Verflixt und zugenäht! - Die Nähmaschine als Lerngegenstand der technischen Elementarbildung


Examination Thesis, 2002

71 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Zur technischen Elementarbildung im Sachunterricht
1.1. Aufgaben und Ziele des Sachunterrichts
1.2 Technische Elementarbildung
1.2.1 Zum Technikbegriff
1.2.2. Die Entwicklung des Technikunterrichts
1.2.3. Zur Unentbehrlichkeit von technischer Elementarbildung
1.2.4. Die Diskussion um Inhalte und Ziele der technischen Elementarbildung

2. Die Nähmaschine
2.1 Die Entwicklungsgeschichte der Nähmaschine
2.1.1. Am Anfang war die Nadel
2.1.2. Die Geschichte der Nähmaschine
2.2. Die Nähmaschinenarten
2.3. Funktionsweise der Nähmaschine
2.3.1. Aufbau und Antrieb
2.3.2. Die Stichbildungsorgane
2.3.3. Der Stichbildungsvorgang
2.3.4. Der Stofftransport
2.3.5. Sticharten
2.4. Grundregeln für das Arbeiten mit der Nähmaschine
2.5. Sicherheitsmaßnahmen
2.6. Kindernähmaschinen

3. Die Nähmaschine als Unterrichtsthema
3.1. Der Aspekt der Fertigungsaufgabe am Beispiel der Herstellung eines Turnbeutels
3.1.1. Die Fertigungsaufgabe
3.1.2. Die Fertigungsaufgabe „Ich nähe mir einen Turnbeutel“
3.2. Verflixt...- Der Aspekt des problemlösenden Lernens
3.2.1. Didaktische Überlegungen
3.2.2. Methodische Überlegungen am Beispiel der Fadenverschlingung
3.3. Der Aspekt, wie Technik Arbeit verändert:
Technikgeschichte am Beispiel der Stichbildung
3.3.1. Historisches Lernen und Technikgeschichte
3.3.2. Die Stichbildung - wie Technik die Näharbeit verändert hat
3.3.2.1. Didaktische Überlegungen
3.3.2.2. Methodische Überlegungen
3.4. Der Aspekt des Erkennens von Bedingungszusammenhängen
3.4.1. Das Thema „Kinderarbeit in der ‘Dritten Welt’“ in der
technischen Elementarbildung
3.4.2. Kinderarbeit in der „Dritten Welt“
3.4.2.1. Kinderarbeit in der Textilindustrie am Beispiel Asiens
3.4.3. Methodische Überlegungen

4. Resümee

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

Textilien sind von großer Bedeutung für die Menschheit, denn sie dienen schon seit Urzeiten der Befriedigung der Bedürfnisse nach Bekleidung, Schutz und Schmuck. Mit keinem anderen Material sind wir so viel und lange in Kontakt wie mit unserer Kleidung. Textilien aller Art umgeben uns zu jeder Tages- und Nachtzeit, sind also Dinge, die aus der unmittelbaren Lebensumwelt der Kinder stammen. Und trotzdem sind die damit verbundenen Entstehungsprozesse weitestgehend aus unserem Blick und Bewusstsein verschwunden. Dabei sollten auch die Textilverarbeitung und die dazugehörenden Gerätschaften, wie zum Beispiel die Nähmaschine, Thema in der Grundschule sein. Der Mangel an Literatur zu dem Thema „Die Nähmaschine in der Grundschule“ lässt allerdings darauf schließen, dass es zu wenig berücksichtigt wird. Es stellt sich die Frage, warum das so ist.

War zu Zeiten der Jahrhundertwende die Nähmaschine fast in jedem Haushalt und auch in vielen Schulen für den Unterricht zu finden, so scheint sie heutzutage nahezu verschwunden zu sein. Doch der Schein trügt: Eine Umfrage der TdWI (=Typologie der Wünsche Intermedia)[1] hat ergeben, dass es in 49,3% aller Haushalte mit Kindern eine Nähmaschine gibt und von diesen Nähmaschinen ist ein Drittel erst in den letzten zehn Jahren neu gekauft worden.[2] Die Nähmaschine ist folglich in vielen Haushalten sehr wohl noch präsent.

