Über Vicky Baums "Menschen im Hotel" (1929)

Ein Kolportageroman mit Authentizitätsanspruch?


Term Paper, 2008

16 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Menschen im Hotel (1929) im Spiegel der Kritik

2. Menschen im Hotel (1929) als Zeitroman
2.1 Das Phänomen des Zeitromans in der Weimarer Republik
2.2 Zur sozialgeschichtlichen Authentizität von Menschen im Hotel
2.2.1 Gesellschaftliche Nachwirkungen des Krieges
2.2.2 Die soziale Mobilität der Nobilität in Menschen im Hotel

3. Resümee

4. Verzeichnis der benutzten Literatur

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Lexika und Nachschlagewerke

0. Einleitung

Der Roman Menschen im Hotel (1929)[1] von Vicky Baum ist nach längerer Missachtung durch die zeitgenössische deutsche Kritik und Germanistik[2] erst gegen Ende der 80er Jahre als ‚Prototyp neusachlicher Romane’[3] wiederentdeckt worden. Literaturwissenschaftlich wurde er schon unter diversen Gesichtspunkten als Werk der Trivialliteratur[4], der (gehobenen) Unterhaltungsliteratur[5], als group novel[6], oder auch als Vorlage seiner Verfilmungen[7] analysiert. Eine Untersuchung der zeitgeschichtlichen Authentizität von Menschen im Hotel jedoch steht noch aus.

Die Autorin, selbst jüdischstämmige Wienerin und seit 1916 in Deutschland lebend, kam 1926 ins kulturelle Zentrum der Republik, Berlin, um als ‚allround-Redakteurin’ und Romanautorin[8] exklusiv für den Ullstein-Verlag tätig zu werden.

Zu dieser Zeit konnte Vicky Baum schon auf Erfahrungen als Journalistin (seit 1908)[9] Romanautorin (seit 1920) und Dramatikerin zurückblicken, hatte in der Vorkriegszeit Einblicke in die Wiener Kaffeehaus-Boheme gewonnen und als erfolgreiche Konzertmusikerin und Gattin des Dirigenten Richard Lert jahrzehntelang aktiv am kulturellen Leben in Deutschland und Österreich partizipiert. Die zweifache Mutter verkörperte auch mit ihrer Lebensführung die ‚Neue Frau’, die unabhängig und gut ausgebildet ihren eigenen Weg ging und für ihre publizistische Karriere auch die zeitweilige Trennung von ihrer Familie, die weiterhin in Mannheim lebte, in Kauf nahm.

In dieser Arbeit soll der Dissens von Kritik, Literaturwissenschaft und Erfolg des Romans Menschen im Hotel Anlass zu einer Überprüfung der Bewertung der literarischen Qualität des Textes geben, die sich hauptsächlich der bisher kaum in Betracht gezogenen Einordnung des Textes als Zeitroman widmen wird.

Nach einer kurzen Überschau der zeitgenössischen Kritik im In- und Ausland und der heutigen literaturwissenschaftlichen Bewertung im ersten Kapitel, wird im zweiten Kapitel zu klären versucht werden, ob und wie sich Menschen im Hotel als Zeitroman betrachten lässt und inwiefern die Darstellung der Kriegsfolgen im Roman Anspruch auf Realismus und Aktualität hat.

Darüber hinaus soll die Ausgestaltung der sozialen Milieus und des sozialen Wandels anhand von exemplarischen Aspekten hinterfragt werden.

1. Menschen im Hotel (1929) im Spiegel der Kritik

Als Vicky Baum im März 1929 ihren neuen Roman Menschen im Hotel. Ein Kolportageroman mit Hintergründen zunächst als Fortsetzungsroman in der Berliner Illustrierten Zeitung veröffentlichte, zog dieser – wie auch ihre Person – großes öffentliches Interesse auf sich.[10]

Menschen im Hotel fand viele begeisterte Leser (die Auflage der BIZ steigerte sich zeitgleich um ca. 200.000 auf über 2 Millionen[11]), wurde jedoch von der literarischen Kritik in Deutschland mehrheitlich als literarisch minderwertig klassifiziert.[12] Dieses Bild hat sich in den folgenden Jahren in Deutschland nur unerheblich geändert, während beispielsweise im englischen Sprachraum die Rezensenten erheblich freundlicher urteilten und die Literaturwissenschaft MiH gar als Prototyp einer neuen literarischen Gattung, der group novel[13], würdigte. Um die Einordnung dieses Werkes von Vicky Baum in eine literarische Epoche ist es bis heute ebenso kontrovers bestellt wie um die Würdigung von Baums Schaffen.

Die Entstehungszeit des Romans in der Endphase der Weimarer Republik ist literaturwissenschaftlich betrachtet durch das Nach- und Nebeneinander verschiedener Konzepte gekennzeichnet wie Expressionismus, Dada und eben der Neuen Sachlichkeit.[14] Daneben bestanden neben traditionell-konservativen Vorstellungen vom Dichter als inspiriertem geistigen Führer (konservative Revolution, George-Kreis) und der vom proletarisch-revolutionären Literaten (Becher, Brecht, Mühsam).

