Das "Glokale" in der beruflichen Bildung: Wie gelingt die kompetenzorientierte Umsetzung der Global Citizenship Education an beruflichen Schulen?


Bachelorarbeit, 2021

57 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ein Überblick über die Idee, die Bedeutung und die Entstehung von Global Citizenship Education
2.1 Global Citizenship als Bildungsaufgabe
2.2 Die große Transformation und die Notwendigkeit einer Bildung zu Global Citizenship
2.3 Die Geschichte des globalen Bürgertums und die Entwicklung von Global Citizenship Education
2.4 Zwei idealtypische Tendenzen von Global Citizenship Education
2.4.1 Der individuell-humanitäre Ansatz
2.4.2 Der strukturell-politische Ansatz

3. Die Bedeutung des Lokalen und Nationalen für die weltbürgerliche Bildung
3.1 Rooted Cosmopolitanism
3.2 “Glokalität” - Die lokale Verwurzelung der globalen Verantwortung

4. Fachdidaktische und normative Grundlage für die I ntegration von Global Citizenship Education in den politischen Unterricht am Berufskolleg
4.1 Politischer Unterricht nach dem Beutelsbacher Konsens
4.2 Kompetenzorientierter Politikunterricht
4.2.1 Politische Urteilskompetenz
4.2.2 Politische Handlungskompetenz
4.2.3 Politische Methodenkompetenz
4.3 Unterricht nach dem Berufsprinzip - Die Vermittlung beruflicher Handlungskompetenzen

5. Die Eingliederung von Global Citizenship Education i n den beruflichen Unterricht: Status Quo, Herausforderungen und Aussichten
5.1 Situationsanalyse: Bisherige Bemühungen Global Citizenship Education in den beruflichen Unterricht einzubinden
5.2 Defizitanalyse: Hindernisse und Probleme bei der Einbindung von Global Citizenship Education in den beruflichen Unterricht
5.3 Entwicklungsanalyse: Prognose für die Einbindung von Global Citizenship Education in den beruflichen Unterricht

6. Zehn Gelingenskritierien für die Einbindung von Global Citizenship Education in den beruflichen Unterricht

7. Darstellung eines Unterrichtskonzepts im Sinne von Global Citizenship Education anhand eines Fallbeispiels
7.1 Darstellung des Fallbeispiels
7.2 Analyse des Fallbeispiels in Hinblick auf die zehn Gelingenskriterien für kompetenzorientierte Global Citizenship Education

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang A: Kompetenzen beruflicher Bildung im Lernbereich Globale Entwicklung

Anhang B: Das Hörspiel: „Willkommen im Eine Welt Hotel“

Anhang C: Informationstext Global Compact

Anhang D: Aufgabenstellung zum Aufgabenbeispiel Eine Welt Hotel

Abstract (deutsch)

In dieser Bachelorarbeit soll die Frage beantwortet werden, wie kompetenzorientierte politische Bildung im Sinne von Global Citizenship Education an beruflichen Schulen in Deutschland gelingen kann. Dazu wird zunächst die Idee von Global Citizenship Education dargestellt und dabei Bezug auf die Entstehung und die Notwendigkeit dieses Bildungsansatzes genommen, wie auch auf die verschiedenen pädagogischen Konzepte, die unter den Oberbegriff Global Citizenship Education fallen. Im Anschluss daran wird Global Citizenship Education in Bezug zu den normativen und fachdidaktischen Anforderungen an die berufsbezogene politische Bildung in Deutschland gesetzt. Danach wird analysiert wie es aktuell um Global Citizenship Education innerhalb der beruflichen Bildung in Deutschland steht, welche Hemmnisse es gibt und wie diese überwunden werden können. Aufbauend darauf werden zehn Gelingenskriterien für die Einbindung von Global Citizenship Education in den beruflichen Unterricht genannt. Diese beziehen sich in erster Linie auf den politischen bzw. sozialwissenschaftlichen Unterricht, teilweise allerdings auch auf Global Citizenship Education als holistisches Schulkonzept. Die Arbeit schließt mit der Analyse einer Arbeitsaufgabe ab, die von der Kultusministerkonferenz und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als Orientierung für die Gestaltung einer Unterrichtsreihe mit dem Fokus auf nachhaltige globale Entwicklung zur Verfügung gestellt wurde und anhand derer die Umsetzung der erarbeiteten Gelingenskriterien in der Unterrichtspraxis dargestellt wird.

Abstract (English)

This bachelor’s thesis aims to answer the question of how competence-oriented political education within the framework of Global Citizenship Education can be successfully installed at vocational schools in Germany. Therefore, the idea of Global Citizenship Education is presented first, referring to the emergence and necessity of this educational approach, as well as to the various educational concepts that fall under the generic term of Global Citizenship Education. Then, Global Citizenship Education is put in relation to the normative and didactic requirements for vocational political education in Germany. After that, the current situation of Global Citizenship Education in the context of vocational education in Germany is analyzed, as well as the obstacles there are and how these can be overcome. Based on this, ten criteria for the integration of Global Citizenship Education in vocational education are given. These relate primarily to political or social science lessons, but also to some extent to Global Citizenship Education as a holistic school concept. The thesis concludes with the analysis of a task given by the Kultusministerkonferenz and the Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung as an orientation for the planning of lessons that focus on sustainable global development, based on which the practical implementation of the given criteria is shown.

