Ein Vergleich zwischen dem kontraktualistischem Verständnis vom gerechten Staat und dem Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum in der Darstellung "Die Grenzen der Gerechtigkeit"

Am Beispiel der globalen Ungleichheit


Trabajo, 2021

33 Páginas


Extracto


Inhalt

1. Einleitung:

2. Nussbaums Kritik an der Idee des Gesellschaftsvertrages
2. 1. Kritik des traditionellen Kontraktualismus
2.2. Kritik des modernen Kontraktualismus

3. Nussbaums Alternative: Der Fähigkeitenansatz
3. 1. Nussbaums Weiterentwicklung des Fähigkeitenansatzes
3. 2. Die Fähigkeitenliste von Nussbaum

4. Nussbaums Fähigkeitenansatz und globale Ungleichheit
4.1. Zehn Prinzipien für eine globale Struktur
4.2. Institutionen als Umsetzer der Zehn Prinzipien für eine Globale Struktur

5. Kritische Erörterung des Fähigkeitenansatzes von Martha C. Nussbaum für den Bereich der globalen Strukturen

6. Schlussfolgerungen und zusammenfassende Bewertung.

7. Literaturangaben

8. Annexes
8.1. Vollständige Version der Zentralen menschlichen Fähigkeiten
8.2. Vollständige Version der Zehn Prinzipien für eine globale Struktur
8.3. Annex 3: Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung

Friedrichsdorf, 12.11.2021

1. Einleitung:

In dem Buch die ‚Grenzen der Gerechtigkeit‘1 (nachfolgend mit ‚GdG‘ abgekürzt) lotet Martha C. Nussbaum (nachfolgend mit ‚MCN‘ bezeichnet) Möglichkeiten der Erweiterung des Fähigkeitenansatzes2 (nachfolgend mit FA abgekürzt). auf gerechtigkeitstheoretische Fragen aus. Dabei kritisiert sie traditionelle und gegenwärtige Vertragstheorien, weil diese die zentralen Gerechtigkeitsprobleme der Gegenwart - den gerechten Umgang mit Menschen mit (dauerhaften) Beeinträchtigungen, die Gerechtigkeit gegenüber nichtmenschlichen Tieren sowie die Ungleichheit in den globalen Lebensverhältnissen - nicht adäquat in ihre Analysen einbeziehen. Letztgenanntes Gerechtigkeitsproblem wird in dieser Hausarbeit im Vordergrund der Analyse stehen. MCN begründet den Einbezug der transnationalen Dimension damit, dass dort die Ungleichheiten moralisch gesehen alarmierend sind: „In einer Welt, in der der Einfluß des globalen Marktes und multinationaler Unternehmen die Macht und die Autonomie der Nationalstaaten in erheblichem Maße untergraben hat, sollte jede Theorie der Gerechtigkeit, […] diese Ungleichheiten […] zu konfrontieren in der Lage sein“3. In der Konsequenz stellt MCN ihre Variante des FA als Alternative vor. Dabei katalogisiert sie eine Liste der zentralen menschlichen Fähigkeiten, die bis zu einem definierten Schwellenwert gewährleistet sein müssen4. Nach diesem Verständnis des Sorgens um andere haben alle Menschen kulturübergreifend einen Anspruch darauf, ein gutes bzw. menschenwürdiges Leben führen zu können. Nur dann kann von einer gerechten einzelstaatlichen wie auch globalen Gesellschaft gesprochen werden. Die Konzeption des FAes wird von MCN im Bereich der globalen Struktur angepasst. Auf der Basis einer Analyse gegenwärtiger Ansätze des Kontraktualismus, insbesondere ihrer Kritik an John Rawls, formuliert sie ‚ Zehn Prinzipien für eine globale Struktur‘. In diesem Kontext werden im Rahmen dieser Hausarbeit folgende Fragen erörtert:

1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kontraktualismus und FA: Mit welchen Argumenten kritisiert MCN den traditionellen Kontraktualismus (Kap. 2.1. unten) und wie schätzt MCN die Theorie von John Rawls ein, der den klassischen Kontraktualismus mit Elementen der kantianischen Philosophie verknüpft und seine politischen Prinzipien mit moralischen Aspekten ergänzt hat (Kap. 2.2. unten)?
2. Welche Schlüsse für die Entwicklung ihres FAes zieht MCN aus der Analyse des Kontraktualismus (vertreten durch Rawls) und welches sind die Kernelemente des FAes von MCN (Kap. 3. und Kap. 3.1.) ?
3. Wie begründet MCN ihre ‚Zehn Prinzipien für eine globale Struktur’ und wie könnte eine Umsetzung dieser aussehen (Kap. 4.1. und 4.2.)?
4. Was sind Stärken und Schwächen des FA zur globalen Ungleichheit und welche Kritik haben ‚Rawlsianer‘ am FA von MCN formuliert? (Kap. 5) ?
5. Welche Schlussfolgerungen können daraus gezogen werden (Kap. 6)?

2. Nussbaums Kritik an der Idee des Gesellschaftsvertrages

Theorien der sozialen Gerechtigkeit sollen nach MCN5 abstrakt sein, längerfristige Stabilität besitzen und von den Bürgerinnen und Bürgern nicht allein aus Selbsterhaltungs- oder instrumentellen Gründen unterstützt werden. Aber, Theorien der sozialen Gerechtigkeit müssen auch auf gegenwärtige Fragen eingehen6. MCN führt drei aktuell ungelöste Probleme der sozialen Gerechtigkeit an: Zum einen Gerechtigkeit gegenüber Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen. Hier bedarf es einer neuen Auffassung von Bürgerschaft und des Zwecks der sozialen Kooperation. Zum anderen orientiert sich MCN an einer Ausweitung der Gerechtigkeit jenseits des Nationalstaates. Schließlich sieht sie im Umgang mit unseren nichtmenschlichen Tieren ein ethisches Problem, da Menschen Tieren Leid zufügen und sie ihrer Würde berauben. MCN behauptet, dass in diesem Kontext Fragen der Gerechtigkeit entstehen, die von Gesellschaftsvertragstheorien nicht gelöst werden können.

2.1. Kritik des traditionellen Kontraktualismus

Ausgangspunkt der Idee des Gesellschaftsvertrags (nachfolgend mit GV abgekürzt) ist der Zusammenschluss freier, gleichberechtigter, sozial ungebund-ener und im Eigeninteresse handelnder Menschen, die zu ihrem gegenseitigen Vorteil den ‚Naturzustand‘ überwinden wollen (normenbegründender GV) und um sich mithilfe des Rechts sowie sozialer Normen selbst zu regieren (normensichernder GV). Politische Prinzipien als Ergebnis eines GVes sind ein wichtiger Bestandteil in der liberalen politischen Philosophie. In diesem Zusammenhang konstatiert MCN zwei besondere Errungenschaften: Zum einen den Beweis, dass eine politische Gesellschaft, in der alle ihre eigene Macht zugunsten des Rechts und einer rechtmäßig konstruierten Autorität aufgeben, tatsächlich im Interesse der Menschen ist. Zum anderen gibt es den Nachweis, dass Menschen einem Vertrag eines bestimmten Typs zustimmen würden, auch wenn wir sie der künstlichen Vorteile, wie z. B. Wohlstand, Rang und Klasse als Grundlagen einer Ungleichverteilung sowie sozialer und politischer Macht berauben, die einige von ihnen in allen tatsächlich existierenden Gesellschaften genießen. Diese Tradition verknüpft nach MCN ein prozedurales Verständnis der politischen Gesellschaft mit Annahmen des gleichen Werts der Person sowie der Idee der Reziprozität, d. h. dass die Selbstbestimmung im Naturzustand im Falle des Vertragsschlusses durch den Grundsatz der Gleichheit und der wechselseitigen Bereitschaft zur Aufgabe unbegrenzter Freiheit ersetzt wird. Die Vertragstheorie liefert eine gute Basis des Nachdenkens über Gerechtigkeit unter Gleichen. Die Arbeit von John Rawls ist auch Teil dieser Tradition7, der diese Gerechtigkeitstheorien philosophisch weiterentwickelt hat.

MCN geht es bei ihrer Kritik am Kontraktualismus um einige sehr allgemeine Vorannahmen, die das Nachdenken über Gerechtigkeit in der westlichen Philo-sophie, in der Politik und den Debatten über die internationalen Beziehungen tiefgreifend geprägt haben8. Aufbauend auf Rawls und Hume unterscheidet sie zwischen subjektiven und objektiven Bedingungen9 der Vertragsparteien. Objektive Umstände der Vertragsparteien sind im Wesentlichen solche, die Kooperation sowohl möglich als auch notwendig machen. Subjektive Umstände der Vertragsparteien beziehen sich zum einen auf die Bedürfnisse und Interessen der jeweiligen Vertragspartner, d. h. sie ermöglichen Kooperation untereinander. Aber es gibt ggf. unterschiedliche Lebenspläne, z. B. verschiedene Religionen oder soziale und ethische Lehren. Diese können aber zu Konflikten führen. Die objektiven und subjektiven Umstände stellen für Gesellschaftsvertragstheoretiker – obwohl nur eine imaginäre Hypothese und keine historische Wahrheit - eine Beschreibung von Situationen dar, die typischerweise im Naturzustand tatsächlich auftreten. Aus diesen Verhältnissen, so MCN, sind aber alle Menschen ausgeschlossen, deren geistige und körperliche Kräfte nicht denjenigen ‚normaler‘ Menschen entsprechen10. Auch bleiben in dieser Charakteristik nichtmenschliche Tiere außen vor. Schließlich werden Nationen samt ihren Bewohnern, deren Macht und Ressourcen nicht mit denen der herrschenden Nation mithalten können, nicht berücksichtigt. Die Vertreter des Kontraktualismus sind sich dessen bewusst, halten dies aber nicht für ein ausschlaggebendes Problem für ihre Theorien, solange es um die Festlegung von grundlegenden Prinzipien geht. Außerdem analysiert MCN die Annahmen, dass die beteiligten Vertragspartner frei, gleich und unabhängig sind sowie, dass gegenseitige Vorteile das vorrangige Ziel der sozialen Kooperation darstellen11. Frei heißt in diesem Kontext, niemand besitzt eine andere Person, ergo niemand ist ein Sklave. Man kann demnach nur verlangen, die Freiheit einer Person einzuschränken, um die Freiheit einer anderen Person zu respektieren. Rawls lehnt die Idee vorpolitischer, natürlicher Rechte ab. Trotzdem ist er der Meinung, dass ein Gerechtigkeitssinn in den natürlichen Fähigkeiten der Menschen verankert ist. MCN hält die Annahme des Vorhandenseins einer natürlichen Freiheit für grundsätzlich unproblematisch. Aber sie fragt, kann ein menschliches Wesen ohne diese Fähigkeiten versklavt werden?12 Konsequenterweise bedarf es für MCN deshalb eines angemessenen Umgangs mit diesen Fragen und einer neuen Konzeption der Freiheit13. Vertragstheorien gehen davon aus, dass die Vertragsparteien sich in ihren Verhandlungen in einer Situation einer ungefähren moralischen und machtbezogenen (Ressourcen-) Gleichheit befinden, weshalb Vorteile und Hierarchien, gewonnen durch Wohlstand, Geburt, Klasse u. a. m. nicht thematisiert werden. D. h., ohne den Bezug auf die Gleichheit der Vertragspartner, bleibt unklar auf welche Weise sie den Vertrag aushandeln, warum sie einen Vertrag schließen und welche Vorteile davon erhofft werden.

MCN schlussfolgert, dass wir die in der heutigen Welt existierenden Hierarchien des Wohlstands und der Macht zwischen einzelnen Staaten nicht rechtfertigen können, weil diese ebenso künstlich sind wie die Hierarchie in der Geburt und des Eigentums, gegen die sich die Tradition des GVs ja wandte. Daraus folgt für MCN eine radikale Infragestellung nationaler Grenzen und die Forderung, grundlegende neue ökonomische Arrangements einzuführen. Denn, vorhandene Nationen sind keine virtuelle Personen, die mehr oder weniger ‚gleich‘ sind, um einen bestmöglichen kooperativen Vertrag zu schließen14. Die unterstellte Unabhängigkeit der Vertragsparteien, d.h. keine Beherrschung durch andere Individuen bzw. keine asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnisse führt bei manchen Kontraktualisten zur Annahme, dass Individuen ausschließlich an eigenen Glücksvorstellungen interessiert sind, dass jedes Individuum ähnlich unabhängig ist und es deshalb jeweils unabhängige Ausgangspunkte der sozialen Kooperation gibt. Rawls erwähnt „ein Leben lang voll kooperierende Gesellschaftsmitglieder“15. MCN moniert aber, dass Menschen, die größtenteils oder gar für ihr gesamtes Leben deutlich weniger produktive Beiträge leisten oder in einem asymmetrischen Abhängigkeitsverhältnis stehen (z. B. Kinder, ältere Menschen und Frauen) deshalb keinen Einfluss auf die Auswahl der grundlegenden politischen Prinzipien haben.16 Die Quintessenz für MCN ist, dass die Annahme der Gleichheit und Unabhängigkeit nicht ohne weiteres in die Konzeption des GVs einbezogen werden kann. Auch gegenseitige Vorteile als maßgebliches Ziel der sozialen Kooperation sind für die Vertragsparteien ein Mittel um allseitige Vorteile herzustellen, die sie ohne soziale Kooperation nicht erlangen könnten17. Altruismus spielt dabei keine Rolle.

2.2. Kritik des modernen Kontraktualismus

MCN konzentriert sich hier auf den Ansatz von Rawls, denn dieser scheint ihr „die beste Möglichkeit zu sein, sich die vertragstheoretische Tradition zunutze zu machen.“18. Sie übernimmt zentrale Ideen von Rawls: Zum einen die Idee des politischen Liberalismus, der nicht in konfliktträchtigen religiösen oder metaphysischen Prinzipien begründet ist. Zum anderen, den Gedanken eines übergreifenden Konsenses, d.h. dass Menschen mit unterschiedlichen metaphysischen und religiösen Überzeugungen den Kern der politischen Konzeption akzeptieren können. Aber auch Rawls verzichtet auf die Annahme altruistischer Motive, weil politische Prinzipien aus klar bestimmten Ausgangsbedingungen abgeleitet werden sollen.

