Der Klassenkampf im Sozialismus als Schule des sozialistischen Bewusstseins


Script, 2021

22 Pages


Excerpt


Im Sommer dieses Jahres brachte Stefan Engel in seiner Eigenschaft als Skribent der MLPD das Buch ‘Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise‘ heraus, und zwar im Verlag ‘Neuer Weg‘/Gelsenkirchen. Wir haben es hier mit dem äußerst seltenen Fall zu tun, dass sich die Mitautorin Gabi Fechtner, die Vorsitzende der MLPD, über den Charakter des kollektiv erstellten Werkes ‘Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise‘ (Revolutionärer Weg 36/2021) irrt. Bei der Besprechung des Buches im von Stefan Engel gelenkten Redaktionskollektivs gab es einen Dissens, ob es sich um ein politisches oder um ein philosophisches Buch handelt? Man hätte gut daran getan, es als eindeutig politisches Buch zu bestimmen, zumal seine starke Seite wirklich die politische Analyse ist, als besonders brillant ragt die präzise Darstellung der Entwicklung des Antikommunismus in der BRD seit 1945 hervor, das ist denn auch der rote Faden des Buches, wobei beim Stammvater der CDU, Konrad Adenauer, noch weiter in die deutsche Geschichte zurückgegangen wird. Sicherlich für viele neu ist die Tatsache, dass ein am 29. Juni 1933 im Kloster Maria Laach von Adenauer an die Bankiersehefrau Dora Pferdemenges geschriebener Brief vorliegt, der die Zeile enthält: “ … meinetwegen auch Hitler“ 1. Hier liegt eine falsche Zeitangabe vor, der Brief wurde nicht gegen Ende der Weimarer Republik geschrieben, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem Hitler bereits an der Macht war. Vollständig lautet der Satz: “M.E. ist unsere einzige Rettung ein Monarch, ein Hohenzoller, oder meinetwegen auch Hitler“.

Auch die Passage über die Verstrickungen der Frankfurter Schule als eine der ‘demokratischen Variante des Antikommunismus‘ enthält zweifelsfrei wertvolles Material, so zum Beispiel Informationen über die gegenrevolutionäre Funktion des im Juni 1950 in Berlin von der US-Regierung gegründeten und von der CIA finanziell ausgehaltenen ‘Congress for Cultural Freedom‘. Sehr aufschlussreich auf Seite 71 der entlarvende Hinweis auf Paul Piccone, ein Vertreter der ‘Kritischen Theorie’ in den USA, der 1977 das wahre Gesicht dieser Theorie, die sich als Weiterentwicklung des Marxismus ausgab, zeigt, dass „ … unsere historische Funktion darin bestand, dem Marxismus ein anständiges Begräbnis zu bereiten“. Hinzu kam, dass im Gefolge des Schaffens Hannah Arendts Intellektuelle die Totalitarismustheorie vertraten mit der Warnung, dass der Kommunismus die Weltherrschaft anstrebe, er die Versuchung des Jahrhunderts sei. Geringe Manipulierung mit Worten reicht aus. Der Kommunismus strebt natürlich keine Weltherrschaft an, sondern eine Welt ohne Herrschaft. Sehr schlüssig, Schritt für Schritt zu verfolgen, wird aufgezeigt, wie der Antikommunismus zur Staatsreligion der BRD hochstilisiert wurde. Ein eigenes Kapitel ist dem von der SPD herangezüchteten Verrat der gegen Stalin ausgerichteten illegal operierende KPD gewidmet. Die Rechtsopportunisten beider Couleurs trafen sich konspirativ zu einem Kuhhandel, dem die ‘Diktatur des Proletariats‘ und die illegale Arbeit zum Opfer fiel. Heraus kam die DKP.

