Präsentation der Neobiota in den deutschen Medien


Thèse de Doctorat, 2006

131 Pages, Note: 2,0


Extrait


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Neobiota oder Invasive Arten? – Ein Überblick.
2.1 Definition der Begriffe „Neobiota“, „invasive Arten“ und „Exoten“
2.2 Die Entwicklung der Wahrnehmung und Darstellung von Neobiota
2.3 Zur Auswirkung der Neobiota auf die Artenvielfalt..
2.3.1 Neobiota als Ursache für die Veränderung der globalen Artenvielfalt
2.3.2 Veränderungen heimischer Flora und Fauna durch Neobiota.
2.3.3 Die Vielfalt der Vorstellungen zu Neobiota

3 Material und Methoden
3.1 Gewinnung der Materialien
3.2 Auswertung der Materialien

4 Zur Präsentation der Neobiota in den deutschen Medien.
4.1 Häufigkeit der Medienbeiträge zu Neobiota
4.1.1 Häufigkeit der Beiträge in allen Medien
4.1.2 Häufigkeit der Beiträge differenziert nach Medien
4.1.2.1 In Tages- und Wochenzeitungen.
4.1.2.2 In Magazinen
4.1.2.3 Im Radio
4.1.2.4 Im Fernsehen
4.1.2.5 Im Internet
4.1.3 Zusammenfassung
4.2 Die zeitlichen Ursachen für Medienbeiträge zu Neobiota
4.2.1 Zufall als Zeitfaktor
4.2.2 Wissenschaftliche, wirtschaftliche und politische Ereignisse als Zeitfaktor
4.2.3 Aktuelle Agenturmeldungen als Zeitfaktor
4.2.4 „Sommerloch“ als Zeitfaktor
4.2.5 Mediennutzer als Zeitfaktor
4.2.6 Zusammenfassung
4.3 Die Vorstellungen von Neobiota in den Medienbeiträgen
4.3.1 Allgemeine Berichterstattung über Neobiota als Gesamtphänomen
4.3.1.1 Verhältnis Allgemeine Berichterstattung zu Beiträgen über einzelne Arten
4.3.1.2 Verhältnis der Berichterstattung über Neobiota in Deutschland und über Neobiota im Ausland
4.3.2 Spezielle Berichterstattung über einzelne neobiotische Arten
4.3.3 Zusammenfassung

5 Zum Inhalt der Medienbeiträge über Neobiota.
5.1 Wie glaubwürdig bzw. sachlich sind die Medienberichte?
5.1.1 Richtigkeit der Information im Vergleich mit dem Kenntnisstand der Wissenschaft
5.1.2 Art der Darstellung
5.1.3 Inhaltliche Darstellung
5.1.4 Zusammenfassung
5.2 Zur Inhaltsanalyse von Medienbeiträgen
5.2.1 Methoden der inhaltlichen und stilistischen Analyse
5.2.2 Inhaltsanalyse am Beispiel einzelner Arten
5.2.2.1 Inhaltsanalyse zum Waschbär
5.2.2.2 Inhaltsanalyse zum Marderhund
5.2.2.3 Inhaltsanalyse zum Riesenbärenklau
5.2.2.4 Inhaltsanalyse zur Schiffsbohrmuschel
5.2.2.5 Inhaltsanalyse zu Afrikanisierten Bienen
5.2.3 Zusammenfassung
5.3 Der Adressat

6 Schlussfolgerungen und Ausblick
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2 Schlussfolgerungen
6.2.1 Optimierung der Rechtsprechung
6.2.2 Verstärkung der öffentlichen Aufklärungskampagnen
6.2.3 Ausweitung der Fachinitiativen
6.2.4 Durchführung interdisziplinärer Fachtagungen und Seminare
6.2.5 Verstärkte Aufklärung an Schulen
6.2.6 Optimierung der Öffentlichkeitsarbeit an den Forschungseinrichtungen
6.2.6.1 Sprache
6.2.6.2 Zugänglichkeit und Verständlichkeit der Literatur.
6.3 Fazit

7 Kurzfassung

8 Summary

9 Literatur

9.1 Literaturverzeichnis

9.2 Internet-Quellen

9.3 Quellenverzeichnis

I Glossar

II Danksagung

III Eidesstattliche Erklärung

IV Lebenslauf

VI Datenanhang – CD Rom

1 Einleitung

Fremdländische Pflanzen und Tiere wurden schon immer wahrgenommen und als neuartig und unerwartet in den jeweiligen Heimatländern einer einheimischen Flora und Fauna registriert. Mit dem Beginn der Erschließung bisher unbekannter Kontinente und Territorien, besonders seit dem Jahr 1492, haben sich Mittel, Distanzen und Wege des Transports für fremdländische Organismen verändert. Zunächst wurden jedoch lediglich spektakuläre Einzelfälle vermerkt und mancher Neuling sogar aus wirtschaftlichen, garten- oder landschaftsbaulichen oder rein ästhetischen Gründen importiert bzw. exportiert. Pflanzen und Tiere wurden oftmals als Kuriosa von Entdeckungsreisen mitgebracht und galten als Sensation in den botanischen und zoologischen Gärten (Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Niethammer 1963).

Im letzten Drittel des 20. Jh. bekam das Phänomen einen anderen Stellenwert. Die Zahl der registrierten Fälle vor allem unbeabsichtigt transportierter Arten verdichtete sich weltweit. Mit dem Beginn des Zeitalters der Globalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft, Handel und dem Einsetzen des Massentourismus hatte die Überführung von Lebewesen aus ihren Heimatarealen in andere Regionen der Erde eine neue Dimension erreicht. In einigen Ländern (z. B. Hawaii, Australien, Neuseeland) führten „invasive Arten“ zu erheblichen ökologischen Schäden, mitunter zum Verlust von Arten bzw. ganzer Artengemeinschaften (Kegel 1999).

Seit der Konferenz von Rio de Janeiro (1992) zum Schutz der globalen Artenvielfalt ist klar, dass die Vermischung exotischer Flora und Fauna mit jeweils einheimischen Beständen eine Kaskade von negativen Auswirkungen nach sich zieht. Die Einbringung von „neobiotischen“ Organismen gilt neben der Habitatzerstörung als eine der schwerwiegendsten Bedrohungen der globalen Artenvielfalt (Bundesamt für Naturschutz (BfN) 2001, Ehlers (WWF) 2001, Grosvenor et al. 2002, Hurka 2000, Kinzelbach 1995, Wilson 1992 u. 2002). Aufgrund dieser Tatsache stellt das Phänomen der „Neobiota“ oder der „Invasiven Arten“ (vgl. Kap. 2.1 u. Glossar) eine für das Ökosystem und den wirtschaftenden Menschen sehr praktische und greifbare Bedrohung dar. Es handelt sich nicht länger um ein Phänomen, das lediglich von der Fachwissenschaft registriert und behandelt wird, sondern tritt zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit.

Dabei ist die „Bedrohung“ nicht wirklich neu. Neu ist die Identifikation von „Neobiota“ als generelles und globales Phänomen und seine Einstufung als Problem. Diese Erkenntnis reifte bei den leicht sichtbaren und über den Ackerbau mit dem Menschen in enger Berührung stehenden Höheren Pflanzen wesentlich früher als bei den Tieren. Tiere sind insgesamt zwar zahlreicher (1,8 Mio. Arten mit sehr differenzierten Aktivitäten), jedoch auch mobiler und in der übergroßen Mehrheit schon in Folge relativ geringer Körpergröße schwer wahrnehmbar. Daher waren Wahrnehmungsdefizite in der stärker diversifizierten Zoologie wesentlich weiter verbreitet als in der Botanik.

Das Phänomen „Neobiota“ wurde von der Fachwelt in Deutschland zunächst nur unzulänglich behandelt und Forschung auf diesem Gebiet wenig bis gar nicht gefördert. Seit den 1970er Jahren hat sich in dieser Hinsicht jedoch ein Wandel vollzogen, der parallel zum Umdenken im Naturschutz erfolgte (vgl. Kap. 2.2). Die Forschung zu „Neobiota“ hat zugenommen, sowohl im angewandten als auch im theoretischen Bereich. Die Ergebnisse werden wissenschaftsspezifisch in Fachjournalen, auf Kongressen und seltener in Büchern veröffentlicht. Mittlerweile wurden sogar zahlreiche spezielle Fachjournale gegründet, die sich ausschließlich mit der Veröffentlichung von Artikeln zu „neobiotischen“ oder „invasiven“ Arten beschäftigen (z. B. „Biological Invasions“ – Kluwer Verlag, „Neobiota“ der Arbeitsgruppe Neobiota). Weiterhin gibt es den Bereich der nicht standardisierten Kommunikation in Arbeitskreisen, im Internet (z. B. der von IUCN unterhaltene Listserver „Aliens“ unter aliens-l-owner@indaba.iucn.com) und in der nicht begutachteten und standardisierten „grauen“ Literatur (Rundschreiben, Gutachten usw.). Die Vereinten Nationen, SCOPE (Scientific Committee on Problems of the Environment) und IUCN (World Conservation Union) u. a. riefen 1997 das „Global Invasive Species Programme” (GISP) ins Leben, welches ein Bestandteil des umfassenden internationalen „Diversitas-Programmes” ist. Eine Übersicht zu den Programmen liefern Gleich et al. (2000) und Kowarik (2003).

Information zu „Neobiota“ gelangt aus diesem begrenzten Personenkreis zunehmend an die Öffentlichkeit. Es stellt sich jedoch die Frage nach den Wegen, auf denen diese Informationsweitergabe vonstatten geht und welchen Veränderungen die Information dabei unterliegt. Der Übergang ist komplex und nicht unbedingt fehlerfrei. Das Instrumentarium für Kommunikation und Distribution stellen die verschiedenen Formen der Medien (Abb. 1).

Die erwähnte weltweite Zunahme der Wahrnehmung der „Neobiota“ als potenzielle Gefahr im Verlauf des letzten Drittels des 20. Jh. erfolgte dabei nicht etwa zufällig gleichzeitig mit der sprunghaften Entwicklung der Kommunikationsmittel und -techniken („Medien“). Die Medien haben dem Thema zum Durchbruch verholfen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1. Interdependenzmodell. Wechselwirkung und gegenseitige Abhängigkeit von Wissenschaft, Medien und Anwendung in Recht u. Praxis (Kinzelbach & Blömacher 2002).

Der Zusammenhang bzw. die „Co-Evolution“ von Medien im Bezug auf die Wahrnehmung des Phänomens „Neobiota“ sind Gegenstand der vorliegenden Studie. Eine Übersicht zum Verlauf einer Kommunikationskette liefern Beier et al. (1990) (Abb. 2).

Die wichtigsten Schnittstellen für die Weitergabe von Information werden hier näher betrachtet und sind von entscheidender Bedeutung für die Zielstellung der Arbeit (S. 8).

1) Übergang von der rein wissenschaftlichen Information über „Neobiota“ in die Öffentlichkeit.

Die Wege der Weitergabe sind vielfältig. Neben direkter Vermittlung von Information an die Öffentlichkeit durch die Wissenschaftler (z. B. Tag der Offenen Tür, öffentliche Vorträge, Führungen u. a. Sonderveranstaltungen) ist die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Journalisten eine wichtige Schnittstelle. Diese Kommunikation kann auf unterschiedliche Weise initiiert werden. Eine Möglichkeit wäre, dass die Fachredaktionen oder spezialisierte Mitarbeiter von Nachrichtenagenturen (dpa, AP, ddp) gezielt wissenschaftliche Mitteilungen lesen. Dies erfolgt jedoch nur in Ausnahmefällen und zumeist selektiv bei wenigen Fachzeitschriften (z. B. „Science“ & „Nature“ durch Redaktionen von Spiegel und FAZ). Der Zugang zu solchen Fachzeitschriften stellt ein weiteres Hindernis dar, denn sie sind z. T. mit erheblichem Kostenaufwand verbunden und daher sowohl für interessierte Laien als auch für die Redaktionen evtl. nur begrenzt erschwinglich (Dambeck 2004).

Eine weitere Möglichkeit wäre die gezielte Nachfrage seitens des Adressatenkreises, der die Journalisten bzw. Redaktionen zu Recherchen zu einem bestimmten Thema veranlasst. Beispiele dafür sind zahlreich, u. a. die Nachfrage zu der frühen Verfärbung der Blätter und des frühzeitigen Laubverlustes bei Rosskastanien im August/September, verursacht durch Blattbräune und Cameraria ohridella (3sat „nano“ 11.09.2000, hr-online 23.09.2001, Norddeutsche Neueste Nachrichten 24.10.2002, Ostsee Zeitung 23.10.2002, Reichholf 1996, Rostocker Sonntag 20.10.2002).

Schließlich gibt es noch eine andere Form der Motivation seitens Journalisten und Fachredaktionen. Sie reagieren in diesem Fall nicht auf Input von außen, d. h. von Adressat bzw. Rezipient, sondern versuchen, ein mögliches neues „Trend“-Thema voraus zu sehen und einem potenziell auftretenden Interesse ihres Publikums von Beginn an entgegen zu kommen. In diesem konkreten Fall (er)schaffen die Medien erst das Forum für ein bestimmtes Thema.

