Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Stress
2.1.1 Definition und Entstehung
2.1.2 Eustress und Distress
2.1.3 Folgen - Stress als Vorbote von Burnout
2.2 Burnout - Begriffsproblematik und Definitionsversuche
2.2.1 Burnout-Symptomatik nach Burisch und Freudenberger
2.2.2 Burnout als Krankheit -Ausblick „ICD-11“ und Kritik
2.3 Work-Life-Balance
3. Burnout - Ursachen und Erklärungsansätze
4. Individuelle präventive Handlungsansätze
4.1 Entspannungsverfahren
4.1.1 Autogenes Training
4.1.2 Progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson
4.1.3 Yoga
4.2 Zeitmanagement
4.2.1 Allgemeine Methoden des Zeitmanagements
4.2.2 Spezifische Methoden des Zeitmanagements
4.2.3 Weitere Möglichkeiten zur Stressreduktion
5. Kritische Reflexion
6. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: The power of stepping away
Abbildung 2: Good Stress?
Abbildung 3: Analogie für das Stressgeschehen
Abbildung 4: Häufigste Erkrankungen und andere Zusatzdiagnosen bei Burn out
Abbildung 5: Berufsgruppen mit den meisten AU-Tagen aufgrund von Burn out
Abbildung 6: Häufigste psych. Erkrankungen b. Krankschreibung a. v. Burn out
Abbildung 7: Burnout-Zyklus nach Freudenberger und North
Abbildung 8: Work-Life-Balance - Schmetterling mit vier Dimensionen
1. Einleitung
„Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ (Seiwert, 2018, S. 1).
Die Begriffe „Stress“ und „Burnout“ haben sich im heutigen Sprachgebrauch festverankert und kommen gerade im beruflichen Kontext nahezu inflationär zum Einsatz. Während sich die meisten Arbeitnehmer dabei wachsenden Anforderungen nach höchstmöglicher Produktivität und Effizienz gegenübersehen und in ihrem Job infolgedessen immer stärker unter einem Leistungsdruck stehen, sorgen auch in der Freizeit Dinge wie ein ausgeprägter Perfektionismus, volle Terminkalender und sich daraus ergebende Zeitnöte sowie der Umstand einer ständigen Erreichbarkeit im Zeitalter der Digitalisierung für eine sukzessiv voranschreitende Beschleunigung und Beschwernis des alltäglichen Lebens: So gaben im Jahre 2019 über 26 Millionen Bürgerinnen in Deutschland an, dass für sie das Gefühl der Zeitnot ein ständiger Begleiter darstellt (vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, 2019, Online). Den schädlichsten Stressor sehen 46% der Deutschen mit ihrer Erwerbstätigkeit in Verbindung stehend, dicht gefolgt von dem Umstand, zu hohe Ansprüche an sich selbst zu stellen (43%) (vgl. Techniker Krankenkasse, 2016, Online).
Ungeachtet dessen wird „Stress“ auch noch heutzutage vielfach als ModeErscheinung abgetan, obwohl sich auch an prominenten Fällen in den letzten Jahren, wie beispielsweise bei Fernsehkoch Tim Mälzer und Fußballmanager Ralf Rangnick, medienwirksam abbildete, dass sich anhaltender und unverarbeiteter Stress zu einer durchaus ernst zu nehmenden Krankheit entwickeln kann. So sind die möglichen Folgen von negativen Stress sehr vielfältig und können sich sowohl in psychischen als auch in physischen Symptomen manifestieren: Von Schlafstörungen und Gereiztheit, über Nervosität und ausgeprägte Unruhezustände bis hin zu Gefühlen der inneren Leere, des “Ausgebrannt-Seins“ sowie Depressionen und einer vollumfänglichen Erschöpfung kann alles vertreten sein (vgl. Kaluza, 2018, S. 33ff.).
