Die Entstehung von Lehrerwahrnehmungen. Einfluss auf die Motivationslage und Leistungen von Schülern


Hausarbeit, 2021

13 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Wahrnehmungsprozesse und -verzerrungen

3 Studie Tandler & Dalbert
3.1 Methodik
3.2 Ergebnisse
3.3 Diskussion

4 Fazit und Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Ab dem ersten Schultag spielen Lehrer eine bedeutsame Rolle beim erfolgreichen Lernen der Schüler (z. B. Hattie, 2009). Um das Lernen zu fördern, ist es wichtig, dass Lehrer die Leistungen sowie die individuellen Lernressourcen der Schüler erkennen. Dies bildet die Grundlage für effektive Unterrichtsentscheidungen und ermöglicht es, einzelne Schüler ausreichend zu unterstützen (Vogt & Rogalla, 2009, S. 1).

Wenn Lehrer ihre Schüler beurteilen, sind sowohl Wahrnehmungen der aktuellen Schülerleistungen als auch Erwartungen an die Leistungen der Schüler von Bedeutung (Robustelli & Cain, 2009). Zahlreiche Studien belegen, dass Leistungserwartungen von Lehrern die kindliche Entwicklung vom ersten Schultag an beeinflusst und somit letztlich auch die spätere Bildungsleistung (z. B. Wang, Rubie-Davies & Meissel, 2018).

Häufig gibt es jedoch vorwiegend Studien zu Lehrererwartungen, die sich ausschließlich auf die Leistung der Schüler beziehen (z. B. Rubie-Davies, 2007). Auswirkungen auf die sozialen und motivationalen Ergebnisse der Schüler wurden dabei weniger häufig betrachtet. Daher soll in dieser Arbeit folgender Frage nachgegangen werden: Wie entstehen Lehrerwahrnehmungen und welchen Einfluss haben diese auf die Motivationslage und Leistungen von Schülern?

Zur Beantwortung dieser Fragen soll in Kapitel 2 anhand der Funktionsweise des menschlichen Wahrnehmungsprozesses erklärt werden, wie Lehrererwartungen entstehen und auf welche Art und Weise sich daraus Wahrnehmungsverzerrungen bilden können. Dieses Wissen bildet die Grundlage, um die in Kapitel 3 vorgestellte Studie besser nachvollziehen zu können. Diese beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit positive und negative Lehrerwahrnehmungen Einfluss auf die Schülerleistung und -motivation nehmen. Anschließend werden die Ergebnisse der Studie diskutiert und u. a. mit Erkenntnissen aus anderen Forschungen kritisch untersucht. Im letzten Abschnitt folgt eine Zusammenfassung aller für die Fragestellung relevanten Ergebnisse sowie ein kurzer Ausblick in Bezug auf zukünftige Forschungen und Empfehlungen für die Praxis.

2 Wahrnehmungsprozesse und -verzerrungen

Der Begriff Wahrnehmung wird von Hajos (1977, zitiert nach Fidler, 2004, S. 38) definiert als ein „psychophysischer Prozess, der aus Aufnahme, Selektion, Verarbeitung, Gliederung und Strukturierung sensorischer Informationen besteht.“ Tatsächlich gestalten sich menschliche Wahrnehmungsprozesse und Handlungsentscheidungen so komplex, dass objektive Wahrnehmungen und vor allem objektive Beurteilungen unmöglich sind. Dies liegt daran, dass der Mensch in einer sozialen Situation (wie z. B. im Klassenzimmer) mit so vielen Details konfrontiert wird, dass eine Beachtung aller Reize zu einer Handlungsunfähigkeit führen würde. Aus diesem Grund sorgen zahlreiche Filtermechanismen dafür, die Handlungsfähigkeit zu ermöglichen und somit auch die Entscheidungsfähigkeit zu vereinfachen (Leyendecker 1988, nach Fidler, 2004, S.38).

Wird dieser Prozess auf den schulischen Kontext bezogen, entstehen hier permanent stattfindende Wahrnehmungs- und Interaktionsprozesse, in denen spezifische Erwartungen vorherrschen (Schweer, 2017, S. 122). Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Interpersonalen Erwartungen. Diese beschreiben beispielsweise die Vorstellung einer Lehrkraft darüber, wie Schüler nach den eigenen Vorstellungen „sein sollen“ – in der Fachsprache normative Erwartungen genannt. So kann geschlussfolgert werden, dass Lehrer ihre Schüler anhand ihrer normativen Erwartungen beurteilen. Wird Letzterem in der Realität entsprochen, entsteht auf Lehrerseite eine Erwartungskonkordanz, welche dazu führt, dass die Schüler eher als angenehm und sympathisch, im Endeffekt also positiver beurteilt werden (Schweer, 2017, S. 127).

