Kooperation nachhaltiger Reiseveranstalter unter der Dachmarke forumandersreisen


Thèse de Master, 2008

131 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungen

1. Einleitung
Thematik
Zielsetzung
Methodik

2. Globalisierung und Nachhaltigkeit des Tourismus
2.1 Massentourismus und Klimawandel
2.2 Globalisierung und Individualisierung
2.3 Tourismus als Problemlöser und –verursacher
2.4 Nachhaltigkeit „trotz“ Globalisierung

3. Der Tourismusmarkt heute
3.1 Aktueller Tourismusmarkt in Zahlen
3.2 Tourismus als Dienstleistungssektor
3.3 Massen- oder Individualtourismus?
3.3.1 Ökonomischer „harter“ Massentourismus
3.3.2 Nachhaltiger „sanfter“ Individualtourismus
3.3.3 Paradoxie eines „sanften Massentourismus“

4. Der „geteilte“ Reiseveranstaltermarkt
4.1 Der Reiseveranstalter
4.2 Der „herkömmliche“ Reiseveranstaltermarkt
4.2.1 Größe und Struktur des Reiseveranstaltermarkts
4.2.2 Kooperationen der Großen
4.2.3 KMU-Veranstalter als Spezialisten
4.2.4 Trends auf dem Reiseveranstaltermarkt
4.2.4.1 Anbietertrends
4.2.4.2 Verbrauchertrends
4.2.4.2.1 Projekt INVENT
4.2.4.2.2 FUR Reiseanalyse
4.2.4.2.3 Global Trends
4.3 Der „nachhaltige“ Reiseveranstaltermarkt
4.3.1 Nachhaltigkeit auf dem Reiseveranstaltermarkt
4.3.2 Der „nachhaltige“ Reiseveranstalter
4.3.3 Vorteile nachhaltiger Reisegestaltung
4.3.4 Größe und Struktur des nachhaltigen Reiseveranstaltermarkts
4.3.5 Nachfragesituation des Nachhaltigen Tourismus

5. Das Forum Anders Reisen – Kooperation nachhaltiger Reiseveranstalter
5.1 Der Dachverband Forum Anders Reisen (FAR)
5.1.1 Der Verband und seine Mitglieder
5.1.2 Verbandsstruktur
5.1.3 Kriterienkatalog
5.1.4 Vorteile einer Mitgliedschaft
5.1.4.1 CMS Portal
5.1.4.2 Reiseperlenkatalog
5.1.5 Aktuelle Schwerpunktthemen
5.1.5.1 CSR-Bericht
5.1.5.2 Atmosfair
5.1.5.3 PlaNeT
5.2 Kooperation unter einer Dachmarke
5.2.1 Kooperation
5.2.2 Marke
5.2.3 Dachmarke
5.2.4 Synergieeffekte einer Kooperation
5.2.4.1 Umsatzmaximierung
5.2.4.2 Imagegewinn
5.2.5 Kooperation unter der Dachmarke FAR

6. Text- und Datenanalysen
6.1 Analyse I: Reisperlen/Eigene Kataloge der Mitglieder
6.1.1 Reiseperlen: Projektreisen
6.1.2 Reiseperlen: WWF-Reisen
6.1.3 Eigene Kataloge der Mitglieder
6.2 Analyse II: Statistiken CMS-System
6.3 Analyse III: Online-Befragung
6.3.1 Das Produkt
6.3.2 Der Kunde
6.3.3 Das Unternehmen
6.3.4 Die Nachhaltigkeit
6.4 Ergebnisse der Analysen

7. Schlusswort

8. Literatur- und Quellenverzeichnis
8.1 Literaturverzeichnis
8.2 Internetquellen

9. Abbildungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Kriterien bei der Auswahl des Urlaubsziels

Abbildung 2 Anteile an der globalen Erwärmung

Abbildung 3 Verteilung der Weltbevölkerung

Abbildung 4 Globalisierung im Tourismus

Abbildung 5 Maslow Pyramide im Tourismus

Abbildung 6 Inbound Tourism

Abbildung 7 International Tourism Arrivals

Abbildung 8 Wachstum des Tourismus nach Region

Abbildung 9 Inbound Tourism by Means of Transport Abbildung 10 CO2-Ausstoss von Langstreckenflügen Abbildung 11 Globale Produktion von Reisen und Tourismus Abbildung 12 Stakeholder Landkarte

Abbildung 13 Anzahl der Reisen und Gesamtumsatz des dt. RV Markts Abbildung 14 Die größten Reiseveranstalter nach Umsatz

Abbildung 15 Die drei größten Reiseveranstalter in Deutschland Abbildung 16 Vergleich der Fusionen TUI-FirstChoice und TC-MyTravel Abbildung 17 Wachstum der Teilnehmerzahlen bei Kreuzfahrten Abbildung 18 Verlust der Mitte

Abbildung 19 Unterschied Massenmarketing – Segmentmarketing Abbildung 20 Differenzierungsgrad von Marketingstrategien Abbildung 21 Zielgruppenmodell der ISOE

Abbildung 22 Reiseintensität der Deutschen

Abbildung 23 Kosten einer Pauschalreise

Abbildung 24 Beispiel Wachstum Passagiere bei Ryanair in Mio. Abbildung 25 Nutzung von Billigfliegern

Abbildung 26 Urlaub in Deutschland

Abbildung 27 Reiseziele der Deutschen

Abbildung 28 Aufenthaltsdauer in Tagen

Abbildung 29 Wachstum der internationalen Ankünfte nach Ländern Abbildung 30 Wachstum der Reiseländer von Europäern Abbildung 31 Dreiklang der Nachhaltigkeit

Abbildung 32 CSR-Leitlinien im Tourismus

Abbildung 33 Portfolioanalyse Nachhaltigkeitsberichterstattung Abbildung 34 Ansprechbarkeits-Typen für Umweltaspekte

Abbildung 35 Mitgliedergröße, Reiseteilnehmerzahl und Umsätze FAR Abbildung 36 Mitgliederstruktur FAR

Abbildung 37 Gesamtumsatz der Mitglieder FAR

Abbildung 38 Verbandsstruktur FAR

Abbildung 39 IT-Systemübersicht FAR

Abbildung 40 Strategien der Markenführung

Abbildung 41 Die Dachmarke

Abbildung 42 Strategien einer Dachmarke

Abkürzungen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1 Thematik

Heutzutage spricht man allzu gerne von einer die ganzen Welt beherrschenden multidimensionalen Globalisierung1, die Märkte, Unternehmen, Produkte und Prozesse homogenisiert und standardisiert. Allen voran die Informationstechnologie mit dem Internet umspannt und vernetzt gleich Adern die Welt und alle Bereiche des Lebens. So sind die derzeitig branchenübergreifenden Kooperationen meist in Form von Fusionen das Resultat einer ökonomisch effizienten Vernetzung wirtschaftlicher Betriebe, die die alten Strukturen der Marktwirtschaft verändern und neue Regeln setzen für die ökonomisch nachhaltige Existenz eines Unternehmens.