Auch der damit korrelierende Begriff des „Burnout“ rückte insbesondere in der letzten Dekade immer weiter in den Mittelpunkt - sogar so sehr, dass im Jahre 2011 der „Deutsche Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e.V.“ gegründet wurde und die Diplom-Psychologin Fr. Julia Scharnhorst bereits im Jahre 2012 im Bericht des „Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen“ (BDP) die offene Frage in den Raum stellte, ob es sich bei „Burnout“ um eine Volkskrankheit handele (vgl. 2012, S. 31ff.). Oder handelt es sich nur um einen neuen Wein in alten Schläuchen?
Fakt ist, dass sich psychische Erkrankungen auch in Deutschland auf dem Vormarsch befinden. So rangierte im Jahre 2016 der Anteil an Arbeitsunfähigkeitstagen, welcher auf psychische Erkrankungen zurückzuführen war, bundesweit mit 17,1% auf dem zweiten Rang (vgl. Deutsche AngestelltenKrankenkasse, 2019, Online). Auch 2018 blieb dieser Trend relativ stabil - trotz einem leichten Rückgang auf 15,2% (vgl. ebd.). Diese Zahlen werden umso dramatischer, wenn sich vor Augen geführt wird, dass eine weitere, unbestimmt große Dunkelziffer an Erkrankten existiert, die statistisch nicht erfasst werden kann, da viele Betroffene aus Angst vor Stigmatisierung und “Labeling“ erst gar keinen Arzt oder Therapeuten konsultieren.
In diesem Zusammenhang erlangt auch der Diskurs rund um den Terminus der „Work-Life-Balance“ (WLB) eine immer größer werdende Bedeutung. Denn die gesunde Vereinbarung von Familie und Beruf ist nicht mehr nur länger aus wirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive von Interesse, sondern gleichsam auch ein Schlüssel für die Erhaltung von Gesundheit, Ausgeglichenheit und Leistungsfähigkeit eines jeden Individuums. Selbstredend kann es daher nicht exklusive Aufgabe der Regierung und der Arbeitgeber sein, beispielsweise mit Hilfe von flexiblen Arbeitszeitmodellen oder anderweitigen betrieblichen Maßnahmen und Erlassen, zu unterstützen. Vielmehr sollte es auch erstrebenswertes Ziel eines jeden Menschen sein, sich und seine Stressoren zu reflektieren und daraus - im Sinne einer gesunden WLB - individuelle Handlungsansätze zur Burnout-Prävention abzuleiten respektive zu übernehmen. Denn schon Arthur Schopenhauer wusste: „Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“.
In dessen Konsequenz ist es primäres Ziel dieser Studienarbeit, neben der Schaffung einer möglichst ausführlichen und präzisen theoretischen Grundlage zu den Begrifflichkeiten Stress, Burnout und WLB, Ursachen und Erklärungsansätze für das “Phänomen Burnout“ zu artikulieren und auf dieser Basis Vorschläge für allgemeine und individuelle Handlungsstrategien im Rahmen einer sinnvollen Burnout-Prophylaxe zu formulieren, welche sich in eine gesunde WLB integrieren lassen. Kontextuell passende Prävalenzzahlen werden dabei sparsam, aber punktuell in den Fließtext integriert.
2. Begriffsbestimmungen
Wie bereits oben angeklungen, haben die Begriffe „Stress“ und „Burnout“ schon lange Einzug in unseren gebräuchlichen Wortschatz gehalten. So wird in der alltäglichen Kommunikation genauso auf diese zurückgegriffen wie auch in den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen. Da sich die Begriffe insoweit aus vielerlei Wurzel speisen und hierdurch auch differente Bedeutungen erlangen können, ist es im Kontext einer fachlichen Auseinandersetzung als eine wesentliche Prämisse zu verstehen, diese terminologisch einzugrenzen und den Versuch einer zusammenhanggerechten passenden Definition zu wagen. Darüber hinaus soll auch die Spezifizierung des Terminus um die Thematik der „Work-Life-Balance“ gleichermaßen als Ausgangsbasis und fundierte Grundlage für sämtliche sich noch anschließende Ausführungen fungieren.
2.1 Stress
In unserer global vernetzten und quasi voll digitalisierten Welt ist Stress omnipräsent. Doch welche Bedeutung hat der Begriff Stress überhaupt? Lässt sich dieser definieren?
