Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Definitionen
2.1.1 Aggression
2.1.2 Gewalt
2.2 Gewalttheorien
2.2.1 Psychologische Theorien
2.2.2 Biologische Theorien
2.2.3 Soziologische Theorien
3. Forschungsstand
3.1 Studien
3.2 Gewaltprävention
4. Hypothesenbildung
5. Die Empirische Untersuchung
5.1 Darstellung der empirischen Methode
5.2 Aufbau und Durchführung der Umfrage
5.3 Ergebnisdarstellung
5.3.1 Die Stichprobe
5.3.2 Häufigkeiten von Drohung und Gewalt
5.3.3 Häufigkeiten in den verschiedenen Arbeitsfeldern
5.3.4 Gewaltprävention
5.4 Interpretation der Auswertung
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
In der Sozialen Arbeit gibt es viele Bereiche, in denen Gewalt und Aggressionen beinahe zur Tagesordnung gehören. Pädagogische Fachkräfte wie ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen beraten und unterstützen KlientInnen in schwierigen Lebenslagen. Oftmals haben diese schon Gewalterfahrungen im Kindes- oder Jugendalter machen müssen, oder sind erst kürzlich Opfer von psychischer und/oder körperlicher Gewalt geworden. Aber auch andere Belastungen können zu dieser Situation führen. Diese Erlebnisse spiegeln sich schlussendlich oft in aggressiven oder gewalttätigen Verhalten wider. Ein bislang totgeschwiegenes Thema ist, dass auch jene pädagogischen Fachkräfte, die ihren KlientInnen zur Seite stehen, in ihrer Arbeit Opfer von Gewalt durch eben diese werden können.
Im Rahmen meiner dreijährigen Arbeit in einer Kinder- und Jugendwohngruppe habe ich persönlich bereits solche Erfahrungen machen müssen. Andere MitarbeiterInnen oder ich selbst wurden Opfer von gewalttätigen Übergriffen durch KlientInnen, teilweise mit Auswirkungen erheblicher psychischer Belastungen. Solche Erfahrungen können dazu führen, dass die zukünftige Arbeit durch Angst geprägt und die eigene Arbeit(-sfähigkeit) hinterfragt wird.
In Deutschland ist bislang wenig zu dem Thema bekannt, ob und wie häufig Sozialarbeitende Opfer von Gewalt durch KlientInnen werden. Aufgrund dessen gilt mein Interesse der Frage, wie stark die Bedrohung tatsächlich durch KlientInnen im Arbeitsalltag von pädagogischen Fachkräften ist und wie in den verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit mit dem Aspekt Gewalt umgegangen wird.
Für die empirische Forschung zu Gewalt gegen pädagogische Fachkräfte und Gewaltprävention wurde ein Online-Fragebogen erstellt, welcher von 48 pädagogischen Fachkräften ausgefüllt wurde.
Die Arbeit wird sich zunächst mit den theoretischen Grundlagen beschäftigen. Dafür werden anfänglich die Begrifflichkeiten Aggression und Gewalt definiert. Darauf aufbauend werden Erklärungsansätze und Theorien für Gewalt aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten vorgestellt. Im Anschluss werden ausgewählte Studien zu dem Thema dargestellt. Ergänzend zu den durch den Theorieteil erworbenen Erkenntnissen werden dann verschiedene Aspekte der Gewaltprävention in der Sozialen Arbeit erläutert.
Im methodischen Teil der Arbeit wird zunächst die zum Einsatz kommende quantitative Forschungsmethode erklärt. Nachdem anschließend der Aufbau der Umfrage erörtert wurde, folgt die Auswertung der Ergebnisse, die anhand von Grafiken, Tabellen und Diagrammen verdeutlicht werden. Die Arbeit schließt mit einem Fazit zu der Auswertung der Ergebnisse einerseits, sowie zu der eingehenden Frage, ob und wenn ja, wie häufig pädagogische Fachkräfte Gewalterfahrungen durch ihre Klientinnen machen müssen.
