Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsdefinition
2.1 Das Selbst und dessen Entwicklung
2.2 Bildung
2.3 Selbstbildung
3. Selbstbildung im Alltag im Bezug zur Reggio Pädagogik
3.1 Das Bild vom Kind
3.1.1 Wichtigkeit des Spiels für Bildungsprozesse und die Projektgestaltung
3.1.2 Raumgestaltung
3.1.3 Forschendes Lernen
3.2 Selbstbildung im sozialen Kontext
3.2.1 Rolle der Fachkraft
3.2.2 Professionelle Haltung
4. Fazit
5. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
„Neuere Ergebnisse der Säuglings- und Kleinkindforschung haben das Bild eines inkompetenten, hilflosen Säuglings abgelöst, durch die Vorstellung eines kompetenten, kommunikativen Säuglings, der weltoffen ist und die Interaktion mit anderen Menschen sucht... Das Neugeborene eignet sich seine Umwelt durch die Möglichkeiten an, die ihm mit der Geburt zur Verfügung stehen. Es macht Erfahrungen, die die Ausgangspunkte seiner Wahrnehmung und Verarbeitung der Welt differenzieren. Die daraus entwickelten verschiedenen Formen des Welt- sowie Selbstverständnisses bilden die Grundlage des kindlichen Lernens.“ (Wiebe 2011). Das Kind benutzt dabei die Mittel, die ihm durch seine Umwelt zur Verfügung gestellt werden (vgl. Schäfer 2005). Selbstbildung kann nur im Rahmen der angebotenen Möglichkeiten erfolgen und ist abhängig vom sozialen, kulturellen und materiellen Umfeld. Selbstbildung kann nur ganzheitlich, in Interaktion mit anderen Menschen und/oder an Gegenständen der Welt stattfinden.
Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass wir unseren Kindern und den darauffolgenden Generationen ein Umfeld schaffen, in dem wir ihnen die bestmöglichen Bedingungen schaffen sich „Selbst zu bilden“. Die geltenden Grundsätze in der ReggioPädagogik sind:
- Erziehung zur Demokratie
- Erziehung zur Gerechtigkeit
- Erziehung zur Solidarität
Diese Grundwerte kann man den Kindern nur an die Hand geben, wenn man diese auch selbst authentisch verkörpert. Um dies zu tun, muss die Fachkraft sich stetig selbst reflektieren. Ungünstige Arbeitsbedingungen, nicht aufgearbeitete Erfahrungen aus der Kindheit, einer entpolitisierten Sicht von Pädagogik und in vielen Fällen eines eingeschränkten Selbstwertgefühls, wird das Naheliegende in weite Ferne gerückt - die Selbstreflexion. Das heißt, über eigene Werte, eigene lebensbiografische Daten, über Kriterien von Richtigkeit und über die eigenen Ansprüche an sich und andere Menschen nachzudenken. Gerade die Reflexion, das mit sich selbst Auseinandersetzen, ist jedoch für das Berufsbild einer pädagogischen Fachkraft besonders wichtig.
Im vorliegenden Fachtext wird die Reggio-Pädagogik umrissen. Um sich selbst und sein eigenes Handeln besser zu verstehen, wird in Kapitel 2 dieser Arbeit eine Begriffsbestimmung vorgenommen. Was bedeutet das Selbst, Bildung und Selbstbildung. Das dritte Kapitel widmet sich dem Bild des Kindes. Des Weiteren wird in diesem Kapitel auf die Wichtigkeit des Spiels, um Bildungsprozesse zu fördern eingegangen. Ebenso ein zentraler Bestandteil 2 dieser Arbeit ist die Beschreibung der Raumgestaltung und die Rolle der Fachkraft und dessen Haltung, um Selbstbildungsprozesse bestmöglich zu fördern. Die Arbeit endet mit einem Fazit.
