Die heilige Sünderin Maria Magdalena. Darstellung und Funktionen im Alsfelder Passionsspiel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Darstellung der Maria Magdalena im Alsfelder Passionsspiel
2.1 Maria Magdalena als Sünderin
2.2 Die Bekehrung der Maria Magdalena
2.3 Maria Magdalena als Heilige

3. Die Funktionen der Darstellung
3.1 Die Vorbildfunktion für das Publikum
3.2 Die Normübertretung zur Normbestätigung
3.3 Maria Magdalena als Katalysatorfigur des Antijudaismus

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Maria Magdalena ist eine der wohl bekanntesten weiblichen Personen der mittelalterlichen Literatur und dies nicht zuletzt aufgrund der Dynamik und Ambivalenz ihrer Figur. Vor allem in den geistlichen Spielen des Mittelalters zeichnet sich ihre Person durch die Transgression der sündigen Hure zur christlichen Heiligen aus und hebt sie somit deutlich von anderen Figuren ab. Zwar gibt es in den Evangelien keine eindeutige Grundlage für die Annahme, dass Maria Magdalena, so wie sie in den geistlichen Spielen verkörpert wird, jemals existiert hat, jedoch hat sich das ambivalente Bild von ihr, das vermutlich aus verschiedenen Überlieferungen und Personen zusammengesetzt wurde, fest in den geistlichen Spielen des Mittelalters verankert.1 Durch die Passions- und Osterspiele nahm die Figur der Maria Magdalena überhaupt erst eine theatrale Gestalt an und ist seither als bekehrte Sünderin bzw. heilige Sünderin bekannt.2 Besonders das Alsfelder Passionsspiel3 (AP) gilt als eines der geistlichen Spiele, das die Transgression der Maria Magdalena besonders augenfällig und radikal darstellt und dadurch sehr eindrücklich auf sein Publikum wirken kann, was besonders für die christliche Kirche von Vorteil war.

In dieser Hausarbeit soll daher die Transgression der Figur der Maria Magdalena im Alsfelder Passionsspiel analysiert werden. Es soll gezeigt werden, wie Maria Magdalena in diesem geistlichen Spiel als besonders starke Sünderin dargestellt wird und wie radikal sie sich anschließend zur Heiligen entwickelt. Außerdem erfüllt Maria Magdalena durch ihre Darstellung verschiedene Funktionen, die näher erläutert werden sollen, um die Frage zu beantworten, warum Maria Magdalena auf diese bestimmte Art und Weise dargestellt wird. Zu Beginn wird zunächst die Darstellung Marias untersucht, was sich in drei Abschnitte unterteilt: Maria Magdalena als Sünderin, die Bekehrung und Maria Magdalena als Heilige. Im Anschluss werden dann die Funktionen dieser Darstellungen untersucht, worunter die Vorbildfunktion, die Funktion der Normbestätigung und die Diskreditierung der Juden fällt. Die Arbeit endet anschließend mit einem zusammenfassenden Fazit.

2. Die Darstellung der Maria Magdalena im Alsfelder Passionsspiel

2.1 Maria Magdalena als Sünderin

In den meisten mittelalterlichen Passionsspielen, wie auch im Alsfelder Passionsspiel, wird sowohl das sündige als auch das fromme Leben der Maria Magdalena dargestellt. Zwar lassen sich auch Beispiele anführen, die nur ihr reuiges Leben aufgreifen, wie z.B. das Augsburger Passionsspiel, jedoch beinhaltet die Mehrheit der Spiele auch das weltliche Leben der Maria Magdalena. Dies hat vor allem den Vorteil, dass sich mehr dramatische Möglichkeiten bieten, ein spannendes Passionsspiel auf die Bühne zu bringen.4

Im Alsfelder Passionsspiel tritt Maria Magdalena ab Vers 1770 auf, was die vorherige Bühnenanweisung Hoc facto Maria Magdalena superbo habitu incedit cum Lucifero et alijs demonibus corisans verdeutlicht. Maria Magdalena tritt hochmütig gekleidet auf die Bühne und tanzt dabei mit Luzifer und den anderen Teufeln. Bereits dieser Einzug zeigt, dass Maria ein sündiges Leben führt und sich auf der unchristlichen Seite des Lebens befindet, denn hier finden sich gleich zwei Aspekte wieder, die von der Kirche als Sünde gesehen werden. Das Offensichtliche ist hierbei der Teufel, der im Christentum der Inbegriff des Bösen ist und als Feind und Widersacher Gottes gilt.5 Vor allem der genannte Teufel Luzifer ist als der oberste Teufel und somit das höchste Maß an schlechtem Einfluss bekannt.6 Er lobt die Schönheit Marias und möchte mit ihr tanzen, worauf sie erfreut eingeht:

Ja, viel lieben knecht,

er kommet mer wol gerecht!

du fugest mer freyden gnungk,

du bist woil myn gefug! (AP, V. 1782 - 1785)

Sie betont, dass Luzifer gut zu ihr passt, er ihr Freude bereitet und ein guter Begleiter ist, was die beiden wie eine Einheit erscheinen lässt. Werner Röcke schreibt hierzu in seinen Ausführungen, dass Maria Magdalena im Gegensatz zum Teufel eine Figur ist, die nicht von vornherein das Böse in sich trägt, sich jedoch aus eigener Entscheidung mit dem Teufel verbündet und dadurch sündig wird.7 An dieser Stelle ist außerdem hinzuzufügen, dass Maria Magdalenas Auftreten keine grundsätzliche Nähe zum Böse darstellt, sondern als „ein diffuses Gefahrenpotenzial, das in den Vergnügungen von Tanz und Werbung und der Attraktivität von Schmuck, Erotik und Eitelkeit lauert“8 gesehen werden muss.

Doch nicht nur die Verbindung zu den Teufeln an sich lässt Maria Magdalena als Sünderin erscheinen. Auch der Aspekt des Tanzes ist hier als zentrale Sünde zu nennen. Der Tanz wurde im Mittelalter von der Kirche abgelehnt und als unchristliches Verhalten behandelt, da die Ausgelassenheit und Derbheit des Herumspringens als eine Möglichkeit der Entgrenzung aufgefasst und das Tanzen somit ein Motiv der mystischen Vorstellungswelt des Mittelalters wurde.9 Abgesehen davon war auch die erotische Ausdruckskraft, die das ausgelassene Tanzen mit sich brachte, ein Problem und verstärkte die negative Einstellung der Kirche in Bezug auf den Tanz.10 Jutta Eming deutet den ersten Auftritt der Maria Magdalena ebenfalls als sündig und weltlich: „Das Alsfelder Passionsspiel führt Maria Magdalena über breiten Raum als singende, tändelnde und tanzende junge Frau ein, die ihren weltlichen Interessen hingegeben ist.“11 Laut Eming ist der Einzug, der durch Musik, Tanz und Schmeichelei geprägt ist, ein Zeichen der Weltverfallenheit Marias und somit ein Zeichen für Sünde.12 Mit diesem Wissen scheint vor allem Maria Magdalenas Aussage, dass sie sich schön machen will und dann auch mit Priestern und Laien tanzen würde, als eine Art Provokation, die die junge Frau einmal mehr als Kontrast zur christlichen Kirche erscheinen lässt:

Ich wel zieren mynen lipp,

want ich byn eyn schones wypp,

und wel auch gern reyen

mit paffen und myt leyen!

darumb wel ich springen

und eynt gut litgen singen! (AP, V. 1790 - 1795)

Im weiteren Verlauf des Alsfelder Passionsspiels kristallisiert sich außerdem noch ein anderer zentraler Aspekt heraus, der Maria Magdalena als Sünderin hervorhebt: Ihre Eitelkeit. Bereits im obigen Zitat wird durch die Worte want ich byn eyn schones wypp deutlich, dass Maria Magdalena sich selbst wunderschön findet und damit bei den Männern punkten kann. So beschreibt sie sich in Vers 2021 außerdem als tock, was „Puppe“ bedeutet. Puppen sind bekanntlich Gegenstände, die vor allem über ihr Äußeres definiert werden und keine Funktion haben, außer hübsch auszusehen und die Menschen dadurch zu erfreuen. In dieser Rolle sieht Maria Magdalena sich selbst, was sich auch im weiteren Verlauf zeigt. In den Versen 1775, 1833, 1834 und 1842 erwähnt Maria häufig das Wort spiegel und spiegelglaß, was illustrieren soll, dass die junge Frau sehr eitel ist. Sie definiert sich einzig und allein über ihr Aussehen und sieht den Spiegel als eine Art Freund, der ihr immer wieder Bestätigung schenkt:

Myn frunt spiegel, habe dangk:

want myn hercz nymmet manchen wangk,

wan ich die schone klarheyt mynn

beschawe yn dynes glanczes schynn! (AP, V. 1842 - 1845)

