Die Rolle der Medien in der Darstellung von deutschen Politikern seit 1900


Dossier / Travail, 2010

26 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

1. Einleitung

2. Willhelm II. und Gerhard Schröder - Medienkaiser und Medienkanzler

3. Die Kraft des „Rettermythos“
3.1 Der „Rettermythos“ in der Weimarer Republik
3.2 Der „Marschall“ und der „Gefreite“

4. „Der Führer“ als erstes politisches Markenprodukt

5. Politiker der Werbeindustrie. Der Weg in die Mediengesellschaft
5.1 Konrad Adenauer als erstes Produkt der Werbeindustrie
5.2 Mit Gerhard Schröder zum deutschen „Politainment“
5.3 Angela Merkel: Die mediale Antiheldin?

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

Aus urheberrechtlichen Gründen wurden alle Abbildungen in dieser Arbeit entfernt

1. Einleitung

Politik und mediale Darstellung sind heutzutage nicht mehr voneinander zu trennen. Tagtäg­lich inszenieren sich die Politiker für ihre politischen Wähler in den Medien. „[...] Auf der Vorderbühne “, schreiben A. Dörner und L. Vogt, „ist [Politik] zur Dauerwerbesendung ge- worden.“1 Ohne politische Inszenierung können Politiker heute keine Wahl mehr gewinnen. Diese Tatsache des späten 20. Jahrhunderts ist Resultat eines langen Prozesses, der sich an verschiedenen Politikerdarstellungen im 20. Jahrhundert in Deutschland abzeichnete. Die Macht der Medien scheint stetig zugenommen zu haben und am Ende dieses Prozesses maß­geblicher Faktor für den Machtgewinn bzw. -erhalt geworden zu sein. Gleichzeitig zeigt sich ein stetiger Prozess in dem sich die politischen Inhalte immer mehr von der Person ablösen und in den Hintergrund zu treten scheinen.

Wie nutzten diese Politiker aus differenten Staatsystemen die Medien für ihre Darstellung? Welche Strategien verfolgten sie mit ihrer politischen Visualisierung, um politische Macht zu erhalten oder zu sichern? Dies sind Fragen, die im Kontext der technologischen Entwicklung der Medien in dieser Arbeit beantwortet werden sollen.

Somit analysieren die einzelnen Kapitel der Arbeit die mediale Darstellung des jeweiligen Politikers und sind auch als unabhängige Kapitel zu verstehen, die zwar vor- und zurückgrei­fen, aber ein in sich geschlossenes Thema bearbeiten. Erst durch die Verbindung aller Kapitel werden Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten in den Politikerdarstellungen deutlich. Die Ver­knüpfung ermöglicht einzelne Faktoren zu erkennen, die erstmals bei einer Politikerdarstel­lung auftreten und kontinuierlich bei nachkommenden Politikern weiterentwickelt und genutzt werden. Beispielhaft sollen die Politikerdarstellungen Wilhelm II., Hindenburgs, Hitlers, A­denauers, Schröders und schließlich Merkels Antwort auf die Fragen geben.

Daneben wird schließlich noch der Frage nachgegangen, welche Rolle der Entwicklung der Medien in diesem Prozess beikommt.

2. Wilhelm II. und Gerhard Schröder - Medienkaiser und Medi­enkanzler

So ungefähr soll einmal ein Gespräch zwischen Wilhelm II. und seinem Arzt verlaufen sein:

„Keine Sorge! Eure Hoheit haben lediglich einen kleinen Schnupfen“, beruhig­te der kaiserliche Hofarzt, woraufhin Wilhelm II. entrüstet antwortete: „Einen großen Schnupfen! Bei mir ist alles groß!“

Wahrscheinlich hat es dieses Gespräch nie gegeben und trotzdem steckt viel Wahres über die mediale Inszenierung des Kaisers in dieser Aussage.

