Tropische Länder als Symbole im Schlager vor 1933/38


Seminararbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. ERKENNTNISINTERESSE UND VORGANGSWEISE

2. TROPISCHE LÄNDER IM PRÄFASCHISTISCHEN SCHLAGER
2.1. Das gesellschaftliche und politische Umfeld
2.1.1. Die zwanziger Jahre
2.1.2. Die frühen dreißiger Jahre
2.2. Exotische Länder als Symbole
2.3. Musikalische Zeichen
2.3.1. Der Tango
2.3.2. Rumba
2.3.3. Foxtrott
2.4. Akteure
2.4.1. Fritz Grünbaum
2.4.2. Willy Rosen (1894-1944)
2.4.3. Will Meisel (1897-1967)
2.4.4. Walter Jurmann (1903 – 1971)
2.4.5. Siegfried Arno (1895 – 1975)

3. KINDERLIEDER
3.1. Allgemeines
3.2. Fremde Menschen und Länder im Kinderlied
3.2.1. „Der Butzemann“
3.2.2. „Drei Japanesen“
3.2.3. „Zehn kleine Negerlein“

4. SCHLUSSBEMERKUNGEN

5. LITERATUR

1. Erkenntnisinteresse und Vorgangsweise

Stereotype1 über fremde Menschen und fremde Länder werden uns tagtäglich vermittelt und weiterverbreitet. Sie begegnen uns auf Firmenschildern, in Kinderbüchern und eben auch in Schlagertexten. Eine eingehendere Untersuchung dieses Phänomens ist daher meiner Meinung nach sehr wichtig, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Denn nur wenn wir Stereotype bewusst wahrnehmen, sind wir ihrer Wirkung nicht schutzlos ausgesetzt.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich daher versuchen zu zeigen, wie und warum in den Schlagern der zwanziger und frühen dreißiger Jahre exotische Länder dargestellt wurden und welche Konsequenzen das nach sich zog.

Dann möchte ich auch auf Kinderlieder eingehen, da diese gerade ob ihrer scheinbaren Harmlosigkeit und Unschuld besondere Aufmerksamkeit verdienen. Darin versteckte Stereotype und Vorurteile können unbewusst auf die Kinder wirken und entziehen sich einen bewussten Reflexion.

2. Tropische Länder im präfaschistischen Schlager

2.1. Das gesellschaftliche und politische Umfeld

2.1.1. Die zwanziger Jahre

Bezeichnend für die Schlager der zwanziger Jahre ist ihre Vielfalt, eine einheitliche Linie ist sehr schwer erkennbar. Als verbindendes Merkmal ließe sich ein unromantisch-sachlicher

Ton nennen. Die Romantik wird ironisch-zynisch parodiert, was zu einem spezifischen Witz führt. Provokation ist Pflicht. Musikalisch dominieren betont modische Tanzlieder.2

Die provokativen und witzigen Texte wurden auch zur Gesellschaftskritik genutzt, wie im folgenden Beispiel:

Der Boxerboy3

S. Nicklaß-Kempner/Fritz Grünbaum 1910

Es war einmal ein Neger, dort in der neuen Welt, als Boxer erster Klasse, verdient’ er klotzig Geld. Es haßten ihn die Weißen, doch er lacht sie aus.

Er wichste sie nach Noten und macht Banknoten draus. Er fletschte seine weißen Zähn’:

Uie, ist das Leben schön.

Ich bin der Boxerboy, der Gentleman, welcher so wonderful das Boxen can, wenn ich beim Boxen auf was hau’,

wird das vom Boxen gleich grün und blau, ouh! Ich bin der Boxerboy, der Gentleman,

welcher so wonderful das Boxen can, hassen beim Boxen mich die weißen Herrn,

für eine Million, da laß ich’s mir gefallen ganz gern.

Zwar wird vordergründig das Klischée des aggressiven und geldgierigen Schwarzen gezeichnet, doch die Sympathie liegt auf Seiten des verachteten und ausgenutzten schwarzen Boxers, der den Spieß umdreht. Der Zuhörer identifiziert sich mit ihm und erlebt seine (gerechtfertigte) Schadenfreude mit.

Als Grund für die Spezifika der Schlager dieser Zeit sind die sozialen Umstände zu sehen. Die großen Umbrüche im Deutschland und Österreich der zwanziger Jahre, Inflation und Wirtschaftkrise ließen die alten Werte radikal an Gültigkeit verlieren und führten neben bitterer Armut auch zu hemmungsloser Vergnügungssucht, sozusagen zum Tanz auf dem Vulkan. Das spiegelte sich einerseits in Schlagern, die den Niedergang ausdrückten, wie

„Pleite, Pleite“ von Hans Pflanzer und Victor Corzilius 1924 oder „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ von Robert Steidl 1922. Die deutsche Musik- und Vergnügungsindustrie boomte, 1925 belegte sie unter den deutschen Industriezweigen den vierten Rang.