2. Begriffsdefinition
2.1 Das Selbst und dessen Entwicklung
Eine der wichtigen Entwicklungsaufgaben des Kindes ist es, zu Wissen über eigene Fähigkeiten und Eigenschaften zu gelangen (Petermann et al 2004). „Das heißt sich ein Bild über sein Selbst beziehungsweise sein Selbstkonzept zu machen. Das Selbst hat die grundlegende Funktion das Individuum zu definieren und über die Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ herauszufinden, was uns als Menschen einzigartig macht.“ (Brandl 2010 S.4). „Das Selbst Allgemein wird unter dem Selbst ein bewusstseinsnahes Abbild der inneren, meist unbewusst ,funktionierenden ‘handlungsleitenden Struktur(en) verstanden. Diese stabile, wenngleich prinzipiell veränderbare, innere Struktur dient der Orientierung in der Umwelt: dem Erhalt der Handlungsfähigkeit und der Sicherheit des Kontrollerlebens. Selbst und Selbstkonzept entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, in der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und kritischen Lebensereignissen.“ (Fröhlich- Gildhoff 2011, S.15).
Säuglinge kommen als kompetente Wesen auf die Welt, die von der ersten Lebensminute an die Interaktion mit ihren Bezugspersonen mitsteuern und bestrebt sind, sich die Welt anzueignen. Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie und der empirischen Säuglingsforschung belegen dies deutlich (vgl. Rauh 2008, Stern 1992, Dornes 1995). Bereits im Mutterleib machen Embryonen vielfältige Erfahrungen. Es lassen sich Reiz-ReaktionsMuster systematisch abbilden, ebenso machen sie erste Sinneserfahrungen (Tasten, Schmecken, Hören). Im Mutterleib ist eine frühe Aktivität zu beobachten, vieles deutet daraufhin, dass Kinder bereits vorgeburtlich lernen und dadurch in ihrer späteren Umwelt, sowie ihrer sozialen Umwelt vorbereitet werden (vgl. Rauh 2008, S.152). Schon vor ihrer Geburt gewöhnen sich die Kinder an die kulturtypischen Speisen der Mutter und beginnen Klang- und Sprachmuster zu differenzieren. Stresserfahrungen der Mutter wirken sich ebenso auf die (neuro)physiologische Entwicklung des Embryos aus (vgl. ebd.). Hüther und Krens (2005) geben einen ausführlichen Überblick über die vorgeburtliche Entwicklung des Kindes. Unmittelbar nach der Geburt verfügen Neugeborene über einen relativ differenzierten Wahrnehmungsapparat und können schon sehr früh zwischen vertrauten und nicht vertrauten Personen unterscheiden. Die Stimme und den Geruch der Mutter können sie schon sehr früh erkennen. Nahezu von Geburt an verfügen Säuglinge über ein differenziertes Spektrum von Gefühlsregungen (vgl. Dornes 2009). Überraschung und Ekel lassen sich schon bei der Geburt beobachten, Interesse, Neugier sowie Freude lassen sich schon nach wenigen Tagen anhand der Mimik und Bewegungsmuster von Säuglingen feststellen. Traurigkeit lässt sich etwa ab dem ersten Monat, Furcht und Ärger nach etwa acht Wochen beobachten. Diese emotionalen Grundmuster differenzieren sich zunehmend weiter aus und sind früh in eine wechselseitige Interaktion mit den Bezugspersonen eingebunden. Kinder zeigen bereits von Anfang an ein hohes Maß an Aktivität, Erregung und auch „Weltzugewandtheit“, wobei die Entwicklungsaufgabe der Regulation von körperlichen Zuständen, von physiologischen Funktionen, von Motorik, sowie des Bewusstseins und Erregungsniveaus eine besonders hohe Bedeutung hat (vgl. Rauh 2008, Fröhlich-Gildhoff 2011). „Aus diesen frühen Erfahrungen des Kindes mit eigenen inneren Zuständen und mit der Außenwelt, erfolgt die Bildung innerer psychischer Ordnungsmuster, der inneren psychischen Struktur, des Selbst. Dieser Prozess vollzieht sich in der Auseinandersetzung des Säuglings - bzw. des Menschen - mit der Umwelt über die Bildung von Erfahrungen, die dann innerpsychisch abgebildet (repräsentiert) werden.“ (Fröhlich-Gildhoff 2011, S.4).
In der Psychologie wird der Begriff des Selbst unterschiedlich genutzt. Die Begriffe Selbstkonzept und Persönlichkeit gelten in der Psychologie als Synonyme für das Konzept des Selbst. Das Selbst ist eine innerpsychische Struktur, die zwar relativ stabil ist, aber trotzdem Veränderungen zulässt. Allerdings dient diese innere Struktur der Orientierung in der Umwelt (vgl. Krampen und Greve 2008). Es bildet sich auf der Grundlage von Erfahrungen und den damit verbundenen emotionalen Bewertungen, die als Erinnerungen im Gedächtnis gespeichert werden. Ein Beispiel dafür ist das Empfinden von Hunger oder Durst. Die Gefühle werden vom Säugling gespürt und zunächst als unangenehm bewertet, bis eine Bezugsperson die Bedürfnisse befriedigt und sich ein angenehmes Gefühl einstellt. Es sind diese Verbindungen zwischen Wahrnehmungen und Gefühlen, die in Form von Erinnerungen gespeichert werden. Ähnliche Erinnerungen werden danach miteinander verbunden und somit zu „generalisierten Repräsentationen“ verknüpft (Fröhlich- Gildhoff 2009, S.33)
Selbstkonzept und auch das Selbstbild dienen grundsätzlich dem Erhalt der Handlungsfähigkeit und der Sicherheit des Kontrollerlebens (vgl. Krampen und Greve 2008). Allgemein wird unter dem Selbstkonzept ein bewusstseinsnahes Abbild der inneren, meist unbewussten handlungsleitenden Strukturen verstanden. Selbst und Selbstkonzept entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Erfahrung in der Bewältigung von Herausforderungen und kritischen Lebensereignissen (vgl. Fröhlich-Gildhoff 2011, Greve 2000). Das Selbstkonzept ist „die Summe von Attributen, Fähigkeiten, Einstellungen und Wertvorstellungen, von denen ein Individuum überzeugt ist und über die sich eine Person definiert“ (Berk 2005, S. 331).
Um die eigene Individualität zu erkennen, muss man:
- sich seiner selbst bewusst werden
- sich als eigenständige Person fühlen
- individuelle Eigenschaften und Vorlieben erkennen
- herausfinden, was ich kann (vgl. Bertelsmann Stiftung & Staatsinstitut für Frühpädagogik 2006)
Kinder die ihr Selbst(konzept) positiv einschätzen, gelingt es besser, Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, dies ist ein Merkmal für psychisches Wohlbefinden. Kinder die sich selbst positiv einschätzen, werden deshalb in der Regel auch Erwachsene, die in der heutigen komplexen Welt erfolgreich bestehen können, da sie sich kompetent, wertgeschätzt und fähig fühlen (vgl. Brandl 2010). Diverse weitere psychologische Konstrukte sind mit der Einschätzung des Selbst(kopnzepts) verbunden. Damit Kinder sich auch in schwierigen Lebenslagen gesund entwickeln können, benötigen sie personale Ressourcen wie Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, ein positives Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. (Wustmann 2004). Bezugspersonen wie pädagogische Fachkräfte oder Eltern kommt beim Aufbau des Selbstkonzepts eine große Verantwortung zu. Es ist auch ihre Aufgabe, das Kind mit einem starken und sicheren Selbst heranwachsen zu lassen, um ihm ein Leben zu ermöglichen, in dem es ohne Furcht die Welt erleben kann und seine Fähigkeiten und Talente bestmöglich entwickelt und Enttäuschungen trotzt (vgl. Brand 2010). Die Kinder lernen ihr Selbst hauptsächlich durch die Augen ihrer Bezugspersonen zu sehen (vgl. ebd.). Wenn Eltern ihre Kinder zu selbstbewussten, starken Persönlichkeiten erziehen möchten, sollten sie sich dessen bewusst sein.
Rogers (1958) stellt fest, dass Kinder sich auf der einen Seite selbst verwirklichen wollen und auf der anderen Seite von anderen beachtet und angenommen werden möchten. Dieses Bedürfnis nach Beachtung und Achtung hat zur Folge, dass auch Fremdbewertungen in das Selbstkonzept aufgenommen werden (vgl. ebd.). Aus diesem Grund tendiert ein Kind dazu, sich so zu sehen, wie es von seinen Bezugspersonen gesehen wird. Wird es bedingungslos akzeptiert, uneingeschränkt geliebt und wertgeschätzt, so kann es ein positives Selbstkonzept entwickeln (vgl. Brand 2010).
2.2 Bildung
Viele Forschungsergebnisse haben in den letzten Jahren gezeigt, dass Kinder als aktive Wesen auf die Welt kommen und Bildung bzw. Lernen schon von der Geburt an stattfindet (vgl. Dornes 2009; Schäfer 2005). Die frühe Kindheit wird sogar als eine Phase betrachtet, in der Kinder am schnellsten und am intensivsten lernen. Nach dem sozial-konstruktivistischen Bildungsverständnis, welches der heutigen Kindergartenpädagogik zu Grunde liegt (vgl. König 2010, S.14), entwickelt sich außerdem der Mensch „als soziales Wesen über den Kontakt zu seinen Bezugspersonen“ in der Interaktion (König 2010, S.16).
Der im Deutschen geläufige Begriff Bildung hat im Italienischen wie in fast allen anderen europäischen Sprachen keine unmittelbare Bedeutung. Dennoch kommt die reggianische Vorstellung vom Lernen einem komplexen Bildungsbegriff sehr nahe, wie er vor zwei Jahrhunderten von Wilhelm von Humboldt geprägt wurde (vgl. bpb.de), denn Lernen schließt in der Reggio-Pädagogik immer auch die Beteiligung der ganzen Person und eine intensive interaktive Beziehung zwischen Individuum und (Um-) Welt mit ein (vgl. ebd.). In der Reggio-Pädagogik hat sich seit 1960 kontinuierlich ein frühpädagogisches Bildungs- und Lernkonzept herauskristallisiert, das bis heute gültig ist (Knauf 2017). Menschen mit unterschiedlicher Nähe zu der pädagogischen Theorie und Praxis Reggios sind daran beteiligt gewesen. Durch das immer wieder neu Interpretieren und Kommunizieren von pädagogischen Reflexionen und dessen konkreten frühpädagogischen Erfahrungen ist eine „Art geistige Symbiose“ entstanden (vgl. ebd.). Die Reggio-Pädagogik reflektiert mit ihrem Bildungskonzept ein breites Spektrum lerntheoretischer Ansätze aus den letzten Jahrzehnten. Das Lernkonzept der Reggio-Pädagogik wird stark von den Ideen und Erkenntnissen der konstruktivistischen Erkenntnis- und Lerntheorie sowie der neueren Hirnforschung geprägt (vgl. ebd.). Der Sozial- oder Ko-Konstruktivismus spielt die entscheidende Rolle. Es geht darum, in lernenden Gemeinschaften Bedeutungen zu entdecken, sich auszudrücken und mit anderen zu teilen. Dazu bilden Kinder und Erwachsene soziale Interaktionsformen, in denen sie ihr Verständnis und ihre Interpretation von Dingen miteinander diskutieren und verhandeln (vgl. Fthenakis 2009, 8 f.). Die Umwelt wird vom Individuum selektiv wahrgenommen und das Kind weist den Phänomenen des Alltags ebenso wie seinen Erinnerungen, Wünschen oder Ängsten Bedeutungen zu. So entstehen in einzelnen Schritten Weltbilder, aber auch alltagspraktische Kompetenzen (vgl. Knauf 2017).
„Wenn Bildung bedeutet, vielfältige Erfahrungen und Lernprozesse miteinander in einer Struktur zu verknüpfen, die die Entfaltung der individuellen Anlagen, Strebungen und Bedürfnisse gerecht wird und zugleich dem Individuum ermöglicht, handelnd auf seine
Umwelt einzuwirken, dann ist jetzt zu ergänzen: Da schon einzelne Lernvorgänge ein aktives und individuelles Verarbeiten voraussetzen, kann auch die Struktur, die sie alle aufeinander bezieht und die besondere Ausprägung der Persönlichkeit ausmacht, nur selbständig ausgebildet und aufgebaut werden: Bildung ist Selbstbildung."(Merkel 2005).
2.3 Selbstbildung
Sucht man den Begriff Selbstbildung im Internet, findet man bei Wikipedia diese Definition: „Selbstbildung oder Selbsterziehung (englisch self-education, französisch l'éducation de soi- mème} ist ein pädagogisches, anthropologisches und ethisches Konzept, das auf eine systematische Gestaltung der eigenen Persönlichkeit und auf ein lebenslanges Lernen im Sinne eines Sich-Bildens und einer sinnvollen Lebensführung ausgerichtet ist.“ (wikipedia.org/wiki/Selbstbildung).
Familiäre und außerfamiliäre Bezugspersonen stellen die prägende Umgebung der Kinder dar. Selbstbildung meint also keinesfalls, dass Kinder sich ohne Zuwendung von Erwachsenen bilden würden oder dass sie gar sich selbst überlassen werden sollten. Die Beziehungen zu und die Unterstützung durch Erwachsene bieten zunächst die entscheidenden Anstöße zur kindlichen Selbstbildung. Dazu treten der Umgang der Kinder untereinander, der im Kindergarten eine wachsende Bedeutung erhält, und schließlich Ausstattung und materielle Umgebung, in der die Kinder aufwachsen (vgl. Merkel 2005). Wenn Kinder in einer anregenden Umgebung und im Zusammenleben mit Erwachsenen und Gleichaltrigen Aktivitäten und Interessen verfolgen können, wird die kindliche Selbstbildung gefördert. Im Idealfall werden diese Interessen von den Erziehenden unterstützt und weiter vertieft (vgl. Merkel 2005). Bildung entsteht in sozialen Prozessen zwischen den Kindern ebenso wie zwischen Erwachsenen und Kindern und in ständiger Auseinandersetzung mit der materiellen Umwelt (vgl. ebd.).
In der Reggio-Pädagogik wird das Kind als Konstrukteur seiner Entwicklung, seines Wissens und Könnens betrachtet. Das Kind weiß selber am besten, was es braucht und verfolgt mit Energie und Neugierde die Entwicklung seiner eigenen Kompetenzen (Lingenauber 2004). Ein Kind will die Welt mit ihren Dingen, Lebewesen und Vorgängen verstehen, die es in seinem Erfahrungsfeld, in den Medien oder in seinen Fantasien wahrnimmt, und auch in eine Beziehung zu sich setzen. Dabei wird ein Kind durch Experimente, durch Versuch und Irrtum, durch das Ausloten von Grenzen seine alltagspraktische und soziale Handlungskompetenzen und Handlungsräume allmählich erweitern. Der Raum ist in der
Reggio-Pädagogik Teil des pädagogischen Konzeptes und umfasst mehr als nur die Räume in einem Kindergarten und dessen Ausstattung (vgl.ebd.) sondern dazu gehört auch das ganze von den Kindern erschließbare Umfeld. Die Reggio-Pädagogik regt an, dass die Einrichtung der Räume die Kultur der Umgebung und die Alltagserfahrungen der Kinder widerspiegeln sollte, wodurch sich die Kinder mit Dingen auseinandersetzen können, die sie täglich erleben und von denen sie umgeben werden. Teure Einrichtungsgegenstände oder Spielzeuge sind nicht notwendig, sondern viel wesentlicher sind Gegenstände aus dem Alltag der Kinder zum Spielen (vgl. Stangl). Über den „Raum als 3. Erzieher“ erfahren sie mehr im Kapitel 3.1.2. Künstlerisches Arbeiten hat in der Reggio-Pädagogik einen hohen Stellenwert, denn künstlerische Gestaltung ist eine wichtige Möglichkeit, die Welt zu verstehen und seinen Platz in ihr zu finden (Stangl, 2021). Der leitende Gesichtspunkt in der reggianischen Arbeitsweise besteht darin, den Kindern behilflich zu sein, sich die Welt selbständig anzueignen, von sich aus zu Problemlösungen, Einsichten und Schlussfolgerungen zu kommen. Im Mittelpunkt steht der Prozess der subjektiven Verarbeitung von Wahrnehmungen und Erfahrungen. Deshalb wird großer Wert auf die Förderung ästhetischen Gestaltens gelegt (Merkel 2005). Um zu verhindern, dass Kinder vorschnell auf (sprachliche) Folgerungen verpflichtet werden, die ihnen Erwachsene vorgeben, halten sich die Pädagogen im Hintergrund und vermeiden es, ihr Wissen den Kindern überzustülpen. „Im Vordergrund des pädagogischen Interesses steht dabei nicht die Frage, wie erkläre ich den Kindern ein Objekt, ein Ereignis, ein Geschehen, an welchem sie sich festgebissen haben, sondern auf welche Weise nehmen Kinder dies wahr, wie kommen sie zu den Fragen, die sie stellen, oder allgemeiner: Was geht im Kopf der Kinder vor, wenn sie die Dinge so wahrnehmen und aussprechen, wie sie dies tun“ (Schäfer 2004, S.8).
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