Die Auswirkungen von generalisierten Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen auf die Liebeskummerverarbeitung

Existiert ein Unterschied zwischen Personen mit generalisierter Internalität und solchen mit generalisierter Externalität hinsichtlich ihrer Verarbeitung von Liebeskummer?


Forschungsarbeit, 2021

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung
1.1. Theoretischer Hintergrund
1.1.1 Kontrolle und Kontrollüberzeugungen
1.1.2 Liebe und Liebeskummerverarbeitung
1.1.2.1. Liebe
1.1.2.2 Liebeskummer(verarbeitung)
1.1.3 Kontrollüberzeugungen und Liebeskummer
1.2 Design und Hypothesen

2. Material und Methode
2.1 Stichprobe und Rekrutierung
2.2 Messinstrumente
2.2.1 Fragebogen zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen nach Krampen (1991)
2.2.2 Liebeskummerverarbeitungsskalen nach Grau (2002)
2.2.3 Nicht standardisierte Fragen
2.3 Ablauf

3. Ergebnisse
3.1 Vorgehen bei der Datenanalyse
3.2 Deskriptive Beschreibung der Daten
3.3 t-Test für unabhängige Stichproben
3.3.1 Hypothesenprüfung
3.3.1.1 Hypothese 1
3.3.1.2 Hypothese 2
3.3.1.3 Hypothese 3

4. Diskussion

I. Literaturverzeichnis

Abstract

Die vorliegende Arbeit befasst sich damit, ob Menschen mit generalisierter Internalität bzw. Externalität unterschiedlich Liebeskummer, gemessen an den drei Faktoren "Rückzug", "Intensivieren von Kontakten" und "Versuchen, die Beziehung noch zu retten", verarbeiten. Es wurden drei Unterschiedshypothesenpaare gebildet (für jeden Liebeskummerverarbeitungsfaktor eines). Die Stichprobe umfasste insgesamt N =171 Personen (n weiblich=110, n männlich=40, n divers=1, n fehlend=20) zwischen 15 und 58 Jahren, wovon der Großteil (76,7 %) zwischen 19 und 25 Jahren alt war. Mit einer experimentellen Kurzversion des Fragebogens zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen nach Krampen (1991) sowie mit den Skalen zum Verarbeiten von Liebeskummer nach Grau (2002) wurden in einer Onlinefragebogenstudie Daten erhoben und mit dem t-Test analysiert. Signifikante Gruppenunterschiede zeigten sich für den Liebeskummerverarbeitungsfaktor „Rückzug“: Personen mit generalisierter Internalität in Kontrollüberzeugungen haben niedrigere Mittelwerte auf diesem Faktor als Personen mit generalisierter Externalität in Kontrollüberzeugungen – Erstere ziehen sich also zur Liebeskummerverarbeitung weniger zurück als letztere. Diese Differenz ist signifikant mit t( 102)= 2.05, p =.02, die Effektstärke dieses Unterschieds ist mit d =0.41 schwach-mittelstark (interpretiert nach Cohen). Es konnten in dieser Stichprobe keine weiteren signifikanten Gruppenunterschiede in der Liebeskummerverarbeitung hinsichtlich der anderen beiden Faktoren („ Kontakte intensivieren“ und „ Beziehung retten “) gefunden werden. Keine der fünf Kontrollvariablen (Geschlecht, Alter, Trennungsauslöser, wer trägt die Verantwortung für die Beendigung der Beziehung, f and die Liebeskummerepisode während der Covid-19-Pandemie statt) hatte einen signifikanten Einfluss auf die drei Haupthypothesen.

