 80.000. Dies erwies die Nationale Verzehrsstudie ll.3 Demnach zeigt sich, dass das Verantwortungsbewusstsein der Menschen gegenüber den Tieren wächst. Die Hauptgründe für den Verzicht auf tierische Produkte sind Umweltschutz, Welternährung und die eigene Gesundheit. Der häufigste Weg zur veganen Ernährung aber führt über die ethische Frage und somit ist der Hauptgrund für den Verzicht auf tierische Produkte der Tierschutz.4 Der folgende Essay setzt sich mit der Frage nach den Gründen für den Anstieg dieser Zahlen auseinander und somit mit der aktuellen Debatte zwischen Veganern und omnivoren Essern. Es soll dabei um die Argumentation und Rechtfertigung der Überzeugung der jeweilen Gruppierungen gehen, indem Gründe und Argumente untersucht werden. Hauptsächlich aber soll unter philosophischem Blickwinkel des Verhältnisses des Menschen zum Tier, analysiert und mithilfe der philosophisch-anthropologischen Schrift Die Stellung des Menschen im Kosmos von Max Scheler herausgefunden werden, inwiefern Veganer und omnivore Esser in ihren jeweilen Standpunkten zu rechtfertigen sind, beziehungsweise wie er das Verhältnis zwischen Mensch und Tier beschreibt. Es soll herausgearbeitet werden, ob der Mensch in höherem Maße ein Lebewesen ist, als Tiere es sind und wenn ja, ob dies rechtfertigt, tierische Produkte zu sich zu nehmen oder drastischer gesagt: Tiere in dem Maße, indem es heutzutage tagtäglich geschieht, zu töten und zu schlachten.

Einer der Gründe warum die Zahlen der Menschen, die auf Fleisch und andere tierische Produkte verzichten seien, nach dem Philosophen Richard David Precht, zwei Ereignisse in den Jahren 1996 und 1997 gewesen. Zum einen sorgte der sogenannte Rinderwahnsinn, der für mediale Aufmerksamkeit sorgte und ein Jahr später das Schaf namens Dolly, welches mehrere Mütter hatte, aber keinen Vater.5 Die Seuche der Rinder und die Genmanipulation des geklonten Schafes sorgten für spektakuläres Aufsehen, welches bei den Menschen seither für ein ausgeprägteres Interesse bezüglich der Schlachtung, der Haltung sowie der künstlichen Fortpflanzung der Tiere sorgt. Im Zeitalter des Internets, indem quasi jeder veröffentlichen kann, was er möchte, wurde die Realität der Massentierhaltung noch anschaulicher. Allerdings reagiert die Politik innerhalb der Tierschutzgesetze gemäßigt auf die Besorgnis der Verbraucher.

„Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“6

Dieser § 1 des Tierschutzgesetzes ist im deutschen Grundgesetz verankert. Er wurde am 24. Juli 1972 erstmals ausgefertigt7 und im Dezember 2018 letztmals erneuert8. Im Folgenden wird jedoch die tagtägliche Fehlinterpretation dieses Gesetzes verdeutlicht. Zudem ist es nach vorheriger Antragsstellung mit zugehöriger Genehmigung erlaubt, Tierversuche zu unternehmen sowie mit ihnen zu handeln. Zu Gründen des Tierschutzes im Rahmen einer veganen Ernährung zählt nicht ausschließlich die Tötung der Tiere, sondern auch das Leid, welches ihnen bei der Schlachtung widerfährt und die Ausbeutung sowie nicht-artgerechte Haltung auf dem Hof oder auch bei Transporten. Oftmals geht es dabei um Tiere, beziehungsweise tierische Produkte, von denen wir denken, wir würden lediglich ein Abgabeprodukt der Tiere verbrauchen, wie beispielsweise Milchprodukte. Wenn letztendlich für den Verzehr dieser tierischen Produkte für den Verbraucher die Tötung des Tieres nicht notwendig ist, so ist sie es aber augenscheinlich aus wirtschaftlicher Sicht für den Bauern. Milchkühe werden meist schon nach wenigen Jahren geschlachtet, da ihre Milchleistung nachlässt.9 Sie werden künstlich geschwängert, damit ihr Körper überhaupt Milch produziert, wobei sie im Prinzip ihr ganzes Leben lang schwanger sind und ihr Körper kaum Pause machen kann. Sie dürfen ihre Nachkommen nicht einmal aufziehen, denn sie werden ihnen meist unmittelbar nach der Geburt weggenommen.10 Männliche Nachkommen der Milchkühe werden zu großen Teilen direkt geschlachtet (Kalbsfleisch) und ihre weiblichen Jungen erleiden das gleiche Schicksal wie deren Mütter und werden ebenso zu Milchkühen.11 Genauso wird der wirtschaftliche Vorteil dem Leben der männlichen Küken der Legehennen vorgezogen. Bei der Züchtung von Legehennen werden die männlichen Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet, sie werden vergast oder in einen Shredder geworfen. Es handelt es sich dabei um etwa 45 Millionen Hühner jährlich.12 Diese beiden Beispiele sind nur ein kleiner Teil von vielen Argumenten, die gegen die Massentierhaltung mit unzumutbaren Lebensumständen für die Tiere sprechen. Der französische Philosoph Jaques Derrida konstruierte dazu ein übertriebenes Gedankenspiel zum Vergleich:

„So als ob, zum Beispiel, Ärzte oder Genetiker (zum Beispiel nazistische), statt ein Volk in Gaskammern und Krematorien zu werfen, beschlossen hätten, mittels künstlicher Befruchtung eine Überproduktion und -reproduktion von Juden, Zigeunern und Homosexuellen zu organisieren, die, immer zahlreicher und immer wohlgenährter, in stetig wachsender Zahl für ein und dieselbe Hölle bestimmt gewesen wären, nämlich die der erzwungenen Genexperimente, der Vernichtung durch Gas oder durch Feuer.“13

Gleichermaßen faktische Argumente können omnivore Esser nicht vorbringen. Gegenargumente wären beispielsweise, dass Pflanzen auch Lebewesen seien, wogegen man deutlich machen könnte, dass Tiere in weitaus stärkerem Maße fähig sind zu leiden, als Pflanzen, worauf ich im weiteren Verlauf noch spezieller eingehen werde. Weiterhin wird Nährstoffmangel als Argument für eine omnivore Ernährungsweise erklärt, was dem Schutz der Tiere dagegen in jeglicher Hinsicht nachsteht. Wenn also faktisch die Argumentation der Tierschützer und Veganer um Längen nachvollziehbarer, vernünftiger und logischer ist, wie kommt es dann dazu, dass wir Nutztiere dermaßen ausbeuten und schlachten? Wie kommt es dazu, dass wir sie überhaupt als Nutztiere bezeichnen, wenn sie doch im Grundgesetz als Mitgeschöpfe unseres Lebens bezeichnet sind? Sind sie wirklich Mitgeschöpfe unseres Daseins oder sind sie uns Menschen so sehr unterlegen, dass es allein dadurch gerechtfertigt ist, sie zu nutzen ? Um der Beantwortung dieser Fragen ein Stück näher zu kommen, müsste man sich fragen, welche Stellung wir Menschen in der Welt einnehmen und in welchem Verhältnis sie zu den Tieren steht. Max Scheler hat sich aus philosophisch-anthropologischer Sichtweise mit genau dieser Frage auseinandergesetzt. In seiner Schrift Die Stellung des Menschen im Kosmos untersucht Max Scheler die Frage nach der Sonderstellung des Menschen.

„Ob dieser zweite Begriff, der dem Menschen als solchem eine Sonderstellung gibt, die mit jeder anderen Sonderstellung einer lebendigen Spezies unvergleichbar ist, überhaupt zu Recht bestehe – das ist unser Thema.“14

Er entwickelt ein Stufenmodell der Psyche, in dem er die Kategorie Lebewesen genau definiert. Die Psyche der Lebewesen setze sich nach Scheler aus drei aufeinander aufbauenden Stufen zusammen. Aus dem Gefühlsdrang als der untersten, aus dem Instinkt als der zweiten Stufe, dem assoziativen Gedächtnis als der dritten Stufe sowie der organisch gebundenen praktischen Intelligenz als der vierten Stufe. Die Grenze des Lebendigen falle dabei mit der der Psyche zusammen. Lebewesen seien nicht nur objektiv zu identifizieren, sondern sie besitzen nach Scheler auch ein Fürsich und Innesein. Die unterste Stufe dieses Modells sei der Gefühlsdrang, in der alle Lebewesen Anteile fänden. Diese Stufe gelte als Fundament und sei dadurch die breiteste Stufe, denn alle Lebewesen enthalten Anteile dieses Gefühlsdrangs. Er bezeichne hauptsächlich einen Drang oder Trieb, dem nicht bewusst nachgekommen werde, sondern mechanisch.

