Die heilige Kümmernis

Die bärtige Jungfrau am Kreuz


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2005

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Die heilige Kümmernis – die bärtige Jungfrau am Kreuz

1. Textgeschichte der Legende um die heilige Kümmernis

2. Ikonographie der heiligen Kümmernis
2.1 Die heilige Kümmernis und Volto Santo
2.2 Unterschiede zwischen niederländischem Kult und Volto Santo

3. Zeitgeistliche Deutung

4. Fazit

Die heilige Kümmernis – die bärtige Jungfrau am Kreuz

In vorchristlicher Zeit herrschte einmal Krieg zwischen den heidnischen Königen von Portugal und Sizilien. Doch als der sizilianische König mit seiner Streitmacht an den Grenzen der Länder Portugals stand, bemühten sich beide Seiten um Einigung und Versöhnung. So wurde dem Sizilianer die wunderschöne jungfräuliche Tochter des Kontrahenten, Wilgefortis (zu Niederdeutsch Ontcommer), versprochen. Die heilige Jungfrau aber weigerte sich unter Bekenntnis zum christlichen Glauben und sagte, sie wolle sich keinem anderen als ihrem gekreuzigten Gott hingeben, worauf sie von ihrem erzürnten Vater zur Läuterung in den Kerker gesperrt wurde. In ihrer großen Not rief sie schließlich ihren Herrgott an, er möge sie so gestalten, dass sie nicht mehr von Männern begehrt werde. Ihre Bitten wurden erhört und Gott ließ ihr einen großen Bart wachsen. Als ihr Vater sie so sah, ordnete er an, dass seine Tochter wie ihr Heiland am Kreuz sterben müsse, wenn sie nicht ihrem Glauben entsagte. Die heilige Märtyrerin allerdings blieb beständig und wurde ans Kreuz geschlagen. Doch noch vor ihrem Tod rief sie ein weiteres Mal Gott an und bat ihn, dass von nun an alle, die sich ihrer Leiden erinnerten und um Hilfe bitten würden, von ihren eigenen Leiden befreit werden würden. Gott erfüllte ihr diesen Wunsch. Zum Zeitpunkt ihres Todes schließlich herrschte ein tobendes Unwetter, sodass im Zuge dessen der Palast ihres Vaters vom Blitz getroffen wurde und abbrannte. Der Todestag der heiligen Jungfrau und Märtyrerin St. Ontcommer war der 20. Juli.[1]

So präsentiert sich uns zusammengefasst das erste schriftliche Zeugnis der Legende um die heilige Ontcommer oder Kümmernis, wie sie im süddeutschen Raum heißt. Im Laufe dieser Arbeit werden die Gestalt der heiligen Kümmernis, ihre Legende und bildhauerischen beziehungsweise malerischen Darstellungen dieser interessanten Heiligen, deren Verehrung am Scheideweg zwischen Mittelalter und Neuzeit beginnt, untersucht werden. Die Heilige und ihr Kult wird in die damalige religiöse Gesellschaft im Wandel infolge der Devotio moderna[2] und der beginnenden Reformation eingeordnet werden. Außerdem wird der Frage, warum ihre Bewunderung gerade zu dieser Zeit begann und lange bis in die Neuzeit anhielt, nachgegangen.

Als Hauptgrundlage dieser Arbeit zum Thema „Heilige Kümmernis“ dienen mir die ausführliche Monografie von Schnürer/Ritz aus dem Jahr 1934, in der zahlreiche Bild- und Textquellen zum Thema abgedruckt sind, in Kombination mit der Monografie Schweizer-Vüllers´ von 1997, die neben einer großen Zahl von beigefügten Quellen eine psychologische Deutung des Heiligenkultes einschließt.

Der erste Abschnitt dieser Semesterarbeit befasst sich mit der Entwicklung der Legende in schriftlicher Form. Das Bild der Heiligen werde ich erst im zweiten Abschnitt der Ikonographie komplettieren, um im letzten Abschnitt eine zeitgeistliche Deutung ihres Kultes vorzunehmen.