Sachunterricht beinhaltet als Teilaspekt unter anderem die technische Elementar-bildung. Die Nähmaschine als Lerngegenstand der technischen Elementarbildung ermöglicht es, sowohl den funktionstechnischen Bereich zu behandeln als auch den kreativen Aspekt zu berücksichtigen. Es liegt folglich nahe, diese beiden Gesichtspunkte miteinander zu verknüpfen und so Kindern anhand der Nähmaschine Alltagstechnik mit ihren Vor- und Nachteilen zu vermitteln. Es geht bei dem Thema Nähmaschine nicht um die reine „Sachbeherrschung“, sondern um ein Thema, das dem Anspruch an integrativen Unterricht in vielfältiger Weise gerecht wird.

In dieser Arbeit wird zunächst die technische Elementarbildung im Sachunterricht erläutert. Anschließend wird die haushaltsübliche Nähmaschine behandelt, wobei sowohl ihre Geschichte als auch ihre Funktionen beschrieben werden. Es wird schon hierbei deutlich werden, dass die Nähmaschine als Thema weitaus ergiebiger ist als es der Bereich des Textilen Werkens zu behandeln vermag.

Ein gesondertes Kapitel ist im Anschluss daran der Kindernähmaschine mit Ihrer speziellen Geschichte und ihren Verwendungsmöglichkeit gewidmet.

Diesen Kapiteln folgt eines, das ausgewählte Aspekte der technischen Elementarbildung erläutert, die hervorragend am Beispiel der Nähmaschine behandelt werden können.

Im Verlauf dieser Arbeit wird deutlich werden, dass die Nähmaschine ein Comeback in die Klassenzimmer und die Lehrmaterialien verdient hat, da sie eine umfassende Beschäftigung mit der Lebensumwelt der Kinder ermöglicht.

Um das Lesen des Textes nicht unnötig zu erschweren, wird bei nicht namentlich genannten Personen ausschließlich die männliche Form verwendet. Selbstverständlich sind weibliche Personen hier mit eingeschlossen, sofern nicht explizit anders erläutert.

Vieles lernt das Kind im Herstellen von Dingen,

was es nicht anders lernen kann.

Indem es ein Ding macht, erfährt es dessen Möglichkeit, dessen Entstehung, dessen Bau und Zusammenhang auf eine Weise, wie es betrachtend nicht zu erfahren vermag.

Martin Buber, 1925

1. Zur technischen Elementarbildung im Sachunterricht

1.1. Aufgaben und Ziele des Sachunterrichts

Der Sachunterricht ist eingebettet in den umfangreichen Erziehungs- und Bildungsauftrag der Grundschule und wird in den Klassen 1-4 unterrichtet. Der heutige Sachunterricht blickt auf eine lange Geschichte zurück, in der er immer wieder den Bildungsansprüchen der jeweiligen Zeit angepasst wurde. Schon 1657 fordert Johann Amos Comenius in seiner „Didactica Magna“, dass in der „Grund- und Muttersprachschul“ Kinder im Alter von ca. 6-12 Jahren so umfassend unterrichtet werden, dass sie ein Allgemeinwissen erwerben können, dass es ihnen ermöglicht, sich in der Welt zurecht zu finden. „ Sei es nur zu dem Zweck, dass sie auf keinem Gebiet des menschlichen Lebens völlig unwissend bleiben, sei es dazu, dass dann die natürliche Neigung eines jeden leichter zu erkennen gibt, wohin es ihn am meisten drängt.“ (Comenius, 1659, S. 201) Er war ebenfalls Verfechter einer Unterrichtsmethode, die alle Sinne miteinbezieht: „ Daher die goldene Regel für alle Lehrenden: Alles soll wo immer möglich den Sinnen vorgeführt werden, was sichtbar dem Gesicht, was hörbar dem Gehör, was riechbar dem Geruch, was schmeckbar dem Geschmack, was fühlbar dem Tastsinn. Und wenn etwas durch verschiedene Sinne aufgenommen werden kann, soll es den verschiedenen zugleich vorgesetzt werden.“ (Comenius, 1657, S. 136) Auch handlungsorientierter Unterricht war Teil seiner Vision, die er im Untertitel seiner Großen Didaktik beschreibt: „Alle Menschen alles zu lehren“

Sachunterricht wurde bis zum 19. Jahrhundert als „Realienunterricht“ betrieben, Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts dann als „Heimatkundlicher Anschauungs-unterricht“. Dabei lag der Schwerpunkt mal auf der Heimatkunde, mal auf der Sachbetrachtung von Dingen aus der kindlichen Umwelt. Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts gab es den Grundschulsachunterricht als „Grundlegenden Sachunterricht“, der die kindgemäße Betrachtung der Gegenstände in wissenschaftsorientierter Weise zum Ziel hatte. Diese Herangehensweise hatte die Idee der Fächerpropädeutik als Hintergrund, die es vorsah, auf die einzelnen Fächer der weiterführenden Schulen, wie zum Beispiel Biologie, Chemie und Physik vorzubereiten. Erst seit Mitte der 70er Jahre wird Sachunterricht als integrativer Unterricht verstanden und auch als solcher praktiziert. Hierbei werden die primären und sekundären Erfahrungen[3] der Kinder als Ausgangspunkt genommen, Fachinhalte integriert und somit Themen ganzheitlich angegangen. (Vgl. Bäuml-Roßnagl, 1995, S. 145.) Im folgenden soll kurz näher auf den Begriff des Integrativen Sachunterrichts eingegangen werden.