2. Theoretische Grundlagen
Im folgenden Kapitel werden die für das Verständnis dieser Ausarbeitung erforderlichen theoretischen Grundlagen erläutert. Dafür erfolgt zunächst die Definition der Begriffe Aggression und Gewalt, der sich und daran anschließend befinden sich psychologische, biologische sowie soziologische Theorien für Gewalt anschließen. Zuletzt wird der Bezug zur Praxis der Sozialen Arbeit genommen, indem vergangene Studien zu dem Thema Gewalt gegen SozialarbeiterInnen und Maßnahmen zur Gewaltprävention aufgezeigt werden.
2.1 Definitionen
Aggression und Gewalt werden aus vielen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet und versucht zu erklären, wodurch verschiedene Ansätze von Definitionen entstehen und es nicht eine allgemeingültige Definition gibt.
Auch im Sprachgebrauch werden beide Begriffe oft gleichbedeutend gebraucht. Grundlegend lassen sich jedoch einige Unterschiede herausarbeiten, wodurch zunächst der umfassende Begriff „Aggression“ definiert werden sollte, da dieser Gewalt beinhaltet.
In der Psychiatrie wird das Hauptaugenmerkmal auf Menschen gelegt, die die gesellschaftlichen Normen überschreiten. Dort gilt aggressives Verhalten beispielsweise auch als ein Symptom für psychische Krankheiten wie zum Beispiel der antisozialen Persönlichkeitsstörung. (vgl. Wahl 2009, S. 6 f.)
2.1.1 Aggression
Der Begriff „Aggression“ bezieht sich auf das lateinische Wort „aggredior – aggredi“, welches angreifen/herangehen bedeutet, und welches das charakteristisch feindselige und herausfordernde Verhalten in den Vordergrund stellt. Nach Kilb gilt die Aggression als „eine Person oder einen Gegenstand schädigende/s Angriffsverhalten/Tat“. Aggressivität gilt „als der Verhaltensimpuls und/oder das Gefühl, das der Aggression vorangeht“ (Kilb 2012, S. 13). In den meisten Fällen tritt aggressives Verhalten als negative Emotion in Folge von andauernden Spannungsverhältnissen auf, wie zum Beispiel bei Provokation oder Frust. Jedoch wird der Begriff nicht in allen Ansätzen als feindselig betrachtet. Demnach werden Aggressionen nicht nur genutzt, um andere zu schädigen, sondern können ebenfalls zur Erlangung von Ressourcen dienen, oder aber der Vermeidung bzw. Beendigung bestimmter Situationen und der Durchsetzung des eigenen Willens. In der Wissenschaft werden Aggressionsformen zudem als dualistisch bezeichnet; die dabei ausgemachten Gegensätze lauten wie folgt:
- offen und verdeckt,
- reaktiv und proaktiv,
- affektiv und raubtierhaft,
- defensiv und offensiv,
- sozialisiert und untersozialisiert,
- impulsiv und kontrolliert,
- feindselig und instrumentell sowie
- impulsiv und geplant.
Bei Autoren wie Steiner werden diese als heiße (reaktiv, affektiv, defensiv, impulsiv) und kalte (proaktiv, instrumentell, planerische) Aggressionen bezeichnet. (vgl. Wahl 2010, S. 9)
Für Wahl selbst ist Aggression „ein Ensemble von aus der Naturgeschichte stammenden bio-psychosozialen Mechanismen, die der Selbstbehauptung oder Durchsetzung gegen andere mit schädigenden Mitteln dienen. Form und Stärke der Aggression werden durch die genetische Ausstattung des Individuums, seine Sozialisation und gesellschaftliche Umstände gestaltet, aktiviert oder gehemmt.“ Aggressivität sei dabei „das individuelle Potential für aggressives Verhalten“ (Wahl 2010, S. 10).