Richtig ist auch die Warnung vor einer übermäßigen Speisung des Gehirns durch das Internet. 1789, dieses klassische bürgerliche Kristall, 1871, dieser Urtyp der Commune, 1905, die Geburt des Sowjets, und 2 x 1917, im Februar und im Oktober, sind durch Buchlektüren Rousseaus, Blanquis, Marx‘ und Lenins vorbereitet worden. Unter dem Banner der Digitalisierung haben sich die Bürger aller Länder heute vereinigt, die Herrschaft der Bilder über die der Wörter zu etablieren, um das Salz der Erde dumm zu machen. Die ‘Rote Fahne‘ der MLPD vergeudet ein Drittel ihrer Ausgaben für Illustrationen und rutscht damit bedenklich ins Genre der Gegenaufklärung ab.

In politischer Hinsicht sind hochinteressante Hinweise vorhanden, die jede/r Revolutionär/in und jede Forscher/in über die Ursachen der Implosion der Sowjetunion in Erwägung zu ziehen hat. Es kann nicht vorbeigegangen werden an der Tatsache, dass 1934 der XVII. Parteitag der KPdSU (B) die von Lenin initiierte Unabhängigkeit der Zentralen Kontrollkommission aufhob (S. 174f.), was nach Lesart der MLPD zu einem weiteren Ausufern der kleinbürgerlichen Denkweise führen musste. Schließlich sei der mächtige Arbeiter- und Bauernkoloss 56 Jahre später an dieser zerbrochen. 1956 hatte sich auf dem XX. Parteitag nach Engel ein ideologischer Überbau für die Machtergreifung einer bürokratischen Monopolbourgeoisie neuen Typs und für die Restauration des Kapitalismus herausgebildet (S. 173f.) Eine ökonomische Gesellschaftsformation (Kapitalismus) soll sich hier also aus dem Überbau heraus entwickelt haben. Das ist natürlich reinster Idealismus, aus dem jungfräulichen Überbau also soll die Sowjetunion zum Kinde ‘Kapitalismus‘ gekommen sein. Solche Purzelbäume schlägt Stefan Engel, solche Purzelbäume schlägt nur Stefan Engel. Der Idealismus ist ja auf immer verdammt, irgendeine Weltschöpfung anzunehmen, und sei sie auch noch so verschroben. Aber auf die Umkehrung des Verhältnisses von Überbau und Basis zu kommen, zu dieser Perversion bedarf es der Naivität eines Genies. Beachtenswert ist auch der Hinweis, dass der Siegeszug der, dies natürlich wieder die Lesart der MLPD, konterrevolutionären Bürokratie, nicht widerspruchsfrei verlief. 1964 hatte sich in der ukrainischen Stadt Balakleya, nicht weit von Charkow entfernt, eine marxistische Gruppe um die beiden Brüder Romanenko gebildet. Im Spätherbst 1964 verhaftet, wurden sie nur durch Fürsprache Maos vor einer langen Haftstrafe bewahrt. Das sind ohne Zweifel sehr wichtige Hinweise, die auf eine immense Forschungsarbeit schließen lassen.

Die schwache Seite des Buches sind seine Ausflüge in das Gebiet der Philosophie. Ach! hätte hier doch nur ein Schutzengel beigestanden! In der Mitte des 18. Jahrhunderts erschien das Hauptwerk des Materialisten Helvétius, das er irreführend ‘Vom Geist‘ betitelte. Die Intellektuellen zerbrachen sich die Köpfe, welche philosophische Schablone auf es passe, sie beachteten nicht, dass es eine systematische Grundlegung einer neuen Politik intendierte. Um nun sogleich durch ein Beispiel anzugeben, so ist es als missglückt zu bezeichnen, anlässlich der Abrechnung mit dem Antikommunismus der ‘Frankfurter Schule‘, eine Abrechnung, die ja ganz berechtigt ist, sich einen Satz aus Adornos ‘Minima Moralia‘ herauszupicken, diesen in einem Atemzug als gegen Hegel und Marx zugleich gerichteten auszugeben, ohne auf den fundamentalen Unterschied zwischen beiden einzugehen, was böswillig als Taschenspielertrick ausgelegt werden könnte, diesen Satz dann falsch zu interpretieren und obendrein mit einer nicht nur an dieser Stelle unzulässig verkürzten Literaturangabe unangenehm aufzufallen.