2) Die medienspezifische Verarbeitung des Themas „Neobiota“.

Hier ist die Methodik der Medien zu berücksichtigen. Hierzu zählen unter anderem Fragen der Technik, Kürze bzw. Länge der Berichte, Dramatik und Neuigkeitswert sowie die sprachliche Umsetzung der jeweiligen Information. Es findet erneut eine Selektion statt. Die von den Fachkräften erworbene Information (vgl. Pkt. 1) wird an dieser Stelle auf Tauglichkeit in Bezug auf Umsetzbarkeit und Erreichbarkeit des Adressatenkreises überprüft. Erst dann wird die Information weitergegeben.

3) Wiedergabe der Information über „Neobiota“.

Die gesammelte und im Sinne einer medientauglichen Übertragbarkeit selektierte und bearbeitete Information wird bei den Medien veröffentlicht (Printmedien, Radio, Fernsehen, Internet) und einem weit gefächerten Adressatenkreis zugänglich gemacht. Bereits aufgetretene Unschärfen und Missverständnisse im Dialog Wissenschaftler – Journalist können hier verstärkt, d. h. multipliziert, werden und in der Rezeption durch die Adressaten eine nochmalige Variation erfahren. Die Wirkung der Multiplikation der genannten Faktoren auf den potenziell erreichbaren Adressaten und dessen Reaktion und Feedback auf das vermittelte Wissen stellen den Abschluss der Kommunikationskette nach Beier et al. (1990) dar. Die Rezeption der Information zu „Neobiota“ (Definition vgl. Kap. 2.1) durch die Gruppen der Adressaten, die Wirksamkeit dieser Information und deren Umsetzung bzw. daraus resultierende Rückfragen aus der informierten Öffentlichkeit spielen eine erhebliche Rolle. Dazu zählt u. a. der weitere Umgang mit „Neobiota“ in den von ihnen berührten Feldern: z. B. Landnutzung, Medizin, Naturschutz, Forschungsstrategien und Verteilung von Forschungsmitteln. Diese Rückkopplung ist jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Eine solche Studie kann nur durch Meinungs- und Sozialforschung erfolgen.

Die Untersuchung bezieht sich ausschließlich auf den medialen Aspekt der Kommunikationskette. Der Übergang von wissenschaftlich erworbener Information zu „Neobiota“ in die Öffentlichkeit über die einzelnen Medien, deren spezifische Verarbeitung des Phänomens und die Wiedergabe der Information sind Gegenstand der Analyse (Punkte 1 - 3). Auftretende Fehler, deren Weitergabe bzw. Verbreitung an den Schnittstellen der Kommunikationskette werden aufgezeigt und Vorschläge zur zukünftigen Vermeidung solcher Irrtümer sowie zur Optimierung der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit vorgestellt.

Durch das anhaltende öffentliche und dadurch bedingte mediale Interesse an Biodiversität sind Neobiota ein optimales Beispiel für die Weiter- und Wiedergabe von wissenschaftlicher Information. Anhand der Neobiota-Thematik ist es möglich, Information von ihrem Ursprung (Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen) über Zwischenstationen (Medien) bis hin zu ihrem Endkonsumenten (Öffentlichkeit) zu verfolgen und mögliche Veränderungen zu erfassen (vgl. Punkt 1 - 3). Gründe für diese Veränderungen werden diskutiert und die Notwendigkeit einer intensiveren und optimierten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Medien umfassend erläutert.

Kommunikationsmodell

Thema Aufbau Verfahren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2. Kommunikationsmodell. (nach Beier et al. 1990). Textsorte ist eingeteilt in informierend, kommentierend und appellativ (vgl. Material u. Methoden).

Neobiota werden weltweit als einer der wesentlichen Faktoren der Veränderung der Biodiversität genannt. Es ist zu überprüfen, inwieweit diese Einschätzung in der Öffentlichkeit in Deutschland geteilt wird. Den Medien kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da sie nicht nur Fachinformation von Wissenschaftlern an ihren Adressatenkreis weitergeben, sondern in umgekehrter Richtung auch das Stimmungsbild der Öffentlichkeit reflektieren.

Ausgehend von dem Konflikt der „invasiven Arten“ mit menschlichen Interessen stellt sich demnach als zentrale Frage:

Wie wird das Phänomen „Neobiota“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert?

Die Vorstellungen von „Neobiota“, die in der Öffentlichkeit existieren, können mit Hilfe der Medien erfasst und mit wissenschaftlichen Ergebnissen verglichen werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind wertvoll für die wissenschaftliche Arbeit zu „Neobiota“ als auch für die öffentliche Diskussion.

Die zentrale Fragestellung zur öffentlichen Diskussion des Themas „Neobiota“ lässt sich weiter spezifizieren:

1) Welche wissenschaftlichen Thesen bzw. Erkenntnisse existieren zum Thema „Neobiota“?
2) Welche Vorstellungen existieren in der Öffentlichkeit, hier repräsentiert durch die Medien (Zeitungen, Magazine, Fernsehen, Radio, Internet), zu dem Phänomen?
3) Handelt es sich bei diesen Vorstellungen um wissenschaftliche Auffassungen oder auch um Vorstellungen anderer Art?
4) Wie werden diese Vorstellungen von den Medien vermittelt, d. h. wie werden Neobiota in Deutschland wahrgenommen bzw. dargestellt?
5) Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Vergleich der wissenschaftlichen Ergebnisse mit den Vorstellungen der Öffentlichkeit zu Neobiota für die Wissenschaft selbst und die Entwicklung der öffentlichen Diskussion ableiten?

Die Ergebnisse sollen zu einer Verbesserung des Kenntnisstandes über Neobiota als Phänomen, aber noch mehr als Meta-Phänomen im Bereich der Kommunikation beitragen und Kontroversen zwischen Wissenschaftlern und Journalisten abbauen.

2 Neobiota oder Invasive Arten – ein Überblick

2.1 Definition der Begriffe „Neobiota“, „invasive Arten“ und „Exoten“

Große Diskrepanzen herrschten bezüglich der „Neobiota“ vor allem hinsichtlich der Terminologie, da erst ein allmähliches Zusammenwachsen zu einem gemeinsamen Problem erfolgte (s. o.). Termini wurden an Einzelfällen oder begrenzten Teilgruppen gewonnen und erst in jüngster Zeit zu allgemein anwendbaren Begriffen zusammengeführt bzw. umdefiniert. Hinzu kommen unterschiedliche Sprachentwicklungen in den angelsächsischen Ländern und in Europa. Dies wird vor allem auf Fachtagungen und Konferenzen deutlich, wo Experten immer wieder klare und transparente Definitionen und Einheitlichkeit der Terminologie fordern (Kowarik 2002). Für den Verlauf der vorliegenden Untersuchung wurde im Glossar ein Überblick der verwendeten Terminologie angelegt (vgl. S. 127). Nachstehend wird am Beispiel der Neozoa vertiefend auf die Problematik in der Terminologie verwiesen.

Es werden zwei Fallgruppen unterschieden:

(1) Nicht-einheimische Tiere (non-indigenous animals), Neozoa: Tierarten, die seit Beginn der Neuzeit (1492) beabsichtigt oder unabsichtlich unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in ein ihnen zuvor nicht zugängliches Faunengebiet gelangt sind und dort neue Populationen aufgebaut haben (vgl. Glossar).

Hier ist eine klare Abgrenzung erforderlich gegenüber den vom Menschen schon früh verbreiteten bzw. verschleppten Organismen (Archäophyta, Archäozoa: Mit der Einführung des Ackerbaues im Neolithikum) sowie von natürlichen Arealverschiebungen von Organismen. Die Begriffe Neozoa, Neophyta (zusammen Neobiota) dienen in erster Linie dazu, die übliche, negativ wertende Terminologie zu entschärfen.

(2) Zunehmend wird der Begriff „Biologische Invasionen“ (biological invasions; invasive organisms) gebraucht, der nicht zwischen natürlichen und anthropogenen Ursachen von Neuansiedlungen unterscheidet, expandierende autochthone Arten einschließt und der sich überwiegend auf auffällige Fälle mit Schadensnachweis oder Schadensvermutung bezieht (vgl. Glossar).

Im Zusammenhang mit Neobiota wird zudem häufig der Begriff „Exoten“ verwendet. Die Verwendung ist missverständlich, da sich diese Bezeichnung nicht auf Neobiota beschränkt, sondern fremdländische Tiere und Pflanzen aus aller Welt einschließt, bedeutet der Begriff in der Übersetzung „fremd, fremdländisch, ausländisch“ (vgl. Glossar).

Die Begriffe „nicht-einheimische Tiere“ und „invasive Arten“ überschneiden sich nur teilweise. Unterscheidend ist der vorhandene oder fehlende Einfluss des Menschen. In den nach der Ortsveränderung folgenden populationsdynamischen und ökologischen Abläufen besteht prinzipiell Übereinstimmung (Invasionsbiologie).

Neozoa finden sich in fast allen Lebensräumen, in maritimen, limnischen und terrestrischen Teilökosystemen, vor allem jedoch in der Agrar- und Stadtlandschaft, ganz besonders in manchen Gewässertypen (Potamocoen, Brackwasser der Flussmündungen) (Boye 2003, Geiter & Kinzelbach 2002, Kinzelbach 2001, Kowarik 2003). Sie gehören fast allen Gruppen des Tierreichs an. In Deutschland sind mittlerweile um 1.400 nicht-einheimische, allochthone Tierarten registriert (gegenüber etwa 54 000 – 65 000 Autochthonen). Etwa 300 Arten haben stabile und umfangreiche Freilandpopulationen aufgebaut (AG Neozoa, Universität Rostock; Internet-Quellen 4).

Viele Arten wurden mit Nutzungserwartung eingebürgert. Andere sind potenziell schädlich im ökonomischen Bereich (Forst-, Land- und Gartenwirtschaft), in Medizin und Tiermedizin, im Ökosystem und in der psychischen Wirkung auf Menschen (Sozialpsychologie). Die Wirkung auf den Menschen wird in der vorliegenden Untersuchung anhand der medialen Darstellung erläutert. Fallbeispiele für die nach menschlichen Gesichtspunkten ausgelegte Einstufung von Neobiota als Nützlinge, Schädlinge usw. erfolgt in Kap. 2.3.3 (S. 15).

Insofern zeigt sich theoretische, praktische und psychische Bedeutung. Letztere darf nicht unterschätzt werden. Seit ältesten Zeiten zieht der Mensch nicht nur materiellen Nutzen aus der Natur, sondern bedarf ihrer auf emotionaler Seite (Singer 1993). Der Mensch ist nicht nur Teil der Natur, sondern macht sich auch ein bestimmtes Bild von ihr. Dieses Leitbild der Natur, oder vielmehr wie der Mensch seine Umwelt bzw. die Natur empfindet, spielt in der Debatte um die Veränderung der Artenvielfalt eine entscheidende, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle. Die Habitatzerstörung und der Verlust von „Altbekanntem“ machen dem Menschen die Veränderung seines vertrauten Bildes der Natur bewusst. Zwar ist der Mensch durch das Exotische und das Fremde immer wieder fasziniert, jedoch wird eine zunehmende Entfremdung der heimischen Natur als Bedrohung empfunden (Boye 2003, Eser 1999, Gebhard 2004, Geiter & Kinzelbach 2002, Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Reichholf 1996). Die Neobiota, die potenziell zu dieser Entfremdung beitragen können, werden daher mit besonders kritischen und misstrauischen Augen betrachtet. Die Trennung von Heimat und Fremde wird am Beispiel der Neobiota besonders deutlich.

Während in vielen Ländern mit empfindlichen Ökosystemen, etwa in den durch lang anhaltende Co-Evolution gekennzeichneten tropischen Wäldern, Savannen oder Korallenriffen, besonders auf mehr oder minder großen Inseln (Hawaii, Australien, Neuseeland, Mauritius), erhebliche ökologische Schäden durch Neozoa und Neophyta erfolgen, halten sich diese in dem durch die nacheiszeitliche Zuwanderung von nur wenigen Tausend Jahren geprägten Mitteleuropa in Grenzen (Boye 2003, Kegel 1999, Kowarik 2003).

Im Umgang mit Neobiota muss den artspezifischen Eigenschaften der sehr unterschiedlichen Arten entsprochen werden. Im Vordergrund steht daher ein Monitoring mit Einzelfallprüfung bzw. eine gezielte Bekämpfung nur von Fall zu Fall.