Da kann ein Überleben in der Nische als Alternative zum Verbund massentouristischer Fusionen im Tourismus von Fluggesellschaften, Hotelunternehmen oder eben Reiseveranstaltern nur nach eingehender Analyse der Marktstruktur, Wettbewerber und Zielgruppen mit deren jeweiligen individuellen Bedürfnissen gelingen. Die Nachfrage nach spezialisierten Generalisten wird im Zuge der zunehmenden kundenseitigen Individualisierung, Reiseerfahrenheit, Preissensibilität, Qualitätsbewusstsein und Internetaffinität immer größer. Nur solche Produkte sind gefragt, die viele Kundenbedürfnisse gleichzeitig befriedigen und die Kundenzufriedenheit vieler durch eine genaue Abdeckung der einzelnen Bedürfnisse sicherstellen. Am Ende jeder Multiplikatorenkette steht immer der Kunde und der ist bekanntlich König und setzt auf maßgeschneiderte hochqualitative Produkte mit einem vergleichsweise vorteilhaften Preis-Leistungs-Verhältnis: Jeder zweite bucht „preisgünstig, aber Qualität“2 – siehe auch Abb. 1).

„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“3, so Rolf Pfeifer vom nachhaltigen Tourismusverband für Reiseveranstalter Forum Anders Reisen (kurz FAR), weil durch die Vermengung diverser und zielgruppengerechter Produktpaletten der zugehörigen FAR- Mitglieder mehr Markt- und damit Kundenanteile gewonnen werden können. Die Kooperation verschiedener Anbieter in der Nische des Nachhaltigen Tourismus bündelt eine Fülle von Reiseangeboten in Destinationen weltweit und ermöglicht damit eine gelungene Abdeckung der gleichzeitig diversen Kundenbedürfnisse und Reisewünsche. Mit Hilfe des Reiseperlen Katalogs, einer neu entwickelten CMS-Buchungsplatform, Partnerprogrammen und nicht zuletzt durch Mitgründungen sozial- und umweltgemeinnütziger Unternehmen wie Atmosfair und einer engen Zusammenarbeit mit German Watch vom EED konnte der Verband mit den bislang ca. 140 Reiseveranstaltern die Produktpalette durch die elektronische Vernetzung mit dem CMS erweitern und genauer auf die Kundenbedürfnisse auf dem Markt des „Nachhaltigen Tourismus“ eingehen.

Mehr noch: Es entstand beiläufig eine „politische“ Bewegung in Sachen Nachhaltiger Tourismus in enger Kooperation auch mit der Wissenschaft, wie z.B. der Entwicklung eines Kriterienkatalogs mit strengen Auflagen zur Gestaltung der nachhaltigen Reiseangebote, in enger Zusammenarbeit mit der Studiengruppe L.U.S.T. der Universität Lüneburg. Mit dem diesjährigen 10-jährigen Jubiläum des FAR wächst das Unternehmen durch immer mehr Mitgliedschaften von neuen Reiseveranstaltern immer rasanter und erreicht als Dachverband mit dem Schaffen einer eigenen Dachmarke „Forum Anders Reisen“ und damit einem wirklichen Image das eigentliche Ziel einer nicht nur ökologisch-soziokulturellen, sondern auch ökonomischen Nachhaltigkeit:

Langfristig bestehen, aber nicht „auf Kosten“, sondern „mit Hilfe“ anderer.

Durch Schaffung nur „einer“ Marke im Bewusstsein des Kunden, die für Qualität und damit Sicherheit steht, was bekanntermaßen der dem Kunden am wichtigsten erscheinende Faktor zur „Erholung im Urlaub“ geworden ist, vergrößert sich die Reichweite der einzelnen Veranstalter, und damit nicht nur langfristig der Marktwert, sondern kurzfristig das Mess- und Zählbare des unternehmerischen Umsatz- und Ertragsvolumens.

Doch man erkenne bei allem Wetteifer um die Gunst des Konsumenten, dass der „neue“ Kunde den hohen Anspruch an eine Produkt- und Dienstleistungsqualität mit einem Zusatznutzen zu einem Schnäppchenpreis hat.4 Der Kunde ist zwar auch bereit, für das etwas „Besondere der schönsten Zeit des Jahres“ mehr Geld zu investieren, möchte dafür aber dann die Gegenleistung eines Markenprodukts, was sich auf dem Markt mit vergleichsweise guter Qualität und einem vorteilhaften Preis-Leistungs-Verhältnis bewährt hat und einen hohen Bekanntheitsgrad vorweisen kann.

1.2 Zielsetzung

Die „eigentliche“ Motivation und Zielsetzung der wissenschaftlichen Ausarbeitung ist die Förderung der Entwicklung eines Nachhaltigen Tourismus durch ein vorhandenes Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung mit dem Vermögen suffizient und effizient zu denken, sowie dem weiteren Zugewinn an Marktanteilen durch nachhaltig denkende und handelnde Reiseveranstalter, wie später im Detail diskutiert und analysiert am Beispiel der Mitglieder innerhalb des FAR, in Anlehnung an den bekannten Dreiklang der Nachhaltigkeit, „gleichzeitig“ das ökonomische Potential der lokalen Anbieter zu erhöhen, das ökologische Umfeld zu schützen und die soziokulturellen Strukturen zu wahren.

