Neuwahlen 2005 - politischer Selbstmord oder strategischer Schachzug?


Dossier / Travail de Séminaire, 2007

29 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen strategischen Handelns und politischer Strategien
2.1. Strategieplanung nach SWOT
2.2. Das konzeptionelle Planen

3. Situationsanalyse
3.1. Die interne Situation der SPD
3.2. Die Wettbewerber
3.3. Die Umfeldfaktoren

4. Stärken- Schwächenanalyse

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Selbstmord aus Angst vor dem Tod“[1] : Mit dieser Überschrift beginnt die Wahl-Analyse bei SPIEGEL ONLINE über die Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen (NRW) 2005. Die Formulierung bezieht sich aber nicht auf eben jene Wahl, sondern auf die unmittelbare Reaktion, die das Wahlergebnis noch am gleichen Abend auslöste. Bundeskanzler Gerhard Schröder kündigte an, „darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um so rasch wie möglich, […] Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen.“[2] Damit wurde das Ergebnis der Wahl in den Schatten gestellt. In NRW regierte erstmals seit 39 Jahren wieder eine CDU/FDP-Regierung, der Erfolg der CDU und der Misserfolg der SPD geraten in den Hintergrund.[3] Schon hier kann ein Hinweis auf eine strategische Entscheidung vermutet werden.

Warum hat sich der Bundeskanzler zu diesem Schritt entschieden? War es, wie die Überschrift von SPIEGEL ONLINE es beschreibt, ein politischer Selbstmord; ein Selbstmord aus Angst vor einem langsamen, unaufhaltsamen politischen Tod? Oder war es vielmehr Teil einer von langer Hand und sorgfältig geplanten politischen Strategie, die im Falle einer Wahlniederlage in NRW die vorgezogene Neuwahl als beste Handlungsoption beinhaltete?

Dieser Frage soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Dazu wird in einem ersten Schritt eine generelle Übersicht über Grundlagen strategischen Handelns und über politische Strategie und Strategieplanung gegeben. Hierbei werden die Ausführungen von Peter Schröder in seinem Buch „Politische Strategien“ eine zentrale Rolle spielen.[4]

In einem zweiten Schritt schließt sich eine Situationsanalyse nach strategischem Vorbild an, die die Lage der SPD zum Zeitpunkt der Neuwahl- Entscheidung deutlich macht. Hierbei werden die grundlegenden Fakten für mögliche Strategien gesammelt, bewertet und systematisiert. Nachdem die sich hieraus ableitenden Handlungsoptionen gegeneinander abgewogen wurden, wird analysiert, ob die Entscheidung für Neuwahlen eine strategische Entscheidung mit dem Ziel die bestmögliche Position zu erreichen, darstellte - oder aber, ob es eine politische Bauchentscheidung Schröders zum politischen Selbstmord war.

Die verfassungsrechtliche Diskussion um die Art und Weise, wie die Neuwahl technisch zustande zu bringen war, soll nicht berücksichtigt werden.[5] Eine Erwägung aller Optionen für den Fall, dass der Bundespräsident der Auflösung des Bundestages nicht zugestimmt hätte oder das Bundesverfassungsgericht das Vorgehen Schröders für verfassungswidrig erklärt hätte, soll nicht versucht werden. Wie daraufhin das weitere strategische Vorgehen des Bundeskanzlers ausgesehen hätte wäre sehr spekulativ und würde in der Frage nicht weiter helfen. Grundlage ist die Situation in der die Entscheidung bekannt gegeben wurde. Erst das Ergebnis der daraufhin erfolgten Bundestagswahl kann als Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg einer eventuellen und hier herauszuarbeitenden Strategie dienen.

2. Grundlagen strategischen Handelns und politischer Strategien

Strategie (griech.) Entwicklung und Durchführung einer Gesamtkonzeption, die auf ein langfristig angestrebtes (Gesamt-)Ziel gerichtet ist. Ursprünglich nur im militärischen Sinne (z.B. Abschreckungs-S.), wird der Begriff heute umfassend verwendet (z.B. Verkaufs-S.).[6]

Das Wort Strategie entlehnte sich ursprünglich nicht zufällig aus dem militärischen Bereich. Sein Gebrauch hat sich später unter anderem auf den politischen Kontext ausgeweitet. Eine Strategie benötigt man immer, wenn große Menschenmengen koordiniert und geführt werden müssen, früher war das in der Regel zur Kriegsführung erforderlich.[7] Heute ist es auch in der Politik wichtig große Menschenmengen effizient führen zu können.

Zu führen bedeutet aber auch, dass man eine Richtung vorgibt, in die es gehen soll, eine möglichst geradlinige Führung auf ein eindeutiges Ziel. Um in dem Bild des Weges, der gegangen werden muss, zu bleiben, kann also eine gute Planung desselben mit einer Bewertung zu überwindender Hindernisse und etwaiger Ausweichruten helfen, ein Ziel tatsächlich zu erreichen.