2.2 Die Entwicklung der Wahrnehmung und Darstellung von Neobiota

Die Wahrnehmung des Phänomens Neobiota vollzog sich in der Öffentlichkeit anders als in der Wissenschaft. Einen Überblick zur Wissenschaftsgeschichte der Neobiota-Forschung liefert Kowarik (2003). Der Bewusstseinswandel der Öffentlichkeit in der Neobiota-Thematik entwickelte sich diskontinuierlich in nachstehenden Etappen:

- Die Zeit der Akklimatisationsgesellschaften (Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts)
- Die Katastrophenpädagogik (in den 1970er Jahren)
- Konzept der Nachhaltigkeit (ab Beginn bzw. Mitte der 1990er Jahre bis heute)

Die Akklimatisationsgesellschaften

Die erste Akklimatisationsgesellschaft entstand 1854 in Paris, gefolgt von weiteren Gründungen in anderen Ländern Europas und in Übersee (Australien, Neuseeland, USA) (Homma 2000, Geiter & Kinzelbach 2002, Niethammer 1963). Ihr Wirken setzte einerseits den Export europäischer Organismen während der Auswanderungswellen fort und systematisierte ihn, andererseits wurden gezielt fremdländische Pflanzen und vor allem Nutztiere nach Europa verbracht, dort in Gehegen gehalten oder ausgewildert. Neben dem unmittelbaren Nutzen (Jagd, Ernährung, Materialnutzung) spielten bei nicht direkt nutzbaren Tieren (z. B. Star, Haussperling, Rauchschwalbe, Rotkehlchen) auch Emotionen mit: Die in den neu besiedelten Ländern vorgefundene Flora und Fauna wurde von den europäischen Siedlern spontan, aber auch verstärkt durch die Akklimatisationsgesellschaften, als „ökonomisch und kulturell mangelhaft“ empfunden und daher mit Arten aus der Heimat „bereichert“ und stabilisiert (Kegel 1999, Kowarik 2003). Die neue Heimat sollte der alten so ähnlich wie möglich gemacht werden (Clark 1949, Flannery 1994, Homma 2000).

Die meist kommerziell ausgerichteten Akklimatisationsgesellschaften nahmen somit konsequent zwei Aufgaben wahr:

- Die Einführung europäischer Flora und Fauna in neu besiedelte Länder vor allem zu ökonomischen Zwecken für Jagd, Fischerei und Nutztierhaltung (Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Niethammer 1963). Zuweilen veränderte sich der Umgang mit altbekannten Tieren und Pflanzen; so war z. B. in Australien Jagd auf solche Tiere erlaubt, die in der alten Heimat England nur wenigen Privilegierten zustand (Clark 1949, Flannery 1994, Homma 2000, Royal Zoological Society of NSW – Internet-Quellen 2).
- Die Einführung von exotischen Arten zur materiellen Nutzung oder als besondere Attraktion („emotionale Nutzung“) in die jeweiligen Heimatländer (Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Niethammer 1963). Die Nutzung bestand z. B. im Pelzhandel oder für die Ernährung der einheimischen Bevölkerung. Wohlbekannte Beispiele sind Kartoffel, Mais, Kürbis usw. In England wurde u. a. ernsthaft diskutiert, ob die Einführung von Emus eine positive Auswirkung auf die Ernährungssituation der Bevölkerung haben könnte (Flannery 1994, Internet-Quellen 3). Die Liste an Beispielen lässt sich beliebig fortsetzen.

Die Attraktion exotischer Organismen bestand darin, dass die Anwesenheit der jeweiligen Arten in Parks (wichtiger Umschlagplatz für Pflanzen war u. a. der Botanische Garten in Kew/Großbritannien), Zoos oder Privatbesitz oft mit großem öffentlichen Aufsehen bzw. Ansehen für die jeweiligen Besitzer verbunden war (Niethammer 1963). Viele Tiere und vor allem Pflanzen galten als besondere Zierde (z. B. Tulpen, Hyazinthen) und wurden daher gezielt eingeführt (Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Niethammer 1963)

Zum systematischen und beabsichtigten Transport neobiotischer Organismen durch die Akklimatisationsgesellschaften kamen die unbewusst und unbeabsichtigt eingeschleppten Organismen hinzu, die als „blinde Passagiere“ in die entsprechenden Länder gelangten. Ein sehr frühes Beispiel sind in vielen Ländern die Hausratten (Rattus rattus), seit dem 18. Jh. gefolgt von der Wanderratte (Rattus norvegicus) (Kegel 1999). Die Auswirkungen der Einführung neuer Organismen auf die heimische Flora und Fauna waren zunächst unbekannt oder wurden nicht bzw. kaum beachtet. Erst spät und vereinzelt stießen die Akklimatisationsbestrebungen auf Kritik. Diese formierte sich im Zeichen des Naturschutzes (Protagonist H. Löns). Der Wert und die Einzigartigkeit von autochthonen Tier- und Pflanzengesellschaften wurde in Europa und Übersee erkannt. Dies setzte spektakulären Aktionen der Gesellschaften ein Ende. Allerdings wird bis heute in den Gewässern der Besatz z. B. mit Fischen oder Krebsen, oft mit staatlicher Unterstützung, betrieben. Die unwissentliche Einfuhr von Organismen findet nach wie vor statt, z. B. durch Ballast- und Bilgenwasser, Warentransporte, Flugverkehr, Kanalverbindungen (Gollasch 1996 u. 2002, Gollasch & Dammer 1996, Kinzelbach 2001, Kowarik 2003, Tittizer 1996).

Die Katastrophenpädagogik

Um 1970 entstand mit der sogenannten „Katastrophenpädagogik“ (Blömacher 2002, Koch & Vahrenholt 1978) ein neues Bewusstsein für die Umwelt. Angst vor einer atomaren Katastrophe bzw. einer chemischen Verseuchung führte in eine frühe Phase der Umweltbildung (vgl. Glossar). Der drastische Hinweis auf Gefahren, u. a. auch Faunenverfälschung, sollte diesen ein Ende bereiten (Koch & Vahrenholt 1978). Besonders die Medien machten sich dieses Anliegen zu eigen. Katastrophenmeldungen sollten Betroffenheit und Furcht vor einer irreversiblen Zerstörung der Natur erzeugen. Eine Sensibilisierung für die Einzigartigkeit der Natur, vor allem als lebenswichtige Umwelt des Menschen, sollte erreicht und die Bereitschaft gefördert werden, diese mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten. Eine Überfrachtung mit undifferenzierten Idealen nach einem ganzheitlichen, besseren Leben „im Einklang mit der Natur“ war die unmittelbare Folge (Richter 2002). Die Politik versuchte diesem „grassroot movement“ entsprechend entgegen zu kommen. So ist die Gründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) der Bundesrepublik Deutschland u. a. auf das wachsende Umweltbewusstsein der Bevölkerung und das Aufkommen einer starken Umweltschutzbewegung in den 80er Jahren zurück zu führen (BMU – Internet-Quellen 44). Vor diesem Zeitpunkt waren der Umweltschutz dem Bundesinnenministerium, der Naturschutz dem Bundeslandwirtschaftsministerium zugeordnet. Seit 1994 ist der Umweltschutz als Staatsziel im Artikel 20a des Grundgesetzes etabliert. Der Tierschutz fand im Jahr 2002 Aufnahme ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Bundesministerium für Verbraucherschutz 2002).

In den Schulbüchern fand der didaktische Einfluss der Katastrophenpädagogik seit 1975 fächerübergreifenden Eingang in die Lehrpläne und musste obligatorisch behandelt werden (Blömacher 2002). Die Umweltbildung hielt so ihren Einzug in die Klassenzimmer. Auch Schriftsteller und Dichter nahmen sich der Thematik an (z. B. Enzensberger 1962).

Das Nachhaltigkeitsprinzip

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus dem Jahr 1713 und wurde von Hannß Carl von Carlowitz begründet. Er erscheint erstmalig in Carlowitz’ Buch „Sylvicultura Oeconimica“, in dem der Autor eine Balance zwischen Abschöpfung und Erneuerung von Ressourcen in der Forstwirtschaft postuliert. Carlowitz gilt auch als Begründer der Sozio-Ökonomie (Gröger 2003).

Auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro (1992) bekannte sich die internationale Staatengemeinschaft zum Konzept der Nachhaltigkeit, welches eine Nutzung der Ressourcen durch die heutige Generation vertritt, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden (BMU 2002). Diese Übereinkunft gilt auch für den Erhalt der biologischen Vielfalt (vgl. Glossar ). Im Artikel 8h der Konvention zur biologischen Vielfalt wird konkret auf den Einfluss von Neobiota verwiesen. Danach geht jede Vertragspartei die Verpflichtung ein „... soweit möglich und sofern angebracht, die Einbringung gebietsfremder Arten, welche Ökosysteme, Lebensräume oder Arten gefährden, zu verhindern; und diese Arten zu kontrollieren oder zu beseitigen“.

Die Diskussion der Rolle von neobiotischen Tier- und Pflanzenarten als einflussnehmender Faktor auf die Biodiversität und einer eventuellen Gefährdung der Nachhaltigkeit wird in den letzten Jahren von den Medien und öffentlichen Einrichtungen aufgenommen und bis heute fortgeführt. Neobiota werden dabei als eine der möglichen Ursachen für die gegenwärtige Veränderung der Artenvielfalt diskutiert (vgl. Kap. 2.3.1). Die Medien tragen damit nicht unerheblich zur Bewusstwerdung des Phänomens Neobiota im Zusammenhang mit Umweltproblemen und Schutzmaßnahmen bei. Sie machen sich dabei die vier Großgruppen der Angst zunutze, denn die Angst vor dem Fremden, dem Anders-Seienden (Xenophobie), die Angst vor Trennung vom Altbekannten, die Angst vor Zerstörung der heimischen und vertrauten Natur und die Angst vor dem zukünftigen Aussehen der Umwelt spielen auch beim Thema Neobiota eine bedeutende Rolle (Hofer 2002).

2.3 Zur Auswirkung der Neobiota auf die Artenvielfalt

2.3.1 Neobiota als Ursache für die Veränderung der globalen Artenvielfalt

Tabelle 1 listet die Ursachen für die Veränderung der Artenvielfalt auf. Nach Meinung diverser Autoren, Magazine und Umweltverbände ist die Einführung von Neobiota nicht der Hauptgrund für den weltweiten Wandel der Biodiversität. Vielmehr wird an erster Stelle die Habitatzerstörung genannt. Erst an durchschnittlich dritter Stelle rangieren neobiotische Organismen. Den bisherigen Ergebnissen und Analysen zufolge ist eine Veränderung dieser Rangfolge zur Zeit nicht erkennbar.

In den vorangegangenen Jahrzehnten waren Umweltverschmutzung, Ozonloch und Treibhauseffekt Leitthemen des Umweltschutzes (Blömacher 2002, Koch & Vahrenholt 1978). Berichte von verheerenden, nahezu biblisch anmutenden Katastrophen waren häufig in der Presse zu finden. Der Spiegel berichtet in den 1990er Jahren mit Schlagzeilen wie „Dürre ohne Ende“ (Spiegel 19 /1992) oder „Am Rande des Abgrunds“ (Spiegel 1 /1996) von bevorstehenden Klimakatastrophen.

Die Diskussion um die Auswirkungen des Klimawandels reißt nicht ab. Der Film „The Day After Tomorrow“ (Emmerich, 2004), der in den Kinos mit spektakulären Effekten auf die Gefahren und Auswirkungen der globalen Erwärmung hinweist und der auf den Bestsellerlisten rangierende Ökothriller „Der Schwarm“ (Schätzing 2004) zeigen deutlich die anhaltende Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Tab. 1 . Rangfolge der für die Veränderung der Artenvielfalt angegebenen Gründe. Nach verschiedenen Autoren. Die Zahlen 1 – 5 bezeichnen die Reihenfolge, in der die Ursachen genannt wurden. Die Ziffer Null zeigt an, dass die jeweilige Ursache nicht erwähnt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Doch auch das Prinzip Nachhaltigkeit und der Schutz der Biodiversität nehmen eine zentrale Position ein, nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch in der Gesetzgebung (Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes – BMU 2002). Da Neobiota als Ursache der Veränderung der Biodiversität genannt werden (Tab. 1), muss diese Veränderung analysiert und infolge der bestehenden Gesetzgebung entsprechend behandelt werden.

2.3.2 Veränderungen heimischer Flora und Fauna durch Neobiota

Der anthropogen bedingte Transport von Neobiota in ein ihnen bisher unzugängliches Habitat hat ohne Zweifel Auswirkungen auf die angestammten Lebensgemeinschaften (Elton 1958, Kegel 1999, Kinzelbach 1995 u. 2001, Kowarik & Starfinger 2001, Reichholf 1996). Der Einfluss des Menschen auf die Natur existiert bereits seit Jahrtausenden (Kinzelbach 2001, Kowarik & Starfinger 2001, Kowarik 2003, Lohmeyer & Sukopp 1992, Niethammer 1963). Seit der Neolithischen Revolution (Übergang zu Ackerbau und Viehzucht) verhalf der Mensch beabsichtigt oder unbeabsichtigt Tier- und Pflanzenarten zur Überwindung natürlicher Verbreitungshindernisse (Gebirge, Meere usw.) und zur Gründung neuer Populationen (Elton 1958, Kinzelbach 2001). Seit der Ausweitung der Beziehungen zwischen Europa, Afrika und Asien durch die Portugiesen, besonders aber seit der Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 erfolgte der Austausch indessen interkontinental und nicht, wie in Antike und Mittelalter, nur im Umfeld Europas (Kinzelbach 2001). Folglich werden die Definitionen von Neozoa und Neophyta unmittelbar mit der symbolischen Zeitmarke der Entdeckung der Neuen Welt verknüpft (vgl. Glossar).