[Die Anhänge B-D sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten]

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die Kernkompetenzen des Lernbereichs Globale Entwicklung und das Modell der beruflichen Handlungskompetenz

1. Einleitung

Die Globalisierung hat einen weitreichenden Wandel eingeleitet, dem sich kaum ein*e Bürgerin dieser Welt entziehen kann. Nicht nur hat sie dafür gesorgt, dass die Wirtschaft der einzelnen Länder im Bereich Produktion, Handel, I nvestitionen und Finanzen immer stärker voneinander abhängig geworden sind, auch nehmen internationale soziale und politische I nteraktionen zu (Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung, 2004, 10). Dank verbesserter Kommunikations- und I nformationstechnologie ist die Menschheit enger miteinander verbunden den je (Zürn, 2015). Diese gegenseitige Abhängigkeit voneinander geht mit einer großen Verantwortung füreinander einher. Die Globalisierung führt dazu, dass lokale Geschehnisse globale Auswirkungen haben (Nair, 2017, 144), was das Jahr 2020 deutlicher als je zuvor gezeigt hat. Die weltweite Covid-19-Pandemie hatte und hat Auswirkungen auf das Leben fast aller Menschen und auf die gesamte Weltwirtschaft. Überdies wurde die (politische) Berichterstattung von Themen wie den Fridays-for-Future-Demonstrationen für bessere Klimaschutzmaßnahmen, der Black-Lives-Matter-Bewegung als Antwort auf den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizeibeamten, und die US-Präsidentschaftswahl bestimmt. So unterschiedlich diese Themen sind, haben sie doch eines gemeinsam: Ob es die Eindämmung der Pandemie, den Umwelt- und Klimaschutz, den Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt oder politische Wahlkämpfe betrifft, all diese Themen fanden und finden auf internationaler Bühne statt und erregen die Aufmerksamkeit der ganzen Welt. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind globale Herausforderungen (Bernecker et al., 2017, 17). Vor diesem Hintergrundwächst die Notwendigkeit, Menschen auf das Leben als Weltbürger in der „Weltgesellschaft“ vorzubereiten und sie zur aktiven Teilhabe an einer global gerechteren und zukunftsfähigen Gesellschaft zu befähigen (Grobbauer, 2014, 29). Eine globale Bürgerschaft vergrößert den Raum unserer emotional und lebensweltlich erfahrbaren Zugehörigkeit, denn für den/die Weltbürger*in sind alle planetaren Zeitgenossen Mitbürgerinnen (Bernecker & Grätz, 2017, 8). Globales Bewusstsein und daraus resultierend globales Handeln, was auf den Lebensraum Erde und die Menschheit in der Gesamtheit gerichtet ist, führen zu mehr Frieden, sozialer Gerechtigkeit und dem ökologischen Überleben der Menschheit (ebd., 10). Das von der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO) entwickelte ganzheitliche Konzept Global Citizenship Education hat eben jene Bildung zum globalbürgerlichen Handeln zum Ziel (UNESCO, n.d.). Global Citizenship Education verbindet die ethische Werthaltung der Friedenspädagogik mit dem Konzept der globalen Bürgerschaft als politische Teilhabe und bezeichnet somit ein Konzept, das die relevanten Herausforderungen an Bildung in der Weltgesellschaft aufgreift und dabei zwar vor allem die politische Dimension globaler Entwicklungen berücksichtigt, sich aber nicht ausschließlich auf das politische Lernen beschränkt (Grobbauer, 2014, 28).

Die vorliegende Arbeit setzt ihren Fokus allerdings dennoch auf das politische Lernen, da sie sich mit der Umsetzung der weltbürgerlichen Bildung im Rahmen des kompetenzorientierten Politikunterrichts innerhalb der beruflichen Bildung beschäftigt. Dazu muss der Begriff Global Citizenship Education zunächst erklärt und analysiert werden. Da es sich um ein Bildungskonzept in der Entwicklung handelt, welches eine Vielzahl konzeptioneller Zugänge vereint, muss zu Beginn dieser Arbeit zusammengefasst werden, was mit Global Citizenship Education gemeint ist, wie diese entstanden ist, welche Ziele und I deen sie verfolgt und welche verschiedenen Ansätze sie bezeichnet (Grobbauer, 2016, 20). Ist erst einmal die theoretische Grundlage geschaffen, kann Global Citizenship Education mit dem politischen Lernen in der beruflichen Bildung verknüpft werden. Dazu werden zunächst die fachdidaktischen Grundlagen berufsorientierter politischer Bildung aufgezeigt und dann analysiert, ob und i nwiefern Global Citizenship Education bereits erfolgreich in den politischen Unterricht an deutschen Berufskollegs einbezogen wird. Dann folgt eine Analyse der Herausforderungen, die es für eine gelungene I ntegration von Global Citizenship Education in die berufliche Bildung zu überwinden gilt, ebenso wie eine Analyse der vorliegenden Entwicklungspotenziale. Anhand der erlangten Erkenntnissen werden dann zehn Gelingenskriterien für eine kompetenzorientierte berufsbezogene politische Bildung ausgearbeitet, die, zum Abschluss dieser Arbeit, mithilfe eines praxisbezogenen Beispiels näher erläutert werden.

2. Ein Überblick über die Idee, die Bedeutung und die Entstehung von Global Citizenship Education

2.1 Global Citizenship als Bildungsaufgabe

Um ein Verständnis dafür zu bekommen, was genau die Idee von Global Citizenship Education ist, ist es ratsam sich zunächst die einzelnen Bestandteile der Bezeichnung dieses Ansatzes anzuschauen.

