Im Rahmen einer videogestützten systematischen Beobachtungsstudie mit experimentellen Versuchsdesign wird der Einfluss des Smartphones auf die Eltern- Kind-Interaktion während einer Freispielsituation untersucht. Das Konzept der Responsivität als einflussreiche elterliche Kompetenz steht hierbei im Fokus.
Bislang stand der Technologiekonsum von Kindern und Jugendlichen im Fokus der Aufmerksamkeit und wurde beispielsweise durch die BLIKK-Medienstudie (die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2017) kritisch betrachtet. Zahlreiche Erziehungsratgeber, wie "Smartphones aber richtig!: Sichere Nutzung von Handys und Smartphones" (Feibel 2014) und "Jetzt pack doch mal das Handy weg!: Wie wir unsere Kinder von der digitalen Sucht befreien" (Feibel 2017), kamen auf den Markt, um die Medienkompetenz der Kinder zu fördern und Eltern im richtigen Umgang mit Konfliktsituationen zu unterstützen. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nahm sich dieser Thematik an und hat Empfehlungen für die Nutzungszeiten elektronischer Medien von Kindern veröffentlicht.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer und empirischer Hintergrund
2.1 Technoference
2.1.1 Aktive Nutzung
2.1.2 BloßeAnwesenheit
2.1.3 Störung
2.1.4 Nutzungsgründe
2.2 Bindung
2.2.1 Bindungstheorie
2.2.2 DasinnereArbeitsmodell
2.2.3 Bindungstypen
2.2.4 Bindungs- und Explorationsbalance
2.2.5 Feinfühligkeit
2.3 Schlüsselkomponenten der Eltern-Kind-Interaktion
2.4 Responsivität
2.4.1 Definition
2.4.2 Bedeutung für die kindliche Entwicklung
2.4.3 Einflüsse durch das Smartphone
2.5 Spiel
2.5.1 Definition und Bedeutung
2.5.2 Die Rolle der Eltern im Spiel
2.5.3 Spielfeinfühligkeit
3 Zielsetzung und Ableitung der Fragestellung
4 Methode
4.1 Beobachtungsverfahren als wissenschaftliche Methode
4.2 Versuchsplanung
4.3 ExperimentelleAufgabe
4.3.1 Experimentalgruppe
4.3.2 Kontrollgruppe
4.4 Coverstory
4.5 Stichprobe
4.6 Versuchsmaterial
4.6.1 Codiersystem
4.6.2 Fragebogen
4.7 Geräte und Untersuchungsraum
4.8 Versuchsdurchführung
5 Ergebnisse
5.1 Vorbemerkung
5.2 Reliabilitätsanalyse
5.3 Interkorrelationen der Fragebogenvariablen
5.4 Manipulationskontrolle
5.5 Nutzungsverhalten der Eltern
5.6 Responsivität
5.7 Hypothesentests
5.8 WeiterführendeAnalysen
6 Diskussion
6.1 ZusammenfassungderStudie
6.2 Ergebnisse
6.3 Limitationen
6.4 Ausblick
6.5 Fazitundlmplikation
7 Literatur
Anhang A: Nachrichten „Störung"
Anhang B: Fragen „aktive Nutzung"
Anhang C: Aushang Studie
Anhang D: Codiersystem
Anhang E: Fragebogen
Anhang F: Korrespondenz
Anhang G: Einwilligungserklärung
Anhang H: Instruktionen
Anhang I: Kurzanleitungen
AnhangJ: Erstellen des anonymen Codes
Anhang K: Debriefing
Anhang L: Gefühle zum Handy - Begründungen
1 Einleitung
Das Smartphone ist mittlerweile zum „Must-have" des alltäglichen Lebens geworden (Jaarvenpaa & Lang, 2005; Srivastava, 2005). Dies spiegeln die aktuellen Zahlen wider: Rund 97 % der privaten Haushalte verfügen inzwischen über mobile Endgeräte, von denen 82 % Smartphones sind (Statistisches Bundesamt, 2019).
Neben dem Telefonieren und Versenden von Textnachrichten bieten Smartphones eine Reihe an verschiedensten Funktionen wie Fotografieren, Musikhören, Zugang zum Internet oder Terminplaner. Mit diversen weiteren Anwendungsprogrammen, den sogenannten Apps, wird das Smartphone vom einfachen Kommunikationsmittel zum treuen Wegbegleiter, der einem beispielsweise beim Kennenlernen neuer Menschen hilft, als Diätassistent fungiert oder einem per Barcodescannen verrät, ob das interessierende Produkt schädigende Inhaltstoffe enthält. Das Smartphone kann immer mit dabei sein, ob nun im Bus, beim Einkäufen, während einer Vorlesung oder bei einem Treffen mit Freunden. Zudem ermöglicht es viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. So können E-Mails gelesen und bearbeitet sowie Termine organisiert werden, während man einkaufen ist oder auf die Kinder aufpasst. Neben den praktischen Vorteilen immer und überall erreichbar sein und viele Dinge gleichzeitig tun zu können, vermittelt es auch das Gefühl nicht alleine und, falls gewünscht, jederzeit mit der Welt verbunden zu sein (Srivastava, 2005). Manche Konsumenten können sogar nicht ohne ihr Smartphone Schlafengehen oder ohne kurzes überprüfen, ob Nachrichten eingegangen sind, in den Tag starten (Perlow, 2012).
Die von vielen Menschen als vorteilhaft angesehene Nutzung des Smartphones hat dabei auch negative Auswirkungen, die nicht unbeachtet bleiben sollten. Zahlreiche Studien haben sich mit den weitreichenden Effekten der Nutzung auf verschiedenste Lebensbereiche beschäftigt. Ein übermäßiger Konsum kann sowohl zu Schlafstörungen und Depressionen (Demirci, Akgönül & Akpinar, 2015; Thomeé, Eklöf, Gustafsson, Nilsson & Hageberg, 2007) führen, als auch die Teilnahme am Straßenverkehr durch Unachtsamkeit beeinträchtigen (Caird, Willness, Steel & Scialfa, 2008; Leung, Croft, Jackson, Howard & McKenzie, 2012; Strayer & Johnston, 2001;) und Unfälle provozieren (Nasar & Troyer, 2013; Neider; Thompson, Rivara, Ayyagari & Ebel, 2013). Die Benutzung eines mobilen Gerätes während des Autofahrens lenkt ab und ist gefährlich. Jedoch scheint es vielen Menschen nicht bewusst zu sein, wie stark ihre Aufmerksamkeit dadurch beeinflusst wird. Physisch ist man an Ort und Stelle, aber gedanklich ganz woanders, da man gerade noch in einen Chat oder ein Telefonat mit Freunden vertieft ist oder sich beim Lesen einer Onlinezeitung mit den Inhalten auseinandersetzt. Gergen (2002) bezeichnet dies als anwesendeAbwesenheit.
Bislang stand der Technologiekonsum von Kindern und Jugendlichen im Fokus der Aufmerksamkeit und wurde beispielsweise durch die BLIKK-Medienstudie (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2017) kritisch betrachtet. Zahlreiche Erziehungsratgeber, wie Smartphones aber richtig!: Sichere Nutzung von Handys und Smartphones (Feibel, 2014) und Jetzt pack doch mal das Handy weg!: Wie wir unsere Kinder von der digitalen Sucht befreien (Feibel, 2017), kamen auf den Markt, um die Medienkompetenz der Kinder zu fördern und Eltern im richtigen Umgang mit Konfliktsituationen zu unterstützen. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nahm sich dieser Thematik an und hat Empfehlungen für die Nutzungszeiten elektronischer Medien von Kindern veröffentlicht. Zur Orientierung für die Eltern gilt eine Nutzungshöchstdauer bei Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahre von 30 Minuten täglich als angemessen. Kinder unter 3 Jahren sollten den Empfehlungen zufolge am besten gar keine elektronischen Medien konsumieren.