Im Rahmen ihrer Analyse identifiziert MCN drei Formen des gegenwärtigen Kontraktualismus19: Die erste Form ist rein egoistisch, das heißt, dass moralisch aussagekräftige politische Prinzipien allein aus gegenseitigen Vorteilen abgeleitet werden.20. In der zweiten Variante steht die kantianische Idee der Fairness und der wechselseitigen Akzeptanz von Individuen im Vordergrund.21 John Rawls Theorie ist eine Mischung aus klassischem GV mit Elementen der kantischen Moralphilosophie. Alle drei Theorietypen sind prozedurale Theorien, d.h. eine faire Ausgangslage und entsprechend faire Verhandlungsergebnisse führen zu gerechten Ergebnissen22. Eine auf bestimmte Weise strukturierte ursprüngliche Entscheidungssituation ist Ausgangspunkt und deren Struktur führt zu Prinzipien, die per definitionem angemessen sind und weitere Vereinbarungen regeln23. MCN schlussfolgert daraus, dass die Fixierung dieser Theorien der Gerechtigkeit auf das rationale Eigeninteresse, das Problem körperlicher und geistiger Beeinträchtigungen nur schwer lösen kann. Für sie ist es nicht zwingend, dass nur prudenzielle Annahmen zu akzeptablen Prinzipien führen. Auch moralisch anspruchsvolle Ausgangsbedingungen ermöglichen solche oder ggf. andere Prinzipien. Bei John Rawls sind die beteiligten Parteien zwar selbst rein prudenziell, an ihrem gegenseitigen Vorteil ausgerichtet. Aber sie streben nicht nach Gerechtigkeit um ihrer selbst willen, sondern wollen nur ihre eigene Konzeptionen des Guten (ohne altruistische Bestandteile) befördern.

Die beteiligten Parteien sind bei Rawls ein Teil des zweiteiligen Modells der Person im Urzustand. Den anderen Teil, bildet der ‚Schleier des Nichtwissens‘24. Das bedeutet, die Parteien unterliegen gewissen Beschränkungen: sie kennen ihre ethnische Zugehörigkeit, ihre Klasse, ihren Geburtsort, ihr Geschlecht und ihre spezifische Konzeption des Guten nicht. Deshalb haben die Parteien eine gewisse ‚moralische Reinheit‘, ein Interesse an eigener Glückseligkeit und einen Sinn für Fairness. Dies ermöglicht die Sicherung des eigenen Vorteils unter Bedingungen, die für alle gleichermaßen fair sind. Deshalb identifiziert MCN neben kantianischen moralischen Urteilen25 auch die vertragstheoretische Tradition der gegenseitigen Vorteile als Ziel der sozialen Kooperation bei Rawls. Auf die Frage, warum Menschen einen GV miteinander abschließen sollen, ist für Rawls die Antwort aus Gerechtigkeitsliebe nicht ausreichend. Er orientiert an Gerechtigkeit erst dann, wenn das Verfahren der Zuordnung von Ressourcen bereits im Gange ist. Entscheidend ist bei Rawls doch der Verweis auf die gegenseitigen Vorteile und nicht der Verweis auf Wohlwollen, Liebe oder Gerechtigkeit. Deshalb, so MCN, ist Rawls Analyse der sozialen Kooperation durch eine Bindung an die Idee des GVes beeinträchtigt. Rawls Ausführungen über die soziale Kooperation haben im Laufe der Zeit subtile Veränderungen durchlaufen. Dauerhaft bleibt aber die Orientierung an der Kooperation um der gegenseitigen Vorteile willen. Das heißt, die Idee des gegenseitigen Vorteiles (der klassischen Vertragstheorie) hat ihren Platz in der Theorie von Rawls beibehalten, obwohl sich auch die Idee der Reziprozität von Kant bei der Wahl der Gerechtigkeitsprinzipien in der wohlgeordneten Gesellschaft als relevant erweist.26 MCN sieht zwei zentrale Unterschiede, zwischen Rawls und den Gesellschaftsvertragskonzeptionen: Einmal setzt Rawls nicht voraus, dass Menschen im Naturzustand irgendwelche natürlichen Rechte zukommen. Zum anderen bezieht Rawls sich auch auf moralische Annahmen. Z. B. ist der Schleier des Nichtwissens ein Instrument zur Sicherung moralischer Unparteilichkeit, ähnlich der Kantischen Vorstellung, eine Person nicht bloß als Mittel zu Zwecken anderer zu benutzen. Aber für Rawls bleibt auch innerhalb der Grenzen der Fairness die Idee der Gerechtigkeit an die Vorstellung gebunden, dass wir etwas gewinnen müssen, wenn wir uns für Kooperation statt für Herrschaft entscheiden. Eine zusätzliche Belastung, die eine Kooperationsverpflichtung auf jene Bürger oder Staaten ausdehnt, die nicht auf vergleichbare Weise produktiv sind und die deshalb beherrscht werden können, wird von den Vertragstheoretikern nicht akzeptiert. Im Rahmen einer Weiterentwicklung von Rawls Theorien stellt MCN deshalb, den zweiten, Rawls zufolge unabhängigen Teil seiner Theorie, die ursprüngliche Entscheidungssituation in Frage:

„Wenn wir mit der schlichten Idee beginnen, daß jeder Person >> eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit zukommt <<, >> die auch im Namen des Wohles der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann << , haben wir bereits starke Gründe dafür, Gerechtigkeitsprinzipien auszuarbeiten, die Menschen mit Behinderungen, Bürgerinnen und Bürger aller Nationen, und nichtmenschlichen Tieren […] Gerechtigkeit und Gleichheit in vollem Umfang zukommen lassen.“27

Der Schleier des Nichtwissens ist demnach zunächst ein abstraktes Modell des Altruismus. Aber eine Kombination von Selbstinteresse und Nichtwissen könne nach MCN zu ähnlichen Ergebnissen führen wie ein wohlinformierter Altruismus. Deshalb muss Rawls Theorie modifiziert werden. MCN analysiert Aspekte der ursprünglichen Entscheidungssituation bei Rawls28: Der grundsätzliche Vorrang der Freiheit ist zwar die Basis. Aber in der Theorie der Grundgüter gibt es auch die Festlegung, dass soziale Positionen anhand von Vermögen und Einkommen zu messen sind und nicht mit Bezug auf heterogene und plurale Indizes, wie etwa Fähigkeiten. Diese Festlegung von Rawls ist sein Argument für das Differenzprinzip, wonach ökonomische und soziale Ungleichheit nur dann annehmbar sind, wenn Ungleichheit für alle Gesellschaftsmitglieder vorteilhafter ist, vor allem für die relativ am schlechtesten gestellten.29 Eine solche Festlegung ist aber nach MCN für eine Theorie vom Rawlschen Typus nicht notwendig.

Rawls kantianische politische Konzeption der Person korrespondiert mit einem hohen Maß an moralischer und prudenzieller Rationalität. Er orientiert sich hier an einer ‚minimalen Größe der Fähigkeit für Gleichheit und erklärt, dass ein Minimum dieser Fähigkeit für Gleichheit hinreichend ist, aber nicht notwendig und meint sogar, dass wir gegenüber ‚Wesen ohne diese Fähigkeit‘ keine strenge Gerechtigkeit zu üben brauchen.30 MCN hält dagegen, dass für Rawls die Idee der politischen Gerechtigkeit in einem direkten Zusammenhang steht mit den Fähigkeiten Vereinbarungen einzugehen und einzuhalten. „Sicher mag es auch in jenen Fällen, wo diese Fähigkeit nicht vorliegt, moralische Pflichten geben, aber eben keine Pflichten der Gerechtigkeit“31. Die klassischen Theorien der Kontraktualisten brauchen Einkommen und Vermögen nicht als besondere Bedingungen. Sie gehen aber immer davon aus, dass Annahmen über Rationalität nötig sind und die Vertragsparteien mit jenen Citoyens, für die die Prinzipien formuliert werden, identisch sind. MCN ist sich sicher, dass Kontraktualisten auch eine Konzeption der Person entwickeln könnten, bei der Vernünftigkeit in die Bedürftigkeit und Animalität des Menschen eingebettet ist.

Folglich ist für MCN eine Revision des vertragstheoretischen Ansatzes notwendig und möglich. Die Basisannahmen gleiche Macht und gleiche Fähigkeiten sowie die Entscheidung zur Kooperation auf der Grundlage gegenseitiger Vorteile, müssen aufgegeben werden, um die neu eingebrachten Fälle zu integrieren32. Kontraktualistische Theorien sind zwar gegenwärtig die überzeugendsten Theorien der Gerechtigkeit, aber sie können auf die aktuell drängenden Probleme (z. B. transnationale Fragen) keine adäquaten Antworten geben.

3. Nussbaums Alternative: Der Fähigkeitenansatz

Das Ziel von MCN ist es in Ergänzung zu Rawls Theorie eine Vorgehensweise zu grundlegenden Fragen der Gerechtigkeit jenseits der Vertragstheorien zu entwickeln. Der von ihr vorgeschlagene alternative FA orientiert sich an einem basalen sozialen Minimum, das ein der Menschenwürde gemäßes Lebens ermöglicht. Es geht um menschliche Fähigkeiten und das was Menschen tatsächlich zu tun in der Lage sind.33. Es geht weiter „um die Bewertung der grundlegenden Vermögen eines natürlichen Wesens und um die Frage, welche dieser Vermögen von zentraler Bedeutung für sein Wohlergehen sind“34. In diesem Kontext hat im MCN ihre Liste wesentlicher menschlicher Fähigkeiten erarbeitet, die sie mit Bezug auf den Liberalismus als spezifisch politische Ziele, ohne besondere metaphysische Begründung, bezeichnet. Im Zusammenhang mit der intuitiven Idee der Menschenwürde ist MCN der Ansicht, dass diese Fähigkeiten für jede Person angestrebt werden sollen und sie als Zweck und keinesfalls bloß als Mittel zu den Zwecken anderer zu behandeln sind.35 Sie geht davon aus, dass der Schwellenwert einer jeden Fähigkeit, über den alle Bürgerinnen und Bürger gehoben werden müssen, ein Wert für sich ist und ein wirklich menschliches Tätigsein unter diesem Wert nicht mehr möglich ist. Insofern schlägt MCN nur „eine partielle und minimale Theorie der sozialen Gerechtigkeit“ vor.36 Der FA wurde ursprünglich vor allem als Alternative zu ökonomisch-utilitaristischen Theorien entwickelt, die nicht jede Person als Zweck an sich verstehen und bereit sind, die „Beförderung eines gesamtgesellschaftlichen Guts zuzulassen, dass einige Menschen zur Bereicherung anderer instrumentalisiert werden“37 können. MCN folgert: Die FA-Konzeption kann auch die Frage, „ob eine Gesellschaft gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern ein minimales Gerechtigkeitsniveau hält“38 beantworten. Eine Liste der Fähigkeiten muss deshalb separate Bestandteile enthalten, die nicht nur als Teil eines einheitlichen Gutes verstanden werden. Auch die Frage der gesellschaftlichen Ordnung darf nicht auf die Frage reduziert werden wie sich die Menschen hinsichtlich der Güterzuteilung fühlen. Es muss auch gefragt werden, was sie tatsächlich tun und zu sein in der Lage sind.39

3. 1. Nussbaums Weiterentwicklung des Fähigkeitenansatzes

Darauf aufbauend stellt nun MCN eine Liste von zehn Fähigkeiten auf, die den wesentlichen Anforderungen eines menschenwürdigen Lebens entsprechen40:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vergleichbar zu Rawls gilt auch hier, dass den politischen Prinzipien der abstrakten Idee der Würde Gestalt und Gehalt verliehen wird. Bei diesen zehn Prinzipien handelt es sich um allgemeine Ziele, die von den konkreten Gesellschaften im Rahmen ihrer Auffassung und ihrer Ansprüche näher bestimmt werden können. Die Liste definiert nicht, was ein gelungenes Leben ausmacht, sondern orientiert auf minimale Voraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens. Das bedeutet, dass auch eine Gesellschaft mit einem sehr großen Wohlstand im Falle, dass diese Fähigkeiten nicht allen ihren Bürgerinnen und Bürgern auf einem angemessenen Niveau garantiert werden, nicht als in vollem Maße gerecht eingestuft werden kann. Der FA ist keine umfassende Theorie der Gerechtigkeit41 und ist prinzipiell nie erschöpfend dargestellt. Die Liste kann also laufend weiter entwickelt werden.42 Ganz bewusst werden materielle Rechte wie Bildung oder körperliche Unversehrtheit mit Rechten auf Rede-, Gewissens- oder Versammlungsfreiheit, also ‚Pflichten der Gerechtigkeit‘ vermischt.43

3.2. Die Fähigkeitenliste von Nussbaum

Die wesentliche Annahme ist, das ein Leben ohne eine einzige dieser Fähigkeiten, kein der Menschenwürde gemäßes Leben wäre. „Die Gerechtigkeit verlangt die gesamte Menge dieser […] Ansprüche und keiner dieser Ansprüche kann einen anderen ersetzen.“44 Und dies gilt für jeden einzelnen Bürger in jedem Staat. Es ist also ein universeller kulturübergreifender und kulturrelativistischer Ansatz. Wichtig ist dabei eine (sechsfache) Achtung des Pluralismus:45

1. Die Liste ist offen, d. h. Modifikationen und Revisionen sind immer möglich.
2. Einzelne Punkte der Liste sind absichtlich abstrakt und allgemein formuliert. Das gibt Raum für eine landespezifische Bestimmung und Diskussion.
3. Die Liste dient politischen Zwecken und braucht deshalb keine metaphysische Fundierung. Es ist eine Art Modul, das Menschen unterstützen kann, die nach sehr unterschiedlichen Konzeptionen leben.
4. Da die Fähigkeiten und nicht das Tätigsein das politische Ziel sind, können Menschen auch einen für sie nicht grundlegenden Anspruch befürworten.46
5. Rede-, Meinungs- Vereinigungs- und Gewissensfreiheit sind nicht verhandelbar.
6. Die Liste ist eine Grundlage für Rechtfertigung politischer Prinzipien und kann nicht zur Legitimierung militärischer und wirtschaftlicher Sanktionen dienen.47

MCN teilt die Kritik von Rawls an den kontraktualistischen Theorien. Vor allem die Ideen der Menschenwürde und der Unverletzlichkeit der Person sind für beide zentrale intuitive Überzeugungen. Sie kritisieren alle Formen sozialer Aggregation, die die Unabhängigkeit eines jeden Lebens nicht ausreichend beachten. Beide sind gegen das Streben nach einem Gesamt- oder Durchschnittswert, der die Unterwerfung bestimmter Gruppen und Individuen einkalkuliert. Die Zunahme des Wohlergehens einer Person kann man mit dem Elend einer anderen nicht verrechnen. MCN meint deshalb, dass der FA zu einer Erweiterung der Rawlschen Theorie beitragen kann48 “.