Das Bild wäre unvollständig, ohne nochmals ausführlich folgende Feststellungen zu treffen:

- Die durch Neobiota verursachten Veränderungen von Flora und Fauna in Mitteleuropa sind derzeit relativ geringfügig. Eine häufig diskutierte Ursache besteht darin, dass Flora und Fauna in Mitteleuropa im Wesentlichen das Ergebnis der postglazialen Wiederbesiedlung aus den Refugialräumen des Mittelmeeres darstellen (Kinzelbach 1995 u. 2001, Kowarik 2003). Die daraus resultierenden Einwanderergesellschaften sind relativ geringen Alters, sie sind aus „robusten“ Arten zusammengesetzt, die ökosystemaren Vernetzungen sind geringfügig, d. h. sie umfassen jeweils nur wenig intensive Co-Evolution.
- Dies gilt nicht für andere biogeographische Regionen. In den alten Ökosystemen der Tropen können komplizierte co-evolutive Gemeinschaften gestört werden. Auf Inseln unterschiedlicher Größenordnung sind die meist nicht sehr kopfstarken Populationen von Endemiten in großer Gefahr z. B. durch eingeschleppte Räuber (Kegel 1999, Kinzelbach 2001, Kowarik 2003).

Veränderungen in den „robusten“ und „empfindlichen“ Ökosystemen unterliegen somit a priori bei einer Bewertung unterschiedlichen Maßstäben. Die Situation der Bundesrepublik Deutschland kann danach keinesfalls mit Inselhabitaten wie Hawaii oder Neuseeland verglichen werden.

2.3.3 Die Vielfalt der Vorstellungen zu Neobiota

Nicht alle neuen Organismen etablieren sich nach ihrer beabsichtigten oder unbeabsichtigten Einführung erfolgreich. Schätzungsweise 10 % der eingeführten Arten schaffen eine Etablierung in ihrem neuen Lebensraum (Kegel 1999, Ludwig et al. 2000).

Im Jahr 1901 schrieb Kraepelin:

„Unsere bisherigen Erfahrungen über die thatsächlich erfolgten Einbürgerungen nach hier verschleppter Tiere, scheinen daher den von Leopold Krüger (Insektenwanderungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten) zunächst für unsere Beziehungen zu Nordamerika aufgestellten Satz in vollem Umfang bestätigen, dass völlige Akklimatisation fremdländischer Formen in Deutschland als seltene Ausnahme zu betrachten sind.“

Charles Darwin argumentierte in „The Origin of Species“ (1859), dass anhand der Biologie der Arten keine oder kaum Rückschlüsse gezogen werden könnten, welche Art ein größeres Potenzial zur Eroberung neuer Lebensräume besitze. Auch heute sind Prognosen zur möglichen erfolgreichen Etablierung von Neobiota schwierig bis unmöglich (Kinzelbach 1995), obwohl von wissenschaftlicher Seite Modelle zur Vorhersagbarkeit biologischer Invasionen entwickelt werden (Heger & Trepl 2003).

Folgt man den o. a. Thesen, so ergibt sich die Frage nach Faktoren zur Bewertung des Phänomens Neobiota.

- Welche neobiotischen Arten können sich erfolgreich etablieren?
- Was geschieht nach der Etablierung?
- Sind Neobiota eine Bedrohung oder Bereicherung der biologischen Vielfalt in ihrem neuen Habitat?

Einige Fallbeispiele wissenschaftlich gut untersuchter Neozoa und Neophyta sollen diese Fragen beantworten und die Problematik der Einstufung von Neobiota veranschaulichen.

„Nützlinge“

Viele Arten (Damhirsch, Mufflon, Fasan, Bisam, Nutria, Marderhund) wurden mit einer hohen Nutzungserwartung, z. B. für die Jagd, den Pelzhandel oder die Gewinnung von Federschmuck, freigesetzt (Kinzelbach 2001). In vielen Fällen sind diese Organismen bereits als Teil der heimischen Flora und Fauna akzeptiert. Auch die biologische Schädlingsbekämpfung wird oft als Beispiel für „gute“ Neobiota herangezogen.

Es besteht kein Zweifel, dass die Kartoffel (Solanum tuberosum) und der Mais (Zea mays) als eingeführte Kulturpflanzen bereits seit langer Zeit voll akzeptiert sind. Beide kamen schon recht früh nach der Entdeckung der Neuen Welt aus Süd- bzw. Mittelamerika nach Europa, wo sie einen wahren Siegeszug in der Kulturlandschaft vollführten (Probst 1995, Reichholf 1996). Als täglicher Nahrungsbestandteil des Menschen bzw. als Tierfutter sind diese beiden Neophyten nicht mehr wegzudenken, obwohl sie aufgrund der zahlreichen und langjährigen Züchtungen nur noch wenig mit den wildlebenden Verwandten des amerikanischen Kontinents gemein haben. Beide Arten werden regelrecht gehegt und gepflegt, und jeder vermeintliche Schädling, wie der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata), der als potenzieller Konkurrent um Ernteerträge auftreten könnte, wird auf das Heftigste bekämpft (s. u. „Schädlinge“).

Weitere Pflanzen, wie z. B. der aus Mittelamerika stammende Topinambur (Helianthus tuberosus), erfreuen sich ebenfalls wachsender Beliebtheit und werden als Delikatessen inklusive Rezepte in Deutschland propagiert (br-online - Internet-Quellen 32).

Als Beispiel für biologische Schädlingsbekämpfung ist auf die San-José-Schildlaus (Quadraspidiotus perniciosus) und die auf sie spezialisierte Schlupfwespe Prospaltella perniciosi zu verweisen (s. u. „Schädlinge“). Da P. perniciosi die San-José-Schildlaus unter Kontrolle hält (Zebitz 1996, Ludwig et al. 2000), ist diese Art als „Nützling“ zu kategorisieren.

Wieder andere Arten wurden allein zum Zweck der Jagd oder der Fischerei importiert. Hierzu zählen Damhirsch, Mufflon und Fasan sowie im Falle der Fische Regenbogenforelle, Graskarpfen und Zander (Kinzelbach 2001). Es profitieren ganze Industriezweige von diesen Neozoen, sei es durch die Herstellung der entsprechenden Jagd- und Fangausrüstung oder die Verarbeitung der erbeuteten Tiere. Felle, Federn und Hörner werden als Jagdtrophäen vertrieben.

Die Bestände der genannten Arten werden zum Teil künstlich aufrecht erhalten, um weiterhin finanziellen Nutzen aus ihnen ziehen zu können. Hinzu kommt das persönliche Engagement von Jägern und Sportfischern, die einer Abschaffung ihrer „Nützlinge“ und dem damit verbundenen Verlust ihrer Freizeitaktivität und Hobbys wahrscheinlich nicht sehr positiv gegenüberstünden.

Im Falle des Fasans (Phasianus colchicus) profitiert u. a. auch die Mode, da die Federn dieser Tiere als Verzierung sehr begehrt waren und noch sind (AG Neozoa – Internet-Quellen 4). Der Fasan stammt ursprünglich aus Mittelasien (nördlich und südlich des Kaukasus, Nordpersien, russisches Mittelasien bis zum Aralsee, Semirjetschensk, Süd- und Ostmongolei und fast ganz China sowie den Japanischen Inseln) und wurde 1848 zunächst nach England und später nach Resteuropa eingeführt (Niethammer 1963).

Die Haltung und Zucht von Pelztieren wie Nutria (Myocastor coypus), Bisam (Ondatra zibethica), Enok (Nyctereutes procyonides) und Waschbär (Procyon lotor) führten zu weiteren Auswilderungen, wenn auch oft unfreiwillig durch versehentliche Ausbrüche sowie durch vermeintliche Helfer, die damit gegen den Pelzhandel protestieren wollten.

Die aus Nordamerika stammende Bisamratte (Ondatra zibethica) wurde in vielen Ländern wegen ihres wertvollen Pelzes gezüchtet (Niethammer 1963). Einige ausgesetzte Exemplare sorgten dank ihres hohen Vermehrungspotenzials und in Ermangelung von Konkurrenten für die rasche Verbreitung der Tiere in Europa. Der wasserwirtschaftliche Schaden, den O. zibethica durch Unterminierung von Uferböschungen, Deichen und Dämmen anrichtet (Internet-Quellen 4), hat dazu geführt, dass die Bisamjagd staatlich gefördert und Fangprämien ausgeschrieben wurden (Niethammer 1963, Ludwig et al. 2000). Der Gewinn durch Pelze spielt keine Rolle mehr in den Überlegungen (Niethammer 1963, AG Neozoa – Internet-Quellen 4). Nach Niethammer (1963) ist die Hege, Haltung, der Versand und die Einfuhr sowie Durchfuhr von Bisamratten gesetzlich verboten. Jedoch ist in vielen Gebieten Deutschlands, z. B. im Bayerischen Wald, der Fischotter von der Bisamratte als Nahrungsquelle abhängig (Reichholf 1996). Eine massive Bekämpfung von O. zibethica würde demnach dessen Bestand in den betreffenden Regionen gefährden.

Nutria (Myocastor coypus) wurden ebenfalls wegen ihres wertvollen Pelzes aus den Gebieten des subtropischen und gemäßigten Südamerika (Südbrasilien, Paraguay, Uruguay, Argentinien, Chile) nach Nordamerika, Europa, Asien und Afrika importiert (Niethammer 1963, AG Neozoa – Internet-Quellen 4). In Deutschland befinden sie sich seit 1926 (Niethammer 1963, Ludwig et al. 2000). Das Haar wird u. a. zu Filzen für die Hutherstellung verwendet. Da M. coypus zusätzlich gastronomisch genutzt werden kann und außerdem bei Weitem nicht solche großen Schäden durch Wühlaktivitäten in Deichen und Dämmen anrichtet wie die Bisamratte, wird sie auch nicht so stark bejagt wie O. zibethica, obwohl sie häufig mit jener verwechselt wird. Allerdings stehen quantifizierbare ökonomische und ökologische Schadensanalysen im Falle der Nutria noch aus (Niethammer 1963, AG Neozoa – Internet-Quellen 4).

Ein weiteres zur Pelzgewinnung eingeführtes Tier ist der Marderhund (Nyctereutes procyonides) oder Enok. N. procyonides stammt ursprünglich aus dem Amur- und Ussuri-Gebiet Russlands, Ostchina, Japan, Korea und Nordvietnam und wurde zunächst in der Ukraine und im asiatischen sowie europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion eingeführt (Ludwig et al. 2000, Riechelmann 2004, Schmechel 2004, Zoller 2004). Die Pelzindustrie sah ihre Erwartungen aufgrund eines über viele Monate anhaltenden Fellwechsels und daraus resultierenden Qualitätsverlustes nicht erfüllt. Seit der Einführung in die Ukraine im Jahr 1928 breitet sich der Enok kontinuierlich nach Westen aus (Niethammer 1963, Riechelmann 2004, Zoller 2004). Wegen einer befürchteten möglichen Faunenverfälschung, einer potenziellen Gefährdung des Niederwilds und der Gefahr der Tollwutübertragung (Niethammer 1963) wird der Enok nicht gerne gesehen (Ludwig et al. 2000).

Auch der Waschbär (Procyon lotor) wurde und wird zur Pelzgewinnung bejagt. Die Heimat des Waschbären zieht sich vom südlichen Kanada über die USA bis nach Mittelamerika (Panama) (Niethammer 1963, Riechelmann 2004, Schmechel 2004). Mittlerweile erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet von Mitteleuropa bis über Teile der ehemaligen Sowjetunion. Zunächst wurde befürchtet, dass der Waschbär sich als Nesträuber von boden- und baumbrütenden Vogelarten betätigen würde (Niethammer 1963, Riechelmann 2004) und damit seltene Arten gefährden könnte. Diese Befürchtung wurde nicht bestätigt (Ludwig et al. 2000), was u. a. auf die Bejagung zurückgeführt wird. Der Waschbär wird jedoch als Überträger von Krankheiten (Staupe, Tollwut) eingestuft und kann einen seiner Parasiten, den Spulwurm Baylisascaris procyonis, auch auf den Menschen übertragen (Ludwig et al. 2000, Schmechel 2004). Das Verhältnis der Menschen in Deutschland zum Waschbär ist zwiespältig. Auf der einen Seite existiert das Bild des „gewitzten und pfiffigen, putzig aussehenden, eigentlich nicht hierher gehörigen“ Räubers, der die amüsante Eigenschaft besitzt, seine Nahrung zu waschen, andererseits entpuppt er sich gerade in Städten als Plage (vgl. Kap. 5.2.2.1).

Die Beispiele verdeutlichen, dass der Nutzen einer Art vom Gewinn einzelner Gruppen (Firmen, Verbände) abhängig ist, während auftretende Schäden finanziell auf die Allgemeinheit (Öffentlichkeit, staatliche Maßnahmen) umgelegt werden.

