Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Problemstellung
2 Latente Steuern im Einzelabschluss
2.1 Konzeption der latenten Steuerabgrenzung
2.2 Bilanzierung latenter Steuern nach HGB
2.3 Bilanzierung latenter Steuern nach IFRS
3 Latente Steuern im Konzernabschluss
3.2 Vereinheitlichung der Jahresabschlüsse
3.3 Konsolidierungsmaßnahmen
3.2.1 Voll- und Quotenkonsolidierung
3.2.2 Schuldenkonsolidierung
3.2.3 Zwischenergebniseliminierung
3.4 Equity-Methode
4 Kritische Würdigung
Literaturverzeichnis
Webseitenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: (Einzel-) Bilanz der BASF SE zum 31.12.2020
Abbildung 2: Latente Steuern im Konzernabschluss durch stille Reserven/Lasten
Abbildung 3: Konzernbilanz der BASF SE zum 31.12.2020
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Problemstellung
Durch die Bilanzierung von latenten Steuern und die damit verbundenen Bilanzierungsmöglichkeiten nach HGB und IFRS ergeben sich bilanz- bzw. steuerpolitische Entscheidungsoptionen für Unternehmen. Sowohl im Einzel- als auch im Konzernabschluss bestehen somit für Unternehmen Gestaltungsspielräume, die zur Steueroptimierungen oder zu Steuerverschiebungen führen können. Dabei können Unternehmen durch die Komplexität der Bilanzierung latenter Steuern, bewusst oder unbewusst gegen die angewendeten Rechnungslegungsstandards verstoßen. Fraglich ist, welche Ursachen, Wirkungen und Zwecken latente Steuern im Einzel- und Konzernabschluss verfolgen und wie Unternehmen diese Möglichkeiten nutzen, um bspw. Steueroptimierungen vorzunehmen. Trotz der Annährungen der deutschen Rechnungslegungsvorschriften an die internationalen Richtlinien durch das BilMoG und durch die kürzlich veröffentlichte DRÄS 11 unterscheiden sich die beiden Regelwerke dennoch in Ansatz-, Bewer- tungs-, und Ausweisfragen. Somit ergeben sich unterschiedliche Bilanzierungspflichten, -verbote und -wahlrechte im Rahmen der Bilanzierung von latenten Steuern zwischen HGB und IFRS, die kritisch zu hinterfragen sind. Hierbei ist die Notwendigkeit der Bilanzierung bzw. der nicht-Bilanzierung zu überprüfen. Zudem ist aufgrund der Änderungsmöglichkeiten dieser Bilanzierungsregelungen zu bedenken, ob sie künftig durch den Gesetzgeber und somit auch durch die IASB oder die DRSC überarbeitet werden.
Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, die konzeptionellen Grundlagen dieser Problematiken zu erläutern und eine betriebswirtschaftliche Analyse in Bezug auf die möglichen Bilanzierungsspielräume, die durch das Ansetzen von latenten Steuern entstehen durchzuführen. Die Bachelorarbeit wird im Wesentlichen einen kritischen Vergleich der Bilanzierung latenter Steuern im Einzel- und Konzernabschluss nach HGB und IFRS aufzeigen. Dabei wird auf die aktuelle Entwicklung der rechtlichen Vorgaben zur Bilanzierung latenter Steuern eingegangen und es wird versucht anhand von Beispielen - auch aus der Praxis - eine wirtschaftliche und kritische Sicht darzustellen.