4. Nussbaums Fähigkeitenansatz und globale Ungleichheit

MCN verfolgt mit ihrem FA kritische und konstruktive Absichten. Sie will, nachweisen, dass der FA mit dem Bezug auf die drei ungelösten Probleme, also auch für den Bereich der inter- und transnationalen Beziehungen, besser abschneidet. Es geht nicht darum, die Theorie des GVes oder Rawls aus der philosophischen Debatte zu verdrängen.49

4.1. Zehn Prinzipien für eine globale Struktur

Die starke Orientierung der Vertragstheorien auf den Nationalstaat verhindert eine Lösung der globalen Gerechtigkeitsprobleme, „die die Ungleichheiten zwischen armen und reichen Staaten und zwischen Menschen ganz unabhängig von ihrer Nationalität ins Auge fassen“50. Deshalb bestehen die Forderungen des FA in globalen Zusammenhängen aus moralischen Ansprüchen, die nur begrenzt in realen politischen Strukturen aufgehen.51 MCN hat zehn Prinzipien für eine Weltordnung bzw. globale Struktur formuliert. Diese sollen der Förderung von menschlichen Fähigkeiten in einer von Ungleichheiten geprägten Welt dienen52:

1. Die Überdeterminierung der Verantwortung: Warum einzelstaatliche Strukturen nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
2. Die nationale Souveränität sollte innerhalb der durch die Förderung der menschlichen Fähigkeiten auferlegten Grenzen respektiert werden.
3. Wohlhabende Staaten sind verantwortlich dafür, einen substanziellen Teil ihres Bruttoinlandsprodukts an ärmere Staaten abzugeben.53
4. Multinationale Unternehmen tragen die Verantwortung dafür, menschliche Fähigkeiten in jenen Regionen zu fördern in denen sie aktiv sind.
5. Die wesentlichen Strukturen der Weltwirtschaftsordnung müssen so gestaltet werden, dass sie den armen Ländern und den Entwicklungsländern gegenüber fair sind.
6. Wir sollten eine dünne dezentralisierte und dennoch starke globale Öffentlichkeit schaffen. 54.
7. Alle Institutionen und (die meisten) Individuen sollten sich auch auf die Probleme der Benachteiligten in jedem Staat und jeder Region konzentrieren.
8. Die Sorge um die Kranken, Alten, Kinder und Behinderten sollte ein wichtiger Schwerpunkt der Weltgemeinschaft sein.
9. Die Familie sollte als eine Sphäre behandelt werden, die von großem Wert, aber nicht privat ist. 55.
10. Allen Institutionen und Individuen kommt die Verantwortung zu, die Bildung als einen wesentlichen Faktor der Ermächtigung aktuell benachteiligter Menschen zu fördern.

MCN geht davon aus, dass die auf dem FA fußenden Prinzipien für eine globale Struktur folgende Bedingungen erfüllen56: Zum einen, wird durch die Förderung aller (individuellen) Fähigkeiten und die Beseitigung der strukturellen Merkmale der globalen Ungerechtigkeit jeder Person die gleiche Achtung entgegengebracht. Außerdem wird die moralische Bedeutung der (national-) staatlichen Souveränität bestätigt57. Darüber hinaus wird Gerechtigkeit in einem multiplen Beziehungsgeflecht in globalen und einzelstaatlichen Strukturen realisiert. Der notwendigen Flexibilität staatlicher Institutionen wird Rechnung getragen. Schließlich wird die Idee des gegenseitigen Vorteils durch neue Zwecke der internationalen Kooperation, nämlich die Ideen der menschlichen Entwicklung58 und Gemeinschaft, ersetzt. Auf der Basis dieser Prinzipien stützt sich MCN bei der Lösung der angesprochenen Probleme der wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen Nationen, nicht nur auf die moralischen Verpflichtungen von Individuen und Nationen sondern vor allem auf die Rolle transnationaler Einrichtungen wie Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen, Märkte oder internationale Abkommen. Es geht also um ein kompliziertes Institutionengefüge, mit oft provisorischen Verantwortlichkeiten und informellen Strukturen, weil die individuelle Pflicht menschliche Fähigkeiten zu fördern nicht hinreichend ist, um die ‚Zehn Prinzipien‘ umzusetzen.

4.2. Institutionen als Umsetzer der Zehn Prinzipien für eine Globale Struktur

MCN führt vier Gründe an, warum individuelle Pflichten zur Fähigkeitenförderung auf der zwischenstaatlichen Ebene maßgeblich institutionellen Strukturen zuzuordnen sind59: Die auf einzelstaatlicher Ebene geübte Praxis, des Aufbaus von Institutionen (z. B. das Steuer- und Strafrechtssystem), denen die Individuen unter Verzicht auf Eigeninitiative ihre (moralische) Verantwortung delegieren, kann auch international genutzt werden. Zum anderen kann eine proportionale Lastenverteilung, z. B. wie bei der Armutsminderung auf Einzelstaatsebene, über entsprechende Institutionen auch international zu einem fairen Anteilsaufkommen führen. Weiterhin können bestimmte Probleme, z. B. die Erderwärmung, effizienter und effektiver vom Staat oder Unternehmen gelöst werden, weil diese über (bessere) Prognose- oder Vorsorgeoptionen verfügen. Schließlich erwähnt MCN ‚ Den Fragenkomplex des persönlichen Lebens‘: Da Gesamt- oder Durchschnittsnutzenmaximierung mit eigennützigem Verhalten einher geht, werden Formen des Wohlergehens bestimmten Institutionen zugeordnet, um die Fähigkeiten von allen bis zu einem bestimmten minimalen Schwellenwert zu begünstigen60. Weiter diskutiert MCN einige allgemeine, die Förderung menschlicher Fähigkeiten unterstützende Prinzipien61: Zum einen haben die Gewaltenteilung in Kombination mit dem richterlichen Prüfungsrecht ebenso wie Föderalismus bzw. Dezentralisierung der Regierungsstrukturen die Fähigkeiten der Menschen besser gesichert. Unabhängige Regierungsbehörden sowie der Schutz der Fähigkeiten und Verringerung der Diskriminierung als Themenbereiche in der juristischen und verwaltungstechnischen Ausbildung sind unabdingbar. D. h., dass der FA wegen seiner in der Menschenwürde begründeten Ansprüche der Person, Strukturmerkmale politischer Ordnungen evaluieren kann.

Welche Schlussfolgerungen zieht MCN daraus? Einmal lehnt sie einen Weltstaat ab, weil dieser zu groß wäre und die gegebene kulturelle und sprachliche Diversität bedroht. Außerdem sieht sie das Risiko, dass ein Weltstaat, sollte er zum Unrechtsstaat mutieren, kaum noch Möglichkeiten der Kurskorrektur bietet, weil der oft erfolgreiche Druck von außen zur Abwendung der Tyrannei dann fehlt.62 Die institutionelle Struktur sollte deshalb begrenzt und dezentral sein. Einzelstaatliche Grundstrukturen können auch internationale Zuständigkeiten, wie z. B. die Entwicklungsfinanzierung, abdecken63. Dazu gehören auch multilaterale Institutionen, wie z. B. Handelsabkommen, internationale Gerichtshöfe, die vorhandene Palette von Nichtregierungsorganisationen und multinationale Unternehmen. MCN selbst konzediert, dass es sich dabei um ein „seltsam zusammengewürfeltes Institutionengefüge“ handelt, dass nicht einer reflektierten Deliberation geschuldet ist. Ihr Fazit lautet: „Auf der globalen Ebene sind die Forderungen des Fähigkeitenansatzes moralische Forderungen, die nicht zur Gänze in zwangsbewehrten politischen Strukturen aufgehen.“64

5. Kritische Erörterung des Fähigkeitenansatzes von Martha C. Nussbaum für den Bereich der globalen Strukturen

Im Rahmen dieser Hausarbeit kann keine vollständige, sondern lediglich eine begrenzte kritische Erörterung präsentiert werden. Deshalb wird nachfolgend neben wenigen grundlegenden Punkten, der Fokus exemplarisch auf die Diskussionspunkte der Rolle der Einzelstaaten und der Bedeutung der einschlägigen Institutionen bei der transnationalen finanziellen Unterstützung gelegt.65 Schon MCN selbst hat im Kontext der Liste der zehn Prinzipien zur globalen Gerechtigkeit einige kritische Punkte aufgeführt: Zum einen ist der Katalog der Prinzipen nicht bzw. niemals abgeschlossen. Deshalb ergeben sich viele schwierige Fragen, sobald es an die Umsetzung geht. „An dieser Stelle muß die Philosophie die Aufgabe an andere Disziplinen weiter reichen“66. Diesen Befund ergänzt MCN mit dem Hinweis, dass die von ihr präsentierten Ideen die öffentliche Politik insofern beeinflussen, dass ernstzunehmende Alternativen angeboten werden. Dies gelingt in mancherlei Hinsicht, z. B. nimmt die Evangelische Kirche Deutschlands in ihrer Studie zur nachhaltigen Entwicklung explizit auf den FA von MCN Bezug67. Ein weiteres Verdienst des FA ist, dass reflektiert wird, dass wir in einer interdependenten und nicht mehr national autonomen Welt leben, in der die Staaten (nach Rawls) vernünftige Repräsentanten freier und gleichberechtigter Völker sind, die rational handeln und ihre Entscheidungen nach angemessenen Gründen treffen68. MCN geht davon aus, dass die globalisierte Welt durch wechselseitige Verbundenheit sowie durch das Streben nach gegenseitigen Vorteilen, durch Mitgefühl und Eigeninteresse und durch eine in allen Menschen verankerte Wertschätzung der Menschenwürde zusammengehalten wird. Die Globalisierung erzwingt internationale bzw. globale Gerechtigkeitskonzepte.69 MCN kritisiert den Kontraktualismus bzw. Rawls hier, weil er das Problem der Einbeziehung von. Behinderten sowie ärmerer Länder in die Planung der Prinzipien der gerechten Gesellschaft nicht in der ursprünglichen vertragsgestaltenden Planungsphase vorsieht, sondern diese in eine spätere Phase der praktischen Politik aufschiebt:

„Zwischen der Situation ärmerer Länder und der Situation von Menschen mit Behinderungen gibt es eine erstaunliche Parallele. In beiden Fällen wird die Menschenwürde von Personen, die im vollen Sinne Menschen sind, auf der entscheidenden Stufe des politischen Vertrags nicht berücksichtigt, […] Eine solche Strategie ist im Fall von Ländern ebenso unzulässig wie im Fall von Personen.“70

Dies ist in der Problemanalyse sicher richtig. Aber sind die Lösungsvorschläge von MCN tragfähig? Das von MCN beschriebene Institutionengefüge, das wesentlich zur Bearbeitung der globalen Herausforderungen ist, hat eher den Charakter eines Postulats. Inwieweit die bei MCN nicht geordnete Auflistung von Institutionen tatsächlich mit den vier Gründen korrespondiert, warum individuelle Pflichten zur Fähigkeitenförderung auf der zwischenstaatlichen Ebene maßgeblich institutionellen Strukturen zuzuordnen sind, bleibt offen bzw. wird in den ‚Grenzen der Gerechtigkeit‘ nicht genügend reflektiert. In einer neueren Publikation hält MCN an der Ausrichtung der Umsetzung der Zehn Prinzipien für eine globale Struktur unverändert an Institutionen fest. Sie distanziert sich aber von ihrer in früheren Position gegenüber der Notwendigkeit der Entwicklungshilfe als Mittel der Förderung der menschlichen Fähigkeiten. Sie kritisiert weiterhin den utilitaristischen Ansatz der Finanzhilfen durch Einzelpersonen, weil dieser mit Demokratieproblemen und einem wohlwollenden Paternalismus sowie sektiererisch-politischer oder religiöser Agenden behaftet ist. Auf der institutionellen staatlich bi-lateralen Ebene sieht MCN nun grundsätzlich das Problem, dass „die Bereitstellung externer Mittel den politischen Willen eines Volkes schwächt, aus eigener Kraft dauerhafte und angemessene Lösungen zu finden. Hilfe aus der Ferne, besonders durch nicht-demokratische Institutionen sowie isolierte Interventionen, die einen strukturellen und institutionellen Wandel außen vorlassen, lehnt MCN ab. Sie sieht das Risiko, dass die Erfüllung moralischer Pflichten hier kontraproduktiv sein kann, da ggf. keine längerfristige Fähigkeitensicherheit entsteht, ja dass sogar die Institutionen, die diese Sicherheit befördern sollen, ausgehöhlt werden71. Der empirische Fakt, dass gerade in den ärmsten Ländern die Steuergerechtigkeit defizitär ist72, verdeutlicht die Berechtigung der von ihr geforderte Eigenverantwortlichkeit.