„Neutrale“

Der Großteil der neobiotischen Arten fällt kaum auf bzw. wird kaum wahrgenommen. Vor allem bei den aquatischen Organismen ist der Grad der Unbekanntheit hoch. Nur solche Arten, die in erheblichem Maße wirtschaftlichen Schaden anrichten, tauchen im Licht der Öffentlichkeit auf, z. B. die Schiffsbohrmuschel Teredo navalis, die durch den Befall der Holzbuhnen vor den Küsten Deutschlands für einen erheblich höheren finanziellen Aufwand bei den Küstenschutznahmen sorgte. Doch solche Beispiele sind eher selten. Arten wie der Tigerflohkrebs Gammarus tigrinus, der Schlickkrebs Corophium curvispinum, die Süßwassergarnele Atyaephyra desmaresti oder der Keulenpolyp Cordylophora caspia sind weitgehend unbekannt. Vielleicht hängt dieser Umstand mit ihrer Lebensweise, vielleicht auch mit ihrer Größe zusammen. Kegel (1999) beschreibt das Phänomen in seinem Buch „Die Ameise als Tramp – Von biologischen Invasionen“ folgendermaßen:

„Unter der immer gleichen Oberfläche unserer Flüsse und Seen haben sich umwälzende Veränderungen abgespielt. Die heutige Fauna des Rheins ist völlig anders strukturiert als noch vor zwanzig Jahren. Hätte Vergleichbares über der Wasseroberfläche stattgefunden, wir würden unser gutes altes Europa nicht mehr wiedererkennen. Ein Sturm der Entrüstung wäre losgebrochen. Aber limnisches Getier führt ein verborgenes Leben und selbst wenn wir in den Gewässern auf den Grund schauen könnten, für den Laien sehen Kleinkrebse, Schnecken und Muscheln alle gleich aus.“

Kegel 1999 (S.95)

Große Wirbeltiere machen in der Öffentlichkeit „mehr her“ als ein kleiner Krebs. Der Umstand, dass sich der Einfluss der Majorität der kleinen und wirbellosen Arten mehr auf ökologischer Ebene bemerkbar macht, mag ein weiterer Faktor in der Argumentation sein. „Ökologischer Schaden“ ist abstrakter als wirtschaftlicher oder medizinischer, der sich unmittelbar in finanziellen Verlusten bzw. erhöhtem Gesundheitsrisiko ausdrücken lässt. Es scheint, als nähme der Mensch nur die Arten wahr, die ihn unmittelbar beeinflussen. Die nächsten Abschnitte werden diesen Aspekt eingehender beleuchten.

„Schäden“

Neobiota können sich als ökonomische (z. B. Reblaus und Kartoffelkäfer), medizinische und tiermedizinische (z. B. Pest, Malaria, Gelbfieber, Dengue-Fieber, West Nile Virus) sowie als ökologische Schädlinge erweisen (Hurka 2001, Kowarik et al. 2001).

Ökonomische Schädlinge

Die Schadwirkung lässt sich eindeutig in monetären Dimensionen messen. Die meisten Arten, die sich als Schädlinge in Land- und Forstwirtschaft erweisen, werden gemeinsam mit ihren Wirtspflanzen importiert (Zebitz 1996). Meist geschieht das im Larvenstadium oder durch Eier, die sich in oder an der entsprechenden eingeführten Pflanze befinden. Hat sich diese Wirtspflanze, die eine Vielzahl von Organismen (z. B. Insekten) beherbergen kann, erst erfolgreich etabliert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die auf ihr lebenden Insekten einfinden (Kegel 1999). Klassische Beispiele stellen Reblaus (Dactylosphaera vitifolii), Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) und die San-José-Schildlaus (Quadraspidiotus perniciosus) dar.

Die Reblaus (Dactylosphaera vitifolii) wurde Mitte des 19. Jh. aus Amerika eingeschleppt (Kegel 1999, Ludwig et al. 2000). Sie gelangte vermutlich mit amerikanischen Rebpflanzen nach Deutschland, die dem europäischen Wein größere Widerstandskraft gegen einen weiteren, ebenfalls eingeschleppten Schädling, dem Echten Mehltau (Uncinula necator), liefern sollten. Die Reblaus lebt parasitisch auf Weinreben und saugt dort an Blättern und Wurzeln, was zu Wucherungen und Krusten führen und letzten Endes das Absterben der Pflanze bewirken kann (Ludwig et al. 2000). Es gibt einen komplizierten Entwicklungszyklus mit oberirdischen und unterirdischen Stadien des Parasiten, der eine zweigeschlechtliche und eine durch Parthenogenese entstandene Generation durchläuft (Zebitz 1996). Nach Ludwig et al. (2000) wird in Mitteleuropa jedoch im Gegensatz zu Nordamerika nur ein unvollständiger Entwicklungszyklus (Wurzelzyklus) mit 6 - 8 Generationen durchlaufen, wobei es sich dann um den unge-schlechtlichen Teil des Zyklus handelt (Zebitz 1996). Es können jedoch auch bis zu 12 Generationen auftreten. Die Art weist demnach ein gewaltiges Vermehrungspotential auf (Kegel 1999). Diese hohe Nachkommenschaft und ihre rasche aktive Ausbreitung machten die Reblaus zu einem gefährlichen Pflanzenschädling. Zwanzig Jahre nach ihrem ersten Auftreten vernichtete D. vitifolii in Frankreich ca. 20 % der Weinanbaufläche und verursachte auch in Deutschland enorme wirtschaftliche Schäden (Zebitz 1996, Kegel 1999, Ludwig et al. 2000). Herkömmliche Insektizide zeigten nur unzureichende Wirkung und wiesen zudem erhöhte toxikologische Risiken auf, so dass schließlich nur das sogenannte Aufpfropfungsverfahren blieb. In diesem Verfahren werden europäische Reben auf reblaus-resistente nordamerikanische Rebenwurzeln gepfropft, um einen Befall von vornherein zu verhindern. In den letzten Jahren konnte in Deutschland und der Schweiz ein vermehrtes Auftreten der Reblaus beobachtet werden, was sich entweder auf die ungenügende Resistenz verwendeter Unterlagen oder auf eine mögliche Anpassung von Dactylosphaera vitifolii zurückführen ließe.

Der Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) gilt als der bedeutendste Schädling Europas (Zebitz 1996, Kegel 1999). Ursprünglich im Mittleren Westen der USA beheimatet, ernährte sich die Art dort vornehmlich von wilden Nachtschattengewächsen, akzeptierte aber rasch die neue und großflächig angebaute Kartoffel (Solanum tuberosum), auch ein Nachtschattengewächs, als neue Nahrungsquelle. Die daraufhin folgende Massenvermehrung ermöglichte eine rasche Ausbreitung innerhalb der USA (Brechtel 1996). Der Kartoffelkäfer erreichte die Ostküste der Vereinigten Staaten im Jahr 1874, bereits zwei Jahre später konnte er in Deutschland nachgewiesen werden (Brechtel 1996, Kegel 1999, Zahradnik 1985, Zebitz 1996). Handelte es sich zunächst nur um kleinere, lokal begrenzte Vorkommen, führten die Wirren des 1. Weltkriegs und der Nachkriegszeit ausgehend von einem Zentrum in Westfrankreich zu einer flächendeckenden Verbreitung (Zahradnik 1985, Zebitz 1996, Kegel 1999). Der Befall führte nicht selten zu Totalausfällen auf den bebauten Feldern (bis zu 20 %), Teilverluste von 50 % auf den restlichen Feldern stellten keine Ausnahme dar. Da Deutschland zu diesem Zeitpunkt nahezu 20 % der weltweiten Kartoffelproduktion bestritt, trafen diese Verluste die deutsche Landwirtschaft besonders hart (Zebitz 1996). Die Bekämpfungsmaßnahmen waren umfangreich und vor allem kostenintensiv. Neben der Durchführung von Forschungsprogrammen zur Biologie und Bekämpfung von L. decemlineata wurde eine Meldepflicht bei Sichtung der Tiere eingeführt. Bei Verdacht wurden Kartoffel- und Tomatenfelder unter hoher Personenbeteiligung sorgfältig abgesucht und die Käfer einzeln abgesammelt, befallene Pflanzen wurden sofort vernichtet. Die restlichen Pflanzen erhielten eine Behandlung mit Kalk- und Bleiarsenat, später mit chlorierten Kohlenwasserstoff-Präparaten. Die Böden wurden zur Vernichtung der Puppen und eingegrabenen Imagines mit Schwefelkohlenstoffen, Benzol oder Rohpetroleum getränkt (Zebitz 1996, Kegel 1999). Die Folge waren enorme Kosten und horrende Umweltschäden, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch kaum beachtet wurden. Bessere Pflanzenschutzmittel und Resistenzzüchtungen der Kartoffel stellen in jüngerer Zeit ein wesentlich effektiveres Werkzeug zur Eindämmung des Befalls dar. Außerdem entdeckten einheimische Insektenfresser L. decemlineata als Beutetier, so dass sich diese Art in der Gegenwart nicht mehr als wirkliches Problem erweist (Zebitz 1996, Kegel 1999).

Bei der San-José-Schildlaus (Quadraspidiotus perniciosus) handelt es sich um eine Art, die in mitteleuropäischen Breiten vornehmlich Obstbäume und -sträucher (Apfel, Birne, Pfirsich, Zwetschge u. Johannisbeere) schädigt. Sie saugt an Zweigen, Ästen und Früchten, was schlimmstenfalls zum Absterben der Bäume und Unverkäuflichkeit der Früchte führen kann. Über ihre Herkunft existieren unterschiedliche Angaben. Oft wird Kalifornien und namensgebend die Stadt San José als Herkunftsgebiet angegeben. Zebitz (1996) und Ludwig et al. (2000) äußern jedoch die Vermutung, dass ihre ursprüngliche Heimat in Nord-China und Korea liegt, von wo eine Verschleppung nach Kalifornien erfolgte, wo dann die eigentliche Identifizierung und Namensgebung stattfand. Nach einem Erstbefall bei Dossenheim 1946 waren innerhalb von acht Jahren 80 - 100 % der Obstbäume in Süddeutschland von Q. perniciosus betroffen. Ohne Bekämpfung wäre in dieser Region der kommerzielle Obstanbau nicht mehr möglich gewesen (Zebitz 1996). Pflichtspritzungen und Rodungen schienen lange Zeit die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung zu sein. Nach längerer Testphase wurde 1954 die endoparasitische Schlupfwespe Prospaltella perniciosi als natürlicher Gegenspieler der San-José-Schildlaus in Deutschland eingeführt. P. perniciosi ist extrem wirtsspezifisch, denn ihre Larven können sich nur in der San-José-Schildlaus entwickeln (Ludwig et al. 2000). Der nun ebenfalls heimisch gewordene Nützling hält Q. perniciosus heute weitgehend unter Kontrolle (Zebitz 1996).

Medizinische und tiermedizinische Schädlinge

Die Malaria ist mit ihren vier verschiedenen Erregern (Plasmodium falciparum, P. vivax, P. ovale und P. malariae), die unterschiedliche Formen der Erkrankung hervorrufen, die häufigste Tropenkrankheit (Medicine World Wide - Internet-Quellen 29). Übertragen wird sie durch die Anopheles -Mücke, in der sich der geschlechtliche Teil des Vermehrungszyklus der Plasmodien abspielt. Im Blut des Menschen findet der ungeschlechtliche Teil des Zyklus statt, in dessen Verlauf es zu den berüchtigten Fieberschüben kommt. Insgesamt leben etwa 40 % der Weltbevölkerung in malariaverseuchten Gebieten. In Europa ist die Malaria eher als „Reisekrankheit“ bzw. „Flughafenmalaria“ bekannt, wird aber auch hierzulande zunehmend zum Problem. In der Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 1999 ca. 920 Malariafälle mit 28 Toten gemeldet (Medicine World Wide - Internet-Quellen 29). Die sogenannte „Flughafen-Malaria“ nimmt in ihrem Infektionsgrad zu. In den letzten Jahren wurden ca. 80 Personen gemeldet, die sich mit dem Malaria-Erreger infiziert hatten, ohne ein malariaverseuchtes Gebiet oder Land betreten zu haben (Medicine World Wide - Internet-Quellen 29), aber im Bereich von Zentralflughäfen in Mitteleuropa, Nordamerika und Australien lebten. In Luxemburg erkrankten 1999 innerhalb von zwei Monaten drei Personen an Flughafen-Malaria (Medicine World Wide - Internet-Quellen 29). Die Ausbreitung von weiteren Stechmückenarten aus wärmeren Gebieten (z. B. Tigermoskito Aedes albopictus) könnte u. a. auch die Malaria nach Deutschland zurückbringen (Brechtel 1996, Maier 2005).

Das hämorrhagische Dengue-Fieber wird durch ein Flavivirus verursacht, das durch Stiche der Aedes -Mücken (Aedes aegypti und A. albopictus) übertragen wird. Weltweit leben etwa 2,5 Milliarden Menschen in Gebieten, in denen sie mit Dengue-Fieber infiziert werden können. Jährlich kann es zu mehreren Millionen Fällen kommen, von denen zu 95 % Kinder betroffen sind (Medicine World Wide - Internet-Quellen 30). Im Jahr 1999 war das Dengue-Fieber die häufigste durch Mücken übertragene Virus-Krankheit (Medicine World Wide - Internet-Quellen 30). Das Hauptverbreitungsgebiet des Dengue-Fiebers liegt in den Tropen und Subtropen (Gubler 2001), besonders in Lateinamerika, Zentralafrika, Indien, Südostasien und in Teilen des Pazifiks. Durch regen Grenzverkehr zwischen dem Süden der USA und Mexiko, wo Aedes aegypti heimisch ist, gilt auch Texas als Risikogebiet.