Sachunterricht ist ein Lernbereich, der „ die Inhalte der Welt zu vermitteln hat “. (Kaiser, 1996a, S. 145) Integrativer Sachunterricht soll der Tatsache Rechnung tragen, dass das Denken, Fühlen und Handeln des Kindes ganzheitlich erfolgt und sich nicht in Fächer, geschweige denn in Schulfächer aufteilt. Der Unterricht soll demzufolge Lernfelder anbieten, die Bestandteile von übergreifenden Gesamtthemen sind. So wird es dem Kind ermöglicht, unter den verschiedenen Inhalten solche zu finden, die seinen Interessen entsprechen. (Vgl. Kaiser, 2000, S. 93-94.)

Der Sachunterricht soll dem Kind Hilfen anbieten, seine Umwelt zu verstehen und für sich eigene Meinungen und Handlungsweisen zu entwickeln. Kornelia Möller nennt dies „ lebenspraktisches Können zu vermitteln bzw. ein Verstehen von erlebter Welt zu ermöglichen. “ (Möller, 1998, S. 239) Er soll dazu befähigen, aufgrund erworbener Kenntnisse eigene Entscheidungen treffen und reflektieren zu können.

Was Astrid Kaiser das Lernen über „ die Inhalte der Welt “ (s.o.) nennt, bezeichnet Wolfgang Klafki als eine Allgemeinbildung, die zu vermitteln Aufgabe des Sachunterrichts ist. Er unterscheidet hierbei zwischen zwei Dimensionen, an denen sich Sachunterricht seiner Meinung nach zu orientieren hat. Zum einen sind dies die „ epochaltypischen Schlüsselprobleme “ (Klafki, 1992, S. 18). Mit dem Begriff „ Schlüsselprobleme “ meint Klafki die Probleme der heutigen Zeit und der absehbaren oder vermutbaren Zukunft, die es durch Verantwortlichkeit und durch die Initiative jedes Einzelnen zu beeinflussen gilt.

Das Wort „ epochaltypisch “ indiziert, dass dieser Problemkanon nicht statisch zu sehen ist sondern viel mehr „ in die Zukunft wandelbar “ ist. (Klafki, 1992, S. 21)

Die von Klafki genannten Probleme sind:

- „ Die Frage von Krieg und Frieden [...]
- Die Umweltfrage oder die ökologische Frage [...]
- Das rapide Wachstum der Weltbevölkerung […]
- Die gesellschaftlich produzierte Ungleichheit […]
- Die Gefahren und die Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien […]
- Die Erfahrung der Liebe, der menschlichen Sexualität, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern[…]“ (Klafki, 1992, S. 19-21)

Eine zweite „ Orientierungsdimension “ (ebd.) des Sachunterrichts ist nötig, da eine eindimensionale Ausrichtung auf die Schlüsselprobleme sowohl eine kognitive als auch eine emotionale Überforderung an die Kinder darstellen würde und möglicherweise eine einseitige Betrachtung der Lebenswelt der Kinder nach sich ziehen könnte. Diese zweite Dimension enthält demnach Themen, die keine aufreibenden Auseinandersetzung mit Problemen erfordern, sondern die Vielseitigkeit menschlicher Aktivitäten beinhalten, wie die „ kognitiven, emotionalen, ästhetischen, sozialen, praktisch-technischen Fähigkeiten “ (ebd., S. 25). Desweiteren sollen die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die ein Mensch durch seine Sinne und deren individuelle Deutungen hat, die Welt wahrzunehmen, sie zu verstehen und sich in ihr zu orientieren. (Vgl. ebd.)

