Jeder Christ trägt ethische Verantwortung. Die Auseinandersetzung mit der Problematik der Organspende und der Sterbehilfe


Scientific Essay, 2009

164 Pages, Grade: Keine


Excerpt


Inhaltverzeichnis

Einführende Worte zur überarbeiteten und ergänzten 2. Auflage

I. Was versteht man unter Ethik in unterschiedlichen Kulturen? Ethik – Moral und Sitte, eingebunden in die Fragestellung der Sterbehilfe

II. Mit Hilfe unterschiedlicher Texte und Erfahrungen unterschiedlichste Situationen die christliche Ethik erfassen und verstehen
01. Der Umgang mit der Palliativmedizin in Verbindung mit der Fragestellung nach dem apallischen Syndrom, über die Problematik der Sterbehilfe zur Hospizbebewegung
02. Wann ist ein Mensch eigentlich tot?
03. Koma - Beispiel Helga
04. Frau Jutta B.
05. Jan Kerkhoffs
06. Persönliche Erfahrungen aus dem Erleben im Krankenhaus als Patient Marco
07. Aus dem Koma erwacht
08. Nach 19 langen Jahren wieder aus dem Wachkoma zurück in das tägliche Leben
09. Stefan T. und sein Weg von einem Unfall, über das Koma zurück in das tägliche Leben
10. Selbstheilungschancen des Gehirns sind häufiger als vermutet – kämpfen und nicht aufgeben

III. Die Auseinandersetzung auf theologischem Boden
01. Was sagen die Bibel und die Theologie dazu?
02. Wo beginnt und wo hört aus philosophischer und juristisch-rechtlicher Sicht ethische Verantwortung auf?
03. Hat der Tod einen Sinn und welche Bedeutung hat er im menschlichen Leben? Darstellung der Problematik aus theologisch – christlicher und philosophischer Sicht.

IV. In welchen Bereichen haben wir im Besonderen auf ethische Werte zu achten?
01. Den Verfall von ethischer Verantwortung verhindern helfen
02. Die Problematik der Sterbehilfe, verdeutlicht am Fall Julius Hackethal Aktive
03. Sensibilisierung und erneutes Überdenken der Problematik

V. Feigheit bietet keinen Schutz, denn wir haben als Christen einen klaren Auftrag!
01. Gedanken und Überlegungen, die hinter dem Wunsch nach Sterbehilfe stehen
02. Die Phasen des Sterbens unter den vorausgegangen Überlegungen neu betrachten

VI. Persönlicher Standpunkt und Fazit:
01. Die persönliche Auseinandersetzung mit diesen Problemfeldern und die daraus resultierende Gedankenanstöße
02. Wo stehe ich und wie sieht ein von christlichen Richtlinien bestimmtes Leben aus?
03. Mein ganz persönliches Fazit

VII. Bibelstellen nach den biblischen Büchern geordnet

VIII. Fachbegriffe, alphabetisch geordnet

IX. Zusammenfassung

X. Literaturnachweis

XI. Biografie

Einführende Worte zur überarbeiteten und ergänzten 2. Auflage

In vielen Gesprächen mit Schülern, jungen Christen, Studenten, Nachbarn, in der Familie und mit Freunden stellte sich immer wieder die Frage und zugleich Kritik nach, beziehungsweise dem/am Verfall der christlich-ethischen Werte in unserem Leben. Einerseits werden der Verfall oder die immer größer werdende Bedeutungslosigkeit ethischer Wertvorstellungen beklagt, andererseits wird aber den Kirche das Recht auf eine verantwortungsvolle Mitsprache abgesprochen, geradezu verweigert. Gerade unsere junge Menschen sind auch der Suche nach Richtlinien, wollen in Entscheidungen eingebunden und nicht überfahren werden, machen nicht nur mir durch ihre schon fast trotzige Reaktion und Aussage „ich will über mein Leben selbst bestimmen“ immer wieder deutlich, dass sie über ihr Leben, ihren Körper und ihr Tun selbst entscheiden wollten, kein anderer Mensch das Recht hat, sich bei diesen oft schwierigen Entscheidungsprozessen „mitzumischen“.

Wird dieser doch so enorm wichtige Entscheidungsprozess hinterfragt, dann ist die Hilflosigkeit dieser jungen Menschen in vielen und den unterschiedlichsten Formen zu spüren. Besonders deutlich wurde mir das bei Schülern und Konfirmanden, die doch ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung deutlich einklagten, dann aber auf Grund von Wissenslücken einerseits, und der fehlenden Lebenserfahrung und Fähigkeit, echte Problemlösungen zu finden andererseits, in große Bedrängnis kamen, und erkennen mussten, dass sie eben keine echte Entscheidungen in Verantwortung wirklich zu treffen in der Lage waren.

Nicht selten kamen dann dankbar aufgenommene Gespräche, geprägt von einer großen Offenheit innerhalb dieser Gruppen in Gang, indem sich meine Gesprächpartner als echte Partner sahen und sich dann auch wirklich öffnen wollten und konnten, ihre Fragen und Unsicherheiten offen beschrieben und darstellten.

In unendlichen vielen Gesprächen beschäftigten uns die doch sehr kontrovers diskutierten Fragen nach der Organspende, dem Organspendeausweis und der Palliativmedizin, beziehungsweise der Sterbebegleitung oder doch auch Sterbehilfe. Als eine gute und hilfreiche Gesprächsgrundlage konnte ich, noch im Schuldienst tätig, den Fernsehfilm „Tod vor dem Sterben“ einsetzen. Tief bewegt, geradezu erschüttert von der Situation einer jungen Frau, deren Leben sehr anschaulich in diesem Fernsehfilm dargestellt wird, die durch einen Unfall, den ihr Vater auf Grund verschiedener Ursachen zu verantworten hatte, zu einer Apallikerin wurde; mit der Anschaulichkeit und dem Geschehen, dem sich keiner entziehen konnte und der sich im Film immer stärker zuwendenden Haltung und Problematik des Kranken, sowie die ersten Hinweise auf die Palliativmedizin, begannen die wirklichen Auseinandersetzungen mit der jeweiligen Thematik. Diese Entwicklung wurde im Laufe der letzten Jahre immer intensiver, sodass wir heute schon von Ärzten Angebote zu Seminaren zum Thema „Palliativmedizin“ bekommen, um im Falle eines Falles informiert zu sein und eine dementsprechende Patientenverfügung vorbereiten zu können.

Dabei kamen dann immer deutlicher die Fragestellungen, wie ich als Christ denn mit einer solchen Problematik umgehe, in den Fokus der Gesprächspartner, beherrschten sogar teilweise die Gespräche. Es ist nicht einfach, sich bei einer so vielschichtigen Problematik einerseits und in einer Zeit, in der es auf Grund der Aktualität fast als „unmenschlich“ gilt, sich noch nicht entschieden zu haben, noch keinen Organspendeausweis zu besitzen, mit anderen Menschen diese Problematik zu bearbeiten und zu klären. Darum ist es nach meiner Überzeugung immens notwendig, sich gezielt mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, sich zu informieren, bewusst offen, aber kritisch zugleich an die Informationen und unterschiedlichen Standpunkte anzugehen um sich selbst am Ende eines Meinungsbildungsprozesses ganz klar positionieren zu können, Position zu beziehen.

Dieses Buch erhebt dabei aber nicht den Anspruch auf medizinische Vollkommenheit im Blick auf die vielseitigen und vielschichtigen Aspekten und Perspektiven; ich erhebt auch nicht den Anspruch auf die Darstellung aller Meinungsbilder zu der Gesamtproblematik, denn ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass ich ebenso nicht alle möglichen psychologischen Facetten beleuchtet habe, nicht alle sozialen und soziologischen Aspekt behandelt und dargestellt habe oder sie eben von Fall zu Fall nur ganz kurz angerissen wurden, juristische Fragen nur im Wesentlichen angesprochen wurden, um Grundaussagen verstehen zu können. Es geht mir bei dieser also nicht um eine fachlich perfekte und vollständige, nach allen Seiten beleuchtete und ausdiskutierte Darstellung, sondern nur um einfache, verständliche Gedankengänge, klare Darstellungen und verständliche Informationen, um so die Probleme in ihrer Bandbreite erfassbar machen zu können, auch dann, wenn man fachfremd, mit der Materie der einzelnen wissenschaftlichen Bereiche nicht unbedingt vertraut ist.

Das Buch ist also der Versuch, Gedanken und Überlegungen zu einer Thematik, die die Menschen aller Altersgruppen beschäftigt und betrifft zu konkretisieren, persönliche Erfahrungen und Begebenheiten, sowie Informationen und aktuelles Geschehen miteinander zu verknüpfen, um neuen Raum für weiterführende Gespräche und Entscheidungen zu schaffen. Angeregte Gespräche, ausgesprochene oder auch im Raum stehende Ängste wurden in ihrer teilweise sehr persönlichen Empfindung aufgenommen, um damit dann wieder Gespräche neu und etwas fundierter in Gang zu bringen, bringen zu können. Die Angst davor, nicht wirklich tot zu sein und dann Organe entnommen zu bekommen, „Verstümmelungen“ ausgesetzt zu sein, „ausgenommen zu werden“ oder nicht alle mögliche medizinische Hilfe zu bekommen beschäftigen alle Menschen unserer Gesellschaft.

Da es nach meiner Einschätzung aber notwendig ist, über ein gewisses, medizinisches Hintergrundwissen zu verfügen, um die Problematik zur persönlichen Entscheidungsfindung etwas zu erhellen und zu erleichtern, erschien es mir unumgänglich, mich intensiver auch mit den medizinischen, juristischen, theologischen und teilweise auch philosophischen Aspekten bei der Fragestellung „Tod und Sterbehilfe“, sowie bei der Organspende die medizinische Facetten näher zu beleuchten mich intensiver zu beschäftigen, und im Ergebnis entsprechende Informationen in die Gedankengänge als verstehende Grundlage einzufügen.

Als praktizierender Christ sehe ich mich aber auch in der Verantwortung dem Mitmenschen gegenüber und vor die schwere Aufgabe gestellt, ihm in diesem Entscheidungsprozess als Gesprächspartner zu helfen, ihm notwendige Gedankenanstöße zu geben, dabei die Schöpfung nicht aus dem Auge zu verlieren und die sich daraus ergebenden Aufgaben zu verdeutlichen und zu begreifen, um zu einem eigenen Weg in verantwortungsvoller, persönlicher Entscheidung von bekennender, christlicher Verantwortung getragen zu helfen.