Dutschmann hingegen entwickelte in Bezug auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein Modell, in dem zwischen drei Aggressionstypen unterschieden wird, genannt die ABC-Typologien.
Typ A (instrumenteller Typ) zielt darauf ab, anderen Menschen Schaden zuzufügen, um einen eigenen Vorteil zu erlangen.
Typ B (emotionaler Typ) baut mit dem aggressiven Verhalten innere Spannungen und Druck ab, welche durch erhöhte emotionale Erregung verursacht wird. Die Fremdgefährdung wird dabei in Kauf genommen.
Typ C (Erregungstyp) äußert sich durch ausgeprägt erregtes und ungesteuertes Verhalten. Durch den Kontrollverlust kommt es häufig zu Fremd- und/oder Selbstschädigungen. (vgl. Ljubez 2014, S. 39)
2.1.2 Gewalt
Der Begriff Gewalt wird von jedem Menschen subjektiv verstanden, wodurch es keine eindeutige Definition gibt. Ursprünglich lässt es sich von dem germanistischen Wort „walten“ ableiten und beschreibt dadurch den Prozess etwas bewirken zu können. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Gewalt leidglich als eine Handlung verstanden, in der ein Mensch (bewusst) jemandem physisch oder psychisch Schaden zufügt. Gewalt hat jedoch verschiedene Erscheinungsformen. Aufgrund des fehlenden einheitlichen und allgemeingültigen Begriffsverständnisses für Gewalt, hat Kilb dahergehend die durch Zimbardo und Gerrig aufgestellte Definition mit Reemtsmas Verständnis von Gewalt zusammengeführt.
Gewalt wird demnach verstanden als „ein gesellschaftlich-historisch entweder verbotenes, erlaubtes oder gebotenes Angriffsverhalten“ oder auch als ein „als körperliche/r, sachbezogene/r, psychische/r Beschädigung oder Angriff, bzw. als strukturelle oder im Sinne staatlichen Machtmonopols erfolgter Einschränkung“ (Kilb 2012, S. 13).
In der Soziologie ist bei physischer Gewalt das Element der Macht entscheidend. Eine Machtausübung mündet in der absichtlich körperlichen Verletzung, welche als Aktionsmacht gedeutet wird. Sie kann jedoch auch als Drohung zu verstehen sein, um eine dauerhafte Unterwerfung herbeizuführen. Nicht weniger bedeutend ist die psychische Gewalt, welche oft unterschätzt wird. Diese Form der Gewalt macht sich insbesondere im geminderten Selbstwertgefühl bemerkbar. (vgl. Wahl 2012, S. 11).
Eine weitere, eher indirekte Form der Gewalt ist die strukturelle Gewalt, welche ohne erkennbaren Akteur verläuft und sich aus Differenzierungsaspekten und institutioneller Gewalt zusammensetzt. Diese Form ist jedoch stark umstritten, da sie sich durch ungleiche Machtverhältnisse äußert und dadurch auch als soziale Ungleichheit bezeichnet wird. (vgl. Kilb 2012, S. 12)
Institutionelle Gewalt kann fortgehend auch durch physische Sanktionsmöglichkeiten auf dauerhafte Abhängigkeit und Unterwerfung gerichtet sein, beispielsweise in Diktaturen oder autoritären Staatsformen. (vgl. Wahl 2012, S. 12)
Im englischsprachigen Raum wurden außerdem mehrere Definitionen entwickelt mit direktem Bezug auf die Gewalt gegenüber pädagogischen Fachkräften bzw. SozialarbeiterInnen. Ein Beispiel dafür ist die Aussage von National Taskforce on Violence Against Social Care Staff. Sie definieren Gewalt als „Vorfälle, in denen Personen in Bezug zu ihrer Arbeit in einer Art und Weise beschimpft, bedroht oder körperlich angegriffen werden, dass deren Sicherheit, Wohlergehen und Gesundheit bedroht sind“ (Wolbold 2002, S. 156). Dazu gehören auch schwerwiegende und anhaltende Belästigungen rassistischer und sexueller Natur oder kleinere Vorfälle und Bedrohungen der Familie (des Sozialarbeitenden). Sie möchten damit auf das ganze Spektrum von Gewalt aufmerksam machen, da viele Aktionen oft verharmlost werden.