Aber nicht nur Kinder, sondern auch ihre Eltern greifen immer häufiger zum Smartphone (Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb, 2016; Waller et al., 2019). Ein Großteil der Eltern (95%) benutzt täglich oder mindestens mehrmals in der Woche ihr Smartphone (Waller et al., 2019). Dies findet häufig auch in Anwesenheit ihrer Kinder statt (McDaniel & Radesky, 2018; Radesky et al., 2014). Zum Beispiel benutzen 80 % der Eltern ihr Mobiltelefon selbst dann, wenn ihre mitfahrenden Kinder dadurch gefährdet werden könnten. Dabei findet Ablenkung häufiger durch Mobilgeräte als durch die eigenen Kinder statt (Macy, Carter, Bringham, Cunningham & Freed, 2014). Auch wenn die häufige Nutzung oftmals aus gewohnheitsmäßigen, kurzen Überprüfungen von Uhrzeit oder Nachrichten (Oulasvirta, Rattenbury & Raita, 2012) besteht, führt dies zu häufigeren Verletzungen bei ihren Kindern (Palsson, 2014). Zudem wird das Beisammensein von Eltern und Kindern, unter anderem während des gemeinsamen Essens oder Spielens, durch die Nutzung gestört (McDaniel, 2019) und zwischenmenschliche Interaktionen aufgrund der ständigen Unterbrechungen durch Smartphones und ähnlichen Mobilgeräten in Mitleidenschaft gezogen. McDaniel (2015) betitelt dieses Phänomen als Technoference und macht diese Thematik zum Forschungsschwerpunkt zahlreicher Studien (McDaniel & Coyne, 2014, 2016; McDaniel, Galovan, Cravens & Drouin, 2018; McDaniel & Radesky, 2018).
Inwieweit sich die durch Smartphones erzeugte Abgelenktheit der Eltern auf ihr Verhalten und die Interaktionen mit ihren Kindern auswirkt und welche gravierenden Folgen dies für deren Entwicklung haben kann, soll Thema der vorliegenden Arbeit sein.
Zu Beginn wird in die theoretischen und empirischen Hintergründe eingeführt, um anschließend die Fragestellung sowie die inhaltlichen Hypothesen abzuleiten, die mit der vorliegenden Studie untersucht werden sollen. Diese Arbeit basiert auf den Daten der Pilotstudie, die zur Erprobung des Untersuchungsdesigns durchgeführt wurde. Daher erfolgt im nächsten Kapitel eine ausführliche Beschreibung der hier angewandten Methodik. Anschließend werden die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung präsentiert und abschließend ausführlich diskutiert.
2 Theoretischer und empirischer Hintergrund
Das folgende Kapitel behandelt die theoretischen und empirischen Grundlagen, die für die vorliegende Studie von besonderer Relevanz sind. Zu Beginn wird das Phänomen Technoference vorgestellt. Nachfolgend wird auf die Bindungstheorie als wichtige Grundlage für die Eltern-Kind-Interaktion eingegangen. Darauf aufbauend behandelt der nächste Abschnitt Schlüsselkomponenten einer gelungenen Eltern-Kind-Interaktion. In den weiteren Ausführungen rückt die Responsivität als wichtige Teilkomponente einer erfolgreichen Interaktion zwischen Eltern und ihren Kindern in den Fokus. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels wird das Spiel als bedeutungsvolle Interaktionsquelle thematisiert.
2.1 Technoference
Der Begriff Technoference beschreibt Zeiten, in denen Technologiegeräte zu einer Unterbrechung oder Behinderung der Kommunikation und Interaktion zwischen Paaren und/oder Familienmitgliedern führen können (McDaniel, 2015). Dabei reicht Technoference von Unterbrechungen in persönlichen Gesprächen bis hin zum Gefühl des Eindringens beispielsweise dann, wenn eine Person erlebt, dass ihr Partner während des Beisammenseins die Aufmerksamkeit auf ein technisches Gerät lenkt (McDaniel & Coyne, 2014). Die daraus resultierenden Auswirkungen sind facettenreich und betreffen viele unterschiedliche Lebensbereiche.
Zu Beginn werden die Auswirkungen durch die aktive Nutzung mobiler Geräte in Paarbeziehungen sowie zwischen Eltern und ihren Kindern dargestellt. Daran anknüpfend werden weitere empirische Ergebnisse zu anderen Darbietungsformen des Smartphones, wie die bloße Anwesenheit und die durch Klingel- oder Nachrichtentöne verursachte Störung, präsentiert. Zuletzt werden mögliche Gründe einer häufigen Nutzung und die damit einhergehende Technoference genannt.
2.1.1 Aktive Nutzung
Die aktive Nutzung von mobilen Geräten, insbesondere das Telefonieren oder das Schreiben von Textnachrichten mithilfe von Smartphones, ist zentraler Bestandteil vieler Studien (Kushlev & Dünn, 2019; Radesky et al., 2014; Radesky et al., 2015; McDaniel & Radesky, 2018). In einer Online-Umfrage gaben 70 % der teilnehmenden 143 Frauen an, dass die Qualität ihrer Beziehung durch die von Mobiltelefonen verursachten Störungen leidet. Obwohl die Kommunikation über Mobiltelefone in Paarbeziehungen bereits zur Normalität geworden sind und auch gerne zum Ausdruck von Zuneigung verwendet wird (Coyne, Stockdale, Busby, Iverson & Grant., 2011), fühlen sich Paare trotzdem durch ihre Anwendung gestört, zumindest dann, wenn diese nicht den jeweiligen Partnern zugutekommt (McDaniel & Coyne, 2014). Konflikte über das Nutzungsverhalten werden provoziert, welche die Beziehungsqualität zusätzlich mediieren. Ein vermindertes Wohlbefinden, depressive Symptome und letztlich eine geringere Lebenszufriedenheit können entstehen (McDaniel & Coyne, 2014).
Ebenso die Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern wird heutzutage durch Technologie gestört. Ein häufiger Einsatz von Mobilgeräten führt zu häufigeren Störungen in der Eltern-Kind-Interaktion (McDaniel & Radesky, 2018). Dies konnte im Rahmen einer Felduntersuchung, bei der Eltern während des gemeinsamen Essens mit ihren Kindern in Fast-Food-Restaurants beobachtet wurden, festgestellt werden (Radesky et al., 2014). Während einer strukturierten Essensaufgabe zeigte sich eine Veränderung des mütterlichen Interaktionsverhaltens. Die Aufgabe bestand darin, dass Kinder in Anwesenheit ihrer Mütter verschiedene Gerichte beziehungsweise Lebensrnittel innerhalb von je 4 Minuten probieren sollten. Verwendete die Mutter innerhalb dieser Zeit spontan ihr Smartphone, so führte dies zu einer geringeren verbalen und nonverbalen Interaktion mit ihrem Kind. Zudem wurden die Kinder weniger ermutigt, die fremden Gerichte zu probieren (Radesky et al., 2015). Die Störung durch Mobilgeräte vermindert aber nicht nur die Anzahl von Interaktionen, sondern auch das Gefühl der Verbundenheit zum Kind. Dies berichteten Eltern, die während eines gemeinsamen Museumsbesuches mit ihrem Kind im Zuge eines Feldexperiments dazu angewiesen wurden, ihr Mobiltelefon viel zu benutzen (Kushlev & Dünn, 2019).
Zudem gaben Eltern in halbstrukturierten Einzelinterviews an, dass die aktive Nutzung ihrer Mobiltelefone zu kognitiven und emotionalen Spannungen führen, welche die Familienroutine stören und wiederum Spannungen zwischen ihnen und ihren Kindern hervorrufen (Radesky et al., 2016).
Die Vertiefung in das Smartphone scheint während der aktiven Benutzung eines Mobilgerätes von besonderer Relevanz zu sein (Radesky et al., 2014). Sie führt zu einer geteilten Aufmerksamkeit, die die genannten Auswirkungen zusätzlich bedingt (Khourochvili, 2017). Das Ausmaß, in dem der Hauptfokus der elterlichen Aufmerksamkeit und des Engagements auf das mobile Gerät und nicht auf das Kind gerichtet wird, hängt weitestgehend von der Häufigkeit, Dauer und Modalität der Gerätenutzung sowie von den Aufmerksamkeitsangeboten der Kinder ab. Außerdem ist es auch wichtig, ob das Gerät zusammen mit den Kindern oder alleine betrachtet wird. Ein geringerer Vertiefungsgrad liegt beispielsweise dann vor, wenn die Eltern schnell ihr Gerät überprüfen oder kurz Nachrichten schreiben (Radesky et al., 2014).
