Resilienz. Kompetenzen und Methoden zur Förderung der psychischen Widerstandskraft in der Schule


Bachelorarbeit, 2015

117 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Systematische Literaturrecherche

2 Resilienz
2.1 Vorläufer und verwandte Forschungsgebiete
2.1.1 Bindungstheorie
2.1.2 Salutogenese
2.1.3 Coping
2.2 Resilienzforschung
2.2.1 Pioniere der Resilienzforschung
2.2.2 Aktueller Forschungsstand
2.2.3 Resilienzbegriff und Resilienzdebatte

3 Resilienzförderung
3.1 Grundlagen der Resilienzförderung
3.2 Vorschulische Rersilienzförderung
3.2.1 Resilienzförderung in der frühen Kindheit
3.2.2 Resilienzförderung in Kita, Kindergarten und Vorschule

4 Methoden zur Resilienzförderung in der Schule
4.1 Schulischer Bildungsauftrag
4.2 Beispiele resilienzfördernder Methoden in der Schule
4.3 Service-Learning/Lernen-durch-Engagement
4.4 Prävention und Resilienzförderung in Grundschulen - PRiGS

5 Kompetenzen zur Resilienzförderung in der Schule
5.1 Schule als Risiko- oder Schutzfaktor
5.2 Lehrerkompetenzen
5.3 Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs

6 Resümee

7 Literatur

Einleitung

Resilienz ist ein Phänomen, das in vielen wissenschaftlichen Disziplinen behandelt wird, in denen Systeme beschrieben und erforscht werden, die interaktiv und dynamisch agieren. Für uns Menschen ist die Interaktion mit der Umwelt ein elementarer Bestandteil des Lebens. Die Gesundheit eines Menschen hängt wesentlich davon ab, wie gut es ihm gelingt, auf die Herausforderungen oder Gefahren, mit denen er in seiner Umgebung konfrontiert ist, zu reagieren. Vom Kind sind verschiedene Entwicklungsaufgaben in der Interaktion mit den Eltern, der Familie und der weiteren Umwelt zu bewältigen, deren Erfolg oder Misserfolg die Entwicklung der psychischen Widerstandskraft in jedem Augenblick beeinflussen. Es gibt besonders sensible Entwicklungsphasen, die besondere Anforderungen an ihre Bewältigung stellen, wie z.B. Schuleintritt oder Pubertät.

Die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist ein wesentliches Ziel der Pädagogik auch in der Schule. In dieser Arbeit wird Resilienz (seelische Widerstandsfähigkeit) speziell für den Bereich von schulischer Pädagogik behandelt, um Lehrern, Eltern und anderen Bezugspersonen, die auf die Entwicklung der Kinder positiven Einfluss ausüben wollen, für dieses Thema zu sensibilisieren. Eingegrenzt wird das Thema einerseits auf die Darstellung und Untersuchung resilienzfördernder Methoden, die in der Schule Anwendung finden und andererseits auf die Kompetenzen, die der Lehrer braucht, um resilienzfördernden Unterricht zu gestalten.

Vorausgesetzt, dass Resilienz durch pädagogisches Verhalten und Maßnahmen bei Kindern in der Schule gestärkt werden kann, ergeben sich folgende Schlüsselfragen für die Praxis, die in dieser Arbeit beantwortet werden sollen:

- Welche Methoden zur Förderung der Resilienz gibt es, die schon erfolgreich in der Schule angewendet werden?
- Welche Kompetenzen des Lehrers sind erforderlich für einen resilienzfördernden Unterricht?

Dies ist eine literaturbasierte Arbeit. Ihr liegt eine systematische Literaturrecherche zugrunde mit dem Ziel die Fragestellungen auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands zu beantworten.

Aufbau: In der vorliegenden Arbeit wird zuerst die Systematik der hier durchgeführten Literaturrecherche transparent gemacht (1).

In 2 werden Vorläufer und verwandte Forschungsgebiete vorgestellt, um einen sinnvollen Zugang zu dem Grundgedanken des Forschungsgegenstandes „Resilienz“ zu ermöglichen, bevor der aktuelle Stand der Resilienzforschung dargestellt wird (2.2).

Dann werden die Gründe dargestellt, warum die Förderung von psychischer Widerstandskraft notwendig ist (3). Diese Erkenntnisse sind die Grundlage für alle präventiven Fördermaßnahmen. Bevor die Förderung der Resilienz in der Schule ins Blickfeld gerät, wird sie im Bereich der vorschulischen Kindheit betrachtet. Dann werden Beispiele resilienzfördernder Methoden in der Schule vorgestellt und zwei davon näher behandelt, weil sie in deutschen Schulen bereits Anwendung finden (4).

In Teil 5 wird die zweite Forschungsfrage dieser Arbeit diskutiert: Welche Kompetenzen es gibt, die in den Interaktionen von Lehrern mit ihren Schülern eine resilienzfördernde Wirkung entfalten, und wie diese Kompetenzen von Lehrern zu erwerben sind.

Im Resümee dieser Arbeit werden die wesentlichen Antworten, die auf die beiden Forschungsfragen gefunden werden konnten, zusammengefasst (6). Es werden Forschungsfragen- und Lücken aufgezeigt, die im Laufe dieser Arbeit sichtbar geworden sind.

Das Thema Resilienz hat mich angesprochen, weil ich es gut finde, dass hier der Blick auf Stärken und Ressourcen statt auf Schwächen und Defiziten gerichtet ist. Andererseits ist mir bewusst, dass ich als zukünftiger Lehrer Schüler unterrichten werde, deren psychische Widerstandskraft wegen vielfältiger Belastungen in ihrer Umwelt einer Stärkung bedarf. Hier Methoden und Kompetenzen kennenzulernen, die für Lehrer relevant sind für die unterrichtliche Praxis, wurde zum zentralen Forschungsinteresse dieser Arbeit.

1. Systematische Literaturrecherche

Datenbanken: Für die Literaturrecherche wurde eine Reihe von Datenbanken verwendet. Ein Großteil dieser Datenbanken wurde über den Index von Meta- Suchportalen verwendet. Diese Zusammenschlüsse von Datenbanken basieren auf Kooperations-Gemeinschaften unterschiedlicher Forschungseinrichtungen. Diese haben weltweit ihre digitale Forschung vereint. So hat jeder besseren Zugriff und einen größeren Datenpool zur Verfügung.

Für diese Arbeit wurden insgesamt drei dieser Suchportale für die Literaturrecherche verwendet:

1) Das Suchportal EBSCOhost, in dem die Datenbanken PsycINFO, PSYNDEX und PsycARTICLES zusammengefasst sind, bietet eine Mischung aus englischer und deutscher Literatur. Um Zugriff auf dieses Portal zu bekommen, kann man sich als Student der Europauniversität über die Autorisierungssoftware „Shibboleth“ mit seinen Universitäts­Zugangsdaten „einloggen“. Bei der Datenbank PsycARTICLES und PsycINFO handelt es sich um umfangreiche englische Zeitschriften- und Artikelsammlungen, von denen ein Großteil als Volltext von der American Psychology Association (APA) und Partnern zur Verfügung gestellt wird. PSYNDEX umfasst deutschsprachige Literatur, wobei hier hauptsächlich Literaturhinweise und Abstracts zu finden sind.

URL:http://search.ebscohost.com/login.aspx?authtype=ip,uid&profile=ehost&defaultdb=pdh

2) Als zweites Suchportal kam PubPsych zum Einsatz. Dieses vereint die Datenbanken PSYNDEX, PASCAL, ISOC-Psicologia, MEDLINE, ERIC, NARCIS, NORART, PsychOpen und PsychData.

Bei diesem Portal wurde der Großteil deutscher Schlüsselwörter eingesetzt, darunter führte beispielsweise die Schlagwortkombination Resilienz, Methode und Schule, mit ODER als Operator, zu dem Sammelband „Handbuch Resilienzförderung“, das einen wichtigen Teil der in dieser Arbeit verwendeten Primärliteratur ausmacht.

URL: http://pubpsych.zpid.de/pubpsych/

3) Das dritte Suchportal dieser Literaturrecherche war PsychSpider, in dem die Datenbanken ERIC, PsychData, MEDLINE, SSG Opac, PSYNDEX und die Daten der Internetseite ZPID indiziert werden.

URL: http://www.zpid.de/PsychSpider.php

Außerdem wurden die Online-Kataloge der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg und der Zentralbibliothek Flensburg in Anspruch genommen.

URL: https://beluga.sub.uni-hamburg.de/vufind/

Schlüsselwörter: Zu Anfang der systematischen Literaturrecherche wurden Schlüsselwörter gesammelt, die für eine Sichtung der für die Forschungsfragen relevanten Literatur zusammengetragen wurden. Diese wurden zielführend und sinnvoll kombiniert und eingesetzt. Da sowohl englischsprachige Quellen als auch deutsche Datenbanken genutzt wurden, war es erforderlich, die Begriffe ins Englische zu übersetzen und dann die englischen Begriffe in die englischen Datenbanken einzugeben. Teilweise war eine direkte Übersetzung nicht zielführend, weil sie nicht sinngemäß war. In solchen Fällen wurden die Synonyme gesucht, die der Bedeutung des deutschen Begriffs entsprechen.

Die eingesetzten Schlüsselwörter:

Deutsch: Resilienz, Resilienzförderung, Methoden, Kompetenzen, Schule, Kinder, Förderung, Schutzfaktoren, Risikofaktoren, Resilienzforschung, Studien, Meta-Analyse.