Die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) hat einen „Perspektivrahmen Sachunterricht “ erstellt, der in Zusammenarbeit mit fachdidaktischen Experten erarbeitet wurde. In ihm werden die zu behandelnden Themen und Inhalte des Sachunterrichts in fünf Perspektiven unterteilt, „ um die Anschlussfähigkeit, sowohl an die Sachfächer weiterführender Schulen als auch an die Lebenserfahrungen und Interessen der Kinder zu sichern. “ (GDSU, 2002, S. 3)

Diese fünf Perspektiven sind:

„- Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektive;
- Raumbezogene Perspektive;
- Naturbezogene Perspektive;
- Technische Perspektive;
- Historische Perspektive. “ (ebd.)

Diese Perspektiven sollen nicht als voneinander getrennte Bereiche angesehen werden, sondern deren Inhalte und Handhabungen sollen vielmehr miteinander verknüpft werden, um den Kindern so zu ermöglichen, auch fächerübergreifende Kompetenzen zu entwickeln. Der „Perspektivrahmen Sachunterricht“ weist auch darauf hin, dass neben der Vermittlung von inhaltlichem Wissen, auch das Vermitteln grundlegender Arbeitsweisen (wie z.B. die des Beobachtens, des Experimentierens, der Informationsbeschaffung etc.) Aufgabe des Sachunterrichts ist. (Vgl. ebd.)

Im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit soll im folgenden nur die technische Perspektive näher betrachtet werden.

1.2 Technische Elementarbildung

1.2.1 Zum Technikbegriff

Technische Elementarbildung beschäftigt sich mit Technik im Sinne von „Realtechnik“, wie sie z.B. Ropohl definiert. (Vgl. Ropohl nach Schmayl, 1995, S. 14.) Demnach sind „ Artefakte konstitutives Merkmal des Technischen. Ein Sachverhalt ist dann technisch, wenn in ihm künstlich gemachte, auf Zweckfunktion gerichtete Gegenstände eine Rolle spielen.“ (Schmayl, 1995, S. 14)

Roth zählt zur Technik „ alle Verfahren, Gegenstände und Systeme, die erfunden und angewendet werden, um durch faktische materielle Veränderungen bestimmte Zwecke zu erreichen. “ (Roth, 1980, S. 100)

Der im folgenden verwendete Begriff „Technik“ schließt somit andere lexikalische Bedeutungen von „Technik“ aus, die Verfahrensweisen und Fähigkeiten beschreiben (wie zum Beispiel „Atem technik “).

1.2.2. Die Entwicklung des Technikunterrichts

Schon Comenius zählte die technische Bildung zu den Aufgaben der Grundschule. (Vgl. Comenius, 2000, S. 200ff.) Seitdem ist die technische Bildung von pädagogischen Strömungen gefördert, gebremst und geprägt worden. Mal war sie scheinbar gänzlich unerwünscht (z.B. zu Zeiten des Neuhumanismus[4] oder nach dem Zweiten Weltkrieg), zu anderen Zeiten wurde sie gepriesen und als unverzichtbar hochgehalten (z.B. zu Zeiten der industriellen Revolution), wobei technische Bildung meist die Ausbildung handwerklicher Tätigkeiten meinte, die kognitive und emotionale Lernprozesse nicht mit einbezog. Bis zu den 60er Jahren wurde technische Bildung nicht als Teil eines Bildungskanons angesehen, da der pädagogische Gehalt von technischer Bildung nicht erkannt wurde. (Vgl. Schmayl, 1995, S. 22.)

Seit Ende der 50er Jahre wird in fachdidaktischen Veröffentlichungen ein Reformwille deutlich,[…] “. (Wilkening, 1995, S. 43) Es ist augenfällig geworden, dass die Relation zwischen Bildung und Technik aufgrund der Anforderungen, die die heutige durch Technik geprägte Umwelt an die Bildung stellt, neu überdacht werden muss.

Es gibt viele Positionen zu Modellen der Technikdidaktik, doch trotz ihrer Vielfalt lassen sie sich alle drei Hauptkonzepten zuordnen, die hier kurz erläutert werden sollen.

1. Das fachspezifische Konzept (Mitte/Ende der 60er Jahre aufgestellt)

Es beinhaltet eine fachpropädeutische Orientierung der Unterrichtsfächer und die Aufgabe, Tatbestände der technischen Umwelt wissenschaftlich zu erörtern und auf ihren Bildungsgehalt zu überprüfen. Schüler sollen technisches Verständnis entwickeln, indem sie Werkaufgaben und Problemlösungsaufgaben bearbeiten.

