Dampf in Südwest - Eisenbahnbau zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika


Dossier / Travail de Séminaire, 2008

100 Pages, Note: gut bis sehr gut


Extrait


Inhalt

Vorwort

1. Einleitung
1.1. Gegenstand der Arbeit
1.2. Stand der Forschung und Quellenlage
1.3. Fragestellung und Hypothesen
1.4. Arbeitsmethode und Vorgehensweise
1.5. Abgrenzung des Themas

2. Land und Leute: Südwestafrika vor der kolonialen Herrschaft
2.1. Alles dominierende Aridität: Die Umweltbedingungen Südwestafrikas
2.2. Leeres Land zieht Leute an: Die Geschichte und Bevölkerung vor 1884
2.3. Unaufhaltsam: Der Vorstoss der Weissen

3. "Denn wo der deutsche Aar Besitz ergriffen und die Krallen in ein Land hineingesetzt hat, das ist deutsch und wird deutsch bleiben": Deutsche Kolonialpolitik und Besitzergreifung
3.1. Nur widerwillig: Bismarcks Haltung nach der Reichsgründung
3.2. Wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Hintergründe und Hoffnungen
3.3. Platz an der Sonne: Befürworter und Gegner der Kolonialpolitik
3.4. Nord-Süd gegen Ost-West: Deutschland im Wettstreit mit anderen Mächten
3.5. Railway Imperialism: Der Eisenbahnbau als Mittel der Kolonialpolitik
3.6. Deutscher Adler in Südwest: Die Errichtung des Schutzgebietes 1884
3.7. Rohstoffe, Rinder und Schafe: Die Wirtschaft des Schutzgebietes

4. Verkehrssysteme vor dem Eisenbahnbau
4.1. Nabelschnur zum Mutterland: Der Seeweg nach Deutsch-Südwestafrika
4.2. Kampf gegen Naturgewalten: Bau von Häfen und Molen
4.3. Träger und Ochsenkarren: Inlandtransporte vor dem Eisenbahnbau

5. Eisenbahnbau in Deutsch-Südwestafrika
5.1. Rinderpest und Pferdesterbe: Ereignisse, die den Bahnbau beschleunigten
5.2. Ein erster Schritt: Swakopmund - Windhuk
5.3. Lange Geschichte: Otavi-Bahn
5.4. Von Norden und von Süden her: Südbahn
5.5. Grosse Investitionen: Die Gesamtheit der realisierten Bahnbauten
5.6. Zukunftsprojekte: Weitere Bahnbauten und Ausbauprojekte
5.7. German Brain and African Mussels: Die Erbauer der Bahnen

6. Auswirkungen des Eisenbahnbaus
6.1. Aufstand!: Bedeutung der Eisenbahn
6.2. Langsam, aber stetig: Entwicklung des Schutzgebietes
6.3. Freuden und Leiden: Alltagsbetrieb und -probleme der Eisenbahn

7. Fazit
7.1. Zusammenfassung der Erkenntnisse
7.2. Beantwortung der Forschungsfragen
7.3. Schlussbemerkungen

Anhang

Zeittafel

Tabellen

Frontseite und Beilage Windhoeker Anzeiger vom 3. Juni 1902

Verzeichnis der Bildquellen

Bibliografie

Vorwort

Bei der Erstellung der Arbeit war der Autor auf fremde Hilfe angewiesen, die an dieser Stelle ausdrücklich verdankt sei: Werner Hillebrecht von den National Archives in Windhuk, Trudi Stols von der Scientific Society Swakopmund und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Basler Africa Bibliografien haben ihn bei der Recherche tatkräftig unterstützt und umfangreiches Material geliefert.

Besonderer Dank für die gewährte Unterstützung gebührt dem Betreuer der Arbeit.

Quellentexte beinhalten oft Sichtweisen, Formulierungen und Ausdrücke, die heute als politisch nicht korrekt, ja gar rassistisch gelten. Wenn sie dennoch in die Arbeit aufgenommen wurden, so deshalb, weil sie den Zeitgeist widerspiegeln und Handlungsweisen der damaligen Akteure verständlich machen. Der Autor distanziert sich ausdrücklich von jeglichem Rassismus sowie nationalistischem und rechtsextremem Gedankengut.

Im Zeitablauf hat sich die Schreibweise verschiedener Orte verändert. So wurde beispielsweise in Quellen sowohl Windhuk als auch Windhoek oder Walfischbai wie auch Walfisbaai oder Walfish Bay verwendet. Der Autor hält sich bei räumlichen Namen wenn immer möglich an die Schreibweise des Deutschen Koloniallexikons.

1. Einleitung

1.1. Gegenstand der Arbeit

Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Bachelor-Studiums an der Universität Freiburg als Travail de Recherche Personnel II im Nebenfach Geografie geschrieben. Sie hat den Eisenbahnbau zur Kolonialzeit in Namibia, dem damaligen Deutsch-Südwestafrika, zum Thema.

Der Autor hat auf verschiedenen Reisen ehemalige Kolonialgebiete besucht (vor allem im östlichen und südlichen Afrika, in Neuseeland, in Kanada und in Alaska). Dabei ist das Interesse für die Kolonialgeschichte, insbesondere dem Umgang mit der indigenen Bevölkerung, die Erschliessung durch Verkehrswege und dem Abbau, oft Raubbau, der Bodenschätze entstanden.

Das Thema des Eisenbahnbaus in den einst europäischen Kolonien verbindet für den Autor in idealer Weise geschichtliche, geografische und wirtschaftliche Aspekte. Im Bereich der Geografie sowohl solche der physikalischen Geografie (Geomorphologie beeinflusst zum Beispiel die Steckenwahl und die Siedlungsentwicklung) wie auch der Wirtschafts- (Vorkommen von Bodenschätzen und landwirtschaftliche Güter beeinflussten die Konzeption des Streckennetzes und die zu erbringende Transportleistung) und Bevölkerungsgeografie (Siedlungsentwicklung und Vorhandensein von Arbeitskräften war für den Bahnbau entscheidend).

Es würde den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen, die Eisenbahnprojekte aller Kolonialmächte zu untersuchen. Die Konzentration auf Deutsch-Südwestafrika erfolgt auf Grund des persönlichen Interesses des Autors, welches durch zwei Reisen in die Gegend entstanden ist und auch auf Grund der vertieften Kenntnisse des Betreuers über dieses Land.

Die wesentlichen Akteure in der Zeit der Erstellung der ersten Eisenbahnlinien in Deutsch- Südwestafrika waren einerseits die Befürworter und Gegner einer Kolonialpolitik in Deutschland und die deutsche Reichsregierung mit ihrer Kolonialverwaltung, andererseits die Betroffenen vor Ort, also die schwarze Bevölkerung und die weissen Siedler, schliesslich aber auch die anderen europäischen Kolonialmächte, die sich gegenseitig argwöhnisch beäugten, immer darauf aus waren, eigene Ambitionen zu verfolgen, Vorteile zu nutzen und potentielle Rivalen fern zu halten.