Darauf aufbauen definiert Bowie Gewalt als eine „empfundene oder tatsächliche verbale oder emotionale Bedrohung oder ein körperlichen Angriff auf eine Person oder deren Eigentum von einer anderen Person, Gruppe oder Organisation während der Ausübung von Aufgaben, die mit dem Beruf zu tun haben“ (Wobold 2002, S. 156). Wichtig sei laut Bowie, dass auch empfundene und verbale Gewalt mit einbezogen werde sowie auch Angriffe gegen das Eigentum. (vgl. Wobold 2002, S. 156)
Auch Fent vertritt eine klare Meinung bezüglich Gewalt in Bezug auf pädagogische Fachkräfte. Allein aggressiven Verhalten reiche nicht aus, so Fent, um die Gewalt zu begründen. Er ist der Meinung, dass professionelle Pädagogen aggressive Äußerungen und aggressives Verhalten hinnehmen müssten, wenn sie mit Menschen arbeiten, die sich in einer Zwangslage oder anderen schwierigen Situationen befinden. Jedoch sollten das aggressive Verhalten und die Drohungen nicht lediglich hingenommen, sondern ernst genommen werden. Es geht ihm darum, diese Aktionen nicht in erster Instanz als Gewalt zu bezeichnen. Es sei erst Gewalt, wenn die Pädagogischen Fachkräfte von Klienten „gezielt als Opfer direkter körperlicher Einwirkung ausgewählt angegriffen und verletzt werden“ (Fent 2007, S. 2).
Die verschiedenen Aussagen und Definitionen zeigen, welche Dimensionen der Begriff Gewalt mit sich trägt, und verdeutlicht nur mehr, warum das Aufstellen einer allgemeingültigen Definition bislang nicht möglich war.
2.2 Gewalttheorien
Viele vereinzelte Wissenschaftsgebiete haben sich mit dem Thema Gewalt, bezüglich der Entwicklung und Ausübung auseinandergesetzt und dazu eine Vielzahl von Erklärungsansätzen und Theorien entwickelt. Diese sollen dazu dienen, Zusammenhänge oder gewisse Abläufe erkenntlich zu machen, um die Taten rückwirkend erklären und infolgedessen Lösungsansätze formulieren zu können. Einige bekannte Erklärungsansätze sollen nun im Folgenden nach einer psychologischen, biologischen sowie soziologischen Sichtweise aufgeteilt und näher erläutert werden.
2.2.1 Psychologische Theorien
Die bekannte Triebtheorie von Freud, welche Aggressionen als angeborenen Trieb des Menschen ansieht, der beschreibt, dass sich zwei Triebe im Menschen von Geburt an gegenüberstehen, und zwar der Lebens- und der Todestrieb. Der Todestrieb ist dabei für die aggressiven und destruktiven Verhaltensweisen zuständig. Dieser „vermischt sich mit der Libido und lenkt Vernichtungsimpulse dieser Handlung nach außen.“ (Kilb 2012, S. 67) Die Umlenkung durch die lebenserhaltenen Energien nach außen seien notwendig, da jener Trieb zu einer Selbstzerstörung führen könne, wenn er sich nach innen richte, wodurch dann wiederum (psychosomatische) Krankheiten und Störungen entstehen können. Des Weiteren beschreibt Freud die Lenkung der Triebe über das Ich, Es und Über-Ich, welche dafür zuständig sind ein Gleichgewicht zwischen beiden Trieben in Bezug auf die soziale Akzeptanz herzustellen. (vgl. Kilb, 2012, S. 67)