2. Das gesellschaftsorientierte Konzept (Anfang der 70er Jahre aufgestellt )

Es stellt einen Gegenpol zum fachspezifischen Konzept dar, da es sich nicht an der Wissenschaft, sondern an der gesellschaftlichen Situation orientiert. Im Vordergrund stehen hierbei aktuelle gesellschaftlich bedeutungsvolle Themen wie z.B. Umwelt, Energie, Konsumverhalten und -erziehung, etc. Bei diesem Konzept wird Technik mit ihren Auswirkungen auf die Menschheit und die Umwelt thematisiert.

Technik wird als Vergegenständlichung menschlicher Arbeit verstanden, die im gesellschaftlichen Zusammenhang geleistet wird. Während im fachspezifischen Konzept die Herstellung von technischem Gerä,t das technische Konstruieren, im Vordergrund steht, dominiert hier der Gebrauch und die Vewendung von Technik.“ (Wilkening, ebd., S. 48) Technikunterricht soll hier zum kritischen technischen Denken hinführen, wobei weniger die Eigenproduktion im Vordergrund steht als die Analyse und Erkundung von audiovisuellen Medien, Diagrammen, etc.

3. Das mehrperspektivische Konzept (Mitte/Ende der 70er Jahre aufgestellt)

Mit diesem Konzept verbinden sich die beiden oben genannten Konzepte zu einer Synthese. Es werden verschiedene Lernzielrichtungen beachtet. Unterrichtsinhalte werden danach ausgewählt, ob sie wichtige, durch Technik geprägte Lebensbereiche wie Haushalt, Betrieb, Öffentlichkeit und Freizeit behandeln, die auch eigenständiges Handeln der Schüler fördern.

Es werden eine Vielfalt von Unterrichtsverfahren, -medien und Lernorten in das Konzept miteinbezogen. So werden neben fachlichen und handwerklichen Fähigkeiten auch Arbeitsweisen (Beobachten, Planen, Experimentieren, etc.), soziale Verhaltensweisen und kritische Reflexion als Lernziele definiert. (Vgl. Wilkening, 1995, S. 43ff.)

Gegenwärtig gibt es in der Grundschule noch zwei Konzepte, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Zum einen wird Technikunterricht als eigenständiges Fach unterrichtet und heißt dann „(Technisches/Textiles) Werken“, zum anderen wird Technikunterricht im Rahmen des Sachunterrichts erteilt. (Vgl. Zolg, 1998, S. 81.)

Letzteres ist Gegenstand des folgenden Kapitels.

1.2.3. Zur Unentbehrlichkeit von technischer Elementarbildung

Menschen sind heutzutage schon in frühester Kindheit von Technik umgeben. Angefangen bei der Spieluhr über das Babyfon bis hin zum Kindercomputer gehört Technik von Anfang an zu unserer unmittelbaren Umgebung. Der Haushalt ist technisiert, wir sind weitestgehend vom elektrischen Strom abhängig, um unseren gewohnten Lebensstandard zu halten und auch vor der Haustür begegnet uns Technik bei Schritt und Tritt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Einerseits gibt Technik Sicherheit, da sie vereinfachen, schützen, ja sogar Leben retten kann. Andererseits kann sie beängstigend wirken, dann nämlich, wenn wir sie nicht mehr durchschauen und sie sich unserer Kontrolle zu entziehen scheint. Je weiter sich die Technik entwickelt, um so ausgelieferter kommen wir uns vor und überlassen die Bewältigung der „Geister, die wir riefen“ den Experten. Hier beginnt ein Teufelskreis, da so die technischen Objekte isoliert betrachtet werden und nicht mehr als Teil unserer ökologischen, ökonomischen und auch sozialen Lebenswelt gesehen werden, die sie aber nun einmal sind. Die Vor- und Nachteile von Technik für die Menschen und die Umwelt sind dann nicht mehr ohne weiteres einsichtig und so kann nicht kompetent mit Technik umgegangen werden. Das wiederum führt zu weiterer Unsicherheit, die dann oft in noch größerer Distanzierung und Technikfeindlichkeit mündet. (Vgl. Zolg, 1997, S. 6.)

Klafki fordert eine technische Allgemeinbildung, die es den Menschen (beiderlei Geschlechts!) ermöglichen soll, in dieser technisierten Umwelt kompetent zu denken und zu handeln. (Vgl. Klafki, 1992, S. 14ff und Zolg 1997, S. 7.)

Technik mit ihren Möglichkeiten und Gefahren ist verwoben mit den oben erwähnten „epochaltypischen Schlüsselproblemen“.