Der Beginn ihrer Tätigkeit bei Ullstein markiert einen Orientierungswechsel im schriftstellerischen Sinne, wie die Autorin selbst vermerkte.[15] Noch 1926 erschien ihr Roman Feme, eine psychologisierende Auseinandersetzung mit dem Rathenau-Mord 1924 aus der Perspektive der Täter, die auch verfilmt wurde und ihr den Hass der politischen Rechten, insbesondere der NSDAP eintrug.[16] 1929 folgten stud. chem. Helene Willfuer und Menschen im Hotel, ebenfalls als Fortsetzungsromane in der BIZ, die sich bei der Leserschaft größter Beliebtheit erfreuten. Damit war der Wechsel zur auflagenstarken Unterhaltungsliteratur vollzogen, als welche MiH und fast alle ihrer folgenden 20 Romane von der Literaturkritik eingeordnet wurden.

Die Modernitätsfeindlichkeit der deutschen Literaturkritik als deren wesentliche Schwäche betont Jörg Thune name="_ftnref17" title="">[17] Ein Umstand, der sich bis in die heutige Zeit belegen lässt: So urteilt Stephan Reinhardt noch 1989:

Trotz der im Untertitel angekündigten >Hintergründigkeit< bleibt Vicky Baum dem verhaftet, was sie gerade überwinden wollte: der Kolportage und dem Klischee. Platitüdenhaft wie die Schlussbetrachtung (...) bleibt die Typisierung der Romanfiguren [...]

Daß der Roman so großen Anklang fand, erklärt sich zweifellos vor allem aus der eingängigen Mixtur von Sensation und Sentimentalität, die die Autorin zwar ingeniös zusammenbraute, die aber viel vom trivialen Schmerz eines Illustriertenreports über die Geschehnisse in einem Grandhotel hat.[18]

In den zeitgenössischen Worten Herbert Iherings liest sich das so: „Vicky Baums Schriftstellerei ist ... Kosmetik. Die Wahrheit wird schön gemacht, die Sprache gefärbt, der Dialog gedämpft.“[19]. Repräsentativ aber sind auch Alfred Kerr, der Menschen im Hotel als „Schmarren“ und „Romankitsch“[20] bezeichnete und konservative Kulturkritikerinnen wie Hilde Walter, die: „Baums Literatur schon deshalb als >ästhetisch minderwertig<, sprich: trivial [bewerteten], weil sie >faustdicke Zugeständnisse an den modernen Massengeschmack<“[21] machte.

Jedoch gab es auch positive Urteile, wie das Beispiel der marxistischen Literatin F. C. Weiskopf von 1936 zeigt, die in Vicky Baums Werk eine „klare Absage an die Verdummungstendenzen des Unterhaltungsromans“[22] erkannte.

Völlig anders ist die Aufnahme der 1930 publizierten Übersetzung von Menschen im Hotel in Großbrittannien. Stellvertretend sei hier John B. Priestley genannt, in dessen Rezension: „Der Roman ist eine Art Kinofilm des modernen Lebens ... und mit >modernem Leben< meine ich die Gegenwartserscheinungen, die gerade erst anfangen, die Aufmerksamkeit der Schriftsteller und Dramatiker zu erregen.“[23] gleichsam das weitere Schicksal des Romans: Dramatisierung (mit 459 Vorstellungen wurde Grand Hotel der „Hit des Jahres 1931“ am Broadway)[24] und Verfilmung (USA 1932, mit dem Oscar prämiert) vorweg genommen wird.

[...]


[1] BAUM, Vicky: Menschen im Hotel. Roman. Gütersloh: Kiepenheuer & Witsch 1988.

[2] FULD, Werner: Die Drehtür als Schicksalsrad . In: Romane von gestern – heute gelesen. Bd. II. 1918-1933. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Fischer: 1996. S. 153 – 158. Fuld weist in seinem 1986 in der FAZ veröffentlichten Artikel darauf hin, dass Vicky Baums Romane: „bis heute von der Germanistik hierzulande, wie man so schön sagt, gar nicht erst ignoriert werden.“ S. 153.

[3] gl. WEISZ, Eva: Baum, Vicky . In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hg. von Walter Killy. Gütersloh/München: Bertelsmann 1988. S. 328.

[4] HOLZNER, Johann: Literarische Verfahrensweisen und Botschaften der Vicky Baum . In: Erzählgattungen der Trivialliteratur. Hg. von Zdenko Skreb und Uwe Baur. Innsbruck: Institut für Germanistik, Univ. Innsbruck 1984. (Innsburcker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Germanistische Reihe Bd. 18.) S. 233 ff.

