Die Erzählung In der Strafkolonie wurde von Kafka oft als seine „schmutzige Geschichte“ bezeichnet. Wie kaum eine andere Erzählung behandelt sie die Zusammenhänge von Schuld, Sühne, Gerechtigkeit, aber auch von Macht und ihrer Legitimation. Auf den Leser wirkt sie zunächst grausam und undurchschaubar. Dennoch folgt sie eigentlich einem durchgehenden Prinzip, das die Frage nach der Legitimation von Recht und Gesetz im Allgemeinen stellt. Dabei steht sie in der Tradition alter Sichtweisen von Recht und Gesetzlichkeit, wie sie in der jüdischen Mystik eine Rolle spielen, geht aber in der angelegten literarischen Analyse über diese hinaus. Nur scheinbar steht ein modernes, aufgeklärtes Rechtsverständnis einer archaischen Strafart und Willkür gegenüber. Es handelt sich vielmehr um die Selbstauflösung eines Systems, das aufgrund des Zweifels nicht mehr im Stande ist, seine Legitimation aufrechtzuerhalten. Dabei geht es nicht um Rechtsgeschichte, sondern um grundlegende Kategorien wie Schuld, Sühne, Gerechtigkeit und Gesetz. Deren Widerstreit ist es, der zum Ende des selbstherrlichen (!) Rechtssystems führt, nicht ein externes Eingreifen oder aufklärerische Ideale, ausgenommen vielleicht das Ideal der Eigenverantwortung, aber auch dies in einer gebrochenen Weise und stets eng mit der Vorstellung von Schuld verknüpft. Diese Analyse bezweckt nicht, den genauen Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung, Rechtsgeschichte und der Hinrichtungsmaschine der Strafkolonie aufzuzeigen. Dennoch ist es meines Erachtens erforderlich, alle diese Bereiche mit einzubeziehen, um das komplexe Geflecht der Legitimations- und Dekonstruktionsmechanismen wenigstens ansatzweise zu erschließen. Diese Arbeit wird daher zunächst die Funktion und Legitimation der Hinrichtung im Rechtssystem untersuchen, insofern sie in Zusammenhang mit der Macht und ihrer Erhaltung und Rechtfertigung steht. Auch wird ein besonderes Augenmerk auf den Wort- beziehungsweise Kommunikationscharakter der Maschine zu richten sein. In erster Linie aber stehen die Linien der Macht und die Ambivalenz des Gesetzes im Zentrum der Aufmerksamkeit, die sich durch die Erzählung ziehen, sich gegenseitig sowohl bedingen wie auch aufheben und sich schließlich im Finale selbst dekonstruieren.
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Vom ,,Fest der Martern“ zum Verwaltungsakt
- Die Hinrichtung als Schauspiel
- Entziehung der Öffentlichkeit
- ,,Es nicht an sich ranlassen - Verwalteter Tod
- Maschinelles Leben, maschineller Tod
Die Hinrichtung als letaler Produktionsprozess
- Die Tod Maschine Mechanisierung des Tötens
- Maschine, Befehl und Unfall
- ,,Die Schuld ist immer zweifellos.“
Zum Verhältnis von Macht und Schuld
- Die Macht des Gesetzes
- Das Problem der Schuld
- Das Verhältnis von Macht und Recht
- Nachwort
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit analysiert Kafkas „In der Strafkolonie“ und untersucht die Kollisionen von Recht und Macht, die in der Erzählung deutlich werden. Die Arbeit befasst sich insbesondere mit der Hinrichtungsmaschine und ihrer Funktion im Rechtssystem der Strafkolonie, sowie mit der Frage der Legitimation von Recht und Gesetz im Allgemeinen.
- Die Inszenierung der Hinrichtung als theatralisches Schauspiel und ihre Transformation zum Verwaltungsakt
- Die Rolle der Maschine als Instrument der Macht und als Medium der Kommunikation
- Das Verhältnis von Schuld, Sühne und Gerechtigkeit in der Strafkolonie
- Die Ambivalenz des Gesetzes und seine Dekonstruktion durch den Zweifel
- Die Frage nach der Legitimation von Recht und Gesetz in einer totalitären Gesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Hinrichtungsmaschine in ihrer historischen Entwicklung und zeigt auf, wie sie sich vom öffentlichen Schauspiel zur bürokratischen Handlung entwickelt hat. Das zweite Kapitel analysiert die Maschine als Ausdruck der modernen Gesellschaft, in der die Prozesse der Produktion und des Todes zunehmend mechanisiert werden. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage der Schuld und ihrer Beziehung zur Macht. Es wird untersucht, wie das Gesetz in der Strafkolonie als Instrument der Macht fungiert und wie die Schuld des Verurteilten konstruiert wird.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen dieser Arbeit sind die Kollisionen von Recht und Macht, die Hinrichtungsmaschine, die Legitimation von Recht und Gesetz, die Ambivalenz des Gesetzes, die Schuld und die Sühne, die Mechanisierung von Produktion und Tod sowie der Zweifel als Dekonstruktionsmechanismus.
- Quote paper
- Stefan Scheiben (Author), 2003, Die Hinrichtung des Rechts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/11497