1.2. Stand der Forschung und Quellenlage

Die Geschichte Namibias ist ab Mitte des 19. Jahrhunderts gut erforscht und dokumentiert, allerdings hauptsächlich von westlichen Forschern und daher aus westlicher Sicht. Der junge Staat - er wurde als letzter Afrikas erst 1990 in die Unabhängigkeit entlassen - hat verständlicherweise andere Prioritäten, als eine umfangreiche Nationalgeschichte aus eigener Sicht verfassen zu lassen.

Kaulich hat 2001 im Rahmen seiner Dissertation1 eine umfangreiche Geschichte der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika (1884-1914) als Gesamtdarstellung verfasst, allerdings ebenfalls aus westlicher Sicht. Der Bau der Eisenbahnen wird nicht detailliert beschrieben. Lunn untersucht die political economy von Eisenbahnbauten in Kolonialgebieten2, tut dies aber mit Fokus auf britische Investitionen in Rhodesien. Pirie konzentriert sich in seiner Arbeit3 ebenfalls auf britische Aktivitäten im südlichen Afrika und geht vor allem auf die Transformation von Ochsenwagenzu Bahntransporten und deren Bedeutung für den Arbeitsmarkt ein. Bei Bley4 werden die Eisenbahnbauten nur sehr rudimentär angesprochen. Zimmerer5 erwähnt zwar die Zwangsarbeit nach dem Hereroaufstand sowie logistische Probleme in der Kolonie, geht aber nicht näher auf das Transportsystem ein. Linke geht in seiner Arbeit6 weder auf die Schwierigkeiten und die Bedeutung des Verkehrssystems, noch auf dessen Ausbau im Rahmen der deutschen Kolonialpolitik ein.

Der Bau der Eisenbahnen in Deutsch-Südwestafrika ist sehr gut dokumentiert. Die umfangreiche Sekundärliteratur befasst sich allerdings vorwiegend mit technischen Aspekten des Baus und des Betriebes und richtet sich vorab an Eisenbahnenthusiasten, gibt aber dennoch wertvolle Einblicke.

Auffallend ist die unterschiedliche Sichtweise der Autoren im Zeitverlauf. Quellen aus der Zeit des Schutzgebietes betonen den Nationalismus sowie das Selbstbewusstsein und

-verständnis des jungen Kaiserreiches, welches im Wettstreit mit den anderen europäischen Grossmächten lag. Autoren aus der Zeit des Dritten Reiches streichen das Unrecht auch und vor allem bezüglich seiner Kolonien heraus, das Deutschland im Rahmen des Versailler Vertrages erfahren ist und betonen den berechtigten Anspruch auf Wiedergewinnung. Autoren aus der ehemaligen DDR sehen die Zeit des Eisenbahnbaus als Musterbeispiel eines ausbeutenden und unterdrückenden Imperialismus und verurteilen diesen vehement. Und wenn man im Internet zu Themen aus dieser Zeit recherchiert, gelangt man sehr schnell auf deutsche Websites, die eindeutig rechtsradikalem Gedankengut verpflichtet sind.

Ein Grossteil der Quellen ist in Deutschland und in Namibia archiviert und auch mittels Fernleihe nicht zugänglich. Viele Dokumente und Bücher werden leider aus konservatorischen Gründen nicht ausgeliehen. Eine erstaunliche Anzahl von in Katalogen aufgeführten Büchern wird auf Anfrage als verloren gemeldet. Die umfangreichen Bestände der Basler Afrika Bibliografien können nur vor Ort eingesehen werden, es besteht keine Ausleihe. Kopieren älterer Dokumente und Bücher ist nicht erlaubt.

1.3. Fragestellung und Hypothesen

Die Arbeit versucht der Frage nachzugehen, mit welchen politischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Intentionen die Bahnen gebaut wurden und warum das Kaiserreich trotz widrigster Bedingungen und unglaublicher Schwierigkeiten an der Erschliessung der Kolonie festgehalten und keinen Aufwand gescheut hat, die Bahnen schliesslich zu bauen und zu betreiben. Wer war Befürworter und wer Gegner des Eisenbahnbaus, wer hat die Strecken schliesslich gebaut, wer daraus in welchem Rahmen Nutzen gezogen? Bestanden wesentliche Unterschiede des Bahnbaus in Deutsch-Südwestafrika zu demjenigen in anderen Kolonialgebieten und von anderen Kolonialmächten?

Dies führt zu folgenden Thesen:

These 1: Der Bau von Eisenbahnlinien in Deutsch-Südwestafrika war durch die besondere Topografie des Landes geprägt, weil einerseits geeignete Häfen fehlten, anderseits die Namibwüste sowie die Randstufe zu überwinden waren. Vorherrschende Meeresströmungen, klimatische Bedingungen und Aridität waren zusätzliche Hindernisse und stellten bisher unbekannte und oft schier unüberwindliche Herausforderungen an die Erbauer und Betreiber der Bahnen.

These 2: Der Bau von Eisenbahnlinien in den Deutschen Kolonien (Schutzgebieten) unterschied sich insofern von demjenigen anderer Kolonialmächte, als er von der Reichsregierung nach dem Hinfall der Damaraland-Konzession und dem Ausbruch der Rinderpest als für den Weiterbestand des Schutzgebietes dringliche Staatsaufgabe angesehen und nicht länger privater Initiative, wie vor allem in britisch kontrollierten Gebieten und den USA, überlassen wurde.

These 3: Keine Kolonisation ohne Eisenbahnen (Railway Imperialism): Ohne den Bau von Eisenbahnen wäre die Kolonie Deutsch-Südwestafrika kaum entwicklungs- und (aus deutscher Sicht) überlebensfähig gewesen, weil nur mit Hilfe einer leistungsfähigen Transportinfrastruktur die Gewinnung von Bodenschätzen, die Einund Ausfuhr landwirtschaftlicher Güter und damit die Ansiedlung von weissen Auswanderern möglich war. Eisenbahnen ermöglichten erst die rasche Verschiebung von Truppenteilen sowie deren Versorgung und damit die Beherrschung grosser Landstriche mit verhältnismässig geringen Kräften. Der Bau von Eisenbahnen führte aber auch zu einer nachhaltigen Ver- änderung der Lebensweise der indigenen Bevölkerung sowie zu einer neuen Siedlungsstruktur.

1.4. Arbeitsmethode und Vorgehensweise

Die Arbeit ist in erster Linie eine Literaturarbeit. Feldarbeit vor Ort, so interessant und spannend sie wäre, war im Rahmen der zur Verfügung stehenden Zeit leider nicht möglich. Immerhin erlaubten frühere Reisen einen Augenschein vor Ort (Küste bei Swakopmund und Walfishbay, Namib, Randstufe) sowie der wichtigsten Infrastrukturen wie zum Beispiel der Bahnhöfe Swakopmund und Windhuk.