Gravierende Folgen hat die Verwendung von mobilen Geräten für Säuglinge (Kildare, 2017). Gesichtsausdrücke, die während der Interaktion zwischen ihnen und ihren Müttern ausgetauscht werden, sind für ihr Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl essentiell. Dies konnte mit dem sogenannten Still-face-Experiment nachgewiesen werden (Tronick, Adamson, Wise & Brazelton, 1978). Dies besteht aus zwei Untersuchungsphasen. In der ersten Phase (face to face) interagiert die Mutter mit ihrem Kind in spielerischer Weise. In der zweiten Phase (still face) beendet die Mutter plötzlich und für den Säugling unerwartet die Spielinteraktion, indem sie nicht mehr auf ihn reagiert. Ihr Gesicht ist dabei ausdruckslos und wirkt wie eingefroren. Dabei hält die Mutter noch den Augenkontakt aufrecht oder schaut auf die Stirn des Kindes. Die Säuglinge reagieren daraufhin mit weniger lächeln und beginnen zu weinen, zu schreien oder schauen weg.
In einer modifizierten Variante des Still-face-Experiments (Kildare, 2017) wurde nun untersucht, ob die von Mobiltelefonen ausgelösten Unterbrechungen in der Eltern-KindInteraktion beim Kind ebenso einen Still-face-Effekt hervorrufen. Da die Nutzung des Mobiltelefons einen anderen Gesichtsausdruck verursacht, wurde die zweite Phase des Experiments durch typische Gesichtsausdrücke, die während der Smartphone-Nutzung auftreten können, ersetzt. Auch hier zeigen die Säuglinge ähnliche Reaktionen. Die Mütter werden weniger angeschaut, der positive Affekt nimmt ab, dagegen nimmt der negative Affekt zu und mehr Fluchtversuche werden unternommen. Elternberichten zufolge reagieren ältere Kinder ebenso auf den elterlichen Smartphone-Konsum, indem sie stärkeres Internalisierungsverhalten, wie beispielsweise Jammern und Schmollen sowie stärkeres Externalisierungsverhalten, wie Unruhe, Hyperaktivität und Wutanfälle zeigen (McDaniel & Radesky, 2018).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Unterbrechungen durch die Verwendung von mobilen Geräten negativ auf die Eltern-Kind-Interaktion auswirken, indem die Zahl an Interaktionen insgesamt zurückgeht und die Eltern weniger sensibel (verbal als auch nonverbal) auf die Aufmerksamkeitsangebote ihrer Kinder reagieren (Kildare & Middlemiss, 2017).
2.1.2 BloßeAnwesenheit
Die meisten Studien haben sich mit den Auswirkungen durch eine aktive Nutzung mobiler Geräte auseinandergesetzt. Jedoch haben sich auch einige wenige Studien der Thematik zugewandt, inwieweit die bloße Anwesenheit des Smartphones zu einer Beeinflussung führen kann (Przybylski & Weinstein, 2012; Thornton, Faires, Robbins & Rollins, 2014; Ward, Duke, Gneezy & Bos, 2017). Die bloße Anwesenheit meint hierbei, dass das Gerät sichtbar aber ausgeschaltet ist und nicht aktiv genutzt wird.
Thornton et al. (2014) konnten nachweisen, dass die Bearbeitung einer Aufgabe in Anwesenheit des Smartphones zur Ablenkung führt, sich dadurch die Aufmerksamkeit verringert und vermehrt Fehler gemacht werden. Dabei wird die Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit mit einer Verringerung der verfügbaren kognitiven Ressourcen als Hauptursache begründet (Ward et al., 2017). Dieses Phänomen wird von Ward et al. (2017) als brain drain bezeichnet und schließt die Verminderung von Aufmerksamkeitsressourcen ein, auch wenn die Aufmerksamkeit bewusst vom Smartphone weg gerichtet werden kann (Ward et al., 2017).
In einer weiteren Studie (Przybylski & Weinstein, 2012) führt die bloße Gegenwart eines Mobiltelefons dazu, dass sich die Gesprächspartner weniger nahe fühlen. Dies äußert sich durch geringeres Vertrauen und Empathie sowie trivialere Gesprächsthemen im Vergleich zu Situationen ohne Mobiltelefon (Przybylski & Weinstein, 2012). Während eines ersten Experiments wurden die Versuchspersonen zufällig fremden Gesprächspartnern zugeteilt, mit denen sie in An- oder Abwesenheit eines Mobiltelefons 10 Minuten lang über ein beliebiges interessantes Ereignis sprachen. Im darauffolgenden zweiten Experiment wurden die Gesprächsinhalte in bedeutungsvolle und weniger bedeutungsvolle Themen vorgegeben. Es konnte belegt werden, dass das bloße Vorhandensein eines Mobiltelefons die Bildung einer Beziehung zum Gesprächspartner beeinträchtigt, Nähe und Vertrauen hemmt sowie Empathie und Verständnis verringert. Am stärksten treten die Effekte hervor, wenn ein persönlich bedeutungsvolles Thema diskutiert wird. Hingegen fördern bedeutungsvolle Gesprächsthemen Intimität und Vertrauen, wenn das Mobiltelefon nicht anwesend war. Diese Ergebnisse werden durch eine weitere Felduntersuchung (Misra, Cheng, Genevie & Yuan,2016) bestätigt und verdeutlichen zusätzlich, dass neben der aktiven Nutzung schon die reine Gegenwart eines Smartphones genügt, um negative Effekte in der Kommunikation hervorzurufen.
2.1.3 Störung
Die Störung durch den Empfang von Nachrichten oder Anrufen kann ebenfalls negative Effekte begünstigen (Stothart, Mitchum & Yehnert, 2015). Während Probanden eine aufmerksamkeitsintensive Aufgabe bearbeiten sollten, erhielten sie Textnachrichten und Telefonanrufe auf ihr persönliches Mobiltelefon, ohne diese aber entgegennehmen oder lesen zu können. Es wurde festgestellt, dass diese Störungen mit einer Verschlechterung der Leistungsfähigkeit einhergehen. Auch wenn man nicht mit seinem Mobiltelefon interagieren und sich mit den Inhalten auseinandersetzen kann, so reicht nach Stothart et al. (2015) das Bewusstsein, etwas verpasst zu haben schon aus, um nachrichtenbezogene und aufgabenirrrelevante Gedanken oder Gedankenwandern zu aktivieren. Die Aufmerksamkeitsressourcen müssen geteilt werden und führen wie bei einer aktiven Nutzung zu einer Ablenkung. Außerdem nehmen die Herzfrequenz und der Blutdruck sowie ängstliche Gefühle in solchen Situationen zu (Clayton, Leshner & Almond, 2015). Weitere Studien, die den Einfluss der reinen Störung auch auf zwischenmenschliche Beziehungen oder Interaktionen hin untersucht haben, existieren derzeit nicht. Unabhängig von der Darbietungsform scheint es zudem unerheblich zu sein, ob es sich um das eigene (Ward et al. ,2017) oder um ein fremdes Mobiltelefon (Przybylski & Weinstein ,2012; Thornton et al. ,2014) handelt. Allerdings gibt es hierzu keine expliziten Studien, die dies weiter präzisieren.
2.1.4 Nutzungsgründe
Interessanterweise betrachten Eltern ihren eigenen Konsum eher kritisch. Sie beschreiben sie sich selbst als weniger aufmerksam, reaktionsschnell und zuweilen ignorierend, wenn sie mit ihrem Gerät beschäftigt sind. Sie fühlen sich ihrem Mobiltelefon unterlegen und sehen sich als schlechtes Vorbild für ihre Kinder. Ausgenommen sind jedoch Smartphone bezogene Aktivitäten während der gemeinsamen Zeit, die dem Kinde zugutekommen, wie beispielsweise Fotos vom Kind machen oderTermine für die Kinder organisieren (Hiniker et al., 2015).