Global I Chandran Nair (2017, 143) warnt im Zusammenhang mit Global Citizenship eindringlich davor, das Wort “global” mit “westlich” zu verwechseln. Die Menschen als Weltbürger, also als Mitglieder einer planetarischen Gemeinschaft zu sehen, bedeutet nicht anzunehmen, die Bedürfnisse aller Menschen seien aufgrund gemeinsamer Bedrohungen nun gleich, vielmehr geht es darum “die planetarische Gemeinschaft als Arena gesellschaftlicher Auseinandersetzung zu verstehen” (Wintersteiner & Wulf, 2017, 36). Nair benennt mit seiner Warnung einen der größten Kritikpunkte an der postkolonialen Global Citizenship Education. Global Citizenship Education wurde überwiegend von europäischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern entwickelt (Stasswender, 2020, 39) und steht, gleich jedes anderen Bildungsansatzes, vor der Herausforderung seine eigenen I nhalte ständig zu überprüfen und zu dekolonialisieren (Grobbauer, 2016, 21; Dhawan, 2011).

Citizenship: Citizenship, also Bürgerschaft, bezeichnet die Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft eines Nationalstaates (Grobbauer, 2016, 19). Bernecker und Grätz (2017, 11) definieren zwei Aspekte von Bürgerschaft, die von Nair (2017, 148) noch durch eine dritte ergänzt wird. Zunächst ist die Bürgerschaft ein rechtlicher Status, der sowohl Rechte, wie das Aufenthalts recht oder die Rede- und Religionsfreiheit mit sich bringt, ebenso, wie das Recht vom Staat mit den, wie Nair (2017, 148) sie bezeichnet, “Grundrechten des Lebens”, also Nahrung, Wasser, Bildung, Sicherheit und Gesundheitsfürsorge, versorgt zu werden. Diese Rechte bringen andererseits auch Pflichten mit sich. So hat man als Bürgerin Pflichten gegenüber dem Staat, seinen Mitbürgerinnen und der Umwelt (ebd., 148). Die ideelle Dimension der Bürgerschaft geht weit über dessen rechtliche Relevanz hinaus. Sie umfasst auch die gewollte und erlebte soziale Partizipation, die politische Teilhabe, sowie die Zugehörigkeit zu einem Kollektiv und das damit verbundene Gefühl (Bernecker & Grätz, 2017, 11). Nair (2017, 148) ergänzt den rechtlichen und ideellen Aspekt der Bürgerschaft um das Verständnis, dass eine Gemeinschaft von Bürgerinnen mehr ist als die Summe ihrer Teile. Eine Bürgerschaft sei etwas Besonderes, ein Ganzes, das auf sozialen Zweck hinarbeitet (ebd., 148).

Der Begriff Global Citizenship bezieht sich, in der aktuellen Diskussion, nur auf die ideelle Dimension der Bürgerschaft und lässt den rechtlichen Begriff außen vor (Bernecker et al., 2017, 17). In diesem Zusammenhang debattieren Soziologinnen und Politikwissenschaftlerinnen seit langem über die Begriffe “Weltbürgertum” und “Weltbürgerschaft”, da einige argumentieren, dass eine Voraussetzung für ein Weltbürgertum bzw. eine Weltbürgerschaft ein Weltstaat im rechtlichen und politischen Sinne wäre, also eine “globale Manifestation des idealtypischen Nationalstaates" (Albert, 2007, 9). Dies würde weit über die ideelle Dimension von Global Citizenship hinausgehen und in der Konsequenz unter anderem eine Auflösung aller Nationalstaaten bedeuten würde . Andere Wissenschaftler sind dagegen der Meinung, mit Weltbürgertum bzw. Weltbürgerschaft lediglich den ideellen Status zu beschreiben, den die Mitglieder einer Weltgesellschaft innehaben (Bernecker et al., 2017, 17). Luhmann (1971; 1975) definiert eine Weltgesellschaft als weltweit sinnstiftende Interaktion und funktionell differenziertes System, das grenzübergreifend funktioniert und keineswegs gleichbedeutend mit einem Weltstaat ist. Eine Weltbürgerschaft in diesem Sinne soll kein Ersatz für eine Staatsbürgerschaft, sondern eher eine Ergänzung dessen sein. Diese Definition von Weltbürgerschaft zieht keineswegs eine I nfragestellung der Legitimität nationaler Staatsbürgerrechte mit sich. Im völkerrechtlichen Rahmen der UN wird streng darauf geachtet, dass sich auch rein deklaratorische Bestimmungen des ideellen Konzepts von Global Citizenship nicht gegen nationale Reglementierungen von Staatsbürgerrechten und Aufenthalts regimen richten (Bernecker & Grätz, 2017, 11). Nationalstaaten haben im Zusammenhang mit Global Citizenship Education sogar eine sehr wichtige Bedeutung, (Scheuermann, 2017, 157 f.), die in Kapitel 3.1 näher erläutert wird. Um deutlich zu machen, dass es im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich um ideelle Global Citizenship geht, wird im Folgenden auf die Begriffe Weltbürgertum bzw. Weltbürgerschaft verzichtet. Im Sinne der ideellen Dimension von Bürgerschaft, benennt Nair (2017, 144 f.) drei Merkmale, die eine*n Weltbürger ausmachen: Ein*e Weltbürger*in verfügt über das Wissen und die Erkenntnis, dass jede Handlung ökologische und ökonomische Kosten nach sich zieht, die bestimmte Gruppen tragen müssen. Außerdem bemüht ein*e Weltbürger*in sich aktiv darum, das Leben der weniger Begünstigter zu verbessern, auch wenn dies auf Kosten des individuellen Eigennutzes geht. Nicht zuletzt nennt Nair die Freude über die Vielfalt verschiedener Kulturen, Glaubensrichtungen und Lebensweisen, die ein*n Weltbürger ausmachen.