Die Master Thesis gründet auf insgesamt einjähriger studienbegleitender praktischer Mitarbeit bei dem Verband FAR in Freiburg, sowie im Anschluss bei den zum FAR dazugehörigen Reiseveranstaltern A&E Reiseteam in Hamburg und Accept Reisen in Aachen, mit dem Fokus auf die Vernetzung und Kooperation der nachhaltigen Mitglieder durch den Reiseperlen Katalog und ein firmeneigenes CMS.

1.3 Methodik

Die Sekundärrecherchen zum Thema „Kooperation nachhaltiger Reiseveranstalter“ werden anschließend ergänzt durch eine eigens durchgeführte Untersuchung in Form einer Online- Befragung mit einigen der Mitglieder des FAR, sowie durch Online-Statistiken im CMS des FAR zum Verhalten des „looking“ (Informieren) und „booking“ (Buchen) bei der Wahl der Destinationen und Reisekategorien, und nicht zuletzt durch Sichtung und Vergleich des individuellen Reiseangebots im Reiseperlenkatalog des FAR und in eigenen Katalogen einzelner FAR-Mitglieder. Die Summe aller drei Text- und Datenanalysen soll u.a. offenbaren, inwiefern die Veranstalter von einer Mitgliedschaft im FAR und der dadurch gezwungen nachhaltigen Reiseproduktgestaltung durch eine langfristige Maximierung der Wirtschaftlichkeit und eine kooperative Vernetzung untereinander nachweislich profitieren können. Schlussendlich sollen die wichtigsten Ergebnisse der Analysen in Bezug auf die Kriterien der Umfrage zusammengeführt werden: Das Produkt (Reise), der Kunde (Zielgruppe), das Unternehmen (Mitglieder), die Nachhaltigkeit (Inhalt der Reise).

2. Globalisierung und Nachhaltigkeit des Tourismus

2.1 Massentourismus und Klimawandel

Die Menschheit im Zeitalter der Postmoderne befindet sich in einem unabwendbaren Dilemma: Während die Bevölkerung der Erde immer weiter wächst (aktuell ca. 6.7 Milliarden Menschen, jede Sekunde kommen drei neue Erdenbürger dazu5), schrumpft der für den Einzelnen nutzbare Raum und die Ressourcen zur Befriedigung der persönlichen Grundbedürfnisse zur physischen Existenz durch Versorgung von ausreichend Nahrungsmitteln, nicht zuletzt von Wasser, der Vorraussetzung jeglichen Lebens. Gleichzeitig wirkt sich die Bevölkerungsexplosion und Ressourcenausbeutung negativ auf die (Über)Lebensfähigkeit des Planeten aus. Bedroht sind mittlerweile also Erde und Erdenbewohner gleichermaßen. Eine vorwiegend in der „unterentwickelten“ südlichen Hemisphäre vorzufindende Zunahme an Naturkatastrophen und Abnahme der Biodiversität (und damit verbunden Nahrungsnöte und Krankheiten) ist zu verzeichnen und alle Welt, neuerdings eingeschlossen auch die Wissenschaft, spricht von einem selbst verschuldeten Klimawandel. Wie schon lange bekannt ist der Grund für die globale Erderwärmung laut Greenpeace und German Watch die in der nördlichen Hemisphäre überwiegende moderne Lebensweise der Industriegesellschaft und damit verbunden ein proportional hoher Energieverbrauch und CO2-Ausstoß (Abb. 2).

„Die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl, die Abholzung von Wäldern und die Massentierhaltung verursachen hohe Treibhausgasemissionen und belasten das Klima“6. Nicht zu vergessen auch die Auswirkungen des hohen Energieverbrauchs durch die global stark wachsende Internetnutzung wie Forscher aus den USA errechnet haben: „Allein eine Anfrage bei der Suchmaschine Google kostet vier Watt Strom pro Stunde oder zwei Gramm CO2-Ausstoß: Das entspricht dem Stromverbrauch einer Energiesparlampe, die eine Stunde lang brennt“7. Ein weiterer Vergleich bezogen auf den Tourismus: „Der CO2-Ausstoß des gesamten Internets ist inzwischen so groß wie der des weltweiten Flugverkehrs“8.

Die Entwicklung und der Einsatz umweltfreundlicher „nachhaltiger“ Technologien zur natürlichen Energiegewinnung und damit einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist mittlerweile (überlebens)notwendig geworden, den befürchteten Klimakollaps noch abzuwenden. Doch immer mehr Menschen wie nun auch die Milliardenvölker China und Indien wollen in den Luxus eines eigenen Autos oder eben einer (Fern)Reise mit dem Flugzeug kommen (Abb. 3).

Die Tourismuswirtschaft als Fluktuationsmotor der Bevölkerungsmassen trägt so auch sein Übriges zum Thema Klimawandel bei und „der Urlaub steht als CO2-Dreckschleuder auf dem Umweltprüfstand“9. So verwundert es nicht, dass das zentrale Thema der ITB 2007 der Klimawandel war, und Experten schreiben das Wort in grüner Farbe an die „touristische Klagemauer“. Kurz darauf fand sogar eine „Anhörung zum Klimawandel“ vor dem Tourismusausschuss des deutschen Bundestags statt, u.a. mit Experten wie Prof. Dr. Edgar Kreilkamp von der Universität Lüneburg und Rolf Pfeifer vom FAR.10 Doch wie so oft verhallen die guten Vorsätze als nur kurzweilig das Medienaufsehen erregender Trend - zum Jahreswechsel 2007/08 ist kein einziger Artikel zum Thema Klimawandel im Archiv der FVW mehr auffindbar.

Immer mehr Urlauber überschreiten die Schwelle vom nationalen zum internationalen Tourismus und beschleunigen damit den Ausstoß an umweltschädlichen Emissionen. Daher sind nicht nur neue Technologien notwendig zu einer effektiveren Energienutzung, also der „Effizienz“, sondern unabdingbar ist auch ein grundlegendes Umdenken in Richtung „Genügsamkeit“ in allen Belangen zum Schutz des Planeten geworden, einer so genannten „Suffizienz“.11 „Nachhaltigkeit“ ist das Schlagwort, seit nunmehr schon über 20 Jahren seit der ersten Erwähnung im Brundtland Report 1987 und dem ersten von vielen weiteren vergeblichen Klimagipfeln in Rio 1992, laut dem Nachhaltigkeitsgedanken im Brundtland Bericht „eine Entwicklung anzustreben, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“12.