Der wissenschaftstheoretische Ansatz der Arbeit ist der Positivismus7. Es geht dem Autor darum, Phänomene und Tatsachen möglichst objektiv und wertfrei zu beschreiben, zu analysieren und zu erklären. Die Handlungsmotivation vieler Protagonisten des Imperialismus (und auch des Eisenbahnbaus, bzw. des Railway-Imperialism) wird verständlich, wenn man sie mit dem Ansatz des Behaviorismus8 untersucht. So wird verständlich, was für die damaligen Entscheidungsträger wichtig war, wie sie verschiedene Faktoren gewichteten, unter welchen Zwängen sie standen und wie diese schliesslich ihre Beschlüsse und Vorgehensweisen beeinflussten.

Im Rahmen der Recherche wurde Kontakt aufgenommen zu den National Archives of Namibia in Windhuk, zur Scientific Society Swakopmund, zum Eisenbahnmuseum TransNamib in Windhuk und zur Allgemeinen Zeitung, ebenfalls in Windhuk. Von allen Seiten wurde unkompliziert und bereitwillig Unterstützung erteilt. Das Namibiana Buchdepot in Delmenhorst lieferte wertvolle Sekundärliteratur, bei Touratech in Niedereschach sind digitalisierte Karten von Namibia erhältlich. Ein Besuch bei den Basler Afrika Bibliografien hat Zugang zu seltener Sekundärliteratur und wertvollen Quellen ermöglicht. Ebenfalls recherchiert wurde in schweizerischen und deutschen Bibliothekskatalogen, in Datenbanken und im Internet.

Die Umweltbedingungen in Südwestafrika sind so einzigartig und besonders sowohl für die Besiedelung und Nutzung des Landes als auch für den Bahnbau und -betrieb, dass ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet wurde.

Die Arbeit enthält eine Anzahl von Textfeldern mit Einträgen aus dem Deutschen Koloniallexikon und aus Tageszeitungen der damaligen Zeit. Ersteres lag beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch nicht vollständig vor und wurde nach dessen Ende auch nicht weiter bearbeitet. Die Einträge sind wichtige Zeitdokumente und geben die damalige Sichtweise anschaulich wieder.

1.5. Abgrenzung des Themas

Die Arbeit ist zeitlich eingegrenzt in die Periode von 1884 bis 1914 (Errichtung des Deutschen Schutzgebietes bis Ausbruch des Ersten Weltkrieges) und räumlich auf das Gebiet des deutschen Schutzgebietes Südwestafrika, des heutigen Namibia. Nur wo es zum Verständnis unerlässlich ist, wird über den definierten Zeitrahmen hinausgegangen, so wird zum Beispiel die Geschichte des Landes vor der Errichtung des Schutzgebietes kurz gestreift.

Kaum behandelt werden technische Aspekte der Eisenbahn wie Lokomotivund Waggontypen, Werkstätten, Gleisbau und Architektur der Bahnhöfe oder bautechnische Abläufe und Vorgehensweisen. Diese Aspekte sind bereits in verschiedenen Werken bestens und detailliert dokumentiert.

Der Bau der Werkbahnen zur Beförderung des Guano bei Cape Cross sowie diejenige zur Erschliessung der Diamantenfelder werden nicht behandelt.

Auf eine wesentliche Frage kann auf Grund mangelnden Zugangs zu Quellen im Rahmen dieser Arbeit leider nicht eingegangen werden: Warum hat die South West African Company, deren Konzession das Recht zur Ausbeutung der Kupfervorkommen im Otavi-Gebiet wie auch das Recht zum Bau und Betrieb einer Eisenbahnlinie an die Küste umfasste, von dieser keinen Gebrauch gemacht? Sie hat damit einerseits Bismarcks ursprünglich beabsichtigte Kolonialpolitik zum Scheitern gebracht, andererseits potentielle deutsche Investoren nicht eben motiviert und schliesslich den staatlichen Bahnbau provoziert.

Ebenfalls kaum eingegangen werden kann - leider - auf die Biografien der wichtigsten Akteure, seien dies nun Beamte, Wirtschaftskapitäne, Soldaten, Siedler oder Stammeshäuptlinge. Jedes einzelne dieser Themen wäre eine eigene Arbeit wert. In dieser Arbeit müssen einige Zitate aus dem Koloniallexikon genügen.

2. Land und Leute: Südwestafrika vor der kolonialen Herrschaft

2.1. Alles dominierende Aridität: Die Umweltbedingungen Südwestafrikas

Namibia - der Name leitet sich ab von der Wüste Namib, die den ganzen Küstenraum des Landes einnimmt - ist heute ein Land im südlichen Afrika. Es liegt zwischen 17,87° und 29,9808° südlicher Breite sowie 12° und 25° östlicher Länge. Es hat eine Grösse9 von 825'418 km2 und ist doppelt so gross wie die Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung oder rund 20-mal so gross wie die Schweiz. Im Norden grenzt es an Angola, der Kuene und der Okavango bilden einen Teil der Grenze, im Süden und Südosten an Südafrika mit dem Oranje als Grenzfluss im Süden, im Westen an Botswana und im äussersten Nordosten mit dem Caprivi-Streifen, einen ca. 450 km langen und ca. 50 km breiten Landfinger, auch noch an Sambia, wobei hier der Sambesi den Grenzfluss bildet. Im Westen grenzt Namibia an den südlichen Atlantik. Die Grenzen (Bilder 1 und 2) des heutigen Namibia sind identisch mit denjenigen des ehemaligen Deutschen Schutzgebietes (vgl. Kapitel 3.6). Die Länge der Landgrenzen10 beträgt 3'936 km, diejenige der Küstenlinie 1'572 km.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bilder 1 und 2: Karten des ehemaligen Deutsch-Südwestafrika und des heutigen Namibia

Namibia wird beherrscht von 4 Grosslandschaften: die Küstenwüste Namib11, die Grosse Randstufe12, das zentrale, südliche und östliche Hochland13 und die Kalahari (Bilder 3 und 4)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bilder 3 und 4: Die Grosslandschaften Namibias

Die Namib14 ist ein nahezu unbewohnbarer Küstenstreifen von 50 bis 150 km Breite und einer Länge von ca. 2'000 km. Die Sandund Steinwüste umfasst eine Fläche von ca. 140'000 km2 und bildet die Grenze zwischen dem besiedelten Landesinneren und dem Küstengebiet. Der aus dem Süden kommende kalte Benguelastrom ist verantwortlich für die ausserordentliche Trockenheit, aber auch für den Fischreichtum vor der Küste. Die Orte gehören zu den trockensten Küstenorten überhaupt. Die jährlichen Niederschlagsmengen15 betragen in Lüderiz 20 mm, in Walfischbai 13 mm und in Swakopmund 15 mm. Die Namib ist hauptsächlich verantwortlich für die späte Besiedelung durch Weisse und auch für die Schwierigkeiten der Transporte landeinwärts. An ihrer Küste befinden sich kaum natürliche Voraussetzungen für die Anlage von Häfen. Oft herrschen, verursacht durch den kalten Benguelastrom und das heisse Wüstenklima, an der Küste Nebel16 und hoher Seegang, was zu ungewöhnlich vielen Schiffsverlusten17 und dem Namen Skelett-Küste führte.