1. Einleitung

“Roses are red, violets are blue, when you reject me, what can I do?” – diese Frage stellt Thomson (2014, Zeile 1.) als Opener in einem Online-Zeitschriftenartikel der „NewScientist“, in dem es um Heilung von Liebeskummer auf neuronaler Ebene durch die Gabe von bestimmten Medikamenten geht. Die Frage danach, was bei Liebeskummer getan werden kann, um diesen (besser) durchzustehen oder ihn gar zu erleichtern zu können, ist vermutlich sehr alt – denn wo Menschen ab einem gewissen Alter sind, lieben und verletzen sich Menschen beziehungsweise beenden romantische Beziehungen. Liebeskummer ist sozusagen ein „Dauerbrenner“ – fast jeder Mensch erlebt ihn kulturunabhängig früher oder später in seinem Leben ein oder mehrmals (Grau, 2002). Er ist aber deshalb keineswegs zu verharmlosen. Betroffene leiden häufig psychisch und körperlich in hohem Maße (Fisher, Brown, Aron, Strong & Mashek, 2010). Es existieren zwar zahlreiche Theorien über die Liebe und Beziehungen an sich (Bierhoff & Grau, 1999), aber es wurde noch wenig psychologische Forschung betrieben oder gar Erhebungsinstrumente dazu entwickelt, was Menschen erleben und wie sie damit umgehen, wenn eine Liebe endet (Grau, 2002). Ebendies wollte Grau (2002) in ihrer Pilotstudie eruieren und arbeitete heraus, dass das Verhalten von Liebeskummerleidenden sich durch folgende drei Faktoren charakterisieren lässt. Diese zeigen Betroffene jeweils in einem interindividuell verschiedenen Maß: 1) Sich zurückziehen, 2) Kontakte intensivieren sowie 3) Versuche unternehmen, die verlorene Beziehung doch noch zu retten. Liebeskummer ist kein universales Gefühl, welches alle gleich erleben oder damit umgehen – die einen händeln es so, andere wiederum anders. Könnte es denn sein, dass bestimmte Persönlichkeitsvariablen eines Individuums sich darauf auswirken, wie dieses mit seinem Liebeskummer umgeht, also in welchem Ausmaß eine Person diese drei Verhaltensweisen zeigt? Ein solche Variable könnte die generalisierte Kompetenz- und Kontrollüberzeugung (Krampen, 1991) eines Menschen sein: Ist dieser überzeugt, er selbst sei durch sein eigenes Handeln aktiver Gestalter seiner Lebenssituation (generalisierte Internalität) oder hat dieser den dauerhaften Eindruck, seine Lebenssituation sei eher durch Zufall, Schicksal oder Dritte fremdbestimmt (generalisierte Externalität)? Diese Forschungsarbeit möchte untersuchen, ob Menschen mit generalisierter Internalität sich von Menschen mit generalisierter Externalität darin unterscheiden, wie sie mit ihrem Liebeskummer umgehen. Relevant ist diese psychologische Untersuchung deshalb, da die Liebeskummerthematik fortwährend aktuell ist und dauerhaft Menschen negativ emotional betrifft – näheres Verstehen des Phänomens Liebeskummer unter dem Zusammenhang von Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen könnte womöglich sogar für die therapeutische Praxis interessant sein.

1.1. Theoretischer Hintergrund

Im Folgenden soll der theoretische Hintergrund der unabhängigen Variablen (generalisierte Internalität oder Externalität in Kontrollüberzeugungen), der abhängigen Variablen (Liebeskummerverarbeitung) sowie der Zusammenhangs dieser beiden Konstrukte ausgebreitet werden.

1.1.1 Kontrolle und Kontrollüberzeugungen.

Flammer (1990) definiert Kontrolle bzw. Kontrollieren als „eine Handlung oder eine Prozedur. Kontrolliert werden Zustände und Vorgänge [dadurch,] geeignete Prozeduren bereitzuhalten und im Bedarfsfall einzusetzen, damit ein Zustand sich in einen anderen angestrebten Zustand verändert oder dass Veränderungen an einem Zustand kompensiert werden, wenn Nicht-Veränderung angestrebt wird“ (S.20). Kontrolle ist immer auf ein Ziel oder auf einen Zielzustand ausgerichtet, bereichsspezifisch und findet großenteils bewusst statt. Als das Gegenteil von Kontrolle gilt der Zustand der (gelernten) Hilflosigkeit, das heißt, überzeugt zu sein, durch eigenes Handeln keine Kontrolle über das Erreichen eines spezifischen Ziels zu haben (ebd.). Es existieren nach Flammer (1990) fünf notwendige Elemente der Kontrolle, welche alle erfüllt sein müssen, um eine Handlung kontrollieren (=Kontrolle ausüben) zu können. Dazu gehören:

(a) das bestimmte Ziel zu kennen, (b) dieses Ziel für sich als aktuelles Ziel zu akzeptieren (c) einen Weg zu kennen, über den das Ziel erreichbar ist, (d) diesen Weg selbst gehen zu können (und es auch zu wissen) und (e) diesen Weg tatsächlich zu gehen. (S.78).