Education: Wie Wintersteiner und Wulf (2017, 37) aufzeigen, ist Global Citizenship “schließlich auch eine Bildungsaufgabe”. Das Ziel dieser Bildungsaufgabe, also das Ziel von Global Citizenship Education, ist es, viele im Kontext der UNESCO entwickelten Werte, Ziele und Vorstellungen zu bündeln (ebd., 39). So soll Global Citizenship Education unter anderem eine Erziehung in Bezug auf Frieden, Menschenrechte, Gleichheit, Anerkennung von Diversität und Nachhaltigkeit sein (ebd., 39). Die UNESCO hofft mit ihrem Programm Global Citizenship Education “Lernende in die Lage zu versetzen, eine aktive Rolle zu übernehmen, um sich den globalen Herausforderungen zu stellen, sie zu lösen und proaktiv zu einer friedlicheren, toleranten, inklusiven und sicheren Welt beizutragen” (Nair, 2017, 143). Dabei muss betont werden, dass Global Citizenship Education keine konkrete Handlungsempfehlung im Sinne eines Regelwerks für eine gelungene globalbürgerliche Erziehung ist. Vielmehr handelt es sich um einen Oberbegriff, der eine Fülle von Ansätzen und pädagogischen Konzepten beschreibt und laufend überarbeitet und erweitert wird (Grobbauer, 2016, 18). So umspannt der “Umbrellabegriff” Global Citizenship Education beispielsweise die entwicklungspolitische Bildung, Globales Lernen, Friedenspädagogik, Menschenrechtsbildung, politische und interkulturelle Bildung, sowie Ansätze der Bildung zur Nachhaltigen Entwicklung (ebd., 18).

2.2 Die große Transformation und die Notwendigkeit einer Bildung zu Global Citizenship

Da nun die Ziele von Global Citizenship Education bekannt sind, sollte die Bedeutung dieses Ansatzes betrachtet werden. Viele internationale Organisationen weisen in den vergangenen Jahren verstärkt auf die Notwendigkeit hin, Menschen auf das Leben in der Weltgesellschaft vorzubereiten (Grobbauer, 2014, 29). Die Globalisierung löst erheblichen Transformationsdruck aus (Bernecker & Grätz, 2017, 7), denn die Chancen und Herausforderungen, die sie mit sich bringt, sind global und erfordern eine neue Solidarität (Bernecker et al., 2017, 17). Die wichtigen Aufgaben des 21. Jahrhunderts, wie die Bekämpfung von Ungleichheit und Exklusion, der Auswirkungen des Kolonialismus, des Klimawandels, des Extremismus wie des Terrorismus, sind globale Herausforderungen und können deshalb nur durch die Schaffung einer Kultur der Kooperation und globalbürgerlichen Gesinnung gelöst werden (Messner, 2017, 139). Die Menschheit ist ohnehin bereits ökonomisch, ökologisch, sozial, und kommunikativ interdependent (Bernecker & Grätz, 2017, 8), weshalb sie ihren Bezugspunkt ändern, “über den nationalen Tellerrand hinaus” (Wintersteiner & Wulf, 2017, 35) blicken und heutige Probleme vom Standpunkt der Weltinnenpolitik heraus betrachten muss. So wurde z.B. im Synthesebericht über die Post-2015-Agenda vom Dezember 2014 vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon festgehalten, dass die Welt an einem Wendepunkt steht (United Nations, 2014, 3). Die neue Entwicklungsagenda der UN, die 2015 vorgestellt wurde, ist als universeller Aufruf zur Transformation zu verstehen (Grobbauer, 2016, 19). Die Transformation vom fossilen zum klimaverträglichen Zeitalter, sowie hin zu einer solidarischen inklusiven Weltgesellschaft ist notwendig für das Überleben der Menschheit und hierbei kommt Global Citizenship EUcaatinn eine wichtige Rolle zu (ebd., 19). Global Citizenship Education ist in mehrfacher Hinsicht als transformative Bildung zu sehen (Grobbauer, 2016, 19). Wie andere Bildungsansätze thematisiert auch Global Citizenship Education die Frage einer ökologisch verträglichen, zukunftsfähigen Entwicklung, beschäftigt sich aber darüber hinaus auch mit der Transformation von Bürgerschaft und demokratischer Teilhabe und mit den unterschiedlichen Ansätzen von globaler Bürgerschaft (ebd., 19).

