Infotainment nach Andreas Wittwen. Unterhaltungsstrategien im Fernsehen am Beispiel des ZDF-Nachrichtenmagazins "sonntags"


Essay, 2021

14 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Zunehmend scheinen wir nicht nur

auf dem Weg in eine Informationsgesellschaft,

sondern vor allem auf dem Weg in eine Gesellschaft,

die Information unterhaltend darstellt [... ].1

Durch die Einführung des dualen Rundfunksystems 1984 kam es zu einem Wandel des Mediums Fernsehen. Neben dem primären Bedürfnis nach Wissensvermittlung, kam es zu einem Anstieg an Unterhaltungsangeboten, bei denen private Sender als Vorreiter gelten.2 Während reine Informationsangebote bei Sat1 im Jahr 1994 16,6% und Unterhaltungsangebote 5,9% des gesamten Programmes ausmachten, stieg die Informationsvermittlung im Jahr 2020 zwar um 1,3% auf 17,9% an, die Unterhaltungsangebote nahmen jedoch um ganze 37,5% enorm zu (43,3%). Bei RTL, VOX und ProSieben lässt sich ähnliches feststellen. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF blieb die Informationsvermittlung zwar konstant, bzw. stieg sogar leicht an (ARD 1994: 38,4% Information; 2020: 46,7% Information) (ZDF 1994: 45% Information; 2020: 45,5%), doch auch hier lässt sich eine Zunahme an Unterhaltung feststellen (ARD 1994: 9,9% Unterhaltung; 2020: 10,3%) (ZDF 1994: 4,6% Unterhaltung; 2020: 10,3% Unterhaltung).3 Die Tendenz zu mehr Unterhaltung im Fernsehen wird mit den Werbeeinnahme-Verlusten und dem Rückgang der Einschaltquoten von ARD und ZDF Ende der 80er Jahre erklärt, woraus sich ein bis heute andauernder Konkurrenzkampf mit den privaten Sendern entwickelte.4 Infolgedessen entstanden neue Sendeformate wie das Infotainment - eine Kombination aus Informationen und Unterhaltung - welche sich an neue Bedürfnisse des Zuschauers orientiert und ihn emotional erreichen soll.5 In der Infotainment-Forschung stand lange Zeit die Diskussion über das Verhältnis von Information und Unterhaltung im Fokus, weniger beschäftigte man sich mit dem emotionalen Gehalt von Medienbotschaften. Dies erkannte Andreas Wittwen bereits 1995. Durch umfangreiche Untersuchungen ganzer Nachrichtensendungen konnte er gängige Unterhaltungselemente des Fernsehens klassifizieren und hinsichtlich ihrer Beschaffenheit analysieren.6 Bis heute gibt es keine vergleichbare Arbeit und auch keine, die Wittwens Theorie zu bewerten versucht. Da sie mittlerweile veraltet ist, erscheint es sinnvoll, sie zu überprüfen. Exemplarisch wird in dieser Arbeit deshalb eine Reportage des ZDF-Nachrichtenmagazins „sonntags“7 analysiert, mit dem Ziel, die Frage zu beantworten: „Welche Strategien werden nach Wittwen genutzt, um Unterhaltung zu erzeugen?“. Magazin-Formate eignen sich nach Moritz Klöppel besonders gut für die Erzeugung von Infotainment.8 Der Fokus der Analyse wird auf den von Wittwen formulierten Strategien der Moderation, sprachlicher Emotionalisierung und nonverbaler Kommunikation gelegt. Er wird gelegt, weil Wittwen ganze Nachrichtensendungen untersuchte und es sich hierbei um ein Moderatorenstück als Teil einer Nachrichtensendung handelt. Bei der Zitation von Filmbelegen wird die einfache, gängige Standardform der Transkription verwendet, da diese im Rahmen dieser Arbeit den Sachverhalt auszureichend darstellt. Zu Beginn wird ein kurzer, theoretischer Einblick in das Infotainment geliefert.