„[…] zugleich der Dampf, der bis in die lichtesten Höhen geistiger Tätigkeit alles treibt, auch noch den reinsten Denkakten und zartesten Akten lichter Güte die Tätigkeitsenergie liefert – bildet der bewußtlose, empfindungs- und vorstellungslose „Gefühlsdrang“.“15

Beispielhaft zu nennen seien auf dieser untersten Stufe die Pflanzen. Sie besitzen zwar keine Sinnesorgane, Empfindungen oder ein Bewusstsein, aber sie bewegen sich Hinzu und Weg von, zum Beispiel hin zum Licht. Ebenso sei der Drang zu Wachstum und Fortpflanzung vorhanden, wobei diese auf passive Art und Weise vollzogen werde. Dieser Drang lasse sich mit dem Triebleben der Tiere vergleichen. Weiterhin mangele es den Pflanzen an der Kundgabefunktion, wie sie bereits alle Tiere entwickelt haben. Dennoch spricht Scheler ihnen das Urphänomen des Ausdrucks zu, denn sie seien in der Lage den Zustand ihres Inneren „wie matt, kraftvoll, üppig, arm“16 auszudrücken. Des Weiteren sei ein wesentlicher Unterschied zwischen Pflanze und Tier, dass der Pflanze anorganische Stoffe als Nahrung ausreichen, was zur Folge hat, dass sie keine Empfindungen benötigen. Ebenso wie die mangelnde Zentralisierung, welche zur Folge hat, dass jeder Reiz „[…]auf Grund des reizleitenden Gewebesystems der Pflanze in höherem Maße den ganzen Lebenszustand[…]“17 ändert.

[...]


1 Richard David Precht: Noahs Erbe Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. Hamburg 2000. S. 10.

2 https://vebu.de/veggie-fakten/entwicklung-in-zahlen/anzahl-veganer-und-vegetarier-in-deutschland/ aufgerufen am: 19.03.2019.

3 https://www.bmel.de/DE/Ernaehrung/GesundeErnaehrung/_Texte/NationaleVerzehrsstudie_Zusammenfassung.html aufgerufen am: 19.03.2019.

4 https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/warum-vegan aufgerufen am: 19.03.2019.

5 Richard David Precht: Noahs Erbe. S. 9.

6 § 1 Satz 2 TierSchG.

7 Tanya Ursula Reymann: Vergleichende Überprüfung des Tierschutzes in Schlachthöfen anhand rechtlicher Vorgaben und fachlicher Leitparameter. Inaugural- Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. München 2016. S.8.

8 https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl118s2586.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl118s2586.pdf%27%5D__1553245254264 aufgerufen am: 22.03.2019.

9 https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/warum-vegan aufgerufen am: 21.03.2019.

10 https://www.peta.de/milchindustrie aufgerufen am. 21.03.2019.

11 https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/warum-vegan aufgerufen am: 21.03.2019.

12 https://www.bmel.de/DE/Tier/Tierwohl/_texte/Tierwohl-Forschung-In-Ovo.html aufgerufen am: 21.03.2019.

13 Jacques Derrida: Das Tier, das ich also bin. Hrsg. von Peter Engelmann. Wien 2010. S. 50.

14 Max Scheler: Die Stellung des Menschen im Kosmos. In: Gesammelte Werke Bd.9. Bern 1976. S.12.

15 Ebd. S.13.

16 Ebd. S. 15.

17 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Zum Verhältnis des Menschen zum Tier. Unter Bezugnahme der philosophischen Anthropologie Max Schelers
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Philosophische Fakultät)
Note
2,0
Jahr
2019
Seiten
13
Katalognummer
V1140878
ISBN (eBook)
9783346516930
ISBN (Buch)
9783346516947
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophische Anthropologie, Tierethik
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Zum Verhältnis des Menschen zum Tier. Unter Bezugnahme der philosophischen Anthropologie Max Schelers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1140878

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