Aus etymologischer Sicht entstammt der Begriff dem lateinischen Ausdruck „stringere“, was so viel bedeutet wie „anspannen“ oder auch „an Grenzen stoßen“ (vgl. Kluge und Seebold, 2011, S. 712). Im Englischen finden sich hierzu, mit den Bedeutungen von „Druck“ und „Anspannung“, deutliche Parallelen.
Substanziell betrachtet entstammt der Begriff Stress jedoch der Werkstoffkunde. So beschreibt er dort die gezielt „kontrollierte Belastung eines bestimmten Stoffes“ (Sprenger, 2018, S. 8), welcher einen sogenannten „Stresstest“ durchläuft und im Rahmen dessen auf seine höchstmögliche Belastbarkeit hin geprüft wird. Transferiert auf den Faktor Mensch meint Stress somit „[...] alle Arten von Belastungen, denen der Organismus ausgesetzt ist“ (ebd.) respektive alle positiven und negativen psychischen sowie physischen Einwirkungen.
Grundsätzlich setzt sich Stress aus zwei Komponenten zusammen: dem Stressor und der Stressantwort. Als Stressor lässt sich nach Meinung von Sprenger „jeder stressauslösende Umstand“ (ebd.) bezeichnen, auf welchen eine entsprechend körperlich, seelisch und/oder geistig geprägte Stressantwort folgt. Je nach Einfluss auf den menschlichen Organismus lassen sich Stressoren zudem in physische und psychische Stressoren differenzieren. Zu erstgenannten lassen sich beispielweise Schlaflosigkeit und Schmerzen, aber auch Empfindungen, die unmittelbar mit der Befriedigung von Grundbedürfnissen korrelieren, wie zum Beispiel Hunger und Durst, zurechnen (vgl. ebd., S. 8f.). Stressoren der psychischen Gattung hingegen können etwa Lärm, Ehrgeiz, Perfektionismus, sozialer Druck oder auch Leistungsgedanken am Arbeitsplatz sein. Aber ist tatsächlich jeder Mensch übertrieben ehrgeizig? Fühlt sich jeder von einer bestimmten Geräuschkulisse gleich gestört beziehungsweise „gestresst“? Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass Belastungsempfindungen und darauffolgende Stressantworten nicht pauschal kategorisiert werden können, sondern vielmehr von Individuum zu Individuum unterschiedlich bewertet werden müssen. Insofern ist auch eine Objektivierung des Stressbegriffs kaum realisierbar. Im Sinne der Schaffung einer notwendigen Transparenz für den weiteren Verlauf dieser Arbeit, werde ich im Folgenden dennoch den Versuch wagen, den Stressbegriff und seine komplementären Hintergründe definitorisch weiter einzugrenzen.
2.1.1 Definition undEntstehung
Wie bereits angemerkt wurde, wird „Stress“ von jedem Individuum unterschiedlich empfunden und verhält sich in diesem Kontext ähnlich wie Versagen, Erfolg oder Glück - auch diese Zustände und damit verbundenen Emotionen werden von Mensch zu Mensch völlig divergent erfahren und eingeordnet, da sie von vielen Faktoren, Merkmalen und Qualitäten abhängig sind. Des Weiteren stellt Stress zumeist keinen einmaligen Verlauf dar und kann daher aufgrund seines wiederkehrenden Charakters schnell in einen Teufelskreis führen. Dies vermag allein schon die Tatsache zu belegen, dass das Leben und Empfinden ständigen Veränderungen von persönlichen Gewohnheiten und Verhaltensweisen unterliegt und Stress daher kein geschlossenes System darstellt. Aus diesem Grund existieren auch durchaus Schwierigkeiten, den Stressbegriff einheitlich auszulegen.