Eintrag im Deutschen Koloniallexikon, Band I, Seite 162

Benguellastrom, Meeresströmung an der westafrikanischen Küste, die sich mit ziemlich mäßiger Geschwindigkeit von Süd nach Nord bewegt. Ihr Ursprungsgebiet liegt in den westöstlichen Triften des südatlantischen Ozeans, keineswegs aber in polaren Meeresgebieten, wie vielfach fälschlich angenommen wird. Ihre im Verhältnis zur geographischen Breite niedrige Temperatur ist also nicht sowohl dem Ursprungsgebiet des Strömungswassers als vielmehr seiner Richtung (sie fließt von kühleren Oberflächengebieten in wärmere) zuzuschreiben. So bildet sie das richtige Gegenstück zu der die Ostseite Südafrikas bespülenden Mosambikströmung, die, weil aus tropischen Breiten in höhere gerichtet, in diesen naturgemäß als Warmwasserstrom erscheint. Die Benguellaströmung, die sich bis in die Gegend des Äquators verfolgen läßt, ist aber durchaus nicht die alleinige Ursache für die allen Südwestafrikanern bekannte Kälte des Küstenmeeres und somit auch nicht der einzige Grund für die eigenartigen Temperaturverhältnisse der Uferlandschaften. Hier tragen vielmehr ganz andere Erscheinungen zu dem sonderbaren Mißverhältnis zwischen Breite und Mittelwärme bei. Sog. kalte Auftriebwässer, die sich namentlich in Afrika an verschiedenen Stellen zeigen, führen von unten stark abgekältete Wassermassen in vertikaler Richtung an die Oberfläche; diese sind erheblich kühler als die Gewässer des B., werden aber von den meisten mit ihr verwechselt. L. Schultze teilt eine Reihe von Messungen mit, die er unter dem Lande ausgeführt hat und die er mit den Temperaturmessungen vergleicht, welche die deutsche Tiefseeexpedition in rund 18 Seemeilen Küstenabstand in der echten Benguellaströmung feststellte. Hier wurden im Mai Oberflächentemperaturen von 18°, im August von 15-16° gemessen, während Schultze im Mai und Juli in der Küstennähe an verschiedenen Stellen die Wärme der Wasseroberfläche ungefähr gleichmäßig zu nur 11- 12° ermittelte. Zu Swakopmund wurde die Temperatur der Wasseroberfläche im Durchschnitt der Jahre 1903 und 1904 zu 13,8° gefunden. Die klimatische Einwirkung, welche die kühlen Gewässer des B. auf Deutsch-Südwestafrika ausüben, ist außerordentlich groß. Zunächst ist die im Vergleich mit den gleichen Breiten von Südostafrika viel geringere Jahreswärme des Schutzgebietes eine unmittelbare Folge der niedrigen Meerestemperaturen. Ferner aber ist die durch sie verursachte Abkühlung der über ihnen ruhenden und von hier aus die Küste überwehenden Luftmassen auch die Hauptursache der Regenarmut, zumal der an der Küste herrschenden beinahe völligen Regenlosigkeit. Endlich ist auch die Häufigkeit der Küstennebel als eine Folgeerscheinung dieses Zustandes anzusehen. Indessen hat die niedrige Temperatur der Benguellaströmung und der Küstengewässer auch eine günstige Erscheinung hervorgerufen. Der ungemeine Fischreichtum derselben und die damit zusammenhängende Häufigkeit von Robben und von geflügelten Fischvertilgern, zumal von den Guano erzeugenden Pinguinen, hängt mit der geringeren Temperatur des Südwestafrikanischen Meeres zusammen. Der Guano hätte sich schließ- lich ohne die Regenlosigkeit der westlichsten Striche niemals in so großen Lagern ansammeln können, wie dies tatsächlich an verschiedenen Stellen der Fall gewesen ist.

Die Grosse Randstufe bildet den Beginn des Binnenhochlandes18. Dieses liegt im Mittel auf 1'500 m, in den Randschwellengebirgen erreicht es eine Höhe von über 2'000 m. Es ist das Ergebnis tektonischer Erhebungen vor ca. 500 Mio. Jahren und weist als Folge der Erosion Inselberge (z.B. Spitzkoppe, Brandberg) auf und ist von tiefen, nur in der Regenzeit Wasser führenden Trockenflusstälern durchzogen.

Die Kalahari19 ist ein ausgedehntes Beckengebiet im östlichen Namibia, vor allem aber im Nachbarland Botswana. Obwohl es sich um eine Wüste handelt, kommen doch jährlich grössere und kleinere Niederschläge vor, die zeitweise zur Bildung von Oberflächenwasser führen können.