Kinder gehen heutzutage aufgrund ihres frühen Kontaktes mit Technik viel selbständiger und auch selbstbewusster damit um. Viele Grundschulkinder sind ihren Eltern um ein vielfaches voraus, insbesondere bei der Bedienung von medialer Technik. Die Betonung liegt hier auf „Bedienung“, denn Hintergrundwissen über Funktionsweisen und die dafür benötigte Technik ist meist nicht vorhanden. Es werden sogar immer weniger Primärerfahrungen gemacht, da viele Erfahrungen nur noch medial vermittelt werden. Gründe hierfür sind zum einen die kultur- und sozialhistorische Entwicklung unserer Gesellschaft, die die Trennung von Wohn- und Arbeitsstätte mit sich brachte, und zum anderen der technische Fortschritt, der es ermöglicht, vielerlei Informationen bequem und umfassend durch audiovisuelle Medien zu vermitteln. Was hierbei verloren geht (oder bereits verlorengegangen ist), ist die Möglichkeit, mit den eigenen Sinnen Materialien, Zusammenhänge und Prozesse zu erfahren. Diese Erfahrungsdefizite[5] haben zur Folge, dass die Kinder zum einen Technik mit ihren Möglichkeiten überschätzen, gleichzeitig die Gefahren unterschätzen und andererseits unter Umständen sogar Angst vor Technik haben. Ein wichtiger Ansatz, um diesen Erfahrungsdefiziten entgegenzuwirken ist der, Technik schon in der Grundschule für Kinder erfahrbar zu machen, indem man sie an Technik heranführt. Hierbei sollen Kinder selbst agieren können, um nicht mehr nur Bedienende zu sein, sondern um zu erfahren, dass Technik nachvollziehbar und beeinflussbar ist. Diese Erfahrungen tragen nicht nur dazu bei, Sachverständnis zu entwickeln, auch das Selbstbewusstsein wird gestärkt und die motorischen Fähigkeiten werden geschult. Dies alles sind Schritte hin zum Verständnis der Bedingungszusammenhänge zwischen Mensch, Natur und Technik. Kinder empfinden Technik als hilfreich und als eine spannende Sache, die durchaus ihrem Interesse entspricht, sofern das Unterrichtsthema ihnen relevant und einsichtig erscheint. (Vgl. Zolg, ebd.; Hagstedt, 1997, S.40f.)

Technische Elementarbildung bereitet darauf vor, komplexe Strukturen zu begreifen und kritisch beleuchten zu können, indem sie prinzipielle Sachverhalte für Kinder erfahrbar macht. So kann eventuellen Ängsten und Fehleinschätzungen von Technik mit ihren Folgen entgegengewirkt werden. Kinder lernen, unter Einbezug aller Sinne mit „Kopf, Herz und Hand“ eigene Lösungsstrategien zu entwickeln. Solche eigenen Strategien können zu einem späterem Zeitpunkt dann auch auf komplexere Sachverhalte transferiert werden. (Vgl. Zolg, 1997, S. 6ff.)

1.2.4. Die Diskussion um Inhalte und Ziele der technischen Elementarbildung

In der Diskussion um die anzustrebenden Lerninhalte und Hauptziele der technischen Elementarbildung in der Grundschule haben sich drei zentrale Ansätze herauskristallisiert, die nicht grundsätzlich im Gegensatz zueinander stehen, sondern sich vielmehr in der Ansicht unterscheiden, in welchem Verhältnis die technische Elementarbildung zum Sachunterricht stehen sollte und wie kind- und sachgemäß sie sein sollte.

