Die Objektivität in der Geschichte und der erzählende Satz

Zu Dantos Geschichtsbegriff in "Analytische Philsophie der Geschichte"


Seminararbeit, 2007

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hauptteil
2.1 Temporaler Skeptizismus vs. Geschichte als Wissenschaft
2.2 Erzählende Sätze
2.2.1 Die ideale Chronik
2.2.1.1 Die Bedeutung des gegenwärtigen Ereignisses in der I. C
2.2.1.2 Die Bedeutung der Handlungsprädikatoren in der I. C
2.2.1.3 Schlussfolgerungen aus der I. C. Ihre Bedeutung für die Geschichtswissenschaft
2.3 Objekte der Geschichte oder Referenten historischer Sätze

3 Ausblick

4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen historischen Erkennens gibt uns über unser gegenwärtiges Selbstverständnis Auskunft. In der Diskussion, welche Bilder unserer eigenen zeitlichen Herkunft wir zulassen oder ablehnen, artikulieren sich immer auch bestimmte Selbstentwürfe. Andererseits ist die Geschichtsschreibung, sofern sie als Wissenschaft den akzeptierten Kriterien der Geltung entsprechen möchte, in einem bestimmten Sinne immer an einer überprüfbaren historischen Datenlage zu orientieren. Zwischen diesen beiden Polen, der Möglichkeit zur inhaltlichen Gestaltung der Geschichte nach frei wählbaren Zwecken auf der einen Seite und der Notwendigkeit einer an historischen Fakten orientierten Geschichte auf der anderen Seite, verorten sich die vielfältigen geschichtsphilosophischen Positionen.[1]

Die Stärke der Ausarbeitung Dantos liegt meines Erachtens darin, dass er, anstatt sich innerhalb dieses Schemas zu positionieren, vorerst die Möglichkeitsbedingungen seiner entlegensten Koordinaten untersucht. Zunächst geht es ihm nicht darum, einen historischen Substantialismus gegen den temporalen Skeptizismus zu verteidigen, sondern die jeweiligen Geschichtsauffassungen auf ihre innere Konsistenz hin zu überprüfen. Seine Untersuchung führt dabei in das Herz jeder geschichtsphilosophischen Fragestellung. Ist es möglich „wahre Aussagen über Dinge in ihrer Vergangenheit zu machen? Die Frage ist, ob wir dazu berechtigt sind, dies anzunehmen.“[2] Diese grundsätzliche Überlegung betrifft die Bedingung der Möglichkeit von Geschichtswissenschaften überhaupt. Dantos Untersuchung ist daher auch als Verteidigung geschichtswissenschaftlicher Forschung vor den verschiedenen Formen des temporalen Skeptizismus zu verstehen. Mehr noch als auf die Widerlegung des temporalen Skeptizismus kommt es Danto aber darauf an, durch die differenzierte Analyse seiner Argumentation Hinweise auf einen sinnvollen Geschichtsbegriff zu erhalten. Dabei stößt er auf die erzählenden Sätze, die in der vorliegenden Arbeit insofern von besonderem Interesse sind, als sie Dantos einzige explizite Antwort auf die Frage nach den Konstruktionsbedingungen der Geschichte darstellen.

2 Hauptteil

2.1 Temporaler Skeptizismus vs. Geschichte als Wissenschaft

Die Wissenschaftlichkeit der Geschichte ist mit der Möglichkeit verbunden, wahrheitsfähige Aussagen über sie zu machen. Einem in der analytischen Philosophie beliebten Verfahren gemäß ermittelt Danto durch verschiedene Vergleiche und modellhafte Überlegungen zunächst die theoretische Möglichkeit, wahre Aussagen über die Geschichte zu bilden. Seine Argumentationsstrategie zur Verteidigung der Geschichtswissenschaften gegen verschiedene Formen des Skeptizismus besteht dabei in dem Nachweis, dass skeptische Argumente ihrerseits Begründungsdefizite aufweisen. Die Bringschuld hat nicht der Analytiker, sie liegt vielmehr bei der weitaus spekulativeren und voraussetzungsvolleren Position des Skeptikers. „Die fatale Schwierigkeit derartiger Formen des Skeptizismus [wie des temporalen Skeptizismus] ist ihre pure Willkürlichkeit. Warum verläuft die Trennungslinie gerade dort, wo sie gezogen worden ist und nicht irgendwo anders?“[3] Außerdem sind die Argumente des Skeptizismus gegen die Möglichkeit zeitlich varianten Wissens in ihrem einseitigen Bezug auf die Vergangenheit inkonsequent.

Tatsächlich ist die Gewissheit hinsichtlich dessen, was die Zukunft bringen wird, oftmals größer als hinsichtlich des Vergangenen. In einem gegebenen Augenblick ist meine Gewissheit darüber, wo ein niederfallender Pinienzapfen aufschlagen wird, weitaus größer, als wenn ich anzugeben versuchen will, von woher er sich abgelöst hat. Bestenfalls ist der Unterschied nur ein gradueller.[4]

Doch folgt man dem Skeptizisten, ist eine absolute Gewissheit über die Geschehnisse der Vergangenheit ebenso wenig möglich wie eine absolute Gewissheit über die der Zukunft. Wenn darüber hinaus die Nicht - Existenz einer Zukunft und einer Vergangenheit bereits als vorgestellte Möglichkeit plausibel erscheinen würde, könnten unsere darauf bezogenen Annahmen schon nicht mehr als sicher gelten. Anstatt dieses skeptische Argument mit einer gegensätzlichen Auffassung zu kontern, untersucht Danto seine Konsequenzen und ermittelt dadurch, dass eine eigentümliche Asymmetrie zwischen der Rede über die Zukunft und der Rede über die Vergangenheit ihre Unterscheidung rechtfertigt.

[…] während es nicht im mindesten seltsam erscheint, […] sich vorzustellen, daß all die für einen Zeitpunkt nach Ablauf von fünf Minuten vorhergesehenen Ereignisse in Wirklichkeit gar nicht stattfinden werden, muß es demgegenüber doch sehr sonderbar erscheinen, sich vorzustellen, daß keines der Ereignisse, die vor mehr als fünf Minuten stattgefunden zu haben man sich erinnert, in Wirklichkeit je geschehen sein sollte.[5]

Was zunächst wie ein Zugeständnis an den temporalen Skeptizismus aussieht, erweist sich nach näherem Hinsehen als dessen Kritik. Denn nachdem nachgewiesen werden konnte, dass nicht möglich ist, die Unterscheidung zwischen zukünftigem und vergangenem Geschehen preiszugeben, kann das der skeptischen Nachfrage zugrundeliegende Geschichts bild sichtbar gemacht werden. Ausgehend von der Feststellung, dass keine absolute Gewissheit über die Vergangenheit zu erlangen sei, kann Danto nun die Frage stellen, wie das Gegenteil dieser Gewissheit auszusehen habe.[6]

Wenn in der von menschlicher Unvollkommenheit geprägten wissenschaftlichen Praxis die als Vorstellung mögliche maximale Quantität und Präzision historischen Wissens „nur aus bloßem Mangel an Dokumenten“[7] nicht erreicht werden kann, ist eine vollkommene Geschichtswissenschaft zwar vorstellbar aber nicht möglich. Der Geschichtswissenschaftler befindet sich, wenngleich im steten Nachteil gegenüber den berechtigten Forderungen seiner Kritiker, auf dem richtigen Weg, kann das ihm zugewiesene Ziel vollständigen historischen Wissens aber nie erreichen. Danto versucht aber nachzuweisen, dass vollkommene geschichtliche Erkenntnis aus systematischen Gründen nicht widerspruchsfrei annehmbar ist. Diese Position lenkt den Blick auf das dem temporalen Skeptizismus implizite Geschichtsbild, dessen Negativ Danto im systematisch zentralen Kapitel seiner Ausarbeitung mit dem Konstrukt des idealen Chronisten erfasst. Indem er ihm zu entsprechen versucht, weist er nach, dass nicht die Geschichtswissenschaften defizitär sind, sondern dass aus der Forderung nach einem vollkommenen Bericht (oder der Behauptung, sein Fehlen habe Konsequenzen für die Geschichtswissenschaften) eine Fragestellung mit paradoxen Konsequenzen resultiert, weil die spezifische Satzform der Geschichte nicht berücksichtigt wird. Die Paradoxien und Probleme, die aus der Vorstellung eines vollkommenen Berichts folgen, bestätigen das skeptizistische Postulat also nicht.

In ihren abstrakteren Beschreibungen werden die Differenzen zwischen Dantos Vorschlag und dem Skeptizismus am deutlichsten. Zur Methode des Skeptizismus bemerkt er:

Der Skeptizismus lässt die Regeln der Bedeutung in unserer Sprache unangetastet und greift stattdessen die Regeln der Beziehung an. Er sagt nicht, daß es Dinge gebe, über die wir nichts wissen, sondern fragt vielmehr, ob es überhaupt etwas gibt, worüber wir vorgeblich Aussagen machen, oder ob wir eine Weise kennen, uns Gewissheit darüber zu verschaffen, daß es etwas gibt.[8]

Dantos These ist indessen, dass eben diese Beziehung konstitutiv für die historische Wissenschaft sei, da nur durch sie hindurch ihre Objekte verfügbar seien.

2.2 Erzählende Sätze

Die zentrale Frage ist zunächst nicht, wo Geschichte vorfindbar ist, welchen ontischen Status sie hat oder nach welchen Gesetzmäßigkeiten sie verläuft, sondern vielmehr, welche Form die Sätze haben, in denen Geschichtserzählungen angefertigt werden. „Ihr allgemeinstes Merkmal besteht darin, dass sie sich auf mindestens zwei zeitlich voneinander getrennte Ereignisse beziehen, obwohl sie nur das frühere der beiden beschreiben (oder Aussagen darüber machen), auf die sie sich beziehen.“[9] Diese Form des Satzes nennt Danto den erzählenden Satz. Da erzählende Sätze unmittelbar mit unserem Geschichtsbegriff verknüpft sind, führt ihre Analyse zur Formulierung bezeichnender Merkmale des Geschichtsbegriffes.[10] Laut Danto gibt die Analyse dieser Satzklasse darüber hinaus Auskunft über den wissenschaftlichen Status der Geschichte bzw. der Geschichtsschreibung. Danto kommt durch seine Analyse der erzählenden Sätze zu dem Fazit, dass Geschichte weder Kunst noch Wissenschaft sei.[11] Die Bezeichnung der spezifisch historischen Satzform als erzählender Satz scheint eine gewisse Nähe zu einer narrativistischen Geschichtskonzeption anzudeuten, wie sie z.B. Roland Barthes nachgesagt werden kann.[12] Aber Danto strebt mitnichten die Identifizierung des „ästhetischen“ Erzählens mit dem Erzählen in den Geschichtswissenschaften an. Vielmehr ermöglicht er, indem er die geschichtswissenschaftlichen Formen des Erzählens präzise untersucht, die Differenz zu ästhetischen Formen des Erzählens zu konturieren. Damit bezieht er eine Position, die zwischen Narrativismus und Geschichtspositivismus situiert ist.[13]

[...]


[1] Ranke vertritt die Idee einer „objektiven“ Geschichtsschreibung. Die Absicht des Historikers ist „bloß [zu] zeigen, wie es eigentlich gewesen.“ Ranke, S. VII. Narrativisten wie Roland Barthes zählen zu den Vertretern einer inhaltlich vollkommen ungebundenen Geschichtsschreibung. Vgl. Barthes, S. 171-180.

[2] Danto, S. 52.

[3] Danto, S. 138.

[4] Danto, S. 235.

[5] Danto S. 119.

[6] Außerdem wäre die Position des temporalen Skeptizismus auch dann fraglich, wenn absolute Gewissheit über Geschehnisse in der Vergangenheit aus anderen Gründen unmöglich wäre, als der Skeptizist behauptet.

[7] Danto S.183

[8] Danto S. 111.

[9] Danto S. 232.

[10] Vgl. Danto, S. 232.

[11] Vgl. ebd.

[12] Z.B. von White. White, S. 68 ff.

[13] Wie z.B. auch Jörn Rüsen: „Nach meiner Meinung sind die Argumente der Narrativitätstheoretiker von den Historikern deshalb als Zumutung empfunden und entschieden zurückgewiesen worden, weil beide an Verschiedenes Denken, wenn sie ‚erzählen’ sagen.“ Rüsen, 1992, S. 230.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Objektivität in der Geschichte und der erzählende Satz
Untertitel
Zu Dantos Geschichtsbegriff in "Analytische Philsophie der Geschichte"
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Grundprobleme von Geschichtstheorien
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V115439
ISBN (eBook)
9783640174713
ISBN (Buch)
9783640175000
Dateigröße
434 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Objektivität, Geschichte, Satz, Grundprobleme, Geschichtstheorien
Arbeit zitieren
Malte Dreyer (Autor:in), 2007, Die Objektivität in der Geschichte und der erzählende Satz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115439

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