Er war das erste deutsche Oberhaupt, das es verstand sich als solches massenmedial zu prä­sentieren. Dabei standen der technische Fortschritt, die preußische Tradition sowie seine eige­ne Persönlichkeit im Vordergrund. Wilhelm II. war Medienkaiser und die erste Mediengröße des 20. Jahrhunderts. Gerhard Schröder hingegen wurde erst annährend ein Jahrhundert später als Medienkanzler bekannt und auch er nutzte die Medien zur eigenen Selbstdarstellung, auch er verstand es sich dem Volk massenmedial zu präsentieren. Dieses Kapitel soll die Gemein­samkeiten und Unterschiede in der Darstellung in den Medien und der Nutzung dieser zwi­schen beiden Persönlichkeiten aufzeigen.

Zwei gravierende Unterschiede, die sowohl die politische Inszenierung als auch die Nutzung der Medien beeinflussen, seien einleitend genannt: Der mediale Technologiestand und die politischen Systeme beider Akteure.

Während Wilhelm II, als Kaiser einer konstitutionellen Monarchie sich wenig um die Gunst der Wähler bemühen musste, war es Gerhard Schröders zentrale Aufgabe, als Politiker eines demokratischen Systems insbesondere in Wahlkampfzeiten, um die Gunst der potentiellen Wähler zu buhlen. Gerade die in Kapitel 5.2 angesprochene Mediengesellschaft verstärkt die­sen Aspekt. Politik in der Gegenwart ist zur Dauerwerbesendung geworden und Politiker müssen sich wie Markenartikel bewerben.2 Trotzdem war auch Wilhelm II. nicht gänzlich unabhängig von den Bürgern. So beschloss der Reichstag beispielsweise den Haushalt und hatte damit einen ernstzunehmenden Einfluss. Auch die integrative Funktion des Kaisers ist nicht zu unterschätzen. Durch seine mediale Visualisierung lenkt er von gesellschaftlichen oder politischen Problemen ab und erzeugt eine Wohlfühlatmosphäre bei seinen Untertanen. Fest steht jedoch, dass Gerhard Schröder definitiv abhängiger vom Volk war als Wilhelm II. seinerzeit. Beide haben demnach in weiten Teilen eine unterschiedliche Motivation für ihre mediale Inszenierung.

Im 20. Jahrhundert erlebten die Medien einen rasanten technologischen Fortschritt. Die zent­ralen Medien Anfang des 20. Jahrhunderts sind nicht mehr mit denen am Ende zu verglei­chen: Statische Bilder wurden beweglich, schwarz-weiße Bilder wurden mit Farbe gefüllt und analoge Signale wurden digital. Diese Liste ließe sich endlos weiterführen, doch es wird klar, dass sich durch den technischen Fortschritt auch die mediale Darstellung verändert hat. Hat Wilhelm II. sich dem Volk zwar schon im Film präsentiert, so hatte dieser jedoch einen ver­gleichsweise geringen Anteil an seiner medialen Darstellung. Das Foto und das Gemälde wa­ren die entscheidenden medialen Träger. Das bewegte Bild ist mittlerweile das entscheidende Medium bei der Politikerdarstellung. Die Darstellung im Fernsehen ist grundlegender Teil des „Politainments“, das unter Schröder erstmals massiv auffällt (Vgl. Kap. 5.2). Trotz dieser bei­den eben genannten Unterschiede, gibt es interessante Gemeinsamkeiten in der medialen Dar­stellung und ihrer negativen Konsequenzen.

Wilhelm II. und Schröder haben beide ihr Privatleben für die Medien inszeniert und sich mög­lichst modern, modisch und vital dargestellt. Der letzte deutsche Kaiser „[.]lieferte eine un­unterbrochene Show“, schreibt M. Kohlrausch.3 Jeden Anlass suchte sich Wilhelm II. zur medialen Inszenierung und falls sich keiner bot, schuf er die entsprechenden. Denkmäler wurden eingeweiht, Einzüge in große und kleine Orte des Reiches wurden zelebriert und als „Kaisertage“ bekannt, kaiserliche Familienidylle wurde arrangiert und schließlich präsentierte sich der „Reisekaiser“ auf den modernsten Fortbewegungsmitteln der Zeit. Alle diese Ereig­nisse wurden zu europaweiten Medienereignissen und in Bild und Ton verbreitet. Später sogar als bewegtes Bild.4