Obwohl das eigene Nutzungsverhalten vielen Eltern bewusst ist, werden Mobiltelefone zu häufig genutzt und Störungen zugelassen (Jaarvenpaa & Lang, 2005). Belk (2013) erklärt diese Faszination und diesen Nutzungsdrang mit der Theorie des erweiterten Selbst (extended self). Damit definiert er, dass das Smartphone zu einem Teil unserer Persönlichkeit wird, da sie an den Geschmack des Besitzenden angepasst und durch Fotos, Musik, Nachrichten und Daten von Freunden personalisiert werden. Ein zweites Ich wird konstruiert. Daher fällt es zahlreichen Nutzern schwer, sich vom Smartphone zu lösen und fühlen sich unwohl, wenn sie es ausschalten (Jaarvenpaa & Lang, 2005). Zudem ermöglicht das Smartphone, zu jeder Zeit an jedem Ort erreichbar zu sein und sich um Familie, Freunde oder die Arbeit zu kümmern (Jaarvenpaa & Lang, 2005). Kontakte und Beziehungen können gepflegt und aufrechterhalten werden (Wei & Hwei Lo, 2006). Dadurch entsteht allerdings ein wachsender sozialer Druck, auf Nachrichten oder Anrufe schnell reagieren zu müssen (Kildare & Middlemiss, 2017). Benutzer bezeichnen sich daher selber als Sklave, weil sie sich gezwungen fühlen mit ihrem Smartphone zu interagieren (Jaarvenpaa & Lang, 2005).
Eine häufige Verwendung mobiler Geräte kann ebenso durchfearofmissing out (FoMO) begründet werden. Damit sind Ängste oder Sorgen gemeint, die Menschen haben, wenn sie nicht mit ihren sozialen Kontakten in Verbindung stehen und lohnende Ereignisse, Erfahrungen oder Gespräche versäumen. Nimmt diese Angst, Unruhe oder das Unbehagen, etwas Wichtiges oder Spannendes verpassen zu können (Przybylski, Murayama, DeHaan & Gladwell, 2013) pathologische Form an, so spricht man auch von Nomophobie (King et al., 2013).
2.2 Bindung
In diesem Abschnitt steht die Bindung zwischen Eltern und ihren Kindern im Fokus. Basierend auf der Bindungstheorie erfolgt zunächst die Vorstellung der Grundannahmen, bevor weitere Ausführungen zu den wichtigsten Kernaspekten, wie das innere Arbeitsmodell, die Bindungstypen, die Bindungs- und Explorationsbalance sowie das Konzept der Feinfühligkeit, folgen.
2.2.1 Bindungstheorie
Begründer der Bindungstheorie ist der Psychoanalytiker John Bowlby. Er verfolgte das Ziel, die Mutter-Kind-Bindung besser verstehen zu wollen, um daraus Muster von psychischen Störungen ableiten zu können (Bowlby, 1988/2014). Er ging davon aus, dass die frühkindliche Entwicklung durch die Beziehung zu den Bindungspersonen grundlegend bestimmt wird (Brisch, 2011, S. 31). Nach Bowlby setzt Bindung „ein durch spezifische Faktoren gesteuertes starkes Kontaktbedürfnis gegenüber bestimmten Personen voraus und stellt ein dauerhaftes weitgehend stabiles und situationsunabhängiges Merkmal des Bindungssuchenden dar" (Bowlby, 1988/2014, S.22).
In Zusammenarbeit mit Mary Ainsworth wurden seine theoretischen Überlegungen zur empirischen Wissenschaft. Ähnlich zu Bowlbys Definition umschreibt Ainsworth (1979) Bindung als ein „imaginäres Band zwischen zwei Personen, das in den Gefühlen verankert ist und sich über Raum und Zeit hinweg miteinander verbindet" (zitiert nach Grossmann, K. & Grossmann, K. E., 2012, S. 71). Mit dieser Definition wird Bindung nicht nur auf die körperliche Nähe reduziert, sondern ermöglicht auch dessen Existenz über eine gewisse Entfernung hinweg (Ainsworth, 1964). Zudem ist sie dadurch charakterisiert, dass der Säugling selbst aktiv wird und die Initiative ergreift, sich an eine Person binden zu wollen (Ainsworth, 1964). Zu unterscheiden sind die Begriffe Bindung und Bindungsverhalten. Mit Bindung ist ein Konzept gemeint, dass über die Zeit hinweg andauert. Hingegen meint Bindungsverhalten ein aktuell sichtbares Verlangen nach Nähe. (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2012). Dieses drückt der Säugling durch Weinen, Quengeln, Lächeln oder Lautäußerung aus (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2020).
Die Interaktion zwischen zwei Bindungspartnern ist zudem durch das Bindungs-und Fürsorgesystem gekennzeichnet, das dabei hilft, die Bedürfnisse des Säuglings befriedigen zu können. Fühlt sich der Säugling bedroht und bedarf des Schutzes, aktiviert er sein Bindungssystem und zeigt Bindungsverhaltensweisen. Im Gegenzug wird bei der Bezugsperson das Fürsorgesystem aktiviert, das die Wahrnehmung und Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse ermöglicht (Lohaus &Vierhaus, 2019).
2.2.2 Das innere Arbeitsmodell
Das Konzept des inneren oder auch internen Arbeitsmodells (Bowlby, 1982) meint, dass das Kind während seines ersten Lebensjahres alle beziehungsbildenden Erfahrungen, welche alle Menschen und auf das Kind bezogene Reaktionen umfassen, speichert. Dieses Modell benötigt das Kind zur Orientierung und, um das Verhalten anderer besser einschätzen zu können (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2020; Bowlby 1982). Die Erfahrungen beeinflussen die Art und Weise wie mit neuen Situationen umgegangen wird und wie man sich dabei fühlt. Kinder, mit einem von sicheren Bindungsverhalten geprägten internen Arbeitsmodell, sind positiver, können ihre Impulse besser kontrollieren, sind flexibler und handlungsfähiger und entwickeln eine höhere Frustrationstoleranz (Suess & Grossmann & Sroufe, 1992). Kinder mit unsicheren Erfahrungen hingegen deuten zweideutige Situationen eher negativ, als Kinder mit sicheren Bindungserfahrungen (Suess, 1987). Erfährt das Kind viele positive Erfahrungen mit den Bindungspersonen, kann ein Arbeitsmodell entstehen, dass dem Kind das Gefühl von Liebenswürdigkeit vermittelt und es flexibel mit verschiedenen Situationen umgehen lässt. Erfährt das Kind hingegen eher negative Erfahrungen, weil seine Bedürfnisse beispielsweise nicht wahrgenommen, falsch interpretiert oder unzureichend erfüllt werden, bildet sich ein unsicher geprägtes Arbeitsmodell (Bowlby, 1979/2019).
2.2.3 Bindungstypen
Mithilfe des Fremde-Situation-Test (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978) konnten im Laufe einer Längsschnittstudie verschiedene Bindungstypen analysiert werden, indem das Bindungsverhalten zwischen Mutter und Kind innerhalb acht dreiminütiger Episoden untersucht wurde. Charakteristisch für diesen Test ist der ständige Wechsel zwischen An- und Abwesenheit der Mutter und einer dem Kind fremden Person (siehe Abbildung 2.1). Die Kleinkinder, im Alter zwischen 12 und 18 Monaten befanden sich zusammen mit ihrer Mutter in einem fremden Raum, der mit Spielzeug ausgestattet war.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1. Ablauf des Fremde-Situation-Test (angelehnt an Ainsworth et al., 1978, S.37).
Die Reaktionen des Kindes auf die Trennung und Wiedervereinigung mit der Mutter standen hierbei im Mittelpunkt und es konnten drei Gruppen klassifiziert werden: sichere Bindung (Gruppe B), unsicher-vermeidende Bindung (Gruppe A), unsicher-ambivalente Bindung (Gruppe C). Diese Klassifikation wurde später durch eine vierte Gruppe desorganisiert-desorientierte Bindung (Gruppe D) von Main & Solomon (1990) ergänzt. Sicher gebundene Kinder, zeichnen sich durch ein ausgeglichenes Bindungs- und Explorationsverhalten aus. Sie sind traurig und zeigen Kummer, wenn die Bindungsperson sie alleine lässt und freuen sich, wenn sie wieder zurückkehrt. Sie suchen körperliche Nähe auf und lassen sich schnell beruhigen und beginnen wieder mit der Exploration (Ainsworth & Bell, 1974). Unsicher-vermeidende Kinder hingegen vermeiden den körperlichen Kontakt nach Rückkehr der Bindungsperson. Sie spielen alleine weiter und vermeiden jeglichen Blickkontakt und negative Gefühlsreaktionen wie Trauer, Wut oder Ärger, um sich vor emotionalen Verletzungen zu schützen und weiterhin den Kontakt zu der Bezugsperson erhalten zu können (Ainsworth & Bell, 1974). Dieses Verhalten wird auch von Main (1982) als Vermeidung im Dienste von Nähe bezeichnet. Unsicher-ambivalente Kinder zeigen sich wütend und nach Nähe suchend zugleich. Sie lassen sich nur schwer von ihrer Bindungsperson beruhigen und weisen diese zurück. Kinder der Gruppe D haben keine deutliche Struktur wie die vorangegangenen Gruppen. Sie scheinen psychisch abwesend, ängstlich und verunsichert in Anwesenheit ihrer Bindungsperson zu sein. Sie unterbrechen das Suchen nach Nähe und zeigen bizarre Verhaltensweisen wie plötzliches Erstarren (Ainsworth & Bell, 1974). Die Bielefelder Längsschnittstudie (K. Grossmann, K. E. Grossmann, Spangier, Suess & Unzner, 1985) replizierte dieses Vorgehen in 49 deutschen Familien und konnte die Ergebnisse von Ainsworth et. al (1978) bestätigen.