Es manifestiert sich anhand ihrer Worte außerdem, dass es sich nicht nur um Eitelkeit, sondern um eine Art Selbstverliebtheit handelt, in der sich Maria Magdalena hier befindet. Mit ihrer Eitelkeit und Selbstverliebtheit macht Maria sich zur Sünderin, da nicht Gott und christliche Werte der Mittelpunkt ihres Lebens sind, sondern sie selbst und ihre Schönheit. Erschwerend hinzu kommt aber noch ein weiterer Aspekt, der das sündige Leben der jungen Frau hervorhebt: Ihre Avancen mit Männern. In den Versen 1810 - 1815 kommt ein Soldat an der Weide vorbei, auf der sie sich befindet, und lobt sie für ihre Schönheit, woraufhin Maria Magdalena sich bedankt, ihm ihren Kranz anbietet und mit ihm zusammen tanzen möchte (vgl. AP, V. 1816 - 1823). Dass das Tanzen im Mittelalter als eine Ausdrucksform erotischer Ausgelassenheit behandelt wurde, ist zu Beginn bereits deutlich geworden. An dieser Stelle ist jedoch vor allem das Anbieten des Kopfschmucks interessant: nu nemmet hyn das krenczlyn! (AP, V. 1820). Der Kopfschmuck bzw. ein Kranz galt in der damaligen Zeit als ein Zeichen der Jungfräulichkeit einer Frau und somit als Zeichen der Unschuld.13 Das Anbieten des Kranzes in Kombination mit dem Wunsch, mit dem Soldaten zu tanzen, deutet daraufhin, dass Maria Magdalena sich mit dem jungen Mann sexuell vergnügen möchte. Diese Interpretation wird in den anschließenden Versen zunehmend unterstützt, denn Maria bittet ihre Dienerin, ihr den Strohhut zu reichen, damit sie zur Aue gehen und sich dort vergnügen kann:

Eya, nu gib mer her den scheybenhut:

der ist mer vor der sonnen gut!

mer woln gehen uff die awen und woln da springen und uns da frawen! (AP, V. 1824 - 1827)

Die Dienerin gibt ihr daraufhin den Hut und sagt, sie solle sich darunter amüsieren, was ein weiteres Indiz dafür ist, dass Maria Magdalena auf ein erotisches Vergnügen anspielt: dissen hut solt er uff uwer heubt seczen / und darunder gar wol ergeczen! (AP, V. 1830 - 1831). Der scheybenhut (AP, V. 1824) als solcher könnte in diesem Zusammenhang zusätzlich als ein Zeichen sündigen Handelns dienen, da er durch seine Größe Schatten auf das Gesicht wirft und somit Schutz und Anonymität vor denen bietet, die Marias Sünden sehen und kritisieren könnten.

Im Anschluss an den Tanz mit dem Soldaten wird das sündige weltliche Leben der Maria Magdalena noch weiter gesteigert:

So, so, her so!

was wolde ich der geselchin danczen uff eyn stro!

der ist gereyde mude worden jo!

wer er men, ich tede en allen alßo! (AP, V. 1850 - 1853)

[...]


1 Vgl. Polaschegg, Andrea: Literarisches Bibelwissen als Herausforderung für die Intertextualitätstheorie. S. 216 - 218.

2 Vgl. ebd., S. 221.

3 The Alsfeld passion play. Translated with an introduction by Larry E. West. Hrsg. v. Larry E. West.

4 Vgl. Vrinzen, Lucie: Das dramatische Tempo als Spannungselement am Beispiel von Weltleben und Bekehrung der Maria Magdalena in den deutschsprachigen geistlichen Spielen des Mittelalters. S. 161.

5 Vgl. Bremer, Natascha: Das Bild der Juden in den Passionsspielen und in der bildenden Kunst des deutschen Mittelalters. S. 122.

6 Vgl. Freise, Dorothea: Geistliche Spiele in der Stadt des ausgehenden Mittelalters. S. 430 - 431.

7 Vgl. Röcke, Werner: Das Spiel mit der Transgression. S. 283.

8 Eming, Jutta: Maria Magdalena und das Skandalon der weiblichen Gottesnähe. S. 65.

9 Vgl. Schulte, Brigitte: Die deutschsprachigen spätmittelalterlichen Totentänze. S. 137.

10 Vgl. ebd.

11 Eming, Jutta: Maria Magdalena und das Skandalon der weiblichen Gottesnähe. S. 60.

12 Vgl. ebd., S. 61.

13 Vgl. Rossano, Bram: „Gebrist ir doch des kranlïns". S. 231.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die heilige Sünderin Maria Magdalena. Darstellung und Funktionen im Alsfelder Passionsspiel
Hochschule
Universität Mannheim
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
20
Katalognummer
V1147659
ISBN (eBook)
9783346528148
ISBN (Buch)
9783346528155
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sünderin, maria, magdalena, darstellung, funktionen, alsfelder, passionsspiel
Arbeit zitieren
Selina Krebs (Autor:in), 2021, Die heilige Sünderin Maria Magdalena. Darstellung und Funktionen im Alsfelder Passionsspiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1147659

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