Ob allerdings die von ihr empfohlenen Tätigkeiten wie Berichte, Bücher und Artikel schreiben, die von politischen Bewegungen genutzt werden können oder die von der ‚Human Development and Capability Association‘ vorgenommene permanente Weiterentwicklung von Varianten des Fähigkeitenansatzes erfolgreichere Optionen darstellen, ist nicht überzeugend dargelegt. Die Erfolge der internationalen Frauenbewegung stimmen MCN (vorsichtig) optimistisch. Jedoch sollte auch festgehalten werden, dass die universelle, gleichwohl bewusst vage und unvollständige Liste MCNs lediglich als revisions- und erweiterungsbedürftiger Versuch zu verstehen ist73. Insofern ist Pogge zuzustimmen, dass es sich wohl dabei eher um einen ‚nützlichen Leitfaden‘ als um einen Maßstab eines öffentlichen Kriteriums der sozialen Gerechtigkeit handelt74. Dies trifft aus meiner Sicht auch auf die zehn Prinzipien zur globalen Gerechtigkeit insgesamt zu. Hier werden viele nützliche Dinge erwähnt, die es zu bearbeiten gilt. Aber welche globalen Probleme vorrangig zu behandeln sind, bleibt unerwähnt und es gibt keine Hinweise, wie soziale Träger der Problembearbeitung auf welcher strukturellen Ebene auch immer identifiziert werden können. Oft werden von Vertreter/innen des FA grundlegender Fähigkeiten – z. B. Gesundheit, Bildung und Wohnen – erwähnt, aber MCN lässt sich auf solche Debatten nicht ein75. Und in der Tat, ist es offensichtlich sehr kompliziert einen Konsens darüber zu erreichen, was von Menschen auf der ganzen Welt als ‚wesentlich‘ für das menschliche Leben angesehen werden könnte. So haben auch z. B. auch die Vereinten Nationen als Ziele für nachhaltige Entwicklung insgesamt 17 Kernbereiche identifiziert76. Auf der globalen Ebene bleibt MCN die Antwort schuldig, wer genau die Lasten und Verantwortung zu tragen hat, um die notwendigen Fähigkeiten zu entwickeln und diese dann in konkrete Tätigkeiten umzusetzen77.

6. Schlussfolgerungen und zusammenfassende Bewertung.

Zweifellos bietet MCN mit dem FA einen wichtigen Beitrag zur aktuellen philosophischen Gerechtigkeitsdebatte im internationalen Kontext an, weil dieser Ansatz darauf orientiert Gerechtigkeit in konkreten Gesellschaften und der internationalen Ordnung daran zu messen, ob sie in der Lage sind, die Entwicklung von wesentlichen menschlichen Fähigkeiten abzusichern. Inwieweit ihr Anspruch sich durchsetzt, dass die Politik damit auf eine weitgehende Weise beeinflusst wird, bleibt offen. Rawls und die Kontraktualisten haben mit ihrer Orientierung an der Gerechtigkeit als Produkt eines (fairen) Verfahrens eine Möglichkeit für menschenrechtsachtende Gesellschaften und internationale Strukturen entwickelt. Aber diesem Ansatz mangelt es an einem moralischen Kompass, weil das Prinzip des gegenseitigen Vorteils im internationalen und transnationalen Kontext dominant bleibt und dabei vernachlässigt wird, dass „Gruppen auf der internationalen Ebene eine Macht haben, die ihnen innergesellschaftlich nicht zugesprochen wird“78. Den Vorwurf von MCN, dass Rawls‘ Ansatz hier die individuelle Unverletzlichkeit der Person vernachlässigt besteht deshalb zu Recht.

Die Fixierung von Rawls auf den Nationalstaat wurde ja wie oben erläutert von MCN kritisiert, weil dies dazu beiträgt, dass die Ungleichheiten zwischen armen und reichen Staaten und zwischen Menschen nicht einbezogen werden. Sie fordert deshalb neue theoretische Strukturen und eine Erweiterung der Gerechtigkeit auf alle Bürgerinnen und Bürger dieser Welt. Dies gelingt nicht vollständig, weil auch MCN verlangt, dass die nationale Souveränität innerhalb der durch die Förderung der menschlichen Fähigkeiten auferlegten Grenzen respektiert werden soll (Prinzip 1). Der Nationalstaat ist auch für sie von praktischer und normativer Bedeutung, weil sie ein wirkungsvolles Instrument menschlicher Autonomie darstellt und dem politischen Willen der Menschen verantwortlich ist79. So behält ihre Forderung nach einer kosmopolitischen internationalen Politik weiter einen stark appellativen Charakter.

An dieser Stelle wird auch deutlich, dass ein Vergleich zwischen Rawls Gerechtigkeitstheorie und dem FA von großer Komplexität ist, weil der Letztgenannte sich auf eine allgemeine Metrik des Wohlbefindens (Chancen) und der Wohlstandsfreiheit (Errungenschaften) bezieht, also Handlungen und Aktivitäten, die es ermöglichen die Person zu sein, die man beabsichtigt zu sein80, während sich Rawls Theorie der Primärgüter eine ideale Theorie der politischen Gerechtigkeit81, also nicht der sozialen Gerechtigkeit im weiteren Sinne darstellt. Der Geltungsbereich von Rawls‘ Gerechtigkeitsbegriff ist begrenzt auf Bürger und Institutionen liberal-demokratischer Gesellschaften. Der FA umfasst einen Gerechtigkeitsbegriff für alle Menschen und das überall. Es geht um die Identifizierung von Ungerechtigkeiten und die Klärung wie, von wem und warum diese Fähigkeitsdefizite bearbeitet werden sollten82.

Darüber hinaus haben auch Rawlsianer den FA kritisiert, und nicht alle ihre Kritikpunkte sind ausreichend widerlegt worden. Ein Haupteinwand der Rawlsianer betrifft das sog. Publizitätskriterium, das besagt, dass die Konzeption von Gerechtigkeit öffentlich sein muss und die notwendigen Informationen, um einen Anspruch auf Ungerechtigkeit zu erheben, für alle überprüfbar und leicht zugänglich sein müssen. Rawlsianer argumentieren, dass eine Theorie der Gerechtigkeit einen öffentlichen Standard für zwischenmenschliche Vergleiche braucht, da sich sonst die erlangten Gerechtigkeitsprinzipien unter Bürgern mit unterschiedlichen Vorstellungen vom guten Leben nicht als stabil erweisen werden83. Die Vermutung ist, dass der FA als Theorie der Gerechtigkeit wenig brauchbar ist, da Fähigkeiten nur durch sehr aufwändige Art und Weise gemessen oder bewertet werden können. Schließlich glauben einige Rawlsianer, dass die Rawlsschen Prinzipien der Gerechtigkeit angepasst werden können, wenn Menschen mit Nicht-Standard-Bedürfnissen, wie z. B. Behinderte, einbezogen werden sollen, und dass dies zur Rechtfertigung einer gemischten sozialen Primärgüter/Fähigkeits-Metrik der Gerechtigkeit führen kann. Dies, so Pogge, schmälert in keiner Weise die sehr großen Beiträge, die Sen und MCN gemacht haben, um das Bewusstsein für die ökonomischen Ungerechtigkeiten zu schärfen. Aber es zeigt auch, dass diese großen Beiträge nicht den FA voraussetzen84. Diese Option ist demnach für unterschiedliche Ansätze mit vergleichbarer Zielverfolgung offen. Es ist deshalb nicht hinreichend geklärt, inwieweit der FA eine solide, einheitliche Begründung hat, auf deren Basis eine vollständige bzw. angemessene Theorie der (internationalen) Gerechtigkeit entwickelt werden könnte, die eine echte Alternative zur Rawlsschen Gerechtigkeitstheorie darstellt. Das wird schon aus dem in der Literatur benutzten Term ‚Fähigkeite nansatz ‘ statt Fähigkeiten theorie deutlich.85 MCNs FA ist personen- und ergebnisorientiert, d. h. Gerechtigkeit ist zielorientiert durchzusetzen. Das kommt einer Fähigkeitentheorie der Gerechtigkeit nahe, weil sie sich in ihrer Liste auf ein zu erreichendes Minimum, den Schwellenwerten festlegt86. Es gibt offensichtlich keine Regeln für die Verteilung der Fähigkeiten oder der Güter, die zum Schutz (erreichter) zentraler Fähigkeiten notwendig sind. Und es bleibt ungeklärt was passiert, wenn so ein Schwellenwert erreicht ist.87 Es bleibt außerdem fraglich, ob es gelingt die vorgeschlagenen Grundfähigkeiten und Grundprinzipien in den jeweiligen Nationalstaaten oder Regionen bzw. im internationalen Kontext praktisch umzusetzen. Das heißt, selbst wenn wir unterstellen könnten, dass es über das von Rawls vertretene Prinzip der Gerechtigkeit als Fairness hinaus einen mit Altruismus und an einer Konzeption des Guten angereicherten Ansatz gibt, bleibt offen in welcher zeitlichen Perspektive es eine konkrete Umsetzung geben könnte. Angesichts der Komplexität der globalen Herausforderungen verbleibt deshalb eine gewisse Skepsis. Dies auch, weil, die starke Fokussierung der Fähigkeitsliteratur auf den Bereich globaler (Armuts-) Strukturen den Blick auf die Fragen der Gerechtigkeit in wohlhabenderen Gesellschaften versperrt.

Andrerseits hat MCN sicher ihren Beitrag zu einer Richtungsänderung in der philosophischen Debatte sowie in der praktischen Politik geleistet. Gerade im Bereich der Inklusion und der Debatte um den Umgang mit (nichtmenschlichen) Tieren ist ihr Einfluss unverkennbar. Auch in der wissenschaftlichen Debatte um globale Gerechtigkeit hat MCN einen gewichtigen Platz gefunden. Broziers/Hahn bewerten den ‚aristotelischen Essentialismus‘ von MCN als „besonders wirkmächtig88 “. Mit ihrer jüngsten Analyse kommt MCN wieder auf Rawls und die Kontraktualisten zu, indem sie konstatiert, dass Nationalstaaten, die durch eine sich entfaltende staatenverbindende Moral und einige internationale Gesetze miteinander verbunden sind, sich an Menschenrechten orientieren. Rawls hat die Menschenrechte als Klasse besonders dringlicher Rechte, z. B. Abwesenheit von Sklaverei, Gewissensfreiheit und Sicherheit vor Genozid, aber auch mit dem Recht auf Leben und Sicherheit sowie auf persönliches Eigentum beschrieben. Es ist also nur eine Teilmenge der Bürgerrechte in liberalen Demokratien, aber mit universellem Anspruch. Das Völkerrecht stellt für ihn eine freiwillige Verpflichtung der Staaten in ihrer Außenpolitik dar. Insofern können Menschenrechte nur in bestimmten (Ausnahme-) Fällen auch die Funktion haben Interventionen (in Schurkenstaaten) zu legitimieren89. MCN warnt nun auch, dass frühe Internationalisten dem Völkerrecht gegenüber blauäugig waren und deren Rolle über die nationale Souveränität und menschliche Autonomie stellten. Heute geht sie davon aus, dass internationale Vereinbarungen zwar nützlich sind, aber durch innerstaatliche Ausführungsbestimmungen durchgesetzt werden müssen90. Auch die Entwicklungszusammenarbeit ist zwar moralisch angebracht, aber ihre Wirksamkeit ist empirisch zweifelhaft. Deshalb ist MCN auch hier wieder stärker auf staatliche Institutionen und deren Stabilität konzentriert. Dies hat Rawls auch schon getan und gefordert Institutionen und Verfahren einzuführen, um die Politik gegenüber den nicht-liberalen Regimen zu formulieren, z. B. den Grundsatz der verpflichtenden Hilfe gegenüber anderen Völkern, die unter Bedingungen leben, die eine gerechte und soziale Ordnung verhindern91.

Insofern kann dem Fazit von Pogge aus dem Jahre 2002, dass der FA und dabei besonders MCN viel dazu beigetragen haben, die Diskussion über soziale Gerechtigkeit voranzutreiben92, nur zugestimmt werden. Und wahrscheinlich werden die Menschen in einer globalen und interdependenten Welt durch gegenseitige Verbundenheit ebenso zusammengehalten wie durch das Streben nach gegenseitigen Vorteilen, durch Anteilnahme ebenso wie durch Eigeninteresse sowie durch eine in allen Menschen verankerte nicht hierarchisch klassifizierte Achtung der Menschenwürde93. Kurzum, auch diese Debatte ist auch im Jahr 2021 noch nicht abgeschlossen.

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8. Annexes

8.1. Vollständige Version der Zentralen menschlichen Fähigkeiten

1. Leben: Die Fähigkeit ein menschliches Leben normaler Dauer bis zum Ende zu leben; nicht frühzeitig zu sterben und nicht zu sterben, bevor dieses Leben so eingeschränkt ist, dass es nicht mehr lebenswert ist.
2. Körperliche Gesundheit: Die Fähigkeit bei guter Gesundheit zu sein, wozu auch die reproduktive Gesundheit, eine angemessene Ernährung und eine angemessene Unterkunft gehören.
3. Körperliche Integrität: Die Fähigkeit sich frei von einem Ort zum anderen zu bewegen; vor gewaltsamen Übergriffen sicher zu sein, sexuelle Übergriffe und häusliche Gewalt eingeschlossen; Gelegenheit zur sexuellen Befriedigung und zur freien Entscheidung im Bereich der Fortpflanzung zu haben.
4. Sinne, Vorstellungskraft und Denken: Die Fähigkeit, die Sinne zu benutzen sich etwas vorzustellen zu denken und zu schlussfolgern - und dies alles auf jene wahrhaft menschliche Weise, die von einer angemessenen Erziehung und Ausbildung geprägt und kultiviert wird, die Lese- und Schreibfähigkeit sowie basale mathematische und wissenschaftliche Kenntnisse einschließt, aber keineswegs auf sie beschränkt ist. Die Fähigkeit im Zusammenhang mit dem Erleben und Herstellen von selbst gewählten religiösen literarischen musikalischen etc. Werken und Ereignissen die Vorstellungskraft und das Denkvermögen zu erproben. Die Fähigkeit sich seines Verstandes auf Weisen zu bedienen, die durch die Garantie der politischen und künstlerischen Meinungsfreiheit und die Freiheit der Religionsausübung geschützt werden. Die Fähigkeit, angenehme Erfahrungen zu machen und unnötigen Schmerz zu vermeiden.
5. Gefühle: Die Fähigkeit, Bindungen zu Dingen und Personen außerhalb unserer selbst aufzubauen; die Fähigkeit, auf Liebe und Sorge mit Zuneigung zu reagieren und auf die Abwesenheit dieser Wesen mit Trauer; ganz allgemein zu lieben, zu trauern, Sehnsucht, Dankbarkeit und berechtigten Zorn zu fühlen. Die Fähigkeiten der eigenen emotionalen Entwicklung nicht durch Furcht und Ängste gehindert zu werden. (Diese Fähigkeit zu unterstützen, heißt auch, jene Arten der menschlichen Gemeinschaft zu fördern, die erwiesenermaßen für diese Entwicklung entscheidend sind.)
6. Praktische Vernunft: Die Fähigkeit, selbst eine persönliche Auffassung des Guten zu bilden und über die eigene Lebensplanung auf kritische Weise nachzudenken. (Hierzu gehört der Schutz der Gewissens- und Religionsfreiheit.)
7. Zugehörigkeit:

A. Die Fähigkeit, mit anderen und für andere zu leben, andere Menschen anzuerkennen und Interesse an ihnen zu zeigen, sich auf verschiedene Formen der sozialen Interaktion einzulassen; sich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen. (Der Schutz dieser Fähigkeit erforderten den Schutz jener Institutionen, die diese Form der Zugehörigkeit konstituieren und fördern sowie die Versammlungs- und Redefreiheit.)