2 Latente Steuern im Einzelabschluss
2.1 Konzeption der latenten Steuerabgrenzung
Der Ausweis von latenten Steuern in der Handelsbilanz dient primär der Verbesserung der Informationsfunktion des Jahresabschlusses, ohne zusätzliche Kosten für die Bilanzierenden zu verursachen.1 Latente Steuern entstehen durch unterschiedliche Ansätze von Vermögen und Schulden in der Handels- und Steuerbilanz. Der Ansatz erfolgt nur bei quasi-permanenten und zeitlich begrenzten Differenzen. Bei permanenten Differenzen erfolgt kein Ansatz von latenten Steuern. Daher sind nur temporäre Abweichungen für die Bildung von latenten Steuern relevant. Diese Abweichungen informieren den Bilanzleser, dass steuerliche Differenzen vorhanden sind und geben Auskunft über folgende Steuerbelastungen oder Steuerentlastungen.2 Die Wertunterschiede beruhen u.a. auf Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes. Denn lange Zeit war im deutschen Recht der Grundsatz der formellen und materiellen Maßgeblichkeit dafür verantwortlich, dass die Handels- und Steuerbilanz überwiegend übereinstimmten.3 Durch die Annäherung der handelsrechtlichen Vorschriften an die IFRS, die am 29. Mai 2009 im Rahmen der Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) stattfand, gewann die Bilanzierung der latenten Steuern auch im deutschen Recht mehr an Bedeutung.4 Bis dahin galt das GuV-orientierte „Timing-Konzept“, welches auf dem Vergleich der Jahresergebnisse basierte. Seitdem gilt das Bilanz-orientierte „Temporary-Konzept“. Das „Temporary-Konzept“ zielt auf die bilanziellen Wertansätzen mit der Pflicht zur Bildung latenter Steuern bei sämtlichen temporären Unterschieden ab.5 Trotz der Annäherung vermehren sich die Differenzen der Bewer- tungs- und Bilanzierungsunterschiede in der Handels- und Steuerbilanz und die Vorstellung einer sogenannten „Einheitsbilanz“ bleibt weiterhin fern.6 Die Berücksichtigung der latenten Steuern kann auch aus dem „Going-Concern-Prinzip“ abgeleitet werden, d.h. bei der Bewertung ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen.7. Die Intention der Bilanzierung von latenten Steuern ist zum einen die periodengerechte Erfolgsermittlung und zum anderen der zutreffende Ausweis der Vermögenslage. Hierbei gilt sowohl nach HGB als auch nach IFRS, einen „richtigen Vermögensausweis zu erreichen. „Richtig" ist der mit dem handelsrechtlichen Ergebnis korrespondierende und nicht nach steuerrechtlichen Vorschriften kalkulierte Steueraufwand.8
2.2 Bilanzierung latenter Steuern nach HGB
Aktive latente Steuern ergeben sich, wenn die Aktiva der Handelsbilanz kleiner als die Aktiva der Steuerbilanz bzw. die Passiva der Handelsbilanz größer als die Passiva der Steuerbilanz sind.9 Aktive latente Steuern sind als „Steuerguthaben“ gegenüber dem Fiskus zu erfassen. Handelsrechtlich besteht aufgrund der Ausschüttungsbemessungsgrundlage eine stärkere Beeinträchtigung in Bezug auf die Bilanzierung von aktiven latenten Steuern.10 Gemäß § 274 Abs. 1 HGB gilt hierbei ein Aktivierungswahlrecht: „Bestehen zwischen den handelsrechtlichen Wertansätzen von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten und ihren steuerlichen Wertansätzen Differenzen, die sich in späteren Geschäftsjahren voraussichtlich abbauen, [...] kann eine daraus insgesamt ergebende Steuerentlastung als aktive latente Steuern (§ 266 Abs. 2 D.) in der Bilanz angesetzt werden.“ Sobald die Steuerentlastung tatsächlich eintrifft oder mit ihr nicht mehr gerechnet wird, sind aktive latente Steuern aufzulösen.11 Die Auflösung kann auch pandemiebedingt erfolgen, z.B. in der aktuellen Corona-Pandemie. Solange davon ausgegangen wird, dass die Auswirkungen des Coronavirus künftige Steuereinnahmen eliminieren oder reduzieren und die berücksichtigten aktiven latenten Steuern nicht mehr realisiert werden können, muss der Wert der aktiven latenten Steuern entsprechend aufgelöst werden.12
