Die funktionelle Untersuchung von Arzneistoffen auf die Aktivität kardialer Ionenkanäle


Diplomarbeit, 2007

90 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Aufbau und Funktion des Herzens
1.2 Das ventrikuläre Aktionspotenzial
1.3 Angeborenes und erworbenes langes QT-Sydrom
1.3.1 Das kongenitale (angeborene) QT-Syndrom
1.3.2 Das erworbene QT-Syndrom
1.4 Der hERG-Kanal (human Ether-a-go-go -Related Gene)
1.5 Pharmakologie
1.5.1 Drug-Development-Pipeline
1.5.2 Sicherheitspharmakologie in Verbindung mit dem LQTS
1.5.3 Cisaprid
1.6 Effiziente Testsysteme
1.6.1 Konventionelle Patch-Clamp-Technik
1.6.2 Patch-Automat
1.7 Ziel der Arbeit

2 Material und Methoden
2.1 Zellkultur
2.1.1 Zellkultivierung
2.1.2 Auftauen der Zellen
2.1.3 Passagieren der Zellen
2.1.4 Zellpräparation
2.1.5 Viability-Test
2.2 Elektrophysiologie
2.2.1 Chemikalien und Geräte
2.2.2 Patch-Clamp-Messstand (Setup)
2.2.3 Durchführung der Patch-Clamp-Untersuchungen
2.2.4 Auswertung für die Untersuchungen für den Patch-Clamp-Automaten
2.2.5 Substanzapplikation
2.2.6 Statistische Auswertung hERG-Ströme
2.2.7 Statistische Auswertung der Messergebnisse des Wirkstofftests

3 Ergebnisse
3.1 Ergebnisse der Zellkultur
3.1.1 Zellwachstum
3.1.2 Viability-Test
3.2 Ergebnisse aus der Elektrophysiologie
3.2.1 Auswertung für adhärente Zellen
3.2.2 Auswertung accutasebehandelte Zellen
3.2.3 Auswertung versenebehandelte Zellen
3.2.4 Gegenüberstellung der Ausbeute für die drei Behandlungsmethoden
3.2.5 hERG-Ströme
3.2.6 Elektrophysiologische Eigenschaften von hERG-Strömen
3.2.7 Substanzapplikation (Cisaprid)

4 Diskussion
4.1 Diskussion der Ergebnisse aus der Zellkultur
4.2 Diskussion der Ergebnisse aus der Elektrophysiologie
4.2.1 Ausbeute und passive Membraneigenschaften der drei
Behandlungsmethoden
4.2.2 hERG-Kaliumströme
4.2.3 Wirkstofftest

5 Zusammenfassung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Aufbau des menschlichen Herzens

Abbildung 2 Erregungsbildungs- und -leitungssystem des Herzens

Abbildung 3 ventrikuläres Aktionspotenzial

Abbildung 4 Arrhythmien der Herzfunktion

Abbildung 5 Schematische Darstellung der α-Untereinheit des hERG-Kanals

Abbildung 6 Die Konformation eines hERG-Kanals

Abbildung 7 Drug-Development-Pipeline

Abbildung 8 Erwin Neher und Bert Sakmann

Abbildung 9 Patch-Clamp-Konfigurationen

Abbildung 10 automatisiertes Patch-Clamping

Abbildung 11 Anordnung über dem Präparat

Abbildung 12 Funktionsprinzip eines Vorverstärkers

Abbildung 13 Apparaturaufbau der Patch-Clamp-Technik

Abbildung 14 Zelle in der whole cell- Konfiguration

Abbildung 15 Einzelpuls

Abbildung 16 Pulsprotokoll zur zuverlässigen Bestimmung des Leckstroms

Abbildung 17 IV-Protokoll

Abbildung 18 Voll-aktivierte tail-currents

Abbildung 19 Beispiel für eine hERG-Stromaufzeichnung

Abbildung 20 Zellwachstum der CHOhERG-K1 Linie

Abbildung 21 CHOhERG-Zellen nach einem Kultivierungszeitraum von 2 ½ Monaten

Abbildung 22 Vitalitätsrate für versene- bzw. accutasebehandelte CHOhERG- Zellen

Abbildung 23 Ausbeute erfolgreich abgeleiteter, adhärenter Zellen

Abbildung 24 Sealwiderstände adhärenter Zellen für alle Präparationen

Abbildung 25 Serienwiderstände adhärenter Zellen für alle Präparationen

Abbildung 26 Membranwiderstände adhärenter Zellen für alle Präparationen

Abbildung 27 Ausbeute erfolgreich abgeleiteter, mit Accutase suspendierten Zellen

Abbildung 28 Sealwiderstände von mit Accutase suspendierten Zellen

Abbildung 29 Serienwiderstände von mit Accutase suspendierten Zellen

Abbildung 30 Membranwiderstände von mit Accutase suspendierten Zellen

Abbildung 31 Ausbeute erfolgreich abgeleiteter, mit Versene suspendierten Zellen

Abbildung 32 Sealwiderstände von mit Versene suspendierten Zellen

Abbildung 33 Serienwiderstände von mit Versene suspendierten Zellen

Abbildung 34 Membranwiderstände von mit Versene suspendierten Zellen

Abbildung 35 Ausbeute adhärent gepatchter Zellen

Abbildung 36 Ausbeute mit Accutase dissoziierte Zellen

Abbildung 37 Ausbeute mit Versene dissoziierte Zellen

Abbildung 38 Original hERG-Ströme in CHOhERG-Zellen

Abbildung 39 Mittleren hERG- Stromamplituden für die drei Behandlungsmethoden

Abbildung 40 Rundown, -up in % für die drei Behandlungsmethoden

Abbildung 41 Elektrophysiologische Eigenschaften für hERG-Ströme

Abbildung 42 Voll-aktiviertes Strom-Spannungs-Verhältnis bei adhärenten Zellen

Abbildung 43 Dosis-Wirkungskurve für adhärent abgeleitete Zellen

Abbildung 44 Dosis-Wirkungskurve für accutasebehandelte Zellen

Abbildung 45 Dosis-Wirkungskurve für versenebehandelte Zellen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 verwendete Medien und Lösungen

Tabelle 2 verwendete Chemikalien und Lösungen

Tabelle 3 Extra- und Intrazellulärlösung

Tabelle 4 Geräte und Materialien

Tabelle 5 Auswahlkriterien für die Bewertung der gepatchten Zellen

Tabelle 6 Verdünnungsreihe für Cisaprid

Tabelle 7 Messergebnisse nach einer Gesamtmesszeit von 3 Stunden

Tabelle 8 Mittelwerte der Inhibition

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Das lange QT-Syndrom (LQTS) ist eine lebensgefährliche Krankheit, die bei sonst völlig herzgesunden Menschen plötzlich zum Herztod führen kann. In der westlichen Welt stellt der plötzliche Herztod eine der häufigsten Todesursachen dar. In Deutschland sterben daran jährlich über 100 000 Menschen, in den USA geht man sogar von einer Inzidenz von über 1/1000 Einwohner pro Jahr aus (Priori S.G., 2001).