B. Über die sozialen Grundlagen der Selbstachtung und der Nichtdemütigung zu verfügen; die Fähigkeit, als Wesen mit Würde behandelt zu werden, dessen Wert dem anderer gleich ist. Hierzu gehören Maßnahmen gegen die Diskriminierung auf der Grundlage von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Kaste, Religion und nationaler Herkunft.

8. Andere Spezies: Die Fähigkeit in Anteilnahme für und in Beziehung zu Tieren Pflanzen und zur Welt der Natur zu Leben.
9. Spiel: Die Fähigkeit zu lachen, zu spielen und erholsame Tätigkeiten zu genießen.
10. Kontrolle über die eigene Umwelt

A. Politisch: Die Fähigkeit wirksam an den politischen Entscheidungen teilzunehmen, die das eigene Leben betreffen, ein Recht auf politische Partizipation, auf Schutz der freien Rede und auf politische Vereinigung zu haben.

B. Inhaltlich: Die Fähigkeit Eigentum (an Land und an beweglichen Gütern) zu besitzen und Eigentumsrechte auf der gleichen Grundlage wie andere zu haben; das Recht zu haben, eine Beschäftigung auf der gleichen Grundlage wie andere zu suchen; vor ungerechtfertigter Durchsuchung und Festnahme geschützt zu sein. Die Fähigkeit, als Mensch zu arbeiten die praktische Vernunft am Arbeitsplatz ausüben zu können und in sinnvolle Beziehungen der wechselseitigen Anerkennung mit anderen Arbeitern treten zu können.

Quelle: GdG, S. 112-114

8.2. Vollständige Version der Zehn Prinzipien für eine globale Struktur

1. Die Überdeterminierung der94 Verantwortung warum einzelstaatliche Strukturen nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Insofern sie mit Kompetenz und Integrität geführt werden, können die meisten Staaten viele oder fast alle der menschlichen Fähigkeiten bis zu einem vernünftigen Schwellenwert selbst fördern. Wie Amartya Sen immer wieder betont können Hungersnöte durch ein achtbares System rechtlicher Ansprüche zusammen mit einer freien Presse und politischer Demokratie vermieden werden. Ich habe den Gebrauch, den Rawls von Sens Theorie macht, kritisiert, nämlich die Verpflichtung reicherer Länder zu leugnen, ärmeren Ländern ökonomische Hilfe zukommen zu lassen. Wenn die Verringerung globaler Ungleichheiten eine Forderung der Gerechtigkeit ist, dann ist dieser Forderung nicht genüge getan, wenn es armen Ländern gelingt, die Fähigkeiten selbst zu fördern - ebenso wie im einzelstaatlichen Kontext die Gerechtigkeit eine Umverteilung verlangt, selbst wenn findige arme Familien es schaffen können, sich eine minimal akzeptable Existenz zu erkämpfe. Wir können festhalten, daß es ungerecht ist, daß arme Länder gegen höhere Hindernisse als reiche Länder kämpfen müssen, um ihren grundlegenden Verpflichtungen nachzukommen, ohne uns auf ein bestimmtes Verteilungsprinzip, wie etwa das Rawlsche Differenzprinzip, festzulegen, denn dies folgt bereits aus unserer Idee eines sozialen Minimums, wie es durch den Fähigkeitenschwellenwert zum Ausdruck gebracht wird. Dennoch kann man erst einmal fordern, daß die jeweiligen Länder alles tun was in ihrer Macht steht. Wenn wir der Struktur der Weltwirtschaft Verantwortung zuschreiben, bedeutet das nicht, daß wir die einzelstaatlichen Strukturen aus der Verantwortung entlassen. Wenn die Fähigkeiten dadurch überfüllt werden, umso besser.
2 . Die nationale Souveränität sollte innerhalb der durch die Förderung der menschlichen Fähigkeiten auferlegten Grenzen respektiert werden. […] Im allgemeinen ist die gewaltsame Intervention nur unter ganz bestimmten Bedingungen gerecht; internationale Verträge und Abkommen können ebenfalls eine Art Zwang ausüben, wie ich etwas weiter unten anhand des sechsten Prinzips zeigen werde. Überzeugung und auf Überzeugung abzielende Formen der finanziellen Unterstützung sind immer eine gute Idee. das führt uns zum nächsten Prinzip.
3. Wohlhabende Staaten sind verantwortlich dafür, einen substanziellen Teil ihres Bruttoinlandsprodukts an ärmere Staaten abzugeben. Den reichen Ländern der Erde kommt die Verantwortung zur Förderung der menschlichen Fähigkeiten ihrer eigenen Bürgerinnen und Bürger zu, wie sie im ersten Prinzip formuliert wird. Sie haben aber außerdem eine darüber hinaus reichende Verantwortung. In einer Welt, in der so viele Menschen in den Genuss von Luxusgütern kommen, die keine elementaren menschlichen Bedürfnisse befriedigen und in der eine ungleich größere Zahl von Menschen nicht einmal ihren grundlegenden Bedürfnissen Genüge tun können, wäre es nicht rechtfertigbar, wenn eine in den Prinzipien der wechselseitigen Kooperation und der Achtung der Menschenwürde begründete Weltordnung sich nicht auf erhebliche Umverteilungen festlegen würde. Von reicheren Ländern kann man vernünftigerweise erwarten, daß sie sehr viel mehr geben, als das gegenwärtig der Fall ist, um ärmeren Ländern zu helfen: Obwohl es sich um einen willkürlichen Wert handelt, kämen 2% des Bruttoinlandsprodukts dem, was moralisch gefordert ist bereits nahe. (Die Vereinigten Staaten wenden gegenwärtig 0,02% des BIP für die Entwicklungshilfe auf, die europäischen Staaten deutlich weniger als ein Prozent, auch wenn manche, wie Dänemark und Norwegen sich diesem Wert annähern.) Über die genauen Zahlen lässt sich hier streiten, nicht aber über das allgemeine Prinzip.

Weniger eindeutig ist die Antwort auf die Frage nach der Art der Hilfe: Sollte sie in erster Linie Regierungen oder auch NGOs zugutekommen? Auch diese Entscheidung muß kontextabhängig getroffen werden; sie sollte sich aber nach dem allgemeinen Prinzip richten, daß wenn das Empfängerland demokratisch ist, seine nationale Souveränität nicht untergraben werden darf und die Hilfe zudem auf effektive Weise geleistet werden sowie die auf der Liste zusammengestellten Fähigkeiten respektieren muß. Wenn ein demokratisches Land ernsthaft Probleme mit Korruption in Regierungskreisen hat, kann dies dafür sprechen, die Hilfe vermittelt durch NGOs und nicht durch die Regierungen zu leisten. Auch der unfaire Umgang mit benachteiligten Minderheiten könnte ein Grund sein, die entsprechende Regierung zu umgehen. […] Effizienzerwägungen, die Förderung der Fähigkeiten unserer Liste und auch die spezifische Sorge um benachteiligte und ausgeschlossene Personen und Gruppen sprechen dafür, Organisationen zu fördern die die Bildungsmöglichkeit von Frauen und anderen vernachlässigten Gruppen verbessern möchten.

4. Multinationale Unternehmen tragen die Verantwortung dafür, menschliche Fähigkeiten in jenen Regionen zu fördern in denen sie aktiv sind. Bis heute ist das Verständnis des zwecks von Unternehmen durch das Profitstreben geprägt. Das hat Unternehmen jedoch nicht davon abgehalten, in ihren Heimatländern relativ viel Geld für wohltätige Zwecke auszugeben. Ein allgemein akzeptierter Standard der moralischen Verantwortlichkeit existiert allerdings nicht. Deshalb muß zur neuen Weltordnung ein klares öffentliches Bewusstsein dafür gehören, daß ist ein wesentlicher Aspekt anständigen Wirtschaftens ist, einen substantiellen Teil der eigenen Gewinne für die Förderung der Bildung und des Umweltschutzes in den Regionen einzusetzen, in denen das Unternehmen seinen Geschäften nachgeht. Hierfür sprechen auch gute Effizienzargumente, etwa daß Unternehmen mit stabilen und gut ausgebildeten Arbeitskräften erfolgreicher sind. Zudem führt Bildung zu mehr politischem Engagement, das von zentraler Bedeutung für das Funktionieren von Demokratien ist, und auch politisch stabile Bedingungen sind von Vorteil für Unternehmen. Diese Argumente sind jedoch nur ergänzend zu einer allgemeinen öffentlichen Überzeugung gedacht, daß derartige Fördermaßnahmen vom Anstand geboten sind. Zugleich sollten Unternehmen bemüht sein gute Arbeitsbedingungen zu fördern, die über das von lokalen Gesetzen geforderte hinausgehen.

Bis zu einem gewissen Grad lassen sich Unternehmen durch die einzelstaatlichen Gesetze eines jeden Landes kontrollieren. Das Problem besteht jedoch darin, daß alle Länder versuchen für Unternehmen attraktiv zu sein, und daß es deshalb manchmal zu einer Art Unterbietungswettbewerb kommt, in dem jedes Land aus Konkurrenzgründen bestrebt ist, möglichst billige Arbeitskraft und die Unternehmen nicht belastende Umweltrichtlinien anzubieten. Unter diesen Umständen muß die Hauptlast der Verantwortung von den Mitgliedern der Unternehmen selbst, von ihren Anwälten und, was sehr wichtig ist, von ihren Kunden getragen werden, die auf die Unternehmen Druck ausüben können, damit sie ihre Aufgaben besser erfüllen als bisher.

In manchen Fällen wird ein Unternehmen oder ein unternehmensähnliches Gebilde mit besonderen Verantwortlichkeiten konfrontiert sein, die sich aus seinem Tätigkeitsbereich ergeben. So kommt Pharmaunternehmen heute eine besondere Verantwortung zu, zur Lösung der globalen AIDS-Krise beizutragen, indem sie ihre Produkte in den am stärksten betroffenen Ländern zu bezahlbaren Preisen auf den Markt bringen und indem sie zum Aufbau eines Gesundheitssystems beitragen, das dazu in der Lage ist, diese Medikamente auch zu verteilen. Auch hier ist der Konsument einer der wichtigsten Akteure bei der Einforderung der dieser Verantwortung entspringenden Verpflichtungen, und somit sind wir wieder bei der individuellen Verantwortung: Die Individuen müssen Druck auf die Unternehmen ausüben, damit diese der ihnen aus ethischer Perspektive bereits zugewiesenen Verantwortung auch gerecht werden.