2.3 Die Geschichte des globalen Bürgertums und die Entwicklung von Global Citizenship Education

Wenn auch die Global Citizenship-I dee vor dem Hintergrund der “großen Transformation” aktueller und sogar notwendiger erscheint als je zuvor, so ist der Grundgedanke des globalen Bürgertums keineswegs eine Erfindung der Neuzeit, sondern war bereits den antiken Griechen bekannt. Schon 400 Jahre vor Christus etablierte sich die I dee des Kosmopolitismus, also der Vorstellung, dass alle Menschen Teil einer größeren Gemeinschaft sind und Charakteristika wie Humanität und Rationalität teilen (Grobbauer, 2016, 20). Die berühmten Worte des Philosophen Sokrates (470-399 v. Chr.): “Ich bin weder Athener noch Grieche, sondern ein Bürger der Welt” haben die Jahrtausende überdauert und werden noch heute von Vertretern des Kosmopolitismus und des globalen Bürgertums zitiert (Bernecker et al., 2017, 22). Der Stoiker Diogenes von Sinope, der um 400 v. Chr. lebte, bezeichnete sich vermutlich als Erster als “Kosmopolit” (Eckstein & Wiemann, 2017, 45). Die Zugehörigkeit zur Weltgemeinschaft sahen die antiken Griechen in der moralischen Verantwortung gegenüber der menschlichen Gemeinschaft begründet (Kymlicka & Walker, 2012, 1). Die Wiederentdeckung des Kosmopolitismus als politische Idee in der Moderne geschah in der Epoche der Aufklärung, vor allem durch Kants Schrift “zum ewigen Frieden” (Eckstein & Wiemann, 2017, 45). Aus heutiger Sicht wird der Kosmopolitismus der Aufklärung allerdings ambivalent betrachtet, da er zwar den Weg in Richtung des globalen Bürgertums ebnete, allerdings aus westlicher, kolonialistischer Sicht und somit nicht mehr zeitgemäß sein kann. (ebd., 47) Das 19 und 20. Jahrhundert brachten zwei totalitäre I deologien, den Faschismus und den Kommunismus, hervor und keine 120 Jahre nach Kants Tod wurde die Erfindung der Menschenrechte und die Entwicklung moderner Nationalstaaten abgelöst durch aggressiven Nationalismus, mit zwei Weltkriegen als “traurige Höhepunkte” (Messner, 2017, 134). Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und Bekämpfung des Nationalsozialismus wurde das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer menschlichen globalen Gemeinschaft wieder verdichtet und um die Jahrtausendwende herum schien eine kosmopolitische Welt keine Utopie mehr (Eckstein & Wiemann, 2017, 45). Der Fall der Berliner Mauer und des eisernen Vorhangs, die digitale Revolution, die Einführung regionaler und globaler Handelsabkommen und einer internationalen Gerichtsbarkeit für Kriegsverbrechen, sowie die ersten völkerrechtlich verbindliche Maßnahmen zur Reduktion der Klimaerwärmung sorgten dafür, dass die Welt näher zusammenrücken (ebd., 45). Doch wurde diese Entwicklung nicht weiter verfolgt. Einerseits nahm die Globalisierung zu Beginn des 21. Jahrhundert Fahrt auf, andererseits wuchsen Intoleranz, Armut und Ungleichheit, sowie ethnische und religiöse Konflikte, humanitäre Katastrophen und gewalttätiger Extremismus (Bernecker et al., 2017, 18). Wintersteiner und Wulf (2017, 35) sprechen von einem Rückfall in bereits überwunden geglaubte Denkmuster, wie nationaler Egoismus, rassistische Abgrenzung, religiöser Fanatismus. Die politische Berichterstattung in den letzten Jahren war geprägt durch Donald Trumps “America First”-Initiative, Flucht- und Massenmigrationsbewegungen, erstarkende rechte bis rechtsradikale Tendenzen in vielen Regierungen Europas, sowie in der Bevölkerung, und sowohl rassistisch wie auch islamistisch motivierte Terroranschläge.

In diesem außenpolitischen Klima ist es umso bedeutsamer Global Citizenship Education voranzutreiben. Das idealtypische Bild des Global Citizen sollte nicht nur als anzustrebendes Ideal und als pädagogischer Ansatz gesehen werden, sondern auch und vor allem als kritischer Maßstab, um aufzuzeigen, wie unvollkommen die globale Bürgerschaft bisher umgesetzt wurde, rechtliche Ungleichheiten anzuprangern und “soziale Ungleichheiten als Skandal zu kritisieren” (ebd., 36). Im September 2012 rief Ban Ki-moon, eine weltweite Bildungsinitiative mit dem Namen Global Education First Initiative aus und nennt die Stärkung von Global Citizenship “zur Herausbildung eines weltbürgerlichen Bewusstseins” (Bernecker & Grätz, 2017, 7) als eines der drei Hauptanliegen. Ebenfalls im Herbst 2012 startete der erste Master Universitätslehrgang “Global Citizenship Education” an der Universität Klagenfurt (Grobbauer, 2014, 28). 2013 erhob die UNESCO Global Citizenship Education zu einer ihrer pädagogischen Leitlinien und September 2015 veröffentlichte die UN eine neue globale Entwicklungsagenda, zu deren Unterstützung 17 operationalisierbare Ziele, sogenannte “Sustainable Development Goals” präsentiert wurden (Grobbauer, 2016, 18). Die Agenda hat zum Ziel ein menschenwürdiges Leben für alle mit der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlage für zukünftige Generationen in Einklang bringen und nennt Global Citizenship als ein zentrales Bildungsziel (ebd., 18 f.). Während Global Citizenship Education in Kanada, USA, GB, Irland oder Finnland schon länger ein wichtiges Forschungs- und Arbeitsfeld ist, steigt das Interesse in Deutschland zwar langsam aber stetig an (ebd., 18).

2.4 Zwei idealtypische Tendenzen von Global Citizenship Education

Nachdem bereits die Grundidee sowie die Entstehung von Global Citizenship Education beschrieben wurde, ist nun notwendig konkreter zu werden und auf bestimmte Ansätze einzugehen.Wie jedes pädagogische Konzept wird auch Global Citizenship Education in der wissenschaftlichen Diskussion unterschiedlich definiert und interpretiert (Wintersteiner et al., 2014, 5). Außerdem handelt es sich, wie bereits erwähnt, um einen “Umbrellabegriff”, der verschiedene Ansichten, Dimensionen und Richtungen unter sich vereint (Grobbauer, 2016, 18). Die Grenzen zwischen ähnlichen und verwandten Ansätzen sind dabei fließend und die Unterscheidung ist nicht immer ganz klar. In der Fülle an Definitionen und Konzepten gibt es allerdings zwei idealtypische Tendenzen von Global Citizenship Education (Grobbauer, 2014, 29).

