In dieser Arbeit soll anhand eines Einzelfalls exemplarisch aufgezeigt werden, welche Bedeutung die Sequenzanalyse, die im Zentrum der objektiven Hermeneutik steht, für die Sozialwissenschaften hat. Diese Methode der empirischen Sozialforschung ermöglicht die Erschließung der sinnstrukturierten Welt von Personen, basierend auf der Bedeutung verschriftlichter „Ausdrucksgestalten“ (Oevermann 1990: 7). Der Praktiker objektiver Hermeneutik analysiert rein rekonstruktionslogisch. Die theoretischen Grundlagen dieses Ansatzes sind den Ausführungen von Ulrich Oevermann zur klinischen Soziologie entnommen, welche die konkrete Funktion des Soziologen in der Praxis behandelt (Oevermann 1990: 1). Mit dem medizinischen Begriff ‚klinisch’ kennzeichnet er ein bestimmtes Problem des Klienten, das erst durch die praktische Intervention des soziologischen Beraters explizit thematisiert und gelöst werden kann. Dabei ist unbedeutend, ob einzelne Personen, ganze Gruppen oder Organisationen als Auslöser für das Problem in Frage kommen. Wichtig bleibt die Anwendung einer spezifisch einzelfallbezogenen Methodik, in welcher sowohl die beteiligten Personen und ihre Interaktionen als auch alle Handlungen und Äußerungen für die Analyse berücksichtigt und protokolliert werden. Die Handlungs- und Kommunikationsstrukturen der Personen sind aufgrund ihrer spezifischen Intentionalität sowie der zeitlichen, räumlichen und sozialen Abhängigkeit einzigartig, wodurch nicht nur eine standardisierte Methodik ausgeschlossen wird, sondern vielmehr jedes Verhältnis von Klientensystem1 und Berater einmalig bleibt. Das heißt in der klinischen Soziologie handelt der Berater problem- aber nicht personenspezifisch (vgl. Dewe/Radtke 1989). Bevor jedoch die Beschreibung eines spezifischen Beispiels für die Praxis folgt, müssen die theoretischen Überlegungen über die Voraussetzungen sowie den Vollzug einer erfolgreichen Analyse und anschließenden Intervention durch den Berater dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die theoretischen Grundlagen der objektiven Hermeneutik
3. Die objektive Hermeneutik in der Praxis
4. Das praxisbezogene Beispiel
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In dieser Arbeit soll anhand eines Einzelfalls exemplarisch aufgezeigt werden, welche Bedeutung die Sequenzanalyse, die im Zentrum der objektiven Hermeneutik steht, für die Sozialwissenschaften hat. Diese Methode der empirischen Sozialforschung ermöglicht die Erschließung der sinnstrukturierten Welt von Personen, basierend auf der Bedeutung verschriftlichter „Ausdrucksgestalten“ (Oevermann 1990: 7). Der Praktiker objektiver Hermeneutik analysiert rein rekonstruktionslogisch.
Die theoretischen Grundlagen dieses Ansatzes sind den Ausführungen von Ulrich Oevermann zur klinischen Soziologie entnommen, welche die konkrete Funktion des Soziologen in der Praxis behandelt (Oevermann 1990: 1). Mit dem medizinischen Begriff ‚klinisch’ kennzeichnet er ein bestimmtes Problem des Klienten, das erst durch die praktische Intervention des soziologischen Beraters explizit thematisiert und gelöst werden kann. Dabei ist unbedeutend, ob einzelne Personen, ganze Gruppen oder Organisationen als Auslöser für das Problem in Frage kommen. Wichtig bleibt die Anwendung einer spezifisch einzelfallbezogenen Methodik, in welcher sowohl die beteiligten Personen und ihre Interaktionen als auch alle Handlungen und Äußerungen für die Analyse berücksichtigt und protokolliert werden. Die Handlungs- und Kommunikationsstrukturen der Personen sind aufgrund ihrer spezifischen Intentionalität sowie der zeitlichen, räumlichen und sozialen Abhängigkeit einzigartig, wodurch nicht nur eine standardisierte Methodik ausgeschlossen wird, sondern vielmehr jedes Verhältnis von Klientensystem[1] und Berater einmalig bleibt. Das heißt in der klinischen Soziologie handelt der Berater problem- aber nicht personenspezifisch (vgl. Dewe/Radtke 1989).
Bevor jedoch die Beschreibung eines spezifischen Beispiels für die Praxis folgt, müssen die theoretischen Überlegungen über die Voraussetzungen sowie den Vollzug einer erfolgreichen Analyse und anschließenden Intervention durch den Berater dargestellt werden.
2. Die theoretischen Grundlagen der objektiven Hermeneutik
Der zentrale Gegenstand der klinischen Soziologie ist die Rekonstruktion objektiver beziehungsweise die Entschlüsselung latenter Sinnstrukturen von Ausdrücken der Lebens- und Erfahrungswelt, die je nach Einzelfall unterschiedlich sind (Oevermann 1990: 11). Das Protokollieren von Kommunikations- und Handlungsverläufen wird als Ausdruck einer spezifischen sozialen Situation betrachtet, die aufgrund erzeugter, prinzipiell rekonstruierbarer Regeln für andere verständlich und nachvollziehbar ist. Die objektive Hermeneutik ist ein Verfahren zur Analyse angefertigter Protokolle. Sie zielt auf das Erkennen innerpsychischer Wirklichkeit, welche anhand der Beschaffenheit der Ausdrucksgestalten vorliegt[2]. Somit liegt diesem Ansatz die Annahme zugrunde, dass die objektive Bedeutung verbal erzeugter Ausdrucksweisen je nach Intention unterschiedlich sinngerichtet ist. Welche Zielsetzungen liegen einzelnen Handlungen oder Informationen in regelmäßiger sowie in kontextspezifischer Bedeutung zugrunde?
Aufgrund der unterschiedlichen Ausdrucksgestalten und deren Anordnungen unterliegt jeder Fall einer besonderen „Fallstrukturgesetzlichkeit“ (Oevermann 1990: 7), welche durch die hermeneutische Methodik nachvollziehbar ist. Die jeweiligen lebensweltlichen Ausdrucksgestalten werden allerdings nicht anhand standardisierter Merkmale wiedergegeben und mit anderen Fällen nach Ähnlichkeiten verglichen. Vielmehr definiert sich die Struktur jedes Einzelfalls immer wieder aufs Neue, das heißt je vollständiger die Rekonstruktion konkreter Ausdrucksformen und Kommunikationssequenzen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, eine detaillierte Reproduktion der Fallstrukturgesetzlichkeit aufzuzeichnen. Diese detailgenaue Rekonstruktion zeigt, dass jedem Fall völlig eigene und einzigartige Gesetzmäßigkeiten unterliegen, die den Vergleich mit anderen Fällen nahezu unmöglich machen.
3. Die objektive Hermeneutik in der Praxis
Der Beratungsprozess beginnt, sobald das „Arbeitsbündnis“ (Behrend/Wienke 2001a: 1) zwischen Klientensystem und Berater geschlossen wurde. Nachdem einzelne Personen oder ein bestimmtes Unternehmen einen Berater aufgesucht haben, wird der Versuch unternommen die Problematik gemeinsam zu beschreiben oder anzudeuten. Der Auftrag muss jedoch hinterfragt werden, sobald erkennbar ist, dass der Grund der Beratung einen rein wirtschaftlichen Zweck verfolgen soll. Außerdem können auf der Grundlage des Arbeitsbündnisses mit einem Unternehmen nicht die Probleme einzelner Mitarbeiter, sondern immer nur die Probleme des ganzen Unternehmens im Zentrum der Interventionen stehen. Die Konstitution des Auftrags gibt vor, welcher Bereich protokolliert wird. (Behrend/Wienke 2002: 4).
Anhand der Analyse von Protokollen die er während des Beratungsprozesses anfertigte, erschließen sich für den klinischen Berater die Fallstrukturgesetzlichkeiten. Jeder Handlungs- und Kommunikationsverlauf, jeder Interventionsschritt sowie jede Zielvorstellung wird dokumentiert, um wieder darauf Bezug nehmen zu können. Je realitätsnäher die Ausdrucksgestalten in den Protokollen festgehalten werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, optimale Voraussetzungen sowohl für die Analyse als auch für die anschließenden Lösungsansätze zu schaffen.
Das wichtigste Merkmal protokollierter Ausdrucksgestalten ist die kongruente Aufnahme und Wiedergabe der Sprache des Klientensystems. Die Ausdrucksweise des Beraters ist kohärent zu den Ausdrucksgestalten der sinnstrukturierten Welt des Klientensystems. Im Beratungsprozess wird diese Analogisierung durch den Berater angewandt, damit die möglichen Ergebnisse für das Klientensystem verständlich, anschlussfähig und diskutierbar bleiben (vgl. Dewe 1996). Im Gegensatz dazu bietet beispielsweise der Arzt aufgrund der Verwendung lateinischer Fachtermini, dem Patienten nur wenige Chancen, ohne Erläuterungen zu verstehen, welche Krankheit er hat, in welchem Ausmaß sie diagnostiziert wurde und in welchen Stadien sie sich entwickeln kann. Während die Ausdrucksweise des Arztes für seinen Patienten meist unverständlich bleibt, wird der Klient befähigt, sich aktiv am Beratungsprozess zu beteiligen.
[...]
[1] Den Ansätzen Oevermanns folgend, wird der Versuch unternommen, begriffliche Ausprägungen der Systemtheorie nach Luhmann in die klinische Soziologie zu integrieren. Häufig wird in der Soziologie auf die „besondere Eignung der soziologischen Systemtheorie“ (Thinnes 1997: 221) als wesentliche Sichtweise soziologischer Beratungsmethodiken verwiesen, die „gute Voraussetzungen für eine Beratungspraxis“ (von Alemann 1996: 21) bietet. Das Zentrum soziologisch orientierter Beratung bildet der Blick auf das Ganze, das von Niklas Luhmann als System betrachtet wird. Die Annahme der operativen Geschlossenheit sozialer Systeme ermöglicht es die zu Beratenden im Beratungsprozess als Klientensystem zu bezeichnen. (vgl. Wimmer 1992)
[2] „Die objektive Hermeneutik ist nicht eine Methode des Verstehens im Sinne eines Nachvollzugs subjektiver Dispositionen oder der Übernahme von subjektiven Perspektiven des Untersuchungsgegenstandes, erst recht nicht eine Methode des Sich-Einfühlens, sondern eine strikt analytische, in sich objektive Methode der lückenlosen Erschließung und Rekonstruktion von objektiven Sinn- und Bedeutungsstrukturen" (Oevermann 2002: 6)
- Arbeit zitieren
- Randy Adam (Autor:in), 2007, Klinische Soziologie - Ein Beratungsansatz der soziologischen Praxis?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116152
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