5. Die wesentlichen Strukturen der Weltwirtschaftsordnung müssen so gestaltet werden daß sie den armen Ländern und den Entwicklungsländern gegenüber fair sind. Daß viele Staaten ihre eigene Bevölkerung selbst ernähren können, bedeutet nicht, daß es fair ist, wenn manche Staaten mit zusätzlichen Hindernissen konfrontiert sind. Was genau aus diesem Prinzip folgt, ist eine Frage, die unter Ökonomen umstritten ist und wohl auch noch lange umstritten bleiben wird. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, daß die Funktionsweise des IWF95 und verschiedene globale Handelsabkommen nicht in ausreichendem Maße von einer gewissenhaften ethischen Reflexion über diese Fragen angeleitet ist. Die Weltbank hat ethischen Fragen und dem Problem der Armut in der jüngsten Vergangenheit etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt und diese Entwicklung scheint vorläufig anzuhalten. Zum Teil haben wir es hier mit einem Problem zu tun, das in jeder bürokratischen Struktur zu finden ist: die am besten durchdachte Normen scheinen zu kompliziert als daß sich aus ihnen klare Politik Vorgaben ergeben, die von den Bürokraten dann nur noch in die Praxis umgesetzt werden müßten. Zum Teil hält sich jedoch auch der hartnäckige Eindruck, daß ethische Normen zu >>weich<< und daher für die zu harten politischen Entscheidungen gezwungenen Akteure nicht interessant sind. Die Weltgemein-schaft muss auf diese Institutionen weiterhin Druck ausüben, da Protest bisher eine entscheidende Rolle dabei gespielt hat, die Stimmen der Benachteiligten überhaupt erst hörbar zu machen. Insbesondere im Bereich des Welthandels stellen Proteste und öffentlicher Druck vermutlich die einzigen Mechanismen dar, mit Erfolg auf akut relevante moralische Normen aufmerksam zu machen.
6. Wir sollten eine dünne dezentralisierte und dennoch starke globale Öffentlichkeit schaffen. Zwar sollten wir keinen Weltstaat anstreben, aber es gibt keinen Grund, warum ein dünnes globales Regierungssystem, das zumindest über eine gewisse Zwangsgewalt verfügt, nicht mit der Souveränität und der Freiheit der einzelnen Nationen vereinbar sein sollte. Zu diesem System sollte ein internationaler Strafgerichtshof gehören, wie er inzwischen etabliert worden ist, der sich mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen befaßt. Des Weiteren globale Umweltrichtlinien mit denen entsprechenden Durchsetzungsmechanismen sowie eine Besteuerung der Industrienationen des Nordens, die die Entwicklung von Schadstoffkontrollen im Süden unterstützen soll; globale Richtlinien für den Handel, deren Ziel es wäre, die bisher unkontrollierte Kraft der Globalisierung zu zähmen und auf die moralischen Zwecke der menschlichen Entwicklung auszurichten, wie sie auf der Fähigkeitsliste dargelegt werden; globale Arbeitsrichtlinien sowohl für den formellen als auch für den informellen Sektor sowie Sanktionen für Unternehmen, die sich nicht an sie halten; eine begrenzte Form der globalen Besteuerung, die Transfers von den reicheren an die ärmeren Ländern bewirken würde (wie die globale Ressourcensteuer die von Thomas Pogge vorgeschlagen wird); und schließlich eine Reihe internationaler Übereinkommen und Verträge, die sobald sie von den einzelnen Staaten ratifiziert werden, durch Rechtsprechung und Gesetzgebung in die nationalen Rechtssysteme integriert werden können. Bereits existierende globale Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation, die Internationale Arbeitsorganisation das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, die UNICEF und die UNESCO können hier alle eine wichtige Rolle spielen, aber wir sollten die gegenwärtige Struktur dieser Institutionen nicht als die endgültige Lösung begreifen, da in vielen Fällen bereits neue Institutionen entstanden sind um mit neuen Problemen umzugehen.
7. Alle Institutionen und (die meisten) Individuen sollten sich auch auf die Probleme der Benachteiligten in jedem Staat und jeder Region konzentrieren. Wie bereits erwähnt, geht mit der nationalen Souveränität, auch wenn sie einen moralischen Wert hat, die Gefahr einher, daß die Situation von Frauen und anderen benachteiligten Gruppen innerhalb der einzelnen Staaten vor Kritik und Veränderung bewahrt wird. Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft als ganzer sollte daher immer auf die Situation der Menschen (wer immer sie sind und zu jeder Zeit) gerichtet sein, deren Lebensqualität gemessen an der Fähigkeitenliste besonders niedrig ist; das gilt nicht nur für die Institutionen, sondern für alle Individuen, die nicht selbst unter außergewöhnlichen Belastungen zu leiden haben. (Angehörige benachteiligter Gruppen haben zwar immer wieder in der äußerst kreativer sie eine Rolle bei der Mobilisierung globalen Handels gespielt, wenn etwa die internationale Frauenbewegung zeigt, aber dennoch scheint mir die Pflicht zur Lösung gravierende Probleme primär denen zuzukommen, die erleben nicht unter beklagenswerten Umständen führen müssen.) Zwangsbewerte Sanktionen werde nur in manchen Fällen angemessen sein. Dennoch sollte uns die Tatsache, daß wir anspruchsvolleren Norman rechtfertigen können, dazu anspornen, weitere Überzeugungs-arbeit zu leisten und die Menschen politisch zu mobilisieren; solche Bemühungen haben etwa zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau geführt. Selektive finanzielle Unterstützung kann viel dazu beitragen, den Lebensstandard diese Menschen und Gruppen zu verbessern.
8. Die Sorge um die Kranken, Alten, Kinder und Behinderten sollte ein wichtiger Schwerpunkt der Weltgemeinschaft sein. Die Notwendigkeit der Pflege von Menschen, die auf andere angewiesen sind, stellt angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung und von immer mehr Menschen, die mit AIDS leben, ein zunehmendes Problem dar. Im dritten Kapitel habe ich bereits die Probleme der Geschlechtergerechtigkeit diskutiert, die sich aus der gegenwärtigen mangelhaften Organisation der Fürsorge ergeben. Staat, Arbeitsplatz und Familie müssen umgestaltet werden, damit der Bedarf an Pflege gedeckt werden kann, ohne dass das Wohlergehen und die Ansprüche von Frauen eingeschränkt werden. Auch diese Aufgabe erfordert sowohl einzelstaatliche als auch internationale Anstrengungen, und auch hier kommt den reicheren Ländern Die Pflicht zu, den ärmeren zur Seite zu stehen, indem sie etwa Infrastrukturen der Krankenpflege und des Gesundheitswesens entwickeln die benötigt werden um die AIDS- Krise zu bewältigen.
9. Die Familie sollte als eine Sphäre behandelt werden, die von großem Wert, aber nicht privat ist. Die Gesellschaftsvertragstheorien haben die Welt lange genug in eine >>öffentliche<< und eine private Sphäre unterteilt und die Familie für gewöhnlich als einen der politischen Gerechtigkeit entzogenen Bereich verstanden. Rawls‘ lange und gewundene Auseinander-setzung mit dieser Frage zeigt, wie schwierig es selbst für den reflektiertesten Vertreter dieser Tradition ist, das Problem der Ungleichheit an Ressourcen und Chancen innerhalb der Familie anzugehen. Die Weltgemeinschaft sollte die individuellen Freiheiten der Menschen schützen, und das beinhaltet das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen, aber auch weitere damit zusammenhängende Rechte, wie das elterliche Recht, die eigenen Kinder betreffende Entscheidungen selbst zu fällen. Der Schutz der menschlichen Fähigkeiten der Familien-angehörigen sollte jedoch immer Vorrang haben. Millionen von Mädchen sterben aufgrund von Vernachlässigung oder mangelnder Ernährung und Fürsorge, und der Tod ist nicht auf Verfolgung oder Diskriminierung doch einen Staat zurückzuführen, sondern darauf, daß ihre Eltern nicht ein weiteres weibliches Familienmitglied durchfüttern (und eine weitere Mitgift bezahlen) wollen und daß der Staat nicht genug getan hat, um ihr Leben zu schützen. Die Weltgemeinschaft reagiert nur sehr langsam auf das Problem der diskriminierenden Behandlung von Mädchen und Jungen, gerade weil das Zuhause sowohl im westlichen als auch in nicht westlichen Traditionen als unverletzliche Sphäre persönlicher Entscheidungs-freiheit verstanden worden ist. Eine neue Einstellung zur Familie zu finden, die sowohl die Vereinigungsfreiheit respektiert als auch die Fähigkeiten der Kinder schützt, sollte eine vorrangige Aufgabe der globalen Öffentlichkeit wiederöffnen Debatte in jedem Einzelstaat sein.
10. Allen Institutionen und Individuen kommt die Verantwortung zu, die Bildung als einen wesentlichen Faktor der Ermächtigung aktuell benachteiligte Menschen zu fördern. Bildung hat eine Schlüsselfunktion für alle menschlichen Fähigkeiten, und wie wir gesehen haben, gehört sie zu den Ressourcen, deren globale Verteilung ein besonderes Maß an Ungleichheit aufweist. In fast allen Fällen können die nationalen Regierungen viel mehr unternehmen, um Bildung zu fördern, als sie das gegenwärtig tun; aber auch Unternehmen, NGOs (die unter anderem durch individuelle Spenden und die Entwicklungshilfegelder der Regierungen finanziert werden) und die globale Öffentlichkeit (durch internationale Aufrufe und Foren) bleiben hinsichtlich der Förderung allgemeine Primär- und Sekundärbildung weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Nichts ist für die Demokratie, den Genuß des Lebens, Gleichheit und Mobilität innerhalb eines Landes und wirksames politisches Handeln über dessen Grenzen hinweg von größerer Bedeutung. Dabei sollte Bildung nicht allein als Bereitstellung nützlicher technische Fertigkeiten verstanden werden, sondern auch und vor allem als allgemeine Ermächtigung der Person durch Wissen, kritisches Denken und Einbildungskraft.

Quelle: GdG, S. 430-440

8.3. Annex 3: Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: https://www.un.org/Depts/german/millennium/SDG%20Bericht%202020.pdf [abgerufen am 26. 04. 21]

[...]


1 Hier wird die deutsche TB-Ausgabe‚ Martha C. Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit. Behinderung, Nationalität und Spezieszugehörigkeit; Berlin; 2018 (2. Unveränderte Auflage der deutschen Übersetzung aus dem Jahr 2010) zugrunde gelegt. [Die Originalausgabe: Frontiers of Justice. Disability, Nationality, Species Membership <President and Fellows of Harvard College>, 2006].

2 Der Fähigkeitenansatz (Englisch „Capability Approach“) wurde von Amartya Sen im ökonomischen Bereich entwickelt und von MCN dann philosophisch weiterentwickelt. Aus Platzgründen wird hier auf eine vergleichende Diskussion von Sen und MCN verzichtet. Vgl. dazu Robeyns, 2011, 2016; Schink, 2019, Jaeger, 2017, S. 114 sowie Reigl, 2013.

3 GdG, S. 311.

4 Vgl. GdG, S. 112-114; Vgl. auch Nussbaum, 2020, S. 304-306.

5 Die auf MCN bezogenen Ausführungen orientieren sich in diesem Kapitel, soweit nicht anders vermerkt, auf GdG, S. 13 -102. Zur Vertragstheorie im Kontext sozialer Gerechtigkeit vgl. auch Broszies/Hahn, 2010, S. 18-26; Ebert, 2015, S. 124-130 und Jaeger, 2017, S. 71-91.

6 MCN nennt ein Beispiel: Gerechtigkeitstheorien der westlichen Tradition haben weder den von den Frauen erhobenen Forderungen nach Gleichheit noch den zahlreichen Hindernissen, die dieser Gleichheit im Wege stehen, die notwendige Beachtung geschenkt. Auch Rawls Behandlung dieser Frage hat nach Nussbaum ihre Schwächen; vgl. GdG, S. 13-16. Nussbaum unterscheidet dabei zwischen der politischen Sphäre und der Sphäre der persönlichen Wertvorstellung der Menschen; vgl. dazu ebd., S. 423-424.

7 Der Gesellschaftsvertrag ist bei Rousseau nicht ein Vertrag zwischen unabhängigen Individuen, sondern er betont die Relevanz des Gemeinwillens, d. h. individuelle Freiheit hat nur wenig Aufmerksamkeit. Ein (nicht liberaler) Vordenker dieser Tradition des Gesellschaftsvertrags ist mit seiner Souveränitätstheorie Thomas Hobbes, dem gegenwärtig, insb. bei David Gauthier, eine Bedeutung zugemessen wird. Aber MCN geht nur auf Vertreter ein, bei denen die Vertragstheorie viel Aufmerksamkeit bekommt. Eine Ausnahme ist David Hume: er ist kein Kontraktualist, aber Rawls greift bei seiner Analyse der Anwendungsverhältnisse der Gerechtigkeit auf ihn zurück. Vgl. GdG, S. 48-49; und S.131-132.

8 Vgl. ebd., S. 49.

9 (1) Die Betroffenen sollten in einem geographischen Gebiet Leben.
(2) Die körperlichen und geistigen Kräfte sind in etwa gleich, d.h., keine Person beherrscht eine andere.
(3) Die Beteiligten sind verletzbar durch feindliche Angriffe und
(4) die vereinte Kraft aller anderen, kann die Anstrengung eines jeden zunichtemachen.
(5) Es herrscht die Bedingung der ‚mäßigen Knappheit‘, d. h. Ressourcen sind weder so reichlich vorhanden, dass Kooperationen überflüssig werden, noch sind die Bedingungen so hart, dass sinnvolle Unternehmungen scheitern müssen. Vgl. GdG, S.50; Vgl. auch Rawls, 1999, S. 109-112.

10 Mögliche Defizite – z. B. unterschiedliches Wissen oder Urteilsvermögen – liegen für Rawls „im Bereich des Normalen“. Vgl. GdG, S. 50-51. Rawls hält fest: „I shall assume that everyone has physical needs and psychological capacities within the normal range, so that the questions of health care and mental capacity do not arise. Besides prematurely introducing matters that may take us beyond the theory of justice, the consideration of these hard cases can distract our moral perception by leading us to think of persons distant from us whose fate arouses pity and anxiety.” Rawls, 1999, S. 84-85.

11 Vgl. GdG, S.48-61 sowie 127-132

12 Auch die Versklavung von Tieren wird bei diesen Theorien nicht problematisiert. Und das, obwohl Bentham einen Vergleich zwischen dem Umgang mit Tieren und der Sklaverei schon zu Kants Lebzeiten veröffentlicht hat.

13 „Dennoch wird hier ein Verständnis von Freiheit vorgeschlagen, dass sich auf subtile Weise von jedem der kontraktualistischen Tradition unterscheidet: Der Fähigkeitenansatz betont die tierischen und materiellen Grundlagen der menschlichen Freiheit und nimmt außerdem von einer größeren Anzahl von Lebewesen an, dass sie zur Freiheit fähig sind.“ GdG, S. 128. Robeyns spricht von einer „notion of positive freedom or substantive opportunity freedom”. Robeyns, 2009, S. 44-45

14 Vgl. GdG, S.56-57.

15 Rawls, 1999, S. Xiii

16 Außerdem werden wichtige Themen der sozialen Gerechtigkeit, z. B. Fragen der Allokation von Fürsorge und Pflege und der damit verbundenen Arbeit, der sozialen Kosten sowie eine Förderung der Einbeziehung von Personen mit Behinderungen nicht in die Vertragskonstruktion einbezogen. Rawls involviert zwar die ‚künftige[n] Generationslinien‘, aber im „Urzustand verzichtet er jedoch auf jede weitere Einschränkung der Annahme einer gegenseitigen Gleichgültigkeit“. GdG, S. 58. „Nussbaum möchte das Desinteresse im Menschenbild der Kontraktualisten durch Fürsorge und Wohlwollen ersetzen […]. Jaeger, 2017, S. 136.