2.4.1 Der individuell-humanitäre Ansatz

Der individuell-humanitäre Ansatz fokussiert sich auf die Bildung des Global Citizen (“education of the global citizen”) (Grobbauer, 2014, 29). Die vordergründige Frage hier ist, was Global Citizenship Education für das einzelne I ndividuum tun kann.Dieser Ansatz fokussiert neben der Vermittlung von Einstellungen, Werten und Wissen auch die Förderung von Kompetenzen (Wintersteiner et al., 2014, 11) und spielt deshalb für die Gestaltung eines global ausgerichteten kompetenzorientierten Unterrichts eine große Rolle. Kritiker bemängeln, dass der individuell-humanitäre Ansatz beim sozialen Lernen stehen bleibt und das politische Lernen übergeht, indem es die Lernenden zu “Gutmenschen” und Moralisten macht, aber sie nicht zum kritischen Denken im Zusammenhang globaler Herausforderung anregt (Andreotti, 2006, 3). Außerdem wird kritisiert, dass der individuell-humanitäre Ansatz die Lernenden zwar zu passiven Weltbürgern erzieht und Mitleid und Sympathie fördert, aber die Lernenden nicht dazu bringt, sich aktiv für mehr Gerechtigkeit einzusetzen (Dobson, 2006, 178). Stasswender (2020, 8 f.) resümiert hierzu, dass Mitleid und Sympathie nicht ausreichen, da sie nicht notwendigerweise zum Handeln verleiten. Sie führt an, dass vor allem vor dem Hintergrund der politischen Handlungskompetenz, die unter anderem zu politischer Partizipation befähigen soll, der individuell-humanitäre Ansatz zu schwach sei (ebd., 8 f.). Grobbauer (2014, 30) fasst hierzu zusammen, dass vielen der Konzepte, die sich auf die individuelle Ebene des einzelnen Lerners konzentrieren, konkrete Hinweise auf Handlungskompetenzen, die eine tatsächliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Strukturen befördern, fehlen.

2.4.2 Der strukturell-politische Ansatz

Der strukturell-politische Ansatz konzentriert sich weniger auf das Individuum des/der Lernenden, sondern auf die gesellschaftlichen Strukturen, die verändert werden müssen, damit die globale Bürgerschaft überhaupt eine lebbare Option werden kann (Grobbauer, 2014, 29). Hier steht die Bildung für den/die Weltbürger*in (“education for global citizenship”) und die Frage was Global Citizenship Education für die Welt tun kann im Vordergrund (ebd., 29). Die Entwürfe des strukturell-politischen Ansatzes setzen sich stärker mit institutionellen und strukturellen Voraussetzungen auseinander (UNESCO, 2014, 4). Im Zusammenhang mit dem strukturell-politischen Ansatz ist Wintersteiners (Wintersteiner et al., 2014, 12) I dee der Weltinnenpolitik zu nennen, die den Gedanken umfasst, dass im internationalen Maßstab dieselben Standards gelten sollten, wie innerhalb demokratisch verfasster Staaten.Der strukturell-politische Ansatz ist insofern für die politische Bildung relevant, dass Lernende dazu befähigt werden sollen, politisch aktiv zu werden (Stasswender, 2020, 9). Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der beruflichen Bildung von hoher Bedeutung, da an beruflichen Schulen viele Schülerinnen bereits im erwachsenen und somit im wahlberechtigten Alter sind und auch darüber hinaus viele Möglichkeiten haben, ihren Rechten und Pflichten als Bürgerinnen nachzukommen und sich aktiv als Global Citizens zu engagieren. Doch auch unabhängig vom Alter der Schülerinnen sollten diese dazu motiviert werden, sich sowohl am politischen Diskurs als auch am politischen Handeln zu beteiligen. Die Bedeutung der Partizipation junger Menschen am politischen Leben wurde in den letzten Jahren unter anderem durch die Fridays-for-Future Bewegung verdeutlicht. Junge Menschen können erheblich zur Veränderung der Politik und Gesellschaft beitragen und sollten deshalb im Rahmen von Global Citizenship Education i n der Schule darauf vorbereitet werden.

Die Unterschiedlichkeit der konzeptionellen Zugänge von Global Citizenship Education führt zu erheblichen Schwierigkeiten für die Orientierung und die konkrete Fassung in Bildungsangeboten oder Programmen für Unterrichts- und Schulentwicklung (Grobbauer, 2014, 29). Grobbauer (ebd., 29) und die UNESCO (2014) plädieren für die Verbindung beider zu einem einheitlichen didaktischen Ansatz. Stasswender (2020, 9) zeigt in ihrer Arbeit den Zusammenhang zwischen dem individuell-humanitären und dem strukturell-politischen Ansatz auf. Ersterer fördert die Kompetenzen, die notwendig sind, um das umzusetzen, was der zweite Ansatz fordert: eine aktive und bereichernde Mitgestaltung von Politik und Gesellschaft (ebd., 9).

