Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition des Szene-Begriffs
2.1 Die Gaming-Szene
2.1.1 Darstellung der Streaming-Szene - ein Versuch
3. Der Kompetenzbegriff
3.1 Kompetenzerwerb in Szenen
4. Forschungsstand Kompetenzerwerb in der Gaming-Szene
5. Das methodische Vorgehen
5.1. Sampling
5.2 Datenerhebung
6. Ergebnisdarstellung
7. Transfer auf das pädagogische Handeln
8. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Abseits von Peer-Groups, Vereinen und institutionellen Vergemeinschaftungsformen finden sich Jugendliche oftmals in Jugendszenen zusammen, in denen sie ein gemeinsames Interesse teilen (vgl. Hitzler und Niederbacher 2010). Diese Jugendszenen können als Lernorte beschrieben werden, in denen szene-spezifische Kompetenzen erworben und weiterentwickelt werden. Forschungen haben sogar ergeben, dass die Teilnahme an Szenen in erheblichem Maße kompetentes Handeln erfordert und somit Kompetenzen voraussetzt. Manche dieser Kompetenzen können zum Teil sogar eine alltägliche und berufliche Relevanz darstellen (vgl. Schnoor und Pfadenhauer 2009).
Die Gaming-Szene stellt so eine Szene dar. Mittlerweile gibt es jedoch so viele spezielle Themen, Bereiche und Sparten die sich rund um das Gaming beschäftigen, sodass es kaum möglich ist, sich einen gesamten Überblick über diese Jugendszene zu verschaffen. Die Arbeit fokussiert sich somit lediglich auf die Sparte des Streamings. Seitdem die Streaming-Plattform Twitch im Jahre 2011 gegründet wurde, steigt der Wert und der Publikationsgrad der Website immer weiter an. Im Jahre 2018 starteten pro Monat ca. drei Millionen Menschen einen Stream, also eine Live-Übertragung. Zu jedem Zeitpunkt sind dabei über eine Millionen Zuschauer auf Twitch unterwegs. Zu den erfolgreichsten Streamern gehört Ninja, der im April 2018 über 667.000 gleichzeitig aktive Zuschauer auf seinem Kanal hatte (vgl. Zwingmann 2018). Die Aktualität, Größe und Präsenz dieser Szene ist deutlich erkennbar. Die StreamingSzene stellt somit einen neuen Lernort dar.
„Als Lernorte werden Szenen in der Öffentlichkeit dennoch kaum und im wissenschaftlichen Diskurs noch zu wenig wahrgenommen; sie erscheinen hier zumeist immer noch als lediglich unterhaltende und zudem riskante Orte“ (Schnoor und Pfadenhauer 2009, S. 294). Die vorliegende Arbeit will diesem Gedanken entgegenwirken und soll den Kompetenzerwerb in der Streaming-Szene erforschen. Diese Szene ist neu, stellt ein neues (Unterhaltungs-) Medium dar und generierte in einem kurzen Zeitraum viele Szenegänger, seien es Zuschauer oder Streamer selbst. Dabei soll erforscht werden, welche Kompetenzen Streamer, also die Personen, die die Übertragung leiten, erwerben und weiterentwickeln, wie dieser Erwerb/ diese Entwicklung stattfindet und ob diese Kompetenzen eine Relevanz für den privaten Alltag und die Berufswelt haben.
Um die Forschungsfrage beantworten zu können, soll zunächst eine Definition des Szenebegriffs erfolgen um anschließend die Gaming- und die Streaming-Szene darstellen zu können. Des Weiteren ist es nötig, einen Kompetenzbegriff für diese Arbeit zu formulieren. Weiter wird diese Arbeit in den aktuellen Forschungsstand eingegliedert, um somit eine mögliche Forschungslücke identifizieren zu können. Mit Hilfe geeigneter Interviews mit Streamern soll die Forschungsfrage beantwortet werden.
2. Definition des Szene-Begriffs
Die Handlungs- und Erfahrungszusammenhänge der Jugendkulturen lassen sich erfassen indem man die jugendlichen Lebenswelten genauer betrachtet. Dieter Baacke, deutscher Erziehungswissenschaftler, beschreibt, dass sich die Lebenswelt eines Jugendlichen allmählich erweitert. Ausgehend vom Elternhaus, besucht ein Kind zuerst den Kindergarten, wird institutionell eingegliedert und sucht sich auch außerhalb der Institutionen Freiräume. Jugendliche durchlaufen verschiedene Zonen und somit auch verschiedene Handlungsräume. Diese, in modernen Gesellschaften bereitgestellten Lebens- und Entwicklungszonen werden in ihrer Konnexität, Intimität, Institutionalisierung, Kontrolle und Wertbesetzung kritisiert (vgl. Baacke 2007). Somit entsteht eine typischerweise hochgradige Individualisierung. Grund dafür sind sozialstrukturelle Veränderungen, beispielsweise die Zunahme an frei verfügbarer Zeit, der Anstieg des durchschnittlichen Einkommens, die Bildungsexpansion sowie der Ausbau des Rechtssystems. Durch die Entstehung eines immer komplexer werdenden Systemnetzwerks samt Formalisierungen und Standardisierungen, „wird das Subjekt für seine Positionierung zunehmend selbst verantwortlich“ (Hitzler und Niederbacher 2010, S. 11). Diese Individualisierung führt zu einer Vermehrung von Handlungsressourcen und Handlungsalternativen für die Akteure, die die Kompetenz besitzen, die Komplexität des globalisierten sozialen Lebens für das eigene Handeln zu nutzen. Vor allem bei Jugendlichen wird durch die Verlängerung der Schulzeit ein größerer Freiraum geschaffen, für den sie finanziell besser ausgestattet sind als vorhergehende Generationen. Um jedoch den Zugang zu der „Sonnenseite“ (Hitzler und Niederbacher 2010, S. 12) der Individualisierung zu ermöglichen, muss jene Kompetenz erworben werden.
Die oben geschilderte Entwicklung unserer Gesellschaft wird mit den Begriffen Säkularisierung, Pluralisierung, Individualisierung und auch Globalisierung beschrieben. Eine solche Gesellschaft wird oftmals als „kalt“ empfunden (vgl. Hitzler 2008). Die Verunsicherung mit der immer komplexer werdenden Gesellschaft verunsichert das Individuum und erhöht den Bedarf und das Bedürfnis nach kollektiven Vorgaben. Kirchliche und politische Organisationen, sowie Jugendverbände und Ausbildungsstätten werden diesem Bedarf jedoch immer weniger gerecht. Daraus resultiert, dass sich neuartige Vergemeinschaftungsformen bilden (vgl. Hitzler und Niederbacher 2010). Jugendliche treffen sich somit in Gemeinschaftsformen, bei denen die Teilhabe nicht mit traditionellen Bindungen und Verpflichtungen einhergeht. Dennoch versprechen die neuartigen Vergemeinschaftungen individuelle Freiheit und ein attraktives Zusammensein mit Gleichgesinnten (vgl. Hitzler 2008). Da Jugendkulturen eine Lebens- und Handlungspraxis darstellen, gehen sie über die Kritik an der Komplexität der Gesellschaft hinaus, und entwickeln andere, eben neuartige Modelle bzw. Räume der Lebenserfahrung. „Diese schaffen sie in ihren Szenen “ (Baacke 2007, S. 169). Hitzler beschreibt, dass eine solche posttraditionale Form der Vergemeinschaftung daraus resultiert, dass interessierte Personen zur Teilhabe verführt werden. Die einzelnen Individuen sind somit nur zufällig und nur zeitweise über dieselben Interessen, Neigungen, Vorlieben, Leidenschaften und über die - subjektiv betrachteten - „richtig“ angesehenen Verhaltensweisen und Werte miteinander verbunden (vgl. Hitzler 2008).
Hitzler definiert die Szene als „eine Form von lockerem sozialem Netzwerk; einem Netzwerk, in dem sich unbestimmt viele beteiligte Personen und Personengruppen vergemeinschaften“ (Hitzler 2008, S. 56). Man wird weder in sie hineingeboren, noch hineinsozialisiert. Vielmehr sucht man sie sich aufgrund bestimmter Interessen aus und fühlt sich in ihr eine gewisse Zeit lang wohl. Eine Szene ist im Gegensatz zu Peer-Groups nicht lokal begrenzt, sondern ist ein globales Gesellungsgebilde, welches oftmals abhängig von der Internet-Nutzung der jeweiligen Szenemitglieder ist. Anders als beispielsweise bei Vereinen, gibt es bei Szenen keine förmliche Mitgliedschaft. Oft weiß man nicht, ob man bereits in der Szene drin ist, sich eher am Rand bewegt oder ob man schon am Zentrum steht. Hitzler beschreibt, dass man sich somit innerhalb der Szene wie in einer Wolke bewegt. Man realisiert dennoch, dass man irgendwie dazugehört. Des Weiteren weisen Szene eine niedrige Ein- und Austrittsschwelle auf (vgl. Hitz- ler 2008).
In Szenen finden Mitglieder sogenannte Gesinnungsfreunde, mit denen sie ihre Interessen, Neigungen und Leidenschaften teilen können. Somit haben Szenen so etwas wie ein zentrales Thema. Oftmals handelt es sich dabei um Musik, Sport, Mode oder an Spielspaß mit neuen Medien. Durch die Kommunikation und die Dynamik innerhalb der Szene entsteht ein gewisser Lifestyle, Sprachgewohnheiten, Umgangsformen, Treffpunkte sowie auch Feste bzw. Events. Mit den anderen Mitgliedern der Szene muss man nicht viel mehr teilen, als das gemeinsame Interesse am zentralen Thema. Dadurch entsteht ein „Wir-Gefühl“ mit TeilzeitGleichgesinnten (vgl. Hitzler 2008). Ein weiteres Merkmal von Szenen ist, dass durch die ständige Kommunikation innerhalb der Szene ein Gebrauch von szenetypischen Symbolen, Ritualen und Zeichen entsteht wodurch Szenemitglieder durch solche mentalen sowie materialen Formen eine kollektive Stilisierung teilen. Dadurch werden die Gemeinsamkeiten stabilisiert und modifiziert. Für den Eintritt in eine Szene reicht üblicherweise das Interesse aus. Eine Volle Teilhabe lässt sich jedoch nur erreichen, wenn das szenetypische Know-how erworben wird. Ein Mitglied wird sich somit die entsprechenden Eigenschaften, Verhaltensvorschriften und Wissensbestände, kurz die Kompetenzen, die für die Teilhabe innerhalb der jeweiligen Szene notwendig sind, in der Interaktion mit anderen Szenemitgliedern mehr oder weniger einsam aneignen. Somit besteht das Leben in der Szene auch durch das Sammeln von persönlichen Erfahrungen und Wissen, sowie das Erlernen von bestimmten Fertigkeiten. Des Weiteren sind Szenen ein Netzwerk von Gruppen. Dabei versammeln sich Szenegänger meist um sogenannte Organisationseliten. Durch ihre langjährige Teilhabe an der Szene entwickeln sie ein umfangreiches Wissen. Sie erkennen dadurch kommerzielle Chancen und nutzen diese auch, indem sie Events planen und produzieren. Organisationseliten stellen Kontakt zu anderen Organisatoren her, wodurch ebenfalls ein Netzwerk aus Eliten entsteht. Im Zuge dessen entstehen verschiedene Gruppierungen, welche sich aufgrund der gemeinsamen Interessenslage anderen Gruppierungen öffnen. Somit verstehen sie sich nicht nur als eine Gruppe, sondern auch als Teil einer Szene (vgl. Hitzler und Niederbacher 2010). Des Weiteren können Szenemitglieder in sogenannten ambitionierten Szene-Neulingen und Szenegänger unterschieden werden (vgl. Schnoor und Pfadenhauer 2009).
Sogenannte „Gamer“ bzw. Menschen, die Videospiele spielen, bilden die Gaming-Szene, früher auch bekannt als die LAN-Szene.
2.1 Die Gaming-Szene
Die Entstehung der Gaming-Szene wird sehr unterschiedlich beschrieben und datiert. Es scheint aber das Spiel Pong, welches 1972 von Atari veröffentlicht wurde, verantwortlich für die Entstehung dieser Szene zu sein (vgl. Brockmann 2011). Indem zwei Spieler gegeneinander antreten, war dieses Spiel erstmals auf eine gemeinschaftliche Nutzung ausgelegt (vgl. Witting 2013). Durch die Einführung von Multiplayer-Spielen entstand die LAN-Szene (LAN steht für Local Area Network). Dabei war es erstmals möglich, mehrere Rechner in einer privaten Räumlichkeit miteinander zu vernetzen, um somit die gleichzeitige Teilnahme mehrerer Spieler an einem Computerspiel zu ermöglichen. Somit geht die Entstehung der LAN-Szene auf den Anfang der 1990er Jahre zurück (vgl. Hitzler und Niederbacher 2010). Durch technische Weiterentwicklungen, wie die wachsenden Vernetzungsmöglichkeiten und dem Internet (vgl. Brockmann 2011) ist es heutzutage möglich, dass die Vergemeinschaftung nicht mehr auf die Anwesenheit der Spielenden am selben Ort geknüpft ist, sondern, dass im Rahmen der Multiplayer-Spiele ein örtlich entgrenztes, lediglich durch das Internet verbundene Spielen möglich ist (vgl. Witting 2013). „Durch die Notwendigkeit in der Gruppe zu spielen, entstehen innerhalb der Spielkultur soziale Netzwerke verschiedenster Dichte und Qualität, denn die Organisation von Spielgruppen wäre ohne eine entsprechende Struktur enorm aufwendig“ (Hemminger 2011, S. 100).
Mittlerweile ist das Phänomen Gaming ziemlich groß geworden und es bildeten sich viele Sparten bzw. Fraktionen. Somit bietet die Gaming-Szene viele verschiedene Ansatzpunkte für soziologische Forschungen. Unter Anderem wurden bereits zahlreiche Forschungen zu der LAN-Szene, der eSport-Szene (vgl. Brockmann 2011) oder zu Communities, so werden die Gruppierungen eines Spiels und die Fans bzw. die Anhänger eines YouTubers genannt, durchgeführt (vgl. Hemminger 2011). Relativ unerforscht bleibt jedoch die relativ junge Sparte des Streamings. Twitch ist eine Streaming-Plattform die erst 2011 gegründet wurde und seitdem rasant an Bekanntheit und Zuschauerschaft gewonnen hat. Die Live-Streaming-Plattform verzeichnete im Jahr 2014 mehr Internetverkehr als Facebook, Amazon oder Tumblr (vgl. Walker 2014). Ein Livestream kann dabei als eine „audio und/oder visuelle Übertragung eines zeitlich aktuellen, also in diesem Moment (live) stattfindende Ereignisse, ins Internet“ (Kirschner 2013, S. 157) verstanden werden. Dabei sendet der Streamer einen ausgewählten Ausschnitt seines Bildschirms an das Streamingportal. Somit kann theoretisch alles was auf seinem Bildschirm passiert für die Zuschauer sichtbar gemacht werden. Dabei können beliebig viele Zuschauer die Live-Übertragung verfolgen. Mittlerweile werden auch „Face-Cams“ verwendet, was bedeutet, dass der Streamer zusätzlich selbst auf dem Bildschirm der Zuschauer sichtbar und präsent ist. Twitch bietet weiterhin eine Chat-Funktion an, damit alle am Stream Beteiligten miteinander schriftlich kommunizieren können (vgl. Kirschner 2013). Durch diese Technologie ist den Gamern ein größerer Handlungsraum eröffnet worden. Anstatt nur zu spielen, ist es ihnen nun möglich zu entertainen, zu lehren, zu kritisieren und zu teilen (vgl. Walker 2014). Des Weiteren sind verschiedene Typen von Computer-Livestreams zu beobachten: die Übertragung von Live-Events, z.B. Turnieren, das alltägliche Spielen der Streamer, sowie produzierte Sendungen, die sich mit Computerspielen auseinandersetzen (vgl. Kirschner 2013). Es wird weiterhin beschrieben, dass sich Communities um die einzelnen Streamer bilden, welche eine Alternative zur konsumorientierten „gamer culture“ (Walker 2014, S. 438) bieten, also anstatt selbst zu spielen, wird ein Stream verfolgt.
2.1.1 Darstellung der Streaming-Szene - ein Versuch
Da wenig soziologische Forschung über die Streaming-Sparte der Gaming-Szene durchgeführt worden ist, lässt sich auch schwer eine genaue Szenedarstellung betreiben. Eine solche Darstellung könnte Thema für weitere Arbeiten sein. Festzuhalten ist jedoch, dass die Vergemeinschaftung online, also virtuell stattfindet und sich Communities um einzelne Streamer bilden. Mitglieder einer Community können auch Teilhabe in anderen Communities haben. Die Kommunikation innerhalb der Community kann dabei im Chat, oder auch auf erstellten Fan-Seiten auf social-media Plattformen wie Instagram stattfinden. Der Streamer selbst kann dabei auf Anregungen im Chat antworten oder sogar mit ihnen auf diversen Sprachkonferenzsoftwares (Skype, TeamSpeak) kommunizieren (vgl. Kirschner 2013). Seit 2015 findet jährlich die Twitch- Con, eine Messe die Twitch selbst, sowie den Streamern und ihren Communities gewidmet ist, in den USA, und seit 2018 auch in Berlin statt. Streamer selbst veranstalten ebenfalls „FanTreffen“. Des Weiteren tragen viele Szenemitglieder Klamotten oder Taschen von bekannten Streamern oder von Twitch selbst. Dadurch wird die Szenezugehörigkeit symbolisiert.
Fokus dieser Arbeit soll auf den Streamern, also den Produzenten selbst liegen. Sie können zu Organisationseliten innerhalb der Szene reifen, Mitglieder der Szene um sich herum versammeln und somit kommerzielle Chancen nutzen.
[...]
- Arbeit zitieren
- Michel Hofmann (Autor:in), 2019, Untersuchung zum Kompetenzerwerb in der Streaming-Szene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1159757
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