Hanau, im Frühjahr 2009

I. Was versteht man unter Ethik in unterschiedlichen Kulturen?

Ethik – Moral und Sitte, eingebunden in die Fragestellung der Sterbehilfe

Der uns allgemein vertraute Terminus Ethik kommt aus der griechischen Sprache und hat übersetzt die Bedeutung: Sitte, Gewohnheit und auch Gesinnung. Das Attribut „ethisch“ kommt aus dem gebräuchlichen, griechischen Wort des gewohnten Orts, des Wohnens, und bezeichnet also im übertragenen Sinne von Gewohnheit, Sitte und Brauch. Ethik bedenkt das für den Menschen im Leben und Handeln tätig erreichbare und verfügbare höchste Gut. Eine weitere Definition von ist Ethik die „Tugendlehre“. Sie ist die theoretische Besinnung darauf, was gutes Leben, gutes Handeln und richtiges Verhalten meint. Der Terminus „Ethik“, bzw. „Ethos“ findet sich bei uns im alltäglichen Sprachgebrauch an verschiedenen Stellen wieder, so beispielsweise in Worten wie dem Berufsethos oder dem Standesethos.

„Ethik ist die analytische und/oder orientierende Reflexionstheorie moralischer und sittlicher Rechtfertigungsstrategien menschlichen Verhaltens und organisationeller Strukturen“.[1]

Wenn heute bei uns von Ethik die Rede ist, dann sprechen wir immer von der Lehre des verantwortungsvollen Handelns innerhalb des menschlichen Seins.

Die griechische Philosophie sieht in ihrem Ethikverständnis die Auseinandersetzung mit den Gesetzmäßigkeiten und Vorgaben und leitet als Forderung daraus die sich ergebende Lehre des richtigen Benehmens und Verhaltens ab.

Das Grundverständnis von Ethik

fußt auf der

Verantwortung

im gerechten Sollen und dem das Gute Wollen.

Das intuitive Wissen um die dem Mensch übergeordnete Gesetzmäßigkeiten (Normen) ist aber auch schon in den ältesten Kulturen zu finden. So berichtet Homer von sittlichen Normen, denen auch die Götter unterworfen sind und appelliert an ein mitmenschliches und respektvolles Verhalten (aidôs – Achtung, Ehrfurcht und Scham; dikê – Brauch, Sitte, Art und Weise).

Ein ähnliches Verständnis findet sich bei den vorderasiatischen Kulturen, in Ägypten, Babylonien oder auch in Israel. Auch bei ihnen ist das Normenbewusstsein bekannt, denn auch sie gehen in ihrem Handeln davon aus, dass der Mensch sich durch ein ungerechtes Töten, durch Ehebruch oder auch Raub, an den Göttern und Menschen schuldig macht.

Es ist hier also, von einigen kleineren Varianten abgesehen, und ungeachtet der religiösen Einstellung des jeweiligen Volkes, das dominierende Ethos des praktischen Anstandes als ein sich früh ankündigendes Minimalethos des richtigen Benehmens zu erkennen und festzuhalten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diese „natürliche“ Sittlichkeit wurde in den alten Kulturen als religiöse Forderung interpretiert und verstanden. Im Gegensatz dazu wurde sie im vorderorientalischen Lebensgefühl eher in negativen Gesetzesforderungen eingeordnet („Du sollst nicht…“!).

Eine genauere Betrachtung und Besinnung der Stellung des Menschen, Gott, Welt und Mitmensch, zwingt geradezu dazu, Ethik im Blick auf richtiges und verantwortungsvolles Handeln hin näher zu beleuchten.

Das „primitive“ Ethos des anständigen und sozialen Benehmens wird näher betrachtet; Ethik ist dabei aber nicht als Wissenschaft von Sittenkomplexen, ergo als Sittenkunde zu verstehen. Sie sagt, was zu tun ist und was es bezweckt. Wird sie dabei in ihren Forderungen überbetont, dann wird Ethik zur Kasuistik, zu einer Rechtfindung, die nach Präzedenzfällen vorgeht und die Lehre vom moralisch richtigen Verhalten zur Haarspalterei wird

Ethik setzt immer eine philosophische oder auch theologische Lehre voraus, die auf dem Weg der Interpretation gefunden wird.

Die evangelische Ethik besinnt sich dabei auf verantwortungsvolles Handeln. Sie orientiert sich dabei an Gottes Wort (an Israel gerichtet) und an Jesus Christus, der in der Heiligen Schrift bezeugt wird. Dabei sind nicht nur

- der Dekalog (2. Buch Mose, Kapitel 20; 5. Buch Mose, Kapitel 5)
- der Sittenspiegel (Ezechiel, Kapitel 18)
- die Bergpredigt (Matthäusevangelium, Kapitel 5 und Lukasevangelium, Kapitel 6) und
- die Haustafeln (Epheserbrief, Kapitel 5 und 6 )

maßgebend, sondern die gesamte Heilsgeschichtliche Fügung und Weisung Gottes an sein Volk von entscheidender Bedeutung.

Mit dem Begriff Moral verbindet unsere Gesellschaft im heutigen Sprachgebrauch und Verständnis, nach Darstellung von Ulrich H.J. Körtner (Evangelische Sozialethik, Grundlagen und Themenfelder, Vandenhoeck & Ruprecht 1999) im Allgemeinen gesehen (profan und religiös) die Gesamtheit akzeptierter und durch Tradition stabilisierter Verhaltensnormen einer Gesellschaft oder Gruppe. Moral nennt man das, was der Mensch üblicherweise tut. Während Ethik kritische Reflexion und argumentative Begründung anfordert, genügt zur Beschreibung von Moral der Verweis auf den faktisch gelebten Konsens.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Moral und Sitte bezeichnen die zu einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten kulturellen Raum von einer bestimmten Gruppe von Menschen Gültigkeit beanspruchenden Standards des Verhaltens (des Tuns und Unterlassens). Dabei ist das Beurteilungskriterium: Gut – Böse; nicht: besser – schlechter“[2] Der Wille Gottes ist für Jesus die höchste, sittliche Norm, Gehorsam und ungeteilter Dienst vor Gott die entscheidende menschlich Haltung (Markusevangelium, Kapitel 3, Vers 35: „Und wenn ein Haus mit sich selbst uneins wird, kann es nicht bestehen“; Matthäusevangelium, Kapitel 6, Vers 24: „Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“.).

So werden die Gesetze des Ordnungswillen Gottes von Jesus in den beiden Hauptgeboten

1. Gottesliebes und
2. Nächstenliebe

im Matthäusevangelium (Kapitel 22,37: Jesus aber antwortete ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“, Vers 39: „Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«“) klar und unmissverständlich zusammengefasst.

Schon in 3. Buch Mose, Kapitel 19, 18 („Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der HERR“), findet sich im selben Wortlaut das Gebot zur Nächstenliebe. Im neutestamentlichen Verständnis ist das Gebot der Nächstenliebe als eine Verfassung des Reiches Gottes und somit als ein universales Gepräge dargestellt. So soll der Sünder auch hinter der Sünde geliebt werden, sodass sich das Wort „Vergebung“ erneuernd zwischen die Tat und den Täter schaltet. Im Gesetz offenbart sich dann der Gott des richtenden Zornes. Es wird dabei deutlich an das Gewissen des einzelnen Menschen appelliert und somit der notwendige Freiraum für das Hören vom „Wort der Vergebung“ geschaffen.

Das neutestamentliche Verständnis von Liebe geht über die in der Antike verlangte Achtung hinweg und schafft damit die befreiende Gemeinschaft mit dem zum Sünder gewordenen Mitmenschen. Dieses Gedankengut lässt sich nur als Teilhabe am Heilswerk Jesu Christi verstehen.

Diese Liebesgemeinschaft kündigt auch der Ordnungswille Gottes zur konkreten Gestaltung der Mitmenschlichen Beziehungen an. Schon früh ist deshalb in der alten Kirche die Verknüpfung von Gebot und Gesetz zu finden.

Christlich-verantwortliches Handeln wird vom Menschen, dem Glaubenden, praktiziert. Der Glaube seinerseits ist ein Geschenk des Heiligen Geistes (Epheserbrief Kapitel 2, Vers 8: „Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es“). Jesus Christus lebt im Glaubenden und führt ihn zum Gehorsam gegenüber der Gebote (Galaterbrief Kapitel 2, Vers 20: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben“.). Das bedeutet in der Konsequenz, dass der Glaubende nicht als Individuum lebt und zum Handeln berufen ist, sondern in der Teilhabe an Jesus Christus, als ein Glied der Gemeinde, in der entscheidenden Gemeinschaft des Volkes.

So ist das alles schon als Gesetz im Evangelium festgelegt und beschlossen, sodass wir nicht in erster Linie von einem Gewissengehorsam sprechen und ausgehen können.

Christliches, verantwortliches Handeln, ist theologisch immer von der Hoffnung der Vollendung der Werke Gottes und der Erlösung der Welt, und mit der persönlichen Teilhabe verknüpft.

Jegliche Ethik hat also mit dem Handeln des Menschen zu tun, sodass Ethik auch immer einen anthropologischen Ansatz hat. Die Bibel sagt im 1. Buch Mose, im 1. Kapitel, Vers 27[3] („Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib“.), dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Diese biblische Aussage, die man auch als Lehre verstehen könnte, führt gedanklich unweigerlich zur Frage nach Gott selbst weiter. Eine Ethik, die diesen biblischen Richtlinien folgt, ist eine christliche Ethik, die nur als theologische, oder besser eine theozentrische Ethik, das heißt, einem von der Bibel bezeugtem Wesen und dem Werk Gottes ausgehende Ethik sein kann. Eine christliche Ethik lässt sich deshalb auch nicht von der schöpferischen und erlösenden Güte Gottes ablösen, ebenso so wenig von dem sittlichen Horizont der Herrschaft Gottes.

Die Begründung einer Ethik im Schöpfungswerk Gottes ermöglicht einerseits die Erkenntnis der entsprechen Normen und andererseits vermittelt sie die Motivationen zu ihrer Verwirklichung.

Schaubild:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bis in das 2o. Jahrhundert war die Ethik als eine Tugendethik aufgebaut. Sie war ausgesprochen individualistisch geprägt, die die Entfaltung des Einzelnen als sittliche Persönlichkeit zum Ziel hatte. Unser heutiges Ethikverständnis ist eher im Sinne und Verständnis einer Sozialethik zu sehen, denn es neigt dazu, den Einzelnen eher als Kollektivwesen zu verstehen und die Erziehung als Sozialisation zu begreifen. Als Ergebnis aus beiden Interpretationen bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass beide Denk - und auch Interpretationsansätze etwas verkannt haben: Individuum und Sozialwesen lassen sich vom ihrem eigenen Verständnis her nicht trennen; der Mensch kann nicht isoliert in die eine oder in die andere Richtung gesehen und verstanden werden, denn er lebt in der Relation, und diese Relation schließt eine Individualethik im Sinne eines eigenen Gegenstandbereiches aus, lässt sie aber als höchsten Aspekt menschlichen Handeln zu, da sie eine gewisse, subjektive Konstanz im Tun des Guten, also der Tugendlehre beinhaltet. In der Sozialethik liegt der Schwerpunkt als ethische Reflexion in der gesellschaftlichen Ordnung, ergo der Familie und dem Staat beispielsweise; nur nennen möchte die Religions -, Lebens -, Sexual -, Wirtschafts – und Kulturethik.

