Anti-Aggressivität-Training im Jugendstrafvollzug. Kontrolle und Modifikation von aggressivem Verhalten auf Grundlage des sozial-lerntheoretischen Konzepts


Hausarbeit, 2021

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Einführung in die theoretischen Grundlagen
2.1 Definition von Aggression, Gewalt, Aggressivität und antisozialem Verhalten
2.2 Sozio-kognitiver Ansatz
2.2.1 Aufmerksamkeitsprozesse
2.2.2 Bekräftigungs- und Motivationsprozesse

3 Aggression und Gewalt aus Sicht des sozio-kognitive Ansatzes
3.1 Hauptquellen und Auslösebedingungen für Aggressives Verhalten
3.2 Bedingungen für die Beibehaltung aggressiven Verhaltens
3.2.1 Externe Bekräftigung
3.2.2 Stellvertretende Bekräftigung
3.2.3 Selbstbekräftigung

4 Modifikation und Kontrolle von Aggressionsverhalten im Jugendstrafvollzug
4.1 Anti-Aggressivitätstraining im Jugendstrafvollzug
4.2 Sozial-kognitive Maßnahmen im Anti-Aggressivitätstraining
4.2.1 Darbietung eines positiven Modells
4.2.2 Entwicklung von Handlungsalternativen
4.2.3 Aufzeigen aversiver Konsequenzen
4.2.4 Bestrafung durch Belohnungsentzug
4.2.5 Abbau von Neutralisierungstechniken
4.2.6 Konfrontation zur Übung der alternativen Handlungsweißen

5 Fazit

Literaturverzeichnis

Rechtsquellenverzeichnis

In dieser Hausarbeit wird aufgrund der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Dennoch soll betont werden, dass immer Männer und Frauen, Inter- und Trans*Personen gemeint sind sowie auch diejenigen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können.

1 Einleitung

Die Gesellschaft befindet sich im stetigen Wandel, 81 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie haben den Eindruck, dass zurzeit in unserer Gesellschaft die Aggressivität zunimmt (Nier, zit. n. de.statista.com, 2019, o.S.). Dies spiegelt sich auch darin wider, dass seit geraumer Zeit eine der größten Zukunftssorgen der Deutschen die Sorge vor zunehmender Gewalt und Kriminalität ist (BAT Stiftung für Zukunftsfragen, zit. n. de.statista.com, 2008, o.S.; McDonald's, zit. n. de.statista.com, 2017, o.S.).

Als besonders aufmerksamkeitserregend ist in diesem Zusammenhang die hohe Anzahl jugendlicher und heranwachsender Tatverdächtiger bei Gewaltverbrechen zu betrachten, da diese künftig als Erwachsene die Gesellschaft prägen werden (vgl. Mannheim, 1928, o.S.; zit. n. Reuband, 2018, S. 35). Im Jahr 2019 standen von insgesamt 173.140 Tatverdächtigen, 23.619 Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) und 22.434 Heranwachsende (18 bis unter 21 Jahre) unter Verdacht, Gewaltdelikte verübt zu haben (Bundeskriminalamt, 2019, S. 12). Auffällig war, dass bei insgesamt 181.054 erfassten Fällen im Bereich der Gewaltkriminalität, die Tatverdächtigen bei 133.084 Fälle davon für gefährliche und schwere Körperverletzung (Gem. §§ 224, 226, 226a, 231 StGB) vor Gericht standen (Bundeskriminalamt, 2019, S.8). Das Zufügen eines derartig erheblichen physischen Schadens stellt eine extreme Form von aggressivem Verhalten dar, welche letztlich zu Straftaten führen kann (Greitemeyer, 2012, S. 176).

Da bei Jugendlichen die psychosoziale Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist und es daher noch Möglichkeiten gibt bei Fehlentwicklungen geeignete Maßnahmen einzuleiten, glaubt die Gesellschaft noch an eine Interventionsmöglichkeit (Reuband, 2018, S. 36). Deshalb werden Jugendliche nach dem Jugendstrafrecht verurteilt und erhalten in diesem Zuge Weisungen, die ihre Erziehung fördern und sichern sollen. Dazu gehört neben anderen Auflagen auch die Weisung an einem sozialen Trainingskurs wie zum Beispiel einem Anti­Aggressivitätstraining (AAT)1 teilzunehmen (§ 10, Abs. 1, Nr. 6 JGG). Dieser Kurs soll den Jugendlichen also bei der Kontrolle ihres aggressiven Verhaltens helfen. Das soll dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Gewaltstraftat sinkt und somit auch das Risiko für eine Wiederverurteilung der straffällig gewordenen Jugendlichen. Diese Maßnahmen sind notwendig, da bei Straftaten, die nach dem Jugendstrafrecht sanktioniert werden, die gesamte Rückfallrate bei 41 Prozent liegt (Jehle et. al., 2016, S. 62).