3. Die Bedeutung des Lokalen und Nationalen für die weltbürgerliche Bildung

3.1 Rooted Cosmopolitanism

Abgesehen von den beiden oben beschriebenen Richtungen des konzeptionellen Zugangs von Global Citizenship Education gibt es noch weitere Unterschiede, die die verschiedenen Konzepte und I deen, die alle als Global Citizenship Education bezeichnet werden, ausmachen. Die Erziehung zum/zur Weltbürgerin ist ein hochkomplexes Thema und eine schwierige Bildungsaufgabe, weshalb klar ist, dass die Meinungen und Ansätze zu dem Thema auseinander gehen. Ein wichtiger Streitpunkt, in dem sich Pädagoginnen und Soziologinnen uneinig sind und ist die Frage nach der Bedeutung des Lokalen und Nationalen für Global Citizenship Education. Intuitiv könnte man davon ausgehen, dass eine Bildung, die den Blick auf die Welt und die Gesamtheit der Menschheit richtet, losgelöst ist von nationalen Verwurzelungen und lokalem Denken ist, doch trotz aller Debatten sind sich die meisten Vertreter von Global Citizenship einig, dass das Lokale nicht ganz unerheblich ist für die Erziehung zum/zur Weltbürgerin ist (Wintersteiner & Wulf, 2017, 36). In diesem Zusammenhang ist Rooted Cosmopolitanism zu nennen, ein Ansatz, der eng mit Global Citizenship verbunden ist und die Idee des Kosmopolitismus, welche bereits durch Sokrates und Diogenes entwickelt wurde, verfolgt (Kymlicka & Walker, 2012, 1). Wenngleich Kosmopolitismus früher so verstanden wurde, dass alle lokalen Verbundenheiten außen vor gelassen werden sollte, so herrscht heutzutage unter Kosmopoliten eine andere Meinung vor (ebd., 1). Die Idee von Rooted Cosmopolitanism wurde Mitte der 1990er von dem Philosophen Kwame Anthony Appiah bekannt gemacht (ebd., 1). Das Wort “rooted", was mit “verwurzelt” übersetzt werden kann, gibt einen Hinweis darauf, dass der Ansatz die Bedeutung des Nationalen und Lokalen für den/die Kosmopoliten hervorhebt. Kymlicka und Walker (2012, 1) schreiben: “‘being Canadian’ includes or entails ‘being a good citizen of the world’” und fassen damit die Bedeutung von Rooted Cosmopolitanism zusammen.

In der Vergangenheit haben selbsternannte Kosmopoliten drei Dimensionen des Kosmopolitismus festgelegt, die moralische, politische und kulturelle Aspekte umfassen (ebd., 2). Während die Bedeutung des moralischen Kosmopolitismus, also, dass alle Menschen unabhängig ihres Geburtsortes einem gemeinsamen moralischen Kodex unterliegen (ebd., 2), noch immer eine wichtige Grundlage für die Idee der globalen Bürgerschaft ist, gelten die anderen beiden Dimensionen als veraltet und sowohl als utopisch, da unerreichbar, als auch als dystopisch (ebd., 3). Vor allem die I dee des kulturellen Kosmopolitismus wird von den meisten Wissenschaftlern heute abgelehnt, bedeutet sie doch nicht anderes als kulturelle Homogenisation, also der I nstallierung einer Kultur, der alle Menschen auf der Welt folgen und somit die Bekämpfung aller anderen Kulturen (ebd., 3). Diese I dee erinnert an die Zeiten des Kolonialismus, als der einflussreiche, privilegierte Westen seinen Kolonien die eigene Kultur aufzwingen wollte (ebd., 3). Der moderne, postkoloniale Kosmopolitismus ruft im Gegensatz dazu auf, die kulturelle, linguistische und religiöse Vielfalt in der Welt zu feiern und zu unterstützen (ebd., 3). Die ehemalige Generaldirektorin der UNESCO, Irina Bokova (Bernecker et al., 2017, 17), bezeichnet auch Global Citizenship als ein Gefühl der Solidarität mit Anderen und dem Planeten. Dieses Gefühl entsteht nicht, indem man auf lokale Identitäten verzichtet, im Gegenteil, diese sollten sogar gestärkt werden, da sie die Grundlage für die Achtung vor kultureller und sprachlicher Vielfalt bilden (ebd., 17). Andere Verfechter von Global Citizenship, wie z.B. Nair (2017, 145), fordern sogar den aktiven Schutz der einzelnen Kulturen, Religionen und Lebensweisen vor einer dominanten Kultur. Wie bereits in Kapitel 2.1 erwähnt, wird auch der politische Kosmopolitismus im Sinne einer Global Governance, einer globalen Regierung, von vielen kritisch gesehen (Scheuermann, 2017, 157 f.). Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass Global Citizenship und Kosmopolitismus keineswegs die Abschaffung von Nationalstaaten bedeutet, sondern dass stabile Nationalstaaten die Grundlage für stabile Global Citizenship bilden (Nair, 2017,152). Nair (2017, 151) bspw. plädiert für Global Citizenship mit einer globalen Regierungsführung, macht jedoch gleichzeitig deutlich, dass eine globale Regierung ist nicht zu verwechseln ist mit einem Weltstaat, der unabhängig von Nationalstaaten funktioniert. Er geht davon aus, dass eine globale Regierungsführung von Staaten ausgeübt werden würde und somit starke Staatsregierungen, die auf ein klares soziales Ziel hinarbeiten, Grundlage für eine funktionierende Weltgesellschaft (ebd., 152).