Im Schulalltag zeigt sich jedoch, dass nicht alle Schüler den normativen Erwartungen ihrer Lehrer entsprechen - im Gegenteil: Sie weichen vielmehr von diesen Erwartungen ab, sodass sich seitens der Lehrer sogenannte antizipatorische Erwartungen über einzelne Schüler bilden. In so einer Situation weiß die Lehrkraft bereits, dass sich der betroffene Schüler nicht entsprechend der ursprünglichen Erwartung seitens des Lehrers verhalten wird. Aufgrund der Erfahrung mit dieser konkreten Person, bestätigen sich diese antizipatorischen Erwartungen und es verfestigt sich der Eindruck des Lehrers. Dies hat zur Folge, dass Lehrer (unbewusst) Handlungsroutinen entwickeln, die nur schwer zu durchbrechen sind (Schweer, 2017, S. 128). Leyendecker (1988, nach Fidler, 2004, S.44) spricht in diesem Kontext auch von der Gefahr einer Wahrnehmungsverzerrung oder einem Etikettierungsprozess.

Ein Beispiel hierfür wäre, dass ein aufgrund von Leistungsproblemen auffälliger Schüler in die Kategorie eines „Störers“ abdriftet. Die sich immer wieder bestätigende antizipatorischen Wahrnehmung des Lehrers hat zur Folge, dass dessen Klassifizierung des Schülers als „Störer“ aufrechterhalten wird. Dies wiederum sorgt dafür, dass der Lehrer sein Urteil als bestätigt ansieht und der Schüler sich von diesem Lehrer immer wieder ungerecht behandelt fühlt. Im schlimmsten Fall können diese Wahrnehmungsverzerrungen langfristig negative Auswirkungen auf die Leistungs- und Sozialentwicklung des Schülers haben (s.a. Baumrind, 1971, 1982; Rosenshine, 1979; Ulich, 2001, zitiert nach Schweer, 2017, S. 127).

Der beschriebene Wahrnehmungsprozess macht deutlich, wie viele Details Lehrern weitestgehend entzogen bleiben. Am Ende eines Unterrichtsabschnittes kann dies immer wieder dazu führen, dass sich Unterrichtswirklichkeit und die Wahrnehmung durch den Lehrer deutlich voneinander unterscheiden. Zur Vermeidung dieser verzerrten Wahrnehmungen wird empfohlen, Lehrkräften diese Aspekte des Wahrnehmungsprozesses bereits in der Ausbildung zu vermitteln (Schweer, 2017, S. 129). Doch die Vermittlung von Wissen allein reicht nicht aus. Zusätzlich dazu sollten Lehrkräfte in die Lage versetzt werden, Wahrnehmungsprozesse zu reflektieren und zu analysieren. Hierzu können entsprechende Trainings sinnvoll sein, in denen (angehende) Lehrer z. B. lernen, die eigene Wahrnehmung gezielt auf bestimmte Betrachtungsweisen des Schülerverhaltens zu lenken und eigene Schlussfolgerungen kritisch zu hinterfragen (z. B Busley, 2007).

3 Studie Tandler & Dalbert

Tandler & Dalbert (2020) untersuchten in ihrer Studie die Zusammenhänge zwischen der allgemeinen Wahrnehmung der Schüler durch die Lehrerinnen und drei Schülerergebnissen: ihren Leistungen, ihren Zielorientierungen und der Qualität der Beziehungen zu ihren Lehrerinnen. Die Lehrerwahrnehmungen definierten Tandler & Dalbert (2020) als soziale Kognitionen von Lehrern bei der freien Beschreibung von Schülern nach ihrem eigenen Verständnis. Hierbei wurden die Lehrerwahrnehmungen von Lehrererwartungen in dem Sinne unterschieden, dass Lehrerwahrnehmungen als Vorläufer von Lehrererwartungen (Hofer, 1986, zitiert nach Tandler & Dalbert, 2020, S.1122) oder in Anlehnung an Brophy und Good (1974, zitiert nach Tandler & Dalbert, 2020, S.1122) als ein verallgemeinerter Aspekt von Lehrererwartungen verstanden wird.

Wenn Lehrer Schüler frei beschreiben, kann u. a. der Aspekt der Valenz der Lehrerkognitionen untersucht werden. Valenz ist definiert als der positive oder negative psychologische Wert, den eine Person einer anderen Person zuschreibt oder zuordnet (Brandstätter, 2018, S. 23). Ziel der Studie war es, die positive und negative Valenz der Lehrerwahrnehmungen zu untersuchen und zu überprüfen, ob diese mit unterschiedlichen Lernergebnissen verbunden ist (Tandler & Dalbert, 2020, S.1122).

3.1 Methodik

Für die Studie wählten Tandler & Dalbert insgesamt 43 Lehrerinnen für Mathematik und Deutsch von fünften Klassen in 22 Schulen aus. Aufgrund des Lehrerwechsels in den weiterführenden Schulen kannten die Lehrerinnen ihre Schüler erst seit kurzem, was die Entscheidung für eine Studie aus fünften Klassen begründet. Männliche Lehrer wurden ausgeschlossen, weil diese in den Schulen zum einen unterrepräsentiert waren und zum anderen allgemein schlechtere Bewertungen hinsichtlich der Schüler abgeben.

Zu Beginn der fünften Klasse (Zeitpunkt T1) wurden die Lehrerinnen gebeten, jeweils drei zufällig ausgewählte Schüler aus ihrer Klasse in einem kurzen Text zu beschreiben und dabei alles zu erwähnen, was ihnen zu dem jeweiligen Schüler einfiel. Anschließend wurde ausgewertet, wie viele positive und negative Beschreibungen die Lehrerinnen nutzten. Als positiv wurden z. B. Aussagen, wie „ausgezeichnet in Mathematik“ oder „freundliches Wesen“ definiert. Negativ gewertet wurden Aussagen, wie „sehr schlecht im Schreiben“ oder „verhält sich aggressiv“. Anschließend wurden alle Schüler der jeweiligen Klasse zu ihrer letzten Note, ihrer Motivation im Unterricht, ihrer Angst, zu versagen und zu ihrer Beziehung zu der jeweiligen Lehrerin befragt. Die Befragung der Schüler wurde vier Monate später erneut durchgeführt (Zeitpunkt T2) (Tandler, 2020, S. 1129).

3.2 Ergebnisse

Die Studienergebnisse zeigen, dass positivere Lehrerwahrnehmungen zwar in keinem Zusammenhang mit der aktuellen Leistung der Schüler stehen, jedoch bessere Schülerleistungen nach vier Monaten mit einer Korrelation von 0,28 begründen: Je positiver die Lehrerinnen ihre Schüler bewerteten, desto besser war die Leistung der Schüler.

Interessant sind auch die Werte in Bezug auf die Schüler-Lehrer-Beziehung. Positive Lehrerwahrnehmungen korrelieren eher schwach mit einer besseren Schüler-Lehrer-Beziehung (0,26), während negative Lehrerwahrnehmungen hingegen eine moderate Korrelation von 0,48 in Bezug auf eine geringere Schüler-Lehrer-Beziehung aufweisen (Tandler, 2020, S. 1137).

Der Einfluss negativer Lehrerwahrnehmung erweist sich zudem als ein starker Prädiktor für motivationale Unterschiede zwischen Schülern unterschiedlicher Schulen: Je negativer die Lehrerinnen einer Schule ihre Schüler beschrieben, desto weniger lernzielorientiert waren die Schüler der jeweiligen Schule. Hier liegen starke Korrelationen von 0,66 hinsichtlich der aktuellen Lernzielorientierung der Schüler und 0,79 hinsichtlich der zukünftigen Lernzielorientierung der Schüler vor.

Ähnlich starke Resultate ergeben sich aus dem Einfluss negativer Lehrerwahrnehmungen auf die Leistungsvermeidungs-Zielorientierung der Schüler. Je negativer Lehrer einer Schule ihre Schüler beschrieben, desto leistungsvermeidender war die Zielorientierung der Schüler. Gleiches gilt auch für die zukünftige Leistungsvermeidungszielorientierung, welche eine starke Korrelation von 0,54 aufweist (Tandler, 2020, S. 1138).

3.3 Diskussion

Die Ergebnisse der Studie belegen, dass positive Lehrerwahrnehmungen zwar in keinem Zusammenhang mit den unmittelbaren Leistungen der Schüler stehen, jedoch signifikant die Leistungen der Schüler vier Monate später voraussagen. Aus diesem Grund könnten die positiven Lehrerwahrnehmungen als Einfluss auf die Schülerleistungen interpretiert werden (Tandler, 2020, S. 1139). Wie in Kapitel 2 dieser Arbeit dargelegt wurde, könnte hier eine positive Wahrnehmungsverzerrung der Lehrerinnen vorliegen. Das kann dazu führen, dass Lehrerinnen denjenigen Schülern bessere Noten geben, die sie als bessere Schüler wahrnehmen (unabhängig von der objektiven Leistung).