Auch Gerhard Schröders mediale Inszenierung glich oftmals einer politischen Show. In der Jugendsoap GZSZ, bei Wetten, dass. oder in Dieter Wehlers Mehrteiler Der große Bellheim, selbst auf seinen Parteitagen präsentierte er sich als Showstar (Vgl. 5.2). Schröders Aussage, es brauche „Bild, BamS und Glotze“, um an die Macht zu kommen wurde während seiner politischen Karriere konsequent in die Tat umgesetzt. Auch sein Privatleben inszenierte Schröder zwar nicht kaiserlicher, es stand aber auch hier die Familienidylle im Zentrum der Arrangements.5

Was bei Gerhard Schröder natürlich komplett entfällt ist die kaiserliche Symbolik und die militärisch-politischen Bildprogramme Wilhelms II.

Beide hatten jedoch eine sehr personenbezogene Darstellungsform in den Medien. Das Amt stand bei Wilhelm II. an zweiter Stelle, hinter der Darstellung seiner Person und auch bei Schröder rückte das Amt durch seine mediale Inszenierung oftmals in den Schatten der per­sönlichen Darstellung.6

Trotz einiger Unterschiede in der medialen Darstellung waren beide politische Medienstars ihrer Zeit. Beide wollten durch ihre mediale Inszenierung eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, um von politischen Konflikten abzulenken.7 Trotz der konstitutionellen Monarchie musste auch Wilhelm II. das Volk integrieren und sich um die Zustimmung des Volkes bemühen. Auch für ihn und seine innen- aber insbesondere außenpolitischen Handlungen war eine eher positive Grundstimmung im Volk unerlässlich. Bei beiden hatte die politische Inszenierung die Auflösung der Grenzen zwischen Ernst und Unterhaltung zur Folge. Ein Auftritt bei GZSZ hat ebenso wenig politischen Inhalt wie die Inszenierung diverser Urlaubstage auf Kaiserrei­sen. Was bei Gerhard Schröder auf die Spitze getrieben wurde, war ein Jahrhundert vorher in Ansätzen schon zu erkennen: Das „Politainment“.

Interessant ist jedoch nicht nur der Höhepunkt beider Amtszeiten, sondern auch das Ende. Wilhelm II. sowie Schröder sind beide Opfer ihrer Unterhaltungsstrategie geworden. Grund dafür war die zunehmende Diskrepanz zwischen der inszenierten Welt und der realen Welt. Waren es bei Schröder beispielsweise die zunehmende Arbeitslosigkeit und zahlreiche Rück­tritte von Regierungsmitgliedern, die seine Inszenierung immer unglaubwürdiger erscheinen ließen, ist es bei Wilhelm II. die Niederlage im ersten Weltkrieg gewesen, die sein Image an­nullierte. Ein großer Unterschied liegt darin, dass Wilhelm II. im Gegensatz zu Schröder durch seine herrschaftlichen Porträts und deren enorme mediale Verbreitung zur Ikone aufge­stiegen ist. Diese galt es durch Gegenbilder zu entzaubern. So wurde ein Foto Wilhelm II. als alter und gewöhnlich gekleideter Mann im Exil auf das Titelblatt der TIME gesetzt. Wie heu­tige Paparazzi versuchten die Fotografen den entmachteten Kaiser und nun gewöhnlichen alten Mann zu fotografieren und die Fotos zu verbreiten.8

Da Schröder niemals eine politische Ikone war, galt es auch nicht diese zu entblößen. Viel­mehr wurde sein Stil des „Politainments“ karikiert und kritisiert. Mit der im Frühjahr 1999 gestarteten Radiosendung Gerd Show, wurde der Stimmenimitator Elmar Brandt bekannt und erzielte große Erfolge mit seinen Kanzlerparodien. Im Hebst 1999 sendete RTL erstmals die neue Comedy-Serie Wie war ich, Doris? Daneben gab es noch zahlreiche weitere Persiflagen im Fernsehen und in Form von Karikaturen auch in den Printmedien. Trotz harscher Kritik seitens der Regierung und sogar einer Klagedrohung Schröders wird eines deutlich: Für einen Großteil der Bevölkerung wirkte die Showfassade nicht mehr glaubwürdig.9

Schließlich waren es bei beiden, die Medien, die einerseits Macht und Ruhm erbrachten aber andererseits auch starken Anteil am politischen Ende hatten.