Die Planung des Weges ist also die Planung der Strategie. Für die Politik bedeutet Strategie also einen Plan zur Durchsetzung politischer Vorstellungen.[8]

„Zum Beispiel die Einführung neuer Gesetzte oder den Aufbau einer neuen Struktur in der staatlichen Verwaltung“[9], aber eben auch der Wahlerfolg und der Gewinn politischer Macht. Der Wahlerfolg stellt in Demokratien - also auch in Deutschland - die entscheidende Weiche dar, um politische Ziele umsetzten zu können. Kann man sich an der Regierung beteiligen, ist es wesentlich leichter, seine politischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen.

So ist das Ziel der Strategie einer politischen Partei, ihre Konzepte und Pläne umzusetzen, und die wohl entscheidendste Teilstrategie - um das relisieren zu können - ist die Wahlkampfstrategie. Sie soll „auf dem Wählermarkt denjenigen Marktanteil […] [erreichen], der benötigt wird, um nach der Verfassung Einfluss auf die Exekutive nehmen zu können.“[10]

Es gibt viele Methoden eine Strategie zu planen, jede richtet dabei ihren Fokus etwas anders aus, jedoch überschneiden sie sich auch in vielen Feldern.[11] Die „Planungsmethoden ‚SWOT’ oder ‚Konzeptionelles Planen’ [sind] heute wichtige Grundlage auch für politische Strategieplanungsprozesse.“[12] Zuerst sollen die zwei Strategieplanungsmodelle vorgestellt werden, um dann unter Anlehnung an das Prinzip des konzeptionellen Planens eine Faktensammlung zu erstellen. Anschließend soll mithilfe einer Stärken- und Schwächenanalyse die Situation der SPD zum damaligen Zeitpunkt analysiert werden. Vor diesem Hintergrund die Neuwahlentscheidung zu betrachten, verdeutlicht die vorhandenen Optionen und wird zeigen, ob und inwieweit die Entscheidung strategisch motiviert war. Hierdurch wird in einem letzten Schritt die Bewertung des Erfolges oder Misserfolges ermöglicht.

2.1 Strategieplanung nach SWOT

Zwei Bereiche sind für die Planung nach SWOT entscheidend. Zum einen muss „ein klares Bild davon, wohin es gehen soll (Vision)“ gezeichnet und „die Absicht und die Begründung für die Existenz der Organisation […] (Auftragsdefinition oder Mission Statement)“[13] geklärt werden. Daraus werden messbare Ziele abgeleitet, welche in zu definierenden Schlüsselfeldern bestimmte Leistungsindikatoren erreichen müssen.[14] Dies ist wichtig um im laufenden Prozess kontrollieren zu können, ob die Vorgaben geschafft werden und die Strategie funktioniert.

Die Vision ist ein Idealbild, welches jedoch einen realistischen Bezug haben sollte.[15] Dies sollte in fast schwärmerischer Art verfasst werden, um eine Identifikation mit der Vision bei den Beteiligten zu erleichtern und damit deren Motivation zu fördern.[16]

Die Auftragsdefinition, aus der die konkreten Ziele abgeleitet werden, stellt den generellen Auftrag der Organisation klar und deutlich dar: Eine Auftragsdefinition (Mission-Statement) ist die Hauptstoßrichtung einer Organisation, die an der Vision fest gemacht ist. Sie ist die ursprüngliche Motivation der Organisation, der eigentliche Grund für die Existenz. Sie muss breit genug angelegt sein, um jeden in der Organisation zu inspirieren, aber eng genug, sich auf den Einsatz zu konzentrieren.[17]

Die daraus abzuleitenden Ziele müssen mit messbaren Daten ausgestattet sein, die zu erreichen sind. „Die Ziele sollten in Schlüsselbereiche (Key Result Areas {KRA}) übertragen werden“[18], so dass in jedem Schlüsselbereich genaue Ziele definiert sind, deren Erreichen messbar ist.

Der zweite Bereich ist eine detaillierte Umfeldanalyse. In der Umfeldanalyse trennt man vier Bereiche voneinander ab, soziale, politische, ökonomische und ökologische Faktoren.[19] Die sozialen Faktoren der Umfeldanalyse sind in erster Linie demographische Daten sowie der Bildungsstand der Bevölkerung, deren kulturelle und religiöse Einordnung und die Interaktion der gesellschaftlichen Gruppen.[20] Bei politischen Faktoren handelt es sich um Macht- und Einflussstrukturen, die durch verschiedene Akteure und deren Verknüpfung und Interaktion gebildet werden:[21]

Die Strukturen und Kräfte schließen die existierende Regierungsmachtelite und deren Gegner, religiöse Sekten, Anarchisten, Wirtschaftsmagnate, Aktivisten, Reaktionäre, das Militär, ]Revolutionäre, Vermieter, Bauern, Manager, Gewerkschaften, die Wähler usw. ein.[22]

