Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretisch konzeptionelle Erklärung von Attraktivität beruflicher Bildung
3. Die berufliche Erstausbildung in Spanien und Deutschland
4. Die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung in Spanien und Deutschland aus der Perspektive von Jugendlichen
4.1 Teilnahme an beruflicher Bildung
4.2 Frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger
4.3 Beschäftigungsaussichten nach Abschluss der beruflichen Ausbildung
4.4 Verdienstmöglichkeiten durch die berufliche Erstausbildung
5. Bewertung der Ergebnisse
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
BIBB = Bundesinstitut für Berufsbildung
BMZ = Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Cedefob = Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsbildung
EU-27 = Mitgliedstaaten der Europäischen Union
ISCED = International standard classification of education
SuS = Schülerinnen und Schüler
VET = Vocational education und training
1. Einleitung
Die Europäische Statistikagentur Eurostat meldete für Spanien im Juni 2020 eine Jugendarbeitslosigkeit von 41,6 %. Der EU-27 Durchschnitt lag zu diesem Zeitpunkt bei 17,4 % und in Deutschland lag die Jugendarbeitslosigkeit bei nur 6,2%. Damit hatte Deutschland 2020 die niedrigste und Spanien die höchste Jugendarbeitslosenquote aller EU-27 Staaten. Der Unterschied zwischen diesen beiden Staaten ist mit 35,4 Prozentpunkten gewaltig. Besonders in Spanien, einem Land, das von Tourismus lebt, ist diese Kennzahl durch die Corona-Pandemie nochmals angestiegen. Allerdings lag die Jugendarbeitslosenquote in Spanien bereits vor der Pandemie, im Juni 2019, bei 32,7%. Nur Griechenland hatte zu diesem Zeitpunkt mit 35,5% eine höhere Jugendarbeitslosenquote, bei einem EU-27 Durchschnitt von 14,8%. Deutschland hatte bereits vor der Pandemie mit 5,8 % die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit (Eurostat, 2021a). Eine Maßnahme zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit ist die Förderung der beruflichen Ausbildung. So forderte das europäische Parlament erst kürzlich zur Förderung der Jugendbeschäftigung eine zukunftsfähige berufliche Aus- und Weiterbildung (Europäisches Parlament, 2020). Die berufliche Ausbildung gilt in Spanien bei Jugendlichen allerdings als unattraktiv und wird als nachrangiger Bildungsweg betrachtet, wohingegen das deutsche Duale System national sowie international hoch angesehen ist (Euler, 2013, S. 4).
An diesem Punkt setzt diese Seminararbeit an und untersucht, inwiefern sich die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung in Spanien und Deutschland äußert und unterscheidet. Konkret sollen in diesem Zusammenhang folgende Forschungsfragen beantwortet werden:
1. Wie äußert sich die Attraktivität der beruflichen Bildung in Spanien und Deutschland aus der Perspektive von Jugendlichen?
2. Welche Unterschiede sind in Bezug auf die Attraktivität der beruflichen Bildung in den jeweiligen Ländern auffällig?
Bei der Beantwortung der Fragen stellt sich zunächst die grundsätzliche Frage, wie Attraktivität von beruflicher Bildung definiert wird und wie diese bestimmt werden kann. Hierzu werden in Kapitel 2 zunächst theoretisch konzeptionelle Erklärungen von Attraktivität beruflicher Bildung zusammengefasst. In Kapitel 3 wird die berufliche Erstausbildung in Deutschland und Spanien vorgestellt und verglichen. In Kapitel 4 werden basierend auf den theoretisch konzeptionellen Erklärungen die Attraktivität der beruflichen Bildung in Spanien und Deutschland verglichen. Diese werden anschließend in Kapitel 5 diskutiert. Abschließend wird in Kapitel 6 ein kurzes Fazit zur Ausarbeitung gezogen und ein Ausblick in weitere Forschungsthemen gegeben.