Eintrag im Deutschen Koloniallexikon, Band II, Seite 166

Kalahari. Vor noch nicht langer Zeit verstand man unter der K. die unzugänglichen innersten Teile des mittleren südafrikanischen Beckens. Neuerdings ist der diesem Namen zugrunde liegende Begriff auf Grund gemeinsamer Merkmale auf ein Gebiet von erheblich größerer Fläche ausgedehnt worden. Orographisch, geologisch und hydrographisch muß man heute einen nicht geringen Teil unseres südwestafrikanischen Schutzgebiets ebenfalls der K.region zurechnen. Streng genommen müßte das sogar mit dem Amboland und dem Caprivizipfel geschehen. Gründe wirtschaftsgeographischer Natur lassen diese Erweiterung der Abgrenzung zwar ungeeignet erscheinen, doch muß man sich bewußt bleiben, daß, wenn wir die Grenzen des K.gebiets weiter nach Osten schieben, wir dies nicht infolge von Erwägungen physikalischgeographischer Natur tun. -Aber auch in den engeren Grenzen, die man der K. in westlicher Richtung ziehen mag, ist sie die größte Einheitslandschaft des ganzen Schutzgebiets. Ein gutes Drittel sowohl des Hererowie des Namalandes im weiteren Sinne nimmt teil an den Landschaftsformen wie an anderen Besonderheiten des riesigen Beckens. Orographisch ist das ganze Gebiet trotz eines nicht unbedeutenden Wechsels der Seehöhe insofern eine Einheitslandschaft, als es von einer durch keine irgend bemerkenswerte Erhöhung unterbrochenen Ebene gebildet wird. Aber auch die Zusammensetzung des Bodens, die mit ihren im Gegensatz zum übrigen Schutzgebiet sehr jungen Kalken und vor allem mit ihren ungeheuren, von tiefem Sande bedeckten Flächen in schärfstem Gegensatz nicht allein zu der Urgesteinszone des Westens und der zentralen Erhebungsmassen, sondern auch zu den Schichten im nördlichen Hereround in der mittleren Längszone des Namalandes steht, verweist uns auf eine einheitliche Entstehung dieser ungeheuren Hochflä- chen seit dem Ende der regenund wasserreicheren Perioden eines früheren aber noch nicht allzu fern liegenden Zeitalters der Erdgeschichte. - Die Zusammengehörigkeit des Nordens und des Südens in hydrographischer Hinsicht beruht nun allerdings nicht in der Richtung der Entwässerungslinien. Sie ziehen im Norden in östlicher und nordöstlicher Richtung dahin, um sich schließlich mit den Adern des abflußlosen Beckens von Innersüdafrika zu vereinigen bzw. vor dieser Vereinigung sich im Sandmeer zu verlieren. Im Süden dagegen streben sie in südöstlicher Richtung dem unteren Nossob zu; mit ihm und mit dem Molapo gehören sie demnach schließlich zum, System des Oranje, so daß sich also auf dem von Gobabis nach Osten ziehenden höchsten Teil der inneren Ebenen eine der wichtigsten Wasserscheiden des Schutzgebietes dahinzieht. Aber abgesehen von dieser Verschiedenheit ist die Ähnlichkeit der die Ebene durchziehenden Flußläufe eine so große, daß man in diesem Falle von einem K.charakter der Wasseradern sprechen kann. - Klimatisch allerdings unterliegt das Gebiet der inneren Ebenen im Norden völlig anderen Einwirkungen als im Süden. Im Nordosten des Sandfeldes herrschen bereits nahezu tropische Verhältnisse, während der Süden in dieser einen Beziehung dem Innern von Groß- Namaland auf das engste verwandt ist. Nicht allein die Temperatur, sondern Dauer und Menge der Niederschläge sind jenseits des Wendekreises viel ungünstiger als im Gebiet des abflußlosen Innern. Dementsprechend weist auch die Pflanzenwelt große Verschiedenheiten auf. Besonders in der Zusammensetzung der das Landschaftsbild bedingenden Formationen erkennt man den Einfluß der größeren Trockenheit im Süden, in dessen östlichen Ebenen die oft von Sanddünen überhöhten Grasflächen viel seltener mit Dornsträuchern durchsetzt sind als im Norden, in dessen Flächen sowohl die Holzgewächse häufiger sind, wie dort auch die Grasdecke dichter und geschlossener erscheint als im Süden des Wendekreises. Keinesfalls berechtigt das in dieser Hinsicht maßgebende Pflanzenkleid der K. zu der ehemals allgemein verbreiteten Charakteristik derselben als einer Wüste. Leider findet diese falsche und in jeder Hinsicht irreführende Bezeichnung sich auch noch auf Karten neueren Datums. Wenn man unter einer Wüste lediglich ein Gebiet versteht, das sich durch die Seltenheit von dicht unter der Oberfläche des Bodens erschlossenen Wasserstellen auszeichnet, dann würde allenfalls auf die eine oder die andere Landschaft im deutschen Anteil des K.landes eine solche Benennung Anwendung finden dürfen. Aber doch nicht mit mehr Recht als auf manche Gegenden des Namalandes. Versteht man dagegen darunter ein an Gewächsen ungewöhnlich armes Gebiet, so paßt sie in keinem Falle auf diese östlichen Regionen. Die Tierwelt der K. war diejenige des inneren Südafrika. Wenn auch stark verringert, vermochte sich manche Art in der von verwüstenden Jagden verschont gebliebenen Innensteppe eher zu halten als in den von Herero und Hottentotten bewohnten Hochländern. Die Bevölkerung des K.gebiets auf der deutschen Seite schließt sich dagegen völlig an die maßgebenden Rassen der Hauptlandschaften an. Während der Zeit ihrer Selbständigkeit drangen sowohl die Werften der Herero wie auch die Siedlungen der Hottentotten, namentlich in der Nähe der Wasserläufe, weit in die Sandebenen der K. vor, und nur die der Grenze benachbarten Striche jenseits vom 19° ö. Br. und nördlich vom 26° s. Br. wurden vorwiegend von Buschmännern durchstreift, deren Anpassung an die Natur dieses Gebiets ihnen eher als den viehbesitzenden Herrenvölkern von Südwestafrika gestattete, hier ein zwar freieres, dafür aber auch um so dürftigeres Dasein zu führen.

Das Klima20 Namibias ist typisch für Halbwüsten: heisse Tage und kalte Nächte. 40°C sind im Hochsommer im Landesinneren keine Seltenheit, nachts kann das Wasser aber auch einmal gefrieren. An der Küste ist es deutlich kühler (Bild 5), oft bläst ein steifer, kühler Wind aus Südwest.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 5: Durchschnittliche Jahrestemperaturen

Das alles beherrschende Thema in Namibia ist das Wasser. Das ganze Jahr wasserführende Flüsse21, die unter anderem auch als Transportsystem genutzt werden könnten, gibt es kaum. Die jährliche Niederschlagsmenge variiert von Süd nach Nord und von West nach Ost (Bilder 6 und 7). In der Namib beträgt sie 0 bis 50 mm, im Caprivi-Streifen bis zu 600 mm. Die Hauptregenzeit im Hochland dauert von Januar bis Mitte April, die kleine Regenzeit von Oktober bis Dezember22.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bilder 6 und 7: Niederschlagsmengen zur Kolonialzeit und heute

Die Niederschlagsmenge kann jährlich sehr stark schwanken (Bild 8). Es sind nicht die einmaligen Trockenheiten, die ökonomisch und ökologisch problematisch sind, sondern die immer wieder vorkommenden Dürreperioden von mehreren Jahren23.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 8: Niederschlagsvariabilität

In Südwestafrika herrscht ein Mangel an Wasser-Quellen24. Entsprechende Bedeutung sowohl für die Besiedlung, die Landwirtschaft wie auch den Eisenbahnbau und -betrieb hatten und haben deshalb Grundwasservorkommen. Bereits bei der Errichtung des Schutzgebietes war es von entscheidender Bedeutung, über Grundwasservorkommen zu verfügen und diese zu erschliessen (Bild 9). Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass die Weissen viele Ortsbezeichnungen nach Wasservorkommen benannten (z.B. Grootfontein, Fransfontein, Twyfelfontein, etc.)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 9: Grundwasservorkommen

2.2. Leeres Land zieht Menschen an: Geschichte und Bevölkerung vor 1884

Über die frühe Geschichte Namibias ist verhältnismässig wenig bekannt25. Felszeichnungen, deren Alter auf ca. 25'000 Jahre geschätzt wird, lassen auf eine Besiedelung schon in Prähistorischer Zeit schliessen.