Unter den ökonomischen Faktoren sind die produktiven Elemente des Umfeldes zu finden. Wirtschaftsfaktoren, die durch ihre Aktivität in Konsum, Kapital und Technologie die Lebensumstände der Menschen stark beeinflussen.[23] Die natürlichen Ressourcen, das Ökosystem und der darauf ausgeübte Einfluss finden sich in den ökologischen Faktoren wieder. Hier werden Umwelt und Naturschutz sowie Wetter und Naturkatastrophen berücksichtigt und in die Analyse eingeflochten.[24]

Wenn das Umfeld im Bezug auf die Interessen der Organisation auf diese vier Faktoren untersucht worden ist muss noch eine Beurteilung der internen Faktoren vorgenommen werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Überprüfung der Organisation daraufhin, ob sie effizient auf das Strategieziel ausgerichtet ist, ob also jede Abteilung effizient arbeitet und ihren Beitrag zum Erreichen der Zielvorgabe leistet. Ein Teilbereich, der nicht der Erfüllung des Auftrages dient, ist Ballast und behindert die Pläne, da dadurch Ressourcen unproduktiv gebunden werden, die man in anderen Feldern gewinnbringender einsetzten könnte.[25]

Aus diesen Schritten ergeben sich alle Fakten, die man für die SWOT-Analyse braucht. Sie werden in die vier Kategorien – Stärken, Schwächen, Gelegenheiten und Bedrohungen eingeteilt und nebeneinander gestellt, wie auf dem folgenden Schaubild zu sehen ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Peter Schröder: Politische Strategien , Baden-Baden (2000). S. 29)

Aus dieser Zusammenstellung leitet man vier verschieden Strategietypen ab, die aus folgenden Kombinationen bestehen:

1. Stärken-Möglichkeiten-Strategien: Stelle die Frage: Wie können die Stärken genutzt werden, um Vorteile aus den Entwicklungen zu ziehen?
2. Stärken-Bedrohungen-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Stärken genutzt werden, um gegen Bedrohungen zu wirken, die einen sonst bei der Erreichung der Ziele und bei der Verfolgung der Möglichkeiten behindern könnten?
3. Schwächen-Möglichkeiten-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Schwächen überwunden werden, um Vorteile aus den Entwicklungsmöglichkeiten zu ziehen?
4. Schwächen-Bedrohungen-Strategien: Stelle die Frage: Wie können Schwächen überwunden werden, um gegen Bedrohungen zu wirken, die das Erreichen von Zielen und die Verfolgung von Möglichkeiten behindern könnten?[26]

[...]


[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,357088,00.html aus dem Internet am 28.03.2008 um 12 Uhr.

[2] Zit. nach: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,357083,00.html aus dem Internet am 28.03.2008 um 12 Uhr.

[3] Vgl. http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/P/Presse/Oeffentlichkeitsarbeit/Wahlinformati onen/Wahlbetrachtungen.jsp aus dem Internet am 28.03.2008 um 13 Uhr.

[4] Vgl. Peter Schröder: Politische Strategien , Baden-Baden (2000). S. 28-33.

[5] Vgl. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,357089,00.html aus dem Internet am 28.03.2008 um 14 Uhr.

[6] Klaus Schubert/ Martina Klein: Das Politiklexikon , Bonn (2006). S. 294.

[7] Vgl. Peter Schröder: Politische Strategien , Baden-Baden (2000). S. 14.

[8] Vgl. ebd. S. 17.

[9] Ebd.

[10] Ebd. S. 18.

[11] Vgl. ebd. S. 22-28.

[12] Ebd. S. 23. SWOT ist die Abkürzung der englischen Begriffe: Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats, siehe dazu auch ebd. S. 22.

[13] Ebd. S. 28.

[14] Vgl. ebd.

[15] Vgl. ebd. S. 28f.

[16] Vgl. ebd. S. 29.

[17] Ebd. S. 29f.

[18] Ebd. S. 30.

[19] Vgl. ebd.

[20] Vgl. ebd.

[21] Vgl. ebd.

[22] Ebd.

[23] Vgl. ebd. S. 31.

[24] Vgl. ebd.

[25] Vgl. ebd. S. 32.

[26] Ebd. S. 33.

Fin de l'extrait de 29 pages

Résumé des informations

Titre
Neuwahlen 2005 - politischer Selbstmord oder strategischer Schachzug?
Université
University of Münster  (Institut für Politikwissenschaft )
Cours
Hauptseminar Strategien
Note
2,0
Auteur
Année
2007
Pages
29
N° de catalogue
V114755
ISBN (ebook)
9783640162123
ISBN (Livre)
9783656047643
Taille d'un fichier
616 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Note sei erstmal unter Vorbehalt angegeben auf die mündliche Aussage des Dozenten. Die Note sei erstmal unter Vorbehalt angegeben auf die mündliche Aussage des Dozenten.
Mots clés
Neuwahlen, Selbstmord, Schachzug, Hauptseminar, Strategien
Citation du texte
Christoph Becker (Auteur), 2007, Neuwahlen 2005 - politischer Selbstmord oder strategischer Schachzug?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114755

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