2.2 Globalisierung und Individualisierung

Wir leben im Zeitalter einer multidimensionalen, also einer nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch soziokulturellen, politischen und technologischen Globalisierung (Abb. 4). Die Demokratisierung der freien Marktwirtschaft umspannt den ganzen Planeten ausgehend von den USA über Europa, Russland, Japan nach Australien, und amerikanisiert bzw. kapitalisiert das Denken in der Gesellschaft hin zum überwiegend ökonomischen Zweckdenken. Entwicklungsländer werden zu Schwellenländern und diese dann zu Industriestaaten. Der persönliche Wohlstand des „homo oeconomicus“, notfalls auf Kosten anderer, ist wichtiger geworden als das Gemeinwohl des „homo politicus“ - jeder ist sich dabei selbst der Nächste – und Ideale wie Solidarität oder eben die Nachhaltigkeit stehen oft weit am Ende der Prioritätenliste. Vor allem die Globalisierung der Informationstechnologie wie die Verbreitung des Internets begünstigt eine neuzeitliche Individualisierung und Flexibilisierung der persönlichen Wirkungsspanne und ermöglicht eine virtuelle Reise und die individuelle Reiseplanung im Voraus bequem von zuhause aus. Als Folge vernetzt sich das regionale Denken immer enger mit der Welt und erweitert das globale Bewusstsein des Planeten als Einheit. Gleichzeitig jedoch besteht die Gefahr, dass der Einzelne dabei entfremdet und entkörpert, wenn das Leben auf regionaler Ebene verschwimmt. Der globalisierte Mensch ist zusehends mehr in der Welt an sich zuhause als am eigentlichen Wohn- und Arbeitsort, er mutiert zum „homo globalis“13. Die heimische kulturelle Identität rückt damit im Zuge der Vereinheitlichung und Vermassung der Menschen in den Hintergrund. Dies wiederum stellt dann das Leben vor die essentielle ethische Frage, welchen Sinn es macht und was man als Einzelner unter den Milliarden von Menschen überhaupt für eine Rolle spielt. Weiter stellt sich die Frage nach der eigenen Identität als dem Fundament für die eigene Existenz und führt

die Menschen zurück zum Ursprung ihrer selbst in die Natur, z.B. auf Trekkingtouren und Abenteuerreisen zu fremden Kulturen, wo man dem Fremden begegnet und dadurch die eigene fremd gewordene Authentizität wieder erfahren kann. Der triebhafte Hunger nach natürlicher und spiritueller Erfahrung durch Begegnung mit fremden Völkern und wilden Naturen will gestillt werden. Die Sehnsucht nach Freiheit von den Alltagszwängen und das Fernweh nach unberührter Natur abseits der abgetretenen Pfade und der Begegnung mit

„primitiven“ Völkern lässt den unterschwelligen Entdeckergeist mit Abenteuerlust wiederaufleben und erlebnishungrig um den Globus reisen.

Die Fernreise zu diesen fremden Völkern und Landschaften dient hierbei als idealer Kompensator für den Mangel an realer Grenz- und Raumerfahrung abseits den Zwängen und der Monotonie der Alltagsroutine. Die erhöhte Sicherheitsgarantie der Reiseveranstalter senkt dabei die Hemmschwelle der Fernreisewilligen und lässt so immer mehr sonst eher sesshafte Bürger in die Ferne schweifen und reisen. Erzählungen des Nachbarn von Reiseerlebnissen oder Diavorträge können nicht mehr hinwegtrösten, genauso wenig wie die Globuslampe auf dem Schreibtisch. Das eigene authentische Erlebnis einer Reise auf der Suche nach dem persönlichen Glück im diesseitigen Schicksal rückt in den Vordergrund.

So schaltet man den Computer an, gibt in die Suchmaschine nach der Kategorie „schön, warm und billig“14 Stichwörter ein, klickt auf ein besonders preisgünstiges Reiseangebot mit einem Kettenhotel am Strand auf den Kanaren, bucht die Reise lastminute, fliegt ein paar Tage später für ein Wochengehalt zwei Wochen in den Urlaub, liegt mit anderen deutschen Pauschalurlaubern (wenn nicht den Nachbarn) am Strand von Maspalomas und lässt sich all- inklusive durchfüttern. Doch wo findet sich hier das bewusste Reiseerlebnis einer Begegnung mit fremder Kultur und Natur - wo der nachhaltige Gedanke einer „Reise mit gutem Gewissen“?

Die Antwort lautet: „Das befreiende Gefühl während der schönsten Wochen des Jahres macht es so schwierig, Reisenden ein Verantwortungsempfinden für die Folgen des Reisens zu vermitteln“15.

Ein legitimes Abwesenheitsrecht entspricht einem jeden Menschen innewohnenden und zustehenden zusätzlichen Grundbedürfnis des Urlaubs. Doch die Befriedigung des Grundbedürfnisses nach einem schnellen Urlaub, dem kurzfristigen „Aus-Reisen“ aus dem Alltag und dem zeitweiligen Loslösen von den sonstigen Pflichten begräbt spätestens bei Reiseantritt die meisten guten Vorsätze, bei der Erfüllung des privaten Glücks „auch“ im Sinne des Gemeinwohls von Mensch und Natur und den nachfolgenden Generationen nachhaltig zu handeln bzw. reisen. Das Modell der „Maslow-Pyramide im Tourismus“ veranschaulicht deutlich, dass die eigenen Grundbedürfnisse und der Urlaubsspaß im Vordergrund stehen (Abb. 5). Der Sinn für Sozialverträglichkeit und Umweltschutz einer „Reise mit gutem Gewissen“ fehlt in der Pyramide, und steht damit an allerletzter Stelle.

2.3 Tourismus als Problemlöser und -verursacher zugleich

Das Dilemma bezogen auf die Tourismusindustrie ist bei alledem, dass diese ökonomisch abhängig ist von der Verfügbarkeit an Ressourcen um eine den Kunden zufrieden stellende Produkt- und Dienstleistungsqualität langfristig garantieren zu können. Noch verfügt die Erde über ausreichend solcher Ressourcen z.B. in Form von Regenwald, Korallenriff oder Gletscher. Ein intakter Naturhaushalt, unberührte Landschaften und eine artenreiche Flora und Fauna sind touristische Attraktionen und Grundlage für die Attraktivität einer Zielregion.16 Die natürliche Ressourcenvielfalt wird auch als „World Heritage“, also „Welterbe“ der Natur/Kultur, bezeichnet. Folgendes Zitat beschreibt den hohen Nutzenwert eines „World Heritage“ für den Menschen als Kultur- und Lebensraum: „The rapid growth in international travel projected in the near future has significant implications for the world’s natural heritage. This heritage, which includes national parks and monuments, game reserves, wild rivers, mountains and landscapes, has become a major attraction for travelers who wish to view, experience, and engage in nature”17.

Doch verursacht der Tourismus selbst durch die Nutzung und Abtragung eine immer knapper werdende Verfügbarkeit an Ressourcen, was das touristische Angebot und die Nachfrage immer mehr eindämmt, und damit die Reiseveranstalter zur Entwicklung neuer nachhaltiger Marketingstrategien zwingt.

Immer wenn mehrere Ereignisse aufeinander treffen und damit ein gegenseitig voneinander abhängiges Wechselverhältnis bewirken, beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Tourismuswirtschaft als eine der größten Industrien „mitverursacht“ den Klimawandel, die Umweltzerstörung und die kulturell-religiösen Konflikte zu einem großen Teil und ist gleichzeitig von dem Bestand dieser externen Faktoren als Grundlage für die Durchführung von qualitativen Reiseproduktangeboten selbst „abhängig“. Auf der anderen Seite sind „Entwicklungsländer“ wie Kenia vom Tourismus als wichtigster Einnahmequelle abhängig. Nach den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in der Folge der Präsidentschaftswahlen Ende 2007 wagen sich nur noch 10% der Urlauber wegen der Schnäppchenpreise ins Land.18 Es schließt sich der Teufelskreis, wenn der Tourismus Schäden mitverursacht, wovon nicht nur er selbst, sondern auch das Schicksal fremder Bevölkerungen abhängt, und das unabhängig zu wissen oder Einfluss nehmen zu können auf die von den Reiseveranstaltern individuell getroffenen Entscheidungen bezüglich des touristischen Angebots.

Es ist also nicht nur der Tourismus, der sich eigenmächtig ungewollt selbst schädigt und sich damit Gedanken bezüglich einer nachhaltigeren Landschaftsnutzung machen muss, um einerseits langfristig mehr Umsätze machen zu können, und andererseits um keine naturellen, kulturellen und humanen Ressourcen einzubüßen, um den Bedarf weiterhin zumindest decken zu können. So gesehen verlangt eine realistische Einschätzung dieser wechselseitigen Relation nach Handlungsbedarf bezüglich einer innovativen nachhaltigen Kursänderung in der Gestaltung der Produktpolitik, dem inneren Kern der Vermarktungspolitik. Ein erster Schritt von vielen wäre, wenn sich Reiseveranstalter verbünden und ihr Reiseangebot einheitlich nach einem nachhaltigen Kriterienkatalog anpassen (so wie später beschrieben am Beispiel des FAR).

Störfaktoren wie Naturkatastrophen, Krankheiten und Kriege zählen zu den beliebtesten Negativnachrichten in den Medien, und verdeutlichen den „variablen“ Preis, den die Tourismusbranche zusätzlich entrichten muss. Mittlerweile ist es sicherlich kein Fehler, diesen Preis als „fixe“ Kosten in das Budget einzukalkulieren, um böse Überraschungen bzw. die mit einer zuverlässigen Regelmäßigkeit wiederkehrenden Negativereignisse verkraften zu können. Den Reisepreis für eine Destination wegen einer vorübergehenden Nachfrageflaute einfach zu senken wäre dabei allerdings nicht unbedingt die beste Lösung, vielleicht kurzfristig, was aber zur Folge haben kann, dass man einen nicht zu verachtenden langfristigen Imageschaden als Billigziel erleidet. Laut dem Tourismusminister von Kenia lautet die Strategie nach Krisen daher eher „Produktverbesserung statt Preissenkung“19.

Das Produkt wird nicht nur durch einen Zusatznutzen verbessert, der dieses zielgruppengerecht spezialisiert und im Wettbewerb auf dem freien Markt einen gewissen Erkennungs- und Beliebtheitsgrad gibt, sondern auch dadurch, dass die Qualität der genutzten und verbrauchten Ressourcen verbessert wird, indem nachhaltiger gewirtschaftet wird, d.h. bestehende Ressourcen werden mindestens nicht weniger, sondern bleiben gleich in ihrer Zahl (und erreichen sozusagen mindestens einen „break-even point der Nachhaltigkeit“20).

Das Ziel sollte aber darüber hinaus sein, dass der Tourismus nicht nur nicht zerstört was er nutzt, sondern wie der Tourismus Teile der Einnahmen nutzt und eben nicht nur die unternehmensinterne Entwicklung fördert, sondern auch die unternehmensexterne, nämlich die in den „Entwicklungsländern“. Endziel nachhaltig effizienten Wirtschaftens ist doch immer eine die Ressourcen „vermehrende“ Politik, d.h. Gelder werden für eine weitere Investition in die Zukunft verwendet, z.B. für umweltfreundliche Landschaftsplanung und - nutzung sowie die Integration sozialer Förderprojekte, wie später genauer beschrieben wird.

2.4 Nachhaltigkeit „trotz“ Globalisierung

Im Sinne eines Gleichgewichts des nachhaltigen Dreiklangs einer „global economy, ecology and equity”21 sollte man die globalisierte Welt in allen drei Bereichen gleichermaßen neu ordnen - mithilfe einer nachhaltigeren Unternehmenspolitik. Aber ist Nachhaltigkeit „trotz“ Globalisierung überhaupt möglich? Die aktuelle Situation beweist Handlungsbedarf zugunsten einer nachhaltigeren Einstellung seitens der Weltbevölkerung. Es gibt nichts langfristig Existenteres als die Zukunft, doch gestalten wir die Zukunft auch wirklich ausreichend „nachhaltig“ genug, damit die Zukunft „in Zukunft“ weiterexistieren kann?