Heutige Stresstheorien folgen in vielen Fällen einer Definition von Lazarus, wonach Stress eine Beziehung zwischen einer Person und seiner Umwelt darstellt, die erschöpfend aber auch gleichzeitig von großer Wichtigkeit ist (vgl. Lazarus und Folkman, 1984, S. 18f.). Lazarus rekurriert dabei auf die Ausführungen von Hans Selye (1907-1982), einem ungarisch-kanadischen Mediziner und Biochemiker, der bereits im Jahre 1936 für den Einzug des Stressbegriffs in die Medizin sorgte. Selye lehnte sich dabei einer aus der Physik und oben angerissenen Materialkunde entstammenden Definition an, nach welcher Stress als eine anforderungsgerechte, unspezifische Anpassungsreaktion des Körpers beschrieben wurde (vgl. Lazarus und Folkman, 1984, S. 19f.; vgl. auch Mainka-Riedel, 2013, S. 55). So definierte Selye Stress als einen „[...] körperlichen Zustand unter Belastung, welcher durch Anspannung und Widerstand gegen äußere Stimuli (Stressoren) gekennzeichnet ist“ (1974, S.18) und entwickelte daraus ein erstes echtes Stresskonzept, welches die punktuellen und chronischen Folgen von Stress darzustellen vermochte und in seinem „Allgemeinen Anpassungssyndrom“ (AAS) oder auch „Adaptionssyndrom“ aufging.
Neben der Einordnung des Stressreaktionsverlaufs in drei verschiedene Phasen (Alarm, Resistenz, Erschöpfung) und dem diesbezüglichen Nachweis, dass auf jedwede Anspannung auch eine Entspannung erfolgen muss, da nur bei einer adäquat gegebenen Erholung ein gleichbleibendes Niveau zwischen Ruhe und Erregung sichergestellt werden kann, differenzierte Lazarus die zuvor von Selye eingeführten Termini von positivem Stress, auch Eustress genannt, und dem negativen Distress (vgl. Burisch, 2014, S. 77f.). Dieser Unterscheidung möchten wir uns im folgenden Teilkapitel näher widmen.
2.1.2 Eustressund Distress
Auf welche Weise ein Mensch auf einen gegebenen Stressor reagiert, basiert im Wesentlichen auf gemachten Erfahrungen, die jedes Individuum mit bestimmten Situationen und Zuständen assoziiert und verknüpft - anders ausgedrückt, hängt die jeweilige Stressantwort (s. o.) von einer Vielzahl von psychologischen und sozialen Faktoren ab (vgl. Sprenger, 2018, S. 11). So spielt beispielsweise auch das Selbstwertgefühl einer Person eine Rolle: Je höher dieses ausgeprägt ist, desto resilienter reagiert eine Person in der Regel auf jegliche Stressoren (vgl. ebd.). Dass eine Stressbelastung auch per se nichts „Negatives“ sein muss und unter bestimmten Umständen auch positiv empfunden werden kann, wird in der Differenzierung von Eustress und Distress deutlich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2. GoodStress? Figure 14.4, übernommen aus Weiser, 2017, p. 491
Eustress - der positive Stress (vgl. auch Schmidt, 2015, S. 87)
Evolutionsbedingt ist der Mensch als lebendiger Organismus darauf ausgelegt, mit wiederkehrenden Belastungen umzugehen (engl. = „coping“) und sogar seine volle Funktionsfähigkeit durch diese zu erhalten (vgl. Sprenger, 2018, S. 9). Demnach ist ein gewisser Stresspegel sogar unerlässlich, um das individuelle Wohlbefinden und Leistungsniveau nicht zu verlieren (vgl. auch „Optimal level“ in Abbildung 2). Sprenger nutzt hierfür einen metaphorischen Vergleich, indem er sagt: „Jeder Muskel muss ein Minimum an Bewegung vorweisen, damit er nicht verkümmert. [...] Ebenso gilt das für alle [...] Organe, vor allem das Gehirn“ (ebd.). So wirkt leichter Stress eher aktivierend, ohne dabei schädigende Konsequenzen nach sich zu ziehen. Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses kann Eustress ferner dabei helfen, zu neuen Denkweisen zu befähigen und eine erhöhte Belastbarkeit auszubilden. Eustress tritt beispielsweise auch dann auf, wenn ein Mensch eine Krisensituation oder (schwerere) Krankheit positiv angehen, bewältigen und überwinden konnte.