In Europa wird eine mögliche Einführung bzw. Ausbreitung des Tigermoskitos Aedes albopictus in südlichen Breiten befürchtet. Die Art gilt als potenzieller Überträger von Dengue-Fieber, Malaria sowie des West-Nil-Virus (Brechtel 1996, Knudsen et al. 1996, Medicine World Wide - Internet-Quellen 30, Schaffner et al. 2004). Die Art ist ursprünglich in Südostasien beheimatet und gelangte vermutlich auf dem Seeweg in die USA (Brechtel 1996, Schaffner et al. 2000 u. 2004). Von dort aus erreichte die Art Europa. So ist A. albopictus bereits in Italien und Jugoslawien nachgewiesen (Brechtel 1996, Knudsen et al. 1996). In Frankreich wurde die Art im Jahr 2000 erstmalig identifiziert (Schaffner et al. 2000). Vier Jahre später geben Schaffner et al. (2004) Belgien als nördlichstes Vorkommen von A. albopictus an. Da die klimatischen Bedingungen in Deutschland denen Belgiens und Frankreichs entsprechen, ist eine Ansiedlung von A. albopictus in Deutschland nicht unwahrscheinlich.

Es konnte nachgewiesen werden, dass die Ausbreitung der Mückenart durch Export von Autoreifen zuwege kommt. Die Larven konnten sich in Wasseransammlungen der Reifen halten und wurden auf diese Weise in alle Welt verschifft. Schaffner et al. (2004) untersuchten die Ware eines Reifenlieferanten in Belgien, der auch in die Niederlande, Deutschland und die Schweiz exportiert.

Daher ist eine potenzielle Infektionsgefahr für Dengue-Fieber, Malaria und West-Nil-Virus in Zukunft nicht auszuschließen (Aspöck 2005, Faulde 2005).

Beim West-Nil-Fieber handelt es sich ebenfalls um ein Flavivirus, das durch Stechmücken (Culex pipiens, Aedes albopictus) übertragen werden kann (Aspöck 2005, Faulde 2005, Hayes 2001, Knudsen et al. 1996, Schaffner et al. 2004). Es wurde 1937 in Uganda erstmals nachgewiesen. Zwei Jahrzehnte später war es in bereits in Ägypten nachweisbar (Medicine World Wide - Internet-Quellen 31). Als 1999 in den USA Menschen am West-Nil-Fieber erkrankten, wurde nach möglichen Transportwegen des Erregers über den Atlantik gesucht. Es wird seitdem vermutet, dass das Virus mit infizierten Vögeln, die in die Vereinigten Staaten importiert wurden, über den Ozean gelangte. Vögel können gleichfalls durch den Erreger infiziert werden, weswegen tote Vögel (hier vor allem Krähen) als Indiz für das Vorhandensein des Virus gelten. Pfützen, Luftschächte, Blumenkübel und Swimming Pools der Großstädte tragen zur Vergrößerung des Erregerreservoirs bei. Im Jahr 2002 waren 31 Bundesstaaten der USA vom West-Nil-Fieber betroffen (Medicine World Wide - Internet-Quellen 31). Von insgesamt 1600 infizierten Personen starben 80. Es ist davon auszugehen, dass sich das West-Nil-Fieber in kürzester Zeit über das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten ausbreiten wird. Obwohl nach Angaben der Ärzte in Deutschland nicht mit einer Infektion gerechnet werden muss (Medicine World Wide - Internet-Quellen 31), ist eine mögliche Ausbreitung durch Mücken und wildlebende Vögel nicht auszuschließen (Aspöck 2005, Faulde 2005).

Stechmücken sind Vektororganismen für viele Krankheiten und Parasiten (Aspöck 2005, Faulde 2005). Aedes albopictus (s. o.) gilt wegen seines humanpathogenen Übertragungspotenzials bereits als neobiotischer medizinischer Schädling. Doch die Art wird auch im tiermedizinischen Bereich als potenzielle Gefahr angesehen. A.. albopictus gilt in Italien als natürlicher Vektor für die Nematoden Dirofilaria immitis, D. repens und Setaria labiatopapillosa (Cancrini et al. 2003). Die Nematoden sind verbreitet bei Hunden, Katzen und wildlebenden Carnivoren (Gattung Dirofilaria), bei Vieh (Rinder), Pferden und Schweinen (Gattung Setaria). Zum Teil kommen die Arten sympatrisch vor, d. h. ein Wirt kann zwei Arten an Nematoden beherbergen. A. albopictus kann daher beide Arten aufnehmen und weiterübertragen (Grunewald 2005).

Dirofilaria immitis (Herzwurm) hat u. a. bei Hunden weltweite Verbreitung. Die adulten Würmer von D. immitis befinden sich im rechten Herzventrikel und in den Pulmonalarterien infizierter Hunde. Die adulten Weibchen produzieren Mikrofilarien, die im peripheren Blutstrom zirkulieren. Bei einer Blutmahlzeit an mikrofilariämischen Wirten nehmen die Weibchen der Stechmücken Mikrofilarien auf. In den Mücken entwickeln sie sich dann zur sogenannten Larve III. Während eines erneuten Blutmahls an einem Wirt verlassen infektiöse Larven die Mücke und entwickeln sich im Wirt 70 - 80 Tage lang weiter. Danach wandern die Larven zu den distalen Lungenarterien und besiedeln manchmal die großen Lungenarterien. Sechs bis acht Monate nach Infektion mit der Larve III ist der Parasit adult. Im peripheren Blut sind dann das Antigen vom adulten Herzwurm und auch Mikrofilarien zu finden.

Als Beispiel der Neophyta kann der Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) herangezogen werden. Ursprünglich im Kaukasus beheimatet (Kegel 1999, Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000) wurde der Riesenbärenklau seit 1890 gerne als Bienenweide und Gartenpflanze ausgesät (Kegel 1999, Kowarik 2003) sowie als Deckungspflanze für Wild genannt (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000). Der Pflanzensaft von H. mantegazzianum enthält Furanocumarine, die bei Kontakt mit menschlicher Haut zu Rötungen, Schwellungen und Blasenbildungen führen können (Kegel 1999, Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000).

An dieser Stelle muss auch auf die zahlreichen Krankheiten hingewiesen werden, die von den europäischen Eroberern und späteren Siedlern in die Neue Welt transportiert wurden. Die amerikanischen Ureinwohner wurden von scheinbar harmlosen europäischen Krankheiten zu Millionen dezimiert. Infektionen wie Grippe, Lungenentzündung, Pocken, Typhus und Masern lösten verheerende Epidemien unter den Indianern Nord-, Mittel- und Südamerikas aus (Konetzke 2000, Kowarik 2003, Séjourné 2000). Zum Teil wurden die Krankheitserreger sogar bewusst ausgebracht, wie im Fall der Cintas Largas Stämme in Brasilien, deren Nahrung mit Arsenik und Typhus-Erregern angereichert wurde, zum Teil noch Mitte des 20. Jahrhunderts (Séjourné 2000).

Die allmähliche biologische Anpassung des Immunsystems an die europäischen Krankheiten wurde durch die Rassenmischung mit den Europäern begünstigt (Konetzke 2000). Später wurden Schutzimpfungen eingeführt, z. B. gegen die Pocken. So ordnete König Karl IV. von Spanien im Jahre 1803 im spanischen Amerika die Schutzimpfung gegen Pocken an, was zu einer weiteren Verringerung des Risikos von Neuinfektionen führte (Konetzke 2000).

Der Einfluss dieser ebenfalls als medizinische Schädlinge einzustufenden neobiotischen Organismen wird oft vergessen oder als solcher nicht wahrgenommen. Die genannten Krankheiten waren vor 1492 keineswegs weltweit verbreitet, sondern gelangten erst im Zeitalter der Entdeckungen, des interkontinentalen Transports und der Kolonisationen in neue Gebiete.

Eine weitaus aktuellere Gefahr geht nach Meinung eines Wissenschaftlers der Universität Mailand von der neuen europäischen Währung aus. Der Euro harmonisiere nicht nur den Geldverkehr innerhalb Europas, sondern auch den von Infektionen, da sich Bakterien und weitere Krankheitserreger in den Ritzen der neuen Münzen ansiedeln könnten. Damit wäre für Erreger die Möglichkeit gegeben, durch die neue Währung ihnen vorher unzugängliche Gebiete zu erreichen (Ostsee Zeitung 19.01.2002). Mittlerweile wird diese Gefahr als gegenstandslos eingestuft.

Ökologische Schädlinge

Die Bezeichnung „ökologischer Schaden“ ist von den bisher vorgestellten Schadensauswirkungen die Umstrittenste. Denn es stellt sich die Frage, was ein ökologischer Schaden ist bzw. woran er sich messen lässt. Im Falle der ökonomischen und medizinischen Schäden sind die Auswirkungen neobiotischer Organismen greifbar und in direkt zugänglichen Währungen bzw. Einheiten (Infektionsgefahr und –wahrscheinlichkeit) messbar. Ökologische Schäden zeichnen sich oftmals durch eine Veränderung des Naturbildes (sichtbare Veränderung der Vegetation, Zusammensetzung der Artgemeinschaften, Verlust von Arten) aus, was am Beispiel der Pflanzen besonders deutlich wird (s. u.). Oder sie werden in der Mehrheit gar nicht wahrgenommen (Kegel 1999), wie bereits am Beispiel vieler wirbelloser Organismen verdeutlicht wurde (siehe unter „Neutrale“, S. 18). Der Grad der Veränderung wird als Verlust von Altbekanntem wahrgenommen und die Wiederherstellung dieses Zustandes kann wiederum als Kostenaufwand in Zahlen ausgedrückt werden. Dennoch ist die Schadwirkung für den Menschen nicht direkt im Sinne von ökonomischen Verlusten (Ernteausfälle, Energieverlust) oder medizinischen Risiken messbar, sondern erstreckt sich vor allem auf die psychische Ebene. Genauere Erläuterungen zu diesem Aspekt der Wahrnehmung von Natur und der Definition von „Schaden“ erfolgen in Kap. 6.2.1. Im Folgenden werden bekannte Beispiele für „ökologische Schäden“ vorgestellt.

Fallopia japonica & F . sachalinensis gehören zur Familie der Knöterichgewächse (Polygonaceae). Beide Arten sind in ihrer Biologie recht ähnlich. Sie können bis zu 4 m hohe Stauden bilden und besitzen lederartige, gestielte, 5 - 20 cm lange und 5 - 10 cm breite, dreieckig-eiförmige, satt grüne Blätter (Ludwig et al. 2000). Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal der beiden Arten ist das Blatt. Das Blatt von F. japonica ist kleiner und besitzt einen kurzen Basisstängel. Das Blatt selber läuft vorne plötzlich spitz zu und ist glatt und kahl. Bei F. sachalinensis sind die Blätter größer und meist deutlich herzförmig. Im Gegensatz zur vorigen Art läuft das Blatt vorne erst allmählich spitz zu, ist leicht behaart und runzelig (Ludwig et al. 2000). Beide Arten kommen sowohl an nassen, grundwassernahen als auch an zeitweilig überfluteten, meist kalkarmen, tonigen Schotter- und Kiesböden ebener bis mittlerer Gebirgslagen vor (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000). Ursprünglich stammt F. japonica aus Ostasien und ist in China, Korea und Japan weit verbreitet (Kowarik 2003). F. sachalinensis stammt von der namensgebenden Insel Sachalin (Ludwig et al. 2000). Beide Arten wurden im 19. Jahrhundert sowohl als Zier- als auch als Viehfutterpflanze nach Europa eingeführt (Kowarik 2003). Geschlechtliche Vermehrung spielt bei der Verbreitung keine Rolle, weil die Arten rein weibliche und rein männliche Bestände bilden können, was eine Bestäubung über größere Entfernungen bedingt (Ludwig et al. 2000). Die Hauptverbreitung erfolgt vegetativ über weitreichende Rhizome, die zum einen sehr dichte Bestände entstehen lassen können und durch Verdriftung bei Hochwasser für eine ausgedehnte Verbreitung sorgen (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000).

Die dichten und zum Teil undurchdringlichen Bestände sorgen aufgrund ihres enormen vegetativen Ausbreitungspotenzials und schnellen Höhenwachstums für starken Konkurrenzdruck im Bereich der Wurzeln und um Licht, so dass andere Arten häufig verdrängt werden (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000).