Das lange QT-Syndrom kann unter anderem durch pharmakologische Nebenwirkungen auf kardiale Ionenkanäle ausgelöst werden. Besonders häufig ist dabei der hERG-Kanal (human-ether-a-go-go- Related Gene) betroffen. Dieser ist für die schnelle Repolarisation des ventrikulären Aktionspotenzials verantwortlich.

Es bestehen Auflagen von den internationalen Zulassungsbehörden, Wirkstoffe grundsätzlich auf ihren Einfluss am hERG-Kanal zu testen. Die verschärften Anforderungen der Sicherheitspharmakologie erfordern schnelle und effiziente Testsysteme (Guenther E., BioPro, 2006). Die klassische Patch-Clamp-Technik, mit der Ionenkanäle auf ihre Funktion untersucht werden können, kann diesen Ansprüchen nicht mehr standhalten. Die sog. Patch-Automaten hingegen versprechen schnelle und kostengünstige Wirkstofftests.

In dieser Arbeit sollte eine Präparationsmethode für adhärent wachsende Zellen erarbeitet werden, mit der es möglich ist, diese bei gleich bleibenden passiven Membraneigenschaften für die Verwendung am Patch-Automaten in Suspension zu bringen.

1.1 Aufbau und Funktion des Herzens

Das Herz (Abbildung 1) des Menschen ist ein etwa faustgroßes muskulöses Hohlorgan und versorgt den Körper durch rhythmische Kontraktion mit Blut. Drei Milliarden Mal schlägt ein Herz während seines Lebens und bewegt dabei etwa 250 Millionen Liter Blut durch den Körper (www.medizinfo.de). Das Herz ist in der Lage, schnell auf die Anforderungen des Körpers zu reagieren und passt seine Pumpleistung so an, dass eine stets ausreichende Versorgung des Körpers mit Sauerstoff und Nährstoffen gewährleistet ist. Die normale Herzfrequenz beträgt, abhängig von Alter, Geschlecht und körperlicher Tätigkeit, zwischen 60 und 140 Schlägen pro Minute.

Es besteht aus zwei Hälften, die durch eine Scheidewand (Septum) voneinander getrennt sind. Rechtes und linkes Herz sind wiederum in einen Vorhof (Atrium) und eine Kammer (Ventrikel) unterteilt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Aufbau des menschlichen Herzens

[www.aktion-meditech.de, 20.02.2006]

Das Herz besitzt zwei Typen von Herzmuskelfasern: zum einen Zellen, die Impulse bilden und weiterleiten, sowie Zellen, die Impulse mit einer Verkürzung (Kontraktion) beantworten. Der Herzzyklus, mit koordinierter Anspannung und Erschlaffung der Vorhof- und Kammermuskulatur, wird durch elektrische Impulse gesteuert. Die Erregung – auch Aktionspotenzial genannt – geht vom so genannten Sinusknoten aus.

Er wird auch als Schrittmacher des Herzens bezeichnet und bestimmt die Frequenz, mit der das Herz schlägt. Ausgehend vom Sinusknoten setzt sich die Erregung über die Vorhofmuskulatur fort bis zum zentralen Bereich der Erregungsleitung, dem Atrio-Ventikular-Knoten (AV-Knoten). Dieser befindet sich im Grenzbereich zwischen Atrium und Ventrikel und stellt die einzige überleitungsfähige Verbindung zwischen den Vorhöfen und den Ventrikeln dar (Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Erregungsbildungs- und -leitungssystem des Herzens

[www.kardionet.de, 20.02.2006]

Die Erregungen werden vom AV-Knoten weiter bis zum His-Bündel geleitet und schließlich über die Bündelschenkel und deren Endaufzweigung, die Purkinje-Fäden, auf den gesamten Myokard übertragen.

1.2 Das ventrikuläre Aktionspotenzial

Das elektrische Aktionspotenzial der Herzmuskelzelle (Abbildung 3) dient der mechanischen Kontraktion des Herzmuskels, um das Blut in das Blutkreislaufsystem zu pumpen. Ein ventrikuläres Aktionspotenzial hat beim gesunden Menschen eine Dauer von ca. 200 - 400 ms. Im Herzmuskel werden elektrische Signale generiert und geordnet weitergeleitet. Das elektrische Signal besteht aus Ionenflüssen durch die Herzmuskelzellmembran, die entweder depolarisierend oder repolarisierend wirken (Schmidt T., 1995).

Bei Herzmuskelzellen besteht aufgrund eines Ionenungleichgewichts zwischen Intra- und Extrazellulärraum eine ständige elektrische Spannung zwischen dem Zellinneren und dem Zelläußeren. Die Spannung beträgt in Ruhe ca. -70 mV (Ruhemembranpotenzial), wobei das Zellinnere gegenüber dem Zelläußeren negativ geladen ist.

Wesentlich verantwortlich für diese Spannung sind die Eigenschaften verschiedener Gruppen von Ionenkanälen in der Plasmamembran der Zelle. Sie besitzt für die verschiedenen Ionen, wie z.B. k+, Na+ oder Ca2+ eine unterschiedliche Permeabilität. Diese ist durch chemische, mechanische oder elektrische Reize veränderbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 ventrikuläres Aktionspotenzial

Die grünen Pfeile zeigen schematisch die Richtung in welche die Ionen in der jeweiligen Phase fließen. Zeigt der Pfeil nach oben, bedeutet dies, Ionen fließen aus der Zelle heraus, bzw. nach unten, Ionen fließen in die Zelle hinein. [www.onmeda.de, 13.02.2007]

Das Ruhemembranpotenzial wird vom k+-Strom dominiert, wobei ein Subtyp von Kaliumkanälen während dieser Phase geöffnet ist.