Im Zusammenhang mit Element (d) wird deutlich, dass für die Ausübung von Kontrolle das Vorhandensein bestimmter entsprechender Fähigkeiten beziehungsweise Kompetenz sowie das Wissen, über diese zu verfügen (=Kompetenzwissen), vorhanden sein muss (ebd.). Allgemein werden zwei Arten von Kontrolle differenziert: Zum einen ausgeübte Kontrolle, welche in meist sichtbaren, objektiv feststellbaren Wirkungen resultiert – dies nennt man objektive bzw. tatsächliche Kontrolle. Daneben gibt es noch Kontrolle, von welcher eine Person erwartet, sie zu haben, ohne dass dessen Wirkung bereits sichtbar oder objektiv feststellbar ist – dies nennt man subjektive bzw. wahrgenommene Kontrolle oder auch, wie in der psychologischen Forschung üblicher: Kontrollüberzeugung. Diese ist beschreibbar durch die Kontrollelemente a, c und den zweiten Teil von d. (ebd.) . Flammer (1990) merkt diesbezüglich an: „Vielleicht noch wichtiger als tatsächliche Kontrolle ist der Glaube, man habe Kontrolle, ob dieser Glaube gerechtfertigt oder eine Illusion ist“ (S.22). Diese Forschungsarbeit beschäftigt sich mit diesem Konstrukt der Kontrollüberzeugung, welches auf Rotters (1954) soziale Lerntheorie und in dessen Kontext geprägte Begrifflichkeit „Locus of Control of Reinforcement“ (=Locus of control = LOC) zurückzuführen ist. Kontrollüberzeugungen sind „Kognitionen zur Einschätzung von Einflussmöglichkeiten in Bezug auf das Erreichen eines Zielzustands“ (Heinecke-Müller, 2019, Zeile 3) welche über verschiedene Situationen und Lebensbereiche generalisierte Erwartungen eines Individuums darüber enthalten, ob es durch sein eigenes Verhalten über die Kontrolle in einer bestimmten Situationen verfügt (ebd.) um dadurch „gewünschte Ergebnisse herbeiführen und unerwünschte Ereignisse vermeiden zu können“ (Fritsche, Jonas & Frey, 2016, S.54). Der Ort der Kontrolle (LOC) kann im „ Innen und Außen liegen“ (Heinecke, 2013, S.73): Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie durch ihre eigenen (zielbezogenen) Handlungen etwas bewirken und Kontrolle über bestimmte Situationen ausüben können, haben hohe internale Kontrollüberzeugungen. Personen hingegen, die davon ausgehen, dass sie und ihre Lebenssituation bedeutend durch Zufall, Schicksal oder andere Menschen bestimmt werden, haben hohe externale Kontrollüberzeugungen ( Flammer, 1990 ; Saboe & Spector, 2015 ).

Wie werden Menschen zu eher „Internalen“ oder eher „Externalen“? Nach Rotters sozialer Lerntheorie (1954, 1966) entstehen Kontrollüberzeugungen durch in spezifischen Situationen gemachte und personalisiert wahrgenommene, anschließend generalisierte Lernerfahrungen. Die Kontrollüberzeugung kommt der Ansicht vieler Forscher und Psychologen einer Persönlichkeitsvariablen eines Menschen gleich und beeinflusst deshalb, wie dieser sich in spezifischen Situationen seines Lebens verhalten wird und hat demzufolge einen hohen Erklärungs- und Vorhersagewert für Verhalten (Krampen, 1991; Levenson, 1974; Rotter, 1966). Flammer (1990) hingegen sieht das anders: Er beschreibt Kontrolle als „bereichsspezifisch, lernbar und […] gebunden an konkrete Handlungen“ (S. 22). Allgemein lässt sich aber sagen, dass die generalisierte Kontrollüberzeugung eine „dauerhafte, kontextübergreifende Erwartung [darstellt], die an das eigene Selbstbild, das Weltwissen und die Summe aller Lernerfahrungen geknüpft ist und somit eine übergeordnete Funktion für das zielgerichtete Handeln hat“ (Kovaleva, Beierlein, Kemper & Rammstedt, 2012, S. 7). In der Forschung und Literatur ist Kontrolle ein Thema von großem Interesse – es existieren hierzu unheimlich viele empirische Untersuchungen. Kontrolle steht im Zusammenhang mit vielfältigen Funktions- und Lebensbereichen wie beispielsweise mit „Leistung, mit der Genesungsdauer nach Krankheit und Operation, mit Machtsuche, dem Ausmaß sozialer Aktivität und Hilfsbereitschaft und sogar mit geringem Konsum von Alkohol und Nikotin“ (Heinecke , 2013, S. 74 f.; für eine detaillierte Auflistung siehe Flammer, 1990, S. 95). In einer Metaanalyse zum LOC konnten Ng, Sorensen und Eby (2006) herausarbeiten, dass hohe generalisierte internale Kontrolllokalisation mit hoher Motivation, hoher Arbeitsleistung, ebenso wie mit hoher Lebenszufriedenheit, hohem psychischem Wohlbefinden sowie mit hoher allgemeiner Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Des Weiteren steht Internalität im Zusammenhang mit Selbstwirksamkeit, psychologischem Empowerment, Berufserfolg, Wahrnehmung sozialer Unterstützung, höherer sozialer Aktivität, hoher Autonomie und geringer Fremdbestimmung sowie mit effektiver Anwendung von Copingstrategien (Flammer, 1990; Saboe & Spector, 2015). Generalisierte externale Kontrollüberzeugungen hingegen stehen im Zusammenhang mit Passivität, geringerer Autonomie und hoher Fremdbestimmung, verringerter psychischer Stabilität sowie mit einem vergrößerten Ausmaß an Depressionsneigung. Zudem tendieren Externale – bei dauerhaftem Eindruck von fehlender Kontrolle – irgendwann womöglich sogar zu erlernter Hilflosigkeit (Flammer, 1990; Krampen, 1991). Krampen weist aber darauf hin, keine allgemeinen normativen Aussagen zu internaler oder externaler Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen zu treffen, kritisiert eine Wertung dessen und bringt an, dass Extremausprägungen in beiden Richtungen ungute Züge annehmen können (ebd.).

Für die psychologische Forschung und Praxis ist von Wichtigkeit, ein solches Konstrukt auch messen zu können. Es stehen zu diesem Zweck quantitative als auch qualitative Datenerhebungsmethoden zur Verfügung (Krampen, 1991). Geläufig ist das Erfassen von Kontrollüberzeugungen über Selbstauskunft mittels des Selbstbeurteilungsinstruments des Fragebogens, wobei Kontrollüberzeugungen bereichsspezifisch (z.B. Gesundheit/Krankheit, Wohlbefinden, Beruf) aber auch generalisiert Kontrollüberzeugung gemessen werden können (ebd.; Hußtegge, 1995). Im Folgenden soll ein Überblick über die Entwicklung verschiedener Ansätze zur Erfassung des Konstrukts dargestellt werden. Rotter (1966) konzipierte mit seinem ROT-IE die Kontrollüberzeugung (Locus of control) beziehungsweise die generalisierte Kontrolllokalisation im Innen oder Außen als unidimensionale Persönlichkeitseigenschaft mit den zwei Polen „extreme Ausprägung internale Kontrollüberzeugung“ und „extreme Ausprägung externale Kontrollüberzeugung“, zwischen welchen sich Personen irgendwo auf dem Kontinuum befinden können (Kovaleva et al., 2012; Rotter, 1966). Im Jahr 1974 überarbeitete Levenson diese Idee der Unidimensionalität und erweiterte die Erfassung von Kontrollüberzeugung mit ihren IPC-Skalen von zwei auf drei Dimensionen: Die internale Kontrollüberzeugung als “Internal“ sowie die externale Kontrollüberzeugung, welche sie in „Powerful Others“ (sozial bedingte Externalität) und „Chance“ (fatalistische Externalität) aufgliedert. Im Jahr 1991 entwickelt Krampen dieses dreidimensionale Modell um die Dimension „Selbstkonzept und eigene Fähigkeiten“ weiter den Fragebogen zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen (FKK). Dieses vierdimensionale Modell basiert auf dem handlungstheoretischen Modell der Persönlichkeit (HAPA). Welches Modell dieser drei am evidentesten ist, konnte durch faktoranalytische Untersuchungen nicht eindeutig bestimmt werden (Kovaleva et al., 2012). In der vorliegenden Arbeit wird Kontrolle mittels des FKK nach Krampen gemessen, detaillierte Informationen hierzu siehe Kapitel 2.2.1.

1.1.2 Liebe und Liebeskummerverarbeitung.

Liebe und Partnerschaft stellen zentrale Faktoren für das Wohlbefinden, für die Lebensfreude sowie die psychische Stabilität dar – dies konnten Hahlweg, Thurmeier, Engl, Eckert & Markman (1998) in Studien zur Lebenszufriedenheit herausarbeiten. Dieser Lebensbereich kann das Leben positiv bereichern, aber sobald es zu destruktiven Veränderungen (wie z.B. einer Trennung von einer geliebten Person) kommt, entsteht hier sehr großes Leidenspotential (ebd.; Otto, Euler & Mandl, 2000). Im Folgenden soll zuerst angenähert werden, was Liebe ist, um die „Wurzel“ des Liebeskummers greifbar zu machen; im Anschluss wird dieser sowie die damit einhergehende Liebeskummerverarbeitung beschrieben.

1.1.2.1. Liebe.

Der Duden beschreibt die Liebe als ein „starkes (inniges) Gefühl der Zuneigung, des Hingezogenseins“ (Duden, 1985, S.418). Es existieren zahlreiche Ansätze und Theorien, welche die Vielfalt und Dimensionen von Liebeserfahrungen erfassen möchten (Bierhoff & Grau, 1999; Ulich & Mayring, 2003). Zu nennen ist hier Sternbergs (1986) Dreieckstheorie der Liebe oder das Klassifikationssystem von Lee (1976) in sechs verschiedenen Liebesstile. Entwicklungspsychologische Ansätze gehen, aufbauend auf die Bindungstheorie von Bowlby, davon aus, dass der durch die affektive Bindung des Kleinkindes zu primären Bezugspersonen entstandene Bindungsstil (sicher, ängstlich-ambivalent, vermeidend) (Liebes-)Beziehungen im Erwachsenenalter stark beeinflusst (Bowlby, 2014; Mikulincer & Shaver, 2007). Neuropsychologisch betrachtet ist Liebe ein komplexes Zusammenspiel limbischer Prozesse, wobei unter anderem Hormone wie Oxytocin, Vasopressin, Dopamin und Serotonin eine wichtige Rolle spielen. Liebe und die damit einhergehende (potentielle) Befriedigung der Sehnsucht nach der geliebten Person „[…] possesses a close connection not only with reward and pleasure phenomena, but also with appetitive and addictive behaviors (Esch & Stefano, 2005, S.175). Deshalb schmerzt es dann, wenn die Liebe „entzogen“ wird, auch so. Da Liebe „als Ausdruck der Bereitschaft zu einer langfristigen Bindung verstanden werden“ (Bierhoff & Grau, 1999, S.45) kann, ist es naheliegend, dass Menschen, die sich lieben, romantische Bindungen (innerhalb oder außerhalb einer Ehe) eingehen.

1.1.2.2 Liebeskummer(verarbeitung).

Auf eine Trennung von einem geliebten Menschen folgt häufig eine mehr oder weniger intensive Liebeskummerepisode, welche von der Trauer um die verloren gegangene Liebe geprägt ist – das bedeutet: „[…] seelische Schmerzen, Leiden, psychische Krise, bis hin zu dem Gefühl, ein Stück des eigenen Selbst verloren zu haben“ (Ulich & Mayring, 2003, S.178). Grau (2002) definiert Liebeskummer konkret als „eine negative emotionale Reaktion auf eine nicht erwiderte Liebe, eine Trennung oder eine Bedrohung der Partnerschaft“ (S.88). Hervorzuheben ist hier, dass Liebeskummer nicht nur nach Beendigung einer romantischen Beziehung auftreten kann, sondern auch, wenn eine Liebe einseitig und nur bei einer Affäre geblieben ist, das heißt, sich die eine Person eine Partnerschaft gewünscht hätte aber Zurückweisung erfahren hat. Auch kann der Herzschmerz in einer bestehenden Beziehung auftreten, wenn eine Partei „die Beziehung durch den Partner [als] existentiell bedroht [wahrnimmt])“ (ebd., S.88). Bei einer Trennung kann eine Person die Position des Verlassens oder des Verlassen-Werdens einnehmen – es können sich aber auch beide Partner einvernehmlich für das Auslösen ihrer Beziehung entscheiden. Arkert (1998) hat in einer Fragebogenstudie mit 344 Studierenden herausgearbeitet, dass es ein zentraler Prädiktor für die Intensität der Liebeskummererfahrung ist, wer die Verantwortung für den Trennungsentschluss trägt: Für die V erlassenden war das Beziehungsende von allen drei Gruppen „am wenigstens bedrückend, schmerzhaft und aufreibend […] [sowie diese am wenigsten] verletzt und belastet“ (Aronson, Wilson & Arkert, 2014, S. 384). Die Verlassenen beschrieben sich als sehr unglücklich, was sich in starken negativen Emotionen (Einsamkeit, Depression, Trauer, Wut) sowie auch körperlichen Symptomen (Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Ess- und Schlafstörungen) äußerte (ebd.). Wenn das Beziehungsende einvernehmlich gemeinsam beschlossen wurde, befanden diese sich in Bezug auf die Intensität der emotionalen und körperlichen Trennungsreaktion zwischen den ersten beiden Gruppen. In derselben Studie gab es signifikante Unterschiede für Frauen und Männer hinsichtlich der affektiven und somatischen Trennungsreaktionen, wobei diese von Frauen etwas stärker negativ und belastend empfunden wurden (Aronson, Wilson & Arkert, 2014). Grau (2002) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Senger (2000) beschreibt – basierend auf einer Auswertung von 60 qualitativen Interviews von Personen mit Liebeskummer – den Trauerprozess bei Liebeskummer durch folgenden typischen Phasenverlauf: „Alte Identität, 1. Bedrohung, 2. Lähmung, 3. Verhandeln, 4. Regression, (Bildung eines „Übergangsobjektes/Übergangsphänomens“1 ), 5. Akzeptanz, Neue Identität “. In durchschnittlich 10,7 Monaten haben Männer diese Phasen durchlaufen; Frauen trauern der statistischen Auswertung nach 14,7 Monate (ebd.). Diese Trauerarbeits-Zeit während des Liebeskummers kann neben negativen Empfindungen auch großes kreatives, schöpferisches Potential entfachen – viele Menschen werden hier besonders kreativ, renovieren z.B. die Wohnung oder Strukturieren ihr Leben stark um, um mit dem Kummer umzugehen (Senger, 2000). Nahezu alle Menschen Durchleben kulturunabhängig einmal oder mehrmals im Leben Herzschmerz (Grau, 2002). Doch dieser ist deshalb keineswegs harmlos, er kann Auslöser sein für Suchtverhalten wie Alkoholmissbrauch, aber auch für klinische Depressionen oder im schlimmsten Fall sogar Suizid oder Tötungsdelikte (Fisher, Brown, Aron, Strong & Mashek, 2010; Grau, 2002). Trotzdem wurde Liebeskummer bisher wenig psychologisch untersucht und erforscht; es existieren zwar Studien zu Scheidungen oder zum Umgang mit dem Tod eines geliebten Partners, aber weniger zum „normalen“ Liebeskummer, der durch nicht-eheliche Beziehungen oder einseitige Liebe ausgelöst wird (Grau, 2002). Deshalb widmete sich Grau (2002) in ihrer Pilotstudie der Frage, wie sich das „Erleben und Verarbeiten von Liebeskummer“ charakterisieren lässt, entwickelt hierzu einen eigenen Fragebogen in Anlehnung an die Daten aus Sengers (2000) oben genannter qualitativer Liebeskummerstudie und befragt damit 163 Menschen zwischen 16 und 33 Jahren. Ebendieser Fragebogen wird in dieser Forschungsarbeit verwendet. Das Erleben von Liebeskummerleidenden lässt sich nach Grau durch vier Hauptfaktoren beschreiben, auf welchen Befragte jeweils einen gewissen Score erreichen: 1) Depressivität, 2) somatische, 3) Selbstzweifel und 4) Wut. Für das Verhalten bei Liebeskummer, also Copingmechanismen zur Überwindung des Leidens, konnten aus den Items folgende drei Faktoren extrahiert werden, auf welchen Befragte ebenfalls jeweils einen gewissen Score erreichen können: 1) Zurückziehen, 2) Kontakte intensivieren, 3) Versuch, die Beziehung zu retten (ausführliche Darstellung siehe Kapitel 2.2.2). Ebenso findet Grau (2002) heraus, dass Unterschiede in den eben genannten Faktoren Verhaltens je nach Liebeskummerauslöser (Trennung, einseitige Liebe, Affäre, sonstige Auslöser) existieren: „Das Intensivieren von Kontakten wird bei Liebeskummer infolge einseitiger Liebe in geringerem Ausmaß betrieben als nach Affären oder bei Partnerschaftsproblemen“ (ebd., S.94). Außerdem fand sie deutliche Geschlechtsunterschiede zwischen Männern und Frauen für das Erleben und Verhalten während einer Liebeskummerepisode – Frauen erzielten auf nahezu jedem Faktor höhere Werte, was bedeutet, dass sie mehr unter dieser Situation leiden als Männer. Ebenso wurde erfasst, dass sich die untersuchten Personen in ihren Werten auf den zusammengerechnet sieben Liebeskummer-Faktoren bedeutend unterscheiden, wenn man sie nach der personenbezogenen Variablen ihres Bindungsstils (sicher, ängstlich, vermeidend) gruppiert (ebd.).

[...]


1 Das „Übergangsobjekt“ dient dem Ersatz und kann zur Verkürzung der Trauerzeit beitragen (z.B. Tagebuchschreiben, Ausüben einer schöpferischen Tätigkeit, „Trost-Sex“). Hierdurch soll wieder das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit erlangt werden (ebd).

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die Auswirkungen von generalisierten Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen auf die Liebeskummerverarbeitung
Untertitel
Existiert ein Unterschied zwischen Personen mit generalisierter Internalität und solchen mit generalisierter Externalität hinsichtlich ihrer Verarbeitung von Liebeskummer?
Hochschule
Universität Koblenz-Landau
Veranstaltung
Empirisches Forschungspraktikum
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
28
Katalognummer
V1157693
ISBN (eBook)
9783346555236
ISBN (Buch)
9783346555243
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Existiert ein Unterschied zwischen Personen mit generalisierter Internalität und solchen mit generalisierter Externalität hinsichtlich ihrer Verarbeitung von Liebeskummer?
Schlagworte
Kontrollüberzeugung, Locus of control, LOC, Kontrollmeinung, Kontrollpsychologie, Persönlichkeitspsychologie, kontrolle, Persönliche Kontrolle, perceived control, wahrgenommene Kontrolle, Liebeskummer, lovesickness, August Flammer, Ina Grau, Internalität, Externalität, Coping, Liebeskummerverarbeitung, handlungstheoretischen Modell der Persönlichkeit, Persönlichkeitsvariable, Liebe
Arbeit zitieren
Franziska Kraut (Autor:in), 2021, Die Auswirkungen von generalisierten Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen auf die Liebeskummerverarbeitung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1157693

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