Laut einer Meta-Analyse von Bakermans-Kranenburg und van Ijzendoorn (2009) sind in den USA rund 58 % der Mütter sicher gebunden, 23 % unsicher-vermeidend, 19 % unsicher-ambivalent und 18 % desorganisiert-desorientiert gebunden. Unter den Vätern sind 58 % sicher, 28% unsicher-vermeidend und 15 % unsicher-ambivalentgebunden. In Europa sind die Zahlen ähnlich: 56 % sicher gebundene, über 30 % unsichervermeidende und 14 % unsicher-ambivalent gebundene Probanden. Davon sind primär klinische Probanden von problematischen Bindungstypen betroffen.
2.2.4 Bindungs- und Explorationsbalance
Ainsworth et al. (1978) nehmen an, dass das Bindungs- und das Explorationsverhalten des Säuglings, nicht unabhängig voneinander funktionieren. Ist das Bindungsverhalten aktiviert, deaktiviert sich das Explorationsverhalten und vice versa. In einer fremden Umgebung bildet seine Bezugsperson die sichere Basis, zu der es immer wieder zurückkehren kann. Ist es verängstigt, gestresst oder überfordert, unterbricht es seine Erkundung und lässt sich von ihr auffangen bis es sich wieder sicher fühlt und es weiter seine Umgebung explorieren kann (Schieche & Spangier, 2005). Dies wird auch als Kreis der Sicherheit bezeichnet (Marvin,Cooper, Hoffman & Powell, 2002). Erst durch eine sichere Bindung gelingt es dem Kind, seine Umwelt zu erkunden. Ist diese Balance gestört, wird von einer Bindungsstörungen gesprochen (Zimmermann, 2001).
2.2.5 Feinfühligkeit
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Rahmen der Bindungstheorie, ist das Konzept der Feinfühligkeit. Demzufolge zeichnet sich eine feinfühlige Bezugsperson dadurch aus, dass sie die Bedürfnisse des Kindes (a) wahrnimmt, (b) richtig interpretiert, (c) prompt und (d) angemessen darauf reagiert (Ainsworth et al., 1978). Nach dieser Definition sollte eine Mutter primär in der Lage sein, die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen, indem es ihrem Kind Aufmerksamkeit entgegenbringt. Die Bedürfnisse des Kindes sollten zudem dem Alter entsprechend befriedigt werden und keine auf das Kind projizierten Bedürfnisse der Mutter widerspiegeln. Erst dadurch kann eine richtige Interpretation kindlicher Bedürfnisse erfolgen. Zum Beispiel sollte das Kind nicht schlafen gelegt werden, wenn es eigentlich spielen möchte. Eine schnelle Reaktion auf kindliche Signale wie Blickkontakt, Mimik oder Lautäußerungen, stellt einen sehr wichtigen Teil dieser Definition dar. Denn dadurch können Handlungen, die durch seine eigenen produzierten Signale ausgelöst werden, kontingent wahrgenommen werden (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2012; Lohaus & Vierhaus, 2019). Diese zeitliche und inhaltliche Passung während der Interaktion, ermöglicht dem Kind Selbstwirksamkeit zu erfahren (Ainsworth & Bell, 1974; H. Papousek & M. Papousek, 1984). Die Angemessenheit als letzter Punkt des Feinfühligkeitsbegriffs meint, dem Alter entsprechend zu reagieren. Das Antwortverhalten sollte zur Situation, dem Niveau und Bedürfnis des Kindes passen (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2012).
Die Feinfühligkeit gilt als kulturübergreifender Prädiktor für eine sichere Bindung (de Wolff & van Ijzendoorn, 1997; Keller, Lohaus, Völker, Cappenberg & Chasiotis, 1999). Bindungspersonen sicher gebundener Kinder zeichnen sich durch ein sehr feinfühliges Verhalten aus. Dahingegen zeigen Mütter von unsicher gebundenen Kindern nur sehr unbeständig feinfühliges Verhalten. Sie sind grundsätzlich weniger erreichbar für ihr Kind, sodass das Kind auch durch langes Weinen keine Aufmerksamkeit erhält. Unsichervermeidende Kinder werden häufig ignoriert und auf ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht eingegangen. Bei der Gruppe C, der unsicher-ambivalent gebundenen Kinder, verhalten sich die Bindungspersonen selber ambivalent. Das bedeutet, je nachdem wie es ihnen gerade recht ist, verhalten sie sich mal feinfühlig, feindselig oder ablehnend (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2020). Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Exploration- und Bindungsverhalten ist das Resultat eines feinfühligen Verhaltens (K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2020), welches ebenso eine sichere Bindung bedingt (Schieche & Spangier, 2005).
Zur Erfassung der Feinfühligkeit haben Ainsworth, Bell & Stayton (1974) eine Skala, auch bekannt unter Ainsworth-Skala, entwickelt. Neben der Ainsworth-Skala existieren noch weitere Messinstrumente, mit denen unter anderem die Feinfühligkeit der Bindungspersonen erfasst werden kann, wie beispielsweise Maternal Behaviour Q-sort (Pedersen & Moran, 1995) und der CARE-Index (Crittenden, 2005).
2.3 Schlüsselkomponenten der Eltern-Kind-Interaktion
Die Basis für die Entstehung einer Beziehung bilden eine Reihe an Interaktionen (Hinde, 1993), die auf einem Wechselspiel zwischen dem Kind und der Bezugsperson beruhen (Sroufe & Fleeson, 1988). Eine gelungene Interaktion ist Voraussetzung für ein sicher gebundenes Kind und hängt vom Verhalten und Anpassungsvermögen der beteiligten Interaktionspartner ab (Lohaus, Ball & Lißmann, 2004). Komponenten, die für das Gelingen einer optimalen Interaktion von besonderer Relevanz sind, werden in diesem Abschnitt thematisiert.
An dieser Stelle sei als Beispiel das Intuitive Elternprogramm (H. Papousek & M.Papousek M., 1987) für Verhaltensweisen, die den Säugling in seinem Tun und der Entdeckung seines Selbst und seiner Umwelt unterstützen, genannt. Diese Verhaltensweisen treten spontan und ohne gezielte Gedanken auf. Sie passen sich den Bedürfnissen des Säuglings an. Dazu zählt die schnelle Reaktion auf kindliche Signale durch Blickkontakt, Mimik oder Laute. (H. Papousek & M. Papousek 1984). Idealerweise erfolgt diese innerhalb einer Sekunde (Baird et al., 1992). Auch die Anpassung der Sprache zum besseren Verständnis, [Baby Talk') beispielsweise durch eine erhöhte Stimmlage, Verringerung der syntaktischen Komplexität, Wiederholungen und langsames Tempo (M. Papousek, H. Papousek, Haekel, 1987; M. Papousek, Bornstein, Nuzzo, H. Papousek & Symmes, 1990), das Suchen und Aufrechterhalten des Blickkontakts sowie die Balance aus stimulierenden oder beruhigenden Verhaltensweisen machen eine gelungene frühe Eltern-KindInteraktion aus (Lohaus &Vierhaus, 2018).
Weitere postulierte Schlüsselkomponenten sind Zuneigung, Reaktionsfähigkeit, Ermutigung und Unterricht (Roggman, Cook, Innocenti, Jump & Christiansen, 2013). Die Zuneigung wird verbal oder nonverbal durch eine positive Haltung, die sich in positiven Emotionen, Bewertungen und Rückmeldungen äußert, dem Kind entgegengebracht. Oft wird diese Komponente auch als Wärme bezeichnet. Die elterliche Reaktionsfähigkeit, als Merkmal einer gelungenen Interaktion durch ein feinfühliges, zeitlich sowie inhaltliches passendes Antwortverhalten, nimmt auch hier eine wichtige Rolle ein. Unter Ermutigung wird die Unterstützung der kindlichen Exploration seiner Umwelt verstanden. Das Kind sollte in seinen Entscheidungen bestärkt und in seiner Kreativität sowie seinem Willen zur Initiative gefördert werden. Zuletzt zeichnet sich eine hochwertige Interaktion durch die weitere Komponente des Unterrichtens aus, die sich insbesondere im gemeinsamen Spiel durch kognitive Stimulationen in Form von Erklärungen oder Konversationen ausdrückt (Roggman et al., 2013).
Ähnliche Qualitätsmerkmale finden sich in weiteren Ausführungen (de Wolff & van Ijzendoorn, 1997, Field, 1980) wieder. De Wolff und van Ijzendoorn (1997) klassifizieren neben einem feinfühligen Verhalten ebenfalls die Reaktionskontingenz, die Qualität und Quantität des physischen Kontakts sowie die Kooperation als Merkmale der elterlichen Interaktionskompetenz. Nach Field (1980) ist eine erfolgreiche Mutter-Kind-Interaktion durch die drei Phasen Initiierung, Beteiligung und Beendigung gekennzeichnet. Die Beteiligung umfasst wiederum fünf Prinzipien, die eine Anpassung des Erwachsenen betonen: Sprechen der gleichen Sprache, Bezug zum gleichen Thema, ständiger Wechsel zwischen den Interaktionspartnern, Wahrnehmung kindlicher Signale und kontingente Reaktion.
All die genannten Verhaltensweisen führen zu einer Reihe an positiven Auswirkungen für das Kind, wie beispielsweise weniger antisozialen Verhaltensweisen (Caspi et al., 2004), bessere Gedächtnisentwicklung und Anpassung (Kim-Cohen, Moffitt, Caspi & Taylor, 2004), bessere Aufmerksamkeits- und Emotionsregulierung, positive, soziale, sprachliche und kognitive Entwicklung, einschließlich bessere Lese- und Mathematikfähigkeiten (Caspi et al., 2004; Brotman et al., 2009; Davidov & Grusec, 2006; Kim-Cohen, Moffitt, Tamis-LeMonda., Bornstein, & Baumwell, 2001). Ist eine Umsetzung dieser Merkmale aufgrund störender Einflüsse oder fehlenden elterlichen Kompetenzen nicht möglich, kann dies zu einer chronisch verlaufenden Interaktionsstörung zwischen Eltern und Kind führen, welche die kindliche Psyche nachhaltig beeinflusst (Sarimski, & Papousek, 2000). Die Entwicklungsaufgaben können dann nur schwer bewältigt werden und beispielsweise zu Regulationsstörungen in der frühen Kindheit führen (M. Papousek, 1999).
2.4 Responsivität
Wie die vorherigen Ausführungen verdeutlichen, gilt die elterliche Responsivität als eine wesentliche Schlüsselkomponente für eine gelungene Eltern-Kind Interaktion. Der erste Teil dieses Abschnitts widmet sich der terminologischen Einordnung des Begriffs. Nachfolgend wird auf die Bedeutung für die kindliche Entwicklung eingegangen. Inwieweit die Smartphone-Nutzung die elterliche Responsivität negativ beeinflusst, wird abschließend anhand aktueller empirischer Studien präsentiert.
2.4.1 Definition
Im letzten Abschnitt wurden verschiedene Ansätze zu den Komponenten einer gelungenen Interaktion vorgestellt. Demnach lässt sich die elterliche Reaktionsfähigkeit als bedeutsame unumstrittene Teilkomponente festhalten. Bowlby (1980/2006) sieht das elterliche Reagieren auf das Kind als eine wichtige grundlegende Eigenschaft und Teilkomponente für einen optimalen seelischen Zustand des Kindes: „Ein Kind bzw. eine Person hat eine Vorstellung, ein internales Arbeitsmodell von seinen Bindungspersonen, wonach sie prinzipiell verfügbar und bereit, zu reagieren und zu helfen sind, wenn es gewünscht wird" (zitiert nach K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2012, S. 82).
Angelehnt an das Konzept der Feinfühligkeit (Ainsworth et al. ,1978) werden in der Wissenschaftmittlerweile zahlreiche Bezeichnungen für die elterliche Reaktionsfähigkeit synonym verwendet wie beispielsweise Sensitivität, Responsivität, elterliche Responsivität, mütterliche Feinfühligkeit und sensitive Responsivität (Remsperger, 2013). Innerhalb der englischsprachigen Literatur stößt man auf die Begriffe wie sensitivity (Leerkes et al., 2009), responsiveness (Bornstein &Tamis LeMonda, 1989) und responsivity (Warren et al., 2010).
Baumrind (1971) umschreibt Responsivität als Ausmaß an elterlicher Wärme, sozialer Unterstützung und Akzeptanz. Crittenden und Claussen (2000) verstehen unter Responsivität die richtige Wahrnehmung, Einordnung und Interpretation kindlicher Signale sowie die Anpassung an den emotionalen Zustand des Kindes. Die mütterliche Reaktionsfähigkeit kann auch eine gesunde wachstumsfördernde Beziehung meinen, die durch Wärme, Fürsorge und Stabilität sowie spezifische Verhaltensweisen, die von Initiationen des Kindes abhängen, gekennzeichnet ist (Sterling, Warren, Brady & Fleming, 2013). Zudem kann sie als ein Abstimmungsverhalten, zwischen Eltern und Kindern betrachtet werden (H. Papousek & M. Papousek, 1987; M. Papousek, 2008).
Oft werden die beiden Begriffe Feinfühligkeit und Responsivität auch zusammengefasst (Esser, Scheven, Petrova, Laucht, & Schmidt, 1989). Van den Boom (1994) hat beispielsweise die Begriffe Sensitivität und Responsivität miteinander zur sensitiven Responsivität kombiniert und definiert damit die mütterliche Fähigkeit, die kindlichen Signale aufmerksam zu beobachten, sie genau zu bemerken und zu verstehen sowie angemessen und fortwährend darauf zu reagieren. Remsperger (2011) hat den Feinfühligkeitsbegriff für ihre Untersuchung pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen ebenfalls angepasst und sich dabei an der Definition von van den Boom (1994) orientiert. Gemäß ihrer Definition handelt eine pädagogische Fachkraft mit sensitiver Responsivität, wenn sie die Signale der Kinder bemerkt und sich auf die Signale hin angemessen verhält.
Das Konzept der Feinfühligkeit ist sehr abstrakt (van den Boom, 1997). Verschiedenste Definitionen wurden entwickelt, um eine weitere Differenzierung und bessere Operationalisierungen zu ermöglichen (Remsperger, 2013). Wie die hier beispielhaft aufgeführten Definitionen zeigen, gibt es zahlreiche inhaltliche Überscheidungen aber keine Einigkeit darüber, was genau unter Responsivität zu verstehen ist. Zur weiteren Vertiefung wird auf die vergleichende Textanalyse von Remsperger (2011) hingewiesen, die sich mit dieser Thematik umfangreich beschäftigt hat. Für die weiteren Ausführungen werden die Begrifflichkeiten Feinfühligkeit und Responsivität synonym verwendet.
2.4.2 Bedeutung für die kindliche Entwicklung
Das responsive Verhalten der Eltern leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer sicheren Bindung des Kindes (de Wolff & van Ijzendoorn, 1997). Es gilt als wichtiger Schutzfaktor, der beispielsweise Kindern aus psychosozial belasteten Familien vor Verhaltensstörungen bewahren kann (Laucht, 2005; Laucht, Esser & Schmidt, 2001).