1. Der fachliche Ansatz sieht einen eigenständigen Technikunterricht vor, der vorrangig die technischen Sachverhalte der Lebenswelt der Kinder behandelt, sich aber nicht an wissenschaftlichen Verfahren orientiert. Technische Elementarbildung steht hier also neben dem Sachunterricht wie auch neben den anderen Fächern als ein Teil des Fächerkanons, der dem Bildungsauftrag der Grundschule dienen soll, indem Themen fächerübergreifend behandelt werden. (Vgl. Schmayl, 1995, S. 83ff.)
2. Der mehrperspektivische Ansatz unterscheidet sich von dem fachlichen Ansatz dadurch, dass hier fachliche und außer-, bzw. überfachliche Elemente miteinander verbunden werden. Es wird nicht nur die Technik an sich beleuchtet, sondern auch die Beziehungen in denen sie steht. Dieser Ansatz, besonders vertreten von Ullrich und Klante, sieht den Technikunterricht als einen von drei eigenständigen Schwerpunkten des Sachunterrichts. Die drei Schwerpunkte sind der technische, der gesellschaftliche und der naturwissenschaftliche Lernbereich. Somit ist dies ein Ansatz auf den Sachunterricht hin. Bei den Lernzielen werden die verfahrens- und methodenorientierten Ziele hervorgehoben, wie z.B. das selbständige Problemlösen, das Ausprobieren, Experimentieren und Erforschen, das Verstehen technischer Elemente etc. (Vgl. ebd., S.85f.)
3. Der integrative Ansatz sieht die technische Elementarbildung als Teil des Sachunterrichts. Technische Themen werden hierbei nicht für sich, sondern nur als Teil umfassenderer Themen des Sachunterrichts behandelt, somit ist dieser Ansatz einer innerhalb des Sachunterrichts. Dieser Ansatz ist dem Personenkreis um Biester und Möller zuzuordnen und orientiert sich in erster Linie an der Lebenssituation der Kinder. Biester beklagt unter anderem, dass Kinder in der heutigen Welt mit der Konsumgesellschaft immer weniger Gelegenheit dazu haben, Umwelt bewegungs- und wahrnehmungsintensiv zu erfassen und zu begreifen. Aus diesem Gedanken heraus entwickelt er die Forderung nach „Entwicklungshilfe“ von Seiten der Schule, um das handlungsorientierte Lernen zu fördern. Der technische Elementarunterricht hat demzufolge die Aufgabe, es den Kindern zu ermöglichen, Erfahrungen durch eigenes Handeln zu sammeln. Bei der Themenauswahl ist man bei dem integrativen Ansatz bemüht, besonders technische Sachverhalte in naturwissenschaftlichen Phänomenen zu behandeln. Es werden aber auch technische Themen ohne naturwissenschaftlichen Bezug erörtert, wie z.B. Werkzeuge, Maschinen, Geräte etc., wobei auch hier (wie bei den anderen Ansätzen auch) keine Fachpropädeutik angestrebt wird.

Der technische Elementarunterricht soll den Kindern „ lebenspraktisches Wissen und Können vermitteln, die Denkentwicklung fördern und die technisierte Lebenswirklichkeit verstehen helfen“. (Schmayl, 1995, S. 87) (Vgl. ebd.)

Alle drei Ansätze vertreten die Auffassung, dass der Unterricht von den Erfahrungen und der Lebenswelt der Kinder ausgehen soll und handlungsorientiert sein muss.[6] Ebenfalls gemein ist die Forderung, dass technische Elementarbildung sich nicht nur auf alltägliche Erscheinungen und bereits vorhandene Interessen beziehen darf[7]. Konsens herrscht auch in dem Punkt, dass das eigenständige Lernen im Vordergrund stehen soll. Ungleich jedoch sind die Ansätze in Bezug auf die Frage, wie das Lernen von statten gehen soll, ob situativ, integrativ oder ganzheitlich und wie fachlich es sein darf, um noch kindgemäß zu sein. Wie groß soll der thematisierte „Lebenswelt-Ausschnitt“ sein? Kann man vom großen Ausschnitt auf einen kleinen Bestandteil kommen und diesen für sich betrachten oder muss zu jedem Zeitpunkt das übergreifende Thema gegenwärtig sein? Beim Anspruch an die Sachgemäßheit sehen der fachliche und der mehrperspektivische Ansatz eher das Herstellen nützlicher Objekte und deren Technik im Vordergrund.

Der integrative Ansatz vernachlässigt diesen Punkt etwas, erfasst dafür aber Aspekte, die die anderen beiden Ansätze ganz außer acht lassen, nämlich die Relevanz von Technik für die Menschen im ökologischen wie auch im ökonomischen Bereich. Außerdem steht nicht nur die Zweckmäßigkeit der Technik im Mittelpunkt, sondern auch die human-sozialen und naturalen Beziehungen in denen die Artefakte[8] stehen. (Vgl. Schmayl, 1995, S. 80-90.) Gerade aber die Zusammenhänge zwischen Handhabung, der zugrunde liegenden Technik und dem sinn- und verantwortungsvollen Umgang damit sollte Aufgabe der technischen Elementarbildung sein.

Erwin Roth hat diese Ziele in drei Verhaltensebenen eingeteilt, auf die im Unterricht hingearbeitet werden soll. Er nennt zum ersten die „ Vermittlung von lebenspraktischen Fertigkeiten und damit verbundener Kenntnisse “. (Roth, 1980, S. 101) Damit meint er sowohl den praktischen Umgang mit Geräten und Werkzeugen mit deren Wartung und Pflege, als auch die Fähigkeit, Zeichnungen und Gebrauchsanweisungen folgen zu können.