Die Kanadische Goldrute (Solidago canadensis) und die Späte Goldrute (Solidago gigantea) zählen wie die heimische Goldrutenart Mitteleuropas Solidago virgaurea zur Familie der Korbblütler (Compositae). Ursprünglich sind sie in Nordamerika beheimatet und kommen fast überall in den USA vor (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000), von wo sie vermutlich als Zierpflanzen nach England importiert wurden (Kowarik 2003). In Deutschland tauchten erste ausgewilderte Exemplare erstmals um 1850 auf. Die Pflanzen können bis zu 2,5 m hoch werden und besitzen am Ende ihres aufrechten Stängels viele kleine, gelbe Blütenköpfchen, die in pyramidenförmigen Rispen zusammengefasst sind. Die Blätter sind länglich und lanzettartig, der Wurzelstock treibt Ausläufer. Das Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Arten ist, dass S. canadensis an Stängel und Blättern behaart ist, S. gigantea jedoch nicht. Beide mögen viel Licht und präferieren lockeren, tiefgründigen, kalkhaltigen, frischen bis feuchten Boden (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000). Sie sind daher oft auf Kahlschlägen, Flurbereinigungsgebieten und Schuttunkrautfluren sowie an Uferböschungen und entlang von Bahndämmen und Straßen zu finden (Ludwig et al. 2000). Zur Bildung keimfähiger Samen sind beide Arten auf Insektenbestäubung angewiesen, welche hauptsächlich durch Schwebfliegen und Bienen erfolgt. Die Flugfähigkeit der Samen und die vegetative Vermehrung durch Sprossung an den Rhizomen sorgen für ein starkes Verbreitungspotential und hohen Konkurrenzdruck bei heimischen Pflanzen um Standort und Nährstoffe (Kowarik 2003, Ludwig et al. 2000). Imker förderten zunächst die Verbreitung (Kowarik 2003). Da Analysen zeigten, dass S. canadensis und S. gigantea nur durch wenige Wildbienen-Arten aufgesucht werden und geringe Nektar- und Pollenwerte produzieren, kam diese Förderung zum Stillstand (Kowarik 2003). Seitdem festgestellt wurde, dass die beiden Arten aufgrund ihres starken Ausbreitungspotentials wichtige Wildbienen-Futterpflanzen zurückdrängen, werden sie bekämpft (Ludwig et al. 2000), obwohl ihre Inhaltsstoffe (Saponine) in der Naturheilkunde zur Behandlung von Nieren- und Blasenleiden eingesetzt werden.

Das Indische Springkraut Impatiens glandulifera, das Kleine Springkraut I. parviflora und das nordamerikanische Springkraut Impatiens capensis wurden anfangs in europäischen Gärten kultiviert. I. glandulifera wurde erstmalig 1915 außerhalb der Gärten entdeckt, I. parviflora „entkam“ um 1840 und I. capensis sogar noch früher (Kegel 1999). Das Indische Springkraut stammt aus dem westlichen Himalaya und kann aufgrund seiner Neigung zur Bildung dichter, bis zu zwei Meter hoher Bestände in seinem neuen Lebensraum als schädlich angesehen werden, da es die heimische Vegetation überwuchert (Kegel 1999, Ludwig et al. 2000). Das gilt jedoch nicht für I. parviflora (Kowarik 2003). Der Verdrängungseffekt auf die allochthone Flora wird durch die Bildung großer Samenmengen verstärkt. Pro Pflanze können sich 1600 – 4300 Samen entwickeln, die wie bei der einheimischen Art Impatiens noli-tangere durch Berührung aus ihren Fruchtkapseln geschleudert werden (Ludwig et al. 2000). I. glandulifera bevorzugt schattige und halbschattige Standorte, die durch feuchte bis nasse, nährstoffreiche, schwach saure bis basische Böden mit hohem Grundwasserstand oder Luftfeuchtigkeit gekennzeichnet sind (Ludwig et al. 2000).

Problemfall: Genetische Mischformen = Verlust der Identität von Arten?

Neu auftretende Arten verändern den Stoff-, Energie- und Informationsfluss in Ökosystemen. Sie nehmen Einfluss auf das Nahrungsnetz und konkurrieren um Ressourcen. Sie können als Parasiten oder deren Überträger fungieren sowie eine veränderte Selektion und damit Gen-Drift bewirken (Kegel 1999, Kinzelbach 2001). Weiterhin besteht die Möglichkeit von Hybridisierungen einheimischer und fremder bzw. durch die Gentechnik veränderter Organismen (Hurka 2001, Kowarik 2003). Diese sogenannten genetischen „Mischformen“ werden in Artenschutzprogrammen sofort als minderwertig herabgestuft und „gelten als so wertvoll wie ein gefälschter Picasso“ (Kegel 1999).

Viele Arten entwickeln aufgrund langer geographischer Trennung unterschiedliche Merkmale, um sich ihrer Umwelt anzupassen. Werden die räumlichen Grenzen überwunden, sind die Organismen oftmals in der Lage, Hybride zu bilden. Da einige dieser Hybride ihrerseits die Fähigkeit zur Vermehrung besitzen, tragen sie als fruchtbare Bastarde fremde Gene in den Genpool einer Population ein (Kinzelbach 1999). Es gibt zahlreiche Beispiele für diese „genetische Unterwanderung“:

Die Stockente Anas platyrhynchos wurde zu Jagdzwecken auf der ganzen Welt verbreitet (Kegel 1999). In Nordamerika bildet die Art Mischpopulationen mit der einheimischen Mexikanischen Ente Anas diezi. In Australien und Neuseeland vermischen sich europäische Stockente und Grauente Anas superciliosa (Homma 1998, Kegel 1999). Genetisch reine Tiere werden immer seltener, bei den meisten Individuen handelt es sich um Hybride, die entweder wie Stockenten oder Grauenten aussehen (Kegel 1999).

Bei der paläarktischen Weißkopf-Ruderente (Oxyura leucocephala) spielt sich Ähnliches ab. Durch die Einführung der amerikanischen Schwarzkopf-Ruderente (Oxyura jamaicensis) nach West- und Südwesteuropa kommt es ebenfalls zu Mischpopulationen. Die Männchen der einführten Art verdrängen durch ihr aggressives Auftreten ihre Konkurrenten der einheimischen Art aus dem Brutrevier und bei der Kopulation. Es treten offenbar fertile Hybride auf (Boye 2003).

Ähnlich verhält es sich im Fall der Forellen, deren Vermischung mit der Regenbogenforelle Oncorhynchus mykiss in manchen Gebieten (z. B. USA) dazu führten, dass einheimische Forellenarten bzw. Unterarten verschwunden sind. Zwar ähneln die Tiere äußerlich der einheimischen Art (Salmo trutta), und es findet keine genetische Introgression statt, allerdings ist die Konkurrenz von O. mykiss um Nahrung und Territorien für die Bachforelle bestandsbedrohend (Kegel 1999, Löffler 1996).

Das Beispiel der europäischen und afrikanischen Honigbienen wird an anderer Stelle ausführlich diskutiert (s. u. Wechsel in der Bewertung). Alle diese Beispiele demonstrieren, dass sich lokale Populationen ein und derselben Art infolge ihrer Anpassung an örtliche Gegebenheiten in spezifischen genetischen Merkmalen und Verhalten unterscheiden können. Die genetische Vielfalt bewirkt die Fähigkeit der Organismen, sich an die unterschiedlichsten Lebensräume und Umweltbedingungen anpassen zu können. Eine Hybridisierung könnte zum Verlust der genetischen Vielfalt führen (Kinzelbach 1995, Geiter & Homma 2002), folglich zu einer geringeren Anpassungsfähigkeit und letztendlich den Fortbestand der Art gefährden.

Die Domestizierung, Züchtung und spezifische gentechnische Veränderung von Tieren und Pflanzen können ebenfalls neue Gene in lokale Populationen eintragen und diese verfremden. Als Beispiele sei hier die Forelle Salmo trutta fario erwähnt, die sich mit Flüchtlingen aus Fischfarmen vermehrt (Kinzelbach 1995). Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind grundsätzlich gebietsfremd (Kowarik 2003). Das trifft auch auf veränderte einheimische Organismen zu, die sich durch das neue genetische Material von ihrer freilebenden Population unterscheiden.

Problemfall: Wechsel in der Bewertung

Einen regelrechten „Imagewechsel“ macht derzeit die Afrikanische Honigbiene in Süd- und Mittelamerika durch. Dies ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil dieser Umstand sogar von der deutschen Presse aufgegriffen wird und mehrere Artikel zu diesem Thema erschienen sind (Klärner 2002, Spiegel Online 2002 – Internet-Quellen 5). Die afrikanisierten Bienen Amerikas hatten seit ihrer spektakulären Auswilderung mit zahlreichen Meldungen auf sich aufmerksam gemacht. Da es in Amerika keine einheimischen Honigbienen gab, wurden sie aus Deutschland und Italien importiert (Kegel 1999). Da sie jedoch mit den klimatischen Verhältnissen nicht zurecht kamen und die Honigproduktion zu wünschen übrig ließ, sollten Kreuzungsversuche mit afrikanischen Bienen abhelfen. Die von Warwick Kerr 1956 zu diesem Zweck importierten afrikanischen Bienen konnten unter mysteriösen Umständen in die Freiheit entkommen und gründeten im Freiland neue Nester. Wo die neuen afrikanisierten Bienen auftauchten, wurde die örtliche Imkereiwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen. Die neuen Bienenvölker übernahmen entweder direkt die Nester der ansässigen Bienen, indem sie deren Königinnen und viele der Arbeiterinnen töteten, oder aber die Drohnen der afrikanisierten Bienen begatteten die Königinnen während ihres Hochzeitsfluges. In tropischen Gebieten setzte sich das Genom der afrikanischen Bienen gegen das der europäischen durch, so dass man schließlich nicht mehr von afrikanisierten, sondern treffender von afrikanischen Bienen sprechen konnte. Es war jedoch festzustellen, dass eine Hybridisierung der Gene stattfand, je gemäßigter das Klima wurde. Forscher gehen heute davon aus, dass in den gemäßigten Zonen der genetische Anteil der europäischen Bienen dominieren wird, da diese an die klimatischen Gegebenheiten besser angepasst sind und in diesem Fall Selektion im klassischen Sinne stattfindet (Kegel 1999).

Mit der Afrikanisierung der Stämme sank die Honigproduktion. In Brasilien mussten neun von zehn Imkern aufgeben, die Erträge sanken von 8000 auf 5000 Tonnen. In Venezuela konnte ebenfalls nur jeder zehnte Honigproduzent weitermachen, die jährliche Erträge sanken innerhalb von fünf Jahren von 1300 auf 78 Tonnen im Jahr 1981 ab (Kegel 1999). Erst nach einer Gewöhnungsphase konnten die Imker mit den neuen Bienen umgehen, die nicht nur aggressiver, sondern auch umzugsfreudiger waren (Kegel 1999). War der Störfaktor in der Umgebung zu groß, neigten afrikanische Bienen dazu, ihre Nester aufzugeben und sich eine neue Bleibe zu suchen, was sie für Imker extrem problematisch machte.

Zahlreiche Horrormeldungen in Nachrichten und Zeitungen sorgten für die Prägung des Begriffs „Killerbienen“, der in erster Linie dem Magazin Time zu verdanken ist (Kegel 1999). Es ist leider nicht abzustreiten, dass tatsächlich einige Todesfälle auf die deutlich aggressiveren afrikanisierten bzw. afrikanischen Honigbienen zurück zu führen sind. Doch ist im Gegenzug viel Hysterie durch schlechte Werbekampagnen, Filme und Romane erzeugt worden, die nur allmählich ihren Einfluss verlieren. Nach neuesten Erkenntnissen hat die Afrikanische Honigbiene positive Auswirkung auf die Erträge des Kaffee-Anbaus in Mittelamerika (Roubik 2002). Ihre Bestäubungsaktivitäten führen nachweislich zu einer Ertragssteigerung in den Kaffeeplantagen. Roubik (2002) warnt ausdrücklich vor einer Habitatzerstörung in der Umgebung der Kaffeeplantagen, da sonst der Lebensraum für die zunehmend in ihrer Nützlichkeit anerkannten Insekten verloren ginge. Wirtschaftliche Interessen scheinen zunehmend das alte Bild von der Killerbiene zu verdrängen. Auch die Bestäubung einzeln stehender tropischer Bäume, die durch die hohe Nutzung landwirtschaftlicher Flächen von größeren Waldgebieten isoliert sind und von einheimischen Insekten wegen dieser Entfernung kaum noch aufgesucht werden, findet durch die afrikanisierten Bienen statt. Damit werden die bisher als „lebende Tote“ bezeichneten Bäume im Genpool gehalten, ein Aspekt, der nach Meinung von Klärner (2002) in Schutzprogrammen des tropischen Waldes durchaus Beachtung finden sollte.

Steigender wirtschaftlicher Gewinn und ökologischer Nutzen werden in Zukunft vielleicht das ursprüngliche Bild von der „Killerbiene“ verdrängen.