1. Textgeschichte der Legende um die heilige Kümmernis

Die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Mythos um die heilige Kümmernis sind in den Gebieten Nordfrankreichs, Belgiens und der Niederlande zu finden und zwischen 1430 und 1500 entstanden. Die frühen Namen der Heiligen waren „Wilgefortis“[3] und der mittelniederländische Name „Ontcommer(a)“. Im süddeutschen Raum wurde sie „Kümmernis“ genannt.

Zunächst verzeichnete der niederländische Jesuit Wilhelm Cuypers (Cuperus) (1686-1741) im Juliband der Acta Sanctorum, der 1727 erschien, eine vollständige lateinische Abschrift der Kümmernislegende[4], die zeitlich in die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts einzuordnen ist und deren Orginal aus dem Rookloster bei Brüssel stammte[5]. Außerdem gibt Cuperus drei weitere fragmentarische lateinische Varianten von Anfang und Schluß der Legende und zwei in niederländischer Sprache an. Die orginalen Handschriften der in der Acta Sanctorum veröffentlichten Legendentexte sind heute leider verschollen.

Des weiteren existieren fünf weitere komplette, handschriftliche Fassungen der Legende des fünfzehnten Jahrhunderts, zwei in mittelniederländischer und drei in lateinischer Sprache verfasst. Textvergleichende Forschungen haben ergeben, dass einer der mittelniederländischen Texte, der aus dem Benediktinerkloster Oostbroek bei Utrecht stammt und dessen Handlung diese Arbeit einleitet, als Grundlage für alle lateinischen Versionen gedient haben muss und somit der älteste Text ist. Der andere mittelniederländische Text stammt aus Deventer in Nordholland. Zwischen allen Texten bestehen inhaltlich keine essentiellen Abweichungen.[6]

Man kann also mit Sicherheit behaupten, dass die Legende der heiligen Kümmernis ihre Wurzeln in den deutschen Gegenden der Niederlande hatte.

Nun zu den frühesten deutschen schriftlichen Zeugnissen der Kümmernislegende. Hierbei liegt der älteste Text in Form eines Holzschnitts, illustriert mit einem Bild welches später noch zur Sprache kommen wird, vor. Der Holzschnitt wurde vom Augsburger Maler Hans Burgkmair (1473-1531) im Jahre 1507 gefertigt.

Die Legende berichtet ohne viele Details von der heiligen Jungfrau St. Kümmernis, die für ihren Glauben am Kreuz stirbt, nachdem sie einem heidnischen König zur Frau versprochen wurde und Gott ihr in Erhörung ihres Flehens einen Bart wachsen ließ, „[…] das sy kainem auff erdtrich geuiel sonder ym allain. Und das er sy machte wie sy im am besten geuil. Do verwandelt er sy vnnd macht sy im geleich. [...][7] “. Burkmair schließt außerdem direkt an den Text eine weitere Legende an. Die Geschichte eines Geigers, der vor dem Bildnis der Kümmernis spielt, bis sie ihm einen goldenen Schuh hinabfallen lässt. Aufgrund dessen des Diebstals bezichtigt soll er gehängt werden, kann allerdings seine Unschuld beweisen, indem er ein zweites Mal vor dem Bildnis spielt und sich der wundersame Vorgang wiederholt.[8]

Des weiteren existiert eine Form der Legende in Versform aus dem Jahre 1582, aufgeschrieben von dem Chronisten Jakob Reutlinger aus Überlingen am Bodensee:

„[...] Die jungfraw an in das begert, Christus, der sprach gnedig zu ir:

das er ir schöne gstallt verkhert gehab dich wol, ich steh bei dier, an gstallt und an irm gantzen leibe, du sollt jetz scheinen zümlich allt

damit sie mechte sicher pleiben und eben haben mein gestallt, vor denen, die nach iren stallten das dheiner[9] solle dein begeren.

und sie zu gemachel haben wollten. Allso will ich dein gestallt verkeren. [...]“[10]