Wie auch immer der Mensch handelt, er handelt nach Grundsätzen, die sehr häufig, um nicht zu sagen fast immer ethisch geprägt sind, und der Mensch sich dessen ebenso oft nicht bewusst ist. Unser ethisches Verhalten basiert auf Handlungen, Kommunikationen und dem Umgang mit Personen, die den einzelnen Menschen ebenso wie Organisationen, aus welchen Gründen auch immer bestimmen und lenken. Wir erleben doch ständig, wie zum Beispiel Hilfsorganisationen angegriffen werden, der Unterschlagung, der eigenen Bereicherung oder auch des zweckentfremdeten Geldeinsatzes beschuldigt werden. Dieses Tun beeinflusst die betroffenen Verantwortlichen in ihrem Tun und in ihren Entscheidungen.

Dieses Gedankengut wiederum korrespondiert mit dem Begriffsverständnis von Moral und Sitte und führt nun seinerseits durch die Begriffsbestimmung zu moralischen und sittlichen Prinzipien. Wer kennt ihn nicht, den Satz vom „anständigen Mädchen“, das bestimmte Dinge eben nicht tun darf; Diese Prinzipien nehmen nun über das Moral und Sittenverständnis, sowohl im christlichen wie auch im profanen Bereich, wiederum Einfluss auf die Handlungen der Menschen im privaten und persönlichen Denken, ebenso wie bei notwendigen Entscheidungen in den unterschiedlichsten Organisationen. Funktionieren die Wertbestimmungen im Alltag nicht, dann werden ganz schnell Sanktionen verhängt; je nach “Verstoß“ fallen sie härter oder auch milder aus, aber sie werden eingesetzt. Dadurch ist das ethische Verhalten kein starrer Block, sondern von jeweiligen Zeitgeist durchaus veränderbar.

Ebenfalls in das ethische orientierte Verhalten nehmen Rechtsverständnis und Konventionen Einfluss, denn Ethik will im Grundsatz immer Positives, und somit Gutes tun. In unserer Gesellschaft ist es längst zum Alltag geworden, dass sowohl die christlichen Wertvorstellungen in den Bereich der Gesetze und der Juristerei Einfluss genommen haben, sowie in der Umkehrung zum Beispiel das Strafgesetzbuch viele Paragraphen beinhaltet, die mit den Aussagen und „Vorschriften“ des Dekalogs übereinstimmen. Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im §218 ist ein Beispiel dafür; was die eine Gruppe mit dem Hinweis auf die christliche Ethik als Mord bezeichnet und auch kirchlicherseits (katholisch) so verstanden und gesehen wird, ist bei vielen, geraden jungen Frauen, das Recht auf eine freie Entscheidung; daraus ergibt sich dann eine Lösung, die nicht unbedingt als „salomonische“ Lösung zu sehen, dass in den ersten 3 Monaten, in Verbindung mit einem Beratungsgespräch, letztlich eine Schwangerschaft doch noch abgebrochen werden darf.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild: Ute Osterwalder, Kösel-Verlag München

Das Leben vor der Geburt, Katharina Zimmer

Im Jugendwohlfahrtgesetz, um noch ein Beispiel zu nennen, geht es um das Wohl der Kinder und Jugendlichen. Nichts anderes sagt die Bibel im Neuen Testament im Bezug auf die Mitmenschen, als Kinder von Jesus gesegnet werden sollen, die man zu ihm gebracht hatte. Dabei darf es nicht zu Konflikten mit den Gesetzen auf der einen Seite kommen, und es müssen bestimmte Vereinbarungen eingehalten werden; so entsteht eine gesellschaftliche Norm, die ebenfalls ethisches Denken beeinflusst. In der aktuellen Diskussion sprechen wir intensiv über die Hilfe beim Sterben vom würdigen „Tod“. Gesprochen wurde und wird in Zukunft sicher noch viel. Geändert in Richtung Gesetz, unabhängig davon, wie die gesetzliche Regelung einmal aussehen wird, hat sich bisher jedoch weder im Denken noch im Tun etwas. In Deutschland hat sich aber eine Aussage immer mehr Raum geschaffen, denn die Befürworter einer solchen Hilfe zum Sterben haben eher einen gegenteiligen Eindruck gewonnen, denn sie konstatieren klar: Wer würdevoll und ohne Qualen sterben und straffrei will, der muss in das Ausland (zum Beispiel in die Schweiz) gehen. Ein für die Schweiz ganz wichtiges Urteil gibt es vom schweizerischen Bundesgericht, das am 03.11.2006 verkündet wurde. In diesem Urteil heißt es: „Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Artikel 8 Ziffer 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenem Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechen Willen frei zu bilden und danach zu handeln.“[4] Ebenso ist in der Schweiz ist die Bereitstellung von Natrium-Pentobarbital (Schlafmittel, das dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, und in einer Dosis von 10-15 Gramm innerhalb weniger Minuten tödlich wirkt erlaubt. Ebenfalls in der Schweiz besteht nach Presseinformationen des Eidgenössischen Justiz – vom 29.08.2007 - und Polizeidepartments - EJPD - kein Handlungsbedarf, denn die gesetzlichen Regelungen seien ausreichend) Gegensatz zu Deutschland nicht strafbar. Allerdings wird auch hier das Tun der Ärzte überwacht, und sollte ein strafrechtlicher Bestand bestehen, dann werden über die kantonale Aufsichtsbehörde entsprechende Schritte eingeleitet, die auch hier bis zum Entzug der Berufsausübungsbewilligung (Approbationsentzug) reichen können. Die Strafverfolgungs-bebörden leiten die notwendigen Schritte bereits bei einem vorliegenden Verdacht einer strafbaren Handlung ein. Der Schierlingsbecher kommt in Deutschland nicht in Frage, da die oralen Gifte, die bei uns zur Schmerzbekämpfung eingesetzt werden können, zwar streiffrei sind, aber bei einem missbräuchlichen Einsatz für den Betroffen das Gegenteil erreichen und zu einem qualvollen Tod führen würden; zur intravenösen Injektion sind sehr wohl Medikamente erhältlich, die nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen und auch in Deutschland zu einem Einsatz für einen schmerzfreien Tod kommen könnten. Zum anderen würde beim Einsatz solcher Medikamente unsere rigide, ärztliche Standesrichtlinie die praktizierenden Ärzte klar zu Sterbehelfern machen. Das Problem, einen venösen Katheder legen zu können und auch zu legen, damit ein Selbst - Injektions- - Automat überhaupt zum Einsatz kommen kann, ist nicht strafbar und könnte von allen Ärzten im Ruhestand, Schwestern und Pflegern problemlos ausgeführt werden.

Ein weiterer Gedanke der sich geradezu aufdrängt ist der, dass der zur Selbst-Injektion erforderliche Automat ebenso leicht und unkompliziert einzusetzen ist, wie der oben genannte Schierlingsbecher. Eine Problemverlagerung besteht allerdings darin, dass ein gelähmter, sterbewilliger Mensch, der willentlich auch keinen Lidschlag mehr steuern kann, ihn nicht bedienen könnte, und durch Eingreifen eines Außenstehenden der strafrechtliche Rahmen wieder vorhanden wäre. Der betroffene Sterbewillige muss also, wenn nicht mit den Händen möglich, so dann durch bewegen des Kopfes in Form von nicken oder drehen einen speziellen Mechanismus auslösen, damit die tödliche Dosis Gift mit Hilfe des Automaten in den Körper gepumpt wird. Da der Sterbewillige den Suizid alleine steuert, den Zeitpunkt selbst bestimmt und auch selbst auslöst, ist hier aktive Sterbehilfe nicht gegeben und es wird bei dieser Konstellation auch nicht von aktiver Sterbehilfe gesprochen.

Stellt man nun an dieser Stelle die vorangegangen Überlegungen aus der Vergangenheit und Gegenwart gegenüber, dann entsteht für viele Menschen der Eindruck, dass in der Vergangenheit die humanen Bedürfnisse der Gesellschaft als die Aufgabe der Rechtspolitik im Fokus der Verantwortlichen standen; im Blick auf die Sterbehilfe hat sich aber das Desinteresse der politisch Verantwortlichen heute so sehr manifestiert, dass eine echte Gesetzesänderung in nächster Zeit wohl nicht zu erwarten ist.

Ethik ist also nicht als etwas Absolutes zu sehen, sondern als eine richtungweisende Größe, die beschreibt, wie das Leben sinnvoll und verantwortungsbewusst gestaltet werden soll und kann; Ethik will verdeutlichen, dass kein Mensch sich an sich selbst orientieren kann, sondern dass es Richtlinien gibt, die besonders aus christlicher Sicht dem Willen Gottes entsprechen und so positiv auf den Lebenswandel und das Zusammenleben einwirken.

II. Mit Hilfe unterschiedlicher Texte und Erfahrungen unterschiedlichste Situationen die christliche Ethik erfassen und verstehen

01. Der Umgang mit der Palliativmedizin in Verbindung mit der Fragestellung nach dem apallischen Syndrom, über die Problematik der Sterbehilfe zur Hospizbebewegung

Die Palliativmedizin (unter dem Begriff Palliativmedizin versteht man die schmerzlindernde Medizin) hat sich in den 60er und 70er Jahren des 2. Jahrhunderts aus der Hospiz Idee heraus entwickelt. In ihr arbeiten Ärzte, Pflegende, Psychologen Seelsorger und ehrenamtliche Mitarbeiter zusammen, um für den unheilbar Kranken eine letzte, möglichst selbstständig gelebte, schmerzfreie und selbst bestimmte Lebensphase zu ermöglichen.

Unter der Palliativmedizin insgesamt gesehen versteht man die Pflege und Betreuung von Menschen, die unheilbar krank sind. Sie bezieht die Angehörigen der Kranken ein und betreut häufig auch sie, oft sogar über den Tod des Kranken, des dann Verstorbenen, hinaus.

Niedergelassene Ärzte erkennen zunehmend, dass die Palliativmedizin auch im häuslichen Bereich des Patienten angewendet werden kann und eigentlich auch angewendet werden muss.

Ziel der Palliativ-Medizin ist es, dem unheilbar kranken Menschen soweit als möglich die Schmerzen zu nehmen, und ihm dadurch neuen Lebensmut für den „restlichen“, letzten Lebensabschnitt zu geben. Diese Art der Therapie führt in vielen Fällen dazu, dass die Menschen, die eigentlich keinen Weg mehr zurück in die Familie haben, noch einmal in die Familie zurück können, doch noch einmal am familiären Leben teilhaben können.[5]

Um diesem Ziel so nahe wie irgend möglich zu kommen, wird in der Palliativmedizin eine moderne, individuell angepasste Schmerztherapie als primäres Hilfeleistung angewendet. Gleichwertig findet daneben die Auseinandersetzung mit den Ängsten, Zweifeln oder der psychischen und spirituellen Bedürfnissen statt. Da der Tod in der Palliativmedizin ein natürlicher Vorgang ist, wird er weder beschleunigt noch verzögert. Das gesamte Handeln der Betreuer gilt dem Patienten und dem Ziel, ihm einen schmerzfreien und ruhigen Tod zu ermöglichen. Deshalb verstehen sich hier die Mitarbeiter als Menschen, die Sterbebegleitung leisten, ihn das letzte Stück seines Lebens begleiten, als ein „begleiten dürfen“. Ich möchte an dieser Stelle ein Pflegeleitbild, Pflegeverständnis, einfügen.

Was bedeutet Pflege für uns? Nach unserem Verständnis, so Noi Vita, wird der betroffene Patient (im apallischen Syndrom und oder im Wachkoma) in der Regel von der Intensivstation in eine neurologische Rehabilitationsklinik verlegt, um dann von dort in eine Pflegeeinrichtung „weitergereicht“ zu werden. Angehörige, Freunde, Betreuer haben dann die Aufgabe, eine für den Betroffenen geeignete Pflegeeinrichtung auszuwählen. Die Vorstellung, dass eine liebe Person dorthin "abgeschoben" wird macht uns immer mehr Angst. Die größte Kunst der Pflegenden besteht eindeutig darin, die Autonomie des Bewohners zu verstärken, ohne von ihm Dinge zu verlangen, zu denen er nicht, oder auch noch nicht in der Lage ist.

Der Bewohner soll sich als Teil einer Lebensgemeinschaft fühlen, in der er sein emotionales Gleichgewicht aufbauen kann und zu einem positiven Selbstbild begleitet wird.

Die Pflegenden erfahren dadurch, dass an ihre Kreativität und emotionale Intelligenz appelliert wird, mehr Bestätigung und Erfüllung in ihrer Arbeit. In einer solchen, erlebnisorientierte Bezugspflege, steht der Bewohner mit seinen Bedürfnissen und seinem Erleben im Mittelpunkt des Geschehens, aber auch das Erleben des Pflegenden findet hier seinen Platz. Die Durchführung von erlebnisorientierter Bezugspflege beinhaltet, dass Pflegende mehr von sich selbst sehen lassen und auf beiden Beinen stehen, hinsichtlich eigener Entscheidungen in der täglichen Pflege (Quelle: Noi Vita).

Wir haben folglich in der Betreuung Schwerkranker und Schwerstkranker bereits schon heute Ansätze für eine neue Kunst des Sterbens. So hat es eben die Palliativmedizin geschafft, dass schwerkranke Menschen in der Regel keine unerträglichen Schmerzen aushalten müssen. Mit der Gesundheitsreform ist ein Ausbau der Palliativmedizin beschlossen worden, ein Schritt in die richtige Richtung eingeläutet, doch es gibt leider noch Probleme bei der Umsetzung. Diese Kunst, die sich dem Lindern und nicht nur dem Heilen verschrieben zu haben, muss noch den Sprung vom Hospiz in die Hausarztpraxis schaffen. Dort gehört sie zwingend hin, denn die meisten Menschen wollen die letzten Tage zu Hause, im vertrauten Umfeld und im Kreis der Familie verbringen. Auch das gehört zur Kunst der Selbstbestimmung in der Medizin.

Eine große Anzahl zu betreuender und zu pflegender Menschen, um eine konkrete Betroffener zu nennen, leidet unter dem apallisches Syndrom. Ein anderer Begriff für das apallischen Syndrom, wohl aber mit der gleichen Bedeutung für das gleiche Krankheitsbild in der Medizin lautet: Dezerebrationsyndrom; bei dieser Erkrankung spricht man in der forschenden Medizin von einer Enthirnungsstarre; damit wird der Funktionsausfall der Großhirnrinde infolge einer Anoxie (der Erstickung durch den völligen Sauerstoffmangel) des Gehirns, zum Beispiel als Koma oder einem schlafähnlichen Zustand mit offenen Augen, bei dem die Patienten zwar wach sind, jedoch keine sinnvollen Reaktionen, wie Blickfixierung oder Spontanäußerungen leisten können; pathologische Reflexe (krankhafte Reflexe) wie zum Beispiel Greifreflexe, Stellreflexe, Pyramidenbahnzeichen, Rigor (Steifheit) und Hypertonie (Hochdruckerkrankung) der Muskulatur, eventuell Streckkrämpfe, Störung der Atmung und der Temperaturregulation und Kreislauffunktion dagegen, sind dabei mögliche Begleiterscheinungen. Als eine mögliche Therapie ist eine intensivmedizinische Überwachung, evtl. Beatmung, zu beobachten. Die Prognosen sind schlecht, denn es kommt infolge Komplikationen beim Verlauf nach einem länger andauernden apallischen Syndrom entweder zu einer letalen (tödlicher Schlaf) Störung oder einer Remission (gemeint ist hier ein zeitweiliges Nachlassen der Krankheitssymptome). Bei einer zunehmenden Dauer des apallischen Syndroms ist eine deutliche Verschlechterung der Prognose zu beobachten. Da stellt sich schon fast automatisch für die Menschen ganz allgemein die bohrende, ja fast schon

die beunruhigende und sehr bedrückende Frage: „Wer hat denn ein“ apallisches Syndrom, was hat man darunter zu verstehen und wer kann daran erkranken?", das sind die Fragen, sich jedem Menschen bei der Begegnung mit dieser Erkrankung unweigerlich aufdrängen.

Es handelt sich bei einem apallischen Syndrom um einen Funktionsausfall des menschlichen Großhirns und ist die Folge einer sehr schwerwiegenden Verletzung der selbstständigen Ausdrucksmöglichkeit. Diese Form des Komas hat eine Schutzfunktion und ist somit eine durchaus sinnvolle Lebensmöglichkeit. Das Koma ist also kein pathologisch abgespaltener Zustand, sondern wird von vielen Wissenschaftlern in seiner besonderen Art auch als eine reale Lebensform verstanden. Daraus, diesem Zusammenhang, ergibt sich also, dass es auch keine „rehabilitationsunfähigen“ Patienten gibt - es sei denn, dass der Tod eintritt! Bei einem „apallischen Syndrom“ handelt es sich eigentlich immer um einen dynamischen Zustand, was dann zur Folge, dass in Fachkreisen von einem „apallischen Durchgangssyndrom“ gesprochen wird. Sie unterteilen diesen Prozess in sieben Remissionsstufen. Diese Stufen sind wissenschaftlich aber nicht belegbar. Sie basieren „lediglich“ auf jahrelangen Beobachtungs- und Erfahrungswerten der Mediziner, die Menschen mit dem apallischen Syndrom betreuen. Erwacht ein Betroffener aus dem Koma, hat er, so die Ärzte, mit Sicherheit alle sieben Stufen durchlebt. Die jeweilige Verweildauer in der jeweils gerade aktuell zu durchlebenden, der sieben Remissionsstufen, ist ganz individuell und somit sehr unterschiedlich. Es gibt bisher keine erkennbaren und verbindlichen Regelzeichen. Auch ein „Steckenbleiben“ in einer der Phasen ist durchaus möglich. Denn der Mensch im Koma bestimmt, wie es weiter geht und wie lange er in jeder Stufe verbleiben möchte. So haben die behandelnden Ärzte auf Grund ihrer Erfahrungen im Umgang mit Menschen im Koma folgende Theorie entwickelt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es stellt sich jetzt also in der Folge dieser Überlegungen die Frage, wie tritt man denn mit einem Menschen in dieser Lebenssituation in Kontakt, einem Menschen, der für andere keine gewohnten Zeichen der Kommunikation aufweist und aufweisen kann? „Dialog“ ist in unserer Zeit schon an vielen Stellen zu einem Schlagwort geworden. Jeder spricht davon, doch die Wenigsten kennen die eigentliche Bedeutung. Dialog heißt eigentlich, wenn auch vielleicht etwas locker aus Sicht eines Philologen ausgedrückt, so viel wie „Wechselrede“ oder auch „Zwiegespräch“. Im Gegensatz zum starren Austausch von Fakten, wie in einer Diskussion notwendigerweise praktiziert, bedarf der Dialog nur eine dynamische Entwicklungsphase der Offenheit und den radikalen, ich könnte auch absoluten Respekt gegenüber dem Dialogpartner als Voraussetzung. Frühe Dialoge sind ergo eine elementare Form von Kommunikation, von Austausch, von Vermittlung und von Beziehung zwischen den Patienten, den Pflegekräften und natürlich auch zwischen den Therapeuten. Dabei ist es ist eine spannende und kreative Erfahrung plötzlich zu entdecken, wie wir Menschen über den Dialog sehr wohl eine andere Denkstruktur entwickeln können.

Zurück zu der Frage, wer kann den warum daran erkranken: Jeder Mensch kann durch einen Unfall mit äußerer Gewalteinwirkung am Gehirn, kann infolge eines Tumors, oder auch durch eine Blutung oder eine Entzündung des Gehirns, einschließlich der umgebenden Hirnhäute, ein „apallisches Syndrom“, kann, und darauf liegt die Betonung, eine solche schwerwiegende und Erkrankung erleiden, die die Persönlichkeit möglicherweise von Grund auf verändert, den gesamten Lebensinhalt und Ablauf völlig umkrempelt und aus einem selbständigen Menschen einen Pflegefall macht erleiden - bekommen. Davor ist nach dem heutigen Kenntnisstand kein Mensch sicher. Auch Durchblutungsstörungen des Gehirns, zum Beispiel in Verbindung mit einem Schlaganfall oder auch nach einer erfolgten Reanimation können ebenfalls dieses schwere Krankheitsbild auslösen. Dann ist die Bündelungsstelle aller Nervenbahnen im Mittelhirn außer Kraft gesetzt und entkoppelt.

An genau dieser Fragestellung, in diesen Zusammenhängen taucht dann immer wieder die Frage nach der Sterbehilfe, dem menschwürdigen Tod auf. Ohne hier einer persönlichen Stellungnahme vorzugreifen, möchte ich doch an dieser Stelle jetzt schon sagen, dass ich der Überzeugung bin, dass die gesetzliche Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden ein Ausdruck eines zu kurz gedachten Lösungsansatzes ist; nicht die aktive Sterbehilfe, sondern die Schaffung von humanen Rahmenbedingungen, die eine solche Vorgehensweise überflüssig werden lassen, müssen als Ergebnis einer Debatte sein, die sich mit der Situation Sterbenskranker befasst, und als Ergebnis hervorgehen. Alles andere ist für die angehende Rechts – und Werteordnung innerhalb der Europäischen Union absolut nicht tragbar.

In einer Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz vom 29.11.2000 zum niederländischen Sterbehilfegesetz wird das Anliegen und die Problematik in einem Satz, kurz und prägnant ausgedrückt: „Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“

Eine doch recht neue Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach[6] hat die Menschen mit der Frage konfrontiert: „Zur Zeit wird viel über Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, dass man Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum Überleben haben und große Schmerzen erdulden müssen, auf deren eigenen Wunsch hin beendet. Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?“ Befragt wurden 1800 Menschen über 16 Jahren. Das Ergebnis liest sich so: 58% sprachen sich für eine Tötung auf Verlangen aus, 23% gaben sich unentschieden und nur 19% lehnten eine Tötung auf Verlangen ab.

Wenn das Ergebnis noch einmal in Altersgruppen differenziert wird, dann zeigt sich, dass in der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren die Zustimmung bei 63% liegt, und im Gegensatz dazu die Befragten ab 60 Jahren und älter nur noch mit 51% der aktiven Sterbehilfe zustimmten. Auf die beiden Konfessionen bezogen macht das Ergebnis sehr nachdenklich, denn 56% der Portestanten und 50% der Katholiken stimmten ebenfalls der aktiven Sterbehilfe zu. Dieses Ergebnis, so sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht macht deutlich, dass hier die Kirchen, also beide Konfessionen, gefordert sind und machte den Vorschlag, den Umgang mit Sterben und Tod in Anbetracht der doch sehr ernsten Lage zum Thema der Woche zu machen. Dass hinter solch einem Ergebnis auch die „blanke“ Angst steht ist unbestritten, die Angst vor dem Sterben. In einem Gespräch mit der „Tagespost“ sagte eine Ärztin: Dass ein Mensch mit unerträglichen Schmerzen sterben muss, kommt bei einer professionellen Behandlung heute praktisch nicht mehr vor. Hier muss offenbar noch sehr viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden!

Ein ähnliches Umfrageergebnis legte der Fernsehsender N24[7] vor, der berichtete, dass 13% das Verbot, die aktive Sterbehilfe zu ermöglichen befürworteten, aber 55% dieses Verbot ablehnten. In diesem Zusammenhang sagte die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue nach dem Bericht „Die Tagespost“ vom 05.07.2008: „Nicht alles, was verwerflich ist, muss auch strafbar sein!“

Eine klare Position zu dieser Problematik vertritt Frau Gerda Graf: „Die Entwicklungsstufe eines sozialen Staates wird erkennbar am Mit-Leiden in Form von Sterbebegleitung und nicht am Töten aus Mitleid“" so Frau Gerda Graf, Vorsitzende der BAG Hospiz, der gewählten Interessenvertretung der Hospizbewegung in Deutschland mit Sitz in Düren.

Schaut man etwas genauer auf die neue Hospizbewegung, dann zeigt sich ein beachtenswert humaner Weg: Durch psychosoziale und spirituelle Begleitung einerseits und palliativmedizinischer und pflegerischer Betreuung andererseits wird im Hospizbereich versucht, das Leiden eines Sterbenskranken so zu vermindern, dass diesem ein Sterben in Würde möglich ist. Nach den bisherigen Erfahrungen taucht die Frage nach aktiver Sterbehilfe bei Menschen, die hospizlich begleitet werden, kaum noch auf. Frau Dr. Cicerley Saunders (22.06.1918-16.07.2005, Krankenschwester und Sozialarbeiterin in London, England, Mitinitiatorin vieler Hospizgründungen) sagte einmal: Sterbende Menschen sind nicht diejenigen, für die man nichts mehr tun kann. Sie sind diejenigen, welche die Solidarität der Gesellschaft besonders nötig haben.“

Sterbende, alt werdende Menschen, Kranke und Trauernde zu begleiten war für die Menschen in allen Zeiten und schon immer eine grundlegende und sie sehr intensiv beschäftigende Aufgabe, bzw. Fragestellung. Ihren berechtigten Grund hat dieses Denken und Verhalten in der Tatsache, dass das Geschehen nicht auf Mitmenschen verlagert werden kann, sondern jedem Menschen bewusst ist, dass es auch ihn eines Tages betreffen kann und wird. Die Hospizbewegung will bei diesen grundsätzlichen Fragen des Lebens dem Einzelnen helfen, sich diesem Fragenkreis zu stellen. Aus einer Idee entstand so in kurzer Zeit eine weltweit dynamische Bewegung. Die breite Akzeptanz, die dieser Weg der Hospizbewegung heute erfährt, wird durch die ca. 40.000 in Deutschland engagierten Menschen verdeutlicht.

Überall in der Bundesrepublik sind die Menschen mit dem Begriff „Hospiz“ vertraut, haben von dieser Arbeit gehört. Das gros der Menschen weiß auch, dass die Hospizarbeit eine aktive Sterbehilfe ausschließt[8]. Der Moraltheologe Gerhard Stanke, Generalvikar des Bistums Fulda sagt klar und im Gegensatz zu Küng, dass Begriff bereits verfehlt sei. Auch hier wieder wird wieder eine Erfahrung (ich weise an dieser Stelle auf Frau Kübler-Ross, Dr. med. Paul Becker zu dieser Thematik hin) zum tragenden Element, indem er sagt, dass „bedeutsam ist, dass sich das Umfeld des Sterbenden um ihn kümmert, so dass er sich nicht alleine fühlt, und den Eindruck gewinnt, anderen zur Last zu fallen“. Wir können aber, so der Moraltheologe in einem Vortrag in Hanau, von den Sterbenden lernen, wenn wir begreifen, dass es drei Grundelemente im Leben eines Menschen gibt, denen wir uns nicht entziehen können

1. der Geburt
2. der Liebe
3. dem Tod,

denn sie geschehen am Menschen und lassen sich auch nicht durch die Autonomie des einzelnen Menschen entziehen.

Die Hospizbewegung sieht das Leben als natürliche Einheit von der Geburt bis zum Tod; sterben stellt in dieser Einheit die letzte Phase des Lebens dar. Diese lebensbejahende und überkonfessionelle Grundidee der Hospizbewegung schließt aktive Sterbehilfe (Euthanasie) klar aus. So setzt sich die BAG Hospiz zusammen mit den Landesarbeitsgemeinschaften Hospiz ausdrücklich gegen eine gesetzliche Regelung, die Sterbehilfe ermöglicht und fordert eine stärkere finanzielle Förderung der ambulanten und stationären Hospizarbeit sowie der Palliativmedizin. Dabei erfährt die Hospizarbeit inhaltliche Unterstützung von Politik und Krankenkassenverbänden. Ein Zielgedanke der Hospizarbeit lässt sich knapp und klar benennen: Hospize haben die Aufgabe, einem Sterbenden eine lebenswerte Zeit bis zum Tod zu ermöglichen; mit der Formulierung „lebenswerte Zeit“ ist die adäquate Schmerzkontrolle und eine qualifizierte Sterbebegleitung zu verstehen. Dieses Bemühen ist keineswegs eine neue Bewegung, denn sie ist schon im Römischen Reich, also vor 2000 Jahren zu finden. Damals war die Übersetzung von Hospiz, das Wort kommt aus dem Lateinischen und wird von hospitium abgeleitet, was so viel wie Herberge und Gastfreundschaft heißt. Hier fanden die Kranken, Bedürftige und Sterbende eine Unterkunft, Hilfe und Verpflegung. In England gab es im frühen Mittelalter etwa 750 solcher Hospize, in Paris etwa 40 solcher „Stätten der Barmherzigkeit“. Nach den Kreuzzügen wurden die Hospize immer mehr von Gasthäusern und Spitälern ersetzt.

Als die Initiatoren dieser neuen Hospizbewegung sind die beiden Persönlichkeiten Lady Dr. Ciceley Saunders[9] aus England und Elisabeth Kübler-Ross, beide im Sommer 2005 verstorben, festzumachen. Für ihre Arbeit und ihr Arbeitsverständnis prägte Lady Dr. Ciceley Saunders einen wunderbaren Satz: „Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augeblick Ihres Lebens wichtig. Und wir werden alles tun, damit sie nicht nur in Frieden sterben können, sondern auch bis zuletzt leben können“! Das Grundkonzept der heutigen Hospize geht auf Jeanne Garnier und das Jahr 1842 zurück. Frau Kübler-Ross ist wohl die bedeutendste und bekannteste Sterbeforscherin, die in Bahnbrechender Weise aus der Kommunikation mit Sterbenden ein differenziertes Sterbegeschehen, das in der Regel und nach ihrem Verständnis und Erfahrungen aufgegliedert in 5 Phasen des Sterbens verläuft, beschrieben hat. Darauf möchte ich aber erst im Kapitel V, Unterpunkt „02. Die Phasen des Sterbens unter den vorausgegangen Überlegungen neu betrachten“, eingehen.

Derzeitig ist das Bemühen der Mitarbeiter in der neuen Hospizbewegung auf die Adäquatheit der Organisationsformen (Hospize, Palliativstationen oder auch die ambulanten Hospizinitiativen) ausgerichtet.

Im Hospizverständnis verstand früher im ein Gebäude, heute ist daraus eine Idee, ein Bewegung geworden, die in der alltäglichen Umsetzung ein Kraft schöpfen ermöglicht, Geborgenheit gibt und menschliche Nähe und Zuwendung erfahrbar macht. Diese Grundelemente der Hospizarbeit sorgen dafür, dass der Mensch mit seinen Wünschen und Bedürfnissen immer im Mittelpunkt steht, die Angehörigen gestützt und entlastet werden, Hinterbliebene nicht in ihrem Schmerz alleine gelassen werden und die Menschen mit den Diensten des Umfeldes des Betroffen zusammenarbeiten. Sie geben damit dem Leben der Sterbenden nicht mehr Tage, aber den Tagen deutlich mehr Leben!

Einige Hintergrundinformation über die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz e.V. möchte ich an dieser Stelle noch einbringen:

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz wurde 1992 als Dachverband der Hospizbewegung in Deutschland gegründet. Ihre Zielsetzung ist die inhaltliche und politische Weiterentwicklung und - Verbreitung der Hospizarbeit, die Wahrnehmung nationaler und internationaler Vertretungsaufgaben, die Förderung von Kooperation und Koordination der einzelnen Hospizinitiativen sowie Fortbildungs- und Öffentlichkeitsarbeit im Hospizbereich. Schirmherrin ist frühere Frau Bundesjustizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Die BAG Hospiz ist die gewählte Interessenvertretung der in ihr zusammengeschlossenen ambulanten, teilstationären und stationären Hospize sowie Palliativstationen; diese verbindet zum größten Teil über die jeweiligen Landesarbeitsgemeinschaften beziehungsweise –Verbände. Auch überregionale Organisationen wie Omega und die IGSL sind Mitglied. Seit 1997 ist Frau Gerda Graf, Pflegedienstdirektorin am St. Augustinus Krankenhaus in Düren-Lendersdorf, Vorsitzende der BAG.

Auch an der Einführung des § 39 a SGB V zur erstmals gesetzlich geregelten finanziellen Absicherung stationärer Hospize war die BAG Hospiz maßgeblich beteiligt. Weiterhin gelang es, mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Umsetzung des § 39 a SGB V zu treffen.

Vorrangiges politisches Ziel der Gegenwart ist die finanzielle Absicherung der ambulanten Hospizarbeit durch eine Ergänzung der bestehenden gesetzlichen Grundlagen. Mit der Herausgabe der Hospiz-Zeitschrift wurde erstmals ein bundesweites Forum zur Hospizarbeit geschaffen.

Zukunftsaufgabe ist es, gemeinsam mit den Landesverbänden und den örtlich organisierten Initiativen ein "Netzwerk Hospiz" aufzubauen, das auf die Bedürfnisse des sterbenden Menschen eingeht und diesem ein Sterben in Würde ermöglicht.

Quelle: Internetseite der BAG Hospiz: www.hospizbewegung.de.

02. Wann ist ein Mensch eigentlich tot?

Um etwas Licht in die Fragestellung „Wann ist der Mensch tot?“ zu bringen, und einen verantwortungsvollen und vertretbaren Positionierung für das eigene Umfeld und dem einzelnen Menschen persönlich aus ethisch-christlicher Sicht zu bringen, muss zunächst eine intensive und aktive Auseinandersetzung mit der Frage nach

dem Tod

stattfinden:

- Was ist der Tod? Trennt er Leib und Seele?
- Ist der Tod das Ende m/einer persönlichen Identität?
- Gibt es eine Hoffnung über den Tod hinaus?

Die Frage nach dem Tod ist in unserer Zeit ein Thema über das man nicht spricht. Er wird aus unserem Umfeld, unseren Wohnungen und nach Möglichkeit auch aus den Krankenhauszimmern verbannt. Darüber spricht man nicht, man schweigt ihn buchstäblich tot. Jeder Mensch weiß zwar, dass man sterben muss, nur nicht von sich selbst.

Für den bewusst existierenden Menschen sind sowohl das Sterben müssen, als auch der Tod in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen, das denkbar abscheulichste. Natürlich wird der Tod in manchen Fällen als eine „gnädige Erlösung“ gesehen und verstanden. Das sich zunehmend eine Protesthaltung gegen die Abscheulichkeit des Todes, die damit verbundene Zerstörung des Leibes und das Ende aller Beziehungen ausbildet, verdeutlicht der intensive Kampf der Naturwissenschaften gegen den Tod, der bisher nicht verhindert, wohl aber hinausgezögert werden kann. „Lebensverlängerung“ macht aber im Allgemeinen den Tod nur noch qualvoller. Ursächlich kann der Tod natürlich sein, das heißt, dass nach Ablauf der genetisch einprogrammierten, begrenzten Zahl von Zellteilungen, er von selbst eintritt. Der Tod kann aber auch unnatürliche Ursachen haben, ich weise nur auf Katastrophen, Unfälle und Gewalt hin.

Eine mögliche Definition könnte folgendermaßen lauten:

Der Tod ist der Zustand eines Organismuses nach dem irreversiblen Ausfall der Lebensfunktionen.

Der Tod ist also der Abschluss eines Alterungsprozesses, dem jedes Lebewesen schon von Geburt an unterworfen ist. Dieses menschliche Leben findet immer im Tod sein Ende, das alle Lebewesen mit ihm teilen. Er ist somit also ein genetisch vorprogrammiertes Ereignis. Grenzt man den Mehrzeller vom Einzeller ab, so kommt man zu dem Ergebnis, dass der Einzeller unter normalen Bedingungen tausende von Generationen leben könnte; sie, die Einzeller, gelten biologisch als „potentiell unsterblich“, weil bei ihnen bei der Zellteilung ein Alterungsprozess nicht erkennbar ist. Der Tod erscheint immer dann bei allem Mehrzellern, sobald sich die Zellen in vielzellige Lebewesen differenziert haben. Das Altern und Sterben beginnt nach dieser Erkenntnis bereits mit der Empfängnis, was in der Konsequenz besagt, dass das Leben den Tod schon mit sich bringt.

Für das einzelne Leben ist der Tod das Ende, eine unbedingte, unüberschreitbare Grenze. Er zeigt sich danach in einem Verwesungsprozess.

Der menschliche Tod unterscheidet sich vom Tod anderer Lebewesen m Wesentlichen dadurch, dass der Mensch in dem Bewusstsein lebt, dass er sterben wird, ergo jeder von jedem weiß, dass er eines Tages sterben wird. Wir gehen klar in unserem Denken und Handeln davon aus, dass wir ihm nicht entgehen können, sondern ihm entgegen gehen.

Der Tod ist aber nicht nur ein leiblicher Tod, sondern auch ein Tod, der jegliche Leibhaftigkeit ereilt. Dem steht die dualistische Theorie der Trennung von Leib und Seele entgegen, nach der die Seele weiter lebt; auch parapsychologische Phänomene können das existentielle Wissen um die Totalität des Todes nicht entkräften. Der Tod macht folglich deutlich, dass unser Leben ein Leben auf Endlichkeit und Begrenztheit ist, das auf alle Lebewesen direkt übertragen werden kann.

Ein erfülltes und ausgelebtes Leben lässt den Menschen zufrieden sterben (ableben), lebenssatt, sich nach dem Ende des Lebenskampfes sehnen (Genesis 25, Vers 8 „Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war, und wurde zu seinen Vätern versammelt“; Genesis 35, Vers 28+29 „Und Isaak wurde hundertundachtzig Jahre alt, verschied und starb und wurde versammelt zu seinen Vätern, alt und lebenssatt. Und seine Söhne Esau und Jakob begruben ihn“.); in unserem Denken ist ein unendlich fortgesetztes irdisches Leben undenkbar.

Rein biologisch und medizinisch gesehen ist der Tod der Ausfall von Lebensfunktionen und damit die Folge des Verlustes der im lebenden Organismus innewohnenden Systemeigenschaften, die eine biologische Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Fließgleichgewichtes sind. Der Tod ist genetisch gesehen die Voraussetzung für die Evolution aller Arten, die über die Abfolge von Generationen möglich ist. Medizinisch tritt der Tod als Folge von Krankheitsprozessen und Alterungsvorgängen auf. Man unterschiedet deshalb den

- natürlichen Tod - Krankheit und Alter als Ursache vom
- unnatürlichen Tod – Gewalt, Gift und Suizid.

Dem Tod geht das Sterben[10] voraus. Aus Sicht der Medizin leitet es sich durch den Ausfall

von drei wichtigen, miteinander verbundenen Funktionen ein:

01. Atmung
02. Kreislauf
03. zentrales Nervensystem

Daraus ergibt sich dann die Unterscheidung zwischen folgenden drei Todesarten:

- Lungentod
- Herztod
- Gehirntod

Sind die Lebensfunktionen noch vorhanden, aber bereits so schwach, dass sie nur noch mit EEG oder dem EKG nachgewiesen werden können, dann spricht die Medizin heute von einem „Scheintod“. Was ist aber, wenn die Geräte keine Anzeigen mehr erscheinen lassen? Ist der Mensch dann wirklich tot? Gibt es nicht viele Beispiele dafür, dass Menschen und Geräte sich geirrt haben?

Der Tod ist also nicht unbedingt definierbar[11], noch viel weniger definierbar ist der genaue Zeitpunkt. Die Französische medizinische Akademie definiert den Tod so: Danach darf ein Arzt einen Menschen für tot erklären, wenn die Gehirnfunktion völlig erloschen ist. Heinz Angstwurm[12] argumentiert bei der Frage nach dem Hirntod so, dass er sagt, dass das gesamte Gehirn beim Hirntod trotz intensiver, einschließlich einer maschinellen Behandlung abgestorben ist. Damit ist die notwendige und unersetzliche Grundlage für das verlorenen gegangen, was auf Erden am Menschen Geist, Person und Seele ist. Früher galten der Atem – und Herzstillstand als Tod. Heute ist zu diesem Zeitpunkt eine Reanimation möglich. So kann man die vegetativen Funktionen nach einem Hirntod apparativ noch „lange“ aufrechterhalten, obwohl der Mensch schon „lange“ tot ist. In der Transplantationsmedizin geht man heute davon aus, dass der Ausfall der Hirnströme, der durch das EEG nachgewiesen wird, zum Hirntod führt (Großhirn und Hirnstamm). An dieser Stelle setzt die Transplantationsmedizin an, die nach dem biologischen Tod, dem Hirntod, die Funktion der Organe durch einen apparativen Einsatz erhalten aufrecht kann, und sie dadurch in der Folge erhalten und verpflanzt werden können.

Das nun folgende Schaubild habe ich aus einem Heft des Arbeitskreises für Organspende, Verlag Rommerskirchen, 04.1994, mit dem Titel: Organspende, eine Gemeinsame Aufgabe auf der Seite 25 entnommen. Der Hirntod als solcher steht dabei fest, wenn nach 30 Minuten keinerlei Aktivität mehr über das EEG angezeigt wird und alle anderen Untersuchungen nichts anderes ergeben.

Der Ablauf der Hirntod-Diagnostik ist in sich sehr umfangreich, kompliziert und auch aufwändig, auch zeitaufwändig. Darum möchte ich dieses medizinische Procedere an Hand eines Schaubildes verdeutlichen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Noch einige Zahlen zum Tod als solchem möchte ich anfügen:

- Pest: 1348 -1352, in Europa 25 Millionen Tote; bei ihr kommt über die Hälfte der Bevölkerung zu Tode
- 2. Weltkrieg: 1939 – 1945, von 110 Millionen Soldaten starben 27 Millionen; 52 Millionen Menschen starben insgesamt.
- Vor 100 Jahren starben 1/7 aller Menschen am den Folgen von Tbc; das waren über 16 Millionen. In Deutschland starben 1876 12 %, im Jahre 1968 starben noch 1,2 %.
- 66 % aller Toten sterben heute an Krebs.
- Bei 4 % der Todesfälle sind Unfälle im Beruf, Verkehr und Haushalt die Ursache.
- 2 % sterben durch Suizid.
- 1 % stirbt an Altersschwäche.

Der Tod tritt aber nicht nur als Alterstod auf, sondern „überrascht“ den Menschen oft auch mitten im Leben, als natürlicher Tod, auch wenn er dem Menschen widernatürlich erscheint, sogar als bitter betrachtet wird, als furchtbare Wirklichkeit. Bezeichnend ist, dass alles Leben auf dieser Erde den Tod als Feind empfindet und erlebt und deshalb mit aller Macht und allen Möglichkeiten dagegen angeht. Kein Lebewesen ist allerdings so vom Tod gekennzeichnet wie der Mensch, denn nur er weiß darum, dass er seine Sterblichkeit nicht entfliehen kann und so stellt sich der Tod dem Menschen als der vollendete Widerspruch gegen das dem Menschen verliehene Menschsein dar. Durch den Tod wird alles das zerbrochen, worin die Menschen sich erfahren. Die relative Bestimmung versinkt im sich unterordnen müssen gegenüber der Naturgesetzlichkeit, die Kraft zu erkennen und zu gestalten weicht einer hilflosen Ohmnacht. Die Möglichkeit des miteinander zu leben wird ebenso wie die Gemeinschaft in Vertrauen und Dienst zerrissen. Der Tod ist schlechthin in allen Bereichen der Feind (Todfeind), der Zerstörer des dem Menschen von Gott gegeben Lebens und Menschseins, wird so in all seiner biologischen Natürlichkeit für den Menschen zur Unnatur. Das ist, so sagt Paul Tillich, die Ursache für die potentiell gegenwärtige „Angst des Sterben müssen“, dem Grauen vor dem Tod als eine Versetzung in das Nichtsein.

Die christliche Religion unterscheidet zwischen einem sterblichen Körper und einer darin wohnenden unsterblichen Seele. Das ist keine neue Denkweise, denn schon aus der Steinzeit gibt es Belege dafür, dass die Menschen an ein Leben nach dem Tod glaubten. Archäologische Funde beweisen, dass es Begräbnisriten und den Glauben an ein Leben nach dem Tod gab.

Um diese Aussage etwas „griffiger“ und anschaulicher zu machen, möchte an dieser Stelle die in der Geschichte dokumentierten Denkweisen stichwortartig darstellen:

- die primitiven Völker legten ihren Verstorbenen Werkzeuge, Schmuck und Speisen mit in das Grab, weil sie der festen Überzeugung waren, dass der Tod nicht das Letzte war
- bei den Ägyptern finden wir einen imponierenden Totenkult: Sie werden als Mumien „haltbar“ gemacht. Nahrung, Waffen, Geräte, Schmuck und Dienerschaft wurden dem Verstorbenen mitgegeben
- den Frauen wurden steinerne Reservetöpfe mitgegeben
- die Griechen gaben ihren Toten einen Obolus (Geldstücke) mit; er war für den Fährmann bestimmt, der den Toten über den Fluss in das Todesreich bringen sollte
- Die altiranische Religion sah den Leichnam als etwa Unreines an. Er wurde deshalb den Raubvögeln zum Fraß überlassen (siehe Sonder - Mobo 09.1000, Seite 30)
- die Germanen gaben ihren Toten Pferde mit
- bei den Wikingern schwammen die Toten in einem Schiff davon

In der christlichen Religion spielt der Tod Jesu noch eine ganz besondere Rolle, denn er hat zwei bemerkenswerte Aspekte:

1. Der Tod Jesu infolge der Kreuzigung, beruht auf der Verurteilung durch den Stadthalter [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] ein von außen zugefügter Tod und
2. eine bewusstes, personelles Tun, das auf der Erfüllung des Willen Gottes beruht [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Gehorsam gegenüber Gott (Philipper 2, Vers 8).

03. Koma - Beispiel Helga

Da ist Helga L[13]. aus Rheinland-Pfalz, eine junge Frau von 44 Jahren. Sie ist verheiratet, hat ein abgeschlossenes Studium und ist Mutter eines Kindes. Sie steigt wieder voll in das Berufleben ein, fühlt sich wohl, klagt über keinerlei körperlichen Beschwerden.

Sie schaut mit ihrem Mann gemeinsam noch eine Sportsendung, als sich das Paar trennt; Helga geht zu Bett, um noch einwenig zu lesen. Ihr Ehemann schaut noch einige Minuten fern.

Geraume Zeit später geht auch Helgas Ehemann zu Bett. Beide schlafen ein, als der Ehemann plötzlich von seltsamen Geräuschen aufgeschreckt wird. Er sieht sofort, dass seine Frau Probleme hat. Er ruft, spricht sie an und versucht verzweifelt Kontakt zu ihr zu bekommen, doch sie reagiert nicht. Er erfasst die Situation, ruft den Rettungsdienst und beginnt mit lebenserhaltenden Maßnahmen, da er erkennt, dass seine Ehefrau nicht mehr atmet. Er beatmet seine Frau, tut alles was ihm in der Aufregung als sinnvoll und lebensrettend erscheint. Nach langen und bangen 7 – 10 Minuten trifft endlich der Rettungsdienst ein. Die Situation hat sich bei Helga so zugespitzt, dass sie nun reanimiert werden muss; dem Ehemann sagte man, dass seine Frau eigentlich schon tot war, aber es mit viel Mühe gelungen ist, sie wieder in das Leben zurück zu holen. Wochen großer Sorge kommen auf die kleine Familie zu. Helga liegt im Koma, wird künstlich beatmet und es bewegt sich scheinbar nichts. Dann hat das Bangen um Helgas Leben ein scheinbares Ende, denn sie wacht aus dem Koma auf. Schon die ersten Untersuchungen machen deutlich, dass keine große Hoffnung für ein normales Leben besteht. Zu schwer sind die Schäden am Gehirn, die durch den dennoch langen Atemstillstand ausgelöst wurden. Viele Untersuchungen und Maßnahmen folgen; Helga wird zu Rehabilitationsmaßnahmen in eine Spezialklinik verlegt. Der gewünschte und erhoffte Erfolg bleibt aus. Sie bleibt in ihrem Wachzustand und somit ein Schwerstpflegefall. Bis heute ist die Situation unverändert. Helga kann zwar mühsam einige Worte sprechen, doch sie ist kaum zu verstehen. Eigene Gedanken, sofern sie sie entwickeln kann, können von ihr nicht an ihr Umfeld vermittelt werden. Alle Versuche, sie über das Malen oder Schreiben wieder in das tägliche Geschehen einzubinden, scheiterten kläglich. Sie kann sich in keiner Weise selbst versorgen, ist rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen.

Was Helga in letzter Konsequenz in und aus ihrem Leben noch wahrnimmt und noch verarbeiten kann, vermag bis zum heutigern Tag niemand wirklich zu sagen und zu beurteilen; selbst die Ärzteschaft ist an diesem Punkt sehr zurückhaltend. Helga lebt nun, nachdem sie etwas 10 Jahre bei ihrer vor kurzem verstorbenen Mutter lebte, von ihrer Familie getrennt, alleine in einem Heim. Der Ehemann hat sich schon vor Jahren einer neuen Partnerin zugewendet.

Hier ist dringend Verantwortung gefragt, christliche Verantwortung!

04. Frau Jutta B.

Frau Jutta B. ist eine Patientin mit einem apallischen Syndrom. Im „apallischen Syndrom“ ist die wichtige Verbindung vom Hirnstamm zum Großhirn gestört. Schädigungsstelle ist die Mittelhirn-Ebene.

Das Stammhirn reguliert die lebenswichtigen Grundaufgaben des Körpers wie Atmung, Kreislauf, Schlucken. Das Großhirn ist der Sitz des Bewusstseins. Dort werden alle Sinneseindrücke zu einer Gesamtwahrnehmung verarbeitet. Ein anderer Begriff dafür, wohl aber mit gleicher Bedeutung für die gleiche Erkrankung in der Medizin lautet Dezerebrationsyndrom; bei diesem Krankheitsbild spricht man in der forschenden Medizin von einer Enthirnungsstarre; damit wird der Funktionsausfall der Großhirnrinde infolge einer Anoxie (der Erstickung durch den völligen Sauerstoffmangel) des Gehirns, zum Beispiel als Koma oder schlafähnlicher Zustand mit offenen Augen, bei die der Patienten zwar wach sind, jedoch keine sinnvollen Reaktionen, wie Blickfixierung oder Spontanäußerungen leisten können; pathologische Reflexe, zum Beispiel Greifreflexe, Stellreflexe, Pyramidenbahnzeichen, Rigor (Steifheit) und Hypertonie (Hochdruckerkrankung) der Muskulatur, eventuell Streckkrämpfe, Störung der Atmung und der Temperaturregulation und Kreislauffunktion dagegen sind dabei mögliche Begleiterscheinungen. Die Hirnrinde bei Apallikern ist also inaktiv. Als eine mögliche Therapie ist eine intensivmedizinische Überwachung, evtl. Beatmung, zu beobachten. Die Prognosen sind schlecht, denn es kommt infolge Komplikationen beim Verlauf nach einem länger andauernden apallischen Syndroms entweder zu einer letalen (Schlaf) Störung oder einer Remission (gemeint ist hier ein zeitweiliges Nachlassen der Krankheitssymptome). Bei einer zunehmenden Dauer des apallischen Syndroms ist eine deutliche Verschlechterung der Prognose zu beobachten.

Einige Zahlen dazu:

Bundesweit stehen für Komapatienten zur Frührehabilitation 900 Betten zur Verfügung. Der Bedarf liegt aber fast doppelt so hoch, bei 1 500 Betten.

In den Schmieder Fachkliniken erreichten von 140 Patienten, die zwischen 3 und 5 Monaten therapiert wurden, 25% eine vollständige Unabhängigkeit wieder. 31% waren danach auf mäßige Hilfe angewiesen und 20% verblieben in weitgehender Abhängigkeit. Bei der letzten Gruppe wird das schlechte Ergebnis unter anderem darauf zurückgeführt, dass sie erst nach 13 Monaten zur Therapie kamen.

Es drängt sich die schon an früherer Stelle angerissen Frage nach dem „Wer ist gefährdet, wer kann ein apallisches Syndrom bekommen“ auf. Die Antwort ist erschreckend, fast schockierend: Jeder Mensch kann durch einen Unfall mit Gewalteinwirkung am Gehirn, durch einen Tumor, durch eine Blutung oder eine Entzündung des Gehirns samt den umgebenden Hirnhäuten (für die er eigentlich nichts kann) ein „apallisches Syndrom“ erleiden. Auch Durchblutungsstörungen des Gehirns, zum Beispiel beim Schlaganfall oder nach Wiederbelebung können dieses schwere Krankheitsbild auslösen. Dann ist die Bündelungsstelle aller Nervenbahnen im Mittelhirn außer Kraft gesetzt und entkoppelt. Die Diagnose: Mit Hilfe der so genannten Bild – gebenden - Verfahren lässt sich das Gehirn untersuchen und lassen sich mögliche Schädigungen lokalisieren. Das Elektroenzephalogramm (EEG) gibt Aufschluss über die Hirnaktivitäten.

Trotzdem bleibt die Diagnosestellung schwierig, denn die Abgrenzung von anderen Erkrankungen wie etwa dem Locked - in - Syndrom kann problematisch sein. Beim Locked - in - Syndrom ist das Bewusstsein der Patienten intakt, sie können sich jedoch mit der Außenwelt keinen Kontakt aufnehmen. Da sie in der Regel die Augen noch bewegen können, sind Äußerungen über diesen Umweg möglich. Die American Neurological Association (ANA) hat einige Kriterien zusammengetragen, die den persistant vegetative state, den anhaltenden vegetativen Zustand, kennzeichnen. Hierzu zählen:

- die Spontanatmung
- der Schlaf-Wach-Rhythmus
- die geöffnete Augen
- kein Fixieren mit den Augen
- keine eigene Kontaktaufnahme zur Umwelt
- keine sinnvolle Reaktion auf Ansprache oder Berührung

Allerdings ist die Beurteilung einer „sinnvollen“ Reaktion immer eine subjektive Angelegenheit. Ebenso problematisch ist die Interpretation, ob eine Bewegung willkürlich erfolgt oder bereits eine „eigene“ Kontaktaufnahme zur Umwelt darstellt.

Das apallischen Syndrom entwickelt seine volle Symptomatik allmählich nach einem meist länger andauernden Koma. Es erstreckt sich mitunter nur über wenige Stunden, kann aber auch Jahre anhalten. Als Faustregel gilt bislang: Je länger das apallischen Syndrom andauert, desto schlechter sind die Aussichten auf eine Besserung. Befinden sich Patient länger als drei Monate im Wachkoma, erlangen nur noch zirka zehn Prozent von ihnen wieder das Bewusstsein. Zudem sind sie danach in der Regel weiterhin auf Pflege angewiesen. Nichtsdestoweniger gibt es Berichte von Patienten, die sogar nach Jahren aufwachen. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür ist Stefan T., auf dessen Leben im weiteren Verlauf dieses Kapitels genauer eingegangen wird. Generell ist es schwierig, eine Prognose darüber aufzustellen, ob ein Patient wieder zum Bewusstsein gelangt und ob er danach eine Chance auf ein Leben ohne Behinderung und ein in der Regel selbständig geführtes Leben zu erwarten hat. Bestandteile der Behandlung von Wachkomapatienten sind zunächst die Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), mit deren Hilfe der Patient ernährt werden kann, sowie ein Blasenkatheter zur langfristigen Ableitung des Urins. Um die Atemwege frei zu halten, erhält der Patient unter Umständen zusätzlich eine Trachealkanüle. Alle diese Maßnahmen dienen dazu, sein Überleben zu sichern. Zusätzlich muss die Behandlung des eigentlichen Leidens, des Apallischen Syndroms einsetzen. Je früher sie beginnt, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Am Anfang steht die individuelle Abklärung des Rehabilitationspotenzials des jeweiligen Patienten. Menschen im Wachkoma benötigen die Unterstützung von Logopäden, Gymnasten, Ergotherapeuten und Neuropsychologen. Unter anderem geht es darum, Verständigungswege über die Körpersprache zu entwickeln oder auch technische Kommunikationshilfen einzusetzen. Alle Bemühungen des Fachs übergreifenden Therapeutenteams sind darauf ausgerichtet, den Apalliker so weit wie möglich am Leben teilnehmen zu lassen, denn inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich auf diese Weise auch Menschen mit schweren Hirnschädigungen weiterentwickeln können. Der Schweregrad der Erkrankung und die Gesamtprognose lassen sich mit Hilfe geeigneter Stimulationsmaßnahmen und Förderprogrammen positiv beeinflussen. Entsprechende Interventionen sollten möglichst schon auf der Intensivstation beginnen.

Frau B. litt an einem apallischen Syndrom. Der Tag, ehe sie erkrankte, verlief ganz ruhig und normal, kurz gesagt, so wie immer. Keinerlei Auffälligkeiten. Nachdem sie und ihr Ehemann zu Bett gegangen waren, wurde der Mann durch seltsame Geräusche geweckt. Es war seine Frau, die nicht mehr normal atmete, warum auch immer. Er griff zum Telefon, rief den Notarzt. Beim Eintreffen des Rettungsteams war, was dem Ehemann nicht bewusst war, seine Frau bereits tot. Frau B. wurde reanimiert und in die Klink gebracht. Es war sehr schnell klar, dass die wenigen Minuten, in denen das Gehirn keinen Sauerstoff bekommen hatte, schwerste Schäden erlitten hatte, irreversible Schäden. Auch intensivste Bemühungen und Therapien ließen Frau B. nicht aufwachen, nicht wieder denken und nicht mehr reagieren. Sie lag im Bett, reagierte auf Nichts und niemanden; keine Therapie schlug an, konnte nicht anschlagen, denn die Gehirnzellen waren abgestorben, buchstäblich erstickt. Nach zwei langen Jahren des Bangens und Hoffens kam für Frau B. der erlösende Tod. Ihr Ehemann und ihr 20 jähriger Sohn stellten schon die Frage nach der medizinischen Verantwortbarkeit, dem Sinn der Reanimation bei solchen, vorhersehbaren und bekannten Folgen.

In Würde Sterben, Koma und Erwachen könnte man den Fernsehfilm überschreiben, der genau diese Problematik aufnimmt. Er titelt: „Tod vor dem Sterben“ verdeutlicht. Dieser Film wurde 1975 in der ARD und auf 3 SAT ausgestrahlt; die Regie führte der Schauspieler und Regisseur Rainer Wolffhardt, der am 27.08.1927 in Hanau geboren wurde.

Worum geht es in diesem problemorientierten Film, den ich übrigens auch in Schulklassen (höhere Jahrgangstufen) zur Information und Gesprächsgrundlage eingesetzt habe:

Ein Vater holt seine Tochter (einziges Kind) mit seinem Auto vom Flughafen ab, um sie und mit ihr nach einem erfolgreichen Studium gebührend zu feiern und für den Arbeitsplatz einzustimmen. Bei einem Überholvorgang schätzt er den Gegenverkehr falsch ein und gerät mit seinem Auto zwischen einen Lastwagen und dessen Anhänger. Das Fahrzeug wird dabei eingeklemmt. Rettungskräfte müssen bei den Bergungsarbeiten das Auto aufschneiden, um die verletzte Tochter aus dem Autofrack zu befreien. Der Vater ist nahezu unverletzt, die Tochter nicht ansprechbar, reagiert nicht. Im Krankenhaus stellt sich relativ schnell heraus, dass die Hirnverletzungen so schwer sind, dass die Tochter eine Apallikerin werden wird.

Diese Problematik wird in diesem Film ausgesprochen deutlich, klar und anschaulich unter den verschiedensten Aspekten nachvollziehbar dargestellt; schwere Selbstvorwürfe, gegenseitige Vorwürfe der Ehepartner, sich entwickelnde, einschneidende Eheprobleme, willkürliche Vorwürfe an und von jeden; das klare, medizinische Erkenntnisse, Diagnosen und Therapien nicht wahrhaben wollen der betroffenen Eltern sind anschaulich dargestellt; diese Anschaulichkeit und die bewegende Berührung mit dem apallischen Syndroms, das jeden betreffen kann, wird in fast schockierender Weise dem Zuschauer so vor Augen geführt, dass es fast schon automatisch zu neuen Denkansätzen führt. Im Unterricht mit meinen Schülern haben wir nach dem Film viele gute Gespräche geführt, problemorientiert neue Überlegungen angestellt und gemeinsam versucht, eigene, verantwortungsvolle Standpunkte zu finden.

Auch das Fernsehpublikum hat reagiert. Ich möchte aber nur drei Reaktionen aus der HÖRZU Reaktionen, Nr. 40/1975 an dieser Stelle einführen, die die Problematik deutlich zeigen:

„Endlich hat jemand dieses heiße Eisen angepackt. Leben heißt leben und nicht vegetieren. Für humane Sterbehilfe muss gekämpft werden“, so Jürgen S. aus Berlin.

[...]


[1] Dr. theol. Peter Dabrock, Vorlesung WS 2002/2003, Biomedizinische Ethik in theologischer Perspektive, Marburg

[2] Dr. theol. Peter Dabrock, Vorlesung SoSe, Vorlesung, 2004, Ethik der Humangenetik, Marburg

[3] Dr. theol. Peter Dabrock, Vorlesung SoSe, Vorlesung, 2004, Ethik der Humangenetik, Marburg

[2] Dr. theol. Peter Dabrock, Vorlesung WS 2002/2003, Biomedizinische Ethik in theologischer Perspektive, Marburg

[3] Die Heilige Schrift des alten und des neuen Testamentes, Seite 2, linke Spalte, Verlag der Zwingli-Bibel Zürich, Art. Institut Orell Füssli AG, Zürich, 1942, aus dem Schöpfungsbericht

[4] Urteil des schweizerischen Bundesgerichtes vom 03.11.2006, 2A.4848/2006 und 2A.66/2006, Erwägung D.6.1; weitere Urteile als PDF - Dateien unter http://dignitas.ch/ ; weitere Texte und BG-urteil 3.11.206.pdf

[5] Fernsehsendung „Fakt ist…“ MDR, 28.07.2008

[6] Allensbach, Die Tagespost, Nr. 81, 61 Jahrgang, „Gewerbsmäßige Sterbehilfe, vom 05.07.2008

[7] Umfrage N24, Die Tagespost, Nr.95, 61 Jahrgang, „Schockierende Mehrheiten, vom 07.08.2008

[8] Hanauer Anzeiger, Von den Sterbenden lernen, vom 20.01.2009

[9] Hildegard-Hospiz Spital-Stiftung, Spezialklinik für Palliativmedizin, St. Alban-Ring 151, Postfach, CH-4020 Basel; www.hildegard-hospiz.ch; info@hildegard-hospiz.ch;

[10] Phasen des Sterbens in Interviews mit Sterbenden, Kübler-Ross, Kreuz Verlag Stuttgart, 1969

[11] Wann ist der Mensch tot? J. Hoff, J in der Schmitten, RO RO RO Verlag 1005

[12] Thema Organspende – Seite 24-, Arbeitskreis Organspende, Romerskirchen Verlag, 04.1994

[13] Helga L., wohnhaft in Rheinland-Pfalz, dem Autor persönlich bekannt

Excerpt out of 164 pages

Details

Title
Jeder Christ trägt ethische Verantwortung. Die Auseinandersetzung mit der Problematik der Organspende und der Sterbehilfe
Grade
Keine
Author
Year
2009
Pages
164
Catalog Number
V114849
ISBN (eBook)
9783640156641
ISBN (Book)
9783640156665
File size
1556 KB
Language
German
Keywords
Sterbehilfe und die rechtlichen Grundlagen, die Gradwanderung zwischen Recht und Bedürfnis, Grenzen, die Verantwortbarkeit durch die Ärzteschaft, ich war tot..., Probleme bei der Organspende, persönliche Verantwortung bei dieser Entscheidung, was uns der Glaube und die Heilige Schrift?, die Verantwortung m wissenschaftlichen Fortschritt und der Forschung, Hirntod - wirklich Tod, Christ sein und Sterbehilfe mittragen?, Verantwortung ohne ein schlechtes Gewissen zu haben
Quote paper
Religionspädagoge Günter-Manfred Pracher (Author), 2009, Jeder Christ trägt ethische Verantwortung. Die Auseinandersetzung mit der Problematik der Organspende und der Sterbehilfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114849

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