Die vorliegende Hausarbeit thematisiert auf Grundlage des sozio-kognitiven Ansatzes von Albert Bandura (1976) Aggression und Gewalt und zeigt am Beispiel des AATs eine mögliche Maßnahme zur Kontrolle und Modifikation von aggressivem Verhalten auf. Die zugrundeliegende Thematik fällt in den Gegenstandsbereich der Sozialpsychologie, die sich damit auseinandersetzt, inwiefern die tatsächliche, vorgestellte oder implizierte Anwesenheit anderer das Denken, Fühlen und Verhalten eines Individuums beeinflusst (vgl. Allport, 1968, S. 3; zit. n. Werth, Denzler & Mayer, 2020, S. 3). Die Fragestellung beschäftigt sich insofern mit dieser Thematik, dass das sozial-lerntheoretische Konzept darauf aufbaut im sozialen Kontext, also an einem anderen Individuum, das als Modell dient, zu lernen (Bandura, 1969, S. 214). Die Anwesenheit eines Menschen beeinflusst hier also das Verhalten eines anderen. Die konkrete Forschungsfrage dieser Hausarbeit lautet:

Inwiefern wird beim AAT, auf Grundlage des sozio-kognitiven Ansatz, aggressives Verhalten modifiziert und kontrolliert?

2 Einführung in die theoretischen Grundlagen

2.1 Definition von Aggression, Gewalt, Aggressivität und antisozialem Verhalten

Um für ein gemeinsames und grundlegendes Verständnis zu sorgen sollen im Anschluss die Begriffe „Aggression“, „Gewalt“, „Aggressivität“ und „antisoziales Verhalten“ definiert und voneinander differenziert werden.

Nach dem aktuellen Forschungsstand (Dorsch—Lexikon der Psychologie, 2020, S.113) wird „Aggression“ als eine Handlung definiert, welche mit der Absicht ausgeführt wird, anderen Personen einen körperlichen oder psychischen Schaden zuzufügen. Dies kann sowohl verbal als auch physisch geschehen und ist unabhängig davon, ob das Ziel erreicht wird oder nicht.

Bei „Gewalt“ geht es insbesondere um Macht oder das Recht, Menschen oder Dinge mithilfe von physischem oder psychischem Zwang zu beherrschen oder zu schädigen. Da es sich bei Gewalt um eine extreme und sozial nicht akzeptable Unterform von Aggression handelt, ist der Übergang von Aggression zu Gewalt fließend und die Begrifflichkeiten können nicht klar voneinander differenziert werden (Dorsch—Lexikon der Psychologie, 2020, S. 703). Die Person, von welcher der Angriff ausgeht, wird entweder als Angreifer oder als „Aggressor“ betitelt (Cambridge University Press, o.J.).

In diesem Zuge ist es essenziell, Aggression von Aggressivität abzugrenzen, da es sich bei „Aggressivität“ um die Bezeichnung für ein Persönlichkeitsmerkmal handelt. Dieses Merkmal meint die Eigenschaft oder Disposition, häufig und stark aggressiv zu reagieren (Dorsch—Lexikon der Psychologie, 2020, S. 115).

Die Bereitschaft eine aggressive Verhaltensweise, also Aggression zu zeigen, ist bei verschiedenen Menschen mehr oder weniger ausgeprägt und ist auf ihr unterschiedliches Ausmaß an Aggressivität zurückzuführen. Bei Aggressivität handelt es sich also um ein Persönlichkeitsmerkmal und bei Aggression um eine Verhaltensweise (Gerrig & Zimbardo, 1995, S. 334 & 702).