Die zweite Ebene, die Roth nennt, ist „ das Entwickeln von komplexeren Fähigkeiten “ (ebd.), zu denen er das Verstehen von Sachverhalten, das Beherrschen von Problemlösungsstrategien genau so zählt, wie die Fähigkeit, Dinge auf ihre Qualität und ihren Nutzen zu überprüfen.

Die dritte Verhaltensebene ist schließlich „ der Aufbau von gesellschaftsdienlichen Einstellungen “ (ebd., S.102), womit unter anderem der Abbau von Angst vor Technik gemeint ist. Weiter beinhaltet diese Ebene die Fähigkeit, Technik aus verschiedenen Perspektiven betrachten und beurteilen zu können, sowie die Kompetenz, sich sowohl als Einzelperson als auch als Teil einer Gruppe für eine Sache zu engagieren.

Für die drei Ebenen von Lernzielen, wie sie Roth beschreibt, ist die Nähmaschine als Lerngegenstand in vielfältiger Weise verwendbar. Im folgenden Kapitel wird die Nähmaschine zunächst von ihrer geschichtlichen Entwicklung, im Anschluss daran von ihrer gegenwärtigen technisch-funktionalen Seite beleuchtet. Die ausführliche Beschreibung von Werdegang und heutigem Stand der Nähmaschinentechnik wird bereits erahnen lassen, wie den einzelnen Aspekten des Technikunterrichts Rechnung getragen werden kann. Dies wird anhand konkreter Beispiele im darauffolgenden Kapitel erläutert werden.

2. Die Nähmaschine

2.1 Die Entwicklungsgeschichte der Nähmaschine

2.1.1. Am Anfang war die Nadel

Die ersten Geräte, die zum Nähen gebraucht wurden, waren archäologischen Funden nach zu urteilen aus Holzstäbchen, Dornen, Knochensplittern und Fischgräten gefertigt. Man bohrte mit den angespitzten Stechwerkzeugen Löcher in das zu bearbeitende Material und zog anschließend Darmstreifen, Lederriemen oder Pflanzenfasern hindurch und verknotete sie. Mit Beginn der Bronze- und der späteren Eisenzeit wurden die Nadeln aus immer widerstandsfähigerem Material gefertigt. (S. Abb. 1.)

Aus den gleichen Materialien wurden ca. 3000 v. Chr. die ersten Nähnadeln mit einem Öhr hergestellt. Die Erfindung des Nadelöhrs ermöglichte es, dass die beiden Arbeitsgänge vom Lochen des Materials und dem Durchfädeln des Fadens oder Riemens in einem erledigt werden konnten.

[...]


[1] Die TdWI betreibt seit fast 29 Jahren Marktforschung mit dem Ziel, verschiedene Lebensstile mit unterschiedlichen Konsum- und Mediengewohnheiten in einen Kontext zu stellen. Es befindet sich mehr Material zur TdWI im Anhang.

[2] S. Anhang : Statistik der TdWI 2002/03.

[3] Mit primären Erfahrungen sind solche gemeint, die die Kinder selbst machen. Sekundärerfahrungen sind Erfahrungen anderer, die den Kindern auf unterschiedliche Weise mitgeteilt werden und die sie daraufhin in den eigenen Wissensbestand integrieren. (Vgl. Hutzler nach Müller-Gäbele, 1997, S. 16.)

[4] Vgl. hierzu auch Sachs, 1980, S.19ff.

[5] Vgl. hierzu auch Möller, 1987, S. 53-58.

[6] Vgl. hierzu auch Biester, 1993, S.5-9.

[7] Vgl. hierzu auch Duncker, 1998, S. 32.

[8] im Sinne der Definition von Technik (s. S. 6 dieser Arbeit)

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Details

Title
Verflixt und zugenäht! - Die Nähmaschine als Lerngegenstand der technischen Elementarbildung
College
University of Kassel
Grade
1,0
Author
Year
2002
Pages
71
Catalog Number
V115236
ISBN (eBook)
9783640292646
ISBN (Book)
9783640292820
File size
1589 KB
Language
German
Keywords
Verflixt, Nähmaschine, Lerngegenstand, Elementarbildung, Technik, Unterricht, Grundschule, Technikgeschichte, Kinderarbeit, Fertigungsaufgabe
Quote paper
Thordis Seiffert-Hansen (Author), 2002, Verflixt und zugenäht! - Die Nähmaschine als Lerngegenstand der technischen Elementarbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115236

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