Wird das Ruhemembranpotenzial bis zu einem Schwellenwert von ca. -50 mV depolarisiert, gehen Natriumkanäle in den offenen Zustand über. Natriumionen strömen schlagartig in die Zelle ein und depolarisieren diese auf +30 mV, man spricht vom sog. Overshoot (Schmidt T., 1995).

In der darauf folgenden Phase öffnen spannungsaktivierte Ca2+-Kanäle, was zu einem Ca2+-Einstrom in die Zelle führt. Durch das gleichzeitige, aber nur sehr verlangsamte Aktivieren von Kaliumkanälen, fließen k+-Ionen aus der Zelle und es kommt es zu einem nahezu gleich bleibenden Plateau (Plateauphase). Dadurch kann genügend extrazelluläres Ca2+ in die Zelle eintreten und es kommt zur optimalen Umsetzung von elektrischer Erregung in Kontraktion der Herzmuskelzellen (Sanguinetti M.C., 2006). Durch die Aktivierung unterschiedlicher Kaliumkanäle, vor allem der hERG-Kaliumkanäle, und Abnahme der Ca2+-Leitfähigkeit kommt es zu einer vollständigen Repolarisation. Die Zelle befindet sich wieder am Ruhemembranpotenzial, welches durch einwärts-gleichgerichtete k+-Ströme stabilisiert wird (Schmidt T., 1995).

1.3 Angeborenes und erworbenes langes QT-Sydrom

Das lange QT-Syndrom (LQTS; englisch: long QT-syndrome) ist eines der best untersuchten Herzfunktionsstörungen (Finlayson K., 2004). Es ist ein kardiovaskuläres Krankheitsbild, dessen Hauptmerkmale ein abnormal verlängertes QT-Intervall (Zeitspanne von Beginn der Erregungsausbreitung über die Ventrikel, Kontraktion und deren Erregungsrückbildung) und lebensbedrohliche, vor allem durch körperliche oder emotionale Belastung ausgelöste ventrikuläre Arrhythmien, im speziellen Torsades de pointes (TdP) und Kammerflimmern, sind (Abbildung 4). Es handelt sich um eine rein funktionelle Störung, die sich an wichtigen Ionenkanälen des Herzens manifestiert. Das LQTS stellt eine relativ häufige Ursache der oftmals ungeklärten Fälle von plötzlichem Herztod (SCD = sudden cardiac death) und plötzlichem Kindstod (SIDS = sudden

infant death syndrome) dar (Sanguinetti M.C., 2005). Die erste ausführliche Beschreibung des Syndroms erfolgte 1957 und geht auf Jervell und Lange-Nielsen zurück (Jervell A., 1957). Das LQTS manifestiert sich meistens in der späten Kindheit oder im frühen Jugendalter, nur selten bereits in den ersten Lebenstagen oder im mittleren Lebensalter.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 Arrhythmien der Herzfunktion

A: Verlängerung des Herzaktionspotenzials.
B: Im Elektrokardiogramm stellt sich die Aktionspotenzialverlängerung als QT-Verlängerung dar.
C: Eine Verlängerung des QT-Intervalls kann zu Torsaden führen. Torsaden können in ein Kammerflimmern degenerieren was letztendlich einen plötzlichen Herztod hervorrufen kann. [www.univie.ac.at, 15.03.2007]

Man unterscheidet angeborene und erworbene Formen des langen QT-Syndroms. Letztere sind vor allem auf die Anwendung der verschiedensten Pharmaka, aber auch auf bestimmte kardiale Primärerkrankungen zurückzuführen, wirken jedoch in letzter Konsequenz über dieselben Mechanismen wie die angeborenen Störungen.

1.3.1 Das kongenitale (angeborene) QT-Syndrom

Man spricht von kongenitalem langem QT-Syndrom, wenn es durch Mutation in spannungsgesteuerten Na+- oder k+-Kanälen des Herzens ausgelöst wird. Es sind sieben Formen des angeborenen langen QT-Sydroms bekannt (LQT-1 – LQT-7, Finlayson K., 2004). Allen angeborenen Formen des LQTS liegen Mutationen von verschiedenen, für fundamentale kardiale Ionenkanäle kodierenden Genen zugrunde. Diese Mutationen können zwar auch spontan erfolgt sein, zum größten Teil sind sie allerdings vererbt. Bei diesen vererbten Formen werden zwei Typen unterschieden, die aber wiederum mehrere verschiedene mutationsbedingte Genotypen beinhalten.

Das Romano-Ward-Syndrom wird autosomal dominant vererbt, d.h. schon ein mutiertes Allel kann Symptome auslösen. Das sog. Jervell und Lange-Nielson Syndrom hingegen wird autosomal rezessiv vererbt, d. h. beide Allele der betroffenen Gene müssen mutiert sein, um ein Symptom hervorrufen zu können. Diese Form der Krankheit ist zusätzlich zu den kardialen Symptomen durch eine Innenohr-schwerhörigkeit gekennzeichnet (Tyson J. et al., 1997).

1.3.2 Das erworbene QT-Syndrom

Häufiger als das angeborene ist das erworbene QT-Syndrom. Durch die Interaktion vieler Pharmaka mit kardialen Ionenkanälen kann es zu Störungen der ventrikulären Repolarisation und zu Arrhythmien kommen. Bis heute ist noch unklar, inwieweit diese Patienten in Wirklichkeit ein verborgenes kongenitales QT-Syndrom aufweisen.

Insbesondere die medikamentöse Inhibition von Kaliumkanälen kann diese Form des Syndroms hervorrufen (Roden et al., 1996), wobei Medikamente aus strukturell sehr heterogenen Substanzklassen wie Antihistaminika, Antimalariamittel, Antibiotika, Psychopharmaka dabei eine Rolle spielen (Crumb W., 1999). Gemeinsam ist diesen Substanzen, dass sie in der Herzmuskelzelle den Kaliumstrom während der Repolarisation hemmen und so das QT-Intervall verlängern können. Das Risiko für derartige unerwünschte Arzneimittelwirkungen ist bei niedrigen Pulsfrequenzen, weiblichem Geschlecht, erniedrigtem Kaliumspiegel im Blut, Hypertrophie des

Herzmuskels, bei Bluthochdruck, Herzmuskelschwäche und hohen Wirkstoff-konzentrationen auf Grund pharmakogenetischer Besonderheiten erhöht.