2.1.2. Die frühen dreißiger Jahre

Die Weltwirtschaftskrise 1929 und der ökonomisch bedingte Zusammenbruch großer Teile der Unterhaltungsindustrie zu Beginn der dreißiger Jahre veränderten den deutschen Schlager dann nachhaltig.

„Die sozialen Verschiebungen dieser Zeit polarisierten nicht nur das politische Leben. Die Radikalisierung der Gesellschaft trieb auch dem Schlager den exzentrischen Humor aus. Die allgemeine Krise löste lange vor dem verordneten sanften Optimismus im Nationalsozialismus ein „weiche Welle“ aus. Traumwelten und sentimentale Klagen traten an die Stelle der frechen Schlager der zwanziger Jahre.“4

Die Zeichnung von exotischen Traumwelten und das Heraufbeschwören eines besseren Lebens in der Fremde nehmen nun zu. Doch nicht eine verschwommene sentimentale Sehnsucht, sondern der sehr verständliche Wille nach der Veränderung der realen Lebensbedingungen stehen dahinter. Exotische Länder fungieren dabei als leere Zeichen, die eine Sehnsucht verkörpern. Entscheidend war die Hoffnung, den sich immer mehr zuspitzenden Zuständen des sich nähernden Faschismus zu entkommen.5

„Wie mancher Film jener Jahre übernahm es damals auch der Schlager, die innere und äußere Unsicherheit durch einen illusionären Optimismus zu kaschieren, der bitteren Realität des Alltags eine verschwommene Traumwelt gegenüberzustellen.“6

Als sich die Machtergreifung der Nationalsozialisten schon deutlich abzeichnet, wird in den Texten aus einem schlichten „woanders ist es besser“ der direkte Aufruf zur Emigration. Und tatsächlich wanderten in den zwanziger und dreißiger Jahren ca. 300.000 Menschen deutscher Muttersprache nach Lateinamerika aus.

2.2. Exotische Länder als Symbole

Entscheidend ist, dass es in den präfaschistischen Schlagern über tropische Länder nicht um die realen Staaten geht, sondern dass diese als Platzhalter für verschiedenste Sehnsüchte und Botschaften eingesetzt werden. Musik, Text und die geographischen Momente wie die beschriebenen Landschaften und Vegetationen haben kaum etwas mit den realen Ländern zu tun. Aber zu dieser Zeit waren diese Gegenden weit genug entfernt und unbekannt genug um als Symbole eingesetzt werden zu können.

Das Chiffre Lateinamerika ist im Schlager ein leeres Zeichen. Es sagt nichts über die substantielle Beziehung einer deutschsprachigen Gesellschaft zu dem Subkontinent aus. Vielmehr wird Lateinamerika von den Produzenten als musikalisches oder textliches Zeichen gesetzt, um beim Publikum auf ein bestimmtes Spektrum unbefriedigter Sehnsüchte zu zielen. Dieses Spektrum mag sich im Laufe des Zwanzigsten Jahrhunderts verändern. Der kommerzielle Anbieter zielt darauf ab, das inhaltsleere Zeichen, das Klischee, so unverbindlich und verführerisch zu

setzen, dass das Publikum bereit ist, diese Leere mit den Bedeutungsinhalten des eigenen unbefriedigten Begehrens zu füllen. [Hervorhebungen vom Autor selbst]“7

Textlich steht das Lateinamerika-Motiv für die verlockende Ferne:

„Unvergessliche Abenteuer mit faszinierenden tropischen Schönheiten, welche die Erinnerung verrückt gewordener deutscher Männer beherrschen.“8

Doch wie schon erwähnt verbirgt sich hinter diesem Heraufbeschwören einer exotischen, erotischen und freien Welt mehr. Es wird ein bewusster Kontrapunkt zu den Verhältnissen in Deutschland gesetzt, wobei mit der privaten und sexuellen Freiheit eigentlich die politische gemeint ist.

„Der Rückgriff auf die Schlüpfrigkeit als beliebtes Stilmittel der Zwanziger-Jahre kann die Sehnsucht nach politischer Befreiung, die diese Stücke ohne Ausnahme transportieren, nicht verdecken. Der Vektor weist bei allen in eine bessere Welt jenseits des Atlantiks, alle klagen die politische Entwicklung Deutschlands an und alle verwenden dafür die Metapher der sittenstrengen Frau im Hier und Jetzt. Diese Übereinstimmung ist kein Zufall.“9

2.3. Musikalische Zeichen

Die Lateinamerika-Schlager der 20er Jahre spielen mit der Erotik exotischer Rythmen.

„Die textliche und musikalische Provokation ist ein durchgängiges Merkmal der Schlagermusik der Zwanziger-Jahre. [...] Als spezifische Merkmale der Schlager dieser Zeit sind eine oft hektische Kurzatmigkeit und eine durch zahlreiche Pauseneinschnitte zerrissene, pointiert zugespitzte Melodik zu nennen.“10

[...]