Im weiteren Verlauf des Gedichtes wird auch die Legende des Geigers erzählt. Sehr bezeichnend für die deutschsprachigen Überlieferungen ist allerdings vielmehr die Tatsache, dass die Jungfrau hier Gott (Jesus) gleich gemacht wird[11]. Auch in einer weiteren, gut zwanzig Jahre später aufgeschriebenen Vita, die der Kaplan in Neufahrn, einem Dorf nahe München, Gregorius Hörll im Jahre 1607 in die Missale eintrug, kommt dieser Zug zur Geltung. Hier wird die Verwandlung folgendermaßen beschrieben: „[...] vnd aus Junkhfreylicher Form in gestalt aines Mans mit har vnd bardt, gleich wie Gott, als er auff disem Jamerthal gewandert hat, [...]“[12] In den Legenden der niederländischen Tradition sucht man solche Formulierungen noch vergebens. Der vollständige Eintrag des Kaplans ist sehr ausführlich und schildert die Geschichte der Kümmernis in allen Einzelheiten, nah an den ältesten Texten.

Außerdem hängt Gregorius Hörll an seine Beschreibung eine weitere Legende an. Er berichtet von einem hölzernen Kreuzigungsbildnis der Kümmernis, das auf der Isar flußaufwärts schwamm und anfing zu bluten, nachdem ein Mann mit einer Axt hineinschlug. Der Bischof ließ es schliesslich nach Neufahrn bringen, wo sich weitere Wunder ereigneten, nachdem ein Maler, der das Bildnis umgestrichen hatte, blind wurde und kurz nachdem er gelobte, es in den Urzustand zurückzuversetzen, wieder sehen konnte. Darauf wurden eine blinde Frau und ein verkrüppelter Mann vor dem Bildnis geheilt. Er erklärt außerdem am Ende, er habe dieses „[...] Gott zu lob vnd der h. Junkhfrauen S. Kummernus einfaltiglich (doch gutthertzig) daher geschriben, [..]“.[13] Hierbei handelt es sich um das Altarkreuz der Kirche in Neufahrn, welches am Ende noch einmal angesprochen wird.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen der niederländischen und der deutschen Tradition sind folglich, dass die heilige Kümmernis in den deutschen Fassungen der Legende dem Erscheinungsbild Jesu Christi angeglichen wird. Des weiteren werden in diesen Versionen weitere Legenden angefügt, die des Geigers bei Burgkmair und Reutlinger und die des Kümmernisbildnisses bei Hörll, die jeweils von wundertätigen Reliquien in Form eines Abbildes der Heiligen berichten und somit deren sakralen Rang untermauern.

Außerdem ist zu sagen, dass in den älteren niederländischen Texten ein Motiv zu finden ist, welches später, in der deutschen Tradition scheinbar nicht mehr so wichtig erschien. Die Leiden, die die Heilige ertragen musste werden hier ausführlicher geschildert. Sowohl im ältesten Text aus dem Kloster Oostbroek heißt es : „[...] An denwelcken cruys hair menigherhande pynen, druc enn liden anghedaen wort. [...]“[14]. In der Deventer Fassung, die etwa zur selben Zeit entstanden ist, werden die Qualen der Kümmernis folgendermaßen dargestellt: „[...] Doe sie aldus gebonden was an dat cruce ende al die reetscap daer had geweest in gelikenisse daer God mede was gepassijt. [...]“[15] In diesem Beispiel werden ihre Leiden eindeutig mit der Passion Christi verglichen, womit auch hier ein direkter Bezug der Heiligen zu Christus, wie in den späteren deutschen Texten, hergestellt ist.

Doch die Legende der heiligen Kümmernis soll sich noch bis ins zwanzigste Jahrhundert weiterentwickeln. So begehrt bei einer 1649 gedruckten Fassung kein fremder Heide die Heilige, sondern ihr eigener Vater[16].