Eine Verlängerung des QT-Intervalls im Elektrokardiogramm (EKG) wird meist durch einen Block der hERG-Kanäle induziert. Der Grund für den bevorzugten Block von hERG-Kanälen, trotz strukturell so unterschiedlichen Substanzen, ist darin begründet, dass dieser eine einzigartige Aminosäuresequenz, Isoleuzin-Phenylalanin-Glutamat, in der Porenregion S6 besitzt (Mitcheson et al., 2000).

1.4 Der hERG-Kanal (human Ether-a-go-go -Related Gene)

Der hERG-Kanal gehört zur Familie der spannungsabhängigen Kaliumkanäle (Abbildung 6). Das menschliche human Ether-a-go-go- Related Gene (hERG) codiert für die α- Untereinheit des IKr-Kanals im Herzen, welcher für die schnelle Repolarisation verantwortlich ist (Hanox J.C., 2006; Jose A., 2003). Kaliumkanäle bestehen aus 4 α-Untereinheiten, die sich zu Homo- oder Heterotetrameren zusammenlagern, welche eine Pore umschließen. Die α-Untereinheiten setzen sich wiederum aus sechs α-Helices zusammen, welche die transmembranen Segmente S1-S6 bilden (Abbildung 5). Jede dieser Untereinheiten besteht aus zwei funktionell verschiedenen Einheiten. Die eine Einheit ist zuständig für die Erkennung transmembraner Potenziale (S1-S4, Spannungssensor) und die zweite formt die k+-Pore (S5-S6) (Sanguinetti M.C., 2006).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 Schematische Darstellung der α-Untereinheit des hERG-Kanals mit sechs Transmembrandomänen (S1-S6)

(Sanguinetti M.C., 2006)

Der hERG-Kanal ist in der Sicherheitspharmakologie von besonderem Interesse, da viele Wirkstoffe unspezifisch an ihn binden und seine Funktion stören können. Forschungen haben ergeben, dass eine Substanz an eine strukturell ähnliche Rezeptordomäne in der Pore-S6-Region des Kanals bindet und somit das Eindringen von k+-Ionen verhindert (Sanguinetti M.C., 2005).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 Die Konformation eines hERG-Kanals ist spannungsabhängig Dargestellt ist der hERG-Kanal in den möglichen Konformationen: geschlossen-aktivierbar (a), geöffnet (b) oder geschlossen-inaktiv (c). Bei negativer Spannung befindet sich ein Großteil der Kanäle im geschlossenen Zustand. Bei einer Depolarisation der Zellmembran steigt die Öffnungswahrscheinlichkeit sprunghaft an, der Kanal wird jedoch bei höheren Potenzialen rasch inaktiviert. Eine Repolarisation der Membran führt zu einer Umkehrung der Übergänge zwischen diesen Kanalzuständen. (Sanguinetti M.C., 2006)

Bei negativen Membranpotenzialen (ca. -80 mV) befindet sich die überwiegende Mehrzahl der hERG-Kanäle im geschlossen Zustand. Bei Spannungen ab -60 mV, einer Depolarisation der Zellmembran, werden die Kanäle geöffnet und k+-Ionen strömen aus der Zelle aus. Wird die Zellmembran auf positivere Potenziale depolarisiert, gehen die hERG-Kaliumkanäle in einen geschlossen-inaktiven Zustand über (Sanguinetti M.C., 2006). Beim hERG-Kaliumkanal, im Gegensatz zu anderen Kaliumkanälen, erfolgt die Inaktivierung viel schneller als die Aktivierung. Dies reduziert zum einen den Auswärtsstrom in der Depolarisationsphase und verursacht zum anderen eine Verlängerung der Plateauphase. Am Ende des Aktionspotenzials gehen hERG-Kanäle zunächst vom geschlossen-inaktiven in den offenen Zustand über. Dies trägt zur Repolarisation bei. Typisch für den hERG-Kanal ist, dass dieser Übergang schneller abläuft, als der Übergang vom offenen in den geschlossen-aktivierbaren Zustand.

1.5 Pharmakologie

1.5.1 Drug-Development-Pipeline

Bevor der Startschuss für die Entwicklung eines neuen Medikaments fällt, müssen grundlegende Fragen geklärt werden:

„Gibt es dank neuer Erkenntnisse eine Chance, ein Medikament zu entwickeln?“, „Lässt sich ein neues Medikament finden, das besser wirksam ist oder weniger Nebenwirkungen hat als bisherige?“.

(http://www.die-forschenden-pharma-unternehmen.de).

Entschließt sich ein Pharmakonzern für die Entwicklung eines neuen Arzneimittels, beginnt ein Prozess aus vielen Einzelschritten, der im Durchschnitt über ein Jahrzehnt dauert und Kosten von ungefähr 800 Mio Dollar verursacht (Abbildung 7).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 Drug-Development-Pipeline

In dieser Graphik ist die Entwicklung eines neuen Medikaments schematisch dargestellt. Bis ein Medikament verkaufsfertig in die Apotheke kommt, durchläuft es verschiedene Phasen. Es müssen hunderttausende von Substanzen getestet werden, bis am Ende der Entwicklung eine einzige Substanz steht. In der Regel dauert es im Durchschnitt 10–15 Jahre und es sind Kosten von etwa 800 Mio Dollar notwendig, bis das Medikament auf den Markt kommt.

[www.merck.de, 12.02.2007]

Am Anfang wird ein Angriffspunkt (Target) im Krankheitsgeschehen ermittelt, an dem ein Wirkstoff ansetzen und so einen Krankheitsverlauf günstig beeinflussen könnte (www.amgen.de). In aller Regel ist das ein körpereigenes Molekül, das im Krankheitsprozess eine wichtige negative bzw. positive Rolle spielt. Dazu werden hunderttausende von Substanzen darauf getestet, ob sie am Target einen möglichen Effekt in der gewünschten Richtung erzielen (Grundlagenforschung, „basic research“ Abbildung 7). Ionenkanäle sind besonders geeignet als Wirkorte für Pharmaka, da ihre Funktion steuerbar ist (Guenther E., BioPro, 2006).

Zunächst werden viele Varianten der Substanz erwogen, die sich in ihrem atomaren Aufbau nur geringfügig unterscheiden. Schritt für Schritt werden so Substanzen ausgewählt, die immer mehr die Anforderungen an einen Wirkstoff erfüllen. Die Wirkstoffkandidaten werden anschließend in der präklinischen Phase auf ihr Verhalten in einem Gesamtorganismus hin untersucht (www.glaxosmithkline.de). Es muss geklärt werden, wie der Wirkstoff vom Organismus aufgenommen wird, wie er sich verteilt, ob er gegebenenfalls chemisch verändert wird und ob und wie er den Körper wieder verlässt. Ferner gilt es, unerwünschte Nebenwirkungen aufzuspüren. Um Nebenwirkungen speziell an Ionenkanälen zu ermitteln, greift man gerne auf die Patch-Clamp-Technik zurück, da diese Methode sehr genaue Ergebnisse erzielt. Dazu werden sicherheitspharmakologische Untersuchungen sowohl an nativen Herzmuskelzellen als auch an speziell gezüchteten Zelllinien durchgeführt. Da jedoch vieles nur am Gesamtorganismus studiert werden kann, werden Substanzen auch an Tieren geprüft.

In der klinischen Phase („clinical tests“, Abbildung 7) kann nun der Wirkstoff erstmals bei Menschen angewandt werden. In der Phase I werden Tests an typischerweise 60 bis 80 gesunden Freiwilligen (Probanden) durchgeführt. Als nächstes wenden Ärzte den Wirkstoffkandidaten bei 100 bis 500 Patienten an und prüfen, ob sich der gewünschte therapeutische Effekt zeigt (Phase II). Außerdem achten sie auf Nebenwirkungen und stellen fest, welche Dosierung die beste Wirkung erzielt. In der abschließenden Phase III wird die Substanz an Tausenden von Patienten erprobt, wobei die Wirksamkeit und die Unbedenklichkeit bei einer hinreichend großen Patientenzahl nachgewiesen werden muss (www.die-forschenden-pharma-unternehmen.de).

Experten der Zulassungsbehörden vieler Länder prüfen die eingereichten Daten aus allen Phasen der Entwicklung des Arzneimittels, bis letztendlich der Hersteller das neue Präparat auf den Markt bringen kann.

1.5.2 Sicherheitspharmakologie in Verbindung mit dem LQTS

Die medikamentenbedingte Verlängerung des QT-Intervalls im Oberflächen-EKG hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Bei Medikamenten mit nichtkardialer Indikation ist dies eine unerwünschte Nebenwirkung. Es kann, ebenso wie bei repolarisationsverlängernden Antiarrhythmika, zum Auftreten einer abnormen QT-Verlängerung und im Zusammenhang hiermit zum Auftreten von potenziell lebensbedrohlichen ventrikulären Herzrhythmusstörungen vom Typ der Torsade de pointes kommen. Aufgrund dieser schwerwiegenden Nebenwirkung wurden in den letzten Jahren mehrere Medikamente mit nichtkardialer Indikation vom Markt genommen (Sanguinetti M.C., 2006). Grundlage der repolarisationsverlängernden Wirkung von Medikamenten ist die Hemmung transmembraner Kaliumströme. Heute gibt es Auflagen von den internationalen Zulassungsbehörden, Wirkstoffe grundsätzlich auf ihren Einfluss am hERG-Kaliumkanal zu testen. Im Bereich der präklinischen Entwicklung sind es die ICH-Richtlinien S7A und S7B (Guidance for Industry, S7B, FDA, 2005), die die Evaluierung neuer Arzneimittel hinsichtlich potenzieller kardialer Effekte regeln. Bei der klinischen Entwicklung hingegen steht die jüngst erstellte ICH-Richtlinie E14 (ICH E14, FDA, 2005) ganz im Vordergrund, bei der die ausführliche Erfassung der elektrokardiographischen Effekte im Mittelpunkt stehen.

Inzwischen konnten verschiedene repolarisationsverlängernde Arzneimittel eruiert werden, die Liste wird laufend erweitert. Es handelt sich um Medikamente unterschiedlicher Substanzen und Substanzklassen, von Antibiotika über Antidepressiva bis hin zu Röntgenkontrastmitteln. Mehrere sind deshalb bereits vom Markt genommen worden, wie zum Beispiel Astemizol (Antihistaminikum), Terfenadin (Antihistaminikum) und in einigen Ländern Cisaprid (Prokinetikum).

1.5.3 Cisaprid

Cisaprid gehört zur pharmakotherapeutischen Gruppe der Prokinetika.

Es wird in erster Linie zur Behandlung von symptomatischen Motilitätsstörungen im Bereich des oberen Magen-Darm-Trakts eingesetzt. In Deutschland als Propulsin ® und Alimix ® bekannt, wurde dieses Medikament vor allem bei funktionellen Magen-Darmstörungen (Reizmagen) verordnet.

Cisaprid, das zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen ("Torsades de pointes") führen kann, wurde in den USA oder in Großbritannien schon vor rund vier Jahren vom Markt genommen. Ende 2004 wurde dieser Schritt auch in der Schweiz vollzogen, und Cisaprid nur noch bei Ausnahmefällen über eine Sonderbewilligung verschrieben. Es ist bekannt, dass diese Substanz Wechselwirkungen mit dem hERG-Kanal eingehen kann.

Bisher wurden im Zusammenhang mit Cisaprid in der medizinischen Fachliteratur 341 Fälle beschrieben, in denen es zu schweren Herzrhythmusstörungen kam – 80 Patienten starben (Kubitschek J., Food and Drug Administration FDA). Ein Torsades de pointes, ausgelöst durch Cisaprid, tritt im Durchschnitt bei nur einem von 120.000 Patienten auf, denen dieses Medikament verordnet wurde (Sanguinetti M., 2006).

1.6 Effiziente Testsysteme

1.6.1 Konventionelle Patch-Clamp-Technik

Die Technik der Patch-Clamp-Untersuchungen wurde 1976 von Erwin Neher und Bert Sakmann (Abbildung 8) entwickelt. Dafür wurden sie 1991 mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet – als Anerkennung für ihre Forschungen an der „Funktion einzelner zellulärer Ionenkanäle“ (Numberger M., 1996).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8 1991 wurden Erwin Neher (links) und Bert Sakmann (rechts) mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet – als Anerkennung für ihre Arbeiten zur „Funktion einzelner zellulärer Ionenkanäle“.

Schon fünfzehn Jahre zuvor realisierten Neher und Sakman eine Methode, mit der sich der ionengetragene Strom durch einzelne Ionenkanäle in der Membran lebender Zellen messen ließ. Das Revolutionäre dieser Technik lag nun in der Eingrenzung einer so kleinen Membranfläche (dem Patch) von ca. 1 μm Durchmesser, dass sie nur einige wenige Ionenkanäle enthielt, zum Teil nur einen. Dadurch wurde es ermöglicht, Messungen an Einzelkanälen durchzuführen, d.h. die zeitaufgelöste Messung des elektrischen Stromes durch ein einzelnes Proteinmolekül. Damit war es erstmals möglich, das Schaltverhalten bzw. den spontanen Wechsel zwischen leitenden und nicht leitenden Zuständen direkt messtechnisch zu erfassen (Hamill et al., 1981). Vorher konnte man nur aus Rauschmessungen indirekt auf dieses Schaltverhalten schließen. Hinzu kam die Entwicklung einer Verstärkertechnik, mit der kleine Ströme im Bereich von einigen pA mit hoher Zeitauflösung von 100 bis 300 kHz (Bandbreite des Verstärkers) registriert werden können.

Bei der Patch-Clamp-Technik wird ein sehr kleiner Ausschnitt der Zellmembran, ein Fleck oder sog. Patch, elektrisch von einer Umgebung mit einer Patchpipette isoliert. Durch den sehr hohen Abdichtwiderstand (Gigaseal; Giga = 109, Seal = Abdichtung), der durch Anlegen eines Unterdruckes an der Pipette erreicht wird, kann Hintergrundrauschen minimiert werden (Numberger M., 1996). Die Membran ist nun sehr fest mit der Glaswand der Pipette verbunden. Dieser Zustand wird als on cell -Konfiguration bezeichnet und eignet sich für Einzelkanalmessungen. Von diesem Zustand ausgehend können weitere Modi erreicht werden. Mit Hilfe eines kurzen Saugimpulses über den Schlauch, an dem der Unterdruck angelegt ist, kann die Zellmembran an der Berührungsstelle durchbrochen werden. Diese Anordnung nennt man whole cell -Konfiguration (Hamill et al.,1981, siehe Abbildung 9). Dabei werden keine Einzelkanalströme gemessen, sondern die Gesamtstromantwort einer Zelle als Summe aller aktiven Ionenkanäle bestimmt.

Es gibt noch zwei weitere Konfigurationen, „inside-out“ und „outside-out“, auf die hier nicht näher eingegangen wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9 Patch-Clamp-Konfigurationen Die Abbildung zeigt die vier verschiedenen Konfigurationen der Patch-Clamp-Technik.

(a) “on-cell”, (b) “inside-out”, (c) “whole cell”, (d) “outside-out”. Ausgehend vom “on-cell”- Patch kann in die verschiedenen Konfigurationen übergegangen werden. Für die vorliegende Arbeit wurde ausschließlich die „whole cell“-Konfiguration (c) gewählt. In diesem Modus wird die Gesamtstromantwort einer Zelle als Summe aller aktiven Ionenkanäle bestimmt [http://www.uni-freiburg.de, 24.02.2007].

Nach Ausbilden der gewünschten Konfiguration können nun z.B. hERG-Strommessungen an der gepatchten Zelle durchgeführt werden.

Die Patch-Clamp-Technik ist heute eine der wichtigsten neurophysiologischen Arbeitsmethoden. Ihre Anwendung hat in der biomedizinischen Grundlagenforschung bedeutende Erkenntnisse über die Funktion und die Eigenschaften von Ionenkanälen erbracht. Auch aus der angewandten pharmakologischen Forschung ist sie inzwischen nicht mehr wegzudenken (Numberger M., 1996).

1.6.2 Patch-Automat

Die konventionelle Patch-Clamp-Technik ist zeitaufwendig und erfordert erfahrene Anwender sowie gut ausgerüstete Messstände. Da die Sicherheitspharmakologie verschärfte Anforderungen stellt und nach schnellen, effizienten Testsystemen strebt, kann das klassische Patch-Clamping diesen Ansprüchen nicht mehr standhalten.

Man hat mit der automatisierten Patch-Clamp-Technik ein System gefunden, das einen sehr viel höheren Durchsatz von Wirkstofftests mit pharmazeutischen Substanzen bietet und mit dem zusätzlich viele Kosten eingespart werden können.

Beim automatisierten Patchen ist die konventionelle Patch-Pipette in der Regel durch einen planaren Chip ersetzt. Die Firma Cytocentrics z.B. setzt einen planaren Glaschip mit zwei konzentrischen Mikroöffnungen ein (Abbildung 10). Die Zelle wird also nicht manuell mit einer Glaspipette aufgesucht, sondern automatisch vom System angesaugt. Eine kleine zentrale Öffnung stellt die Patch-Öffnung dar, eine große umgebende Öffnung dient der Positionierung (www.cytocentrics.com).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10 automatisiertes Patch-Clamping

a) Durch Anlegen eines Unterdrucks wird die Zelle über der Patch-Öffnung positioniert.
b) Bei gleichzeitigem Überdruck in der Patch-Öffnung wird eine Verunreinigung dieser verhindert. Durch Applikation eines Unterdrucks in der Patch-Öffnung werden der Gigaseal (c) und anschließend die whole cell -Konfiguration hergestellt (d). e) Beispiel einer kontaktierten CHOhERG-Zelle über der Patch-Öffnung. [www.cytocentrics.com, 19.03.2007]

Die Zellen können jedoch nicht mehr adhärent, also an die Kulturschale anhaftend wie bei der konventionellen Methode gepatcht werden, sondern müssen vor Beginn der Experimente am Patch-Automaten in Suspension gebracht werden. Zur Dissoziation von Zellen werden in der Regel Enzyme eingesetzt, z.B. Proteasen oder Collagenasen. Das Prinzip dabei ist, dass die Enzyme Adhäsionsmoleküle der Zelle zerschneiden, so dass diese nicht mehr fähig ist an einer Oberfläche anzuhaften. Es ist dabei wichtig, dass die Enzymreaktionen an den Eigenschaften der Zellmembran nichts verändern oder sogar Membranproteine zerstören.

