Eugen Drewermann: Deutung der Erzählung über den Besessenen von Gerasa (Mk 5, 1-20)

Der Versuch einer Bewertung


Essay, 2008

19 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung: Drewermanns Ausgangsposit

2. Die Grundlage der Deutung, die Quelle: Markus 5,1-20: Heilung eines besessenen Geraseners (Mt 8,28-34; Lk 8,26-3
2.1. Dünde und das Bös
2.2. Epilepsie statt Dämon
2.3. Der Besessene von Gerasa und Borderl

3. Drewermann nimmt die Erzählung über Jona hinzu
3.1. Das Buch Jona, Kapitel 1-4,
3.2. Jona und der Gerasener: ein Verglei

4. Die fehlende Diagno

5. Die Antwort auf Drewermanns Tiefenpsycholo

6. Faz

Literaturverzeich

Eugen Drewermann: Deutung der Erzählung über den Besessenen von Gerasa1(Mk, 5,1-20)

Eine Analyse

1. Einleitung: Drewermanns Ausgangsposition

Drewermann versucht u. a., die Erzählung über den „Besessenen von Gerasa“2 in seinem Buch ‘Tiefenpsychologie und Exegese’3 tiefenpsychologisch zu deuten. Die daraus resultierenden Unebenheiten in Drewermanns Argumentationsstruktur können durch eine exemplarische Analyse seiner Auslegung am Beispiel der oben bezeichneten Erzählung aufgedeckt werden. Grundlagen für tiefenpsychologische Überlegungen finden sich in Drewermanns Buch ‘Glauben in Freiheit’4. Sein Anliegen besteht darin, dass er seinen Glauben unabhängig von den Richtlinien der etablierten (katholischen) Kirche leben will und dass er das Religiöse als solches für sich und andere definiert. Drewermann will sich frei machen von dem Diktat eines dogmatischen Überbaus und der damit einhergehenden Gesetzlichkeit.

Dazu schafft er den allgemeinen Rahmen. Im Prinzip schließt er an die Symbolschau Paul Tillichs an.5 Dabei geht er über das „Bedingte des Unbedingten“ bei Tillich hinaus6, indem er über die geläufige Textforschung hinaus die biblische Symbolik aus ihrem historischen Kontext heraus nicht nur in die Bedeutung für die Gegenwart hebt, sondern auch im Rahmen psychologischer Deutung zeigen will, dass Ängste ein zeitloses durch die Kulturen und Glaubensbezeugungen geisterndes Phänomen sind.

In seinem Buch-Band zum Thema ‘Glauben in Freiheit’ befasst sich Drewermann mit seiner Kritik an der Machtanmaßung der (katholischen) Kirche, über die er die nach seiner Auffassung berechtigte Suche nach dem Religiösen und den damit verbundenen Fragen stellt. Er vermittelt ein Bild von der Entwicklung der Religion und deren Ausdrucksformen und davon, wie sie aus der menschlichen Psyche hervorgegangen sind. Der Kirche wirft er vor, aufgrund ihres Dogmatismus und Fanatismus eine „zwangsneurotische Urhorde“ zu sein. Theologische und tiefenpsychologische Deutungen folgen.

Drewermann verweist auf die Metaphern des Unbewussten. Dabei stützt er sich auf das Instrumentarium der Psychologie, Biologie, Soziologie sowie der Hirnphysiologie. Auf diese Weise versucht er, die Wurzeln des Wesens der Religion zu erfassen. In diesem Kontext bezieht er sich auf das Phänomen Angst. Die „Archetypen von Vater und Mutter“ werden zusätzlich skizziert.

Er erklärt die Funktion des Symbolismus, indem er in die religiöse Symbolsprache einführt. Die zentralen Symbole fußen Drewermann zufolge auf den menschlichen Grundängsten und er benennt die Neurosen. Er gelangt zu der Schlussfolgerung, dass nicht der Glaube bzw. die Konfession bindend für das religiöse Empfinden ist, sondern vielmehr die aus dem menschlichen Unbewussten hervorgehenden zeitlosen und universellen Bilder.