2. Theoretisch konzeptionelle Erklärung von Attraktivität beruflicher Bildung
Das Thema Attraktivität beruflicher Bildung wird auf politischer Ebene zwar immer wieder intensiv diskutiert, ein einheitliches Konzept und eine konkrete Begriffsbestimmung existiert in der wissenschaftlichen Literatur dagegen nicht (Ratnata, 2013, S. 5). In einem Cedefob Bericht wird diesbezüglich konstatiert: „Nevertheless, the nature of VET attractiveness is a political concern that has not been thoroughly analysed in research.“ (Lasonen & Grodon, 2009, S. 31). Begriffe wie Attraktivität, Image oder Wertschätzung werden in Bezug auf berufliche Bildung sehr unterschiedlich verwendet und die verschiedenen Perspektiven häufig nicht hinreichend benannt (Pilz, 2019, S. 400). Die Begriffsvielfalt wird in der Literaturbibliografie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und des UNESCO- UNEVOC Centers (2014) zum Thema „Attractiveness of Vocational Education and Training“ deutlich. Neben den Begriffen Attraktivität und Image werden außerdem Begriffe wie Ansehen, Reputation, Wertigkeit, Status oder Prestige verwendet. Im Bericht „Making IVET an attractive option– zur Attraktivität beruflicher Bildung“ des BIBB (2013) wird vor allem die Mehrperspektivität des Konzeptes verdeutlicht. Berufsbildung kann demnach für Jugendliche hinsichtlich kurz- und langfristiger Ergebnisse als attraktiv wahrgenommen werden, gleichzeitig kann berufliche Bildung aber auch aus Unternehmenssicht in Bezug auf die Arbeitsmarktrelevanz der Bildungsprogramme attraktiv sein. Berufliche Bildung kann ebenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung als attraktiv wahrgenommen werden z.B. hinsichtlich ihres Stellenwertes für den volkswirtschaftlichen Wohlstand (Dunkel, 2013, S. 42). Auf Grund seiner Subjektivität ist die Attraktivität aber generell schwer zu bestimmen und grundsätzlich ein komplexes Konstrukt (Ebbinghaus et al., 2012).
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich dennoch dominierende Ansätze zur Definition und Bestimmung der Attraktivität der beruflichen Bildung. Grundsätzlich hat diese einen kumulativen Charakter, da die Attraktivität in der Regel mit der Teilnehmerzahl im System steigt (Cedefop, 2014, S. 31). Russo, Serafini & Ranieri (2019, S. 15) bekräftigen in der Studie „Attractiveness is in the eye of the beholder“ diesen Ansatz, indem sie aufzeigen, dass persönliche Erfahrungen mit beruflicher Bildung die Wahrscheinlichkeit erhöhen berufliche Bildung als attraktiv wahrzunehmen. Es ist daher üblich, dass die Attraktivität der beruflichen Bildung häufig mit Beteiligungsquoten gemessen und verglichen wird. Aus der Perspektive der Jugendlichen sind bei der Bewertung der Attraktivität der beruflichen Bildung vor allem Arbeitsmarktvorteile entscheidende Faktoren. So kamen Russo, Serafini & Ranieri (2019, S. 15) zu der Erkenntnis, dass gute Arbeitsmarktaussichten im Anschluss an beruflicher Bildung zu einer positiven Einstellung zur beruflichen Bildung führen. Darüber hinaus wird berufliche Bildung als attraktiv empfunden, wenn Absolventen der beruflichen Bildung bessere Aussichten haben als Absolventen der Allgemeinbildung. Vergleichbare Ergebnisse zeigt Winch (2013, S. 95 ff.) in seiner international angelegten Studie „the attractiveness of TVET“ auf. Die Attraktivität der beruflichen Bildung wird hierbei mit ökonomischen Vorteilen, die ein Individuum durch die berufliche Bildung erlangen kann, definiert. Das BMZ (2012, S. 17) konkretisiert ökonomischen Vorteile und benennt diese mit potenziellen Beschäftigungs- und Aufstiegschancen der Auszubildenden durch das Absolvieren von beruflicher Bildung. Auch Dunkel (2013) misst bei der Bewertung der beruflichen Bildung aus der Perspektive der Auszubildenden vor allem dem Übergang in den Beruf sowie Karriere- und Verdienstmöglichkeiten eine wichtige Rolle zu. Nach Eberhard, Scholz & Ulrich (2009, S. 12) ist es für Jugendliche entscheidend, ob eine Ausbildung zu einer gut bezahlten Tätigkeit führt.
3. Die berufliche Erstausbildung in Spanien und Deutschland
Die berufliche Erstausbildung kann in Deutschland mittels dualer Berufsausbildung, sowie der Teilnahme an Vollzeitschulen vollzogen werden. Beide Ausbildungen sind nach dem Abschluss der allgemeinen Schulpflicht nach neun Jahren möglich, gleichermaßen aber auch zu einem späteren Zeitpunkt. Eine Ausbildung dauert in Deutschland in der Regel 3 Jahre und findet zu einem Teil in einem Ausbildungsbetrieb und zu einem anderen Teil in der Berufsschule statt. Auszubildende arbeiten 3-4 Tage pro Woche im Betrieb und besuchen 1-2 Tage die Woche die Berufsschule (Verteilung der Tage variieren je nach Ausbildungsberuf und Ausbildungsjahr). Zugangsvoraussetzungen gibt es außer der zu erfüllenden Schulpflicht keine. Die Berufsausbildungen werden mit Leistungsnachweisen in mündlichen, schriftlichen und praktischen Prüfungen beendet (BQ-Portal, 2021b). In deutschsprachigen Systemen werden die Sekundarstufe II und die Ausbildungen der dualen Berufsausbildung dem ISCED-Level 3 zugeordnet (Statistisches Bundesamt, 2016, S. 55).
In Spanien wird die berufliche Erstausbildung in erster Linie in staatlich oder privat getragenen Vollzeitschulen durchgeführt und fällt in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Bildung, Kultur und Sport (Ministerio de Educacion, Cultura y Deporte, MECD) sowie unter die Gesetze LOE unnd LODE (Minolaza, 2013, S. 27). Die zentrale Abschlussart der spanischen beruflichen Erstausbildung ist der Técnico de Grado Medio. Dieser kann in eineinhalb- bis zwei Jahren an Berufsschulen erworben werden. Vorgesehen sind 2000 Ausbildungsstunden, wovon 25% im Betrieb erfolgen und 75% in der Schule absolviert werden. Zugangsvoraussetzung ist im Normalfall der Abschluss der Sekundarstufe I („Educación Secundaria Obligatoria“ – ESO). Diese wird im Alter von 12 und 16 Jahren besucht. Nach erfolgreichem Abschluss der ESO kann zwischen der zweijährigen Oberstufe, die zur Hochschulreife ("Bachillerato") führt, und dem "Ciclo Formativo", dem Berufsbildungszweig, gewählt werden (BQ Portal, 2021a). Die Abschlussart der beruflichen Erstausbildung „Técnico de Grado Medio“ wird dem ISCED-Level 3 zugeordnet (Cedefob, 2021).
4. Die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung in Spanien und Deutschland aus der Perspektive von Jugendlichen
Im Folgenden wird die Attraktivität der beruflichen Erstausbildung in Spanien und Deutschland aus der Perspektive von Jugendlichen verglichen. Der Vergleich basiert auf den theoretisch konzeptionellen Erklärungen der Attraktivität der beruflichen Bildung aus Kapitel 2. Aus den dargelegten Erklärungen ergeben sich zwei Segmente, die verglichen werden. Zum einen werden Beteiligungsquoten verglichen. Diese begründen sich durch den kumulativen Charakter des Konstruktes der Attraktivität der beruflichen Bildung (Kapitel 2, S. 3). Zum anderen werden Arbeitsmarktvorteile durch das Absolvieren der beruflichen Bildung verglichen, da diese für Jugendliche wichtige Faktoren für Attraktivität sind. Die herangezogenen Daten sind aus den veröffentlichten Datenbanken der europäischen Statistikagentur Eurostat. Es wurden vorwiegend Daten aus dem Jahr 2019 verwendet, da Verzerrungen durch die Corona-Pandemie vermieden werden sollen.
4.1 Teilnahme an beruflicher Bildung
Der kumulative Charakter der Attraktivität der beruflichen Bildung begründet die Messung durch Beteiligungsquoten. Es wird demnach angenommen, dass ein System attraktiv ist, wenn dessen Teilnehmerzahl hoch ist (vgl. Kapitel 2, S. 3). Fortgehend wird daher die Beteiligungsquote an beruflicher Bildung herangezogen, um die Attraktivität der beruflichen Bildung in den Ländern Spanien und Deutschland zu bestimmen. Zunächst wird die Teilnahmequote an beruflicher Bildung von Schülerinnen und Schülern des Sekundarbereich II im Verhältnis zur Teilnahmequote an allgemeiner Bildung betrachtet. Diese soll Aufschluss darüber geben, ob allgemeinbildende Kurse oder berufsbildende Kurse im Sekundarbereich II in den jeweiligen Ländern für Jugendliche attraktiver sind. In der Teilnahmequote werden alle Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Länder einbezogen, die an Kursen der Sekundarstufe II teilnehmen. Eine Alterseingrenzung findet dabei nicht statt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Teilnahme von Schülerinnen und Schülern an beruflichen und allgemeinbildenden Kursen im Sekundarbereich II im Jahr 2019 (Eurostat, 2021e; Eigene Darstellung)
Von insgesamt 21 Millionen Schülerinnen und Schülern im Sekundarbereich II nahmen in der EU ca. 11 Millionen an allgemeinbildenden Kursen teil und ca. 10. Millionen an berufsbildenden Kursen, was einen Anteil an beruflicher Bildung von 47 % ergibt. In Deutschland nahmen von insgesamt 2,42 Millionen SuS 1,26 Millionen an allgemeinbildenden und 1,16 Millionen an berufsbildenden Kursen. Der Anteil liegt mit 48% knapp über dem Durchschnitt der EU. In Spanien nahmen von insgesamten 1,74 Millionen SuS 1,11 Millionen an allgemeinbildenden Kursen und 0,63 Millionen an berufsbildenden Kursen teil. Der Anteil an beruflicher Bildung liegt mit 36% deutlich unter dem EU- Durchschnitt (siehe Tabelle 1). Die Beteiligungsquote in Spanien zeigt eine deutliche Abweichung im Vergleich zu Deutschland und dem EU- Durchschnitt. In Spanien entscheiden sich nur gut ein Drittel aller SuS im Sekundarbereich II für berufliche Kurse, wohingegen in Deutschland fast die Hälfte aller SuS berufliche Kurse belegen.
4.2 Frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger
Gehen wir bei einem kumulativen Charakter davon aus, dass hohe Teilnehmerquoten für Attraktivität stehen, können wir gleichermaßen bei hohen Nichtteilnahmequoten von Unattraktivität ausgehen. Dementsprechend werden im Folgenden Quoten von frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgänger herangezogen. Frühzeitige Schul- und Ausbildungsabgänger bezeichnet den Anteil der Bevölkerung im Alter von 18 bis 24 Jahren, der höchstens einen Abschluss der Sekundarstufe I erreicht hat und nicht an einer Maßnahme der allgemeinen oder beruflichen Bildung teilnimmt. Hierbei ist anzumerken, dass diese Quote die allgemeine Bildung miteinschließt. Die Zahlen können demnach nicht ausschließlich für die Attraktivität der beruflichen Bildung, sondern vielmehr für die Attraktivität des weiterführenden Bildungssystems herangezogen werden. In der EU-27 lag im Jahr 2019 die Quote der frühzeitigen Schul- und Ausbildungsabgänger bei 10,20 %. In Deutschland lag die Quote zu diesem Zeitpunkt bei 10,3% und in Spanien bei 17,3% (siehe Abbildung 1). Auch hier weicht die Quote der frühzeitigen Schul- und Ausbildungsgänger in Spanien deutlich von denen der EU und Deutschland ab. Fast jede fünfte Person unter 25 hat in Spanien maximal einen Abschluss im Sekundarbereich I und nimmt an keiner beruflichen oder allgemeinbildenden Maßnahme teil. In Deutschland und im EU-Durchschnitt ist es dagegen nur jeder zehnte.
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