1.7 Ziel der Arbeit

Ziel der Untersuchungen war unter anderem, adhärente sowie mit Accutase bzw. Versene suspendierte Zellen bezüglich der Qualität ihrer passiven Membraneigenschaften und der Größe der hERG-Kaliumströme miteinander zu vergleichen. Dabei galt es herauszufinden, welche der beiden gewählten Dissoziationsmedien (Versene oder Accutase) sich besser eignet, Zellen für den Patch-Automaten in Suspension zu bringen. Weiter sollte beobachtet werden, ob die erprobten Methoden Auswirkungen auf die Qualität der elektrophysiologischen Daten haben.

Gearbeitet wurde mit CHO-Zellen (Chinese Hamster Ovary), die den hERG-Kanal exprimieren, so dass explizit Untersuchungen an diesem Kanal durchgeführt werden konnten.

Des Weiteren wurden Wirkstofftests mit dem Prokinetikum Cisaprid an CHOhERG-Zellen durchgeführt, um die halbmaximale Hemmung (IC50) von hERG-Kaliumkanälen in Bezug auf die verschiedenen Behandlungsmethoden zu ermitteln. Die Ergebnisse wurden mit Literaturwerten verglichen. Damit sollte geklärt werden, ob die verwendeten Dissoziationsmedien Veränderungen an den Ionenkanaleigenschaften hervorrufen.

Diese Arbeit wurde im Rahmen des vom BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) geförderten Forschungsprojektes „Aionas“ durchgeführt, bei dem das Ziel verfolgt wurde, die Empfehlung für eines der beiden Dissoziationsmedien auszusprechen.

2 Material und Methoden

2.1 Zellkultur

2.1.1 Zellkultivierung

Für die vorliegende Arbeit wurden CHO K1 Zellen von der Firma Cytomyx (CYL-3002, G-7 Technopark, Cambridge) verwendet. CHO Zellen stammen aus den Ovarien des chinesischen Hamsters. Die CHOhERG-Zellen wurden gentechnisch so verändert, dass sie den hERG-Kaliumkanal exprimieren (Cytomyx, CHO cell line expressing). Bei CHO Zellen handelt es sich um eine adhärent wachsende Zelllinie.

Die Zellen wurden im Selektionsmedium (siehe Tabelle 1) und Zellkulturflaschen T75 (Corning Flask 430641, 2 µm Vent Cap, Corning, New York) kultiviert. Die während der Kultivierung eingehaltenen Parameter im Brutschrank (Binder GmbH, Tuttlingen-Möhringen) betrugen 37 °C, 5 % CO2-Konzentration und 95 % relative Luftfeuchtigkeit.

Die Zellkulturarbeiten wurden unter sterilen Bedingungen unter einer Sicherheitswerkbank Klasse II („Laminar-Flow“, Luft- und Raumreintechnik GmbH, Sonnenbühl-Genkingen) ausgeführt.

Alle für die Zellkultivierung verwendeten Medien und Lösungen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Sämtliche Chemikalien wurden – soweit nicht anders aufgeführt – von der Firma PAA Laboratories GmbH (Pasching, Österreich) bezogen.

Tabelle 1 verwendete Medien und Lösungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zusätzlich zur Vorratshaltung der Zellen in T75 Kulturflaschen wurden CHOhERG-Zellen in Petrischalen (TC Dish 35x10, 153006, Nunc, Dänemark) mit einer Fläche von 9,6 cm2 ausgesät. Diese wurden für die durchgeführten Patch-Clamp-Untersuchungen verwendet.

2.1.2 Auftauen der Zellen

Um Zellen über einen längeren Zeitraum zu lagern, werden sie in flüssigem Stickstoff eingefroren. Bei Temperaturen unter -120 °C finden keine biologischen Reaktionen mehr statt und die Zellen sind zusätzlich vor Dedifferenzierung geschützt.

Zum Auftauen der CHOhERG-Zellen wurden 30 ml Standardmedium (Tabelle 1) in ein 50 ml Falconröhrchen vorgelegt und auf 37 °C temperiert.

Die Zellen wurden im Wasserbad bei 37 °C rasch aufgetaut, bis nur noch ein kleiner Eisklumpen übrig blieb. Die darüber stehende Flüssigkeit wurde ins vortemperierte Standardmedium überführt. Der Eisklumpen wurde mit 1 ml Standardmedium überschichtet und die vollständig aufgetaute Zellsuspension ebenfalls zum Standardmedium gegeben. Anschließend wurde die Zellsuspension vorsichtig resuspendiert und in eine T75 Zellkulturflasche überführt. Nachdem die Zellen adhärent waren (nach ca. 4 Stunden im Brutschrank bei 37 °C), wurde das Standardmedium vollständig gegen 15 ml Selektionsmedium ausgetauscht. Die Kultur wurde bei 37 °C, 5 % CO2-Konzentration und bis zu einer Konfluenz von 80 % im Brutschrank gehalten.