2. Die Grundlage der Deutung, die Quelle:

Markus 5,1-20: Heilung eines besessenen Geraseners (Mt 8,28-34; Lk 8,26-39)

Kapitel 5

5,1 Und sie kamen an das jenseitige Ufer des Sees in das Land der Gerasener. 5,2 Und als er aus dem Schiff gestiegen war, begegnete ihm sogleich von den Grüften her ein Mensch mit einem unreinen Geist, 5,3 der seine Wohnung in den Grabstätten hatte; und selbst mit Ketten konnte ihn keiner binden, 5,4 da er oft mit Fußfesseln und mit Ketten gebunden worden war und die Ketten von ihm in Stücke zerrissen und die Fußfesseln zerrieben worden waren; und niemand konnte ihn bändigen. 5,5 Und allezeit, Nacht und Tag, war er in den Grabstätten und auf den Bergen und schrie und zerschlug sich mit Steinen. 5,6 Und als er Jesus von fern sah, lief er und warf sich vor ihm nieder; 5,7 und er schrie mit lauter Stimme und sagte: Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! 5,8 Denn er sagte zu ihm: Fahre aus, du unreiner Geist, aus dem Menschen! 5,9 Und er fragte ihn: Was ist dein Name? Und er spricht zu ihm: Legion ist mein Name, denn wir sind viele. 5,10 Und er bat ihn sehr, dass er sie nicht aus der Gegend fortschicke. 5,11 Es war aber dort an dem Berg eine große Herde Schweine, die weidete. 5,12 Und sie baten ihn und sagten: Schicke uns in die Schweine, damit wir in sie hineinfahren. 5,13 Und er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister fuhren aus und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See, etwa zweitausend, und sie ertranken in dem See. 5,14 Und ihre Hüter flohen und verkündeten es in der Stadt und auf dem Land; und sie kamen, um zu sehen, was geschehen war. 5,15 Und sie kommen zu Jesus und sehen den Besessenen, der die Legion gehabt hatte, bekleidet und vernünftig sitzen, und sie fürchteten sich. 5,16 Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie dem Besessenen geschehen war, und das von den Schweinen. 5,17 Und sie fingen an, ihn zu bitten, dass er aus ihrem Gebiet weggehe. 5,18 Und als er in das Schiff stieg, bat ihn der, der besessen gewesen war, dass er bei ihm sein dürfe. 5,19 Und er gestattete es ihm nicht, sondern spricht zu ihm: Geh in dein Haus zu den Deinen und verkünde ihnen, wie viel der Herr an dir getan und [wie er] sich deiner erbarmt hat. 5,20 Und er ging hin und fing an, im Zehnstädtegebiet auszurufen, wie viel Jesus an ihm getan hatte; und alle wunderten sich.

2.1. Die Sünde und das Böse

Nach Drewermanns durchaus plausibler historisch-kritischer Einordnung dieser Perikope folgt seine Deutung von Markus 5,1-20. Drewermann verfährt deduktiv, d. h. anstatt gleich von der Quelle auszugehen und diese auszulegen, um so für Klarheit zu sorgen, wählt er zunächst einen psychologisch terminierten Allgemeinplatz als Überbau, indem er sich auf Kierkegaard bezieht. Dieser hatte, so Drewermann, ein theologisches und psychologisches Gespür darin, dass er die Dämonie „als latentes Schicksal eines jeden Menschen […] begreifbar machte“.7Der Mensch werde aus Angst zum „Sünder“. Drewermann meint damit an Kierkegaard anschließend, dass der Sünder ein gesellschaftskonformer Mensch ist, da die Gesellschaft selbst sündhaft sei, kaum noch bestimmt durch christliche Werte, wie Menschlichkeit und Gerechtigkeit, sondern vielmehr u. a. durch die Gier nach Geld, Anerkennung und Sicherheit. Der Mensch „sündigt“, passt sich also der Gesellschaft an, aus Angst vor der Freiheit, das bedeutet aus Angst vor der eigenen Wahrhaftigkeit. Äußere Zwänge führen zu gesellschaftlicher Konformität, das wahre Ich geht verloren. Ein weiterer Begriff, „das Böse“, tritt hinzu, das der Mensch begeht, um sich aus der „Angst der Möglichkeit zur Freiheit“ zu befreien. Damit ist gemeint, dass der Mensch nicht aus seiner gesellschaftlichen Scheinwelt herauszutreten vermag. Vielmehr verbleibt er in dieser und begeht das „Böse“. Das bedeutet, er begeht eine missliche Handlung oder einen Regelverstoß innerhalb seiner hermetischen Gedanken- und Lebenswelt, wagt aber nicht den Weg in die Freiheit. Der Mensch, der so handelt, gerät in einen Teufelskreis, da die resultierende mögliche Strafe die Angst vor der eigentlichen Befreiung potenziert. Gemeint ist die Angst davor, vollends Farbe zu bekennen, und damit die Angst vor dem „Verlust“ des Gewohnten in seinem angepassten Leben. „Das Böse“ könne nur durch „das Gute“ gerettet werden. Doch wer sich im Negativen erst einmal eingerichtet habe, fürchte die Rettung durch „das Gute“.8

Die Begriffe „das Gute“ und „das Böse“ werden nicht definiert, obwohl Drewermann das sehr wohl könnte – ein Verweis auf seine ‘Strukturen des Bösen’9 wäre hilfreich (gewesen). Er hätte herausstellen können, dass an dieser Stelle „das Böse“, anders als die „Sünde“ (hier: die Anpassung), den Versuch des Ausbruchs aus den bürgerlichen Zwängen bedeutet. „Sünde“ aber bedeutet, sich vollends den gesellschaftlichen Regeln zu beugen. Dies konstatiert Drewermann so, obwohl er weiß, dass das Zusammenleben in einer Gemeinschaft, angefangen bei der Familie, nicht ohne Regeln funktionieren kann. Diesen Umstand erkennt Drewermann übrigens zutreffend als paradox. Dieses Paradoxon allerdings resultiert aus der von Drewermann selbst vorgenommenen auf Kierkegaard rekurrierenden Definition von „der Sünde“. Die Herleitungen des „Begriffs Sünde“ in Anlehnung an die sieben Todsünden oder nach den Trilogien von beispielsweise Paul Tillich und Karl Barth wären an dieser Stelle zwar möglich, doch nur für Teilbereiche plausibel nachvollziehbar, so dass hier auf die Ableitung zu einer weiterführenden Erläuterung verzichtet wird. Verstehen wir also den Begriff „Sünde“ besser in direkter Anlehnung an die Auffassung von Kierkegaard und Drewermann, also als Anpassung an unsere, die Sünde evozierende Gesellschaft selbst.

[...]


1 Gerasa ist eine antike Stadt, auch Jerasch oder Jerash genannt. Sie befindet sich im Norden Jordaniens und war Teil der sogenannten Dekapolis (deka = zehn, polis = Stadt), eine Städtegemeinschaft bestehend aus zehn Städten östlich des Jordangrabens. Nach der Eroberung durch Alexander den Großen wurden sie nach griechischem Vorbild aufgebaut. Irrtümlicherweise hat man früher angenommen, dass die Dekapolis ihre Struktur durch die Invasion der Römer unter Pompeius im Jahre 64 v. Chr. erhalten hatte.

2 Vgl. Mt, 5,1-20.

3 Vgl. EUGEN DREWERMANN : Tiefenpsychologie und Exegese. Band II: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis. 5. Auflage. Olten / Freiburg1989 Vgl., S. 247-277.

4 EUGEN DREWERMANN: Glauben in Freiheit oder Tiefenpsychologie und Dogmatik, Band 1: Dogma, Symbolismus, Solothurn – Düsseldorf 1993.

5 Vgl. PAUL TILLICH, Symbol und Wirklichkeit, Göttingen 1986, S. 3-11.

6Vgl. Derselbe, Recht und Bedeutung religiöser Symbole, in: PAUL TILLICH, Gesammelte Werke V: Die Frage nach dem Unbedingten, Stuttgart2 1978, S. 237-244. Tillich vertritt die Auffassung, dass das biblische Wort in seinem historischen und kulturellen Kontext in seiner Symbolkraft erkannt werden müsse. Diese Auffassung beschränkt die Auffassung von der buchstäblichen Auffassung des biblischen Wortes, des Unbedingten. Zur Problematik siehe J. RINGLEBEN, Symbol und göttliches Sein, in: G. HUMMEL (Hg.), Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs. Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich- Symposions in Frankfurt 1988, Berlin/New York 1989, S. 165-181, hier S. 166, 181.

7 EUGEN DREWERMANN : Tiefenpsychologie und Exegese. Band II: Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Weissagung, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis. 5. Auflage. Olten / Freiburg1989 Vgl., S. 247-277, S. 258.

8 Vgl. DREWERMANN: Tiefenpsychologie und Exegese, S. 258.

9 EUGEN DREWERMANN: Strukturen des Bösen I. Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer Sicht, 10. Auflage, Paderborn 1995. Ders.: Strukturen des Bösen II. Die jahwistische Urgeschichte in psychoanalytischer Sicht, 8. Auflage, Paderborn 2000. Ders.: Strukturen des Bösen. Sonderausgabe. Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer, psychoanalytischer, philosophischer Sicht, Paderborn 1988.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Eugen Drewermann: Deutung der Erzählung über den Besessenen von Gerasa (Mk 5, 1-20)
Untertitel
Der Versuch einer Bewertung
Note
"-"
Autor
Jahr
2008
Seiten
19
Katalognummer
V115785
ISBN (eBook)
9783640173204
ISBN (Buch)
9783640173310
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eugen, Drewermann, Deutung, Erzählung, Besessenen, Gerasa
Arbeit zitieren
Dr. Eick Sternhagen (Autor:in), 2008, Eugen Drewermann: Deutung der Erzählung über den Besessenen von Gerasa (Mk 5, 1-20), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/115785

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