17 Bei den gegenwärtigen (z. B. David Gauthier) wie auch bei den klassischen Vertretern (z. B. Locke und Hobbes) des Kontraktualismus, spielt der Altruismus überhaupt keine Rolle. Hier geht es immer nur um einen erhofften Vorteil für das eigene Wohlergehen, zu dem man bereit ist auf einen anderen Vorteil zu verzichten. Für sie gibt es keine Neigung zur Gerechtigkeit um ihrer selbst willen, und keine intrinsisch motivierte, nicht instrumentelle Sorge um das Wohlergehen anderer. Vgl. GdG, S. 59 sowie Ebert, 2015, S. 124-130

18 GdG, S. 87. Die Frage, ob der Fähigkeitenansatz insgesamt der Theorie von Rawls vorzuziehen ist, wird hier von Nussbaum nicht diskutiert. Vgl. dazu auch Holst, 2010, S. 7.

19 Vgl. GdG, S. 84-103

20 Als Beispiel diskutiert sie kurz David Gauthiers politische Theorie; der in ‚ Morals by Agreement ‘ davon ausgeht, dass die Vertragsparteien Stellvertreter wirklicher Menschen sind und dass der Zweck der sozialen Kooperation sowohl für die wirklichen Menschen als auch für die Vertragsparteien in gegenseitigen Vorteilen (hier Eigentum und die eigene Sicherheit) besteht. In diesem Fall werden vernünftige Gerechtigkeitsprinzipien allein aus Sachverstandsgründen abgeleitet, ohne moralische Annahmen oder Ziele. vgl. GdG, S. 84-85.

21 Als deren Vertreter erwähnt MCN Thomas Scanlon oder Brian Barry; vgl. ebd.

22 Rawls Ansatz ist wie die meisten Theorien des Gesellschaftsvertrages eine prozeduralistische Gerechtigkeits-theorie, d. h. auf der Grundlage eines rationalen, korrekten, fairen und unparteilichen Verfahrens (hier: Schleier der Ignoranz/der Unwissenheit) entsteht ein gerechtes Ergebnis. Vgl. dazu Rawls, 1999, S. 118-123 sowie GdG, S. 119-120 und Ebert, 2015, S.307-314.

23 Diese Betrachtungsweise der Prinzipien der Gerechtigkeit bezeichnet Rawls Gerechtigkeit als Fairness: „This way of regarding the principles of justice I shall call justice as fairness.“ Rawls, 1999, S.10.

24 Vgl. Rawls, 1999, S. 118-123 (§24)

25 So in der Schilderung der ursprünglichen Entscheidungssituation die intuitive Vorstellung bei Rawls: „Each person possesses an inviolability founded on justice that even the welfare of society as a whole cannot override.“; Rawls, 1999, S. 3; Vgl. auch ebd. S. 23-34 und 513.

26 Rawls ist mit Hume der Meinung, dass „wenn eine bestimmte Gruppe über sehr viel weniger Macht und Ressourcen als die Mehrheit verfügt, ist es alles andere als klar, daß eine faire Kooperation mit diesen Menschen vorteilhaft ist“ GdG, S. 93. Vgl. auch GdG, S. 94-95, S. 362-364 und Rawls, 1999, S. 109-111.

27 GdG, S. 96.

28 Vgl. GdG, S. 97- 103.

29 Vgl. Ebert, 1985, S. 298; Vgl. auch GdG, S. 97. Rawls selbst schreibt: “Assume that indifference curves now represent distributions that are judged equally just. Then the difference principle is a strongly egalitarian conception in the sense that unless there is a distribution that makes both persons better off (limiting ourselves to the two-person case for simplicity), an equal distribution is to be preferred. [... ]Thus, I shall always use the difference principle in the simpler form, and so the outcome of the last several sections is that the second principle reads as follows: Social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) to the greatest expected benefit of the least advantaged and (b) attached to offices and positions open to all under conditions of fair equality of opportunity.”, Rawls, 1999, S. 65-66 und 72.

30 Im Original schreibt Rawls: “A conception of justice is but one part of a moral view. While I have not maintained that the capacity for a sense of justice is necessary in order to be owed the duties of justice, it does seem that we are not required to give strict justice anyway to creatures lacking this capacity.”, Rawls, 1999, S. 448

31 GdG, S. 99. In einer jüngeren Publikation schreibt MCN „Wir sind nicht nur für Fehler verantwortlich, die wir begehen, sondern auch für viele Missstände, die wir nicht verhindern.“; Nussbaum, 2020, S. 16.

32 Vgl. GdG, S.100. Einige zeitgenössische Kontraktualismustheorien gehen von der kantischen Idee aus, dass Prinzipien um fair zu sein für alle betroffenen vernünftigerweise akzeptierbar sein müssen und arbeiten eine systematische kantianische Theorie der Akzeptabilität moralischer Prinzipien aus; vgl. GdG, S.101-103 sowie S.122. In ihrer jüngeren Veröffentlichung weist MCN darauf hin, dass sie sich in der Überarbeitung des Anthropozentrismus in der Tradition von Cicero, Grotius oder Adam Smith, aber auch von Schulen der Antike wie Epikureismus, Neoplatonismus, Aristoteles oder gar von Diogenes verortet. Vgl. Nussbaum, 2020, S. 300. Vgl. auch Mirón, 2017, S. 149-150.

33 Vgl. GdG, S.103-104; Der Fähigkeitenansatz ist eine ergebnisorientierte und prozedurale Theorie, denn er wendet sich direkt dem Inhalt der Ergebnisse, d.h. dem Einklang eines jeden Lebens mit der Würde des Menschen, zu. Vgl. ebd., S. 124-127. Zum Fähigkeitenansatz generell vgl. auch Robeyns, 2016 und 2009; Vgl. auch Jaeger, 2017, S. 114-115, Mirón, 2017, S. 151, Robeyns, 2011, S. 40-41.

34 GdG, S. 136. “Capabilities are a person's real freedoms or opportunities to achieve functionings. Thus, while travelling is a functioning, the real opportunity to travel is the corresponding capability. The distinction between functionings and capabilities is between the realized and the effectively possible, in other words, between achievements, on the one hand, and freedoms or valuable opportunities from which one can choose, on the other.”, Robeyns, 2016, S. 8.

35 Hier rekurriert MCN besonders auf die Geschlechtergerechtigkeit, denn „Frauen sind allzu oft eher als Unterstützerinnen der Zwecke anderer, denn als Zwecke des eigenen Rechts behandelt worden“. GdG S. 105. Vgl. zur Menschenrechtsposition auch Nussbaum, 2010.

36 Ebd. Mit dem Schwellenwert wird eine Art Grenzwert (‚cut-off-point‘) für die Beurteilung von Armut und Entbehrung beschrieben. Vgl. dazu Souayah, 2011, S. 6. Holst spricht von einem Verteilungsprinzip im Gegensatz zu den zwei Grundprinzipien von Rawls. Vgl. Holst, 2010, S. 8.

37 GdG, S.106. Als Beispiel erwähnt MCN Südafrika und rekurriert auf den Human Development Report des United Nations Development Program. Die Fixierung auf Gesamt- oder Durchschnittsnutzen bei den Utilitaristen sowie unzureichende Achtung der Einzelperson, liefert zu wenig und zu undifferenzierte Informationen über unterschiedliche Einzeltypen von Menschen, und unterschiedliche Komponenten des Lebens, z. B. Gesundheit und Bildung. Deshalb ist sie „für die Festlegung grundlegender politischer Prinzipien, die alle Personen als Zweck behandeln sollen, besonders ungeeignet“. Ebd., S. 107. Robeyns weist aber darauf hin, dass der FA, eine Kritik an den blinden Flecken des Utilitarismus“ entwickelt hat, aber die Antwort wie die Defizite des Utilitarismus zu korrigieren sind, ist ausgeblieben. Vgl. Robeyns, 2016, S. 33 und Robeyns, 2009, S. 42.

38 GdG, S. 110; Vgl. auch ebd., S. 387-390

39 MCN bezieht sich hier auch auf Karl Marx, der in den ökonomisch philosophischen Manuskripten von 1844 beschreibt, das eine bestimmte Konzeption der Würde des Menschen und eines dieser Würde gemäßen Lebens der Ausgangspunkt sein sollte, das die Möglichkeit eines >>wahrhaft menschlichen Tätigkeitsseins<< eröffnet. MCN bezieht sich dabei auf folgendes Zitat von Marx: „Der reiche Mensch ist zugleich der einer Totalität der menschlichen Lebensäußerung bedürftige Mensch“, MEW, S.544. Dieser Idee folgt auch der Ansatz von MCN, indem sie betont, dass es viele menschlichen Fähigkeiten gibt - und eben nicht nur eine - , auf die alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch haben. Dabei geht es um tatsächliche Möglichkeiten des aktiven Tätigseins und nicht einfach um Mengen von Ressourcen. Denn zwei Menschen mit vergleichbarer Ressourcenausstattung können sich in den für die soziale Gerechtigkeit entscheidenden Aspekten erheblich unterscheiden. Dies trifft zum Beispiel besonders für den Bereich von Fällen einer Beeinträchtigung und Behinderung zu. Vgl. dazu GdG, S. 110-111 sowie Holst, 2010, S. 6-7 und 13.

40 Die ausführliche Liste ist im Annex 1 einzusehen.

41 Es wird zum Beispiel nichts darüber ausgesagt wie Fragen der Gerechtigkeit in Bezug auf Ungleichheiten oberhalb des Schwellenwerts zu bearbeiten sind. Der Fähigkeitenansatz ist demnach eine Konzeption der minimalen und zentralen sozialen Ansprüche, „eine begrenzte, nicht metaphysisch ausgerichtete Liste für politische Zwecke, die politische Ansprüche in einer pluralistischen Gesellschaft begründen kann“ Nussbaum, 2020, S. 276. Es geht also um eine Orientierung an den Grundbedürfnissen, deren Umsetzung ein gutes Leben begründen. Deshalb ist er mit verschiedenen Ansichten darüber vereinbar, wie Fragen der Gerechtigkeit und Verteilungsfragen über diesem Schwellenwert konkret handzuhaben sind.

42 MCN will nicht ausschließen, dass weitere politische Werte vorhanden sind, die im engen Zusammenhang mit der Gerechtigkeit stehen, hier aber noch nicht abgedeckt werden. Ein Vergleich der Liste von 2006 (auf dieses Jahr bezieht sich die deutsche Übersetzung von GdG) mit einer Liste von MCN aus dem Jahr 2019 ergibt allerdings keine substanziellen Erweiterungen oder Spezifizierungen. (vgl. Nussbaum 2020, S. 304-306).

43 Vgl. Nussbaum, 2020, S. 308. Eine Zweiteilung in bürgerliche und politische Rechte (der ersten Generation) sowie wirtschaftliche und soziale Rechte (der zweiten Generation) lehnt MCN ab.

44 GdG, S. 124.

45 Vgl. GdG, S. 115-118 sowie 120-121. Robeyns erwähnt neben dem Pluralismus für den Fähigkeitenansatz vier weitere bedeutende Prinzipien (Behandlung jeder Person als Ziel, Wahlmöglichkeiten und Freiheit statt Errungenschaften, tiefe Besorgnis über soziale Ungerechtigkeiten sowie die Zuschreibung wichtiger Aufgaben and die Regierungen). Vgl. Robeyns, 2016, S. 3.

46 Das kann z. B. das Wahlrecht oder die freie Religionsausübung sein. Obwohl es unter Vertretern des Fähigkeitenansatzes Uneinigkeit gibt, ist MCN z. B. der Meinung, dass es in reichlichem Maße Gelegenheit geben sollte ein gesundes Leben zu führen. Die Entscheidung darüber, ob das Ziel eher die Fähigkeit oder das Tätigsein ist, wird letztendlich dem Individuum überlassen. Vgl. GdG, S. 116 – 117.

47 Dies ist nur in Einzelfällen, z. B. bei (rechtlich definierten) Verbrechen gegen die Menschlichkeit angemessen.

48 Vgl. GdG., S.118-119.

49 Zumal MCN „kontraktualistische Theorien in ihrer moralisierten kantianischen Form als enge Verbündete des Fähigkeitenansatzes“ sieht. GdG, S. 137. Der Ansatz soll insgesamt nicht überlegen sein, beansprucht aber, dass das Thema Behinderung mit kleineren Modifikationen und die Frage der Gerechtigkeit für nicht-menschliche Tiere durch eine umfassende Fortentwicklung des Fähigkeitenansatzes so zu behandeln ist, dass „eine wesentlich aristotelische Herangehensweise uns in diesem Bereich die richtige Richtung weisen wird“, weil diese dazu besser geeignet ist als kantianische oder utilitaristische Ansätze. GdG, S. 135; vgl. auch GdG, S. 19-20). Diese beiden Bereiche werden hier nicht diskutiert. Vgl. zum Thema Behinderungen GdG, Kapitel II und III sowie zum Thema Gerechtigkeit für die Speziesform nichtmenschlicher Tiere, ebd.; Kapitel VI.

50 GdG, S. 134.

51 Eine Ausnahme bildet hier sicher der konkrete Einfluss den Amartya Sen auf die Entwicklung und Umsetzung des Human Development Index des UNDP genommen hat. Noch im Bericht über die menschliche Entwicklung 2019 wird darauf hingewiesen: „Als Amartya Sen die Frage stellte, was für eine Art von Ungleichheit uns letztendlich wichtig sein sollte („Gleichheit bei was?“), argumentierte er, dass die Verwirklichungschancen der Menschen – ihre Freiheit, Lebensentscheidungen zu treffen – das Entscheidende sind. Die Verwirklichungschancen stehen im Zentrum der menschlichen Entwicklung. Der vorliegende Bericht geht genau diesen Weg und untersucht Ungleichheiten bei den Chancen und Kompetenzen.“ HDR, 2019, S. 7; Vgl. auch Mirón, 2017, S. 143 und Osmani, 2016.

52 Vgl. GdG, S. 430- 441; vgl. auch Annex 2: Abdruck der Zehn Prinzipien für eine globale Struktur.

53 MCN schlägt einen willkürlichen Wert von 2% des Bruttoinlandsprodukts vor. Dieser Wert liegt - auch gegenwärtig - erheblich über dem, was tatsächlich geleistet wird. Die Frage, ob eine solche Hilfe in erster Linie Regierungen oder auch NGOs zugutekommen soll, muss kontextabhängig, also entsprechend dem Demokratisierungsgrad eines Landes und dem dortigen Umgang mit benachteiligten Minderheiten getroffen werden.

54 Z. B. ein internationaler Strafgerichtshof, globale Umweltrichtlinien, die Besteuerung der Industrienationen zur Erweiterung von Transfers von den reicheren an die ärmeren Ländern, globale Richtlinien für den Handel und für Arbeitsbedingungen werden erwähnt. Bereits existierenden Institutionen wie z. B. die Weltgesundheitsorganisation, die Internationale Arbeitsorganisation, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, die UNICEF und die UNESCO, könnten hier in der Umsetzung eine bedeutende Rolle spielen, die mit weiteren einschlägigen Institutionen bereichert werden könnte. Vgl. GdG, S. 436.

55 MCN weist darauf hin, dass auch Rawls‘ eine längere Zeit sich mit dieser Frage beschäftigt hat. Dies verdeutlicht, wie kompliziert es ist, das „Problem der Ungleichheit an Ressourcen und Chancen innerhalb der Familie anzugehen“. MCN weist weiter darauf hin, dass „Millionen von Mädchen sterben aufgrund von Vernachlässigung oder mangelnder Ernährung und Fürsorge, und der Tod ist nicht auf Verfolgung oder Diskriminierung durch einen Staat zurückzuführen, sondern darauf, daß ihre Eltern nicht ein weiteres weibliches Familienmitglied durchfüttern (und eine weitere Mitgift bezahlen) wollen und daß der Staat nicht genug getan hat, um ihr Leben zu schützen“. GdG, 438-439.

56 Vgl. GdG. S. 440-441.

57 Damit soll sie auch als „Vorlage für die Verfassungs- oder Grundgesetzgebung in Nationen, die keine schriftliche Verfassung haben“ dienen. Nussbaum, 2020, S. 309. Eine Gewichtung, z. B. mittels demokratischer Auswahlverfahren für vorrangige Fähigkeiten oder Prinzipien, lehnt MCN ab, obwohl dies häufig in der Literatur diskutiert wird. Vgl. dazu Souayah, 2011, S. 9-10

58 Entwicklung ist deshalb hier nicht auf wirtschaftliches Wachstum, sondern auf den Prozess orientiert der Individuen die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten zu entwickeln und einen guten Lebensstandard zu erreichen. Vgl. Mirón, 2017. S.142.

59 Vgl. GdG. S. 420-422.

60 „Über diesen (durch grundlegende Ansprüche, bestimmten) Schwellenwert hinaus wären die Menschen frei, ihr Geld, ihre Zeit und ihre anderen Ressourcen gemäß ihrer eigenen, umfassenden Konzeption des Guten zu verwenden.“ GdG, S. 423. So wird das Individuum vor (moralischen) Überlastungen geschützt. Dennoch verbleibt eine Sphäre der persönlichen Entscheidungsfreiheit. Die Trennung zwischen politischen und gesellschaftlichen Werten bleibt somit gewahrt.

61 Vgl. GdG, S. 425-430. Broszies und Hahn bezeichnen diese Sammlung als „schwaches und dezentralisiertes Geflecht transnationaler Institutionen“. Broszies/Hahn (2010), S. 46.

62 „Der Schutz der nationalen Souveränität in einer pluralistischen Welt ist ein wichtiger Aspekt des Schutzes menschlicher Freiheit. In diesem Sinne ist jeder Weltstaat ipso facto tyrannisch.“, GdG, S. 429. Dies gilt sowohl für einen im Kampf sich herausschälenden Weltstaat als auch für eine via Vertrag abgesicherte Weltregierung. Auch das EU-Modell ‚Herrscher, ohne wirklich souveräne Nationen‘, das dem mittelalterlichen Modell der Machtbalance zwischen Papst und Kaiser gleicht, lehnt MCN ab. Vgl. Nussbaum, 2020, S.172-176. Hier gibt es erneut eine Übereinstimmung mit Rawls. Vgl. Rawls, 2010, S. 69-70 und Rawls, 2002, S. 40-41.

63 Hier bezieht sich MCN auf Rawls, der mit Grundstruktur einer Gesellschaft, diejenigen Institutionen meint, die die Lebenschancen der Leute dominant bestimmen. Obwohl diese sich in der Zeitläufte verändern können, sind damit die Legislative, die Gerichte, die Regierung, wichtige Verwaltungsbehörden, Gesetze sowie Institutionen wie die Familie, aber auch Steuer- und Wohlfahrtsysteme, die nationale Wirtschaftsstruktur oder das Strafrecht gemeint. Vgl. GdG, S. 425.

64 GdG, S. 430. Vgl. auch Jaeger, S. 118-119. Erstaunlich ist, dass MCN auch in ihrer jüngeren Publikation die Debatten um die ‚Postdemokratie‘, also die Schwächung von Institutionen zugunsten von transnationalen Konzernen und Lobbyisten (vgl. dazu Crouch, 2008) sowie der Externalisierung, also der Verschiebung von negativen Effekten unserer Lebensweisen in weniger wettbewerbsfähige Länder (vgl. dazu Lessenich, 2016) nicht explizit thematisiert.

65 In der Konsequenz sind vorrangig das erste (Respektieren der nationalen Souveränität im Rahmen der Förderung der menschlichen Fähigkeiten), das zweite (Förderung menschlicher Fähigkeiten ohne gewaltsame Interventionen), das dritte Prinzip (nach dem wohlhabende Staaten (finanzielle) Transfers an ärmere Staaten leisten sollen) sowie das siebte Prinzip (selektive finanzielle Unterstützung mit dem Fokus auf Benachteiligte) von MCNs Liste hier einbezogen.

66 GdG, S. 441. An anderer Stelle weist MCN auf eine Kooperation mit anderen Disziplinen hin; Vgl. S. 418-420.

67 Vgl. dazu EKD, 2015, S. 55-59.

68 Vgl. Rawls, 2002, S. 13-32.

69 Und „das gilt […] selbst dann, wenn das, was wir zu gewinnen haben, das höchste aller Güter ist: in einer gerechten und moralisch achtbaren Welt zu leben“.; GdG, S. 441. Darauf hat schon Kant hingewiesen: Die Verrechtlichung der zwischenmenschlichen Beziehungen schreitet vom Staatsbürgerrecht (ius civitatis), via Völkerrecht (ius gentium) zum Weltbürgerrecht (ius cosmopoliticum) Vgl. dazu Kant: ZeF Zum ewigen Frieden (AA 08) S. 349, Fußnote

70 Ebd., S. 344. Vgl. auch ebd. S. 310-318. Hier erläutert MCN, dass auch im Bereich der internationalen Beziehungen die Vertragstheoretiker von relativer Macht- und Ressourcengleichheit sowie vom gegenseitigen Vorteil ausgehen, d. h. von denselben Schwächen betroffen sind, wie auf der individuellen Ebene.

71 Nussbaum, 2020, S. 288. MCN sieht es als Pflicht der Gerechtigkeit an, Ausgaben für internationale Institutionen, einschließlich militärischer Organisationen oder für Plattformen des Gedankenaustauschs zu tätigen. Jedoch kann geringe Hilfsbereitschaft niemals ein Kriegsgrund sein. Umverteilung kann nur im Rahmen eines konsensuellen internationalen Systems umgesetzt werden. Vgl. dazu ebd., S. 53-55 sowie S. 168-169.

72 Laut Weltbank müssen rund 15 Prozent der Wirtschaftsleistung als Steuereinnahmen realisiert werden. Die Hälfte der ärmsten Länder schafft das nicht, weil reiche Bürger und Unternehmen Steuern erfolgreich vermeiden. Vgl. https://www.worldbank.org/en/topic/taxes-and-government-revenue Vgl. auch FAZ vom10. April 2021, S. 17.

73 Vgl. Otto/Ziegler, 2019, S. 10. Schmidhuber, hält diese Vagheit auch für eine Stärke,. Vgl. Schmidhuber, 2010, S. 108-110.

74 Vgl. Pogge, 2002, S. 56-57 sowie Holst, 2010, S.5-6.

75 Vgl. Holst, 2010, S. 16 sowie Riddle, 2015.

76 Vgl. Vereinte Nationen, 2020. Vgl. auch Annex 3.

77 Dies hat Souayah schon für die generelle Ebene des FA kritisiert: “Nussbaum passionately advocates that all people all over the world should be entitled, as a matter of justice, to threshold levels of all the capabilities on her list; but apart from mentioning that it is the governments' duties to guarantee these entitlements […], she remains silent on the question who precisely should bear the burdens and responsibilities for realizing these capabilities”., Souayah, 2011, S. 11.

78 GdG, S. 349.

79 Nussbaum, 2020, S. 22. Die praktische Bedeutung liegt in der Tatsache begründet, dass nationale Institutionen für MCN sowohl als „Pflichten Gerechtigkeit als auch der materiellen Hilfsleistung“ eine bedeutende Rolle spielen. Vgl. Ebd. MCN anerkennt also die nationale Souveränität, wenn auch mit Unbehagen. Vgl. ebd., S. 168-169.

80 Vgl. dazu Souayah, 2011, S.1 und 7..

81 Für Rawls eine Art notwendige Basis für nicht-ideale, praxisorientierte Theorien (wie z. B. den FA). Vgl. dazu Rawls, 1999, S. 7-8, 54-56 und 216 sowie Rawls, 2002, §1.

82 Vgl. dazu Robeyns, 2016. S. 34-35.

83 “We are seeking a public criterion of social justice that tells us how an institutional order ought to be designed, and also how existing institutional schemes fall short and how they should be reformed.” Pogge, 2002, S. 60; Vgl. auch Soumaya, 2011.

84 “On this score, the capability theorists are way ahead of most resourcists, thanks to the great efforts by Sen, Nussbaum, and others. But I see no reason to doubt that resourcists can do as well. They should certainly make the effort.” Pogge, 2002, S. 26.

85 Vgl. dazu Souayah, 2011, S.13.

86 „Nussbaum’s work comes closest to offering us a capability theory of justice, but her theory too doesn’t amount to a full theory of social justice.”, Robeyns, 2016, S. 26; Vgl. auch Souayah, 2011, S.10. An anderer Stelle kritisiert Robeyns MCNs Ansatz und plädiert für eine präziseres Verstehen der Fähigkeitenansatzes, bei gleichzeitiger größere Vielfalt an Fähigkeitstheorien. Vgl. Robeyns, 2011.

87 Pogge erwähnt, dass selbst unter den Vertreterinnen des Fähigkeitenansatzes umstritten ist, was Gleichheit über dem Schwellenwert bedeuten kann. Vgl. Pogge, 2002, S. 55-56. Holst bezeichnet MCNs Theorie deshalb als unbestimmt und höchstwahrscheinlich ungültig. Vgl. Holst, 2010, S. 16. Nelson hält NMCNs Liste gar für inhärent sektiererisch. Vgl. Nelson, 2008, S. 115. Robeyns, weist auch auf einige Leerstellen des FAes hin: z. B., dass es keine einheitliche theoretische Begründung (wie z. B. Rawls sie mit seinen Prinzipien hat) gibt. Auch ist nicht geklärt, ob mit dem Erreichen einer minimalen Schwelle Gerechtigkeit gegeben ist. Schließlich bleibt die Grenze zwischen individueller und kollektiver Verantwortung ungeklärt. Vgl. Robeyns, 2016, S. 26. „It is impossible to determine a priori exactly where this threshold is located. We can only grope towards it through a combination of social experimentation and the ongoing quest for reflective equilibrium. In practice, this kind of uncertainty does not pose much of a practical problem, because it is safe to say that we are far short of reaching this threshold wherever it is, and there is no shortage of excellent ideas for how to get there.“; Tweedaale; 2018.

88 Broszies/Hahn, 2010; S. 34.

89 Vgl. Rawls, 2002, S. 96-99 und Rawls, 2010, S. 86-90.

90 Vgl. Nussbaum, 2020, S. 276-281.

91 Vgl. Rawls, 2002, S. 41. Allerdings sollen Outlaw-Regimes militärische, ökonomische oder sonstige Hilfen nicht gewährt werden. Vgl. Rawls, 2010, S. 93.

92 Vgl. Pogge, 2002. S. 70. Jaeger, weist darauf hin, dass für Rawls Gerechtigkeit nicht heißt, „dass einige wenige alles bekommen, Gerechtigkeit heißt vielmehr, dass jeder etwas bekommt, wenn auch nicht unbedingt immer gleichviel“. Jaeger, 2017, S. 96.

93 Vgl. Nussbaum, 2010. S. 91-92.

94 Auslassungen wurden nur da vorgenommen, wo veraltete konkret Beispiele angeführt werden. Die Rechtschreibung entspricht der zitierten Ausgabe von GdG.

95 Internationaler Währungsfonds (IWF)

Final del extracto de 33 páginas

Detalles

Título
Ein Vergleich zwischen dem kontraktualistischem Verständnis vom gerechten Staat und dem Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum in der Darstellung "Die Grenzen der Gerechtigkeit"
Subtítulo
Am Beispiel der globalen Ungleichheit
Universidad
University of Hagen  (Philosophie)
Curso
Seminar vom Guten Staat
Autor
Año
2021
Páginas
33
No. de catálogo
V1149650
ISBN (Ebook)
9783346536433
ISBN (Libro)
9783346536440
Idioma
Alemán
Palabras clave
Kontraktualismus Rawls Nussbaum, Globale Ungerechtigkeit, Fähigkeitenansatz
Citar trabajo
Wolfgang Schwegler-Rohmeis (Autor), 2021, Ein Vergleich zwischen dem kontraktualistischem Verständnis vom gerechten Staat und dem Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum in der Darstellung "Die Grenzen der Gerechtigkeit", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149650

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