Eine weitere psychologische Theorie ist die Frustrations-Aggressions-Theorie nach John Dollart. Diese beschreibt Aggressionen, die durch Frustration bedingt sind und in gezielter, gerichteter und ungerichteter Form auftreten können. Unter Frustration verstehe man nach Dollart dabei die Störung einer zielgerichteten Handlung, Enttäuschungen und Versagungen. Das heißt, die Frustration kann zu mehreren Reaktionen führen. Beispielsweise kann sich Aggression als eine Vergeltungshandlung gegen eine Person äußern (gerichtete Form) oder wie bei Vandalismus oder Fluchen zum reinen Selbstzweck dienen (ungerichtete Form). Die Wahrscheinlichkeit von aggressivem Verhalten werde durch Frustration erheblich erhöht, wodurch sich laut Dollart vermuten ließe, dass Personen mit häufig auftretendem aggressiven Verhalten eine niedrige Frustrationstoleranz haben. Negative Konsequenzen würden dabei verdrängt oder nicht beachtet, und es herrsche eine starke Gegenwartsorientierung. Besonders Schulen würden für Kinder und Jugendliche als großer Frustrationsaspekt angesehen. Eine ähnliche Quelle für Frustration sei dabei die Provokation. (vgl. Strauß 2012, S. 20; Kilb 2012, S. 73)
Auch lernpsychologische Theorien gelten als Erklärungsansätze, da sie davon überzeugt sind, dass Aggressionen sowie auch andere Verhaltensmuster erlernt sind. Jedoch kann Aggressionsverhalten nach diesen Ansätzen auch verlernt werden. Als Lernformen spielen dabei Lernen am Modell, das Lernen über Verstärkung und das kognitive Lernen eine große Rolle. Für die Erklärung von Gewalt erscheint dabei das Lernen am Modell von Bandura am relevantesten, wobei der Akteur von der Beobachtung und Nachahmung von Verhaltensweisen anderer lernt. Es wird angenommen, dass dadurch ein Sozialisationsprozess stattfindet. Am wichtigsten sind hier Erfahrungen in der Familie, da nachweislich viele Gewalttäter bereits als Kinder und Jugendliche selbst Opfer von Gewalt wurden.
Das Modellernen ist auch indirekt möglich, etwa „wenn die eigene Mutter vom Vater misshandelt wird“ (Kilb 2012, S. 66).
2.2.2 Biologische Theorien
Die biologisch orientierten Theorien gehen historisch auf Lombroso zurück, welcher die genetischen Anlagen und körperlichen Merkmalen des Menschen analysierte, um die Vorhersehbarkeit einer aufkeimenden Kriminalität im Menschen zu erforschen. Zur Erklärung für Gewalt einzig und allein sind die Ansätze nach Lombroso nach heutigen Erkenntnissen nicht geeignet, ergänzt durch beispielsweise psychologische und soziologische Konzepte kann seine Theorie für eine Therapie oder Resozialisierung jedoch geeignet sein. Besonders relevant sind die physiologischen Faktoren und Bedingungen für impulsives Verhalten, welche dafür Erkenntnisse liefern können. Bei Gewalt im Jugendalter spielen außerdem körperliche Veränderungen und der körperliche Entwicklungsstand eine Rolle. (vgl. Strauß 2012, S. 19)
2.2.3 Soziologische Theorien
Soziologische Theorien suchen die Ursachen für ein abweichendes oder kriminelles Verhalten nicht bei dem Individuum, sondern betrachten die Auswirkungen von gesellschaftlichen Bedingungen. Sie sind ebenfalls eher als Ergänzung beispielsweise zu den psychologischen Theorien geeignet.