Englisch: resilience, resiliency, resilient, programs, competencies, promoting, skills, coping, school, children, development, enhancing, foster, promoting, protective factors, risk factors, research, meta-analysis.

Suchstrategie: Die Schlagwortsuche wurde hauptsächlich als Suchstrategie während der Literaturrecherche eingesetzt. Sie führte oft zur relevanten und eingesetzten Literatur, wobei Schlüsselwörter so kombiniert wurden, dass sie Ergebnisse hervorbrachten, die zur Beantwortung der Fragestellung relevant waren. Die Schlagwortsuche wurde auch in Verbindung mit Boolschen Operanten eingesetzt. Der Operant „ODER“ wurde für eine Erhöhung der Trefferquote eingesetzt, wenn die Anzahl der Treffer gering ausfiel. Der Operant „UND“ wurde bei einer hohen Trefferqoute angewendet, um Suchergebnisse präziser in Bezug auf die Fragestellungungen dieser Arbeit einzugrenzen.

Als weitere Suchstrategie zur Sichtung relevanter Literatur wurden Literaturverzeichnisse durchsucht. Besonders die Literaturverzeichnisse der wertvollen Sammelbände, wie etwa das „ Handbook of Resilience in Children “ von Goldstein & Brooks (2014) oder „ Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resilienz “ von Opp & Fingerle (2008), waren in dieser Hinsicht ergiebig.

Zum Teil wurden aber auch unkonventionelle Methoden eingesetzt. So konnte beispielsweise ein persönlicher E-Mail-Kontakt zu Shelley Billig aufgenommen werden, einer führenden Forscherin im Bereich Service-Learning in den USA. Ihre wertvollen Hinweise führten dann zu einem sehr aktuellen und für die Methodenfrage aufschlussreichen Werk Handbook of Social and Emotional Learning (Durlak et al., 2015).

Filter: Bei der Recherche in den Datenbanken wurden Filter eingesetzt, um Literatur einzugrenzen. Damit der aktuelle Forschungsstand gesichtet werden konnte, wurde der Filter „Neueste zuerst“ eingesetzt, um absteigend die neueren Publikationen zu erhalten. Um Meta­Analysen zu finden wurde der Filter „Meta-Analyen“ eingesetzt.

Einschluss- und Ausschlusskriterien: Als wichtiges Kriterium für die Auswahl der verwendeten Literatur galt, dass am Ende der Recherche eine ausgewogene Mischung aus verschiedenen Medien wie Monographien, Zeitschriftenartikel oder Sammelwerken vorhanden war. Außerdem war ein wichtiges Kriterium die Aktualität der Literatur.

Beschaffung der Literatur: Der Großteil der Monographien und Sammelbände, von denen vor allem die Sammelbände die genutzte Primärliteratur ausmachten, wurde auf folgendem Wege beschafft: Die gesichtete Literatur war entweder direkt mit einem Bibliotheken­Netzwerk wie „Worldcat“ verknüpft oder wurde anhand der ISBN-Kennung oder des Titels im Online-Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg lokalisiert. Durch anschließende Entleihungen konnte der Großteil dieser Bücher beschafft werden.

Ein Teil der Bücher wurde im Buchladen erworben.

Einen weiteren großen Teil der gesichteten und verwendeten Literatur dieser Arbeit stellten Zeitschriftenartikel in digitaler Form dar. In der Regel wurden diese als PDF-Dateien heruntergeladen.

2 Resilienz

Der Begriff „Resilienz“ ist abgeleitet aus dem Englischen „resilience“ und heißt „Spannkraft, Widerstandskraft, Elastizität, Unverwüstlichkeit“. Es geht dabei um die Fähigkeit einer Person oder eines Systems (z.B. einer Familie), sich von belastenden Umständen nicht „unterkriegen zu lassen“ oder daran zu zerbrechen, sondern erfolgreich damit umzugehen. In der Fachdiskussion werden Begriffe wie „Stressresistenz“, „psychische Robustheit“ oder „psychische Elastizität“ ähnlich verwendet (Wustmann, 2015). Wenn sich Menschen trotz widriger Lebensumstände oder gravierender Belastungen gesund entwickeln, bezeichnet man sie als „resilient“. Resilienz ist immer variabel und kontextabhängig - eine Anpassungs­leistung an die soziale Umwelt - und damit keine festgeschriebene Eigenschaft der Persönlichkeit. Ein Individuum kann in der einen Situation Belastungen standhalten und sich als widerstandsfähig - resilient - erweisen, in einer anderen Situation an belastenden Umständen zerbrechen. Corina Wustmann definiert Resilienz als „eine psychische Widerstandsfähigkeit [...] gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (Wustmann, 2015, S. 18).

2.1 Vorläufer und verwandte Forschungsgebiete

Als Vorläufer und verwandte Forschungsgebiete, welche die Resilienzforschung stark beeinflusst haben und im Rahmen der Resilienzförderung immer wieder eine Rolle spielen, werden im Folgenden in 2.1.1 die Bindungstheorie von Bowlby, in 2.1.2 die Salutogenese von Antonovsky und in 2.1.3 das Coping von Lazarus/Launier vorgestellt.

2.1.1 Bindungstheorie

Die Bindungstheorie ist für das Thema dieser Arbeit wichtig, weil sie aufzeigt, wie und in welcher Weise eine sichere Eltern-Kind-Bindung entsteht. Eine sichere Eltern-Kind-Bindung gilt als wesentlicher Schutzfaktor für die weitere Entwicklung des Kindes (Fingerle, 2011; Suess, 2007). Für die frühe Kindheit ist eine solche verlässliche Beziehungsstruktur, die von Sicherheit, Unterstützung und der Möglichkeit zur Erkundung der Umwelt geprägt ist, sogar die wesentlichste psychosoziale Ressource für eine positive Entwicklung (Fingerle, 2011). „Längsschnittuntersuchungen bei [...] Kindern haben gezeigt, dass die frühe sozial-emotionale Bindung des Kindes einen wichtigen Pfeiler für seine soziale und seine Selbstwertentwicklung darstellt“ (Rauh, 2008, S. 181). Sie entsteht durch eine große Anzahl von überwiegend positiven Interaktionen zwischen Eltern und Kind. Die Bindungstheorie zeigt aber auch detailliert die elterlichen Verhaltensweisen, unter denen unsichere Bindungsstrategien vom Kind entwickelt werden. John Bowlby gilt als der Begründer der Bindungstheorie (Bowlby, 1988). In einem von Mary Ainsworth, einer Mitarbeiterin von John Bowlby, entwickelten Test wird unter Laborbedingungen eine klare Abfolge von Trennungs- und Wiedervereinigungs-Sequenzen zwischen Kindern und deren Bindungspersonen (meist der Mütter) inszeniert. Je nach der Qualität der Erfahrungen mit ihrer jeweiligen Bindungsperson entwickeln die Kinder einen von vier Bindungstypen (Bowlby, 2008):

Der sicher gebundene Bindungstyp (B)

Wenn ein Kind dieses Bindungstyps von seiner Bindungsperson getrennt wird, weint es oder versucht, ihr hinterher zu krabbeln. Wenn das Kind wieder mit seiner Bindungsperson vereinigt ist, lässt es sich schnell wieder beruhigen und beginnt dann, von „sicherer Warte“ aus, seine Umgebung zu erkunden. Sowohl seine Sicherheits- wie auch seine Autonomiebedürfnisse sind befriedigt. Das Verhalten dieses Bindungstyps hat seinen Ursprung in Erfahrungen, in denen seine Bindungsperson in Angst- und Stresssituationen zuverlässig für das Kind da war und ihm unmittelbar in feinfühliger Weise Rückhalt und Trost gegeben hat.

Der unsicher-vermeidende Bindungstyp (A):

Ein Kind dieses Bindungstyps reagiert kaum mit Kummer oder Trauer auf die Trennung von seiner Bindungsperson. Wenn das Kind wieder mit seiner Bindungsperson vereinigt ist, vermeidet es eher den Kontakt mit ihr oder ignoriert sie sogar. Dieses Verhalten hat seinen Ursprung in Erfahrungen des Kindes, in denen es seitens der Bindungsperson abgelehnt wurde oder diese bei Angst oder Kummer nicht zur Verfügung stand, um Trost und Unterstützung zu geben. Ein Kind dieses Bindungstyps hat oft einen eingeschränkten Zugang zu seinen Gefühlen. Der unsicher-ambivalente/unsicher widersetzende Bindungstyp (C)

Ein Kind dieses Bindungstyps zeigt in der Trennungssituation starke Emotionen und lässt sich nur schwer beruhigen, wenn es mit seiner Bindungsperson wieder vereint ist. Es zeigt ein ambivalentes Verhalten, indem es einerseits den Kontakt zu seiner Bindungsperson sucht, sie aber auf der anderen Seite ablehnt. Das Kind dieses Bindungstyps erkundet kaum seine Umgebung. In der Vergangenheit hat die Bindungsperson zwar ab und zu unmittelbar und feinfühlig auf emotionale Situationen reagiert, in anderen Situationen aber nicht. Ein Kind dieses Bindungstyps weiß daher nie genau, ob es sich in Angst- und Stresssituationen auf seine Bindungsperson verlassen kann. Unter sein Bindungsbedürfnis mischt sich immer wieder Ärger, daher heißt dieser Bindungstyp auch „unsicher widersetzend“.