Nachhaltig denken bedeutet heute und zukünftig so ethisch-strategisch zu handeln, dass der Planet Erde und dessen Ressourcen (wozu wir selbst als „humane“ Ressourcen eben auch zählen) mit Respekt und Verantwortungsbewusstsein behandelt wird, damit das Fundament der Natur den Menschen der nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Eigennütziger Raubbau der Ressourcen durch reinen Kapitalismus ist dabei keine Lösung, sondern vielmehr nur eine Vorstufe zu einer weiteren Erkenntnis, dass der wahre Quell des Menschen Lebensgrundlage die Natur der Erde war, ist und bleibt, deren Erhalt eine Weiterentwicklung der (menschlichen) Lebewesen ermöglicht. Die Existenz und Vielfalt der Natur ist und bleibt die Vorraussetzung für die Existenz von (menschlichem) Leben.

Doch bei aller moralischen Einsicht in diese banale Erkenntnis sieht die Wirklichkeit unseres Lebens meist anders aus. Es kommt nun mal auf jeden Einzelnen an, seine Kultur im Zuge der Globalisierung zu wahren und statt Vereinheitlichung den Weg der Vielfalt zu wählen, dem Individualismus. Ein authentisch gelebtes Kultur- und Naturbewusstsein ist die Grundlage für langfristig nachhaltiges Handeln nicht nur im engeren Sinne der Gemeinschaft und Gesellschaft, sondern im weiteren Sinne der menschlichen Weltbevölkerung im Ganzen. Konform zu einem wertschätzenden Altruismus sollte der Sinn für das Gemeinschaftswohl und eben auch einer Nachhaltigkeit auf allen Ebenen noch vor dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung in der Maslow-Pyramide stehen. Eben gerade die Gewahrwerdung der menschlichen endlichen Existenz und dem allgemeinen Glauben an eine Vergänglichkeit der materiellen Dinge einschließlich der Erde als Teil des Planetensystems erschwert es dem Einzelnen, in seiner begrenzten Lebenslaufbahn, nicht nur auf den eigenen Nutzen bedacht zu handeln, sondern eben nachhaltig auch und gerade zum Nutzen und Wohle der ganzen Weltbevölkerung und den dann nachfolgenden Generationen.

Nachhaltigkeit ist wie der Sinn für das Gemeinwohl und die Nächstenliebe eine altruistische soziale Geisteshaltung mit dem Bewusstsein einer Multidimensionalität und Multioptionalität entgegen einer vorwiegend materiellen Globalisierung und der Verdinglichung des Seins, und ein Entwicklungsprozess, der erst im Zuge der Zeit „langfristig“ Veränderungen bewirkt. Die noch vorherrschende dominierende rationale ökonomische Geisteshaltung entstammt dem Rationalismus, dem auf das Wirtschaftwachstum und damit die Existenz- und Konkurrenzfähigkeit bedachte Denken und Bestimmen des Seins. Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn sich das überwiegend ökonomische, nutzenorientierte, gewinnmaximierende, opportunistische Denken wieder langfristig „angleicht“ an die anderen Dimensionen des Soziokulturellen und Ökologischen.

Dabei bedenke man, dass dieser „Veränderungsprozess“ wohl genauso andauern muss wie der „Veränderungsprozess“ der Industrialisierung und Globalisierung zuvor andauerte - und das bis dato hunderte von Jahren. Veränderungen geschehen eben nicht von heute auf morgen, und eine Veränderung der Geisteshaltung innerhalb der Weltbevölkerung wird wohl aller so positiven Absichten zum Trotze noch einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Die „Grüne Welle“ ist eben (noch) nicht mehr als eine Modeerscheinung, die noch nicht bis in die entscheidungstragenden Köpfe der Großunternehmer in den urbanen Landschaften vorgedrungen ist.

Nachhaltigkeit „trotz“ Globalisierung ist möglich, aber nur auf lange Sicht, und das mit konsequenten gesetzlichen Vorgaben an eine international einheitliche nachhaltige Unternehmenspolitik. Der Mensch ist bekanntlich ein Tier, das nicht nur versprechen kann, sondern auch lügen (man denke hierbei z.B. an die falschen Versprechungen der USA auf den Klimagipfeln - bis heute hat der „Umweltsünder Nummer 1“ das Protokoll noch nicht unterzeichnet und erkauft sich weiter „Verschmutzungsrechte“ von den Entwicklungsländern).

3. Der Tourismusmarkt

Wie sieht der aktuelle Tourismusmarkt aus, welche Trends sind fest zu stellen, was begünstigt und was behindert die Entwicklung eines Nachhaltigen Tourismus? Die Veranschaulichung der aktuellen Situation des allgemeinen Tourismusmarkts „in Zahlen“ soll einem näheren Verständnis dienen, wie problematisch und realistisch eine Kursänderung in Richtung Nachhaltiger Tourismus sein kann.

3.1 Der Tourismusmarkt in Zahlen

In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich der Tourismus wie kaum ein anderer Industriezweig weltweit zu einem der größten Wirtschaftszweige entwickelt, ein Ende des Reisebooms ist nicht in Sicht.22 Dramatische Ereignisse wie z.B. die Tsunami-Katastrophe in Südostasien 2004 und die Bombenanschläge in London und Bali 2005 und in Ägypten 2006 haben laut WTTC trotz ihrer lokalen Auswirkungen den weltweiten Tourismus nicht wesentlich beeinträchtigt. „Die Reise- und Tourismusindustrie ist geprägt von enormer Kraft, Dynamik und Vitalität. Wir sehen, dass sie als Job- und Konjunkturmotor ganzen Volkswirtschaften zu nachhaltigem Wachstum verhilft“23, kommentiert WTTC-Präsident Jean-Claude Baumgarten.