[5] FULD, Werner: Die Drehtür als Schicksalsrad . In: Romane von gestern – heute gelesen. Bd. II. 1918-1933. Hg. von Marcel Reich-Ranicki. Fischer: 1996, S. 153 – 158., hier: S. 158: „Man wünschte sich, es gäbe wieder Unterhaltungsautoren von der Modernität, Weltklugheit und Sensibilität einer Vicky Baum.“

[6] KING, Lynda J.: The Image of Fame.Vicky Baum in Weimar Germany. In: German Quaterly 58.3 1985. Zit. n.: THUNECKE, Jörg: Kolportage ohne Hintergründe. Der Film Grand Hotel (1932) . Exemplarische Darstellung der Entwicklungsgeschichte von Vicky Baums Roman Menschen im Hotel (1929). In: Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hg. von Dieter Sevin. Amsterdam – Atlanta: Rodopi 1992, S. 134-153, hier: S. 138.

[7] Vgl. THUNECKE, Jörg: Kolportage ohne Hintergründe. Der Film Grand Hotel (1932) . Exemplarische Darstellung der Entwicklungsgeschichte von Vicky Baums Roman Menschen im Hotel (1929). In: Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hg. von Dieter Sevin. Amsterdam – Atlanta: Rodopi 1992, S. 134-153.

[8] Vgl. NOTTELMANN, Nicole: Die Karrieren der Vicky Baum. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007, S. 113 ff.

[9] BAUM, Vicky: Es war alles ganz anders. Erinnerungen. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1987. S. 115 f.

[10] BERTSCHICK, Julia: „Ihr Name war ein Begriff wie Melissengeist und Leibnitzkekse“ Vicky Baum und der Berliner Ullstein-Verlag. In: Autorinnen der Weimarer Republik. Hg von Walter Fähnders und Helga Karrenbrock. Bielefeld: Aisthesis 2003. (Studienbuch. 5.) S. 119-136. hier: S. 122.

[11] NOTTELMANN, Nicole: Die Karrieren der Vicky Baum. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007, S. 128.

[12] Vgl. ebd., S. 140 f.

[13] THUNECKE, Jörg: Kolportage ohne Hintergründe: Der Film Grand Hotel (1932). Exemplarische Darstellung der Entwicklungsgeschichte von Vicky Baums Roman Menschen im Hotel (1929). In: Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hg. von Dieter Sevin. Amsterdam – Atlanta: Rodopi 1992, S. 134-153, hier: S. 138.

[14] vgl. Illustrierte Geschichte der deutschen Literatur. rev. und erw. Neubearbeitung durch Klaus Heinrich und Jutta Münster-Holzlar. Bd. 5. Köln: Naumann & Göbel o.J., S. 316 ff. und 334 f.

[15] BAUM, Vicky: Es war alles ganz anders. S. 324 f.: Den Roman Ulle, der Zwerg (1924) und die Novellensammlung Die andern Tage (1922) - „die beiden Bücher, die ich für meine besten halte [...] habe ich [...] dem geschäftigen Ullsteinschen Bücherkarren und dem englischen und amerikanischen Büchermarkt vorenthalten. Sie waren, wenn man mir die Vokabel verzeihen will, Literatur.“

[16] NOTTELMANN, Nicole: Die Karrieren der Vicky Baum. . Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007, S. 124.

[17] THUNECKE, Jörg: Der Film Grand Hotel (1932). Exemplarische Darstellung der Entwicklungsgeschichte von Vicky Baums Roman Menschen im Hotel (1929). In: Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren. Hg. von Dieter Sevin. Amsterdam – Atlanta: Rodopi 1992, S. 134-153, hier: S. 136.

[18] Re.[INHARDT], S.[tephan]: Menschen im Hotel. Ein Kolportageroman mit Hintergründen. In: Kindlers Neues Literatur Lexikon. Bd. 2 (1989), S. 326.

[19] NOTTELMANN, Nicole: Die Karrieren der Vicky Baum. Eine Biographie. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2007, S. 148.

[20] Ebd.

[21] Ebd., S. 129.

[22] Ebd., S. 153.

[23] Ebd., S. 159.

[24] Ebd., S. 161.

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Details

Title
Über Vicky Baums "Menschen im Hotel" (1929)
Subtitle
Ein Kolportageroman mit Authentizitätsanspruch?
College
University of Cologne  (Institut für deutsche Sprache und Literatur II)
Course
Proseminar II: Autorinnen der Neuen Sachlichkeit
Grade
1,0
Author
Year
2008
Pages
16
Catalog Number
V114758
ISBN (eBook)
9783640162147
ISBN (Book)
9783640163960
File size
497 KB
Language
German
Keywords
Vicky, Baums, Menschen, Hotel, Proseminar, Autorinnen, Neuen, Sachlichkeit
Quote paper
stud. paed. Jöran Miltsch (Author), 2008, Über Vicky Baums "Menschen im Hotel" (1929), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114758

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