2.1.3 Passagieren der Zellen

Da adhärente Zellen im Wachstum inhibiert werden können, wenn die einzelnen Zellen zusammenwachsen (Konfluenz), ist es notwendig diese in regelmäßigen Abständen zu transferieren. Die CHOhERG-Zellen wurden jeden zweiten, bzw. übers Wochenende jeden dritten Tag passagiert. Dazu wurde zunächst das Selektionsmedium abgesaugt und der Zellrasen vorsichtig mit 12 ml PBS– (Tabelle 1) überschichtet. Anschließend wurde das PBS- wieder abgesaugt und verworfen. Um die Zellen von dem Kulturgefäß zu lösen, wurden sie anschließend sofort mit 1 ml Trypsin/EDTA behandelt. Nach einer Einwirkzeit von 4 min (bei RT) wurden die Zellen durch leichtes Klopfen gegen den Gefäßrand abgelöst. Durch Zugabe von 9 ml Selektionsmedium wurde die Enzymaktivität gestoppt und die Zellsuspension in ein 10 ml Falconröhrchen überführt. Die Suspension wurde für 3 min bei 1200 rpm zentrifugiert (Hettich Universal 16 A, r = 13,4 cm, g = 215) und anschließend der Überstand verworfen. Das Zellpellet wurde in 5 ml Selektionsmedium resuspendiert (ca. 15 mal mit einer Pipette aufgezogen und wieder abgelassen, trituieren), um die Zellen voneinander zu lösen. Um die gewünschte Zelldichte (7x105 pro cm2) einstellen zu können, wurde die Zellzahl mit Hilfe des CASY 1 TT (Schärfe System, Reutlingen) ermittelt. Zuletzt wurden die Zellen mit einer Dichte von 7x105 pro cm2 in einer neuen Kulturflasche ausgesät und im Brutschrank bei 37 °C, 5 % CO2-Konzentration und 95 % relativer Luftfeuchtigkeit kultiviert. Um zu verhindern, dass der Zellrasen übers Wochenende (3 Tage) die 80 % Konfluenz überschritt, wurden die Zellen freitags mit einer Zelldichte von 6x105 ausgesät.

Für die ausgeführten Patch-Clamp-Experimente wurden zusätzlich Zellen in Kulturschalen bereitgestellt. Dazu wurden Petrischalen (Nunc, Dänemark) mit Zellen in 2 ml Selektionsmedium bestückt. Die Zellzahl variierte je nach Zeitpunkt der anschließenden Patch-Clamp Versuche:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1.4 Zellpräparation

Da die Patch-Clamp-Untersuchungen neben dem adhärenten auch im suspendierten Zustand durchgeführt werden sollten, mussten die Zellen dazu zunächst in Suspension gebracht werden.

Alle für die Zellpräparation benötigten Chemikalien und Lösungen sind in Tabelle 2 aufgeführt. Sämtliche Chemikalien wurden von der Firma Sigma (München) bezogen.

Tabelle 2 verwendete Chemikalien und Lösungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Accutase ist eine Lösung mit proteolytischen und collagenolytischen Enzymen. Sie dient zur routinemäßigen Abtrennung von Zellen von Plastikkulturschalen. Zellmembranen sollen dabei nicht verletzt werden und die funktionelle Qualität der Oberflächenproteine soll beibehalten werden (Accutase, PAA Laboratories).

Versene, auch bekannt als Ethylendiamintetraessigsäure-tetranatriumsalz hingegen ist ein Gemisch aus PBS-, Ethylendiamintetraessigsäure und Phenolrot. Versene besitzt die Fähigkeit Metallkomplexe zu bilden. Somit wird den Adhäsionsmolekülen das Ca2+ entzogen und diese können nicht mehr an die Plastikoberfläche der Kulturschalen binden.

Die Durchführung der Zellpräparation mit Versene und Accutase erfolgte nach einem standardisiertem Protokoll (Cieslak S.M., 2005). Für jede Präparation wurde ein Kulturschälchen herangezogen. Zunächst wurde das Medium abgenommen und das

Schälchen mit 1 ml Extrazellulärlösung (EZL) gespült. Somit war gewährleistet, dass die Wirkung des Dissoziationsmittels nicht durch Medium beeinträchtigt wurde. Anschließend wurden 2 ml Versene bzw. Accutase vorsichtig auf den Zellrasen pipettiert und bei 37 °C im Brutschrank inkubiert. Die optimale Inkubationszeit betrug für Versene 8 min bzw. für Accutase 4 min. Um die Zellen letztendlich vom Schälchenboden zu lösen, wurde behutsam gegen das Schälchen geklopft (ca. 10-30 mal) bis sich die meisten Zellen abgetrennt hatten. Die Suspension wurde in ein Falconröhrchen überführt und bei 1100 rpm (Hettich Universal, g = 215) für 2 min zentrifugiert. Der Überstand wurde verworfen und das Pellet vorsichtig mit 1ml EZL gewaschen, um möglichst alle Reste des Dissotiationsmediums zu entfernen. Das Pellet wurde nun in 200 µl EZL durch Trituieren (ca. 20 mal) resuspendiert, in ein Reaktionsgefäß überführt und bei RT gelagert.

2.1.5 Vitalitätstest

Zellen können mit Hilfe des Farbstoffs Trypanblau (Sigma, München) auf ihre Lebensfähigkeit untersucht werden. Trypanblau ist das Natriumsalz der Tolidindiazo-bis-1-amino-8-naphthol-3,6-disulfonsäure und hat ein Molekulargewicht von 960,79 g/mol. Der Farbstoff dringt nur in tote oder beschädigte Zellen ein. Trypanblau ist ein Anion und bindet sehr leicht an Proteine und reichert sich daher im Cytosol der beschädigten Zellen an. Tote bzw. beschädigte Zellen erscheinen im Lichtmikroskop blau, während lebende Zellen keinen Farbstoff aufnehmen und farblos bleiben.

Für den Viability-Test wurden zunächst 30 µl Zellsuspension 4:1 mit dem Farbstoff Trypanblau vermengt. Nach einer Einwirkzeit von 2 min wurden die lebenden und die toten Zellen mittels einer Neubauer-Zählkammer zügig gezählt. Dazu wurden 4 Eck-Großquadrate ausgezählt und nach folgender Formel (1 die Vitalitätsrate berechnet:

[...]

Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Die funktionelle Untersuchung von Arzneistoffen auf die Aktivität kardialer Ionenkanäle
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
90
Katalognummer
V114125
ISBN (eBook)
9783640143993
ISBN (Buch)
9783640147298
Dateigröße
1710 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Arbeit wurde mit einem Preis (beste Bachelor-Thesis Biotechnologie) ausgezeichnet.
Schlagworte
Untersuchung, Arzneistoffen, Aktivität, Ionenkanäle
Arbeit zitieren
Karin Sandmaier (Autor:in), 2007, Die funktionelle Untersuchung von Arzneistoffen auf die Aktivität kardialer Ionenkanäle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114125

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die funktionelle Untersuchung von Arzneistoffen auf die Aktivität kardialer Ionenkanäle



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden