In der vorliegenden Arbeit werden grundsätzliche Fragen in Bezug auf psychische Störungen im Zusammenhang mit unerfülltem Kinderwunsch und reproduktionsmedizinischen Maßnahmen beantwortet. Untersucht wird, ob psychische Störungen zu Unfruchtbarkeit führen, oder ein unerfüllter Kinderwunsch zu psychischen Erkrankungen führen kann. Darüber hinaus wird die Rolle reproduktionsmedizinischer Maßnahmen als Ursache für psychische Störungen erforscht. Vor dem Erstellen des systematischen Reviews wurden die Forschungsfragen identifiziert und ihre Beziehungen zueinander analysiert. Vor allem randomisierte kontrollierte Studien, systematische Übersichtsarbeiten sowie Metaanalysen und Leitlinien der letzten 25 Jahre wurden berücksichtigt.
Es gibt keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege für psychopathologische Persönlichkeitsstrukturen, welche bei unfruchtbaren Paaren eine Fertilitätsstörung verursachen könnten. Ausschließlich psychopathologische Faktoren wie krankhaftes Essverhalten, starkes Unter- sowie Übergewicht bei Frauen und starkes Übergewicht bei Männern sowie exzessiver Sport bei Frauen und der Genuss- und Arzneimittelmissbrauch können die Fertilität einschränken. Das Gefühl des Versagens, der Niederlage und der Ausweglosigkeit kann nach erfolglosen medizinischen Kinderwunschbehandlungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern depressive Symptome fördern. Ängstlichkeit und Depressivität haben jedoch keinen Einfluss auf das Eintreten einer Schwangerschaft nach medizinischer Kinderwunschbehandlung. Ob Einlingskinder nach medizinischer Kinderwunschbehandlung psychisch beeinträchtigt sind, ist nicht eindeutig geklärt. Die Mehrlingsproblematik nach medizinischen Kinderwunschbehandlungen ist aus psychologischer Sicht jedoch dramatisch. Mehrlinge leiden wesentlich häufiger an Verhaltensstörungen.
Es ist zu vermuten, dass ausschließlich Paare, welche im Vorfeld einer künstlichen Befruchtung an psychischen Störungen leiden, von psychosozial orientierten Beratungsangeboten vor der medizinischen Kinderwunschbehandlung profitieren. Dennoch ist die Einbeziehung psychischer und sozialer Gesichtspunkte, im Sinne einer primären psychosomatischen Grundversorgung, vor der Behandlung sinnvoll. Neue Forschungsfelder ergeben sich durch die zunehmende Verschiebung der klassischen Mutter-Vater-Kind-Kernfamilie hin zu Einelternfamilien, Co-Parenting-Eltern und gleichgeschlechtlichen Familien.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Exposé
1. Definition und Inzidenz
2. Psychische Belastung
3. Mangel an Wissen und übersteigerte Erwartungen
4. Die Situation in Österreich
5. Stress und Unfruchtbarkeit
6. Recherche und Studien
7. Aufbau der Arbeit
Literatur-Review
Teil 1: Theoretische Grundlagen
1. Reproduktion im Allgemeinen
2. Physiologie der menschlichen Reproduktion
3. Geschichte der Reproduktionsmedizin
4. Häufigkeit und medizinische Ursachen von unerfülltem Kinderwunsch
5. Prognostische Kriterien bei ungewollt kinderlosen Paaren
6. Prognosekriterien für Schwangerschaften bei Kinderwunschbehandlungen
7. Neue Familienformen und sozialpolitische Aspekte
8. Medizinische Behandlungsmöglichkeiten bei unerfülltem Kinderwunsch
9. Weiterentwicklung der Reproduktionsmedizin
Teil 2: Psychische Aspekte der Kinderlosigkeit
1. Kinderwunschmotive
2. Unerfüllter Kinderwunsch und psychische Belastung
3. Stress und Infertilität
4. Belastungserleben durch ungewollte Kinderlosigkeit
5. Männer und Kinderwunsch
6. Paarbeziehung und Kinderwunsch
7. Die Überschätzung der eigenen Fruchtbarkeit
8. ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung während der Kinderwunschbehandlung
Teil 3: Psychische Störungen und unerfüllter Kinderwunsch
1. Psychische Störungen als Ursache für unerfüllten Kinderwunsch
2. Unerfüllter Kinderwunsch als Ursache für psychische Störungen
3. Reproduktionsmedizinische Maßnahmen als Ursache für psychische Störungen
Teil 4: Bewältigungs- und Therapieformen bei unerfülltem Kinderwunsch
1. Coping
2. Psychotherapeutische Interventionen vor der medizinischen Therapie
3. Die psychosomatische Grundversorgung
4. Psychosoziale Beratung
5. Autoregulationsverfahren
6. Positive Neubewertung und Stressbewältigung
7. Verhaltenstherapeutische Interventionen
8. Verhaltenstherapeutische Gruppen- und Paartherapie
9. Internetbasierte psychosoziale Unterstützung
10. Kombinierte Behandlungen
11. Hypnose, Musiktherapie, Akupunktur, traditionelle chinesische Medizin
12. Medikamentöse Behandlung
Teil 5: Methodische Aufarbeitung
1. Darstellung methodischer Ansätze des Forschungsfelds
2. Weiterentwicklung methodischer Ansätze
Diskussion
1. Auswirkungen von Stress auf das Behandlungsergebnis
2. Therapie
3. Beantwortung der Forschungsfragen
a) Können psychische Störungen zu Unfruchtbarkeit führen?
b) Kann unerfüllter Kinderwunsch zu psychischen Erkrankungen führen?
c) Können reproduktionsmedizinische Maßnahmen eine Ursache für psychische Störungen sein?
4. Limitationen
5. Künftige Forschungsfragen
Zusammenfassung
Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
In der vorliegenden Arbeit werden grundsätzliche Fragen in Bezug auf psychische Störungen im Zusammenhang mit unerfülltem Kinderwunsch und reproduktionsmedizinischen Maßnahmen beantwortet. Untersucht wird, ob psychische Störungen zu Unfruchtbarkeit führen, oder ein unerfüllter Kinderwunsch zu psychischen Erkrankungen führen kann. Darüber hinaus wird die Rolle reproduktionsmedizinischer Maßnahmen als Ursache für psychische Störungen erforscht.
Vor dem Erstellen des systematischen Reviews wurden die Forschungsfragen identifiziert und ihre Beziehungen zueinander analysiert. Vor allem randomisierte kontrollierte Studien, systematische Übersichtsarbeiten sowie Metaanalysen und Leitlinien der letzten 25 Jahre wurden berücksichtigt.