Distress - der negative Stress (vgl. auch Schmidt, 2015, S. 87)
Erreicht der Stress ein ungesundes Maß, so kann sich dies mittel- bis langfristig gesundheitsschädigend auswirken und sowohl das individuelle Wohlbefinden als auch sämtliche Abläufe des menschlichen Körpers negativ beeinflussen: „Distress liegt dann vor, wenn die Stressbelastung schädliche Auswirkungen auf die Struktur oder Funktion des Organismus hat“ (Sprenger, 2018, S. 9).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Analogie für das Stressgeschehen, übernommen aus Hofmann, 2015, S. 48
Vorübergehenden Distress kann der menschliche Körper in aller Regel relativ leicht kompensieren. Existieren jedoch keine Möglichkeiten zur Bewältigung (Hilfe- und Stressbewältigungsstrategien) oder werden diese durch die Reizinterpretation des Betroffenen nicht erkannt und dauert die Distress-Belastung über einen längeren Zeitraum an, so erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit für physische, seelische und auch psychosomatische Dekompensationen (vgl. ebd.). Eine DistressBelastung könnte zum Beispiel eine Klausur sein, für welche die Zeit zur Lernvorbereitung fehlt oder auch eine durch Lärm unerträgliche Wohnung ohne die
Möglichkeit zum Umzug. Solche und ähnliche Situationen lassen ein Gefühl der Überforderung und Ohnmacht entstehen, welches mit einem unangenehmen und bedrohlichem Erleben der Stressoren einhergeht und sich auch damit begründen lässt, dass das „Sollen“ und „Können“ divergent auseinanderstrebt und sich demgemäß eine enorme Spannung zwischen gestellter Anforderung und lösungsorientierten Bewältigungsressourcen abbildet.
2.1.3 Folgen - Stress als Vorbote von Burnout
Selbstverständlich reagiert nicht jeder Mensch auf innere (z. B. Perfektionismus, Ängste, Pessimismus etc.) und äußere Stressoren (z. B. Lärm, Hitze, Zeit- und Termindruck, Schmerzen etc.) in gleicher Art und Weise. Im Übrigen wird in der Fachliteratur in diesem Zusammenhang oftmals von sogenannten „Stresstypen“ (Stresstypen A, B, C und S) gesprochen (vgl. z. B. Rusch, 2019, S. 51ff.), auf welche jedoch aufgrund des limitierten Umfangs dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden soll. Dennoch wissen wir, dass es unter einer länger andauernden Distress-Belastung des Körpers, ohne adäquaten Ausgleich und Bewältigungsstrategien, zu körperlichen, seelischen und geistigen Beeinträchtigen sowie degenerativen (Langzeit-)Schäden kommen kann. Die möglichen Folgen lassen sich dabei - angelehnt an Hans Selye’s Stressbelastungsschema - sowohl in drei differente Ebenen als auch in kurz- und langfristige Folgen kategorisieren:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(vgl. Rusch, 2019, S. 49ff.; vgl. auch Schmidt, 2015, S. 83-86; vgl. auch Hillert, Koch und Lehr, 2018, S. 24f.)
An dieser Stelle sollte noch ergänzend angemerkt werden, dass die oben dargestellte tabellarische Auflistung lediglich einen partiellen Überblick zur möglichen Symptomatik einer (längerfristigen) Stressbelastung verschaffen kann und daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Selbstverständlich ist es in der Praxis möglich, dass weitere oder andere, hier nicht genannte Reaktionen, auftreten können. Auch müssen sich bei Betroffenen nicht zwingend alle hier aufgeführten Symptome offenbaren oder manifestieren - so sind die Folgen eines krankmachenden Distress ebenso individuell einzuordnen wie die hierfür möglichen Bewältigungsstrategien. Die folgende Statistik verifiziert die oben dargestellte Auflistung insoweit, als dass sich hier einige Symptome wiederfinden lassen, welche bereits genannt wurden und in Zusammenhang mit negativen Stress und Burnout gebracht werden können:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4. Häufigste Erkrankungen und andere Zusatzdiagnosen bei Krankschreibungen aufgrund von Burn-out im Jahr 2011. Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK), 2012, Online.
