Verblendung oder Widerstand durch Bedeutungskonstruktion?

Ein Vergleich der Sichtweisen auf das Publikum von Theodor W. Adorno und John Fiske


Hausarbeit, 2008

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur Einordnung: Die Theorien und ihr Zusammenhang mit den Medien
2.1 Die Kritische Theorie und Theodor W. Adorno
2.2 Die Cultural Studies und John Fiske

3. Theodor W. Adorno: Verblendung des Publikums durch die „Kulturindustrie“
3.1 Die „Kulturindustrie“ und ihre Folgen für das Publikum
3.2 Das Fernsehen als Spitze der „Kulturindustrie“
3.3 Adornos Vorschläge zur Rettung des Publikums

4. John Fiske: Widerstand des Publikums durch Bedeutungskonstruktion
4.1 Die Gesellschaft als Bündel sozialer Formationen
4.2 Zum Verhältnis Text – Publikum
4.3 Bedeutungskonstruktion: Macht, Widerstand und Vergnügen

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

Medienkommunikation ist ohne Publikum nicht denkbar, darüber sind sich alle Theorien im Bereich der Medienund Kommunikationswissenschaft wohl einig. Allerdings gehen die Positionen darüber, was unter einem Publikum zu verstehen ist, auseinander.1 Zwei besonders widerstrebende Positionen werden diesbezüglich von der Kritischen Theorie und den Cultural Studies vertreten.

Ein den beiden Strömungen gemeinsamer Punkt ist zunächst einmal der ihrer Interdisziplinarität2. Daraus folgt, dass es sich sowohl bei der Kritischen Theorie als auch bei den Cultural Studies nicht um reine Medien(wirkungs)theorien handelt und sich deshalb innerhalb beider Theorien nicht immer trennscharf zwischen den Menschen als Teil der Gesellschaft und ihrer Eigenschaft als Publikum der Massenmedien unterscheiden lässt. Eine weitere Gemeinsamkeit ist ihre politische Prägung: beiden liegt das Schicksal der unterdrückten Arbeiterklasse am Herzen3 und ihr Anliegen ist es, die „Ungleichheiten des Kapitalismus“4 zu beseitigen. Wie John Fiske jedoch verdeutlicht: „Die Unterschiede zwischen den einzelnen kritischen Theorien berühren Fragen der Taktik“5. Kurz ausgedrückt bedeutet dies, dass die Kritische Theorie die Menschen „von oben“ als eine Art homogene Masse betrachtet, während die Cultural Studies „von unten“ und damit vom einzelnen, selbstständigen Individuum ausgehen. In diesem Sinne stehen sich Makround Mikroperspektive gegenüber, wenn es darum geht, die Problematik der kapitalistischen Strukturen zu beleuchten und zu lösen.

Es ist unvermeidbar, sowohl diese gegensätzlichen Perspektiven als auch die interdisziplinäre Ausrichtung und das gemeinsame Feindbild des Kapitalismus im Hinterkopf zu behalten, wenn es im Folgenden darum gehen soll, die Bewertung und Sichtweise des Publikums von Kritischer Theorie und Cultural Studies einander gegenüber zu stellen. Dabei werde ich jedoch nicht die beiden Theorien im Gesamten als Ausgangspunkt nehmen, sondern den Vergleich anhand zweier Theoretiker ausführen: Theodor W. Adorno als Vertreter der Kritischen Theorie und John Fiske aus dem Bereich der Cultural Studies. Ziel der vorliegenden Arbeit sowie dieses Vergleichs ist zum einen, die Denkprozesse, Schlussfolgerungen und Erklä- rungen der beiden für ihre Sichtweise des Publikums nachzuvollziehen und ihre Überlegungen hinsichtlich der Möglichkeiten, die zur Bekämpfung des Kapitalismus dienen können, aufzuzeigen.

Dazu werde ich zunächst Adornos Sichtweise der Massenmedien im Gesamten und ihrer Auswirkung auf das Publikum nachzeichnen. Diese Sichtweise soll dann in einem anschlie-

ßenden Abschnitt zu seinem Blick auf das Fernsehen als damals neues Medium pointiert werden. Aus dieser Darstellung seiner – wie sich zeigen wird – extrem negativen Einstellung gegenüber den Massenmedien und ihren Folgen für das Publikum wird eindeutig hervorgehen, weshalb der einzelne Rezipient innerhalb seiner Theorie wenig ausrichten kann. Adornos alternative Ansätze zur Verbesserung der Lage möchte ich in diesem Rahmen allerdings nicht auslassen, da ihre Form seinen Eindruck des unmündigen Publikums noch einmal verdeutlichen.