Der desorientiert-desorganisatorische Bindungstyp (D)

Ein Kind dieses Bindungstyps zeigt bizarre Verhaltensweisen, z.B. das „Einfrieren“ des Gesichtsausdrucks oder starre, stereotype Bewegungen bei der Wiedervereinigung mit seiner Bindungsperson, wodurch die Bindungsstrategie unterbrochen ist. Dieses Verhalten hat häufig seinen Ursprung in erlittenem Missbrauch des Kindes, in Gewalt in der Ehe oder einem unverarbeiteten Verlust oder Trauma eines Elternteils.

Im deutschsprachigen Raum sind etwa die Hälfte aller Kinder sicher gebunden, fast ein Drittel unsicher-vermeidend gebunden, fast ein Fünftel desorientiert/desorganisiert gebunden und ca. 7% unsicher-ambivalent gebunden (Hoffmann & Castello, 2014).

Mit dem jeweiligen Bindungsverhalten ist das Explorationsverhalten von Kindern verknüpft, d.h. der Drang, ihre Umwelt zu erkunden. Bei einer sicheren Bindung erkundet das Kind weitläufig seine Umgebung - es weiß, dass es sich auf seine Bindungsperson verlassen kann und von ihr willkommen geheißen wird, wenn es zu ihr zurückkehrt. Kinder haben ihre erwachsenen Bezugspersonen als „sichere Basis“ immer wieder erlebt, so ähnlich, wie Forscher ihr Basislager aufsuchen, wenn Gewitter aufzieht oder der Proviant aufgefüllt werden muss, um dann von diesem Basislager aus weiter ihre Umwelt zu erforschen (Bowlby, 1988). Kinder mit einer sicheren Bindung haben gelernt, aktiv auf diese „sichere Basis“ zuzugreifen. Eine Beziehung, die als „sichere Basis“ fungiert, ist flexibel und belastbar und kann Erschütterungen und Konflikte abfedern, ohne dass sie daran zerbricht. Die Bedürfnisse der Akteure werden immer wieder neu justiert und aufeinander abgestimmt. Das Kind integriert mit zunehmendem Alter die Qualität dieser „sicheren Basis“ mehr und mehr ins eigene Selbst und entwickelt zunehmend die Fähigkeit, sich selbst als „sichere Basis“ zu erleben. (Suess, 2007). Bowlby ging davon aus, dass die Bedeutung einer „sicheren Basis“ ein Leben lang Gültigkeit hat, und sich auch in allen intimen Beziehungen - z.B. Freundschafts- oder Partnerbeziehungen - wieder finden lässt.

Bei Kindern mit unsicherer Bindung ist das Risiko für spätere Fehlentwicklungen erhöht, weil es ihnen an dem Schutz mangelt, der Kindern mit sicherer Bindung zur Verfügung steht, um die im Laufe ihres Lebens auftretenden Risiken (z.B. Trennung der Eltern) aufzufangen und abzupuffern. So ist eine unsichere Bindung kein Risikofaktor an sich, sondern fehlender Schutz vor auftretenden Risiken (Suess, 2007). Später, im Kindergarten, baut das Lernen mit Gleichaltrigen im optimalen Falle auf dem sicheren Bindungshintergrund der frühen Kindheit auf. Das Vermögen, seine Emotionen zu regulieren, ist in den vielfältigen Interaktionen mit Gleichaltrigen wichtig und fällt Kindern mit positiven familiären Bindungserfahrungen relativ leicht. Kinder mit negativen oder ambivalenten Bindungserfahrungen stehen sich manches Mal selbst im Weg mit ihrem oft problematischen Verhalten, indem sie z.B. Zurückweisung erwarten und sich feindselig verhalten, Ablehnung provozieren oder sich sozial isolieren. Sie haben häufig Probleme, sich in einer Gruppe von Gleichaltrigen zu integrieren, weil ihre Kompetenz, Emotionen zu regulieren, unzureichend entwickelt ist, wodurch sie öfter „ausrasten“ und damit andere Kinder - deren Nähe sie eigentlich wünschen und dringend bräuchten - vor den Kopf stoßen. „Insgesamt führt soziale Kompetenz im Kindergartenalter zu sozialer Kompetenz in der mittleren Kindheit und später dann im Jugendalter“ (Suess, 2007, S. 111).

Die Betrachtung sicherer und unsicherer Bindungsformen ist aus psychologischer und pädagogischer Sicht von Interesse, wenn es z.B. darum geht, durch Feinfühligkeitsprogramme die Interaktion zwischen Müttern und kleinen Kindern zu verbessern, damit die Mütter feinfühliger auf die Bedürfnisse und Signale ihrer Babies reagieren und eine sichere Bindung entstehen kann (siehe 3.2.1)

Die schlechte Botschaft ist, dass etwa die Hälfte aller Kinder über keine sichere Bindung verfügt (s.o.). Die gute Botschaft ist, dass - weil Bindungserfahrungen grundsätzlich ein Leben lang revidierbar sind - alternative Bindungspersonen wie Kindergärtner oder Lehrer den Kindern neue, qualitativ andere Bindungserfahrungen ermöglichen können, sodass sich eine „sicherer Bindung“ anbahnen kann. Das setzt aber voraus, dass die Pädagogen dem Kind fortlaufend in zugewandter, fürsorglicher und konsistenter Weise begegnen (Hoffmann & Castello, 2014).

So können Lehrer älteren Kindern ein „Nachreifen“ in Bezug auf positive Bindungs­erfahrungen ermöglichen, was im Abschnitt 5. dieser Thesis näher thematisiert wird.

2.1.2 Salutogenese

Die Salutogenese (lat. salus „Gesundheit“, und -genese „Entstehung/Schöpfung“, also die Entstehung von Gesundheit) steht im Gegensatz zur Pathogenese (Entstehung von Krankheit), und drückt einen Paradigmawechsel aus. Wo bislang das Bekämpfen der Ursachen und Symptome von Krankheiten unser Verständnis von Gesundheit prägte, ging es dem Begründer der Salutogenese, Aaron Antonovsky, darum, zu erforschen, warum viele Menschen trotz zahlreicher pathogener Einflüsse gesund bleiben oder es wieder werden. Dabei richtet sich der Blick von Antonovsky auf den einzelnen Menschen als ein ganzheitliches und dynamisches System, dem Bewältigungskompetenzen und Gesundheitsressourcen zur Verfügung stehen. Auch die Resilienzforschung konzentriert sich auf Ressourcen und Schutzfaktoren zur Bewältigung von Risikolagen. Krankheit und Gesundheit sind nach Antonovsky keine statischen Zustände, sondern stellen zwei Pole dar, zwischen denen sich der Mensch auf einem Kontinuum bewegt. Ein wesentlicher Faktor zur Förderung der Gesundheit ist nach Antonovsky das Kohärenzgefühl („sense of coherence“). Er beschreibt dieses als „[...] eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchgehendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl der Zuversicht hat, dass

- die Ereignisse der eigenen inneren und äußeren Umwelt im Lebenslauf strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind
- die Ressourcen verfügbar sind, um den durch diese Ereignisse gestellten Anforderungen gerecht zu werden
- diese Anforderungen als Herausforderungen zu verstehen sind, die es wert sind, sich dafür einzusetzen und zu engagieren“ (Antonovsky, 1997, S. 16).

Diese drei Komponenten werden kurz als Verstehbarkeit („sense of comprehensibility“), Gefühl der Handhabbarkeit („sense of managability“) und dem Gefühl der Sinnhaftigkeit („sense of meaningfulness“) beschrieben. Die letzte Komponente beantwortet die Fragen: Lohnt es, sich für die Lösung eines Problems einzusetzen, und grundlegend: Erscheint das Leben es wert, Energie einzusetzen, um gestellte Anforderungen zu bewältigen? Wenn das Gefühl der Sinnhaftigkeit nicht da ist - das wesentlich die Motivation bestimmt - wird Verstehbarkeit nicht geprüft und Handhabbarkeit nicht in Betracht gezogen; es fehlt jegliche Motivation zum Handeln. Von daher maß Antonovsky dem Gefühl der Sinnhaftigkeit den größten positiven Einfluss auf die Gesundheit zu. Die Sinnhaftigkeit wird gestärkt, indem Menschen bedeutsame Partizipationserfahrungen machen, die auf eigenes Tun und eigene Entscheidungen zurück zu führen sind.

Das Thema der Sinnhaftigkeit und der damit verbundenen Motivation wird in Punkt 4 und 5 in Bezug auf Unterrichtsgestaltung näher erörtert.

2.1.3 Coping

Als Coping kann man allgemein das Bewältigungsverhalten bezeichnen, das von inneren psychischen Anstrengungen zeugt und der Bewältigung von umweltbedingten psychischen Stressbelastungen dient (Wustmann, 2015). Die wesentlichen Ziele dieser Verhaltensweisen zur Stressbewältigung wurden von Wustmann zusammengefasst:

- „Den schädigenden Einfluss von Umweltbedingungen zu verringern,
- Gegebenheiten für Erholung zu verbessern,
- Emotionales Wohlbefinden und Sozialbeziehungen aufrecht zu erhalten sowie
- Ein positives Selbstbild zu sichern.“ (Wustmann, 2015, S. 76)

Dabei ist die subjektive Einordnung und Bewertung der Stresssituation aufgrund von früheren, vergleichbaren Erfahrungen für das folgende Handeln ein ebenso entscheidender innerer Prozess, wie das Prüfen, Einschätzen und Bewerten der eigenen Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten. Dieser Prozess führt, getrieben von subjektiven Faktoren, hin zu einer Bewertung der Situation und anschließend zu einer Auswahl einer Bewältigungsstrategie, die sich im gezeigten Verhalten wiederspiegelt. Die Stresssituation wird interpretiert sowohl von internalen Faktoren (z.B. Gefühl der Selbstwirksamkeit, Selbstwertgefühl, Kompetenzen und Werten), als auch von externalen Faktoren (z.B. soziale Unterstützung) (Wustmann, 2015). Dabei deuten typische Verhaltensmuster darauf hin, zu welch einem Resultat der Prozess der Stressbewältigung beim Menschen jeweils führt (Castello, 2014).