Im Folgenden werden einige praxisrelevanten Ursachen für die Entstehung und Bilanzierung von aktiven latenten Steuern im Einzelabschluss nach HGB dargestellt und näher erläutert:
- Abschreibung des derivativen Firmenwertes
Handelsrechtlich muss gemäß § 246 Abs. 1 HGB der derivative Firmenwert als Vermögensgegenstand ausgewiesen werden. Hierbei handelt es sich ausschließlich um den derivativen und nicht um den originären Firmenwert. Zu prüfen ist, ob der derivative Firmenwert durch hohe Bewertung der gehaltenen Aktien entstanden ist. Denn die Gefahr besteht für den Käufer, dass die Firmenübernahme zu überhöhten Preisen getätigt wird. Der derivative Firmenwert gilt als zeitlich begrenzt nutzbarer bzw. fiktiver Vermögensgegenstand, der nach Maßgabe seiner geschätzten individuellen betrieblichen Nutzungsdauer abzuschreiben ist. Falls die Nutzungsdauer nicht verlässlich schätzbar ist, wird der Vermögensgegenstand über 10 Jahren abgeschrie- ben.13 Allerdings müssen nach BilMoG die Gründe für eine planmäßige Abschreibung von mehr als fünf Jahren im Anhang angegeben werden.14 Nach deutschem Steuerrecht besteht ebenfalls eine Verpflichtung zur Aktivierung des derivativen Firmenwertes. Hierbei wird der Firmenwert als Wirtschaftsgut ausgewiesen und über 15 Jahre abgeschrieben.15 Der geringere Gewinn in der Handelsbilanz gleicht sich durch einen später geringeren Gewinn in der Steuerbilanz wieder aus. Deshalb ist von einer künftigen, steuerlichen Entlastung auszugehen. Somit können in der Handelsbilanz aufgrund der unterschiedlichen Ansatzmöglichkeiten, latente Steuern aktiviert werden. In der Praxis ist der Firmenwert im Kaufpreis eines Unternehmens enthalten und es erfolgen jeweils eine handels- und steuerrechtliche Abschreibung mit unterschiedlichen Beträgen, bis die aktivierten latenten Steuern über die verbleibenden Jahre gewinnmindernd aufgelöst werden.16
- Drohverlustrückstellungen
In der Regel kommt es zur Drohverlustrückstellungen, wenn über die Restlaufzeit des Vertrages der Wert der eigenen Leistungsverpflichtung den Wert des Gegenleistungsanspruchs übersteigt und keine Klauseln im Vertrag vorhanden sind, um hier einzugreifen.17 Die Drohverlustrückstellung verfolgt das Ziel des Gläubigerschutzes und der Darstellung der tatsächlichen Finanz- ,Vermögens,- und Ertragslage des Unternehmens.18 Voraussetzung ist, dass ein schwebendes Geschäft vorliegt und nach „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung“ die Rückstellung gebildet wird.19 Vor allem in der aktuellen Corona-Pandemie ist die Bildung von Drohverlustrückstellungen für schwebende Beschaffungs- oder Absatzverträge häufig vorzufinden.20 Darüber hinaus ist es in der Praxis auch im Rahmen der Digitalisierung häufig, dass es zur Filialschließungen z. B. von kleineren Banken, kommen kann und diesbezüglich kann es wegen mietvertraglicher Zahlungsverpflichtungen zur Bilanzierung von Drohverlustrückstellungen in der Handelsbilanz führen.21 Drohverlustrückstellungen für schwebende Geschäfte sind zwingend in der Handelsbilanz aufzufassen. Das HGB sieht hierfür eine Aktivierungspflicht.22 Steuerrechtlich gilt gemäß § 5 Abs. 4a EStG ein Verbot der Aktivierung. Demnach liegt bei einem vorübergehenden Unterschied zwischen der Handels- und Steuerbilanz ein möglicher Ansatz von aktiven latenten Steuern vor. Für die Steuerbilanz muss somit das bilanzierende
Unternehmen die bereits gebuchten Aufwendungen an Verbindlichkeiten aus der Handelsbilanz rausbuchen. Das hat Auswirkungen auf den Jahresüberschuss. Durch das Herausnehmen der Aufwendungen ist der Jahresüberschuss aus der GuV steuerrechtlich höher als der handelsrechtliche Jahresüberschuss. Dadurch kann bilanzpolitisch im ersten Bilanzierungsjahr ein höherer steuerrechtlicher Gewinn ausgewiesen werden. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 HGB ist die Drohverlustrückstellung aufzulösen, sobald das schwebende Geschäft erfüllt ist.