Laut dem aktuellen UNWTO World Tourism Barometer sind sich die „arrivals“ (Ankünfte der Touristen) binnen der letzten 30 Jahre von 165 auf aktuell rund 900 Mio. angewachsen, während die „receipts“ (Zahlungen der Touristen) noch rasanter von 18 auf rund 700 Mrd. US-Dollar (umgerechnet ca. 500 Milliarden Euro) gestiegen sind (Abb. 6).24 Diese markanten Zahlen veranschaulichen die Entwicklung des Tourismus hin zum globalen Massenphänomen. Die Tourismusindustrie ist zu einem der Haupt-Wachstumssektoren der Weltwirtschaft geworden. So macht in den OECD-Ländern die Tourismuswirtschaft zwischen 2% und 12% des Bruttoinlandproduktes und zwischen 3% und 11% aller Arbeitsstellen aus25.

Europa nimmt weiterhin vor allem wegen der die Mobilität fördernde, gut ausgebauten Infrastruktur und den hoch entwickelten Transportmitteln mit der Hälfte der Ankünfte und Zahlungen eine Vormachtstellung ein, während infrastrukturell unterentwickelte Regionen wie Afrika, der Mittlere Osten und Südasien das Schlusslicht bilden, jedoch in jüngster Zeit die größten Wachstumszahlen bilden, da das Interesse nach einer Erschließung neuer Tourismusregionen gefragt ist.

Spätestens mit der Prognose Tourism 2020 Vision der WTO wird offenkundig, dass die Wachstumsrate des Tourismus ins Uferlose führt und ein echtes Problem für die Verträglichkeit innerhalb der Biosphäre darstellt. Im Jahr 2020 sollen es bereits 1.600 Mio. Ankünfte sein, darunter, und das ist das eigentliche Problem, rund 400 Mio. Langstrecken-, also Flugreisende (Abb. 7). „Bislang beläuft sich der Ökotourismus-Anteil am gesamten Ferntourismus nur auf 0,5 bis 5%“26.

Hauptgründe für das Wachstum im Tourismus sind laut den Global Trends 2008 nicht die angesprochene Bevölkerungsexplosion an sich, sondern der zunehmende Reichtum und damit verbunden die zunehmende Nachfrage vor allem aus den Schwellenländern der „Emerging BRIC“ (Brasilien, Russland, Indien, China), und damit wiederum sinkende Preise durch Billigangebote für Flug und Hotel, gleichzeitig auch durch mehr Nachfrage nach Kurztrips (Abb. 8).

Weiterhin benutzen 89% der Touristen für ihre Reise ein Verkehrmittel wie das Flugzeug oder Auto (Abb. 9). Somit wird deutlich, dass eine Urlaubsreise notgedrungen auf eine Nutzung fossiler Brennstoffe angewiesen ist, auch wenn neuerdings Biosprit in Mode kommt, was sich langfristig aber ebenso wenig rentiert, da dieser z.B. armen Völkern in Entwicklungsländern notwendige Grundnahrungsmittel wie Mais oder Reis raubt und die Preise schlagartig in die Höhe steigen lässt.

Die größte Umweltsünde im Tourismus ist die An- und Abreise, die 90% des gesamten Energiebedarfs im Urlaub benötigt und die Umweltbelastung steigt mit zunehmender Entfernung des Urlaubsziels und dem so genannten Härtegrad der Mobilität, wobei aber immer noch Kurzstreckenflüge die größten „Dreckschleudern“ sind, weil sie beim Start die meiste Energie verbrauchen.27 Dabei ist das Fliegen die energie- und emissionsintensivste Art, sich fortzubewegen. So wird bei einer Bus- oder Bahnreise, verglichen mit einer Flugreise, im Durchschnitt nur ein Drittel der Energie benötigt. „Bei einem Urlaubsflug nach Mallorca oder Teneriffa wird das Klima mindestens gleich stark geschädigt wie durch ein Jahr Autofahren – selbst wenn man einen günstigen Verbrauch für das Flugzeug von nur 4 Litern pro 100 Personenkilometer und für den Pkw von 5,5 Litern Benzin pro 100 Fahrzeug-km ansetzt“28. Bei derzeit 400 Mio. Fernreisen mit dem Flugzeug lässt sich der unermesslich schädliche Verbrauch an den Treibhausgas erzeugenden Brennstoffen leicht ablesen. Ein Langstreckenflug verbraucht gar das doppelte o.g. Vergleichs (Abb.10).

3.2 Tourismus als Dienstleistungssektor

Der Tourismuswirtschaft wird wegen der überwiegenden Dienstleistungsfunktion eine besondere Rolle zugeschrieben. Zwar schließt das touristische Produkt auch die Nutzung „materieller“ Produktgüter wie etwa Flugzeug, Hotel oder Mietwagen mit in den Dienstleistungserstellungsprozess ein, der Anbieter kauft und verkauft aber in der Regel nur die Nutzungs- und Benutzerrechte an den Endkonsumenten. Tourismusdienstleistungen besitzen Vertrauensgutcharakter und das Thema Sicherheit steht damit ganz oben auf der Prioritätenliste des Urlaubers. Die (Dienst)Leistung wird erst mit dem Erstellungsprozess bei Reiseantritt und dem eigentlichen Erleben der Reise Realität, die Qualitätsbeurteilung ist oft nur während der Leistungserstellung möglich. Die Immaterialität der touristischen Dienstleistung erfordert daher eigene Regeln und Gesetze des Marketing. Das Reiseprodukt wird so zu einem fixen Preis abhängig von der Qualität und Quantität zielgerichtet auf dem freien Markt kommuniziert und vertrieben, ohne dass der Endkonsument Einfluss auf das verpackte Dienstleistungsbündel hat. Ausgenommen sind Unternehmen die Kundenbefragungen ernst nehmen und ihr Reiseangebot gezielt aktuellen Kundenpräferenzen anpassen. Die oft zitierte Applikation der „Servqual-Methodik“ versucht hier nach Beendigung der Reise die Effizienz und Effektivität der einzelnen Leistungserstellungsprozesse durch möglichst geringe „Gaps“ (Abstände) zwischen Unternehmen, Personal und Kunde zu maximieren.