3.2 “Glokalität” - Die lokale Verwurzelung der globalen Verantwortung

Die heutige Sicht auf Kosmopolitismus ist also eine, die den moralischen Kosmopolitismus unterstützt, aber den kulturellen und politischen Kosmopolitismus ablehnt. Für diese Art des Kosmopolitismus gibt es neben Rooted Cosmopolitanism in der Fachliteratur verschiedene Begriffe, so nennt Dallmayr (2003) es Anchored Cosmopolitanism, Baynes (2007) spricht von Situated Cosmopolitanism, während Andere es Embedded Cosmopolitanism (Erskine, 2008), Vernacular Cosmopolitanism (Werbner, 2006) und Republican Cosmopolitanism (Chung, 2003) nennen, doch sie alle beschreiben einen Kosmopolitismus, der die Bedeutung des Lokalen und Nationalen anerkennt und somit die I dee des Glokalen vertreten. Dazu passend weist die UNESCO (2015, 14) darauf hin, auch das Konzept Global Citizenship betone die “political, economic, social and cultural interdependency and i nterconnectedness between the local, the national and the global” und somit die Bedeutung lokaler und nationaler Aktivitäten für die Welt. Glokalität bezieht sich allerdings nicht nur auf den Einfluss, den lokales und nationales Geschehen auf das Weltgeschehen hat und vice versa, sondern auch auf die Rolle, die lokale Wurzeln für das einzelne I ndividuum in seiner/ihrer Entwicklung zum Global Citizen spielen. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Ansätze, die sich in der Frage nach der Stärke der Bedeutung des Lokalen für den/die Global Citizen unterscheiden. So schätzt Grobbauer (2016, 20) die Bedeutung seiner/ihrer lokalen Wurzeln für den/die Weltbürger*in als wenig stark ein, ist aber der Meinung, dass eine l okale Verwurzelung der globalen Verantwortlichkeit nicht im Wege steht. Nair (2017, 153) ist überzeugt, lokale Verwurzelung sei nicht nur akzeptabel für eine*n Weltbürger*in, sondern sogar notwendig, um kosmopolitische Ziele zu erreichen und fordert deshalb “[l]okale Aktionen für das globale Konzept von Global Citizenship ’ ’ womit er bereits das Konzept des Glokalen implizit anspricht. Andere Wissenschaftler gehen noch einen Schritt weiter und plädieren dafür, dass lokale Verbundenheit die moralische Quelle kosmopolitischen Einsatzes ist und Grundlage dafür globale Ziele zu verstehen (Kymlicka & Walker, 2012, 4). Sie gehen davon aus, dass Menschen zunächst erfolgreich innerhalb ihrer eigenen lokalen und nationalen Umgebung sozialisiert werden müssen, bevor sie in der Lage sind, sich moralisch mit den Bedürfnissen anderer, weit entfernter Menschen zu befassen (ebd., 4). Obwohl dies im Zusammenhang mit einer Erziehung zur globalen Bürgerschaft zunächst kontraintuitiv klingt, sind einige Vertreter des Kosmopolitismus sogar davon überzeugt, dass es für einen funktionierenden Kosmopolitismus auch Patriotismus braucht (ebd., 5). Alison Brysk (2009) beispielsweise ist der Meinung, dass eine Politik der nationalen Identität konstruktiv im Zusammenhang mit globaler Bürgerschaft und Kosmopolitismus sein kann. Kymlicka und Walker (2012, 5) fassen Brysks (2009) Überlegungen folgendermaßen zusammen: “countries that act as good global citizens do so precisely because of their national identities.”

Der Begriff des “Glokalen”, also die Verbindung des Lokalen und des Globalen schwingt in den meisten Texten über die Bedeutung der nationalen und lokalen Identität der Global Citizen mit und wird in einigen Texten, bspw. von Grobbauer (2014, 28) oder Wintersteiner und Wulf (2017, 36), die deutlich machen, dass das globale Bürgertum “eine nationale und eine ‘glokale’ Seite” hat, auch explizit genannt. Diese Verwurzelung der globalen Bürger im Lokalen und die Verbindung vom Lokalen und Globalen zum Glokalen ist auch für Global Citizenship Education von hoher Bedeutung. Allgemein wird in der politischen Bildung in Deutschland der Fokus auf die deutsche I nnenpolitik, ihre Strukturen, I nstitutionen und Akteure sowie ihre Geschichte gelegt. Die Einführung von Global Citizenship Education an deutschen Schulen würde zwar diesen Fokus verändern und den Blick über den Tellerrand nicht nur im Politik- und Sozialwissenschaftsunterricht anstreben (Wintersteiner & Wulf, 2017, 35), dabei allerdings die lokale und nationale Grundlage nicht vernachlässigen. Das Wissen über die politischen Strukturen des eigenen Landes sowie dessen Geschichte sind wichtig für eine*n Global Citizen und gelungener Politikunterricht im Sinne von Global Citizenship Education kombiniert globale Themen mit lokalen und nationalen.

4. Fachdidaktische und normative Grundlage für die Integration von Global Citizenship Education i n den politischen Unterricht am Berufskolleg

Bevor beschrieben werden kann, ob und wie sich Global Citizenship Education in die politische Bildung des beruflichen Unterrichts integrieren lässt, müssen zunächst die fachdidaktischen und normativen Grundlagen für politischen Unterricht am Berufskolleg aufgezeigt werden. Guter politischer Unterricht hat stets den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsens zu folgen und muss außerdem kompetenzorientiert sein. Im Kontext der Berufsbildung gilt dabei zu beachten, dass der Unterricht nicht nur politische Kompetenzen, sondern auch berufliche Handlungskompetenzen fördern sollte.

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Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Das "Glokale" in der beruflichen Bildung: Wie gelingt die kompetenzorientierte Umsetzung der Global Citizenship Education an beruflichen Schulen?
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Fachdidaktik der Sozialwissenschadften
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
57
Katalognummer
V1149775
ISBN (eBook)
9783346533876
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Anhänge B-D sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten!
Schlagworte
Global Citizenship Education, beruflicher Unterricht, Fachdidaktik
Arbeit zitieren
Louisa Schmitt (Autor:in), 2021, Das "Glokale" in der beruflichen Bildung: Wie gelingt die kompetenzorientierte Umsetzung der Global Citizenship Education an beruflichen Schulen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149775

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