- Behandlungen eines Disagios
Es liegt ein Disagio vor, wenn der Ausgabebetrag eines Darlehens niedriger als der Rückzahlungsbetrag ist.23 Für diesen Unterschiedsbetrag gilt handelsrechtlich gemäß § 250 Abs. 3 HGB ein Aktivierungswahlrecht. Bei nicht-Aktivierung in der Handelsbilanz ist der Unterschiedsbetrag als Aufwand in der GuV zu berücksichtigen. Die Verbuchung des Unterschiedsbetrags in der GuV führt zur Bildung stiller Reserven und zu Verteilung der Verbindlichkeit über ihre Laufzeit, wenn der Differenzbetrag als im Voraus gezahlter Zins betrachtet wird.24 In diesem Fall kommt es zu einer einmaligen und sofortigen Verbuchung des Disagios in voller Höhe als Zinsaufwand.
Beispiel: Darlehensaufnahme i. H. v. 50.000 GE mit einer Laufzeit von 10 Jahren, 5% davon sind Zinsvorauszahlungen und werden nicht ausbezahlt (Disagio).
Buchungssatz: „Bankguthaben 47.500 GE, Zinsaufwand 2.500 GE an Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten 50.000 GE“
Steuerrechtlich gilt nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG eine Aktivierungspflicht für ein Disagio. Das Disagio ist als aktivische Rechnungsabgrenzung aufzunehmen und durch planmäßige Abschreibung über die Laufzeit zu verteilen. Bei einer Aktivierung in der Handelsbilanz ist das Disagio - wie in der Steuerbilanz auch - als aktiver Rechnungsabgrenzungsposten in der Bilanz aufzunehmen.25 Der Entscheidungsspielraum für das bilanzierende Unternehmen besteht darin, dass im Jahr der Bilanzierung durch das Nutzen des Wahlrechts kein Aufwand gebucht wird und somit ein höherer handelsrechtlicher Gewinn ausgewiesen werden kann.
- Steuerrechtliche Verlustvorträge
Mindestens 20% und damit ein wesentlicher Teil der insgesamt von Unternehmen gebildeten aktiven latenten Steuern entfallen auf steuerliche Verlustvorträge.26 Als Verlustvorträge sind die noch nicht durch Gewinne ausgeglichenen Verluste der Vorjahre, welche in der Bilanz als eigenständiger Unterposten des Eigenkapitals ausgewiesen werden, zu verstehen. Steuerrechtlich dürfen Verluste zur Ermittlung der Körperschaftsteuer und zur Ermittlung der Gewerbesteuer angesetzt werden.27 Das HGB sieht eine Berücksichtigung der steuerlichen Verlustvorträge nur in den nächsten fünf Jahren bei der Berechnung von aktiven latenten Steuern vor.28 Die Voraussetzung für die Bilanzierung von Verlustvorträgen ist es, dass künftige Gewinne zur Verfügung stehen, mit denen die Verlustvorträge verrechnet werden können.29 Der Verlustvortrag mindert den Bilanzgewinn und daraus resultieren steuerliche Vorteile für den Bilanzieren- den.30 Denn zukünftige Steuerbelastungen können durch Minderung zukünftiger Gewinne gesenkt werden. Das Unternehmen muss eine Steuerplanung erstellen, in der die in den kommenden fünf Jahren anfallenden Gewinne berücksichtigt werden. Problematisch ist, dass Unternehmen ggf. nicht in der Lage sind, die nachhaltigen und künftigen Gewinne für diesen Zeitraum korrekt einzuschätzen und daher von einer falschen Datengrundlage ausgehen. Die Steuerplanung dient der Verlässlichkeit sowie die Einhaltung des Vorsichtsprinzips und der handelsrechtlichen Ausschüttungssperre für aktive latenten Steuern.31 Denn das HGB verhängt eine Ausschüttungssperre für den Ansatz eines Überschusses aktiver latenter Steuern über die passiven latenten Steuern.32 Da für latente Steuern kein Saldierungsverbot gilt, wird in der Regel der Überschuss der aktiven latenten Steuern mit den passiven latenten Steuern saldiert. Die Kritik besteht darin, dass dadurch passive latente Steuern bilanziert werden, obwohl keine Steuerbelastungen vorhanden sind.33
Weitere Ursachen für Bildung von aktiven latenten Steuern nach HGB können sich bspw. aus Rückstellungsdotierungen, Abzinsung von Rückstellungen oder steuerlich nicht anerkannten Wertminderungen z. B. aus der Währungsumrechnung ergeben.