Der Begriff Infotainment bringt laut dem Medien- und Kommunikationswissenschaftler Louis Bosshart aufgrund der vielfältigen, interdisziplinären Beschäftigung Definitionsprobleme mit sich:

Infotainment wird von rechtlichen Instanzen, Medien bzw. Journalisten und Publika nicht identisch definiert. Aus den unterschiedlichen Erwartungen an diese journalistische Darstellungsform können Konflikte resultieren, die auf je andere Normen zurückgehen. Dies ist in pluralistischen bzw. multikulturellen Gesellschaften auch keineswegs erstaunlich, verhindert aber die einheitliche oder auch nur einvernehmliche Interpretation [...].9

Andreas Wittwen vertritt dieselbe Meinung wie Bosshart, weil Unklarheit darüber herrsche, ob sich das Infotainment auf eine bestimmte Sendungsform, auf inhaltliche Qualitäten, die Gestaltungsform oder Rezeption beziehe.10 Auch Moritz Klöppel erkennt das Facettenreichtum des Phänomens, da es unterschiedliche Infotainment-Gattungen gäbe wie das Confrontainment und das Edutainment.11 Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive handelt es sich bei dem Begriff um eine Wortkreuzung der Elemente „Information“ und „Entertainment“ (Unterhaltung).12 In der Forschung galten „Unterhaltung“ und „Information“ jahrzehntelang als Dichotomie. Kritiker waren der Ansicht, es käme durch den Zusatz von Unterhaltung zu einer Banalisierung und Marginalisierung von Informationen. Auch in Rundfunkanstalten ging man davon aus, dass Informationen und Unterhaltung jeweils unterschiedliche Funktionen (bilden, informieren, unterhalten) erwirken, weshalb man beide Elemente strikt voneinander zu trennen versuchte.13 Heute hat sich diese Annahme nach Bosshart aber revidiert: „Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich erstens Information und Unterhaltung nicht strikt separieren lassen, sondern innig durchmischte Teile eines Ganzen sind und dass zweitens Unterhaltung in den Medien genauso wichtig ist wie Information.“14 Er vertritt die Ansicht, der Konsument unterscheide nicht wie der Produzent zwischen Information und Unterhaltung, sondern lediglich zwischen unterhaltsam und nicht unterhaltsam.15 Als Wegbereiter für das Infotainment gilt das US-amerikanische Unterhaltungs-Nachrichtenmagazin „Entertainment Tonight“, das seit 1981 täglich einen Mix aus Unterhaltung und Information liefert. Das erfolgreiche Sendungskonzept wurde in der ganzen Welt kopiert und variiert. In Deutschland tauchte der Begriff zum ersten Mal gegen Ende der 1980er Jahre auf und etablierte sich schnell zu einem Leit- und Modewort innerhalb der Fernsehlandschaft.16 Bosshart definiert drei Dimensionen des Infotainments, um dem Begriff einen äußeren Rahmen zu verleihen:

- 1. Themenauswahl: Human Interest, Showbusiness, Freizeit, Sport, Medien, Mode, Neuheiten, Abweichung, Originalität und Themenmix.
- 2. Präsentation: Verkürzung, Simplifizierung, Emotionalität, Spannung/Entspan- nung, Episodisches, Ereignishaftes, Visualisierung und Bildkürzel.
- 3. Publikumsbezug: Publikumsinteresse- und Erfolg, Mehrheitspublika, Unterhaltung sowie Partizipation.17

[...]


1 Schwab, Frank: Information oder Unterhaltung? Das multimediale Zeitalter aus medienpsychologischer Sicht. In: Wissen, Spielen, Unterhalten. Einblicke in multimediale Welten. Hg. v. Klaus Koziol u. Ger- fried W. Hunold. München: KoPäd 2000, S. 46.