Zur Nachzeichnung der Position John Fiskes werde ich zunächst seine Sichtweise der Gesellschaft und Identität der Menschen herausarbeiten, um zeigen zu können, wie sich aus seiner Sicht das Publikum konstituiert. Dem anschließen wird sich die Ausführung des Verhältnisses dieses Publikums zu den Medien, bevor ich abschließend darstellen werde, worin für Fiske – ausgehend vom einzelnen Individuum und Rezipienten – eine Bekämpfung des Kapitalismus möglich ist.

In einem abschließenden Fazit möchte ich dann noch einmal reflektieren, welchen Grund es dafür geben kann, dass Adorno und Fiske zu solch unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich des Publikums gelangen. Wie kann es sein, dass beide im Grunde dasselbe politische Ziel verfolgen, ihr Feindbild teilen, jedoch der eine zu dem Schluss kommt, dass das Publikum machtlos ist, während der andere ihm ein großes Maß an Macht zuspricht? Liegt dies einzig und allein an der unterschiedlichen Blickrichtung oder liegen eventuell andere Faktoren vor, die die Einstellung von Adorno und Fiske beeinflusst haben? Und schließlich: können diese Faktoren einen Hinweis darauf geben, welcher der beiden Recht hat?

Bevor ich jedoch mit all dem beginne, erscheint es mir sinnvoll, zunächst eine Einordnung der Kritischen Theorie und der Cultural Studies ins Feld der Medienund Kommunikationswissenschaft vorzunehmen. Darüber hinaus möchte ich darstellen, welche Rolle Adorno und Fiske im Rahmen ihrer Theorierichtungen spielen, woraus deutlich werden wird, weshalb ich gerade diese beiden als Beispiele herausgegriffen habe.

2. Zur Einordnung: Die Theorien und ihr Zusammenhang mit den Medien

2.1 Die Kritische Theorie und Theodor W. Adorno

Bei der Kritischen Theorie handelt es sich um „eine Forschungstradition, die zu Beginn der 30er Jahre von einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern um den Philosophen Max Horkheimer [...] geschaffen wurde.“6 Wegen ihres Entstehungsortes am Frankfurter Institut für Sozialforschung wird die Gruppe auch als „Frankfurter Schule“ bezeichnet, obgleich die meisten und bedeutendsten Arbeiten nicht in Frankfurt, sondern in ihrem Exil in New York entstanden.7 Die Gruppe um Horkheimer hatte als übergeordnetes Ziel die Klärung der Frage, weshalb sich die antagonistische Gesellschaft trotz aller Krisenhaftigkeit stets weiter reproduziert, ausgeschrieben.8 Sie fragten insofern danach, weshalb die ungleichen gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen in der kapitalistischen Gesellschaft zu keiner Auflehnung durch die unterdrückte Arbeiterklasse führen. Als Antwort darauf vermuteten sie die Funktion der Kultur als sozialer, „integrativ wirksamer ‚Kitt’“9. Um diese Grundidee näher zu beleuchten, führten sie neben Studien zu Familie, Bildung und Autorität auch eine Untersuchung zur

„Funktion einer medienvermittelnden Massenkultur“10 durch. „Für diesen Forschungskomplex im Schnittpunkt von Ideologie, Kultur und Medien nahm Adorno eine besondere Kompetenz in Anspruch“11, was der Grund für die Konzentration auf gerade seine Sichtweise im Rahmen dieser Arbeit ist.

Adornos Arbeiten waren zunächst solche zur Musik und dem Radio als dem führenden Medium seiner Zeit12, die für ihn allerdings lediglich „Vorüberlegungen für eine umfassendere Medientheorie“13 darstellten. Dieses Ziel realisierte sich schließlich in den 1940er Jahren in Zusammenarbeit mit Max Horkheimer. Gemeinsam mit diesem begann er „Das Projekt, Medienkritik als Element einer kritischen Theorie der Gesellschaft zu entfalten“14. Als Ergebnis ihrer Studien präsentierten Horkheimer und Adorno schließlich im Jahre 1947 ihr Werk Dialektik der Aufklärung, in dem sie ihre Sichtweise der Massenmedien besonders in dem berühmt gewordenen Kapitel Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug darlegten. Auch dieses Projekt entstand in den USA (Kalifornien)15 und wie Manfred Faßler verdeutlicht, veranlasste der dort gewonnene „Eindruck der kommerzialisierten Fernsehsendungen [...], der Nutzungsdichte, der propagandistischen Wirkungen und der intellektuellen Schlichtheit von

'soap operas' usw.“16 Adorno zur Entwicklung des „Kulturindustrie“-Konzepts. Da Adornos Leben von „der Bildungstradition der deutschen Kultur“17 geprägt wurde und blieb, fiel dieses Konzept und sein Urteil über die „Kulturindustrie“, wie sich vermuten lässt, nicht sehr positiv aus.