Die individuell gewählten Stressbewältigungsversuche weisen eine große Diversität auf: von aggressiver Reaktion, vermeidendem oder ausweichenden Verhalten bis hin zur aktiven Problemlösung sind viele Varianten möglich, die mehr oder weniger zielführend sind, was die Problemlösung betrifft. Das Kriterium dafür, ob ein Bewältigungshandeln als günstig angesehen wird oder nicht, hängt davon ab, wie nachhaltig das Ergebnis stressreduzierend ist. Bei Grundschülern ist es z.B. vorteilhafter, wenn diese Stress problemorientiert zu bewältigen versuchen, als durch vermeidendes oder emotionsorientiertes Handeln. Grundschüler, die aktiv ein Problem zu lösen versuchen, gewinnen in der Regel an Selbstwirksamkeitskompetenz - einem wichtigen Resilienzfaktor - im Gegensatz zu denjenigen, die in Bezug auf das Problem emotionsorientierte oder vermeidende Bewältigungsstrategien anwenden (Castello, 2014).

„Werner (2008) berichtet, dass die widerstandsfähigen Kinder der Kauai-Studie stesserzeugende Situation besser einschätzen konnten und ein vielfältiges Repertoire an flexiblen Bewältigungsstrategien zur Verfügung hatten.“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014, S. 52)

2.2 Resilienzforschung

Die Entwicklung der Resilienzforschung kann zeitlich, aber vor allem anhand des Erkenntnisgewinns und thematischer Fokussierung, in vier Wellen eingeteilt werden. In der ersten Welle ging es um die Identifizierung persönlicher Eigenschaften und Merkmale von Individuen, die sich im Vergleich zu anderen als besonders resistent gegenüber Stress und Risikolagen erwiesen. Die erste große Langzeitstudie - die bis heute meist zitierte Studie auf diesem Forschungsgebiet - stellt die Kauai-Studie von Werner & Smith dar, in der zum ersten Mal die wesentlichen „Schutzfaktoren“ erforscht und empirisch belegt wurden (siehe 2.2.1). Die zweite Welle der Resilienzforschung entwickelte sich aufgrund des Erkenntnisgewinns, dass Resilienz nicht einfach das Resultat feststehender persönlicher Schutzfaktoren ist, sondern als dynamischer Prozess gesehen werden muss, in dem es Faktoren gibt, die erst abhängig vom Kontext als Risiko- oder Schutzfaktoren auszumachen sind. Anstatt sich ausschließlich auf das Individuum zu konzentrieren, wurde die Bedeutung der kindlichen Entwicklung und der Interaktionen des Individuums mit seiner Umwelt immer deutlicher. Diese beiden Wellen können als Grundlage gesehen werden für die dritte Welle, die der Frage nachgeht, wie Resilienz mit Hilfe des bisher gewonnenen Erkenntnisgewinns gefördert werden kann. Mit dem Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen Entwicklungsaufgaben und Resilienz wurde diesem Forschungszweig besonders von Pädagogen, Erziehungswissenschaftlern und Entwicklungspsychologen vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Auch diese Arbeit kann in diesen Bereich eingeordnet werden. Die vierte Welle der Resilienzfoschung konzentriert sich auf die Dynamik von Prozessen zwischen verschiedenen Systemen. Damit ist das Einbeziehen biologischer Systeme und Prozesse gemeint, speziell die Epigenetik und Neurobiologie, mit dem Ziel, einen multisystemischen und ganzheitlicheren Erklärungsansatz zu verfolgen und das Resilienzkonzept in einen größeren Zusammenhang zu stellen (Wright, Masten & Narayan, 2014).

2.2.1 Pioniere der Resilienzforschung

Norman Garmezy führte vor über 50 Jahren das Konzept der Resilienz in die wissenschaftliche Forschung ein (Reyes, Elias, Parker & Rosenblatt, 2014). Es gibt einige Pioniere der Resilienzforschung (Werner und Smith, Garmezy, Rutter, Grotberg u.a.), die seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in ihren Studien eine nicht unerhebliche Anzahl von Kindern „entdeckten“, die trotz hoher Risikolage schon in frühester Kindheit ihrem Alter gemäß erfolgreich Entwicklungsaufgaben bewältigten und - wider Erwarten - bis in die Zeit ihres Erwachsenen-Lebens keine oder nur geringe Anzeichen einer pathologischen Entwicklung zeigten. Der Fokus der Resilienzforschung ist es bis heute, die für dieses resiliente Verhalten verantwortlichen Faktoren ausfindig zu machen und herauszufinden, wie diese zu aktivieren und zu fördern sind - besonders bei Hoch-Risiko-Kindern, aber auch bei Kindern, die unter „normalen“ Bedingungen aufwachsen.

Die Kauai-Pilotstudie der Resilienzforschung wurde von Werner und Smith auf der Hawaii­Insel Kauai durchgeführt. Sie gilt als die älteste, bekannteste und größte Längsschnittstudie der Resilienzforschung, d.h. sie erstreckte sich über einen langen Zeitraum und konnte damit Entwicklungsstadien erfassen. Die Kohorte bestand aus 698 asiatischen und polynesischen Kindern, was dem gesamten Geburtsjahrgang 1955 entsprach. Ziel der Studie war es, die Langzeitfolgen von vor der Geburt und während der Geburt auftretenden Risikobedingungen zu untersuchen und herauszufinden, welche Auswirkungen ungünstige Lebensumstände in der frühen Kindheit auf die physische, psychische und kognitive Entwicklung dieser Kinder hatten. Bei einem Drittel der überlebenden Kinder konnte ein hohes Entwicklungsrisiko festgestellt werden, d.h. die Kinder waren vor ihrem zweiten Lebensjahr mindestens vier risikoerhöhenden Bedingungen ausgesetzt wie z.B. Alkoholismus und psychischen Erkrankungen der Eltern, anhaltendem häuslichen Streit und Vernachlässigung. Auskünfte über die Kinder und ihre Familien wurden bei der Geburt erfasst, in der Zeit unmittelbar nach der Geburt und im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren. Zwei Drittel dieser „Hoch-Risiko-Kinder“ zeigten mit 10 Jahren Auffälligkeiten und Störungen wie Lernschwierigkeiten, stark aggressives Verhalten oder Abhängigkeitsprobleme. Das Erstaunliche war: Das restliche Drittel entwickelte sich trotz multipler Risikobelastung zu leistungsfähigen, selbstsicheren und zuversichtlichen, „resilienten“ Erwachsenen. Werner identifiziert in ihrer Studie schützende Faktoren, die in der Lage sind, schädigende Ereignisse oder Einflüsse abzumildern und dadurch eine positive Entwicklung zu ermöglichen. Im frühen Kindesalter sind es hauptsächlich konstitutionelle Merkmale des Kindes wie Gesundheitszustand und Temperament, die eine schützende Wirkung ausüben. Im Schulalter sind es Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeiten und das Vorhandensein von mindestens einem zuverlässigen, zugewandten Erwachsenen (z.B. einem Lieblingslehrer) in der Umgebung des Kindes, die als Schutzfaktoren wirken; in der Jugendzeit sind es interne Kontrollüberzeugungen und Zielbestimmtheit. Folgende Faktoren wurden als Prädikatoren dafür identifiziert, ob ein Mensch im mittleren Lebensalter eine positiv angepasste, altersgemäße Entwicklung zeigte: mütterliche Kompetenz, Anzahl unterstützender Helfer in der Familie bis zum Alter von 10 Jahren, schulische Kompetenz inkl. altersgemäßer Lesefähigkeiten, Gesundheitszustand des Kindes (Werner, 2011). Auch alle späteren internationalen Längsschnittstudien auf drei Kontinenten (USA, Europa und Australien) „haben [...] gezeigt, dass das Phänomen der Resilienz auf reziproken Effekten beruht, mithin auf dem Zusammenspiel von schützenden Faktoren im Kind, seiner Familie und seinem weiteren sozialen Umfeld“ (Werner, 2011, S. 34).

In dem „ Rochester Child Resilience Project “ konnte mithilfe von fünf Prädikatoren - emotionale Ausdrucksfähigkeit, Empathie, hohes Selbstwertgefühl, realistischer Attribuierungsstil (attribuieren = auf eine Ursache zurückführen), effektive Problemlösungs­fähigkeiten - mit einer Wahrscheinlichkeit von 84% vorausgesagt werden, ob Kinder aus Hoch­Risikolagen im späteren Leben als resilient galten oder eine fehlangepasste Entwicklung zeigten (Wustmann, 2015).

In Deutschland sind zwei Längsschnittstudien zur Resilienzforschung wichtig: die Mannheimer Risikostudie und die Bielefeler Invulnerabilitätsstudie (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014).