3. Die Kraft des „Rettermythos“

3.1 Der „Rettermythos“ in der Weimarer Republik

Die Vorstellung vom „Rettermythos“ vereint Hindenburg als historische Figur und die Schlacht von Tannenberg als historisches Ereignis. Im Sommer 1914 kam es zu einem Ge­fecht zwischen der russischen und der deutschen Armee südlich von Allenstein in Ostpreußen. Es endete mit einem Sieg der 8. Armee gegen die nach Ostpreußen eingedrungenen russi­schen Truppen. Dieses Ereignis bildet den Beginn des „Rettermythos“ um Hindenburg. Der Mythos verbreitete sich rasend schnell in der Bevölkerung und nach kürzester Zeit war die Befreiung Ostpreußens von den russischen Truppen das alleinige Verdienst Hindenburgs. Doch noch mehr als der Sieg trug die „späte Revanche“ für die 1914 verlorene Schlacht bei Tannenberg gegen das Heer Polens und des Großfürsten von Litauen zur Entstehung des My­thos bei. Ganz bewusst wurde die gewonnene „Schlacht bei Allenstein“ deshalb auf Wunsch Hindenburgs in die „Schlacht bei Tannenberg“ unbenannt. Paul von Hindenburg wurde zum Verteidiger „ehemaligen deutschen Bodens“. Er wurde zum „Retter“ der deutschen Nation.10 Interessant ist dabei, dass dieser Mythos trotz der entscheidenden Niederlagen der letzten zwei Jahre des ersten Weltkriegs, für die Hindenburg maßgeblich verantwortlich war, und trotz seines eigentlich sehr geringen Beitrags zum Sieg in der Schlacht bei Tannenberg in den Köpfen der deutschen Bevölkerung bis zur Zeit des Nationalsozialismus verankert hat.11

Die Menschen sahen in Hindenburg nicht das, was er war, sondern das, was er sein sollte: Ein Kaiserersatz und eine nationale Identitätsfigur.12 Sie wünschten sich Einheit in der durch Kon­flikte fragmentierten Gesellschaft. Außerdem suchte die Bevölkerung in einem neuartigen anonymen und weitgehend technisierten Krieg nach einem nationalen Kriegshelden, der die Hoffnung des Sieges verkörperte. Nur so kann der sich entwickelnde Hindenburg-Kult erklärt werden.

Nicht zuletzt hat Hindenburg auch einen entscheidenden An-teil an der Verbreitung und Genese des Mythos um seine Person. Die Tagebuchaufzeichnungen Hugo Vogels, seines persönlichen „Hof- und Leibmalers“, stellen Paul von Hin-denburg als Meister der medialen Selbstinszenierung dar. Durch das Medium der Malerei verstand Hindenburg es, den „Rettermythos“ zu visualisieren und in der Bevölkerung zu etablieren. So kann man zwar davon sprechen, dass der My-thos aus „einem Gefühl der Dankbarkeit“13 und der Hoffnung im Volk entstand, jedoch durch Hindenburg ebenso bewusst über die Medien verbreitet wurde. Ermöglicht wurde dies über die fortschreitende Entwicklung des fotomechanischen Druckverfahrens. In Form von Postkarten und Faksimiledru-cken verbreiteten sich die Hindenburg-Bilder massenhaft im Volk und verankerten sich so in den Köpfen.

Der Mythos überstand die Kriegsniederlage und entfaltete erzur ersten unmittelbaren Wahl des Reichspräsidenten 1925 erneut seine Wirkung, diesmal jedoch bewusstdurch eine Wahl­kampfstrategie gesteuert.