Es gibt keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege für psychopathologische Persönlichkeitsstrukturen, welche bei unfruchtbaren Paaren eine Fertilitätsstörung verursachen könnten. Ausschließlich psychopathologische Faktoren wie krankhaftes Essverhalten, starkes Unter- sowie Übergewicht bei Frauen und starkes Übergewicht bei Männern sowie exzessiver Sport bei Frauen und der Genuss- und Arzneimittelmissbrauch können die Fertilität einschränken. Das Gefühl des Versagens, der Niederlage und der Ausweglosigkeit kann nach erfolglosen medizinischen Kinderwunschbehandlungen sowohl bei Frauen als auch bei Männern depressive Symptome fördern. Ängstlichkeit und Depressivität haben jedoch keinen Einfluss auf das Eintreten einer Schwangerschaft nach medizinischer Kinderwunschbehandlung. Ob Einlingskinder nach medizinischer Kinderwunschbehandlung psychisch beeinträchtigt sind, ist nicht eindeutig geklärt. Die Mehrlingsproblematik nach medizinischen Kinderwunschbehandlungen ist aus psychologischer Sicht jedoch dramatisch. Mehrlinge leiden wesentlich häufiger an Verhaltensstörungen.
Es ist zu vermuten, dass ausschließlich Paare, welche im Vorfeld einer künstlichen Befruchtung an psychischen Störungen leiden, von psychosozial orientierten Beratungsangeboten vor der medizinischen Kinderwunschbehandlung profitieren. Dennoch ist die Einbeziehung psychischer und sozialer Gesichtspunkte, im Sinne einer primären psychosomatischen Grundversorgung, vor der Behandlung sinnvoll.
Neue Forschungsfelder ergeben sich durch die zunehmende Verschiebung der klassischen Mutter-Vater-Kind-Kernfamilie hin zu Einelternfamilien, Co-Parenting-Eltern und gleichgeschlechtlichen Familien.
Exposé
Im Leben der meisten Menschen kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sie sich Kinder wünschen. In Mitteleuropa liegt der Prozentsatz von Frauen, die mit dem 45. Lebensjahr kinderlos sind, zwischen 8 % in Frankreich und 22 % in Deutschland (Höhn, Ette, & Ruckdeschl, 2006). Jedoch ist nur ein kleiner Teil dieser Frauen ungewollt kinderlos.
Durch die schrittweise Entkoppelung von Sexualität und Fortpflanzung kommt es seit geraumer Zeit zu Veränderungen in modernen Gesellschaften (Bernard, 2014). Vor der Einführung der Antibabypille im Jahr 1960 war eine Schwangerschaft weniger planbar und hatte eher einen schicksalhaften Charakter (Becker & Kortendiek, 2010). Heute entscheiden sich Paare meist bewusst für oder gegen Kinder. Diese Entscheidung ist oftmals ein langandauernder, sich ständig verändernder Prozess, der im Laufe des Alterns von gewollter Kinderlosigkeit in die ungewollte Kinderlosigkeit umspringen kann. Der Kinderwunsch wird durch mehr oder weniger bewusste bzw. unbewusste Motive getriggert, welche durch psychologische, biologische sowie soziale und gesellschaftliche Normen mitbestimmt werden (Gloger-Tippelt, 1993).
1. Definition und Inzidenz
Die WHO definiert ‚Unfruchtbarkeit‘ als das Ausbleiben einer Schwangerschaft nach einem Jahr ungeschütztem, regelmäßigem Geschlechtsverkehr (WHO, 2020). Nach der Einschätzung der europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin leiden ca. 15–20 % aller Paare in Mitteleuropa einmal in ihrem Leben an verminderter Fruchtbarkeit (Stöbel-Richter et al., 2013). Die meisten dieser Paare bekommen im späteren Leben auf natürlichem Wege ein Kind. Erstaunlicherweise wird bei manchen Autoren aus dieser Einschätzung eine vielfach wiedergegebene falsche Behauptung. So heißt es fälschlich in vielen Artikeln, die sich mit Unfruchtbarkeit auseinandersetzen, dass ca. 15–20 % aller in Europa lebenden heterosexuellen Paare an unerfülltem Kinderwunsch leiden (Boivin et al., 2007). Das wäre jedes siebente Paar.
Nach der WHO-Definition sind weltweit ca. 6 % aller Paare im reproduktiven Alter dauerhaft ungewollt kinderlos (Westermann & Alkatout, 2019). Das ist jedes 16. Paar. Durch die permanente gewollte oder ungewollte Verwechslung der Begriffe ‚einmal im Leben verminderte Fruchtbarkeit‘ und ‚dauerhafte Unfruchtbarkeit‘ werden Paare langfristig verunsichert. Nur 3 % der Paare bleiben dauerhaft ungewollt kinderlos (Stöbel-Richter et al., 2004). Damit kann die Zahl der erfolgreichen medizinischen Kinderwunschbehandlungen kumulativ auf 50 % geschätzt werden. Gegenwärtig trägt die Reproduktionsmedizin zu ca. 3 % aller geborenen Kinder in Österreich bei. Es kann angenommen werden, dass diese Zahl in Westeuropa annähernd gleich ist (Kern, 2020).
2. Psychische Belastung
Viele Paare bringt die medizinische Diagnose einer Fertilitätsstörung an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit (Carl, 2002). Gerade bei Frauen kann die Tatsache, dass das ‚natürlichste der ganzen Welt‘ nicht einwandfrei funktioniert, als kränkend empfunden werden (Stöbel-Richter et al., 2008). Jede neu einsetzende Regelblutung wird zur erneuten Demütigung. Retrospektive Studien in den USA haben gezeigt, dass Unfruchtbarkeit zu extrem stressvollen Lebenssituationen führen kann, vergleichbar mit dem Verlust eines Kindes oder des Partners (Spiewak, 2002).
Beyer (2004) schreibt in ihrer Dissertation, dass ungewollte Kinderlosigkeit sowohl kurz- als auch langfristige Folgen nach sich ziehen kann. Zu den kurzfristigen zählen starke emotionale Belastung, Beeinträchtigung des Selbstwerts und erhöhte Somatisierung, wie die Entwicklung von Ängsten, zum Beispiel die Angst vor Stigmatisierung. Als Langzeitfolgen könnten die Angst vor Vereinsamung oder die Angst vor schlechterer Versorgung im Alter eine Rolle spielen. Frauen, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, zeigen auch eine höhere Inzidenz an Depressionen (Beyer, 2004). Da die ungewollte Kinderlosigkeit oft ein massiv einschneidendes Erlebnis ist, welches das Paar durch einen ganzen Lebensabschnitt begleitet, ist die Behandlung derselben auch mit hohen Erwartungen an die Medizin verbunden. Dies könnte zu einem erhöhten Handlungsdruck und einer höheren Risikobereitschaft der betreuenden MedizinerInnen führen.
3. Mangel an Wissen und übersteigerte Erwartungen
Rezente Forschungen zeigen, dass in der Bevölkerung ein deutlicher Mangel an Wissen über die Reproduktionsmedizin herrscht (Stöbel-Richter et al., 2006). Paare haben oft übertrieben hohe Erwartungen an die medizinischen Verfahren und schrecken nicht vor kostenintensiven und teilweise gesundheitsschädlichen Behandlungen zurück, um ihren unerfüllten Kinderwunsch wahr werden zu lassen. Teilweise wird das erste Kind ‚um jeden Preis‘ ersehnt und daneben werden die realistischen Chancen auf eine Schwangerschaft sowie vor allem Risiken der Behandlungen ignoriert (Janik, 2018). Viele Paare überschätzen die Erfolgsraten der reproduktionsmedizinischen Behandlung und unterschätzen die physischen, psychischen und finanziellen Belastungen (Maio et al., 2013).
Betrachtet man die Schwangerschaftsraten von Frauen über 40 Jahre international, wird klar, dass in diesem Alter die Chancen, auf natürlichem Wege oder auch mit künstlicher Befruchtung schwanger zu werden, sehr gering sind (Ritzinger, 2013). Durch das Hinausschieben der Elternschaft, zum Beispiel bei vorangehenden Ausbildungen und Berufserfahrungen, gelangen Frauen in höher gebildeten gesellschaftlichen Schichten mit hoher Wahrscheinlichkeit in dieses Dilemma. Es steht außer Zweifel, dass der höhere Bildungsgrad mit einem erhöhten Prozentsatz an Kinderlosigkeit einhergeht (Schumacher et al., 2001).
4. Die Situation in Österreich
In Österreich wurde im Jahr 2000 durch die Errichtung eines mitfinanzierenden Geldfonds (IVF Fonds) eine Grundlage dafür geschaffen, dass medizinische Kinderwunschbehandlungen für alle Bevölkerungsschichten leistbar bleiben ( IVF-Fonds, 2021). Der IVF Fonds wacht darüber, dass ausschließlich medizinische Indikationen als Gründe für reproduktionsmedizinische Maßnahmen herangezogen werden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass medizinische Behandlungen ohne Grunderkrankung durchgeführt werden. In Österreich bestimmt das Fortpflanzungsmedizingesetz, FmedG 1992 update 2015, die verpflichtende Information der Paare über psychische Abläufe rund um eine Kinderwunschbehandlung und das Anbieten einer psychologischen Beratung vor der Behandlung. Ob die psychologische Beratung tatsächlich in Anspruch genommen wird, bleibt dem Paar überlassen.
5. Stress und Unfruchtbarkeit
Lange wurde der Zusammenhang zwischen Stress und Unfruchtbarkeit diskutiert und als Ursache der Unfruchtbarkeit vermutet. Bisher konnte ein direkter Zusammenhang jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden (Wischmann, 2006). Dennoch gibt es Zusammenhänge zwischen Stress und Unfruchtbarkeit auf hormoneller Ebene. Die Erhöhung der Konzentration des Hormons Prolaktin führt zu einer verminderten Ovulationsrate und damit zu einer erniedrigten Konzeptionsrate. Die Erhöhung des Prolaktinspiegels korreliert wiederum mit dem Stressniveau (Gerhard et al., 1989).
Die Prävalenz einer rein psychogenen Infertilität wird auf ca. 5 % der Paare mit Fruchtbarkeitsstörungen geschätzt und betrifft vor allem psychopathologisch-verhaltensbedingte Fertilitätsstörungen wie Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa. Diese führen, durch die Verschiebung der Hormonachsen, zu unerfülltem Kinderwunsch (Gerwing & Kersting, 2015).
Die Fragen, ob unerfüllter Kinderwunsch per se zu psychischen Störungen führt und ob moderne Kinderwunschbehandlungen ebenso zu psychischen Störungen führen können, werden in der Literatur kontrovers diskutiert.
Folgende drei Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit beantwortet werden.
a. Können psychische Störungen zu Unfruchtbarkeit führen?
b. Kann unerfüllter Kinderwunsch zu psychischen Erkrankungen führen?
c. Können reproduktionsmedizinische Maßnahmen eine Ursache für psychische Störungen sein
6. Recherche und Studien
Die Recherchestrategie besteht darin, zunächst die zentralen Konzepte und Facetten einzeln zu identifizieren und ihre logischen Beziehungen zu analysieren. Diese Strategie nennt man ‚Building Blocks‘, das Zerlegen des Informationsbedarfs in seine Bestandteile (Roth-Steiner, 2013). Anschließend wird eine selektive Literaturrecherche auf der Basis von internationalen Datenbanken durchgeführt. Es werden unterschiedliche Formen von Studien, wie narrative Reviews, systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen in die Recherchen aufgenommen und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede beschrieben. Systematische Übersichtsarbeiten haben den Anspruch, alle publizierten Studien zu einem bestimmten Thema zu berücksichtigen und können so einen umfassenden Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand geben (Ressing et al., 2009). Bei den zitierten Metaanalysen werden Ergebnisse zusammengefasst und daraus gepoolte Effekte beschrieben (Blettner et al., 1997).
7. Aufbau der Arbeit
Die Arbeit beschäftigt sich im ersten Teil mit der Weitergabe von Merkmalen eines Organismus und den vielfältigen Möglichkeiten der Fortpflanzung. Anschließend werden ein Überblick über die Physiologie und die Geschichte der menschlichen Reproduktion sowie ein kurzer Abriss über die Geschichte der Reproduktionsmedizin gegeben. Nachdem Fragen über prognostische Kriterien zum Eintritt von Schwangerschaften bei Kinderwunschpaaren und nach medizinischen Kinderwunschbehandlungen beantwortet wurden, wird auf die modernen Methoden der Reproduktionsmedizin eingegangen.
Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit psychischen Aspekten der Kinderlosigkeit wie Stress, Erwartungshaltungen von Frauen und Männern und Paarbeziehungen bei unerfülltem Kinderwunsch sowie der PatientInnen-ÄrztInnen-Beziehung während medizinischer Kinderwunschbehandlungen.
Der dritte Teil beantwortet die gestellten Fragen zu verhaltensbedingten Fertilitätsstörungen, Essstörungen und unerfülltem Kinderwunsch sowie sexuellen Störungen als Ursache des unerfüllten Kinderwunsches. Weiters wird auf die Themenkomplexe Kinderwunsch und Depression, sexuelle Störungen als Folge unerfüllten Kinderwunsches, unerfüllter Kinderwunsch und Partnerschaft sowie reproduktionsmedizinische Maßnahmen als Ursache für psychische Störungen eingegangen.
Im vierten Teil werden mögliche Bewältigungsstrategien und Psychotherapieformen für Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch vorgestellt. Der fünfte Teil beschäftigt sich mit den methodischen Ansätzen des Forschungsfelds und der Weiterentwicklung verschiedener methodischer Ansätze.
Die Arbeit wird mit einer Diskussion des Themas, der Beantwortung der gestellten Fragen sowie limitierenden Faktoren der möglichen Aussagen und einem Ausblick auf neue Forschungsfelder sowie dem Fazit abgeschlossen.
Literatur-Review
Teil 1: Theoretische Grundlagen
In der Einleitung werden die Grundlagen der Reproduktion und der medizinischen Kinderwunschbehandlung vorgestellt, auf welchen die Forschungsfragen und die Bestandteile der Arbeit beruhen.
1. Reproduktion im Allgemeinen
Die Weitergabe von Merkmalen eines Organismus ist nur durch Reproduktion möglich. Die Fortpflanzung ist damit ein wesentliches Merkmal des Lebens. Es wird in diesem Zusammenhang zwischen ungeschlechtlicher, eingeschlechtlicher und zweigeschlechtlicher Reproduktion unterschieden.
Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist die ursprünglichste Form der Vermehrung und kommt bei Einzellern vor. Diese verdoppeln ihr Erbmaterial und verteilen es anschließend auf zwei Zellen. Spezielle Keimzellen sind dafür nicht notwendig. Der Vorteil dieser Art der Fortpflanzung ist, dass Genkombinationen, die sich bewährt haben, erhalten bleiben (Wilharm, 2008).
Eine andere Form ist die geschlechtliche oder sexuelle Fortpflanzung, wobei zwischen eingeschlechtlicher und zweigeschlechtlicher Fortpflanzung unterschieden wird. Erstere wird Parthenogenese (Jungfernzeugung) genannt. Die Nachkommen entstehen dabei aus den unbefruchteten Eizellen der Weibchen, die durch hormonelle Stimulation zur Teilung angeregt werden. Geschlechtspartner sind, wie bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, nicht nötig (Seiler, 1964).
Im Zuge der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung kommen zwei unterschiedliche Keimzellen zusammen: Eizelle und Samenzelle. Die Nachkommen erhalten damit die Gene beider Elternteile. Dadurch besteht die Möglichkeit, neue, an aktuelle Umweltbedingungen angepasste Genkombinationen entstehen zu lassen. Selten befinden sich die beiden Geschlechtszellen in ein und demselben Individuum. In diesem Fall wäre die Rede von Autogamie oder Selbstbefruchtung (Ebeling, 2006). Rutherford (2020) merkt an, dass zweigeschlechtliche Fortpflanzung auf mehreren Ebenen zu einer Erhöhung der Vielfalt führt. Die 23 Chromosomen des Menschen ermöglichen mehr als acht Millionen verschiedene Kombinationen der mütterlichen und väterlichen Keimzellen (Brem, 2019).
Die Meiose ist eine Form der Zellteilung, bei der aus einer Zelle mit doppeltem Chromosomensatz vier Tochterzellen mit einfachen Chromosomensätzen entstehen. Durch die Meiose wird die artspezifische Chromosomenzahl erhalten (Müller & Hassel, 2021). Sie verläuft bei allen sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen in ähnlicher Weise und ist ein effizienter DNA-Reparaturmechanismus. Bei der Halbierung des Chromosomensatzes können schädliche Mutationen beseitigt werden (Görtz & Brümmer, 2012).
Die sexuelle Fortpflanzung führt zur Erhöhung der genetischen Varianz der Individuen und bietet damit einen evolutionären Vorteil. Die sexuelle Daueraktivität haben Menschenaffen mit den Menschen gemeinsam. Zudem ist sowohl bei Menschenaffen als auch bei Menschen das Sexualverhalten mit sozialen Funktionen verbunden (Leditzky & Pass, 2011).
2. Physiologie der menschlichen Reproduktion
Die Regelkreise der Hormonausschüttung werden hierarchisch und meist pulsatil ausgelöst, Hormone werden normalerweise über das Blut im Körper verteilt (endokrine Wirkung). Sie können aber auch eine Wirkung an benachbarten Zellen entfalten (parakrine Wirkung) oder auf die hormonproduzierende Zelle selbst wirken (autokrine Wirkung) (Clauss, 2018).
Der Hypothalamus ist für die Kommunikation zwischen Außenwelt und Innenwelt des menschlichen Körpers ein zentraler Ort im Gehirn. Dort werden pulsatil Releasing- und Inhibiting-Hormone an die eng benachbarte Hypophyse übertragen (Clauss, 2018). Diese ist in zwei Bereiche unterteilt, den Hypophysenhinterlappen und den Hypophysenvorderlappen. Der Hypophysenvorderlappen ist in der Hierarchie die nächste Regulationsebene. Er schüttet die glandotropen Hormone aus und diese wirken auf die nachgeordneten Hormondrüsen ein (Jones, 2007).
Die nachgeordneten Hormondrüsen Nebennieren, Schilddrüse, Hoden und Eierstöcke stellen die unterste Ebene der Hierarchie dar. Diese bilden periphere Hormone und wirken damit auf ihre Zielzellen ein. So steuert der Körper durch die Kommunikation zwischen Hypothalamus, Hypophysenvorderlappen und Ovarien das reproduktive System von Frau und Mann (Gründker & Emons, 2020).
Östrogene und Progesteron, die Hormone der Eierstöcke, sind fast ausschließlich an Plasmaproteine gebunden. Sie stimulieren die Zielorgane des reproduktiven Systems. In jedem Monatszyklus werden mehrere Follikel für das Wachstum rekrutiert. Meistens kommt es in der Mitte des Zyklus zur Ovulation. Der dominante Follikel setzt eine Oozyte frei und fördert anschließend die Atresie der anderen Follikel (Goerke et al., 2020).
3. Geschichte der Reproduktionsmedizin
Früher war die Unfruchtbarkeit sowohl beim Menschen als auch bei Tieren und im Ackerbau eine Tragödie. Aus diesem Grund wurden Rituale und Hilfsmittel entwickelt, um die Fruchtbarkeit zu fördern. In der vorkeltischen Zeit kamen Paare zu einem großen Stein in Plouarzel in der Bretagne, um Fruchtbarkeit zu erbitten. In der Bretagne glaubt man heute noch, dass große aufgestellte Steine (Menhire) übernatürliche Kräfte in sich tragen, die zur Fruchtbarkeit verhelfen (Willing, 2021).
Die Hypophyse war bereits im antiken Griechenland bekannt. Der griechische Arzt Galen (129–199 n. Chr.) schrieb, dass die Hypophyse seiner Meinung nach ein Entsorgungsort sei, um Abfälle des Gehirns zu sammeln und abzuleiten (Kollesch et al., 1993). Erst im 17. Jahrhundert gelangten die Menschen zu der Einsicht, dass keinerlei Verbindung zwischen Nase und Hypophyse bestehe und dass die Hypophyse daher eine andere Funktion haben müsse. In der Neuzeit war Unfruchtbarkeit nicht mehr eine Sache der höheren Mächte. Buchan (1788) sah die Ursachen der Unfruchtbarkeit in der Psyche der Frauen. So schrieb er: „Unfruchtbarkeit ist oft die Folge von Kummer, plötzlicher Furcht, Angst oder einer der Leidenschaften, die dazu neigen, den Menstruationsfluss zu behindern.“ (S. 342)
Untersuchungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigten, dass eine Entfernung der Hypophyse bei Hunden zur Atrophie der Genitalorgane führte (Diedrich et al., 2019). Die wissenschaftliche Erforschung der Sterilität begann Anfang des 20. Jahrhunderts. Die meisten Forschenden konzentrierten sich dabei aber auf die Psyche der Frau und bezeichneten diese vielfach als den einzigen Faktor der Sterilität (Pintsuk, 2013). Rabe (1952) beschreibt Formen ‚psychogener Blutungsstörungen‘, wie psychogenes Ausbleiben der Regelblutung durch Flucht oder Krieg. Auhagen-Stephanos (2000) führt aus, dass das Ausbleiben der Regelblutung mit psychischen Ausnahmesituationen zusammenhängen kann.
Es wurden auch wissenschaftliche Beobachtungen publiziert, die heute als veraltet gelten. So behauptet Loftus (1962), dass es Frauen, die an Amenorrhoe leiden, an mütterlicher Identifikation fehle, und Knorre und Henrichel (1985) sind der Ansicht, dass Unfruchtbarkeit Ausdruck eines unbewussten Schutzes vor dem Kind sein könne. Dieser Schutz entstehe aufgrund der Ambivalenz gegenüber dem Kinderwunsch. Die zitierten Arbeiten weisen allerdings methodische Fehler auf, da bei geringer Fallzahl und fehlenden Vergleichsgruppen keine gültigen Aussagen getroffen werden können. Zudem wurden fälschlicherweise Fruchtbarkeitsstörungen ohne medizinische Ursache mit psychogenen Störungen gleichgesetzt.
Auf andere Weise näherten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts physiologisch orientierte Forschende dem Thema. Zondek und Aschheim (1926) zeigten, dass die Eierstockfunktion durch die Hypophyse reguliert wird. Etwa zur selben Zeit wurden schon medikamentöse Ansätze entwickelt, um dieses Wissen auf eine Fertilitätstherapie zu übertragen.
In den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Hypothalamus-Hypophysen-Funktion intensiv erforscht (Fink, 2015). Die Untersuchungen zur Physiologie der Eizelle sowie der Befruchtungsvorgänge im Menschen wären ohne die bahnbrechenden Arbeiten von Robert Edwards nicht denkbar. Ihm gelang es, Eizellen des Ovars zu isolieren, sie in einer Kultur zu entwickeln und außerhalb des Körpers zu befruchten (Fauser & Edwards, 2005).
In den 1970er-Jahren verwendeten Steptoe und Edwards intramuskulär verabreichtes humanes menopausales Gonadotropin (HMG) und humanes Choriongonadotropin (HCG) zum Heranreifen von Eizellen. Die Eizellen wurden mittels Laparoskopie gewonnen (Edwards et al., 1970). Die erste klinische Schwangerschaft erwies sich leider als Eileiterschwangerschaft (Steptoe & Edwards, 1976). Steptoe und Edwards gelang schließlich 1978 die erste Schwangerschaft und Geburt eines gesunden Mädchens nach künstlicher Befruchtung (Steptoe & Edwards, 1978). Mitte der 1980er-Jahre stellte Wilfried Feichtinger die transvaginale Gewinnung von Eizellen unter Ultraschallkontrolle vor. Dieses Verfahren ist heute weltweiter Standard (Feichtinger, 1988).
4. Häufigkeit und medizinische Ursachen von unerfülltem Kinderwunsch
Der Grund für unerfüllten Kinderwunsch liegt zu ca. 40 % bei der Frau, zu ca. 40 % beim Mann, zu ca. 10 % bei beiden und in ca. 10 % der Fälle sind die Ursachen unbekannt. Ungefähr 3 % aller Paare bleiben ungewollt kinderlos (Felberbaum & Diedrich, 1996; Höpflinger, 1991).
Die häufigsten Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit bei Frauen sind eine gestörte Ovulation, Amenorrhoe, das Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCO-Syndrom), Schädigungen der Eileiter, Endometriose, immunologische Ursachen, Störungen der Blutgerinnung, Gebärmuttermyome, sexuelle Funktionsstörungen, übermäßiger Sport, Erkrankungen der Hypophyse, Schilddrüsenunterfunktion, Schädel-Hirn-Traumata und genetische Ursachen (Strauß & Beyer, 2004). Zu den häufigsten Ursachen für ungewollte Kinderlosigkeit bei Männern zählen ein pathologisches Spermiogramm, Störungen der Spermienreifung, Störungen des Spermientransports, Varikozele (Krampfader), Maldescensus testis, Kryptorchismus (Hodenhochstand), Infektionen und systemische Erkrankungen sowie genetische Ursachen und Tumore (Cornelius et al., 2019).
5. Prognostische Kriterien bei ungewollt kinderlosen Paaren
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Schwangerschaft bei regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr eintritt, beträgt über den Zeitraum eines halben Jahres 80 %. In einer Studie mit 346 Frauen hatten diese in der Mitte ihres Zyklus ungeschützten Geschlechtsverkehr. Bei 42 % der Frauen trat im ersten Monat eine Schwangerschaft ein, drei Viertel der Frauen wurden innerhalb von drei Monaten und 98 % der Frauen innerhalb eines Jahres schwanger (Felder et al., 2002).
Die Fruchtbarkeit von Frauen nimmt ab dem 35. Lebensjahr deutlich ab. Zudem ist die Anzahl von Fehlgeburten mit zunehmendem Alter erhöht. In der Mitte des vierten Lebensjahrzehnts ist die Fertilität bereits sehr gering (Ritzinger, 2013). Für viele Paare ist der unerfüllte Kinderwunsch jedoch nur ein vorübergehendes Problem. Die Hälfte aller Paare, die wegen eines unerfüllten Kinderwunsches ärztlichen Rat suchen, bekommen zu einem späteren Zeitpunkt ein Kind, viele davon ohne medizinische Behandlung (Weiß, 2020).
Es ist schwierig, Zahlen zur Prävalenz von ungewollter Kinderlosigkeit zu generieren, da gewollte Kinderlosigkeit oft in eine ungewollte Kinderlosigkeit übergeht. Ebenfalls problematisch ist die Entscheidung, wie Paare statistisch ausgewertet werden, wenn bei einem Partner ein Kinderwunsch besteht, der andere Partner jedoch keinen Wunsch nach einem Kind verspürt (Schweiger et al., 2012).
Jenkner (2017) geht davon aus, dass die Inzidenz für unerfüllten Kinderwunsch steigt. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits entscheiden sich viele Frauen erst mit über 30 Jahren für die Familienplanung. In dieser Lebensphase sinkt die Fruchtbarkeit der Frauen bereits. Andererseits ist eine Schwangerschaft in der heutigen Zeit meistens geplant, um in den persönlichen Lebensplan der Betroffenen zu passen. Viele Frauen akzeptieren daher keine überraschenden Schwangerschaften (Jenkner, 2017).
6. Prognosekriterien für Schwangerschaften bei Kinderwunschbehandlungen
Der Ausgang einer medizinischen Kinderwunschbehandlung ist von zentraler Bedeutung für Paare, da sie sich große Hoffnungen auf eine Schwangerschaft machen (Felder et al., 2002). Leider sind aufgrund von Unterschieden im Design Studien zum Ausgang einer medizinischen Kinderwunschbehandlung meist nicht vergleichbar. Es ist äußerst schwierig, Prognosefaktoren zu erfolgreichen Therapien zu errechnen (Wischmann & Kentenich, 2019).
Zudem ist es aufgrund unterschiedlicher Ergebnisse vorliegender Studien nicht möglich, festzustellen, ob partnerschaftliche Unzufriedenheit in Zusammenhang mit dem Eintreten einer Schwangerschaft nach künstlicher Befruchtung steht (Ritzinger & Weissenbacher, 2015). Auhagen-Stephanos (2005) stellt darüber hinaus die Frage, ob Angaben zur Persönlichkeit oder Partnerschaft prognostische psychologische Merkmale sind.
7. Neue Familienformen und sozialpolitische Aspekte
Das traditionelle Familienmodell dominiert in der Gesellschaft nach wie vor (Troger, 2019). Dennoch kann beobachtet werden, dass früher als ‚alternativ‘ bezeichnete Lebensformen von der Allgemeinheit zunehmend als selbstverständlich wahrgenommen werden (Fuhs, 2007). Rehberg et al. (2013) beschreiben die Veränderungen als graduell, weil sie nur innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Schichten stattfinden würden. In der soziologischen Forschung von Maierhofer et al. (2001) wird hingegen dargelegt, dass sich Familienstrukturen in allen Gesellschaftsschichten im Wandel befinden.
Veränderungen sind an den steigenden Scheidungszahlen, dem Rückgang der Eheschließungen und dem Geburtenrückgang seit Mitte der 1960er-Jahre zu erkennen. Des Weiteren ist eine steigende Anzahl an kinderlosen Ehepaaren bzw. Lebensgemeinschaften sowie an Einpersonenhaushalten feststellbar (Maihofer et al., 2001). Die klassische Familie ist jedoch weiterhin eine Institution der Gesellschaft und die Entwicklung von Familienstrukturen wird von der Bevölkerung als bedeutsam eingeschätzt (Henkes, 2016).
8. Medizinische Behandlungsmöglichkeiten bei unerfülltem Kinderwunsch
Am Beginn der medizinischen Kinderwunschbehandlung steht immer das ärztliche Gespräch mit dem Paar. Bevor eine Kinderwunschbehandlung begonnen wird, sind Untersuchungen und Funktionsprüfungen bei beiden Partnern notwendig. Im ersten Gespräch steht die Anamnese im Mittelpunkt. Bei einigen Paaren besteht der Wunsch nach einer begleitenden psychologischen Betreuung. Daher ist es notwendig, von ärztlicher Seite geeignete Ansprechpersonen zu nennen (Meißner, 2017).
Die Anamnese beinhaltet Fragen zu Vorbehandlungen, vorherigen Schwangerschaften, akuten Erkrankungen, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Lebensstil und Sexualität. Bei Frauen sind Fragen nach dem Menstruationszyklus besonders relevant, um ein Bild von der hormonellen Situation zu erhalten. Bei Männern wird eine Spermienanalyse durchgeführt.
Die klinische Untersuchung der Frau umfasst einen transvaginalen Ultraschall, um die Gebärmutter, die Eileiter, die Eierstöcke und die Anzahl heranreifender Follikel beurteilen zu können. Bei Verdacht auf Veränderungen innerhalb der Gebärmutter ist eine Gebärmutterspiegelung sinnvoll (Springer-Kremser & Leithner-Dziubas, 2009). Blutgerinnungsparameter, immunologische Parameter, eventuell Biopsien aus der Gebärmutterhöhle zur Feststellung von Entzündungen oder immunologischen Fehlregulationen sowie das uterine Microbiom werden zur Vervollständigung untersucht. Im Blut der PatientInnen können neben dem Blutbild sowie den Leber- und Nierenwerten auch die Konzentration von Autoimmunantikörpern, Schwermetallen oder Mängel an bestimmten Vitaminen bestimmt werden (Markert et al., 2018).
a) Operative Behandlung. Bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch können einige Ursachen durch größere oder kleinere operative Eingriffe korrigiert werden. Damit steigt die Chance auf einen positiven Ausgang der medizinischen Kinderwunschbehandlung (Keck, 2013). Der häufigste operative Eingriff bei unerfülltem Kinderwunsch ist die Abklärung der Eileiterdurchgängigkeit. Ein wenig belastender Eingriff ist die Gebärmutterspiegelung. Damit können pathologische Befunde (Polypen, Myome, Septen), die im Ultraschall nicht immer auffallen müssen, ausgeschlossen und behoben werden (Derouet, 1999).
Gebärmutterfehlbildungen werden bei etwa 3 % der Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch nachgewiesen (Ritzinger & Weissenbacher, 2003). Keck (2013) gibt an, dass Gebärmutterfehlbildungen mit einem höheren Risiko für frühe Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit in Verbindung gebracht werden können. Des Weiteren schreibt Keck (2013), dass Eileiterveränderungen nach Entzündungen die Chancen auf eine Schwangerschaft durch eine künstliche Befruchtung auf die Hälfte reduzieren. In solchen Fällen kann der betroffene Eileiter entfernt werden. Danach sind die Chancen auf eine Schwangerschaft durch eine medizinische Kinderwunschbehandlung erhöht (Toth et al., 2021).
Falls der Verdacht auf gynäkologische Erkrankungen, beispielweise Endometriose, besteht, kann eine operative Abklärung durch eine Bauchspiegelung (Laparoskopie – LSK) durchgeführt werden. Bei Feststellung ausgedehnter Endometrioseherde kann die chirurgische Entfernung die Erfolgsaussichten der künstlichen Befruchtung verbessern (Bianchi et al., 2009).
b) Hormonelle Stimulation. Bei Ovulationsstörungen kann eine Hormonbehandlung mit Antiöstrogenen durchgeführt werden. Damit erhöhen sich die Chancen auf eine Befruchtung und eine Schwangerschaft (Doblinger & Griesinger, 2017). Bei polyzystischen Ovarien kommt es durch den Gebrauch von Antiöstrogen in 80 % zum Eisprung (Thöne & von Wolff, 2005). Für diese Patientinnengruppe wird auch Metformin, ein Medikament, das bei Diabetes mellitus eingesetzt wird, empfohlen (Bals-Pratsch & Ortmann, 2010). Die Stimulation der Eierstöcke ist zu einer Hauptkomponente der assistierten Reproduktionstechnologien (ART) geworden. Sie wird mit dem Ziel angewendet, die Anzahl der heranreifenden Eizellen zu erhöhen (Findeklee et al., 2021). Gegenwärtig ist ein kurzes Protokoll das am häufigsten verwendete Stimulationsprotokoll (de Mora & Fauser, 2017).
c) Intrauterine Insemination. Bei der intrauterinen Insemination (IUI) wird der Samen des Partners, bzw. Fremdsamen, in die Gebärmutter der Frau eingebracht. Der Zeitpunkt des Eisprungs muss zuvor ermittelt werden (The ESHRE Capri Workshop Group, 2009). Die Erfolgschancen für eine Schwangerschaft nach einer IUI liegen bei 15 % pro Zyklus und betragen 35 % kumulativ bei 3–4 Inseminationszyklen (Tomlinson et al., 1996)
d) In-vitro-Fertilisation und intracytoplasmatische Spermieninjektion. Bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) wird das weibliche Ei außerhalb des Körpers in einer Schale befruchtet. Falls die Spermien den Weg in das Ei nicht finden, werden sie mit einer dünnen Glaskanüle direkt in die Eizelle injiziert (intracytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI) (Neri et al., 2015). Die ICSI-Methode ist bei unterdurchschnittlicher Spermienqualität und nach Versagen der Befruchtung bei In-vitro-Fertilisation (IVF) indiziert (Haidl, 2000).
Zu Beginn der medizinischen Kinderwunschbehandlung bekommt die Frau zunächst die oben beschriebene hormonelle Stimulation. Anschließend findet die ultraschallgezielte Eizellentnahme aus den Eierstöcken über die Scheide statt. Der Partner stellt das Ejakulat zur Verfügung (Rabe et al., 1994). Bei jungen Frauen liegt die Erfolgsquote im Falle einer IVF bei ca. 50 %, doch schon nach dem 35. Lebensjahr sinkt die Erfolgsquote jährlich um ca. 5 %. Schwangerschaften ab dem 43. Lebensjahr sind selten. Gleichzeitig erhöht sich das Vorkommen von Fehlgeburten mit zunehmendem Alter. So endet um das 43. Lebensjahr die Hälfte aller Schwangerschaften mit einer Fehlgeburt (Cai et al., 2011). Das Einsetzen von mehr als einem Embryo erhöht die Erfolgsquote nur leicht, ist aber mit einem hohen Risiko für Mehrlingsschwangerschaften verbunden (Strauss & Hepp, 1998).
9. Weiterentwicklung der Reproduktionsmedizin
Die Fortpflanzung des Menschen löst sich zunehmend von den biologisch gesetzten Grenzen (Wünnenberg, 2017). Der Mutterleib ist bedeutsam, aber für immer kürzere Zeitspannen überlebenswichtig. So können heute schon Frühgeborene, die in der 22. Schwangerschaftswoche geboren werden, ohne Schäden überleben. Dies wäre noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen (Kuschel, 2021).
Die Menschwerdung im Labor ist nicht mehr undenkbar. Hayashi et al. (2017) haben aus Körperzellen von Mäusen Eizellen hergestellt, die gesunden Nachwuchs hervorbrachten. Aus den erzeugten 4048 Eizellen konnten die ForscherInnen 1348 Embryos herstellen, aus denen wiederum acht Mäusebabys entstanden (Hamazaki et al., 2020). Diese Ergebnisse sind jedoch nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar (Wünnenberg, 2017). Im renommierten Journal ‚Science‘ berichten Shahbazi et al. (2019), dass versucht wurde, Embryos außerhalb der Gebärmutter heranreifen zu lassen. Dabei entstanden Zellformationen, die einem natürlich entwickelten Embryo stark ähnelten. Wünnenberg (2017) schreibt in diesem Zusammenhang:
Wann Unfruchtbarkeit und ungewollte Kinderlosigkeit wirklich der Vergangenheit angehören, ist zwar noch nicht abzusehen. Aber die Fortschritte der zurückliegenden Jahre zeigen, dass eine Umwälzung auf die Gesellschaft zukommt, die die In-vitro-Fertilisation in den Schatten stellen wird. Denn der medizinische Druck ist da. Das Leid der Betroffenen ist groß genug, um beinahe jede Chance zu ergreifen – und sei sie noch so ethisch umstritten und medizinisch unausgereift. (Wünnenberg, 2017, S. 1)
Teil 2: Psychische Aspekte der Kinderlosigkeit
Fertilitätsstörungen und deren medizinische Behandlung steigen weltweit rasant an. In Medien und im Internet werden die Erfolge der Fortpflanzungsmedizin hervorgehoben. Die psychische Situation der kinderlosen Paare steht dabei oft im Hintergrund, obwohl der unerfüllte Kinderwunsch von vielen Paaren als eine sich über Jahre erstreckende Lebenskrise erlebt wird. Der Umgang mit ungewollt kinderlosen Paaren ist in Institutionen oft von Desinteresse und Informationsmangel geprägt. Damit steigt der Leidensdruck der Paare meist weiter an (Stammer et al., 2004).
1. Kinderwunschmotive
Die Gründe für den Wunsch nach eigenen Kindern teilen van Balen und Trimbos-Kemper (1995) in sechs Kategorien ein. Diese sind einerseits die drei individuellen Motive Glück, Wohlergehen sowie Mutter- bzw. Vaterschaft, andererseits die drei sozialen Gründe Identität, Kontinuität und soziale Kontrolle. Trimbos-Kemper und van Balen (1995) fanden heraus, dass in den westlichen Industrieländern die Hauptgründe für eine angestrebte Elternschaft persönliche Glückserfüllung und eine Veränderung der Dynamik in der Partnerschaft sind.
Dyer (2007) schreibt, dass Gründe wie die Sicherung des Fortbestandes der Familie oder die Versorgung im Alter in den Industrieländern untergeordnete Motive für den Kinderwunsch sind. Im Jahr 2006 wurde in den Niederlanden eine Studie zu Kinderwunschmotiven bei MigrantInnenfamilien durchgeführt (van Rooij et al., 2009). Es konnte beobachtet werden, dass bei Migrantinnen soziale Motive für eigene Kinder eine zentrale Rolle spielen. Bei niederländischen Paaren hingegen dominierten klar individuelle Motive. Sobald MigrantInnen in die niederländische Gesellschaft integriert waren, veränderten sich die Gründe zugunsten der individuellen Motive Glück, Wohlergehen und Mutter- bzw. Vaterschaft. Dies lässt vermuten, dass individuelle Motive in allen Gesellschaften ähnlich bedeutsam sind. Jedoch spielen religiöse und kulturelle Hintergründe eine nicht unwesentliche Rolle hinsichtlich des Wunsches nach einem eigenen Kind (Inhorn & Patrizio, 2015). Eine Studie von Vernim und Haug (2015), in der 1000 Frauen mit Migrationshintergrund befragt wurden, lässt vermuten, dass für diese Frauen Kinder eine Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben sind und die eigene Fortpflanzung als soziale Norm angesehen wird.
2. Unerfüllter Kinderwunsch und psychische Belastung
Psychodiagnostisch muss von einer unzureichenden Datenlage bei Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch ausgegangen werden. Weitere Forschungen hinsichtlich psychosomatischer Zusammenhänge sind notwendig, denn es gibt keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege für Persönlichkeitsstrukturen bei infertilen Paaren, welche Fertilitätsstörungen verursachen könnten (Stammer et al., 2004).
In einer Studie konnten Glover et al. (1996) Hinweise auf eine erhöhte Ängstlichkeit und Depressionen bei Männern mit andrologischen Faktoren finden. Wischmann (2001) führte eine Untersuchung an 564 deutschen Kinderwunschpaaren durch. Er stellte in dieser Stichprobe höhere Werte für Ängstlichkeit und Depression bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch fest. Verglichen mit der Allgemeinbevölkerung, in der 15–20 % psychopathologisch auffällig sind, gibt es jedoch keinen Unterschied (Wischmann, 2009). Betroffene Paare erleben eingeschränkte Zeugungsfähigkeit oft als psychisches und soziales Problem. Die Belastung kann sich durch den kulturellen und religiösen Hintergrund der Betroffenen noch weiter verstärken (Schmid et al., 2004).
3. Stress und Infertilität
Den Begriff ‚Stress‘ entlehnte der Arzt Hans Selye 1936 aus der Physik. Er beschrieb einen Stresszustand als eine unspezifische Reaktion des Körpers auf eine Anforderung (Selye, 1950). Selyes Ansicht nach wirkt ein Reiz als Stressor, wenn er bestimmte Intensitäten übersteigt.
Die Weiterentwicklung des Stresskonzeptes gelang Lazarus (1991) mit seinem ‚transaktionalen Erklärungsmodell‘. Stresssituationen entstehen laut Lazarus durch Wechselwirkungen zwischen Situationen und den Möglichkeiten einer Person, sie zu meistern. Dieses Stressmodell berücksichtigt somit auch Persönlichkeitsfaktoren und erklärt, warum Menschen für ähnliche Stressoren unterschiedlich anfällig sein können. Bedeutend für die Stressintensität sind nach Lazarus nicht die objektiven Merkmale der Situation, sondern das Verarbeiten und die Emotionen der Person, die sie erlebt.
Der Zusammenhang zwischen Stress und Infertilität wird seit vielen Jahren diskutiert. Brkovic und Fisher (1998) haben wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema aus 40 Jahren Forschung bearbeitet. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich nicht eindeutig klären lässt, ob Stress durch Unfruchtbarkeit hervorgerufen wird oder ob Unfruchtbarkeit eine Folge erhöhter Stressbelastung ist. Es gibt eine Vielzahl von Forschungen, in denen untersucht wird, ob Paare mit unerfülltem Kinderwunsch gestresst sind. Hingegen wurde nur in wenigen Studien der Frage nachgegangen, ob Stress per se Unfruchtbarkeit auslösen kann (Greil, 1997).
Bei Frauen können hohe Konzentrationen von Prolaktin zur Unterdrückung der Eizellreifung und der Ovulation führen (Rabe, 2013). Die Sekretion von Prolaktin steht unter inhibitorischem Einfluss von Dopamin (Urdl & Hofmann, 2003). Stress und hohe körperliche Belastung sowie die Einnahme von Antidepressiva und Antipsychotika können daher erhöhte Prolaktinspiegel auslösen. Hyperprolaktinämie kann folglich bei Frauen mit Kinderwunsch zu Zyklusstörungen bis hin zum Ausbleiben der Menstruation und damit zur Unfruchtbarkeit führen (Werder & Rjosk, 1979).
4. Belastungserleben durch ungewollte Kinderlosigkeit
Slade et al. (2007) entwickelten ein psychodynamisches Modell zur psychischen Belastung durch Unfruchtbarkeit. Sie nehmen an, dass sich unfruchtbare Menschen negativ stigmatisiert fühlen.
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