Die Mannheimer Risikostudie hatte eine Kohorte von 362 Kindern, die im Alter von 3 Monaten, 2, 4, 5, 8 und 11 Jahren untersucht wurden. Sie befasst sich mit den Chancen und Risiken von Kindern, deren gesunde Entwicklung durch frühe organische und psychosoziale Belastungen gefährdet war. Forschungsfragen waren u.a., welche Risikofaktoren existierten und welche eventuellen Schutzfaktoren vorhanden waren, um Belastungen auszugleichen (Laucht, 2003). Die Ergebnisse konnten die Aussagen von Werner & Smith bestätigen. Die Auswirkungen früher organischer und psychosozialer Risiken waren bis ins Grundschulalter nachweisbar. „Risikokinder wiesen danach bis zu dreimal häufiger Entwicklungsbeeinträchtigungen auf als unbelastete Kinder“ (Wustmann, 2015, S. 91). Zu den stärksten Risikofaktoren zählten organische Risiken (z.B. sehr niedriges Geburtsgewicht) und psychosoziale Risiken (z.B. unerwünschte Schwangerschaft, niedriges elterliches Bildungsniveau). Jene Kinder, „bei denen organische und psychosoziale Risikofaktoren kumulieren [...], weisen die bei weitem ungünstigste Entwicklungsprognose auf“ (Laucht, 2003, S. 59). Auch hier erwies sich ein positives, einfühlsames Verhalten der Mutter gegenüber dem Säugling als wichtiger Schutzfaktor, der die Prognosen für Kinder mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht und Kinder aus psychosozial stark belasteten Familien signifikant verbessern konnte (Wustmann, 2015).

Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie zählt als erste deutsche Resilienzstudie im engeren Sinne, weil sie spezifisch die seelische Widerstandskraft von Hoch-Risiko-Kindern untersuchte und dabei erfasste, welche Schutzfaktoren außerhalb der Familie zu einer resilienten Entwicklung beitragen können. Die Kohorte umfasste 146 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren, die alle in Heimen aufwuchsen, wovon 66 Jugendliche als resilient eingestuft wurden und 80 - bei ähnlicher Risikobelastung - starke Verhaltensauffälligkeiten zeigten und als nicht resilient eingestuft wurden. Die resilienten Jugendlichen zeigten, ähnlich wie in der Kauai- Studie von Werner & Smith, eine Reihe von Schutzfaktoren, wie z.B. ein flexibleres und nicht so impulsives Temperament und ein positives Selbstwertgefühl. Sie hatten eine realistischere Zukunftsperspektive und eine höhere Leistungsmotivation und bessere Leistungen in der Schule. Wie auch in der Kauai-Studie beobachtet wurde, hatten sie bedeutend öfter eine feste Bezugsperson außerhalb der Familie. Ob die Studienteilnehmer während des Untersuchungszeitraumes von 2 Jahren stabil resilient oder verhaltensauffällig blieben, hing wesentlich von der Qualität des Erziehungsklimas in dem jeweiligen Heim ab. Hierbei erwies sich ein autoritativer Erziehungsstil - charakterisiert u.a. durch Empathie und Grenzsetzung - als resilienzfördernd. Ein autoritärer, restriktiver Erziehungsstil hatte dagegen eine resilienzmindernde Wirkung (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014; Wustmann, 2015).

2.2.2 Aktueller Forschungsstand

Werners Vergleich von 19 Langzeitstudien: Werner identifiziert in einem Vergleich von 19 großen Längsschnittstudien auf drei Kontinenten, die mit unterschiedlichen ethnischen Gruppen durchgeführt wurden, folgende universelle Persönlichkeitseigenschaften von Hochrisiko-Kindern, die mit erfolgreichem Coping assoziiert werden und in mindestens zwei großen Längsschnittstudien nachgewiesen wurden: emotional gewinnendes Temperament, geringe Erregbarkeit, durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz, hohe Leistungsmotivation, positives Selbstkonzept, internale Kontrollüberzeugung, Impulskontrolle, Kohärenzgefühl, aktiv-lebhaftes Temperament, vorausschauendes Handeln (Werner, 2014). In letzter Zeit werden folgende Fragen in der Resilienzforschung diskutiert: Wirken protektive Faktoren, die Wirkungen von frühen Belastungen abpuffern, universell oder im jeweiligen soziokulturellen Kontext? Wie stark moderieren kulturelle Faktoren die Entwicklung von Resilienz? So berichten Autoren: „Researchers have begun to pay increasing attention to the role of culture in models of risk and resilience“ (Reyes et al., 2014, S. 353). Werner berichtet von dem Phänomen, dass Resilienz in Untersuchungen nicht direkt messbar ist, sondern nur im Wechselspiel von Risikofaktoren und gelungener Anpassung erschlossen werden kann. Ein Ergebnis der internationalen Längsschnitt-Studien war, dass dieselben resilienzfördernden Faktoren, die bei Hoch-Risiko-Kindern entdeckt wurden, in gleichem Ausmaß auch bei jenen Kindern resilienzfördernd wirkten, die nicht so hohen Belastungen ausgesetzt waren (Werner, 2014). Dies ist ein wichtiger Befund für diejenigen, die resilienzfördernde Interventionen, z.B. für Kitas, Kindergärten und Schulen entwickeln und dort implementieren wollen. Der primärpräventive Ansatz solcher Maßnahmen entspricht der „dritten Welle“ der Resilienzforschung, die sich darum bemüht, wissenschaftliche Erkenntnisse in die klinische und pädagogische Praxis umzusetzen. Die Herausgeber der aktuellen Ausgabe des „Handbook of Resilience in Children“ in den USA äußern das Versprechen: „ [...] resilience can be cultivated and strengthened in all youth.“ (Goldstein & Brooks, 2014, S. 508). Brooks befürwortet auch deshalb Resilienzförderung für alle Kinder, weil plötzliche Lebenskrisen auch die „kaum“ oder „nicht“ belasteten Kinder treffen können: „All children face challenge and stress in the course of their development and even those who at one point would not be classified as „at-risk“ may suddenly find themselves placed in such a category“ (Brooks, 2014, S. 443).

BELLA-Studie: Eine Langzeitstudie, die erst nach der Veröffentlichung dieses Vergleichs im Jahr 2006 publik wurde und in diesem Zuge zu erwähnen ist, ist die „Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten“ - kurz BELLA-Studie - die das Modul „Psychische Gesundheit“ aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) des Robert Koch­Instituts darstellt. Diese Langzeitstudie umfasst eine repräsentative Stichprobe von etwa 3000 Kindern und Jugendlichen zwischen 7 und 17 Jahren und untersuchte die Befragten in mehreren Erhebungswellen zwischen 2003 und 2012 auf die psychische Gesundheit, die subjektive Einschätzung ihrer Lebensqualität, Risiko- und Schutzfaktoren sowie die Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems hin. Die Ergebnisse zeigten, dass 22% der Kinder und Jugendlichen psychische Auffälligkeiten zeigten, die bei einem Drittel auch nach sechs Jahren noch vorhanden waren und eine Verminderung der Lebensqualität zur Folge hatten. Als Risikofaktoren für psychische Auffälligkeiten wurden ein niedriger sozioökologischer Status, Familienkonflikte und psychische Erkrankungen der Eltern identifiziert. Dabei korreliert eine erhöhte Anzahl an Risikofaktoren mit einer höheren Rate psychischer Auffälligkeiten. Das Vorhandensein individueller, familiärer und sozialer Schutzfaktoren hingegen sorgte für eine geringere Rate psychischer Auffälligkeiten (BELLA-Studie, 2012).

Meta-Analysen: Eine Meta-Analyse aus dem Jahre 2012 wurde von Lee et al. durchgeführt, um die Beziehung zwischen Resilienz und ihren Wirkfaktoren zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigten: Schutzfaktoren hatten den größten Effekt auf Resilienz, Risikofaktoren hatten einen mittleren Effekt und demographischen Faktoren hatten den geringsten Effekt. Für diese Meta­Analyse wurden englischsprachige Studien aus mehreren Online-Datenbanken ausgewertet (Lee, Nam, Kim, Kim, Lee, Lee, 2013).