1 Ein Stereotyp besteht aus einer Menge von Überzeugungen über die Merkmale (z.B. Eigenschaften, Verhaltensweisen), die eine Gruppe von Personen charakterisieren. Auf soziale Zusammenhänge bezogen wurde der Begriff erstmals in den 20er Jahren von dem Publizisten Lippmann, der in Zusammenhang mit Abweichungen des Wahrnehmens und Denkens von äußeren Vorgängen von den „Bildern in unserem Kopf“ sprach. Diese Diskrepanzen zwischen Realität und Vorstellung entsteht sehr früh und ist meist unbewusst .

2 „Den deutschen Schlager der zwanziger Jahre als eine Einheit zu fassen, steht eine verwirrende Fülle zumeist bald wieder vergessener Eintagsprodukte entgegen. Volkstümelnde Stimmungslieder, in denen sich vertraute Stätten der Heimat traumhaft idealistisch verklärten, und schnoddrige, selbst zynische, betont modische Tanzlieder umgrenzen ein weit abgestecktes Feld. Trotz aller Vielfalt kristallisiert sich jedoch in der nach Jahrzehnten gewonnenen kritischen Distanz die dem Schlager jener Epoche eigene Note heraus. [...] So ist der Schlager der zwanziger Jahre durch einen sachlich unromantischen Ton gekennzeichnet, durch einen diesen Liedern nicht schlecht anstehenden Ulk und eine Dosis Persiflage. Selbst das Traumland der Südsee wird hier mehrfach entzaubert („Gehst du mit mir nach Honolulu“, 1928).“, aus: Worbs, Hans Christoph: Der Schlager. Bestandsaufnahme-Analyse-Dokumentation. Ein Leitfaden, Carl Schünemann Verlag, Bremen, 1963, S. 50, „Gerade in einigen seiner typischsten Erzeugnisse ist der Schlager der zwanziger Jahre Ausdruck der jene Zeit bestimmenden „Neuen Sachlichkeit“. Bis zur offenkundigen Parodie der Romantik, als deren Repräsentanten im bekannten Schlager von Herrn „Maier am Himalaya“ die alten Tanten herhalten mussten, war von hier nur ein kleiner Schritt.“, aus: Worbs, Hans Christoph: Der Schlager. Bestandsaufnahme-Analyse-Dokumentation. Ein Leitfaden, Carl Schünemann Verlag, Bremen, 1963, S. 51

3 In: Worbs, Hans Christoph: Der Schlager. Bestandsaufnahme-Analyse-Dokumentation. Ein Leitfaden, Carl Schünemann Verlag, Bremen, 1963, S. 131 f.

4 Port le roi, André : Schlager lügen nicht. Deutscher Schlager und Politik in ihrer Zeit, Klartext-Verlag, Essen, 1998, S. 22

5 „Aufschlussreich für die spezifische Bewusstseinslage jener Jahre sind aber auch einige Schlager, die das in der Trivialkunst so fest verwurzelte Thema des Fernwehs charakteristisch variieren. Keine unverbindliche Sehnsucht nach einer verschwommen utopischen Traumwelt, sondern der konkret untermauerte, sehr handgreifliche Wille, alte gegen neue Lebensbedingungen einzutauschen, wurde hier – etwa in dem mit anarchistischen Zuständen kokettierenden Schlager „Santa Fé“ – beschworen.“, aus: Worbs, Hans Christoph: Der Schlager. Bestandsaufnahme-Analyse-Dokumentation. Ein Leitfaden, Carl Schünemann Verlag, Bremen, 1963, S. 52

6 Aus: Worbs, Hans Christoph: Der Schlager. Bestandsaufnahme-Analyse-Dokumentation. Ein Leitfaden, Carl Schünemann Verlag, Bremen, 1963, S. 56

7 Dietrich, Wolfgang: Samba Samba. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung zur fernen Erotik Lateinamerikas in den Schlagern des 20. Jahrhunderts, Vier-Viertel-Verlag, Wien, 2002, S. 26 f.

8 Aus: Dietrich, Wolfgang: Samba Samba. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung zur fernen Erotik Lateinamerikas in den Schlagern des 20. Jahrhunderts, Vier-Viertel-Verlag, Wien, 2002, S. 32

9 Aus: Dietrich, Wolfgang: Samba Samba. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung zur fernen Erotik Lateinamerikas in den Schlagern des 20. Jahrhunderts, Vier-Viertel-Verlag, Wien, 2002, S. 47

10 Aus: Dietrich, Wolfgang: Samba Samba. Eine politikwissenschaftliche Untersuchung zur fernen Erotik Lateinamerikas in den Schlagern des 20. Jahrhunderts, Vier-Viertel-Verlag, Wien, 2002, S. 29 f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Tropische Länder als Symbole im Schlager vor 1933/38
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Musik als Sprache des Politischen
Note
1,00
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V115068
ISBN (eBook)
9783640163342
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tropische, Länder, Symbole, Schlager, Musik, Sprache, Politischen
Arbeit zitieren
Mag. Andrea Schikowitz (Autor:in), 2004, Tropische Länder als Symbole im Schlager vor 1933/38, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115068

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Tropische Länder als Symbole im Schlager vor 1933/38



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden