Domain-Semantik und Anhebungsverben. Eine syntaktische Erklärung für epistemische Widersprüchlichkeit


Hausarbeit, 2021

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Modalverben als Anhebugsverben

3 Domain-Semantik

4 Domain-Semantik und Anhebungsverben

5 Schluss

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit setzt sich mit syntaktischen Ursachen für ein semantisch-logisches Phänomen auseinander. Was ist nun dieses Phänomen? Gegeben sind folgende Sätze:

(1) # Es regnet und es mag nicht regnen.
(2) # Es regnet und es regnet vermutlich nicht.
(3) # Es regnet nicht und es mag regnen.
(4) # Es regnet nicht und es regnet vermutlich.

Die Bedeutung dieser Sätze scheinen fragwürdig zu sein und an deren Paradoxität zweifelt niemand. Die logischen Formen obiger Sätze nehme ich folgendermaßen an:

(1), (2): Φ & ┐◊Φ

(3), (4): ┐Φ & ◊Φ

‘◊, steht für epistemische Modalität. Yalcin (2007) bezeichnet Sätze (1) bis (4) als epistemische Widersprüche. Einen Bezug zum Paradox von G.E. Moore herzustellen, ist deshalb wünschenswert. Die berühmten moorschen Sätze sind folgendermaßen:

(5) It is raining and I do not know that it is raining.

(6) It is not raining and for all I know, it is raining.

Aus pragmatischer Sicht sind (5) und (6) gleichermaßen defizitär. Wenn man (5) oder (6) in demselben Zusammenhang ausspricht, wird man sich am Ende so vorstellen, dass man sowohl etwas weiß als auch weiß, dass man es nicht weiß. Es ist nicht plausibel, sich auf diese Weise zu verhalten, und so erwartet man, dass (5) und (6) von mangelhafter Natur sein können. Diese pragmatische Erklärung für das moorsche Paradox ist jedoch für epistemische Widersprüche nicht einleuchtend. Denn sie kann nicht die semantische Widersprüchlichkeit in (1) bis (4) erklären, die darauf beruht, dass zwei verschiedene Wahrheitsbedingungen in demselben Kontext auftreten. Jeder Satz enthält die Falschheit des anderen (Yalcin 2007: 984). Man könnte sagen, (1) und (2) enthalten (5), (3) und (4) enthalten (6). Deshalb verhalten sich epistemische Widersprüche wie moorsche Sätze. Dies ist aber nicht der Fall, wenn epistemische Widersprüche in bestimmten Kontexten eingebettet werden:

(7) # Angenommen, es regnet und es mag nicht regnen.
(8) # Angenommen, es regnet nicht und es mag regnen.
(9) # Wenn es regnet und nicht regnen mag, dann…
(10) # Wenn es nicht regnet und regnen mag, dann…

Demgegenüber lassen sich moorsche Sätze in derartigen Kontexten problemlos einbetten:

(11) Suppose it is raining and I do not know that it is raining.
(12) Suppose it is not raining and for all I know it is raining.
(13) If it is raining and I do not know that it is raining, then…
(14) If it is not raining and for all I know it is raining, then…

Demgemäß kann man den Schluss ziehen, dass die Paradoxität der epistemischen Widersprüche der Art nach nicht mit der von moorschen Sätzen gleichzusetzen ist:

Moore-paradoxical sentences serve to describe totally clear possibilities, possibilities we can readily imagine obtaining. The same apparently does not apply to epistemic contradictions. These sentences do not seem to describe coherent possibilities, as witness the fact that an invitation to suppose such a conjunction strikes us as unintelligible. The upshot here is that, unlike the unembedded case, there is no obvious way to explain the unacceptability of our epistemic contradictions in embedded contexts by appeal to Moore's paradox. Moore-paradoxical sentences are quite acceptable in these contexts. […] Like Moore-paradoxical sentences, epistemic contradictions are not assertable; but unlike Moore-paradoxical sentences, they are also not supposable, not entertainable as true. (Yalcin 2007: 987, Hervorheb. i.O.)

Diese Arbeit zielt darauf ab, eine syntaktische Erklärung für die Paradoxität der epistemischen Widersprüche zu liefern, die darin besteht, dass diese Paradoxität zumindest aus syntaktischer Sicht auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass sich die Modalverben i.d.R wie Anhebungsverben verhalten.1

Bei der Verteidung dieser These werde ich wie folgt vorgehen: Zu Beginn meiner Ausführungen wird begründet, warum sich die Modalverben wie Anhebungsverben verhalten. Im Anschluss daran wird untersucht, ob es in Modalsätzen PRO gibt (Kapitel 2). Daraufhin wird zu erörtern sein, worin Yalcins Kritik an relationeler Semantik besteht. Im Anschluss daran wird eine neue Semantik zur Analyse der epistemischen Widersprüche entwickelt. Schließlich werden zwei pragmatische Begriffe definiert, die der neuen Semantik entsprechen (Kapitel 3). Daraufhin wird die syntaktische Erklärung für die Paradoxität der epistemischen Widersprüche geliefert. Diese Erklärung soll begründen, warum die Domain-Semanrtik auf Anhebunsverben anwendbar ist (Kapitel 4). Abschließend werde ich die wichtigsten Punkten zusammenfassen (Kapitel 5).

2 Modalverben als Anhebugsverben

In diesem Kapitel soll nach GRH (engl. generalized raising hypothesis ) begründet werden, warum sich Modalverben wie Anhebungsverben verhalten. Dazu orientiere ich mich an Wurmbrand (1999).2 Allerdings werden nur diejenigen Begründungen vorgestellt, die für meine weitere Ausführungen in nächsten Kapiteln ausschlaggebend und in Bezug auf semantische Rollen sind. Schließlich wird untersucht, ob es PRO in Modalsätzen gibt.

2.1 Expletive Subjekte

Folgende Sätze zeigen, dass die Einbettung von expletiven Prädikaten, also Prädikaten mit expletivem Subjekt sowohl unter Anhebungsverben (15) als auch Modalverben (16) möglich ist. Die Modalverben sind beachtenswert alle von deontischer Art:

(15) Es scheint zu regnen.
(16) a. There may be singing but no dancing on my premises.

b. There can be a party as long as it’s not too loud.

c. There must be a solution to this problem on my desk, tomorrow morning!

d. There will be no complaints when we go to Aunt Cassandra’s! (Wurmbrand 1999: 601)

2.2 Modalverben und Passivkonstruktionen

Im Deutschen lassen sich die Modalverben nicht passivieren, sondern nur die Infinitive:

(17) a. * Weil das Essen schneller essen gemüßt wird.

b. Weil das Essen schneller gegessen werden muss.

Obwohl es möglich ist, intransitive Verben zu passivieren, gibt es bestimmte Verben, die sich nicht passivieren lassen. So können die unakkusative Verben ankommen und auffallen nicht passiviert werden, wie die Beispiele in (18b) und (18d) zeigen:

(18) a. Der Zug kam an.
b. * Dort wurde angekommen.
c. Der Mann fiel ihr auf
d. * Ihr wurde aufgefallen. (Müller 2007: 289)

Aus diesen Beobachtungen kann den Schluss gezogen werden, dass ein Verb im Deutschen auf ein externes Argument angewiesen ist, um passiviert zu werden. Da Anhebungsverben über kein externes Argument verfügen, lassen sie sich nicht passivieren:

(19) *Es wird zu regnen geschienen.

Die unmögliche Passivierung der Modalverben ist ebenfalls auf dieselbe Ursache zurückzuführen. Sie vergeben keine semantischen Rollen, wie bei Anhebungsverben der Fall ist. Außerdem kann man folgende Beispiele anführen:

(20) a. The biscuits seem to have been finished by Paul.

b. *The biscuits tried/decided to be finished by Paul.

c. The biscuits may be finished by Paul.

(Zit. nach Wurmbrand 1999: 604)

(Warner 1993)

Die Passivierung des Objekts ist ausschließlich in denjenigen Konstruktionen möglich, die entweder Modalverb oder Anhebungsverb enthalten (20a, c). Da Kontrollverben Agensrollen vergeben, sind Sätze wie (20b) ungrammatisch. Deshalb vergeben Modalverben keine semantischen Rollen wie Anhebungsverben.

2.3 Modalverben und PRO

Es gibt zwei wichtige syntaktische Evidenzen für PRO, nämlich das reziproke Pronomen einander und die sekundäre Prädikation (Landau 2013: 69-78). Im Folgenden beabsichtige ich, die Existenz dieser Evidenzen in Sätzen mit Modalverben zu untersuchen. Wie gezeigt wird, gibt es kein PRO in solchen Konstruktionen, weswegen man Modalverben nicht als Kontrollverben bezeichnen kann.

[...]


1 Mit pragmatischen Problemen, die von epistemischen Widersprüchen verursacht werden, werde ich mich nicht beschäftigen. Dazu siehe u.a. Williamson (2020: 132-136).

2 Da Wurmbrand vom Theta-Kriterium ausgeht, geht sie in ihrem Aufsatz nicht auf deontische Art (engl. root form ) von wollen ein. Sie hätte nämlich in diesem Fall nicht mehr vom Theta-Kriterium ausgehen können. Dieses Problem ist trotzdem von Gergel & Hartmann (2009) im Rahmen von GRH aufgelöst.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Domain-Semantik und Anhebungsverben. Eine syntaktische Erklärung für epistemische Widersprüchlichkeit
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Sprache und Linguistik)
Veranstaltung
Ausgewählte Phänomene der deutschen Syntax
Note
2,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
17
Katalognummer
V1151853
ISBN (eBook)
9783346538321
ISBN (Buch)
9783346538338
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Germanistik, Linguistik, Syntax, Semantik, Modalverben
Arbeit zitieren
Mohammad Hassan Heshmatifar (Autor:in), 2021, Domain-Semantik und Anhebungsverben. Eine syntaktische Erklärung für epistemische Widersprüchlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1151853

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