Man nimmt an, dass das Volk der San26, eingewandert aus dem östlichen Afrika, schon vor 1'500 Jahren in dieser Gegend siedelte. Die unwirtliche Landschaft liess aber eine nennenswerte Besiedlung kaum zu. Diese kleinwüchsigen, zierlichen Menschen (Körpergrösse ca.

1.50 m) mit eher heller Hautfarbe waren in Familiengruppen ohne Häuptlinge organisiert und lebten als Sammler und Jäger.

Ebenfalls seit langer Zeit anwesend sind die Dama oder Damara27, deren Lebensweise derjenigen der San ähnelt. Ihre Herkunft ist nicht geklärt. Im Deutschen Koloniallexikon werden sie als "reine Neger", also eher als Bantus bezeichnet. Die Herero nannten sie Klippkaffern.

Im Verlauf afrikanischer Völkerwanderungen ab dem 16. Jahrhundert drangen aus Norden Bantu-Völker ein, die heutigen Hereros und Ovambos. Sie waren deutlich dunkler als die Damaras und San und auch wesentlich grösser (Körpergrösse ca. 1.80 m). Die Ovambos waren sesshaft und betrieben im klimatisch dafür geeigneten Norden des Landes und im Caprivi- Streifen sowohl Ackerbau als auch Viehzucht, die Hereros waren nomadisierende Rinderzüchter. Stets auf der Suche nach neuen Weidegründen für ihre riesigen Herden, zogen sie immer weiter südwärts. Die Rinder hatten nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sakrale und gesellschaftliche Funktion. Je mehr Rinder ein Mann besass, desto mächtiger und angesehener wurde er. Besonders Wohlhabende konnten sich zu Häuptlingen oder gar Oberhäuptlingen über mehrere Stämme erheben. Die Herero unterwarfen die Damara, die fortan eine Art Sklavendasein fristeten und verdrängten die San in die Trockengebiete der Kalahari (Bild 10).

Aus dem Süden, vermutlich aus der Kapprovinz, wanderten die Nama, ebenfalls ein Hirtenvolk, nordwärts. Die deutschen Siedler bezeichneten sie als Hottentotten.

Aus der Verbindung weisser Grenzfarmer am Oranje und Nama-Frauen ging die Volksgruppe der Baster oder Bastards hervor. Sie lebten als relativ eigenständige Gruppe, sind Christen und von westlichen Kultureinflüssen geprägt. Weder die Nama noch die Weissen gewährten ihnen Integration oder Anschluss.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 10: Ethnische Gruppen in vorkolonialer Zeit

Die Wanderungsbewegungen - Hereros südwärts und Nama nordwärts - führten zwangsläufig dazu, dass sich diese beiden Völker auf der Suche nach Weidegründen für ihr Vieh in die Quere kamen28. Seit anfangs des 19. Jahrhunderts kam es zunehmend zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Volksgruppen, welche auch wegen des zunehmenden Einsatzes von Feuerwaffen eskalierten. Erst 1870 kam es nach allgemeiner Erschöpfung der Kräfte auf Vermittlung deutscher Missionare zu einem (brüchigen) Friedensschluss.

Über die Bevölkerungsstärke der Eingeborenen ist wenig bekannt. Gouverneur Leutwein schätzt für 1892 folgende Zahlen29: 15 bis 20'000 Hottentotten (Nama), 3 bis 4'000 Bastards,

70 bis 80'000 Hereros, 90 bis 100'000 Ovambos und 30 bis 40'000 Buschmänner (San), gesamthaft also 208'000 bis 244'000 Menschen. Diese Zahlen werden auch von Kaulich mehr oder weniger bestätigt30.

2.3. Unaufhaltsam: Der Vorstoss der Weissen

Im 15. Jahrhundert stiessen die Portugiesen auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien längs der afrikanischen Küste immer weiter nach Süden vor31. 1485 errichtete Diogo Cao als Zeichen der portugiesischen Inbesitznahme am Cape Cross, ca. 100 km nördlich der Mündung des Swakop, ein Steinkreuz und 1487 landete Bartholomeu Diaz in der von ihm so benannten bucht Angra Pequena, dem späteren Lüderitz. Der unwirtliche und auf Grund ständiger Stürme und starker Brandung gefährliche Küstenstreifen ohne natürlichen Hafen eignete sich nicht zur Errichtung einer dauernden europäischen Besiedlung und zu Vorstössen in das Landesinnere. Die eingeborene Bevölkerung blieb dadurch vom Sklavenhandel weitgehend verschont.

Ab dem 17. Jahrhundert nutzen europäische, später auch amerikanische Fischer die reichen Fischgründe vor der namibischen Küste. Auch die Jagd auf Robben und der Abbau von Guano waren lukrativ.

Eintrag im Deutschen Koloniallexikon, Band I, Seite 769.

Guano, sehr stickstoffund phosphorsäurereiche, aus den eingetrockneten und zersetzten Exkrementen von Seevögeln entstandene Substanz, die ein wertvolles Düngemittel bildet. G. findet sich an der Küste von Deutsch- Südwestafrika (Kaokoveld) und besonders auf den vorgelagerten kleinen (englischen) Inseln, an der Hottentottenbai und am Kap Cross in stellenweise sehr großen Mengen, die zum Teil seit vielen Jahren, im großen abgebaut wurden, jetzt aber größtenteils erschöpft zu sein scheinen. 1908 wurden aus Deutsch- Südwestafrika noch 298 Tonnen im Werte von 75 000 M ausgeführt.

Zuerst vereinzelt, später immer öfter kam es zu Handelskontakten mit der einheimischen Bevölkerung und schliesslich zur Errichtung eines Handelsweges von der Walfischbucht ins Landesinnere bis in die Gegend von Otjimbingwe im zentralen Hochland, dem Baiweg32. Die Namib bildete aber weiterhin eine natürliche Barriere für die Besiedlung von der Küste her.

Im Süden überschritten immer mehr Forscher, Händler und Abenteurer den Oranje und drangen ins Landesinnere vor. Ihnen folgten europäische Missionare. So gründete 1814 der Missionar Johann Heinrich Schmelen die Missionsstation Bethanien mitten im Namaland. 1842 übernahm die Rheinische Missionsgesellschaft die Missionsstation und baute die Missionstä- tigkeit rasch nach Norden ins Hereroland aus. Bereits in den 1870er Jahren breitete sich die Missionstätigkeit der Gesellschaft über den gesamten Süden und die gesamte Landesmitte aus. Die Missionsstationen wurden auf Grund ihrer fairen Handelspraktiken, die im Gegen- satz zu anderen, hauptsächlich im Waffenund Alkoholhandel tätigen "Geschäftsleuten" standen, bald zu wichtigen Handelsund Verkehrsplätzen und damit zur Basis für spätere Siedlungen und Orte in Südwestafrika.