Während die anderen Kandidaten, Ernst Thälmann und Wilhelm Marx, bei der Reichpräsiden­tenwahl mit narrativen Wahlplakatenwarben, setzten die Wahlkampfhelfer Hindenburgs auf einen rein personalisierten Wahlkampf mit wenig politischer Aussage und Detailtiefe. Sie setzten damit schon auf Wahlkampftechniken, die Adolf Hitler aufgreifen sollten und 25 Jahre später in der BRD kontinuierlich weitergenutzt und perfektioniert wurden bzw. werden. (Vgl. Kap. 4 und Kap. 5).

Auf dem Plakat zur Reichpräsidentenwahl ist das Porträt Hindenburgs schlicht mit „Der Retter“ unterschrieben. Es bedurfte keines Namens und auch keines weiteren Kommen-tars, da jeder wusste wer gemeint war. Durch den „Rettermythos“ der Kriegsjahre war Hin­denburg als Symbol deutscher Kraft und Entschlossenheit in vielen Haushalten vorhanden. Die Vermarktung Hindenburgs führte zur festen Verankerung des Mythos. Auf Schokoladen­tafeln, Marzipanverpackungen und anderen Lebensmitteln sowie Spielzeug, Lampen, Bildern und Haushaltswaren fand sich Hindenburgs markanter Kopf wieder. Jesko von Hoegen spricht von einem „regelrechten ,Hindenburg-Boom‘“14

Demnach war es ein leichtes, die Kraft des Mythos um Hindenburg im Wahlkampf erneut zu entfalten.15 Die Hindenburg unterstützende Presse, und dies war insbesondere die Hugenberg- presse, versuchte den „Rettermythos“ in einen neuen Kontext zu stellen.

Diesmal ging es nicht um die militärische Rettung der deutschen Nation vor dem „Feind“, sondern um die politische Rettung der deutschen Nation in Zeiten der inneren Krise. Die Hu- genbergpresse propagierte eine fehlende Einheit der Nation nach der Revolution von 1918. Hindenburg sollte, ganz im Sinne des Mythos, erneut zum Retter der Nationwerden. Ersollte der Weimarer Republik eine neue „nationale Identität“ geben und die „verlorene Ehre“ durch den Versailler Vertrag retten.16 Gewiss war der deutliche Wahlsieg 1925 nur durch die Mas­senmedien möglich geworden, ohne deren Hilfe das erneute Aufleben des Mythos in einem neuen Kontext schwerlich möglich gewesen wäre. Eine flächendeckende Plakatierung der Straßen und die Hindenburg unterstützende Presse waren unabdingbar für diesen Erfolg. Hin­zukommend kann die Vermarktung und Visualisierung Hindenburgs als wirksame aber „ge­schenkte“ Werbung betrachtet werden.

Obwohl Hindenburg sich zu keinem Stabilitätsfaktor der Weimarer Republik und auch keine republikanische Prä-gung entwickelte, sollte die Visualisierung des „Rettermy-thos“ noch nicht zu Ende sein. 1932, zur nächsten Reichs-tagswahl, sahen die demokratischen Parteien der Weima-rer Republik sich gezwungen gemeinsam gegen Adolf Hitler Wahlkampfpolitik zu führen. Man erhoffte sich, durch die erneute Visualisierung des „Rettermythos“ in Form von Hindenburg die Wahl Adolf Hitlers und die da-mit befürchtete Auflösung der Weimarer Republik zu ver-hindern. Erneut zeigte sich diese Wahlkampfstrategie er-folgreich und Hindenburg wurde mit 84 Jahren erneut zum Reichspräsidenten gewählt.17

Die erhoffte Rettung blieb jedoch aus und am 30.1.1933 übertrug Hindenburg schließlich das Amt des Reichskanzlers aufHitler. Doch auch mit dem endgültigen Zusammenbruch der Weimarer Republik soll-te der Mythos vom „Retter“ nicht in Vergessenheit geraten.