Fürs erste hätte der Kampfschauplatz, wenn denn die materialistische Dialektik methodologisch das A & O des Marxismus-Leninismus ist, für Engels ist sie die schärfste Waffe und das beste Arbeitsmittel der materialistischen Kommunisten, mit der ‘Negativen Dialektik‘ Adornos besetzt werden müssen, in der sich die Stoßrichtung sowohl gegen die ‘Philosophie und Dialektik des Ostblocks‘ als auch gegen die Restaurierung einer Metaphysik massiert. Mit dem dionysischen Adorno kommt zwar die Dialektik auf den Hund, es liegt hier aber eine berechtigte Kritik von ihm vor, denn der Satz richtet sich gegen Hegels Anmaßung, seine ‘Logik‘ enthalte die Gedanken Gottes vor der Schöpfung der Welt und eines endlichen Wesens und die Philosophie sei eine Wissenschaft über den Wissenschaften, so dass das Weltganze eine Leistung des Weltgeistes sei. Hinter Hegels Ganzem steckt der bei sich selbst seiende Weltgeist, besser: sein Weltgeist, der die Menschen im Sinne eines ihnen gegenüber Höherem, sei es nun Gotthegel oder Hegelgott, verbraucht. Hegel behauptet damit nicht die Nichtexistenz der Welt, sondern die Vollendung des der Menschheit möglichen Wissens. Diese Anmaßung wird nicht nur von Adorno kritisiert, sondern auch von Engels. Engels verfährt aber anders als Adorno, er gibt Hegel Recht und Unrecht zugleich: “Bei allen Philosophen ist grade das ‘System‘ das Vergängliche, und zwar grade deshalb, weil es aus einem unvergänglichen Bedürfnis des Menschengeistes hervorgeht: dem Bedürfnis der Überwindung aller Widersprüche. Sind alle Widersprüche ein für allemal beseitigt, so sind wir bei der sogenannten absoluten Wahrheit angelangt, die Weltgeschichte ist zu Ende, und doch soll sie fortgehn, obwohl ihr nichts mehr zu tun übrigbleibt – also ein neuer unlösbarer Widerspruch. Sobald wir einmal eingesehn haben – und zu dieser Einsicht hat uns schließlich niemand mehr verholfen als Hegel selbst -,daß die so gestellte Aufgabe der Philosophie weiter nichts heißt als die Aufgabe, daß ein einzelner Philosoph das leisten soll, was nur die gesamte Menschheit in ihrer fortschreitenden Entwicklung leisten kann – sobald wir das einsehn, ist es auch am Ende mit der ganzen Philosophie im bisherigen Sinn des Worts“. 2. Es lohnt sich, über den Gedanken – Philosophie im bisherigen Sinn des Worts – nachzudenken und auch über die Feststellung von Engels im Anti-Dühring, dass das Nichtwissen stets das Wissen überwiegt, also Adorno wiederum Recht bekommt. Es gibt nicht die Eine Philosophie, der Whitehead als eine lange Serie von Fußnoten zu Plato anhing. 3. Es gibt nicht Eine immer nur das Eine zu denken habende Metaphysik. Die einseitig negative Kritik Adornos reicht nicht aus, er gehört ganz der Tradition an. Hegel brach diese, brach die Liebe zur Weisheit durch den Gedanken, Philosophie habe eine strenge Wissenschaft zu sein, keine Gedankenspielerei, keine Sammlung von Kalendersprüchen, was den Weg zum wissenschaftlichen Sozialismus wies, Hegel brach sie weiterhin dadurch, dass er zeigte, wie der Geist durch die Weltgeschichte zu sich selbst durchdringt, final als Weltgeist. Für Hegel entwickelt sich der Geist nicht in der Geschichte, sondern als Geschichte. Der Geist ist nun also Weltgeist geworden, für den Idealisten ist nichts mehr zu überbieten, die Geschichte abgeschlossen. Diese idealistische Ganzheit, diese System- und Totalitätsphilosophie und diesen teleologischen Heilsweg der rechten Intelligenz kritisiert Adorno in antimetaphysischer Geste zu Recht. Adorno ist sich jedoch nicht bewusst, dass er in politischer Hinsicht das volksfeindliche Zerspringen in Pluralismen befördert. Dieses Zerspringen ist die Crux bürgerlicher Ideologie, sie entrückt uns weltanschaulich durch das heliozentrische Weltbild, politisch durch die Liquidierung Ludwig XVI., moralisch durch das Aufgeben der Idee eines höchsten Gutes und feiert widrig aller Gesellschaftswissenschaften das einzelne Subjekt außerhalb seines Arbeitsprozesses abstrakt als völlig freie Monade unter Verlust des Gattungsbezuges. Von allen Jakobinern hatte der scharfsinnige Robespierre den Bedeutungszusammenhang am tiefsten erfasst. Am Morgen der Hinrichtung hieß er das Zimmermädchen an, die Vorhänge seines Zimmers geschlossen zu halten, denn heute passiere etwas, dessen Folgen unabsehbar seien. Schon Kant, der Zermalmer der Metaphysik, steuerte dem mit dem Gedanken der ‘Gattung in mir‘ entgegen. Im Namen der traditionellen Metaphysik versuchte Hegel durch ein philosophisches System das Divergierende, den Verlust des Zentrums, durch einen Zug zum Absoluten zu konservieren. Die asoziale Zügellosigkeit der imperialistischen Bourgeoisie mit dem Wort ‘Entfesselung‘ auf den Lippen hat heute diese Klasse zur Negierung ihrer einst sehr progressiven philosophischen Wurzeln gezwungen.