Das responsive Verhalten wirkt sich auf vielfältige Art und Weise auf zahlreiche Entwicklungsbereiche des Kindes aus und nimmt für dessen beruflichen Werdegang daher eine wichtige Rolle ein. Es prognostiziert den Intelligenzquotienten des Kindes bis zum Vorschulalter (Blomeyer, Laucht, Pfeiffer & Reuß, 2010; Goldberg, Lojkasek, Gartner, & Corter, 1989) und nimmt positiven Einfluss auf die kognitive (Pearson et al., 2011) und sprachliche Entwicklung (Tamis-LeMonda, Bornstein & Baumwell, 2001) sowie auf die Selbstregulation (Bernier, Carlson & Whipple, 2010, Brotman et al., 2009). Leerkes, Blankson und O’Brien (2009) konnten zudem nachweisen, dass das feinfühlige mütterliche Verhalten mit einer besseren sozialen Kompetenz der Kinder im Alter von 3 Jahren zusammenhängt. Kinder, deren Mütter früh responsives Verhalten zeigen, wenden weniger aggressive und dafür eher prosoziale Strategien an und haben weniger Schulprobleme (Goldberg, Lojkasek, Gartner & Corter, 1989). Zudem wird berichtet, dass die Reaktion der Eltern auf emotionale Belastungen des Kindes, die Schulkompetenz voraussagt (Roberts & Strayer, 1987). Angemessene Reaktionen auf Leiden des Kindes prognostizieren zudem eine bessere Regulierung des negativen Affekts (Davidov & Grusec, 2006).
Diese Befunde verdeutlichen, wie bedeutungsvoll und nachhaltig sich das responsive Verhalten der Eltern auf die kindliche Entwicklung auswirkt, sodass ein Fehlen dieser wichtigen Kompetenz schwerwiegende Folgen mit sich bringen kann. Es wurden Interventionen entwickelt, die nachweislich das responsive Verhalten von Eltern verbessern können (Brotman et al., 2009; Riksen-Walraven, 1978).
2.4.3 Einflüsse durch das Smartphone
In mehreren Untersuchungen wird davon ausgegangen, dass Feinfühligkeit über die Zeit hinweg ein stabiles mütterliches Merkmal ist (Isabella, 1993; Lohaus, Keller, & Voelker, 2001). Allerdings gibt es auch Belege (Nievar, van Egeren & Pollard, 2010), dass die Feinfühligkeit durch äußere Einwirkungen veränderbar ist. Es liegt die Annahme nahe, dass das Smartphone als äußerer Einflussfaktor die Responsivität der Bezugspersonen beeinflusst und somit eine sichere Bindung beeinträchtigt. Diese Annahme konnte durch einige Studien bestätigt werden (Ante-Contreras, 2016; Wolfers, Kitzmann, Sauer & Sommer, 2019).
In einer aktuellen deutschen Studie haben Wolfers et al. (2019) den SmartphoneGebrauch und dessen Auswirkung auf die elterliche Feinfühligkeit untersucht. Dazu wurden Mütter im Alter zwischen 20 und 45 Jahren auf 20 verschiedenen Spielplätzen in Stuttgart beobachtet. Die Beobachtungen verliefen verdeckt und dauerten jeweils 10 Minuten. Insgesamt wurden 89 Mutter-Kind-Dyaden untersucht. Nach der Beobachtung, die zur Beurteilung der Feinfühligkeit diente, wurden die Mütter angesprochen und gebeten, an einem Interview teilzunehmen. Das Interview umfasste demografische Daten der Mütter und ihrer Kinder, Selbsteinschätzung der Mütter zum Telefongebrauch und die Art der Smartphone-Nutzung während der letzten 15 Minuten.
Es zeigte sich, dass die Mütter im Durchschnitt 1.3 Minuten und 2.4-mal ihr Smartphone während der 10-minütigen Beobachtung benutzt haben. Die nachfolgenden Analysen ergaben, dass die Dauer der Smartphone-Nutzung signifikant mit der mütterlichen Feinfühligkeit zusammenhängt. Die häufigere Verwendung von Smartphones schien jedoch nicht mit einer niedrigeren Feinfühligkeitsbewertung verbunden zu sein. Laut den weiteren Ergebnissen ist die Verwendungsdauer ein signifikanter Prädiktor für die Sensitivität der Mutter. Demnach kann eine längere Nutzung des Smartphones Mütter von den Signalen ihrer Kinder ablenken und ihre Reaktionsgeschwindigkeit sowie ihre Feinfühligkeit verringern (Wolfers et al., 2019).
In einer weiteren Studie zur Säuglingsfütterung von Golen und Ventura (2015) waren 75 % der Mütter beim Füttern ihrer Kinder unter anderem durch die Verwendung eines Mobiltelefons oder Smartphones abgelenkt. Die Empfindlichkeit gegenüber kindlichen Hinweisen ist im Vergleich zu nicht abgelenkten Müttern dadurch geringer. Fatale Folgen kann dies für Säuglinge mit Regulationsproblemen haben, da die abgelenkten Mütter die Futterzufuhr nicht kontrollieren und es schnell zur Überernährung kommen kann (Golen &Ventura, 2015).
Ebenso für die Regulation von Erregungszuständen ist die Anwesenheit der Mutter durch die Herstellung von Blickkontakt zwischen ihr und ihrem Kind von besonderer Relevanz (Schore, 2016). Wird der Blickkontakt durch ein feinfühliges Verhalten der Mutter angeregt (Lohaus et al., 2001), weinen Kinder weniger (Lohaus et al., 2001). Wird dieser beispielsweise durch die Ablenkung von Smartphones verhindert, ist anzunehmen, dass die Säuglinge, wie im Abschnitt 2.1.1 dargestellten Still-face-Experiment, mit negativen Affekten reagieren. Auch die sportliche Leistung kann durch ein feinfühliges Verhalten der Mutter zunehmen. Kinder im Alter von 3 bis 12 Jahre laufen während eines SoftballSpiels schneller, wenn die elterliche Responsivität und Verfügbarkeit nicht durch Mobiltelefon-Aktivitäten verhindert wird (Stupica, 2016).
2.5 Spiel
Der letzte Abschnitt dieses Kapitels behandelt das Spiel als besondere Interaktionsform zwischen Eltern und ihren Kindern. Einführend wird das kindliche Spiel definiert und dessen Bedeutsamkeit verdeutlicht. Weiterhin soll die Position der Eltern im Rahmen des gemeinsamen Spiels betrachtet werden. Ein kurzer Exkurs zur Spielfeinfühligkeit als Unterform des Feinfühligkeitskonzeptes rundet schließlich diesen Abschnitt ab.
2.5.1 Definition und Bedeutung
Mogel (2008) beschreibt das kindliche Spiel als echtes Spiel, wenn es Sinn und Zweck in sich selbst trägt und kein konkretes Ziel verfolgt, sondern in der Spieltätigkeit an sich liegt. Zudem sollte das Spiel frei, freiwillig und freudvoll sein. Durch Spielen kreieren Kinder ihre Wirklichkeit. Das frühkindliche Spiel ist durch spontanes selbstinitiiertes Lernen sowie selbstbestimmtes und zweckfreies Erfahrungssammeln charakterisiert (H. Papousek, 2003). Dabei setzt Mogel (2008) das freie Spiel mit dem echten Spiel gleich. Beim freien Spielen kann das Kind selbstständig und spontan entscheiden wozu es Lust hat und wie es spielen möchte (Gray, 2011).
Im ersten und zweiten Lebensjahr besteht das kindliche Spiel aus dem Erkunden und Ausprobieren von Objekten, dem sogenannten Funktionsspiel. Danach folgt das Phantasie- und Rollenspiel, das dem Kind erlaubt sich in verschiedene Rollen hineinzuversetzen. Ab dem dritten Lebensjahr probieren sich die Kinder im Bauen verschiedenster Konstruktionen beispielsweise mit Bauklötzen aus. Ab dem Kindergartenalter entdecken sie ihr Interesse an Spielen mit festgelegten Regeln (Einsiedler, 1994). Diese charakteristische Abfolge von Spielsequenzen ermöglicht daher, den aktuellen Entwicklungstand des Kindes widerzuspiegeln (Largo & Howard, 1979).
Das Spielen zählt zu den Grundbedürfnissen von Kindern (H. Papousek & M. Papousek, 1987) und fördert deren kognitive (Tamis-LeMonda, Shannon, Cabrera & Lamb, 2004), physische, soziale und emotionale Entwicklung (Ginsburg, 2007). Die Anerkennung des kindlichen Spiels als Recht des Kindes durch die Europäische Union verdeutlicht zusätzlich, welch hohen Stellenwert das Spiel einnimmt. So steht im Artikel 31 der UNKinderrechtskonvention geschrieben: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben." Daher sollte dies vor schädlichen Einflüssen geschützt werden.