Sind die Aktiva der Handelsbilanz größer als die Aktiva der Steuerbilanz bzw. die Passiva der Handelsbilanz kleiner als die Passiva der Steuerbilanz, dann kommt es zu passiven latenten Steuern. Passive latente Steuern werden als „Steuerschuld“ gegenüber dem Fiskus erfasst.34 Anders als für aktive latenten Steuern sieht das HGB für passive latente Steuern eine Aktivie- rungspflicht.35 Passive latente Steuern sind aufzulösen, wenn die Steuerbelastung eintritt oder mit ihr nicht mehr gerechnet wird.36 Durch die Saldierungsmöglichkeit der latenten Steuern sollten vorerst die passivischen latenten Steuern mit ggf. aktivischen latenten Steuern saldiert werden.37 Der Passivüberhang wird im Gegensatz zum Aktivüberhang (Verrechnung mit dem Eigenkapital) im Rahmen des Vorsichtsprinzips bestehen bleiben.
Im Folgenden werden einige praxisrelevanten Ursachen für die Entstehung und Bilanzierung von passiven latenten Steuern im Einzelabschluss nach HGB dargestellt und näher erläutert:
- Aktivierung selbstgeschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens
Nach HGB gilt für entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens eine Aktivierungspflicht. Hingegen gilt für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens ein Aktivierungswahlrecht38 Diese Bestimmung wurde durch das BilMoG neugeregelt. Das früher geltende Aktivierungsverbot für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände hat somit keine Kraft mehr und wird durch den § 248 HGB aufgehoben. Nach dem Vollständigkeitsprinzip würde bei Vermögensgegenständen eine Aktivierungspflicht gelten. In diesem Fall begründet der Gesetzgeber das Wahlrecht für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände aber damit, dass ihnen aufgrund der fehlenden Körperlichkeit und einer nicht immer planmäßigen Nutzungsdauer nur schwerlich ein objektiver Wert zugewiesen werden kann.39 Dementsprechend bleibt es dem bilanzierenden Unternehmen selbst überlassen, die selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens in der Handelsbilanz zu aktivieren oder das Wahlrecht für eine Nicht-Aktivierung zu nutzen. Das Bilanzierungswahlrecht nach HGB bietet somit insbesondere Unternehmen in Segmenten wie Medien und Software eine Möglichkeit, ihre Außendarstellung durch das Aktivieren von selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen zu verbessern.
Zugleich können andere Unternehmen das Wahlrecht für eine Nicht-Aktivierung nutzen, um Dokumentationspflichten zu ersparen. In der Steuerbilanz gilt ein Bilanzierungsverbot für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.40 Durch die Inanspruchnahme des handelsrechtlichen Wahlrechts kommt es zu künftigen steuerlichen Belastungen und somit zur Bilanzierung von passiven latenten Steuern.
Beispiel41: Aktivierung von selbst geschaffener Software mit 100.000 GE HK, planmäßige Abschreibung über fünf Jahre, Steueraufwand 30% vom Restwert i. H. v 80.000 GE.