In einer 1764 in Konstanz gedruckten Lebensbeschreibung wirkt die ganze Handlung etwas überzogen. Dem Leser begegnen bizarre Namen, so spielt die Handlung in einem Königreich namens „Noryda“, dem späteren „Portugal“, der heidnische Freier heißt „Amaramphi“, ist Äthiopier und auch der eigene Vater „Kynax“ begehrt seine Tochter. Diese wird im Schlaf von Christus in eine Gestalt mit Bart, langem Haar und zwei Hörnern auf dem Kopf verwandelt.[17] Wie man hieran sehen kann, wurde die Legende im Laufe der Zeit weiter ausgeschmückt und erweitert und noch im Jahre 1905 beinhaltete die Broschüre Morins eine Lebensbeschreibung der heiligen Wilgefortis zu erbaulichen Zwecken[18].

Um das Bild der legendären Königstochter aus den schriftlichen Zeugnissen bewerten zu können und um es zu komplettieren ist es nun unbedingt notwendig, sich die bildlichen Darstellungen der Kümmernis vor Augen zu führen, was nun im zweiten Abschnitt folgt.

[...]


[1] Vergl. Übersetzung der Legende aus dem Benediktinerkloster Oostbroek (um 1450) abgedruckt in: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S. 40/41.

[2] Von Geert Groote (1340-1384) ins Leben gerufene neue Frömmigkeitsweise, die eine innerliche, persönliche Frömmigkeit des Einzelnen in der Nachfolge Christi erstrebte.

[3] Entstanden aus “virgo fortis”, „starke Jungfrau“, hierzu vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S.57/58.

[4] Acta Sanctorum, XX Julii Tom V, S. 68.

[5] Vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S.12.

[6] Vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S.12-17.

[7] Hans Burgkmair, Holzschnitt 1507, abgedruckt bei: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S.17/18.

[8] Vergl. Hans Burgkmair, Holzschnitt 1507, abgedruckt bei: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S.17/18.

[9] Dheiner = keiner

[10] Jakob Reutlinger, Sammelwerke, abgedruckt bei: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S.288.

[11] Vergl. Holzschnitt Burgkmair: „[...] vnnd macht sy im geleich.[...]“ und Reutlinger: „[...] und eben haben mein gestallt,[...]“, abgedruckt bei: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S. 17/18 bzw. S.288.

[12] Gregorius Hörll, Missaleeintrag 1607, abgedruckt in: Schnürer/Ritz, Kümmernis und Volto Santo, S. 27-30.

[13] Vergl. Gregorius Hörll, Missaleeintrag 1607, abgedruckt in: Schnürer/Ritz, Kümmernis und Volto Santo, S. 27-30.

[14] „[...] An diesem Kreuz wurden ihr viel Pein, Not und Leiden angetan. [...]“, Legende aus dem Benediktinerkloster Oostbroek (um 1450), abgedruckt in: Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S. 273/274.

[15] „[...] Da war sie also an das Kreuz gebunden und alle die Gerätschaften waren vorhanden, gleich denen, durch die auch Gott [Jesus] gepeinigt worden ist.[...]“, Sammelhandschrift aus Deventer (ca. 1440-1450), abgedruckt in: : Schweizer-Vüllers, Heilige am Kreuz, S. 278-281.

[16] Vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S. 44/45.

[17] Vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S. 47/48.

[18] Vergl. Schnürer/Ritz, St. Kümmernis und Volto Santo, S. 10.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Die heilige Kümmernis
Sous-titre
Die bärtige Jungfrau am Kreuz
Université
University of Heidelberg  (Historisches Seminar)
Cours
Heilige und Heiligenverehrung im Mittelalter
Note
1,0
Auteur
Année
2005
Pages
19
N° de catalogue
V114808
ISBN (ebook)
9783640169009
ISBN (Livre)
9783640171941
Taille d'un fichier
1205 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kümmernis, Heilige, Heiligenverehrung, Mittelalter
Citation du texte
Tobias Wehrmeister (Auteur), 2005, Die heilige Kümmernis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114808

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