2.5.2 Die Rolle der Eltern im Spiel
Auch im gemeinsamen Spiel mit den Eltern, welches eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten bietet, wird die Entwicklung des Kindes optimal gefördert (Ginsburg, 2007). Die mütterliche Stimulation während des Spielens begünstigt die explorative Kompetenz des Säuglings während des Freispiels (Belsky, Goode & Most, 1980). Zudem wird auch das Symbolspiel des Kindes anspruchsvoller, wenn die Mutter mitspielt. Einzelne Spielphasen werden ausdauernder und länger, wenn die Mutter aktiv am Spiel beteiligt ist (Slade, 1987). Des Weiteren wurde beobachtet, dass sicher gebundene Kinder besser in der Lage sind, beim Spielen ihr kognitives Niveau voll auszuschöpfen. Hingegen haben unsicher gebundene Kinder hierbei Probleme und bedürfen Unterstützung (Belsky, Garduque & Hrncir, 1984).
Während einer Längsschnittstudie wurden 10-minütige Eltern-Kind-Spielinteraktionen per Video zu Hause aufgezeichnet. Ein semistrukturiertes Freispiel wurde vorgegeben. Die Messungen wurden nach je 24 und 36 Monaten durchgeführt. Es zeigte sich, dass die sprachliche und kognitive Entwicklung des Kindes durch eine unterstützende, feinfühlige und positive Elternschaft beim Spielen prognostiziert werden konnte (Tamis-LeMonda, Shannon, Cabrera & Lamb, 2004).
Neben den genannten Vorteilen für das Kind verschafft es aber auch den Eltern eine optimale Gelegenheit sich mit ihrem Kind intensiv auseinanderzusetzen, seine Wirklichkeit kennen und verstehen zu lernen (Ginsburg, 2007). Es begünstigt den Aufbau einer gemeinsamen Sprache und eines gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (H. Papousek, 2003), der es den Eltern verhilft, wertvolle Einblicke in die innere Erfahrungswelt ihres Kindes zu erhalten (H. Papousek, 2003). Sind die Eltern offen und können sich auf das Spiel mit ihrem Kind einlassen, werden ihre elterlichen Kompetenzen durch das kindliche, positive Feedback bestärkt und sie gewinnen an Selbstvertrauen. (H. Papousek, 2003). Somit trägt das gemeinsame Spiel zum Wohlbefinden und einer guten Entwicklung beider beteiligten Parteien bei.
2.5.3 Spielfeinfühligkeit
Auch während des kindlichen Spiels wirkt sich ein feinfühliges Verhalten besonders förderlich aus. Jedoch verfolgt das spielende Kind andere Interessen und Bedürfnisse, die es zu beachten gilt (K. Grossmann & K. E. Grossmann,2012). Im Spiel steht das Explorationssystem des Kindes im Vordergrund, das möglichst aktiviert werden sollte. Daher differenzieren Grossmann et al. (2002) das Feinfühligkeitskonzept weiter aus und führten die Spielfeinfühligkeit ein. K. Grossmann und K. E. Grossmann (2012) postulieren damit Verhaltensweisen, die einen feinfühligen Umgang im gemeinsamen Spiel positiv beeinflussen. Zum Beispiel sollte das Kind motiviert und bei angemessenem sozialem Verhalten positiv bestärkt werden. Die Rollen sollten regelmäßig getauscht werden und mit Fragen und Bitten das Kind in seinem spielerischen Tun respektiert werden. Die erwachsenen Spielpartner sollten zudem das Kind entwicklungsangemessen fördern und unterstützen sowie nicht eingreifende Hinweise und Hilfestellungen geben. Nicht spielfeinfühlige Bezugspersonen zeichnen sich durch Desinteresse, mangelnde oder zu eingreifende Unterstützung aus (K. Grossmann, & K. E. Grossmann, 2012).
Durch die Technologisierung und Digitalisierung der Welt sind auch Unterbrechungen durch mobile Geräte während der gemeinsamen Spielzeit keine Seltenheit mehr (McDaniel & Coyne, 2016). Demzufolge ist davon auszugehen, dass auch im gemeinsamen Spiel die Interaktionsqualität, die neben der Bindungsqualität einen wesentlichen Einfluss auf die kindliche Spiel- und Explorationskompetenz und somit auch auf die Entwicklung des Kindes nimmt (Ainsworth & Bell, 1974), durch Technoference leidet.
3 Zielsetzung und Ableitung der Fragestellung
Das Ziel dieser Arbeit ist es, den aktuell noch sehr geringen Forschungsstand zum Thema Technoference in der Eltern-Kind-Interaktion durch ein experimentelles Versuchsdesign zu erweitern. Es existieren eine Vielzahl an Feldbeobachtungen und Interviews (Hiniker et al., 2015; McDaniel & Coyne, 2016; Radesky et al., 2014; Radesky et al., 2016). Experimente hingegen gibt es bisher nur wenige, die unter kontrollierten Bedingungen Aussagen über den Einfluss des Smartphones ermöglichen. Wie zuvor beschrieben, ist die Interaktion zwischen Eltern und Kind ein wichtiges Fundament, um eine sichere Bindung aufzubauen und infolgedessen eine positive Entwicklung zu begünstigen. Das Konzept der Responsivität als einflussreiche elterliche Kompetenz leistet dabei einen bedeutungsvollen Beitrag. Die hier vorliegende Arbeit widmet sich daher folgender Fragestellung:
Welchen Einfluss hat das Smartphone auf die elterliche Responsivität während der Eltern-Kind-Interaktion?
In einem Laborexperiment mit Videoaufzeichnung (Kikorian et al., 2009) konnte bereits die Beeinflussung der Eltern-Kind-Interaktion durch einen Fernseher nachgewiesen werden. Untersucht wurden Eltern mit ihren Kindern im Alter von 12, 24 oder 36 Monaten. Die Eltern sollten für eine Stunde mit ihren Kindern in einem präparierten Raum spielen. Während dieser Zeit wurde für jeweils eine halbe Stunde der Fernseher anbeziehungsweise ausgeschaltet. Während der Einschaltphase zeigten die Eltern eine verminderte Beteiligung am kindlichen Spiel und ermutigten ihre Kinder weniger.
Angelehnt an die Studie von Kikorian et al. (2009) wurde ein ähnliches Experiment konstruiert. Anstelle des Fernsehers war jedoch die Einflussnahme des Smartphones auf die Spielinteraktion zwischen Eltern-Kind-Dyaden Untersuchungsgegenstand. Dazu wurde das persönliche Smartphone der Eltern in verschiedenen Modalitäten dargeboten. Die bisherigen Befunde zur aktiven Nutzung und bloßen Anwesenheit des Smartphones sollten somit überprüft und weitere Auswirkungen durch störende SmartphoneGeräusche ergänzt werden. Abgeleitet aus den bisherigen Erkenntnissen der Forschung wurden folgende inhaltliche Hypothesen formuliert:
Hypothese 1: Eltern zeigen weniger Responsivität während des gemeinsamen Spielinteraktion mit ihrem Kind, wenn diese mit ihrem Smartphone aktiv beschäftigt sind, im Vergleich zu Eltern, die mit einer anderen Tätigkeit (Ausfüllen eines Fragenkatalogs in Papierform) beschäftigt sind.
Hypothese 2: Eltern zeigen weniger Responsivität während der gemeinsamen Spielinteraktion mit ihrem Kind, wenn diese vom Smartphone gestört werden, im Vergleich zu Eltern, die durch andere Geräusche gestört werden.
Hypothese 3: Eltern zeigen weniger Responsivität während der gemeinsamen Spielinteraktion mit ihrem Kind, wenn das Smartphone anwesend aber ausgeschaltet ist, im Vergleich zu Eltern, bei denen ein anderes Objekt (Fragenkatalog in Papierform) anwesend ist.
Hypothese 4: Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Vertiefung in das Smartphone und der elterlichen Responsivitätwährend der aktiven Nutzung.
[...]
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2020, Der Einfluss des Smartphones auf die elterliche Responsivität während der Eltern-Kind-Interaktion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1146288
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