Die Negative Dialektik Adornos leugnet den Fortschritt, eine Höherentwicklung, die Negation der Negation, wird nur als gesteigerte Negativität gefasst. An Becketts absurdes Theaterstück ‘Endspiel‘ hebt Adorno kritiklos hervor, dass nichts zu bedeuten die einzige Bedeutung sei. 1967, zu Beginn der Studentenunruhen, gab die Kommune I ein Flugblatt heraus, auf dem zu lesen stand: ‘Adorno solle sich allein zu Tode adornieren‘. Die Aura des Traumtänzerischen umgab den am Merton College in Oxford ausgebildeten Intellektuellen aus Frankfurt. Es kam eben nicht gut an, wenige Tage nach der polizeilichen Ermordung Benno Ohnesorgs in Berlin einen Vortrag über Goethes Iphigenie zu halten. Überhaupt: Weiterentwicklung des Marxismus? Wo muss der Schwerpunkt liegen? Auf musiksoziologischen Untersuchungen oder auf ‘Noten zur Literatur‘? Oder auf die Vorbereitung der Arbeiter und Bauern auf den bewaffneten Aufstand, den Lenin als höchste Kunst bezeichnete. Er führte weiter aus, dass es in revolutionären Situationen sehr schwierig ist, mit den Ereignissen Schritt zu halten und dass der bewaffnete Aufstand 100mal schwieriger sei als ein Krieg zwischen Nationen. Adorno hörte lieber Musik von Gustav Mahler und verfasste Abhandlungen zur Literatur. Wer sich als Weiterentwickler des Marxismus ausgibt, muss im Kontext dieser Theorie vor allem auf diesem militärischen Gebiet Nachweise erbringen, vor allem aber kampfbereit sein. Er muss mach Anweisung der Klassiker ein klares Feindbild haben, einen gesunden Klassenhass und eine ständige fanatische Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft dem bürgerlichen Staat gegenüber. Dies alles hatte der musische Adorno nicht.

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Details

Title
Der Klassenkampf im Sozialismus als Schule des sozialistischen Bewusstseins
Author
Year
2021
Pages
22
Catalog Number
V1141124
ISBN (eBook)
9783346521897
ISBN (Book)
9783346521903
Language
German
Keywords
klassenkampf, sozialismus, schule, bewusstseins
Quote paper
Heinz Ahlreip (Author), 2021, Der Klassenkampf im Sozialismus als Schule des sozialistischen Bewusstseins, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141124

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