Im ersten Jahr werden latente Steuern i. H. v 24.000 GE passiviert. Daraus ergibt sich unter Abzug von Abschreibungen und Steuern vom Einkommen und vom Ertrag eine Erhöhung des Eigenkapitals um 56.000 GE. Allerdings gilt die handelsrechtliche Ausschüttungssperre auch für selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens.42 In den Folgejahren lösen sich die passiven latenten Steuern anteilig aufgrund der planmäßigen Abschreibung auf. Daher ist die selbst geschaffene Software nach fünf Jahren planmäßig auf null abgeschrieben und es ergibt sich für diesen Posten kein Ausweis mehr bei den passiven latenten Steuern.
- Planmäßige Abschreibungen auf Gebäude
Sind die Sachanlagen durch planmäßige Abschreibungen in der Handelsbilanz größer als in der Steuerbilanz, entstehen passive latente Steuern. Im Gegensatz zu dem Handelsrecht, in dem die Abschreibungen individuell anhand der voraussichtlichen Nutzungsdauer bestimmt werden, gibt das Steuerrecht bestimmte Steuersätze gemäß § 7 Abs. 4 EStG für die Abschreibungen von Bauten bzw. Gebäude vor43:
- Wirtschaftsgebäude z.B. Fabrikgebäude, sind jährlich mit 4% abzuschreiben, wenn für der Bauantrag nach dem 31.03.1985 und vor dem 1.1.2001 gestellt worden ist,
- Wirtschaftsgebäude sind mit 3% abzuschreiben, wenn der Bauantrag nach dem 1.1.2001 erfolgte,
- alle sonstigen Gebäude sind mit 2% abzuschreiben, wenn sie nach dem 31.12.1924 fertiggestellt wurden.
[...]
1 Vgl. Hilser (2017) S. 56
2 Vgl. Nikogosian (2014) S. 20
3 Vgl. Herzig & Fuhrmann (2012) S. 72
4 Vgl. Dethlefs (2020) S. 2
5 Vgl. Kahle & Kopp (2020) S. 183
6 Vgl. Reichmann (2015) S. 8
7 Vgl. § 253 Abs. 1 Nr. 2 HGB
8 Vgl. Beck Bil-Komm/Grottel/Larenz HGB § 274 Rn. 4
9 Vgl. Baetge et al. (2012a) S. 552
10 Vgl. Baetge et al. (2012a) S. 543
11 Vgl. § 274 HGB
12 Vgl. BeckOK HGB/Regierer HGB § 274 Rn. 30
13 Vgl. § 253 Abs. 3 Satz 3 und 4 HGB
14 Vgl. § 285 Nr. 13 HGB
15 Vgl. § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG
16 Vgl. Krudewig (2014) S. 36
17 Vgl. Kirsch (2021) S. 220
18 Vgl. Beck Bil-Komm/Schubert, § 249 Rn. 1-330
19 Vgl. Atilgan (2021b) S. 694
20 Vgl. Zwirner et al. (2020) S. 48
21 Vgl. Atilgan (2021b) S. 696
22 Vgl. § 249 HGB
23 Vgl. Weber (2020) S. 102
24 Vgl. Küting & Weber (2012a) S. 227
25 Vgl. Baetge et al. (2012a) S. 169
26 Vgl. Meyer et al. (2010) S. 37
27 Vgl. § 10d EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 10a GewStG
28 Vgl. § 274 Abs. 1 Satz 4 HGB
29 Vgl. Hilser (2017) S. 22
30 Vgl. Wöltje (2021a) S. 61
31 Vgl. Dethlefs (2020) S. 22
32 Vgl. § 268 Abs. 8 Satz 2 HGB
33 Vgl. Hilser (2017) S. 24
34 Vgl. Baetge et al. (2012a) S. 552
35 Vgl. § 274 Abs. 1 HGB
36 Vgl. § 274 Abs. 1 HGB
37 Vgl. Küting & Weber (2012a) S. 96
38 Vgl. § 248 Abs. 1 Satz 1 HGB
39 Vgl. Baetge et al. (2012a) S. 169
40 Vgl. § 5 Abs. 2 EStG
41 Vgl. Ossola-Haring (2013) S. 24
42 Vgl. § 268 Abs. 8 HGB
43 Vgl. Hoffmann & Lüdenbach (2017) S. 7