Außerdem ist eine Differenzierung von „antisozialem Verhalten“ anzubringen. Dabei handelt es sich um einen Sammelbegriff, der alle Verhaltensweisen einschließt, bei denen aufgrund egoistischer Motive die Anliegen anderer Personen oder Gemeinschaften grob missachtet werden (Gerrig & Zimbardo, 1995, S. 702) .

2.2 Sozio-kognitiver Ansatz

Laut Albert Bandura (1969, S. 214) stellt „Lernen am Modell“ einen Prozess dar, in dessen Verlauf neue Verhaltensweisen erworben und bestehende Verhaltensmuster bis zu einem gewissen Grad modifiziert werden, indem Einflüsse von verschiedenen Modellen aufgenommen werden. Unter einem „Modell“ ist der Mensch zu verstehen, von dem der Lernende sich das Verhalten abschaut.

Der Prozess des Modelllernens kann in zwei Phasen mit jeweils zwei aufeinander bezogenen Subprozessen gegliedert werden. In der Aneignungsphase, auch „Akquisition“ genannt, findet durch Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse der eigentliche Lernprozess statt. Im Anschluss darauf wird das beobachtete und repräsentierte Verhalten in der Ausführungsphase, welche auch „Performanz“ genannt wird, imitiert. Besonders wichtig für die Imitation eines Verhaltens sind dabei sowohl die motorischen Reproduktionsprozesse als auch die Bekräftigungs­und Motivationsprozesse (Decker, 2018, S.163 f.). Da besonders die Aufmerksamkeitsprozesse sowie die Bekräftigungs- und Motivationsprozesse relevant für die Entstehung und Beibehaltung von Aggression sind, werden diese im Folgendem näher erläutert.

2.2.1 Aufmerksamkeitsprozesse

Um ein Verhalten zu erlernen bedarf es Bandura (1976, S.24) zufolge unserer ungeteilten Aufmerksamkeit. Folglich sind die aufmerksamkeitsbestimmenden Variablen, wie beispielsweise die Position des Modells in der Macht-, Prestige- und Kompetenzhierarchie oder seine Ausstrahlung, besonders ausschlaggebend für die Auswahl und Wirksamkeit eines Modells (Bandura, 1979, S. 86 f.).

2.2.2 Bekräftigungs- und Motivationsprozesse

Damit das Erlernte vom Beobachter offen ausgeführt wird sind die Motivations­und Bekräftigungsprozesse von großer Bedeutung. Die Erwartung von positiver oder negativer Verstärkung, also von Belohnungen oder Bestrafungen, beeinflusst demnach den offenen Ausdruck des Verhaltens. Der Beobachter wird nur dann motiviert und setzt das Erlernte um, wenn das gezeigte Verhalten voraussichtlich zu einer erwünschten Konsequenz führt (Bandura, 1976, S.29 f.).

Bandura (1965, S.593) hat Bekräftigungsprozesse untersucht und festgestellt, dass diese auch das Modellernen selbst beeinflussen; denn, die damit einhergehende Motivation führt zu mehr Aufmerksamkeit sowie auch Wiederholung und begünstigt somit das Behalten der beobachteten Verhaltensweise.

3 Aggression und Gewalt aus Sicht des sozio-kognitive Ansatzes

Einer der Ansätze, um die Entstehung von Aggressionen zu erklären, ist die sozial­kognitive Lerntheorie von Albert Bandura (Kassin, Fein & Markus, 2021, S. 475 ff.). Überprüft wurde dieser Ansatz im Hinblick auf die Nachahmung aggressiven Verhaltens mittels des „Bobo Doll Experiments“. Dabei wurde festgestellt, dass die Beobachtung gefilmter Aggression gegenüber einer Puppe aggressive Reaktionen bei Kindern steigert (Bandura, Ross & Ross, 1963, S. 9). Im Folgendem sollen daher Aggression und Gewalt aus Sicht des sozio-kognitiven Ansatzes dargestellt werden.

3.1 Hauptquellen und Auslösebedingungen für Aggressives Verhalten

Aggressive Verhaltensweisen werden laut des sozio-kognitiven Ansatzes erlernt und anschließend durch bestimmte Reize ausgelöst (Bandura, 1979, S. 134). Diese Verhaltensmuster können durch die Familie, welche als Modell fungiert, vermittelt werden, indem der Jugendliche zum Beispiel durch einen Gewaltkreislauf vom Geschlagenen zum Schläger wird (Bandura, 1979, S. 112). Außerdem finden sich laut Bandura (1979, S. 116) in delinquenten Subkulturen, auch außerhalb des familiären Umfelds, gehäuft Modelle für Aggressionsverhalten, da in dieser Umgebung Status durch kämpferische Verwegenheit erlangt wird. Neben der Vermittlung durch ein aggressionserzeugendes Milieu, wird aggressives Verhalten auch durch symbolische Vermittler wie die Medien übermittelt (Bandura, 1979, S. 120 f.; Anderson et. al., 2017, S. 144 f.). Die Zusammenhänge zwischen aggressivem Verhalten und Gewaltdarstellung in Medien sind intensiv erforscht und wiederholt belegt worden, wie unter anderem in einer aktuellen Studie von Han et. al. (2020, S. 4 f.).

Dieses erlernte Verhalten wird laut Bandura (1979, S. 134) im Anschluss von verschiedenen „Stimuli“, also Reizen, die starke Aggressionsauslöser darstellen, ausgelöst. Welche Stimuli als Auslöser für aggressives Verhalten dienen ist abhängig von der individuellen Entwicklung und nicht angeboren. Dazu können beispielsweise sowohl persönliche Beleidigungen, Bedrohungen des eigenen Status, ungerechte Behandlungen, verbale Herausforderung als auch provokativ aggressives Verhalten gehören (Bandura, 1979, S. 134).

Eine weitere häufige Ursache aggressiven Verhaltens ist Frustration. Genauer ist mit diesem weitläufigen Begriff gemeint, dass dieses Verhalten von einer negativen, vereitelnden, ärgerlichen oder physisch schmerzvollen Behandlung durch andere ausgelöst wird (Bandura, 1979, S. 176).

3.2 Bedingungen für die Beibehaltung aggressiven Verhaltens

In diesem Kapitel sollen die Bedingungen für die Beibehaltung aggressiven Verhaltens näher erklärt werden.

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, weshalb Menschen ihr erlerntes, aggressives Verhalten beibehalten. Maßgeblich dafür sind nach dem sozio-kognitiven Ansatz insbesondere die Verhaltenskonsequenzen (Bandura, 1979, S. 206). Je nachdem ob das aggressive Verhalten positiv bekräftigt, also belohnt, oder durch negative Bekräftigung bestraft wird, erhöht oder verringert sich die Auftretenswahrscheinlichkeit. Bei den Formen der Bekräftigung kann zwischen der externen Bekräftigung, stellvertretenden Bekräftigung und Selbstbekräftigung differenziert werden (Bandura, 1979, S. 206).

Da aggressives Verhalten, abgesehen von delinquenten Milieus, gesellschaftlich nicht akzeptiert wird, sondern mit bestrafenden Konsequenzen verbunden ist, führt diese negative Auswirkung zu einer Hemmung der aggressiven Verhaltensweise. Wegen dieser hohen „Kosten“ für Aggressionsverhalten, ist eine Belohnung desselbigen hier von noch größerer Bedeutung als bei Verhaltensweisen mit keine oder geringerer aversiver Wirkung (Bandura, 1979, S. 207).

[...]


1 Im Nachfolgenden wird das Anti-Aggressivitätstraining mit AAT abgekürzt.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Anti-Aggressivität-Training im Jugendstrafvollzug. Kontrolle und Modifikation von aggressivem Verhalten auf Grundlage des sozial-lerntheoretischen Konzepts
Hochschule
Hamburger Fern-Hochschule
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
15
Katalognummer
V1146056
ISBN (eBook)
9783346530585
ISBN (Buch)
9783346530592
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bandura, Lerntheorie, Aggression, Anti-Aggresivitäts-Training, AAT, Anti-Aggressions-Training, Lernen am Modell, Kontrolle, Modifikation, aggressives Verhalten, sozial-lerntheoretisches Konzept, sozial-kognitives Modell, JVA, Jugendstrafvollzug, Rechtspsychologie, Sozialpsychologie, HFH, SPY
Arbeit zitieren
Anna-Lena Reisch (Autor:in), 2021, Anti-Aggressivität-Training im Jugendstrafvollzug. Kontrolle und Modifikation von aggressivem Verhalten auf Grundlage des sozial-lerntheoretischen Konzepts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1146056

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