Es ist also durchaus häufig, dass anhaltender negativer Stress auch in akuten stressbedingten psychosomatischen Symptomen mündet. Halten diese Anspannungen über einen längeren Zeitraum an, so führt dies für den Einzelnen in vielen Fällen zu einer chronifizierten Stressbelastung. Infolgedessen können sich bereits nach einiger Zeit erste Anhaltspunkte eines “Ausgebrannt-Seins“ bemerkbar machen. Im Sinne eines “Endstadiums“ führt eine solch' chronische und nicht adäquat verarbeitbare Stressbelastung häufig zu einem sogenannten „Burnout- Syndrom“ - ein Zustand, welcher sich durch eine vollumfängliche emotionale, physische und geistige Erschöpfung kennzeichnen lässt. Im folgenden Teilkapitel möchten wir uns mit eben diesem Phänomen näher beschäftigen. Ist „Burnout“ eine Krankheit? Existieren hierfür diagnostische Kriterien? Gibt es eine medizinische Definition?
2.2 Burnout - Begriffsproblematik und Definitionsversuche
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht resultiert der Begriff „Burnout“ oder auch „Burnout“ aus dem englischen Prädikat ,,(to) burn out“ und bedeutet wörtlich übersetzt „ausbrennen“. Ursprünglich eingewandert in die Medizin ist der Begriff allerdings aus dem Bereich der Technik (vgl. Sprenger, 2018, S. 12). Nach verheerenden Kernkraftunfällen in den USA, Tschernobyl und Fukushima wurde der Begriff verwendet, um das Durchbrennen eines zu heißen Reaktorkerns zu beschreiben. Im wissenschaftlichen Segment der Psychologie gilt er als ein Zustand „[...] chronischer emotionaler Erschöpfung mit reduzierter psychophysischer Leistungsfähigkeit“ (ebd.) und tauchte erstmals im Jahre 1974 auf, als sein Begründer, der deutsch-amerikanische Psychologe und Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger (1926-1999), seine während seiner ehrenamtlichen Tätigkeit in einer „Free Clinic“ gemachten Beobachtungen zum „Ausbrennen“ von Angehörigen der sozialen Berufe, in einem wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel „Staff Burn-Out“ im „Journal of Social Issues“ (JSI) (vgl. Freudenberger, 1974) verschriftlichte (vgl. ebd.). In jenem Artikel wird das Burnout-Syndrom im exklusiven Kontext einer beruflichen Tätigkeit behandelt und ist demnach auch ursächlich darauf zu beziehen. Gleichwohl dient der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch häufig als Synonym für diverse psychische Erkrankungen. Darüber hinaus existieren viele verschiedene wissenschaftliche Definitionsversuche von „Burnout“. Insoweit gestaltet es sich schwierig, den Begriff einheitlich zu fassen. Auch eine medizinische Diagnose ist (noch) nicht existent (vgl. hierzu Teilkapitel 2.2.2). Nichtsdestotrotz ist es für die weiteren Ausführungen dieser Arbeit elementar und sinnvoll, im Folgenden einen kurzen Auszug an Definitionsfassungen darzustellen.