3.2 Der „Marschall“ und der „Gefreite“

Das NSDAP-Plakat zeigt Hindenburg und Adolf Hitler mit der Über-schrift „Der Marschall und der Gefreite“ und dem Untertitel „Kämpfen mit uns für Frieden und

Gleichberechtigung“. Es entstand im Wahlkampf der Reichstagswahlen am 5. März 1933 und verdeutlicht, inwiefern Hitler bzw. die Nationalsozialisten die Kraft des Mythos um Hin­denburg nutzten und nach der Deutungshoheit über diesen strebten. Der Glaube der Anhänger der Weimarer Republik, „[...] dass der alte Held von Tannenberg nichts von seiner Tatkraft eingebüßt habe und Hitler irgendwie in Schranken halten werde“18, sollte sich nicht bestäti­gen. Durch die Tatsache, dass Hindenburg das Amt des Reichspräsidenten an Hitler übertrug, konnte dieser die Kraft des Mythos für seine Bewegung instrumentalisieren. Das Plakat visua­lisiert den neuen Kontext des „Rettermythos“: Zum einen suggerieren die Titel „Marschall“ und „Gefreiter“ die militaristische Ausrichtung der NSDAP und zum anderen schafft es der Propagandaminister Joseph Goebbels, den „alten“ Vater der preußisch-deutschen Nationali­dentität mit dem einfachen Soldaten des neuen Deutschlands zu verknüpfen. Jesko von Hoe-gen spricht in diesem Zusammenhang von der Synthese der Antithese. Die beiden vorher nicht kohärierenden Persönlichkeiten werden zu einem effektvollen Zusammenhang ver-schmolzen, ganz im Sinne der nationalsozialistischen Vorstellung. Das Plakat visualisiert, was die NSDAP propagierte: Um den inneren Frieden wiederherzustellen hätte der „Marschall“ Hitler auserwählt.19 Immer wieder betonte Hitler, dass die „ [.]neue Regierung ihre Beru-fung dem Vertrauen des Reichspräsidenten verdanke.“20

Hitler erhalte den Auftrag von Hindenburg, so die Propaganda, die innere Einheit wiederher­zustellen. Auf Grund dieser Missionsstrategie erhielt Hitler die Deutungshoheit über den Hin- denburgmythos und die NSDAP erweiterte ihre Wählerschaft.

Selbst der Tod Hindenburgs bedeutete nicht das Ende des Mythos. Dieser hatte während des dritten Reiches fortwährend eine integrative Funktion.

4. „Der Führer“ als erstes politisches Markenprodukt

„Wenn das der Führer wüsste!“

Dieser zur Zeit des Nationalsozialismus verbreitete Spruch zeigt beispielshaft, wie der Füh­rermythos im Volk wirkte. Gleich einem Halbgott schien „der Führer“ außerhalb des Systems zu stehen, unberührt von den negativen Erfahrungen mit der NSDAP. Im vorangegangen Kapitel wurde auf die Symbiose zwischen Hitler und Hindenburg eingegangen (Vgl. Kap. 2.2.2). Mit der Kraft des „Rettermythos“ bzw. der Deutungshoheit über diesen konnte der „Führermythos“ gebildet und gefestigt werden. Er knüpft somit zwar an eine alte Traditionsli­nie an, bricht aber andererseits mit dieser insofern, als dass er die Weimarer Republik been­den und eine Diktatur, das „Dritte Reich“, aufbauen möchte.

„Der Führer“ sollte als Markenname mit enormem Nutzen für die Nationalsozialisten etabliert werden. Er sollte mit modernsten Techniken der Werbung in den Köpfen der Bevölkerung zementiert werden.

Um dieses Ziel zu erreichen baute man seit 1932 auf einen sehr stark personalisierten Wahl­kampf. Waren es anfangs noch die, für die Weimarer Zeit üblichen narrativen Wahlplakate, sollte nun das Porträt Hitlers im Zentrum des Plakates stehen.21 Wie schon beim „Retter“ Hindenburg auf dem Wahlplakat zur Reichspräsidentenwahl 1925 (Vgl. Abb. 1), sollte auch bei Hitler lediglich Kopf und Name, später Kopf und Titel, ausreichen um Wirkung zu erzie­len. Dies war der erste Schritt zur Einführung eines Markenartikels. Dass der wirkungsvolle „Rettermythos“ anfangs dazu genutzt wurde, zeigt Kapitel 2.2.2 und die Anlehnung an diver­se Wahlplakate Hindenburgs.