Australische Studie: Wichtige Daten über Kurz- und Langzeiteffekte von traumatischen Ereignissen auf Kinder konnten nach dem australischen Buschfeuer von 1983 erhoben werden. Die Symptome einer großen Kohorte von betroffenen Kindern wurden kurze Zeit nach dem Feuer und 20 Jahre später mit Kindern außerhalb der betroffenen Region verglichen. Diese Untersuchungen zeigten, dass unmittelbare Folgen dieser Katastrophe im Laufe der Jahre weitestgehend verschwanden. Ein weiteres Ergebnis war, dass sich die Nähe von wichtigen Bezugspersonen im Augenblick der Katastrophe als Schutzfaktor herausstellte (Masten, 2014). Die vierte Welle der Resilienzforschung: Die neueren technischen Möglichkeiten, besonders in der Neurobiologie und der Genetik, erlauben Resilienz aus immer mehr Perspektiven zu betrachten und zu untersuchen. Fortschritte in der Messbarkeit von Genen und biologischen Prozessen führte in der Neurobiologie zu einem Entwicklungsschub und dazu, dass die neurobiologischen Aspekte von Resilienz immer genauer erforscht werden konnten. Die neuere Forschung ergab auch, dass Gewalt im größeren sozialen Umfeld (Gemeinde) die Funktion der Familie als Schutzfaktor negativ beeinflusst und damit auch die Resilienz von Kindern, und dass gute elterliche Erziehung die Entwicklung der Kinder auf neuronaler Ebene positiv beeinflusst (Masten, 2014). Neue Erkenntnisse der Neurobiologie, wie etwa eine weitaus höhere, lebenslange Plastizität der synaptischen Verbindungen im Gehirn als zuvor angenommen, oder der hohe Einfluss subjektiver Wahrnehmung auf die Aktivität bzw. Inaktivität von Hirnregionen, führten zu neuen Erklärungsansätzen für Prozesse in der Resilienzforschung. So bekam der Begriff „Erfahrung“ eine neue Dimension, als erkannt wurde, dass Erfahrungen, als gespeichertes Wissen über frühere Denk- und Handlungsmuster, das Denken und Handeln in neuen Situationen lenken. Dies geschieht dadurch, dass als Folge von subjektiver Bewertung der eigenen Denk- und Handlungsstrategien die benutzten neuronalen Verbindungen entweder aktiviert werden (bei positiver Bewertung) oder vernachlässigt werden (bei negativer Bewertung) (Hüther, 2008). Ein Mensch handelt in Zukunft also entsprechend der Verhaltensweisen, die von ihm in früheren Situationen als positiv wahrgenommen und bewertet wurden. In Hinblick auf den Teil 2.1.3 Coping dieser Arbeit ließe sich damit erklären, wie es zu den unterschiedlichen Bewältigungsstrategien kommt. Führte ein gewisses Verhalten zur erfolgreichen Stressbewältigung, werden die entsprechenden neuronalen Verschaltungsmuster verstärkt und zukünftig schneller aktiviert. Dieses neurobiologische Prinzip lenkt nicht nur die neuronale Vernetzung und Entwicklung des Gehirns und damit verbunden das Verhalten, sondern wirkt sogar bis auf die genetische Ebene, indem Erfahrungen beeinflussen, welche neuen Gensequenzen von menschlichen Zellen kopiert werden und welche alten Gensequenzen gelöscht werden (Hüther, 2008). Diese, als Genexpression bezeichnete, erfahrungsbedingte Entwicklung eines Gens ist auch Bestandteil der Genetik, speziell der Epigenetik, die sich u.a. mit der Frage befasst, ob solche Prägungen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Auch mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen lassen sich die Prozessstrukturen von Resilienz heute in Verbindung bringen, wie z.B. Ökologie, Wirtschaft, Gesundheitswesen oder globale Katastrophenhilfe. Es wird immer deutlicher, wie sehr Resilienzprozesse mit anderen Systemen zusammenhängen und Teil eines wesentlich komplexeren und dynamischeren Systems sind, als früher angenommen wurde (Wright, Masten & Narayan, 2014).

2.2.3 Resilienzbegriff und Resilienzdebatte

Am Anfang der Resilienzforschung, in den 80iger und 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts, war in der Literatur von „unverwundbaren Kindern“ oder gar „Superkids“ die Rede, als hätten diese in Drachenblut gebadet und seien von Stund an - geschehe, was wolle - vor allen Unbilden des Lebens gefeit. So „konnte man bisweilen den Eindruck gewinnen, als hätten die Psychologen eine ganz neue Art von Kindern, eben die „unverwundbaren Kinder“ entdeckt - ganz so, wie die Kulturanthropologen gelegentlich irgendwo im Dschungel Borneos oder Boliviens auf bisher unbekannte Eingeborenenstämme stoßen - nur mit dem Unterschied, dass diese Kinder schon immer unerkannt unter uns gelebt haben.“ (Göppel, 1997, S. 277). Diese Annahme von quasi „magischen“ oder „mysteriösen“ Eigenschaften dieser Kinder hat sich als Irrtum erwiesen, denn kein Kind hat einen unbegrenzten Vorrat an seelischer Widerstandskraft, der es „unverwundbar“ macht. So schreibt Garmezy, der 1976 noch den Begriff „Unverwundbarkeit“ verwendete, selbstkritisch 1984: „Wir haben aufgehört, den Terminus „Unverwundbarkeit“ zu verwenden, da er mehr versprochen hat, als er halten konnte. Genau genommen, verweist das Wort „unverwundbar“ auf eine Qualität von Unüberwindlichkeit, welche sogar Anlass für das Aufkommen des noch unangemesseneren Begriffs „Superkids“ gegeben hat. Es wäre nun am besten, diese Konzepte durch die prosaischere aber akkuratere Beschreibung dieser Kinder als „resilient“ zu ersetzen, wie sie von den Blocks (1980) verwendet wird, oder aber durch die Bezeichnung „stress-resistent“, wie sie von der Minnesota­Gruppe (Garmezy, 1981) eingeführt wurde“ (Garmezy & Tellegen, 1984; zitiert nach Göppel, 1997, S. 277). Auch beim Wort „stress-resistent“ kann es sich - ähnlich wie bei Resilienz - nur um eine relative Größe, eine graduelle Abstufung handeln, da eine starke, andauernde Stressbelastung irgendwann Schäden verursacht und - bei entsprechender Stärke und Dauer - jeden ins Burnout treiben kann heute bekommen schon Achtjährige die Diagnose „Burnout“/Erschöpfungsdepression (Schulte-Markwort, 2015). Resilienz wird heute nicht mehr als Persönlichkeitsmerkmal, sondern als zeitlich bedingte Eigenschaft gesehen, die sich im Laufe des Lebens ändern kann (Opp & Fingerle, 2008). „Resiliente Menschen aktivieren Kräfte in sich selbst und wissen Unterstützung von außen dafür zu nutzen, um in extremen Belastungssituationen nicht zu zerbrechen, sondern im Gegenteil „elastisch“ darauf zu reagieren [...]“ (Zander, 2011, S. 9).

Das Konzept der Resilienz ist stärkenfokussiert, d.h. es richtet seinen Blick auf die Fähigkeiten, Potentiale und Ressourcen des einzelnen Kindes; es fragt also grundsätzlich, was Kinder unterstützt beim Aufbau von Kompetenzen, um ihre altersspezifischen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Das Kind wird dabei vom ersten Augenblick an als Mitgestalter seines Lebens in Interaktion mit seinem sozialen Umfeld gesehen, indem es seine internen und externen Ressourcen möglichst effektiv einsetzt (Wustmann, 2015; Fröhlich- Gildhoff & Rönnau Böse, 2014). Hier wird ein Paradigma-Wechsel von einer mehr defizitorientierten zu einer ressourcen- bzw. stärkenorientierten Sichtweite deutlich: es werden nicht nur störungsverursachende, sondern auch gesundheitserhaltende Faktoren untersucht, was eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von der Pathogenese (Entstehung von Krankheiten) zur Salutogenese (Entstehung und Förderung von Gesundheit, siehe 2.1.2) bedeutet (Fröhlich- Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014). Der Ansatz, von den Stärken der Kinder auszugehen, der mit einem Entwicklungsoptimismus einhergeht, bedeutet aber nicht, die zunehmenden individuellen und gesellschaftlichen Gefährdungen kindlicher Entwicklung zu verharmlosen. So wird in der Literatur übereinstimmend berichtet, dass „psychische Auffälligkeiten und

Störungen bei Kindern und Jugendlichen [...] insgesamt (zunehmen)“ (Castello, 2013, S. 7). Die Resilienzforschung geht davon aus, dass auch tendenziell widerstandsfähige Kinder Unterstützung darin brauchen, moderne Risikolagen zu bewältigen. Hier setzen präventive

Interventionen im Bildungs- und Erziehungsbereich an.

Beispiele von Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1 „Beispiele von Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter“ Oerter, 1995; zitiert nach Wustmann, 2015, S. 21)

Bei der Bewältigung von Krisen, Belastungen und Entwicklungsaufgaben gibt es besondere, sensible Übergänge, z.B. von der Familie in den Kindergarten, vom Kindergarten in die Schule oder der Eintritt in die Pubertät (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014). Resilienz wird im Zusammenhang mit dem Vorhandensein einer hohen Risikolage, einer Stresssituation oder eines traumatischen Erlebnisses verstanden als die „Fähigkeit, internale und externale Ressourcen erfolgreich zu nutzen, um [...] Entwicklungsanliegen zu bewältigen“. (Sroufe, 1983; zitiert nach Wustmann, 2015, S. 21). Bewältigt ein Kind eine Entwicklungsaufgabe erfolgreich, erwirbt es dabei Fähigkeiten und Kompetenzen, die es ihm leichter fallen lassen, die nächsten Entwicklungsschritte erfolgreich zu gehen. Seine Persönlichkeit stabilisiert sich, und es erfährt Stresssituationen und Veränderungen zukünftig eher als Herausforderungen denn als Bedrohungen. Wenn eine Entwicklungsaufgabe nicht gemeistert wird und das Kind die damit verbundenen Fähigkeiten und Kompetenzen nicht erwirbt, kann es in seiner Entwicklung stagnieren, und durch das Entwicklungsdefizit können sich psychische Fehlentwicklungen oder somatische Erkrankungen einstellen. So ist die positive oder negative Bewältigung von Entwicklungsaufgaben eine wichtige Grundlage dafür, wie spätere Aufgaben vom Kind angenommen und gemeistert werden (Wustmann, 2015; Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014). Bei Scheidungskindern wurde festgestellt, dass sich 4/5 der Kinder ohne Schädigungen durch eine Scheidung „hindurchlavierten“. 20% aller Kinder aus Scheidungsfamilien wurden psychisch krank im Gegensatz zu 10% der Kinder aus Familien, in denen keine Scheidung vorlag (Ungar, 2011).

Risiko- und Schutzfaktoren: In der neueren Resilienzforschung geht man davon aus, dass Risiko- und Schutzfaktoren keine Variablen sind, die bestimmen, ob es zu einer pathologischen Entwicklung kommt oder nicht, sondern Indikatoren sind, die interaktiv komplexe Prozesse und Mechanismen anzeigen, die Einfluss auf Anpassungsprozesse nehmen. Zu den Schutzfaktoren, die potentiell die schädlichen Auswirkungen von Belastungen mindern oder ausgleichen können, zählen z.B. Intelligenz, Temperamentsmerkmale („einfaches“ Temperament nach Werner) eine positive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und eine sichere Bindung zu mindestens einer frühen Bezugsperson (Opp & Fingerle, 2008). Zur Begriffsbestimmung bzw. Unterscheidung von „Ressourcen“ und „Schutzfaktoren sagt Masten: „When they (positive influences) had the same effects across levels of risk (a main effect in statistical models), they were cenceptualized as assets, resources, or compensatory factors (later termed „promotive factors“ by Sameroff, 2000). When there was an added or special effect when risk or adversity was high, they were described as „protective factores“ that moderated risk effects [...]“ (Masten 2014, S. 8). Auf die Frage „Wie würden Sie die einem Kind zugänglichen Ressourcen von „Schutzfaktoren“ abgrenzen?“ antwortet Emmy Werner: „“Schutzfaktoren“ ist die bessere Bezeichnung“ (Zander, 2011, S. 47), ohne den Unterschied zu erläutern. Wustmann kritisiert an der Kauai-Studie von Werner/Smith, „dass Risiko- und Vulnerabilitätsfaktoren sowie Resilienz- und Schutzfaktoren nicht klar voneinander unterschieden werden“ (Wustmann, 2015, S. 89). Wustmann unterscheidet kindbezogene Vulnerabilitätsfaktoren, das sind biologische und psychologische Merkmale des Kindes, und Risikofaktoren oder Stressoren, die in der psychosozialen Umwelt des Kindes zu vorkommen (Wustman, 2015). Bei anderen Autoren findet sich das entsprechende Begriffspaar „internale“ und „externale“ Riskikofaktoren (bzw. „internale“ und „externale“ Schutzfaktoren).

In den Resilienzstudien tauchen unter „Aufwachsen unter Hoch-Risikobedingungen“ z.B. die externen Risikofaktoren Verwahrlosung, Missbrauch, Ablehnung durch enge Bezugspersonen, chronische Armut, psychische Krankheit der Eltern und familiäre Zerrüttung auf, aber auch internale Risikofaktoren wie schwieriges Temperament (Werner, in Goldstein & Brooks, 2014). Es hat sich gezeigt, dass eine effektive Entfernung von externen Risikofaktoren (z.B. Armut) häufig schwierig ist. Für das Auftreten von Gewalt bei Kindern sind die wichtigsten Risikofaktoren: „Das Aufwachsen in einer gewalttätigen Gegend; Armut; häufige Umzüge; familiäre Gewalt; harsches Familienklima mit viel Streit und wenig Wärme“ (Egeland et al., 2001; zitiert nach Suess, 2003, S. 91). Wenn sich Risikofaktoren häufen, steigt die Wahrscheinlichkeit für Verhaltensstörungen exponentiell an. Kommen mehr als drei Risikofaktoren vor, liegt die Wahrscheinlichkeit für Kinder, eine Verhaltenssauffälligkeit zu bekommen, bei 75%. Bei der gleichen Belastung von mindestens drei Risikofaktoren verringert sich die Wahrscheinlichkeit für Kinder, eine Verhaltensauffälligkeit zu bekommen, auf 25%, wenn eine liebevolle, verlässliche Bezugsperson sich dem Kind widmet (Suess, 2003). Eine Studie von Rutter (2000) zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine psychische Störung zu bekommen, bei vier Riskofaktoren zehn Mal höher liegt, als wenn nur ein Risikofaktor vorliegt (Wustmann, 2015). Risikofaktoren, die einen besonders schwerwiegenden Einfluss haben, sind traumatische Erlebnisse, Kriegserlebnisse und Naturkatastrophen (Wustmann, 2015). Es ist oft kontextabhängig, ob ein Faktor eine entwicklungsfördernde oder entwicklungshemmende Funktion hat. Beispielsweise wird ein hohes Selbstwertgefühl mit konstruktivem Bewältigungsverhalten assoziiert und gilt als „Schutzfaktor“. Ein unrealistisches, überhöhtes Selbstwertgefühl dagegen kann aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen begünstigen (Opp & Fingerle, 2008). Risiko- und Schutzfaktoren beeinflussen sich in komplexer Weise. Ob ein Faktor positive oder negative Auswirkungen hat, kann eine Frage der Dosierung sein und je nach Kontext, Person und untersuchter Problemstellung variieren. Auch die Dauer der Belastung spielt eine Rolle für die Entwicklungsgefährdung. Sogar die zeitliche Abfolge von Risikosituationen ist von Bedeutung: Je früher das Kind belastenden Situationen ausgesetzt ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Risikofaktoren in späteren Lebensphasen eine Entwicklungsgefahr darstellen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014). Fröhlich-Gildhoff identifiziert 6 Faktoren, welche die Resilienz eines Menschen stärken: „Selbstwahrnehmung, Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenz, adaptive Bewältigungskompetenzen und Problemlösen“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014, S. 40). Diese 6 Faktoren sind eng miteinander vernetzt: Der Aufbau von sozialer Kompetenz ist z.B. nur möglich, wenn die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdwahrnehmung und eine gute Selbststeuerung bereits entwickelt wurde (Fröhlich-Gildhoff, Kerscher-Becker, Rieder, von Hüls, Schopp & Hamberger, 2014). Unter „sozialer Kompetenz“ versteht man die Fähigkeit, im Umgang mit anderen die Situation angemessen einzuschätzen, sich empathisch in den anderen hineinzuversetzen, sich selbst zu behaupten, Konflikte angemessen zu lösen, angemessen zu kommunizieren und sich soziale Unterstützung zu holen, wo dies nötig ist. Damit Kinder z.B. im Alltag Erfahrungen von Selbstwirksamkeit - die Erwartung einer Person, eine bestimmte Aufgabe erfolgreich ausführen zu können - machen können, müssen sie beteiligt werden und - altersgemäß - Verantwortung übernehmen. Erwachsene sollten so wenig wie möglich eingreifen und die Kinder ermutigen, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und weiter zu machen, selbst wenn Schwierigkeiten auftauchen. „Wer [...] positive Erwartungen hinsichtlich seiner eigenen Selbstwirksamkeit hat, wird diese auch auf neue Situationen übertragen und sich ein gewisses Schwierigkeitsniveau zutrauen“ (Wustmann, 2015, S. 101).

Die adaptive Bewältigungsfähigkeit beschreibt einen adäquaten Umgang mit Stress, bei dem man stressauslösende Situationen in aktiver und angemesserner Weise bewältigt (siehe 2.1.3). Unter „Problemlösen“ wird die Fähigkeit verstanden, „komplexe, fachlich nicht eindeutig zuzuordnende Sachverhalte gedanklich zu durchdringen und zu verstehen, um dann unter Rückgriff auf vorhandenes Wissen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, zu bewerten und erfolgreich umzusetzen“ (Leutner et al., 2005; zitiert nach Fröhlich-Gildhoff et al., 2014, S. 28). Daniel und Wassell beschreiben drei Grundbausteine, die Resilienz stützen, aus der Sicht des Kindes: „ICH HABE: „Ich habe Menschen, die mich gern haben, und Menschen, die mir helfen“ (sichere Basis). ICH BIN: „Ich bin eine liebenswerte Person und respektvoll mit mir und anderen gegenüber“ (Selbst-Wertschätzung). ICH KANN: „Ich kann Wege finden, Probleme zu lösen und mich selbst zu steuern“ (Selbst-Wirksamkeit)“ (Daniel & Wassel, 2002; zitiert nach Weiß, 2008, S. 161). Diese Konzept von „ICH HABE“, „ICH BIN“, und „ICH KANN“ als den drei Quellen von Resilienz findet sich schon ausführlich bei Grotberg, die neben Werner als eine Pionierin der Resilienzforschung gilt (Grotberg, 1995, nach Zander, 2011).