2 Vgl. Klöppel, Moritz: Infotainment. Zwischen Bildungsanspruch und Publikumserwartung - Wie unterhaltsam darf Information sein? Marburg: Tectum 2008, S. 10ff.

3 Vgl. Krüger, Udo Michael: Programmanalyse 1996: ARD, ZDF, RTL, SAT. 1 und PRO SIEBEN im Vergleich. Unterschiede der Programmprofile bleiben bestehen. In: Media Perspektiven 7/97, S. 356. Vgl. Maurer, Torsten; Wagner, Matthias u. Weiß, Hans-Jürgen: Ergebnisse der ARD/ZDF-Programmana- lyse 2020 - Teil 1. Programmprofile von Das Erste, ZDF, RTL, VOX, Sat.1 und ProSieben. In: Media Perspektiven 4/2021, S. 244.

4 Vgl. Klöppel: Infotainment, S. 35f.

5 Vgl. Wirth, Werner: Infotainment - Chance für die politische Sozialisation Jugendlicher? In: Information, Emotion, Sensation - Wenn im Fernsehen die Grenzen zerfließen. Hg. v. Ingrid Pause-Haase; Dorothee Schnatmeyer u. Claudia Wegener. Bielefeld: GMK 2000, S. 62.

6 Vgl. Wittwen, Andreas: Infotainment. Fernsehnachrichten zwischen Information und Unterhaltung. In: Züricher Germanistische Studien. Band 43. Hg. v. Michael Böher, Harald Burger, Peter von Matt u.a. Bern: Peter Lang 1995, S. 9.

7 ZDF EXTRA: Deutschlands größter Hindutempel. Spurensuche in Hamm. Unter: https://www.zdf.de/gesellschaft/sonntags/deutschlands-groesster-hindutempel—spurensuche-in-hamm- 100.html (Zuletzt abgerufen am 03.09.2021, 20:56 Uhr).

8 Vgl. Klöppel: Infotainment, S. 40.

9 Bosshart, Louis: Infotainment im Spannungsfeld von Information und Unterhaltung. In: Medienwissenschaft Schweiz 2/1991, S. 5.

10 Vgl. Wittwen: Infotainment, S. 16.

11 Vgl. Klöppel: Infotainment, S. 159.

12 Vgl. Wittwen: Infotainment, S. 16f.

13 Vgl. Weidner, Beate: Kommunikative Herstellung von Infotainment. Gesprächslinguistische und multimodale Analysen einer TV-Kochsendung. In: Linguistik - Impulse & Tendenzen. Band 70. Hg. v.

Susanne Günthner, Klaus-Peter Konerding, Wolf-Andreas Liebert u.a. Berlin/Boston: DeGruyter 2017, S. 21.

14 Bosshart, Louis: Information und/oder Unterhaltung? In: Journalismus und Unterhaltung. Theoretische Ansätze und empirische Befunde. Hg. v. Armin Scholl, Rudi Renger u. Bernd Blöbaum. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, S. 19.

15 Vgl. Bosshart: Infotainment im Spannungsfeld von Information und Unterhaltung, S. 2.

16 Vgl. Wittwen: Infotainment, S. 17ff.

17 Vgl. Bosshart, Louis: Infotainment im Spannungsfeld von Information und Unterhaltung, S. 12.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Infotainment nach Andreas Wittwen. Unterhaltungsstrategien im Fernsehen am Beispiel des ZDF-Nachrichtenmagazins "sonntags"
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Germanistik)
Veranstaltung
Literatur im Bewegtbild
Note
1,7
Jahr
2021
Seiten
14
Katalognummer
V1141143
ISBN (eBook)
9783346527646
ISBN (Buch)
9783346527653
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Infotainment, Unterhaltungsstrategien, Fernsehwandel, Andreas Wittwen
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Infotainment nach Andreas Wittwen. Unterhaltungsstrategien im Fernsehen am Beispiel des ZDF-Nachrichtenmagazins "sonntags", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1141143

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