Bei der Gestaltung der Wahlplakate bzw. bei der gesamten Werbekampagne orientierten sich Goebbels und Hitler an den Erwartungen und Wünschen der deutschen Bevölkerung. Es ging um eine Emotionalisierung der potentiellen Wähler, die das Verhindern von objektiver Ab­wägung beim Betrachter im Sinn hat. Gute Propaganda im Sinne der Nationalsozialisten sollte möglichst viele Menschen berühren und eine manipulierende Wirkung auf die Meinungsbil­dung und das (Wahl-)Verhalten ausüben.22

Um die Erwartungen und Wünsche der Bevölkerung anzusprechen, stütze sich Goebbels noch nicht auf demoskopische Untersuchungen, wie dies Konrad Adenauer erstmals tat, sondern lediglich auf seine Intuition, angereichert durch eigene Wünsche, Erfahrungen und Vorbilder. So wurde grundsätzlich nach dem pragmatischen „try and error“-Prinzip vorgegangen. Folgte auf eine Präsentationsform weniger gute Resonanz, wurde die Darstellung entweder abgeän­dert, bis sie zufriedenstellend war oder vollständig verworfen.23

Bis zu seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30.1.1933 repräsentierte Hitler lediglich die NSDAP. Er war zwar teilweise aber vor allem parteiintern schon als „Der Führer“ bekannt, wurde auf Plakaten jedoch noch als Adolf Hitler bezeichnet. Es waren noch Name und Ge­sicht, die den Markenartikel Adolf Hitler visualisierten. Ändern sollte sich dies jedoch mit seiner Ernennung zum Reichskanzler. Ganz im Sinne eines neuen „Dritten Reiches“ sollte Hitler nun für das ganze Volk, das System und den Staat stehen.

[...]


1 Dörner & Vogt, S. 659 (II).

2 Vgl. Dörner & L. Vogt, S. 659 (II).

3 Kohlrausch, S. 71 (I).

4 Vgl. zu diesem Abs. ebd.

5 Vgl. zu diesem Abs. Dörner & Vogt, S. 656f. (II).

6 Vgl. zu diesem Abs. Kohlrausch, S. 71 (I) und Paul, S. 749 (II).

7 Vgl. Kohlrausch, S. 74f. (I) und Dörner & Vogt, S. 759 (II).

8 Vgl. Ebd., S. 74f. und ebd., S. 660.

9 Vgl. Dörner & Vogt, S. 660 (II).

10 Vgl. von Hoegen, S. 414 f. (I).

11 Vgl. Görtemaker, S. 34 f.

12 Vgl. Ebd.

13 von Hoegen, S. 415 (I).

14 v. Hoegen, S. 416 (I)

15 Vgl. Görtemaker, S. 35

16 Vgl. v. Hoegen, S. 416 (I)

17 Vgl. ebd., S. 418 (I)

18 Dorpalen zit. n. v. Hoegen, kunsttexte.de, S. 4.

19 Vgl. ebd., S.5.

20 v. Hoegen, kunsttexte.de, S. 5.

21 Vgl. Behrenbeck, S. 59.

22 Vgl. ebd., S. 54.

23 Vgl. Behrenbeck., S. 54f.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Die Rolle der Medien in der Darstellung von deutschen Politikern seit 1900
Université
University of Flensburg
Note
1,3
Auteur
Année
2010
Pages
26
N° de catalogue
V1152736
ISBN (ebook)
9783346580351
ISBN (Livre)
9783346580368
Langue
allemand
Mots clés
Geschichte, Bilder, Wahlplakate, Wahlplakat, Weimarer Republik, Bundesrepublik, Adenauer, Kohl, Schröder, Merkel, Hindenburg
Citation du texte
Malte Dassau (Auteur), 2010, Die Rolle der Medien in der Darstellung von deutschen Politikern seit 1900, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1152736

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