Ein wichtiger Begriff im Bereich der soziologischen Theorieansätze ist der durch Dürkheim eingeführte Begriff Anomie. Dieser bezeichnet einen Zustand fehlender gesellschaftlicher Werte und Normen, herbeigeführt von gesellschaftlichen Umbrüchen und sozialen Krisen. Dies führt zur erhöhten Kriminalität und einem Hang zum Suizid. In Bezug auf Jugendliche kann die Anomie-Theorie aggressives Verhalten erklären, wenn nicht genügend Fähigkeiten oder Mittel zur Verfügung stehen, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen, wodurch das Gefühl der Ablehnung oder tatsächliche Ablehnung infolgedessen das abweichende Verhalten entsteht.
Aus den grundlegenden Ideen der Anomie-Theorie ergibt sich die Subkultur-Theorie, bei der Bedingungsfaktoren der Anomie dazu führen, dass aktuelle Normen und Werte der Gesellschaft abgelehnt und durch neue ersetzt werden. Diese werden als Anpassungsprozesse an unterschiedliche soziale Bedingungen bezeichnet. (vgl. Kilb 2012, S. 76)
Beim Etikettierungsansatz, auch labeling approach genannt, entsteht durch abweichendes oder aggressives Verhalten einer Person eine Etikettierung. Das heißt, dass Merkmale dieser Person auf das gezeigte Verhalten reduziert und dementsprechend behandelt werden. Diese Etikettierung kann jedoch auch zu einer Stigmatisierung führen, wenn die Person das Stigma annimmt. Infolgedessen schließt sich beispielsweise eine Person einer kriminellen Gruppe an, wodurch für sie das Risiko steigt kriminelle Verhaltensweisen zu entwickeln. (vgl. Strauß 2012, S. 22 ff.)
3. Forschungsstand
3.1 Studien
In Deutschland fehlt es gänzlich an Wissen sowie auch an Studien zu dem Thema Gewalt gegen pädagogische Fachkräfte, sprich Sozialarbeitende. International hingegen wurden schon mehrfach Studien zu jenem Thema durchgeführt, insbesondere im englischsprachigen Raum. Diese lassen sich zwar nicht ausnahmslos mit der Arbeit von pädagogischen Fachkräften hier in Deutschland vergleichen, da sich die Arbeitsfelder und -strukturen unterscheiden, jedoch geben sie einen guten Hinweis auf die Häufigkeiten von Gewalt aus seitens der KlientInnen.
So erfolgte beispielsweise eine nationale Studie innerhalb den USA, welche sich mit eben jenem Thema beschäftigte und insgesamt 633 SozialarbeiterInnen befragte. Die Stichprobe erfolgte per Zufallsprinzip. Dabei stellte sich heraus, dass allein im Jahr 2019 42,8 % der Befragten Opfer verbaler Gewalt durch KlientInnen wurden. Physisch bedroht wurden 17,4 %, dabei kam es jedoch nur bei 2,8 % zu einer tatsächlichen Gewalthandlung. Diese Ergebnisse wurden mit einer vergleichbaren Studie von 2004 bestätigt.
2005 wurde in Ontario, Kanada von Macdonald und Sirotich zu dem Thema geforscht. Sie befragten 171 pädagogische Fachkräfte aus verschiedenen Arbeitsbereichen, die Stichprobe erfolgte dabei erneut per Zufallsprinzip. Bei dieser Studie machte sich ebenfalls ein hoher Wert an verbaler Gewalt erkennbar. 56,1 % der Befragten wurden im Zeitraum von zwei Jahren (2003/04) verbal belästigt, die Zahl steigt auf 87,8 %, wenn der Zeitraum auf das gesamte Berufsleben bezogen wird. Die Zahlen von körperlicher Gewalt sind eindeutiger als in der vorherigen Studie. Physisch bedroht wurden 19,6 %, bezogen auf die vorangehenden zwei Jahre, wobei es bei 0,6 % zu einem tatsächlichen Angriff kam. Im Hinblick auf das ganze Berufsleben wurden 63,5 % der Befragten bedroht und 7,8 % davon körperlich verletzt.