Ein weiterer Imagewechsel macht sich im Fall des bereits erwähnten Waschbären (Procyon lotor) bemerkbar. Die Kleinbären werden von Stadtbewohnern, wie z. B. in Kassel, nicht mehr als „so niedlich und putzig“ angesehen, wie ihr allgemein verbreitetes Image glauben macht. Die hohe Dichte der Tiere in Kassel, wo auf einen Hektar Stadtfläche ein Waschbär kommt (Pro 7 2002 – Internet-Quellen 33), macht den Einwohnern mehr und mehr zu schaffen. Die Kleinbären bewohnen nicht selten Dachböden, in denen sie erhebliche materielle Schäden anrichten und durch Geruchs- und Lärmbelästigung auffällig werden (Riechelmann 2004). Sie ernähren sich bevorzugt vom Inhalt der hauseigenen Mülltonnen, die sie ausräumen und den Anwohnern zusätzliche Aufräumarbeiten bescheren. Ehemals als „putzige Exoten“ in städtischer Umgebung mit Faszination beobachtet, sind sie nun vielerorts den Bewohnern ein Dorn im Auge. Dieses Gefühl wird im Übrigen von den Menschen in ihrer ursprünglichen Heimat Nordamerika geteilt, da die dortigen hohen Populationsdichten dazu führen, dass die Tiere über Gärten, Obst- und Gemüsepflanzen herfallen (Pro 7 2002 – Internet-Quellen 33). Es existieren unterschiedliche Ansichten darüber, inwiefern die heimische Vogelwelt durch P. lotor gefährdet wird (Riechelmann 2004), welchen Konkurrenzfaktor er für andere Raubsäuger darstellt und ob seine Eigenschaft als potenzieller Krankheitsüberträger als Grund für eine intensivere Bekämpfung bzw. Bejagung ausreicht (Niethammer 1963, Ludwig et al. 2000, Schmechel 2004). Es scheint, als besäße der Waschbär nach Ansicht des Menschen zwei Gesichter: Einerseits ist er der charmante, putzige und gewiefte Räuber, der aus zahlreichen Dokumentationen bekannt und durch nicht wenige Hollywood- und Disneyfilme romantisch verklärt ist. Andererseits ist er ein potenzieller Krankheitsüberträger von Tollwut und Spulwürmern (Schmechel 2004), könnte die Gelege autochthoner Vögel ausräumen, zu heimischen Raubsäugern in Konkurrenz treten und dem Menschen in seinem urbanen Habitat zur Last fallen (vgl. Kap. 5.2.2.1).

Ob die in der Etablierung erfolgreichen Arten als Bedrohung oder Bereicherung der Biodiversität empfunden werden, ist eine Frage des Standpunktes bzw. der Bewertung. Die obigen Beispiele zeigen die vom menschlichen Standpunkt aus bewertete Kategorisierung von neobiotischen Organismen. Ausgehend von ihrem jeweiligen Einfluss auf das anthropogene Umfeld werden Tiere wie Pflanzen in künstliche Bewertungseinheiten unterteilt. Die Übergänge sind fließend und Grenzen nicht immer klar definiert. Oft kollidieren verschiedene Aspekte zur Bewertung von Neobiota. Die Dreikantmuschel Dreissena polymorpha ist beispielhaft für einen solchen Interessenskonflikt:

Die Dreikant- oder Wandermuschel Dreissena polymorpha stammt aus den Flüssen der Umgebung des Kaspischen und Schwarzen Meeres und wanderte Anfang des 19. Jahrhunderts nach Ost- und Mitteleuropa ein (Jungbluth 1996, Kegel 1999, Kinzelbach 1992, Ludwig et al. 2000). Der Transport fand vermutlich mehrfach parallel statt, da die Muschel sich relativ rasch innerhalb Europas ausbreitete (Ludwig et al. 2000). Entweder wurden die Larven im Ballastwasser der Schiffe transportiert oder die Tiere hefteten sich mit ihren Byssusfäden an der Außenwand der Schiffe an und erreichten als Fouling-Organismen ihre neue Heimat (Kinzelbach 1992 u. 1995, Gollasch & Dammer 1996, Jungbluth 1996, Tittizer 1996). Ferner verhalf die hohe Nachkommenschaft D. polymorpha zu einer raschen Verbreitung. Durch Ballastwasser fanden die Tiere ihren Weg nach Nordamerika (Kegel 1999). Dort werden sie als große Plage angesehen, da sie mit der Verstopfung von Wasserrohren der Kraftwerke und Trinkwasserversorgung großen wirtschaftlichen Schaden verursachen, der in Milliardenhöhe geschätzt wird (Kegel 1999). In den Vereinigten Staaten und Neuseeland zählt D. polymorpha zu den gefährlichsten invasiven Arten überhaupt. Auf der Homepage der Global Invasive Species Database der von der IUCN/SSN gegründeten ISSG (Invasive Species Specialist Group) wird D. polymorpha unter den „Top Hundert der schlimmsten invasiven Arten“ aufgelistet (Internet-Quellen 21).

Auch in Deutschland ist die Art in den Wasserentnahmerohren und Kraftwerksleitungen zu finden (Bernauer et al. 1996, Reichholf 1996). Allerdings wird sie keineswegs als solches Problem angesehen wie in den USA. Sie werden sogar als ökologische Bereicherung angesehen. Die Dreikantmuscheln stellen nicht nur eine wertvolle Futterquelle für einheimische Entenarten dar (Kinzelbach 1992 u. 1995), sondern filtern zudem organische Verschmutzungen aus dem Wasser und tragen somit zu dessen Reinigung bei.

Die Kollision von ökologischen und ökonomischen Interessen wird an diesem Beispiel besonders offenkundig. Dem finanziellen Aufwand zur Beseitigung der Dreikantmuscheln in Wasserentnahmerohren und Kraftwerksleitungen steht die positive Wirkung als Schadstofffilter im Wasser und als Eiweißquelle für heimische Entenarten gegenüber.

Ähnliche Konflikte zwischen Ökologie und Ökonomie lassen sich bei anderen bereits dargestellten Beispielen lokalisieren. Viele der ursprünglich zur Pelzgewinnung importierten Arten wie Bisamratte, Nutria, Marderhund usw. sind aus Zuchtfarmen entkommen und haben Freilandpopulationen gebildet. Wenn ihre Lebensweise mit den wirtschaftlichen Interessen oder der Lebensweise des Menschen kollidiert, werden frühere „Nützlinge“ rasch zu „Schädlingen“, wie im Falle der Bisamratte. Der eindeutige Nutzen, den der Fischotter in manchen Gebieten Deutschlands aus den Populationen der Bisamratte zieht, ist nicht zu ignorieren, ebenso wenig wie die positiven Einwirkungen der Dreikantmuschel auf die Wasserqualität und innerhalb des Nahrungsnetzes. Die ökonomischen Gesichtspunkte dürfen nicht verharmlost werden, allerdings sollte man sich die kritische Frage stellen, ob ein neobiotischer Organismus nur deswegen zum „Schädling“ gemacht wird, weil seine Anwesenheit finanzielle Verluste verursacht (Reichholf 1996). Mögliche monetäre Gewinne durch Neobiota sollten genauso wenig für eine Verharmlosung und leichtfertige Handhabung derselben sorgen. Was „nützlich“ ist, liegt allzu oft im Sinne einer bestimmten Interessensgruppe (Zuchtfarmen für Pelze, Jäger und Sportfischerei). Die Zucht von Pelztieren zum alleinigen Zweck materiellen Gewinns hat zur Einführung und Verbreitung von neuen Säugetierarten in Europa geführt (Marderhund, Waschbär, Bisam, Nutria). Die harntreibenden Saponine als Inhaltsstoffe der Solidago -Arten (Solidago gigantea und Solidago canadensis) werden in der Naturheilkunde zur Behandlung von Nieren- und Blasenleiden eingesetzt. Allerdings darf man deshalb die Einwirkung der beiden Solidago-Arten auf die hiesige Natur nicht vernachlässigen, weil sie wirtschaftlich und medizinisch von Bedeutung sind. Die „biologische Schädlingsbekämpfung“ sollte ähnlich differenziert betrachtet werden. Einen fremden Organismus durch einen weiteren fremden Organismus zu bekämpfen, ist eine Methode, die mit großer Vorsicht und Skepsis behandelt werden sollte. Zwar war im Fall der San-José-Schildlaus (Quadraspidiotus perniciosus) eine erfolgreiche Bekämpfung mit der auf sie spezialisierten Schlupfwespe (Prospaltella perniciosi) möglich, jedoch gibt es auch viele negative Beispiele, in denen die biologische Schädlingsbekämpfung eher noch größere Probleme auslöste (Kegel 1999).

Die Frage, ob Neobiota als Bereicherung oder Bedrohung der biologischen Vielfalt betrachtet werden müssen, ist nicht pauschal zu beantworten (Reichholf 1996). Einzelfall-Prüfungen sind für die Entscheidung über eventuell erforderlichen Handlungsbedarf absolut notwendig. Sie werden von Wissenschaftlern schon seit einiger Zeit vehement gefordert (Kinzelbach 2001, Kowarik & Starfinger 2001, Kowarik 2003). Die angeführten Beispiele zeigen, dass die Übergänge zwischen den künstlichen Bewertungseinheiten („Schädlinge, Nützlinge, Neutrale“) fließend und deren Bezeichnungen zum Teil problematisch sind. So unterbleibt im Gegensatz zu den „Schädlingen“ interessanterweise bei den „Nützlingen“ eine weiterführende Unterteilung in „ökonomische, ökologische und medizinische Nützlinge“. Kategorisierungen in „Schädlinge“ oder „Nützlinge“ werden im Übrigen bei heimischen Organismen nicht vorgenommen bzw. sind nicht gebräuchlich. Die Bildung von Bewertungskategorien und deren Bezeichnung ist insgesamt zu hinterfragen, weil es sich hier um eine menschliche Beurteilung handelt (Reichholf 1996). Klar erkennbare Auswirkungen wie Krankheiten, Epidemien oder wirtschaftliche Verluste bzw. Gewinne entscheiden für oder gegen einen neobiotischen Organismus. Der Einfluss von Neobiota wird oftmals durch Geldbeträge ausgedrückt und ihre „Gefährlichkeit“ anhand der jeweiligen Höhe des zu ihrer Bekämpfung aufgewendeten Betrages bestimmt. Ökologische Auswirkungen sind dagegen abstrakter und nicht direkt mit unmittelbaren Interessen des Menschen in Verbindung zu bringen. Zahlen und vor allem Geldbeträge sprechen für viele Menschen eine deutlichere Sprache als die Aussage, dass eine neu eingebürgerte Art autochthone Arten verdrängt. Gerade deshalb sind Einzelfall-Prüfungen die einzig adäquate Vorgehensweise im Umgang mit Neobiota.

Die Einteilung der Neobiota in Bewertungskategorien ist in den Medien zu überprüfen. Da die Medien nicht nur Fachinformation von Wissenschaftlern zum Adressatenkreis weiter geben, sondern in umgekehrter Richtung darum bemüht sind, das Stimmungsbild der breiten Öffentlichkeit zu reflektieren, kommt ihrer Rolle als Vermittler eine besondere Bedeutung zu. Die Untersuchung der Medien als Sprachrohr der öffentlichen Meinung zu Neobiota soll Aufschluss darüber geben, wie Neobiota tatsächlich in Deutschland wahrgenommen werden.

3 Material & Methoden

3.1 Gewinnung der Materialien

Die Medien Fernsehen, Radio, Presse und Internet wurden in zwei Stufen der Intensität hinsichtlich ihrer Berichterstattung zum Thema Neobiota (Neozoa, Neophyta) untersucht. Die erste Intensitätsstufe schloss alle auftretenden Berichte ein und erfasste Beiträge von 1993 bis 2002. Die zweite Stufe beinhaltete die Untersuchung von Medienberichten innerhalb eines Jahres. Für diese Untersuchung wurde das Jahr 2002 ausgewählt (vgl. Quellenverzeichnis, S. 121).

Die in diesem Zeitraum aufgetretenen Berichte sowie die Archive von Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Ostsee Zeitung (OZ), Süddeutsche Zeitung (SZ), Welt, Die Zeit, Der Spiegel, National Geographic (deutsch/englisch), Bayerischer Rundfunk (BR), N24, NDR, Tagesschau (ARD) und WDR wurden regelmäßig überprüft. Beiträge anderer Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendungen fanden zusätzlich Aufnahme in die Bewertung (z. B. Norddeutsche Neueste Nachrichten, Hessischer Rundfunk, Bildwoche, Bild der Wissenschaft, Focus, Greenpeace Magazin, Reader’s Digest, Unterricht Biologie) (Abb. 3). Die lokale Berichterstattung zur Erfassung regionaler Neobiota-Phänomene wurde beispielhaft im Küstengebiet der Ostsee (besonders in Mecklenburg-Vorpommern) untersucht (Ostsee Zeitung, Norddeutsche Neueste Nachrichten).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3. Methodische Vorgehensweise im Überblick.

Die Auswahl ermöglicht einen repräsentativen Querschnitt durch die Medienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland und wurde nach potenzieller Erreichbarkeit des Publikums getroffen. Nähere Angaben zu den einzelnen Medien erfolgen in Kap. 4.1.2.

[...]

Fin de l'extrait de 131 pages

Résumé des informations

Titre
Präsentation der Neobiota in den deutschen Medien
Université
University of Rostock
Cours
Promotion
Note
2,0
Auteur
Année
2006
Pages
131
N° de catalogue
V114715
ISBN (ebook)
9783640148844
ISBN (Livre)
9783640149124
Taille d'un fichier
1259 KB
Langue
allemand
Mots clés
Präsentation, Neobiota, Medien, Promotion
Citation du texte
Dr. Sandra Blömacher (Auteur), 2006, Präsentation der Neobiota in den deutschen Medien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114715

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