Dadurch, dass die Lehrerwahrnehmungen jedoch nur mit zukünftigen Schülerleistungen korrelieren und nicht mit aktuellen Leistungen, könnte eher von einer selbsterfüllenden Prophezeiung ausgegangen werden. Selbsterfüllende Prophezeiungen treten auf, wenn eine ursprünglich ungenaue Leistungserwartung des Lehrers zu ihrer eigenen Erfüllung führt. Hierunter fallen sowohl niedrige Erwartungen, die das Lernen der Schüler behindern oder hohe Erwartungen, die das Lernen der Schüler fördern (Tesser, 1996, S. 48). Möglicherweise führte Letzteres dazu, dass positive Lehrerwahrnehmungen signifikant die Leistungen der Schüler voraussagten.

Für den Nachweis, dass es sich hierbei tatsächlich um selbsterfüllende Prophezeiung handelt, müsste belegt werden, dass sogenannte Interaktionsmuster der Lehrkräfte, welche aufgrund mehr oder weniger zutreffenden Erwartungen sehr differenziert ausfallen, im Unterricht entsprechende Unterschiede in Bezug auf den Kompetenzerwerb der einzelnen Schüler bewirken (Lorenz, 2018, S. 26). Um diese Erkenntnis zu bestätigen, sind noch genauere Forschungen erforderlich.

Die Tatsache, dass die Zahl der negativen Lehrerwahrnehmungen Einfluss auf die Motivation der Klasse hat, ist ein weiteres Ergebnis der Studie. Rubie-Davies (2007) bestärkt diese Erkenntnis mit seiner Studie und findet heraus, dass die schulischen Umgebungsfaktoren, wie z. B. die Lehrerunterstützung, mit der Motivation von Schülern zusammenhängen. Lehrer mit niedriger Erwartungshaltung geben nachweislich weniger Anweisungen und Erklärungen zu einem gewissen Thema und lassen Schülern weniger Spielraum, um Fragen des Lehrers nach ihrem eigenen Verständnis zu interpretieren. Diese Eigenschaft von Lehren fördert möglicherweise nicht das Kompetenzgefühl der Schüler (Rubie-Davies, 2007, S. 300 ff.). Daraus lässt sich begründen, weshalb negative Lehrerwahrnehmungen für eine geringere Motivation der Klasse verantwortlich sein können.

Hinsichtlich der Methodik der Studie von Tandler & Dalbert ist es relevant, dass die meisten untersuchten Schüler dem Hauptschulzweig angehörten. In diesem gibt es laut einer PISA-Studie (Ehmke & Jude, 2009, S. 247 u. 248) mehr sozioökonomisch benachteiligte Schüler. Gentrup (2020, S. 887) stellt dazu in ihrer Studie fest, dass Lehrkräfte Kindern aus sozial bessergestellten Familien im Vergleich zu Kindern aus sozial schwächeren Familien eine höhere Motivation und ein günstigeres Arbeitsverhalten zuschreiben. Diese Einschätzungen fielen noch höher aus, wenn die Selbsteinschätzungen der Kinder berücksichtigt wurden. Für die vorliegende Studie kann dies im Umkehrschluss bedeuten, dass die Lehrerinnen die Schüler aufgrund ihrer sozioökonomischen Benachteiligung eher eine geringere Leistungsmotivation zuschrieben, was als Verzerrung interpretiert werden könnte. Die Folge dessen sind Messungenauigkeiten, die zu einer Unterschätzung des zutreffenden Anteils der Leistungserwartungen und damit zu einer Überschätzung etwaiger Verzerrungen führen (Gentrup, 2020, S. 887). Dies sollte unbedingt, auch beim Gegenüberstellen mit anderen Studien dieses Themenbereichs berücksichtigt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung von Lehrerwahrnehmungen. Einfluss auf die Motivationslage und Leistungen von Schülern
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,0
Jahr
2021
Seiten
13
Katalognummer
V1145353
ISBN (eBook)
9783346523181
ISBN (Buch)
9783346523198
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entstehung, lehrerwahrnehmungen, einfluss, motivationslage, leistungen, schülern
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Die Entstehung von Lehrerwahrnehmungen. Einfluss auf die Motivationslage und Leistungen von Schülern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1145353

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