In Großbritannien forscht der British Crime Survey in Bezug auf Gewalt gegen SozialarbeiterInnen mit dem Schwerpunkt auf körperliche Gewalt. Für die vorliegende Arbeit wurden die Studien aus den Jahren 1994, 1996 und 1998 zusammengefasst. Die Studie umfasst 781 Befragungen und ist in Kategorien unterteilt. Von den 133 pädagogischen Fachkräften im Bereich der Straffälligenhilfe gaben 9,5 % an, dass sie bedroht und mit einem Anteil von 9,4 % auch nahezu alle körperlich angegriffen wurden. Aus der Fürsorge, Gemeinwesen- und Jugendarbeit gaben von den 162 Befragten 2,8 % an, dass sie bedroht wurden, bei 4,5 % kam es zu einer Gewalttat. Mitarbeiter aus dem stationären Bereich der Altenpflege oder Behindertenarbeit weisen im Vergleich niedrige Werte auf. Hier wurden lediglich 0,3 % der 486 pädagogischen Fachkräfte bedroht und 2,2 % physisch angegriffen.
Auch aus dem kontinentaleuropäischen Raum bestätigt eine Studie aus Portugal solche Ergebnisse. Die Erfahrungen mit verbalen Gewaltformen durch KlientInnen, wie unter anderem das Androhen von Gewalt, wurde von über 50% der Befragten bestätigt. Dafür wurden 108 Mitarbeiter aus dem Bereich der Sozialen Arbeit befragt.
Des Weiteren gibt es wenige Studien, die sich an Studierende der Sozialen Arbeit richten. Dafür wurden Gewalterfahrungen in der Praxis erforscht, zum Beispiel in Praktika oder im Laufe des berufsbegleitenden Studiums. 2003 wurde solch eine Studie durch eine quantitative Methode in Australien von Maidment durchgeführt. Diese zeigt, dass auch Studierende mit physischer sowie auch psychischer Gewalt konfrontiert werden. Von den 39 Befragten erlebten 31 % verbale, eine Person sogar körperliche Gewalt. Eine weitere nationale Studie aus dem Jahre 2010 von Criss, welche 589 Studierende befragte, zeigte ähnliche Werte. 37,5 % wurden Opfer psychischer Gewalt, 14,1 % wurden in Bezug auf körperliche Gewalt bedroht und in 3,5 % der Fälle kam es zu einer tatsächlichen Körperverletzung.
Es bleibt zu bedenken, dass die Zahlen der Studien schwer verglichen werden können, aufgrund der bereits genannten unterschiedlichen Variablen und verschiedenen Zeiträume. Zudem spielen die sich durchweg unterscheidenden Auslegungen und Definitionen von Gewalt eine große Rolle. Auffallend ist jedoch, dass Mitarbeiter in der Sozialen Arbeit, sprich pädagogische Fachkräfte, eindeutig und verstärkt einem Risiko von Gewalt durch KlientInnen ausgesetzt sind. Dies bedarf einer näheren Betrachtung. (vgl. ZHAW, 2019)
3.2 Gewaltprävention
Grundlegend sind Arbeitgeber verpflichtet, sich an bestimmte Richtlinien zu halten zu müssen im Hinblick auf Maßnahmen zur Gewaltprävention. Relevant sind dafür insbesondere Fortbildungen. Dadurch können sich die Mitarbeiter mit dem Thema auseinandersetzen und sich gleichzeitig mit KollegInnen aus anderen Bereichen austauschen. Außerdem kann durch den Zugang zu regelmäßigen Fortbildungen jede Fachkraft für sich selbst entscheiden, inwieweit Bedarf besteht, sich theoretisches Wissen zu dem Thema anzueignen. Regelmäßige Wiederholungen sind dabei wichtig, um das Erlernte nicht zu vergessen, und in Stresssituationen weiterhin abrufbar ist. Als besonders erfolgsversprechend haben sich Rollenspiele herauskristallisiert, da sie dabei helfen können, sich besser in die Situation, zum Beispiel vom gewaltbereiten Klienten, hineinzuversetzen.
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