„Erfolgreiche Anpassung“: Für Masten und Reed zeichnet sich erfolgreiche Anpassung durch Entwicklungsverläufe aus, die zu „1. positiver Selbst- und Fremdeinschätzung, 2. Abwesenheit von Psychopathologie und Risikoverhalten und 3. einer erfolgreichen Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsverläufe führen“ (Masten & Reed, 2002; zitiert nach Seifert, 2011, S. 91). Emmy Werner beschreibt die Anpassungsleistung der resilienten Erwachsenen, die in der Kauai-Längsschnittstudie bis zu ihrem 40. Lebensjahr untersucht wurden: „Die Mehrheit der Überlebenden hatte jedoch keine ernsthaften Anpassungsprobleme, sobald sie auf die 40 zuging. Diese Menschen befanden sich in stabilen Ehen und Berufen, waren mit ihren Beziehungen zu Ehepartnern und Kindern zufrieden und waren verantwortliche Bürger ihrer Gemeinde“ (Werner, 2011, S. 38). Im „Mainstream der Resilienzdebatte“ mag Werners Äußerung über gelungene Anpassung so akzeptiert werden. Es gibt aber einen z.T. kontrovers geführten Diskurs in der Literatur darüber, was unter „erfolgreicher Anpassung“ zu verstehen ist. Einigkeit herrscht in der Literatur darüber, dass eine „erfolgreiche Anpassung“ in ihrer Ausprägung immer im historischen und kulturellen Kontext zu sehen ist und Werte und Urteile darüber einschließt, was die Merkmale einer wünschenswerten, gelungenen Anpassung ausmachen (Masten, 2014). In der westlichen Kultur drückt sich z.B. „erfolgreiche Anpassung“, wenn man sie nur auf externale Kriterien bezieht, in Schul- und Berufsabschlüssen aus. Dabei geraten eventuell Bereiche des Lebens aus dem Blickfeld, in denen eine Person auch erfolgreich sein kann: „This has resulted in models of resilience that seemingly ignore important areas in which those who did not achieve „resilient“ outcomes have succeeded“ (Reyes et al., 2014, S. 354). Man könnte für die Definition von „erfolgreicher Anpassung“ auch internale Kriterien hinzuziehen wie z.B. subjektives Wohlbefinden. Masten stellt die Frage, was mit der Erforschung z.B. von jugendlichen Migranten sei, die sich gleichzeitig zwei unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Normen und Werten anpassen müssen (Masten, 2014). Zwei Fälle von „erfolgreicher Anpassung“ sind auf den zweiten Blick nicht mehr ganz so erfolgreich: 1) Hochrisiko-Kinder, die als sozial kompetent eingestuft wurden, zeigten ähnlich hohe Depressions- und Angstwerte wie die weniger kompetenten Kinder einer Vergleichsgruppe und wesentlich höhere Werte als Kinder aus wenig belastetem Umfeld (Luthar, 1991, nach Hagen & Röper, 2007). 2) Misshandelte und vernachlässigte Kinder, die von Faber und Egeland untersucht wurden, punkteten zwar mit erfolgreicher sozialer Anpassung, hatten aber zur selben Zeit starke emotionale Probleme (Hagen & Röper, 2007).

„Is there a price to pay for resilience?“, fragt auch Masten (Masten, 2014, S. 14) und berichtet von einer Untersuchung, wo resiliente Hoch-Risiko-Jugendliche mit Afro-Amerikanischem Hintergrund einen sehr hohen Body Mass-Index und hohen Blutdruck zeigten. Der provokante Titel des Untersuchungsberichts (Brody et al., 2013) lautete: „Is Resilience Only Skin Deep?“ (Masten, 2014, S. 14).

Jugendliche tendieren dazu, die Werte der Person oder Institution, mit der sie sich verbunden fühlen, zu verinnerlichen. Bei manchen Jugendlichen sind dies Familie und Schule, bei anderen Gangs in der Nachbarschaft. „Gangs can also provide leadership opportunities, skill training, and tangible rewards, but result in quite different, and often antisocial behaviors“ (Naglieri, LeBuff & Shapiro, in Goldstein & Brooks, 2014, S. 262). Michael Ungar berichtet über das Phoenix-Jugendprogramm in Kanada, „bei dem größere Bedeutung auf die eigenen Vorstellungen der Jugendlichen von ihrer erfolgreichen Entwicklung gelegt wird (Ungar, 2004). Gefährliche und kriminelle Verhaltensweisen werden als Teil von Anpassungsgeschichten im persönlichen Überlebenskampf diskutiert, der keine konventionellen Ausdrucksformen erfolgreichen Verhaltens angenommen hat, wie etwa Festhalten an Schulerfolg oder beruflicher Anstellung“ (Ungar, 2011, S. 170-171). Auch bei Wieland wird resilientes Verhalten als mögliche Verweigerungs- und Konfliktstrategie gesehen, bis hin zu sozial umstrittenen Handlungen, in denen aber Kontrollüberzeugungen und Selbstwirksamkeitserfahrungen - und damit Resilienzfähigkeit - zum Ausdruck kommt: „Resilienz als gute und stabile Kontrollüberzeugung kann für andere Menschen lästig bzw. schädlich und sogar vor dem Hintergrund ethischer Normen fragwürdig sein“ (Wieland, in Zander, 2011, S. 195). Wo andere Menschen geschädigt werden, steht der „Schutz der Allgemeinheit“ auf dem Spiel; diese „Allgemeinheit“ wird ein solches - vielleicht „resilienzförderndes“, aber antisoziales oder delinquentes - Verhalten nicht tolerieren (Wieland, 2011).

3 Resilienzförderung

Im Konzept von Risiko- und Schutzfaktoren geht es um das dynamische Wechselspiel beider Einflussfaktoren im individuellen Lebenslauf. Externe Risikofaktoren lassen sich häufig nicht oder nur langfristig beseitigen. Der Fokus der Resilienzforschung liegt auf den Potentialen und Ressourcen der Kinder. Für die pädagogische Praxis eröffnen sich neue Möglichkeiten, die Bewältigungskompetenzen von Kindern in den Blick zu nehmen und zu fördern, da die Art der Bearbeitung einer Risikolage entscheidend zu sein scheint. Hieraus erwächst ein „realistisch­optimistischer Blick auf moderne pädagogische Herausforderungen“ (Opp & Fingerle, 2008, S. 16).

Auch wenn es vielversprechende Wirkungen von Resilienzförderungs-Programmen weltweit gibt, so bleibt doch gleichzeitig die gesellschaftliche Aufgabe in aller Dringlichkeit bestehen, eine gerechtere Teilhabe an materiellen und sozialen Ressourcen aller Mitglieder der Gesellschaft zu ermöglichen (Stichwort: Armutsbekämpfung). Auch Göppel fordert, die belastenden Faktoren im Leben von Kindern zu ändern, anstatt die Kinder durch Resilienzförderung abzuhärten, um mit unhaltbaren Bedingungen klar zu kommen (Göppel, 2011).

3.1 Grundlagen der Resilienzförderung

Warum sind präventive/prophylaktische/resilienzfördernde Maßnahmen überhaupt notwendig? Nach bundesdeutschen Forschungen leiden ca. 20% der Kinder und Jugendlichen unter psychischen Störungen und bis zu 46% unter psychosomatischen Beschwerden (Röhrle 2007; Schulte-Markwort, 2015). Internationale Daten aus den USA, Kanada, Neuseeland und Australien bezeugen eine ähnliche Faktenlage: Danach haben 18-20% aller Kinder emotionale oder verhaltensbezogene Probleme wie Ängste, Depressionen und aggressives Verhalten, wobei soziale Anpassungsstörungen, Devianz und Gewalt ebenfalls massive Probleme darstellen (Röhrle, 2007). Bezogen auf alle psychischen Störungen, von denen mit 3-5% die Erschöpfungsdepression („Burnout“) bei Kindern und Jugendlichen seit ca. 5 Jahren immer häufiger und altersmäßig immer früher diagnostiziert wird (Schulte-Markworth, 2015) bekommen nur 17% der 14-17jährigen eine Behandlung, obwohl die Prognose dahin geht, dass ca. 30% der beeinträchtigten Kinder im Erwachsenenalter unter schweren psychischen Störungen leiden werden (Röhrle, 2007). Soziale Ängste, die bei Mädchen doppelt so häufig vorkommen wie bei Jungen und oft unerkannt bleiben, sind offensichtlich im Vormarsch (Castello, 2013). Da eine flächendeckende kurative Intervention bei diesem epidemischen Ausmaß von Störungen unwahrscheinlich bzw. zu kostenintensiv ist, werden an einen präventiven Ansatz große Hoffnungen geknüpft.

Im Zusammenhang mit Risikofaktoren, die das kindliche Leben in seiner Existenz bedrohen, weist Hellbrügge auf die Tatsache hin, dass in Deutschland zwischen 150.000 und 300.000 Kinder pro Jahr abgetrieben werden, häufig aus psychischer oder materieller Not - das ist fast ein Drittel aller gezeugten Kinder in Deutschland (Hellbrügge, 2003). Bronfenbrenner und Morris beschreiben schon 1998 die allgegenwärtige Bedrohung kindlicher Entwicklung: „The growing chaos in [...] everyday environments in which human beings live their lives [...] interrupts and undermines the formation and stability of relationship and activities that are necessary for psychological growth“ (Bronfenbrenner & Morris, 1998; zitiert nach Sesma & Mannes & Scales, 2014, S. 439).

Primäre Prävention (das lateinische „praevenire“ heißt „zuvorkommen“) hat zum Ziel Gesundheit zu fördern und damit Krankheiten und Störungen zu verhindern. Bei der sekundären Prävention liegen bereits erste Symptomatiken oder Störungen vor. Bei der tertiären Prävention wird versucht, Folgeprobleme/Chronifizierungen von Krankheiten oder Störungen zu verhindern (Röhrle, 2007). Die hier vorgestellten Präventionsprogramme gehören 25 der primären Prävention an, bei der auf breiter Basis - z.B. bei einer gesamten Schulklasse oder einer gesamten Schule - mit Förderprogrammen interveniert wird, um in der Zukunft Anpassungsprobleme zu vermeiden und geistige und körperliche Gesundheit zu stärken.

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Resilienz. Kompetenzen und Methoden zur Förderung der psychischen Widerstandskraft in der Schule
Hochschule
Europa-Universität Flensburg (ehem. Universität Flensburg)
Note
1,7
Autor
Jahr
2015
Seiten
117
Katalognummer
V1163888
ISBN (eBook)
9783346567529
ISBN (Buch)
9783346567536
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Resilienz Schule Förderung Methoden Kompetenzen Resilienzförderung Lehrkräfte
Arbeit zitieren
Raphael Schulz (Autor:in), 2015, Resilienz. Kompetenzen und Methoden zur Förderung der psychischen Widerstandskraft in der Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1163888

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Titel: Resilienz. Kompetenzen und Methoden zur Förderung der psychischen Widerstandskraft in der Schule



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