In den 1860er Jahren nahmen die kriegerischen Konflikte zwischen Herero und Nama an Heftigkeit zu und die Aktivitäten der weissen Händler und Missionare wurden dadurch zunehmend erschwert. Seit 1865 wandten sich diese darum an den Gouverneur der Kapkolonie und baten ihn um Schutz. Auch die im Guanogeschäft tätigen Unternehmer wandten sich an die britische Königin Victoria und baten sie, die wichtigsten Abbaugebiete unter den Schutz der Krone zu stellen. 1866 wurden die Guanoinseln britisches Hoheitsgebiet. Obwohl eine Reise von William Coates Palgrave in das Namaund Hereroland günstige Voraussetzungen für die Errichtung einer Schutzherrschaft bestätigte, konnte sich das Colonial Office in London nicht zur Annexion des Gebietes zwischen Oranje und der portugiesischen Kolonie Angola entschliessen. Am 12. März 1878 wurde lediglich das Gebiet an der Walfischbucht annektiert und unter den Schutz der Krone gestellt. Damit konnte man nahezu alle Einund Ausfuhren kontrollieren.

Eintrag im Deutschen Koloniallexikon; Band III, Seite 663

Walfischbai, geräumige Bai etwa in der Mitte der Küste von Deutsch-Südwestafrika im gleichnamigen britischen Territorium, Der Name stammt wohl von dem früher häufigeren Auftreten von Walen in diesen Gewässern. Die W. verdankt ihre Entstehung dem allmählichen Fortschreiten einer sie im Westen gegen das offene Meer abschließenden Nehrung und bildet so ein geräumiges, gut geschütztes, und nach Norden offenes Becken im Mündungsgelände des Kuiseb (s.d.), das allerdings bis auf 1 km vom Strande nur Fahrzeugen mit sehr geringem Tiefgange das Ankern gestattet. Nach dem Innern zu ist sie gegen freiere Wüstenflächen der Namib durch einen breiten, schwer passierbaren Dünenwall abgeschlossen. Hier, innerhalb des Grundwassergebietes des Kuiseb, findet sich in großer Menge die Naramelone, eine eßbare Frucht, deren Kerne in früherer Zeit in ziemlich großer Menge nach Kapstadt ausgeführt wurden. Die Niederlassung, von rund 30 Weißen mit ihrer zumeist hottentottischen Dienerschaft bewohnt, ist unmittelbar in dem fast immer trocken liegenden Bette der erwähnten Flußmündung gelegen, während die Eingeborenen, etwa 700 an der Zahl, vorwiegend im Dünengebiet in der Nähe der Bucht ansässig sind. Die meisten von ihnen sind Hottentotten vom Stamme der Topnaar (s.

Topnaarhottentotten), unter denen die Rheinische Missionsgesellschaft (s.d.) schon seit Jahrzehnten mit Erfolg gearbeitet hat. Das Territorium. W. umfaßt einen im Norden vom Mündungsbette des Swakop begrenzten schmalen Landstreifen, der eine Fläche von 1114 qkm einnimmt. Das Gebiet untersteht der Südafrikanischen Union und wird von einem britischen Residenten verwaltet. Der Schiffsverkehr ist seit dem Aufkommen von Swakopmund vollständig zurückgegangen und die Bedeutung der Bucht damit ebenfalls für alle Zeiten dahin. Ehedem war dies anders. Ursprünglich war W. der wichtigste Eingangspunkt in das Innere von ganz Südwestafrika bis in die Gegend von Gibeon. Von hier führte der Baiweg (s.d.) in verschiedenen Abzweigungen zu den Wasserstellen am unteren Kuiseb, die noch mehr benutzte Linie aber zu der Wasserstelle Usab im Tale des unteren Swakop und zum Khanflusse.

Freilich wurde der Verkehr durch die Dünenregion und durch die Länge der wasserund futterlosen Strecke ungemein erschwert, hatte aber schon in den ersten Jahren nach der im Innern erfolgten deutschen Besitzergreifung einen nennenswerten Umfang angenommen. Seit 1890 wurde die Bai 11 - 12 mal im Jahre von einem kleinen, von Kapstadt aus verkehrenden Dampfer angelaufen und auch öfters von kleineren Kriegsschiffen aufgesucht. Dann aber kam die Zeit des Umschwunges. Seit dem Jahre 1893 trat Swakopmund völlig an die Stelle von W., und nun begann, zumal mit der Übersiedlung der größten deutschen Firma nach dort, der Verfall der ehemals recht belebten Hafensiedlung. Es ist nicht unwichtig, sieh diese Tatsache der völligen Verödung zugleich mit derjenigen der geringwertigen Verbindungsgelegenheit mit dem Innern und der völligen Wertlosigkeit des Territoriums außerhalb der Siedlungen an der Bucht gegenwärtig zu halten. Denn infolge dieser ihrer Beschaffenheit ist das Gebiet für Deutschland ganz ohne Nutzen, und es wäre völlig verkehrt, es bei Gelegenheit eines Vertrages mit England als Tauschobjekt in Rechnung zu setzen. W. hat seine Rolle in der Entwicklung des Schutzgebietes völlig ausgespielt und wird eine solche schwerlich jemals wieder übernehmen.

Auch als ab 1880 die Konflikte zwischen Nama und Herero zunehmend wieder eskalierten, war die britische Regierung nicht bereit, für den Schutz der weissen Siedlungen ausserhalb von Walfischbai zu garantieren.

3. "Denn wo der deutsche Aar Besitz ergriffen und die Krallen in ein Land hineingesetzt hat, das ist deutsch und wird deutsch bleiben": Deutsche Kolonialpolitik und Besitzergreifung

3.1. Nur widerwillig: Bismarcks Haltung nach der Reichsgründung

Deutschland war ein33 kolonialpolitischer Latecomer34. Nach der Reichgründung 1871 hatte für Bismarck die Konsolidierung und Stabilisierung absolute Priorität und er wollte sie nicht durch ausländische Besitzungen und Konflikte mit rivalisierenden Grossmächten erschweren. Er lehnte deshalb den Erwerb von Kolonien strikte ab. Dies geht unter anderem aus einem Auszug aus einem Brief vom 11. Februar 1873 von Lord Odo Russell (1829-1884), dem Botschafter Grossbritanniens in Deutschland von 1872 bis 1884, an den britischen Aussenminister Lord Granville hervor35:

… Er [Bismarck] begehre weder Kolonien noch Flotten für Deutschland. – Kolonien wären seiner Meinung nach nur ein Grund für Schwäche, weil Kolonien nur mit einer starken Kriegsflotte verteidigt werden könnten, – und Deutschlands geografische Lage erfordere seine Entwicklung zu einer Seemacht ersten Ranges nicht. Für Deutschland sei eine Flotte ausreichend, die Seestreitkräften wie denen Österreichs, Ägyptens, Hollands und vielleicht Italiens gewachsen wäre, – kaum allerdings denen Russlands, – aber es könnte nicht im deutschen Interesse liegen, solange es noch keine Kolonien habe, mit Seemächten wie England, Amerika oder Frankreich zu rivalisieren. – Viele Kolonien seien ihm angeboten worden, – er habe sie zurückgewiesen und wünschte lediglich per Vertrag Kohlenstationen von anderen Ländern zu erwerben.

