Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland und die relevanten Akteure

Eine Anwendung des Advocacy-Coalition-Frameworks


Seminararbeit, 2021

12 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


In diesem Essay werde ich die Entstehung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland näher beleuchten und mich dabei auf die hierzu relevanten Akteure fokussieren. Dabei leiten mich die Fragen, aus welchen inhaltlichen Gründen der gesetzliche Mindestlohn schließlich beschlossen wurde, also welche Argumente seitens der Gegner und Befürworter jeweils genannt wurden, wie sich jene Akteure kategorisieren lassen und welche Grundüberzeugungen (belief systems) sie jeweils teilen.

Das Thema dieses Essays lautet: Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland und die relevanten Akteure – eine Anwendung des Advocacy-Coalition Frameworks (ACF).

Meine Forschungsfrage heißt dabei: Wer waren die relevanten Akteure bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und wie lauteten ihre belief systems ? Die Kernaussage des Essays beinhaltet den Befund, dass sowohl Unterstützer und Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns aus politischen Parteien und Interessensorganisationen bestanden, wobei die Zahl der Kritiker über die Jahre schrittweise kleiner wurde. Ferner mag überraschen, dass vor allem seitens der Vertreter des Kapitals die Tarifautonomie als Argument hochgehalten wurde, während die Befürworter mit der Stilllegung des Niedriglohnsektors, sowie einer Sicherung eines Mindeststandards für soziale und ökonomische Stabilisierung argumentierten.

Im Folgenden werde ich zunächst auf die Entstehungsgeschichte des gesetzlichen Mindestlohns eingehen, um anschließend jene zentralen Akteure zu identifizieren und kategorisieren. Danach werde ich den ACF deskriptiv darlegen und erklären, warum ich diesen Rahmen für die Entstehung des gesetzlichen Mindestlohns für geeignet halte. Im Anschluss versuche ich den ACF anzuwenden.

Ein gesetzlicher Mindestlohn definiere die Untergrenze der Bezahlung für abhängig Beschäftigte, die vom Arbeitgeber nicht unterschritten werden darf (Oschmiansky 2014). Am 11. August 2014 wurde das sogenannte Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie verkündet, das am 16. August 2014 in Kraft trat (Bundesgesetzblatt 2014; Deutscher Bundestag 2014). In Artikel 1 „Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns“ (Bundesgesetzblatt 2014), Abschnitt 1, Paragraph 1, Absatz 1 und 2 heißt es:

„Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Die Höhe des Mindestlohns beträgt ab dem 1.Januar 2015 brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Die Höhe des Mindestlohns kann auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner (Mindestlohnkommission) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden.“

Knapp vier Millionen Menschen in Deutschland profitierten von der Einführung (Mindest-lohn.org 2018). Zwar habe es schon zuvor Mindestlohnregelungen für einzelne Branchen gegeben, doch bestehe die Besonderheit in diesem Gesetz in der erstmaligen flächendeckenden Regelung (Oschmiansky 2014). Allerdings solle es bis Ende 2016 Ausnahmeregelungen geben, indem alle Tarifverträge mit Stundenentgelten unter 8,50 Euro solange weitergelten. Seit dem 1. Januar 2017 gelte dieses gesetzliche Mindestlohnniveau nun uneingeschränkt (Oschmiansky 2014)1. Die bisherigen Gegner eines gesetzlichen Mindestlohns begründeten ihre ablehnende Haltung vorwiegend mit dem Argument, der Staat dürfe sich nicht in die Tarifautonomie der Tarifparteien einmischen und würde somit die eigentliche, ursprüngliche Funktion der Sozialpartnerschaft zerstören2. Vor allem dürfe nicht der Staat – wie in einer Planwirtschaft üblich – die Höhe von Löhnen bestimmen und verabschieden, auch da die Gefahr der parteipolitischen Profilierung zu groß sei. Unter anderem aus diesen Erwägungen habe sich die Bundesregierung - damals bestehend aus SPD, CDU, CSU - auf die Einsetzung einer Kommission der Tarifpartner geeinigt, die die Höhe des allgemein verbindlichen Mindestlohns in regelmäßigen Abständen – erstmals zum 10.6.2018 mit Wirkung zum 1.1.2018 – überprüft, gegebenenfalls anpasst und anschließend über eine Rechtsverordnung staatlich erstreckt und damit allgemein verbindlich wird (Oschmiansky 2014; Schroeder 2020). Seitdem werde die Höhe des Mindestlohns alle zwei Jahre angepasst (Mindest-lohn.org 2018). Die Mitglieder dieser Kommission werden von den Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer benannt (Größe: drei zu drei plus Vorsitz), es gebe einen wissenschaftlichen Sachverstand (ohne Stimmrecht), der auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer (1 plus 1) hinzugezogen werde (Oschmiansky 2014; Schroeder 2020). Vor dieser Zeit beließ Deutschland es bei tariflichen Branchenmindestlohnen. 1996 sei das Arbeitnehmerentsendegesetz erlassen worden, welches das Ziel setzte, Wettbewerbsschutz für einheimische Beschäftigte und deren Arbeitgeber zu garantieren, indem es zwingende Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer, die von im Ausland ansässigen Arbeitgebern zu grenzüberschreitender Erbringung von Dienstleistungen nach Deutschland entsandt werden, per Allgemeinverbindlichkeitserklärung festschrieb (Oschmiansky 2014; Müller-Wenner 2015). Dieses Gesetz habe festgelegt, dass Tarifverträge eingehalten und entsprechend Löhne nach Tarif bezahlt werden. Doch durch die abnehmende Tarifbindung in den letzten Jahrzehnten sei die Zielwirkung des Arbeitnehmerentsendegesetzes stark abgeschwächt. Auf Seiten der Gewerkschaften sei es zunächst die NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) gewesen, die sich Ende 2001/2002 für einen gesetzlichen Mindestlohn einsetzte, während damals auch auf Gewerkschaftsseite noch viele Vorbehalte existiert hätten (Müller-Wenner 2015).

[...]


1 Das Gesetz sah schließlich doch Ausnahmen vor, etwa für Praktikanten, teilweise für Studenten und Schüler, Personen jünger als 18 Jahre ohne abgeschlossene Schulausbildung, Langzeitarbeitslose, Ehrenämter im Minijob und Auszubildende (Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie Artikel 1, §22).

2 Als Beispiel lässt sich ein Zitat des früheren arbeitsmarktpolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion Johannes Vogel (im Interview mit Liminski, Deutschlandfunk, 2012) heranziehen: „(…) dass der deutsche Weg der Tarifautonomie, das heißt die Lohnfindung bleibt in den Händen der Tarifpartner, (..) der bessere ist.“

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland und die relevanten Akteure
Untertitel
Eine Anwendung des Advocacy-Coalition-Frameworks
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Lohnpolitik
Note
2,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1150913
ISBN (eBook)
9783346537881
ISBN (Buch)
9783346537898
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mindestlohn, gesetzlicher Mindestlohn, ACF, Advocacy-Coalition-Framework, belief systems, policy-subsysteme
Arbeit zitieren
Christian Ramspeck (Autor:in), 2021, Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland und die relevanten Akteure, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1150913

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