In der vorliegenden Arbeit soll zunächst gezeigt werden, was den Giftmord zu einer "Sonderform des Mordes" macht und inwiefern er sich von anderen Tötungsarten unterscheidet. Ferner soll untersucht werden, wie die weibliche Verbrecherin im kriminologischen Diskurs um die Jahrhundertwende dargestellt wurde, welche Ursachen herangezogen wurden, um weibliche Delinquenz zu erklären und wie dabei das Klischee der typisch weiblichen Giftmörderin geformt wurde. Von besonderer Bedeutung ist hierbei auch das Austauschverhältnis zwischen der Literatur und den Fachdiskursen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das näher betrachtet werden soll.
Giftmorde haben zu jeder Zeit bei der Bevölkerung große Aufmerksamkeit erweckt. Bis heute stoßen Giftmordprozesse auf reges Interesse in der Öffentlichkeit und werden von den Medien ausführlich diskutiert. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass auch in der Literatur Giftmorde zu allen Zeiten große Beachtung fanden. Dichter wie Shakespeare, Goethe und Lessing beschrieben in ihren Werken Vergiftungsfälle, und in zahllosen Kriminalromanen von Agatha Christie, Arthur Conan Doyle bis hin zu zeitgenössischen Krimis von Ingrid Noll oder Val McDermid wird mit Gift gemordet. 1922 erregte ein Giftmordprozess in Berlin großes öffentliches Interesse. Elli Klein wurde unter dem Verdacht des Giftmordes an ihrem Ehemann verhaftet, ihre Freundin Margarethe Nebbe der Mitwisserschaft verdächtigt. Zu den Beobachtern dieses Prozesses zählte auch der Schriftsteller und Psychiater Alfred Döblin. 1924 wurde in der Reihe 'Außenseiter der Gesellschaft' sein Prosabericht 'Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord' veröffentlicht, in dem er diesen authentischen Fall darstellt.
Der Text erscheint in einer Zeit, in der sich die juristischen, kriminologischen und psychiatrischen Fachdiskurse einig waren, dass der Giftmord ein weibliches Monopol sei. Dabei zogen Rechtswissenschaftler und Kriminologen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts immer wieder literarische Falldarstellungen berühmter Giftmörderinnen heran, um das Bild der typisch weiblichen Giftmischerin zu untermauern. Es stellt sich deshalb die Frage, ob bzw. wie Döblin in seiner Prosaskizze auf die Zuschreibung des Giftmords als typisch weibliche Tötungsart zurückgreift. Wie stellt der Autor die weiblichen Giftmörderinnen dar? Untermauert er in seinem Text das Klischee der typisch weiblichen Giftmörderin oder stellt er es eher in Frage?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Giftmord als Sonderform des Mordes
- Die typisch weibliche Giftmischerin in den Fachdiskursen der Weimarer Republik
- Die Kriminalität der Frau
- Der Giftmord als typisch weibliches Verbrechen
- Austauschverhältnisse zwischen Literatur und Kriminologie
- Döblins Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord
- Sprache, Stil und Erzählperspektive
- Vermischung von Fakten, wissenschaftlichem Wissen und Fiktion
- Die Destruktion des Klischees der typisch weiblichen Giftmörderin bei Döblin
- Abweichungen von der Geschlechternorm
- Unbewusste Tötungsabsicht und innere Zerrissenheit
- Döblins Zweifel am eigenen Erzählmodell und an den fachwissenschaftlichen, zeitgenössischen Diskursen
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Darstellung des Giftmords in Alfred Döblins Prosaskizze „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“. Ziel ist es, zu analysieren, wie Döblin auf das verbreitete Klischee der „typisch weiblichen Giftmörderin“ in seiner Arbeit Bezug nimmt.
- Der Giftmord als Sonderform des Mordes
- Das Bild der „typisch weiblichen Giftmischerin“ in kriminologischen Diskursen der Zeit
- Der Einfluss literarischer Falldarstellungen auf kriminologische Theorien
- Die Darstellung weiblicher Giftmörderinnen in Döblins „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“
- Die Destruktion des Klischees der „typisch weiblichen Giftmörderin“ durch Döblin
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung bietet einen Überblick über die Relevanz des Giftmordes in der Gesellschaft und in der Literatur. Sie stellt den Fall Elli Klein und Margarethe Nebbe vor, der Döblin zu seiner Prosaskizze inspirierte. Kapitel 2 untersucht den Giftmord als „Sonderform des Mordes“, indem es auf die Besonderheiten des Mordmittels und die daraus resultierenden Folgen für Täter und Opfer eingeht. Kapitel 3 beleuchtet die Darstellung der „weiblichen Verbrecherin“ in kriminologischen Diskursen um die Jahrhundertwende.
Schlüsselwörter
Giftmord, weibliche Kriminalität, kriminologischer Diskurs, Literatur, Alfred Döblin, „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“, Klischee, Geschlechternorm, Tötungsabsicht, Zerrissenheit.
- Quote paper
- Claudia Bett (Author), 2009, Die weibliche Giftmörderin in Alfred Döblins "Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord". Das Klischee der Giftmischerin in der Weimarer Republik und in Döblins Erzählung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1149904