Deutschland sei seiner Ansicht nach jetzt gross und mächtig genug…

Bismarck war sich bewusst, dass Kolonialpolitik und koloniale Expansion das Kräftegleichgewicht der europäischen Mächte destabilisieren würde. Und er ging auch davon aus, dass für Erwerb, Verwaltung und Schutz der Kolonien mehr aufzuwenden, als Ertrag zu erhoffen war36. Er hielt es nicht für sinnvoll "die ganze Nation zum Vorteil einzelner Handelsund Gewerbezweige zu erheblichen Steuerlasten heranzuziehen"37.

Trotzdem kam die öffentliche Diskussion über die koloniale Frage nie zum Erliegen und sie nahm zunehmend national ausgerichtete Züge an, denn zwischen 1875 und 1890 eigneten sich die europäischen Staaten einen Fünftel der Landfläche der Erde als Kolonien an. 1879 erschien die Broschüre Bedarf Deutschland der Colonien, verfasst vom Missionsinspektor der Rheinischen Missionsgesellschaft, Friedrich Fabri38. Der Autor kommt zum Schluss, dass "der Aufbau eines deutschen Colonialreiches eine Überlebensfrage" sei und dass Deutschland ihrer bedürfe, um im internationalen Wettlauf mithalten zu können. Die grossen Investitions- leistungen hält er für gerechtfertigt und er betont, die Wichtigkeit der ideologischen Mittel der "Kultur-Mission".

Befürworter einer offensiven Kolonialpolitik trieben die Gründung eines Interessenverbandes voran, welche kurz nach der Errichtung des ersten Deutschen Schutzgebietes in Lüderitz- Bucht erfolgte. In ihrem Gründungsmanifest39 vom 28. März 1885 umschreibt die Deutsche Kolonialgesellschaft40 die Wichtigkeit der Kolonialpolitik:

Die deutsche Nation ist bei der Verteilung der Erde, wie sie vom Ausgang des 15. Jahrhunderts bis auf unsere Tage hin stattgefunden hat, leer ausgegangen. Alle übrigen Kulturvölker Europas besitzen auch ausserhalb unseres Erdteils Stätten, wo ihre Sprache und Art feste Wurzeln fassen und sich entfalten kann.

Als Zweck verfolgte die Gesellschaft:41

1. Die nationale Arbeit der deutschen Kolonisation zuzuwenden und die Erkenntnis der Notwendigkeit derselben in immer weitere Kreise zu tragen;
2. die praktische Lösung kolonialer Fragen zu fördern;
3. die deutsch-nationale Kolonisationsunternehmungen anzuregen und zu unterstützen;

[...]


1 Kaulich, Geschichte Deutsch-Südwestafrikas 1884-1914.

2 Lunn, The political economy of Primary Railway Construction in the Rhodesias.

3 Pirie, Aspects of the poltical-economy of Railways in Southern Africa.

4 Bley, Namibia under German Rule.

5 Zimmerer, Deutsche Herrschaft über Afrikaner.

6 Linke, Die Kolonialpoltik des kaiserlichen Deutschlands und ihre Umsetzung in Deutsch-Südwestafrika.

7 vgl. Brockhaus in 30 Bänden (elektronische Version), Stichwort Positivismus.

8 vgl. Brockhaus in 30 Bänden (elektronische Version), Stichwort Behaviourismus.

9 CIA World-Factbook

10 ebd

11 vgl. Klimm, Schneider, Hatten, Das Südliche Afrika II, Seite 21 ff.

12 vgl. Leser, Namibia, Seite 75 ff.

13 ebd, Seite 77.

14 vgl. Dannenberg, Namibia, Seite 17 ff und Deutsches Koloniallexikon.

15 Klimm, Schneider, Hatten, Südliches Afrika II, Seite 21.

16 ebd. Seite 21.

17 ebd. Seite 21.

18 vgl. Dannenberg, Namibia, Seite 19.

19 vgl. Dannenberg, Namibia, Seite 19 und Deutsches Koloniallexikon.

20 vgl. Dannenberg, Namibia, Seite 20.

21 Kaulich, Geschichte DSW, Seite 27.

22 Dannenberg, Namibia, Seite 20.

25 vgl. Kaulich, Geschichte DSW, Seite 31 ff. und Budack, Namibia, Übersicht der Völker und Kulturen, Seite 57 ff.

26 vgl. Dannenberg, Namibia, Seite 29 ff und Deutsches Koloniallexikon.

28 vgl. Leutwein, 11 Jahre Gouverneur DSW, Seite 4.

29 ebd., 11 Jahre Gouverneur in DSW, S. 11.

31 vgl. Kaulich, Geschichte DSW, Seite 38 ff.

32 vgl. Deutsches Koloniallexikon.

33 Kaiser Wilhelm II, Rede bei der Vereidigung von Marine-Rekruten, 1. März 1898, zit. nach Lautermann, Schenke (Hg.), Geschichte in Quellen, Seite 587.

34 Laak van, Imperiale Infrastruktur, Seite 55.

35 Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern; http://germanhistorydocs.ghidc.org/sub_document.cfm?document_id=1853, 12.08.2008.

36 vgl. o.A., Geschichte der Otavi Minen, Seite 15.

37 Zimmermann, zit. nach o.A. Geschichte der Otavi Minen, Seite 15.

38 vgl. Bruch von, Hofmeister, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, Seite 253 ff. 39 Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, http://germanhistorydocs.ghidc.org/sub_document.cfm?document_id=667, 12.08.2008.

40 vgl. Deutsches Koloniallexikon.

41 Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, http://germanhistorydocs.ghidc.org/sub_document.cfm?document_id=668, 12.08.2008.

Fin de l'extrait de 100 pages

Résumé des informations

Titre
Dampf in Südwest - Eisenbahnbau zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika
Université
University of Fribourg  (Institut für Geografie (Prof. Dr. O. Graefe))
Cours
Travail de Recherche Personnel II
Note
gut bis sehr gut
Auteur
Année
2008
Pages
100
N° de catalogue
V115362
ISBN (ebook)
9783640169498
ISBN (Livre)
9783640172191
Taille d'un fichier
3838 KB
Langue
allemand
Annotations
Arbeit betrifft sowohl das Fach Geografie wie auch das Fach Geschichte.
Mots clés
Dampf, Südwest, Eisenbahnbau, Kolonialzeit, Deutsch-Südwestafrika, Travail, Recherche, Personnel
Citation du texte
Bruno Wägli (Auteur), 2008, Dampf in Südwest - Eisenbahnbau zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115362

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