2.2 Die Cultural Studies und John Fiske

Auch die Cultural Studies beschäftigen sich, ebenso wie die Kritische Theorie, mit der Kultur.18 Das Ziel der Cultural Studies jedoch ist von Vornherein ein anderes. Ihnen geht es weniger darum, eine gesamtgesellschaftliche Theorie zu entwickeln, vielmehr gilt ihre Blickrichtung dem Alltag der durch den Kapitalismus unterdrückten Menschen und der „soziokulturellen Macht“19, die dort produziert wird. Auch ihr Augenmerk gilt dabei nicht ausschließlich den Medien. Doch wie Andreas Hepp herausstreicht, kann gerade der Bereich des Alltags in der heutigen Zeit nicht mehr von den Medien getrennt werden.20 Ausgehend vom „Konzept eines aktiven Publikums“21 ist es ihr Ziel, die Aneignung der Medien durch die Menschen zu erklä- ren und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie dies den Menschen helfen kann, ihre Handlungsfä- higkeit [agency] im Alltag zu steigern.22 Den Cultural Studies und ihren Vertretern geht es also nicht darum, die Rolle der Medien innerhalb der Gesellschaft als Gesamtes zu analysieren, sondern stets darum, die Funktion und Verwendung der Medien in spezifischen Kontexten, d.h. stets unter Beachtung von Ort, Raum und Zeit, zu fassen. Dabei nehmen sie explizit keine negative Bewertung von Populärkultur, d.h. der Kultur der Massenmedien, vor.

Die Ansicht John Fiskes bietet sich in diesem Rahmen deshalb an, da er, wie Rainer Winter verdeutlicht, an die ersten Arbeiten der Cultural Studies anschließt und sich damit in eine Reihe mit bekannten Namen wie Stuart Hall und Raymond Williams stellt. Gerade mit seinen zahlreichen Arbeiten zum Medium des Fernsehens, seiner Funktion und Verwendung durch die Menschen, fand er in den 1980er Jahren große Aufmerksamkeit innerhalb des Feldes der Cultural Studies.23 Mit seiner oftmals betont optimistischen Einschätzung24 der Populärkultur und ihrer Möglichkeiten für den Alltag der Menschen stellt er darüber hinaus einen größtmöglichen Gegenpol zur Kritischen Theorie und Adorno dar.

[...]


1 Hinweisen möchte ich in diesem Sinne auf die Ausführungen von Heinz Bonfadelli, der einen umfassenden Überblick über mögliche Publikumsdefinitionen gibt. Vgl. hierzu Bonfadelli, Heinz (1999): Medienwirkungsforschung I. Grundlagen und theoretische Perspektiven. Konstanz: UVK-Medien, S. 50-59.

2 Vgl. Müller-Doohm (2008), S. 49 sowie Hepp (2004), S. 15.

3 Vgl. Dubiel (2001), S. 15 sowie Hepp (1999), S. 80.

4 Fiske (1999), S. 261.

5 Ebd., S. 261.

6 Dubiel (2001), S. 12.

7 Vgl. ebd., S. 14.

8 Vgl. Müller-Doohm (2008), S. 49.

9 Ebd., S. 54.

10 Ebd., S. 50.

11 Ebd., S. 50.

12 Vgl. ebd., S. 50-54.

13 Ebd., S. 54.

14 Ebd., S. 54.

15 Vgl. Dubiel (2001), S. 14.

16 Faßler (1997), S. 115.

17 Dubiel (2001), S. 15.

18 Vgl. Hepp (2004), S. 20.

19 Ebd., S. 14.

20 Vgl. ebd., S. 14.

21 Müller (1993), S. 54.

22 Vgl. Winter (2001), S. 8 sowie Winter (2007), S. 46.

23 Vgl. Winter (2001), S. 9.

24 Vgl. ebd., S. 11.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Verblendung oder Widerstand durch Bedeutungskonstruktion?
Untertitel
Ein Vergleich der Sichtweisen auf das Publikum von Theodor W. Adorno und John Fiske
Hochschule
Universität Mannheim  (Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar "Cultural Studies"
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V115404
ISBN (eBook)
9783640173419
Dateigröße
413 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verblendung, Widerstand, Bedeutungskonstruktion, Proseminar, Cultural, Studies
Arbeit zitieren
Carina Weinmann (Autor:in), 2008, Verblendung oder Widerstand durch Bedeutungskonstruktion?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115404

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