Freudenberger und seine amerikanische Kollegin Gail North, welche im Jahre 1992 auch ein 12-phasiges Zyklus-Modell (vgl. hierzu Teilkapitel 2.2.1) zur Beschreibung eines typischen Syndromverlaufes von Burnout visualisierten (vgl. Rusch, 2019, S. 56), definierten Burnout als „[...] Zustand, der sich langsam, über einen Zeitraum von andauerndem Stress und Energieeinsatz entwickelt“ (Freudenberger und North, 2012, S. 26). Die anerkannte Forscherin Christina Maslach sieht Burnout als „[...] a syndrome of emotional exhaustion, depersonalization, and reduced personal accomplishment that can occur among individuals who do ‘people work’ of some kind. It is a response to the chronic emotional strain of dealing extensively with other human beings, particularly when they are troubled or having problems“ (2003, p. 2). Und sie führt weiter aus: „[...] what is unique about burnout is that the stress arises from the social interaction between helper and recipient" (ebd.). Ungeachtet dessen entwickelte Maslach im Jahre 1981 zusammen mit Susan E. Jackson das „Maslach Burnout Inventory Manual“ (MBI) - einen mittlerweile global verbreiteten und vielfach eingesetzten Fragebogen (22 Fragen) zur Messung und Erfassung des Burnout-Syndroms, nach welchem Burnout primär durch die Dimensionen einer emotionalen Erschöpfung als Kernsymptom, einer reduzierten persönlichen Leistungsfähigkeit sowie Depersonalisierung charakterisiert wird (vgl. z. B. Maslach und Jackson, 1986; vgl. auch Hillert et al., 2018, S. 11f.). Schaufeli und Enzmann (1998, zitiert nach Schmidt, 2015, S. 35f.) fassen ihre Definition noch weiter und gehen dabei ferner auf typische Begleitsymptome und den Verlauf von Burnout ein: „[...] ein dauerhafter [...] Seelenzustand [...], begleitet von Unruhe und Anspannung (distress), [...] gesunkener Motivation und der Entwicklung dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. [...] Burnout erhält sich [...] oft selbst aufrecht“ (S. 33f.).
Alle nunmehr angeführten Definitionen verbindet, dass sie den Betroffenen in einem Erschöpfungszustand sehen, welcher aus einem andauernden psychischen Einsatz hervorgeht. Eine Besonderheit liegt allerdings bei der Definition von Maslach: Hier wird explizit die Interaktion mit anderen Menschen sowie die Auseinandersetzung mit deren Anliegen herausgestellt. Führt man sich nun das in der Sozialen Arbeit nicht selten anzutreffende „Helfersyndrom“ vor Augen, so liegt es nicht gerade fern zu behaupten, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit besonders gefährdet sind, im Laufe ihres beruflichen Werdegangs ein Burnout zu entwickeln. An dieser Stelle lässt sich also ein enger Bezug zur Sozialen Arbeit und deren Profession herstellen. Diese Hypothese kann beispielweise mit der nachfolgenden Statistik untermauert werden, nach der die Berufsständigen aus dem Bereich der Sozialarbeit und Sozialpädagogik durchschnittlich 28,1 Arbeitsunfähigkeitstage im Jahre 2018 - aufgrund von Burnout-Erkrankungen - ansammelten und damit berufsübergreifend betrachtet einen schockierenden zweiten Platz belegten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5. Berufsgruppen mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von Burn-out-Erkrankungen nach Falldauer im Jahr 2018 (AU-Tage Je Fall). Wissenschaftliches Institut der AOK (WldO), 2019, Online.
Hiervon abweichend sehen Quernheim und Freudenberger die Ursachen eines Burnout-Syndroms vornehmlich im allgemeinen beruflichen Stressempfinden verortet. So heißt es bei Quernheim weiter, dass der Betroffene mit seiner Begabung für seine Tätigkeit „brannte“, jetzt aber „erloschen“ sei (vgl. Quernheim, 2010, S. 3). Er habe anfänglich eine von Optimismus geprägte Einstellung besessen, welche sich jedoch in eine negative und belastende Ansicht des beruflichen Wirkens gewandelt habe (vgl. ebd.).
Die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitszustände“ (ICD), welche das im weltweiten Vergleich bedeutsamste und anerkannteste Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen darstellt und von der Weltgesundheitsorganisation (engl.: World Health Organization - WHO) herausgegeben wird, sieht in ihrer derzeit gültigen 10. Revision (ICD-10-WHO) keine eigene Definition von Burnout vor. Vielmehr klassifiziert sie Burnout im Kapitel XXI („ Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“) unter dem Zusatzdiagnoseschlüssel Z73.0 bei „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ als „Ausgebranntsein [Burn-out]“ und „Zustand der totalen Erschöpfung“ (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, 2020, Online; vgl. auch Burisch, 2014, S. 7). Die Z-Kategorien Z00-Z99 umfassen grundsätzlich nur Diagnosen oder Probleme, die nicht als Krankheit unter die
[...]