Wie angesprochen bedenke man bei alledem, dass die Agenturen, Hotels und das Personal vor Ort genauso wenige wie gar keine Entscheidungsmöglichkeiten besitzen über die Art und Weise, wie sozialverträglich oder umweltfreundlich genau das Produkt erstellt und verkauft wird. Daher erscheint es problematisch ein touristisches Dienstleistungspaket vor der Buchung und dem Reiseantritt richtig einzuschätzen und im Vorfeld abzuschätzen, ob und dass nicht nur Sicherheit und Qualität garantiert werden können, sondern eben auch die Sozial- und Umweltverträglichkeit im Umfeld der von fremdbestimmten Personen geführten kleinen Unternehmen im Destinationsgebiet. Wie später genauer beschrieben wird, gibt es jedoch Maßnahmen wie z.B. die Erstellung und Offenlegung eines unternehmensinternen Nachhaltigkeitsberichts, der das Angebot transparenter und für den Kunden greifbarer macht.

3.3 Tourismusformen: Massen- oder Individualtourismus?

3.3.1 Ökonomischer „harter“ Massentourismus

Die angeführten Zahlen einer stetig wachsenden Weltbevölkerung und die durch den zunehmenden Wohlstand ermöglichte und auch benötigte „Reise-Auszeit“ belegen die Existenz einer potentiellen „Masse“ an Touristen. Gerade die Reiseveranstalter haben durch ihre weltweiten Aktivitäten sowie durch die moderne Form der „Pauschalreise“ die heutigen Erscheinungsformen des „Massentourismus“ geprägt. Dabei ist es aber weniger die gesamte Anzahl (absolute Masse) als das gruppenweise und gleichförmige Auftreten der Touristen, das zur Globalisierung beigetragen hat.29 Wie später näher erläutert wird, diktieren überwiegend demographische Faktoren die Höhe des Reisebudgets und damit die Qualität der Reiseinhalte und die Entfernung der Destination. Natürlich entscheidet auch der psychographische Faktor, wo die Reise hingehen soll, da nicht jeder in ein fremdes Land reist, auch wenn er es sich „finanziell“ leisten „kann“, aber nicht „gesundheitlich“ leisten „will“, weil er vielleicht Angst hat vor Krankheiten, Terroranschlägen oder gar dem Fliegen selbst.

Massentourismus ist also das gehäufte Auftreten von Touristen an bestimmten Zielorten. Es existiert eine Masse an Touristen, die nicht nur zuhause oder in der näheren Umgebung Urlaub machen will, sondern auch eine Fernreise, d.h. eine Reise, die mindestens 2.000 km entfernt ist.30 Hier bieten sich dem durchschnittlich eher unkundigen, sparsamen weil schlechter verdienenden Urlauber oder einer Urlauberfamilie in erster Linie eine günstige kompakte Pauschalreise als Reiseoption an, einem Paket aus Flug, Unterkunft und je nach inkludierten oder dazu gebuchten Bausteinen noch Reiseführungen, Mietwagen, sportliche oder kulturelle Ereignisse etc. im Zielgebiet. Bei dieser Reiseform werden die Reisepakete vom Veranstalter im Normalfall zu einem wettbewerbsfähigen geringen Preis direkt an den Endkunden vertrieben, beinhalten aber meist nur das absolute Minimum an Leistungsumfang und können nicht mit qualitativeren Reisebausteinen aufwarten. Der Preis, den die Masse zahlt, rechnet sich für den Veranstalter nur, wenn die Absatzmenge und damit der Ertrag und letzten Endes die Rendite groß genug ist, damit sich auch der kleine Verdienst an jeder Leistungseinheit rechnet. „Wie jedes Konsumgut, so musste auch die Reise in großen Serien hergestellt werden, wollte die Fremdenindustrie ihren Platz auf dem Markt behaupten“31. Vorraussetzung ist dabei aber ein Massentourismus ohne wirkliche Qualitätsgarantie. Daher ist der Massentourismus als „ökonomisch“ effizient anzusehen, da er zumindest den Veranstaltern schwarze Zahlen versprechen kann, unabhängig vom Verdienst des Personals und der sonstigen Entwicklung der benutzten Leistungen im Zielgebiet.

„Harten“ Massentourismus zu betreiben bedeutet für den Nachfrager, wenn man z.B. „wenig Zeit in den Urlaub mitbringt, schnelle Verkehrsmittel benutzt, Sehenswürdigkeiten „knipst“, sich nicht geistig auf die Reise vorbereitet und seinen eigenen Lebensstil in das Gastland zu importieren versucht“32. Ein harter Tourismus zeichnet sich aber keineswegs nur durch eine Schädigung der natürlichen Umwelt aus; er hat vor allem auch negative Auswirkungen auf den individuellen Erholungswert des Urlaubs sowie auf die soziale Umwelt des Gastlandes.

3.3.2 Nachhaltiger „sanfter“ Individualtourismus

Nachhaltiger Tourismus ist hauptsächlich eine Tourismusform des Ökotourismus, der in den 60er-Jahren in den USA entstand. Ökotourismus ist „eine umwelt- und sozialverträgliche Reiseform zu Naturschönheiten, die zur Finanzierung von Schutzgebieten und zum Einkommen der lokalen Bevölkerung beitragen soll“33. Diese Tourismusform signalisiert das Umdenken in den 60er-Jahren, die an ein vor allem umweltfreundlicheres Wirtschaften ermahnt, damit die natürlichen Ressourcen nicht vollends aufgebraucht werden. Im Vordergrund steht bei dieser Tourismusform die Sozial- und Umweltverträglichkeit der Reisen, wobei angestrebt wird, negative soziokulturelle und ökologische Auswirkungen zu minimieren.34

Erst später mit dem angesprochenen Brundtland Report Ende der 80er-Jahre entstand der Begriff der Nachhaltigkeit und vereinte den Ökotourismus und andere Tourismusformen und - begriffe (z.B. Naturtourismus), um eine Einheit zu bilden und alle drei Dimensionen gleichermaßen in die touristische Leistungserstellung zu integrieren. Man kann den Nachhaltigen Tourismus als „sanfte“ Gegenbewegung bezeichnen, als allmähliche Revolution gegen die am Fließband produzierten standardisierten rein gewinnorientierten Pauschalreisen, um stattdessen dann eher Individual- und Gruppenreisen mit einer beschränkten Teilnehmerzahl (beim FAR im Schnitt 6-12 Personen) anzubieten. Natürlich zeugt dies auch von einem leisen aber vernehmbaren Aufschrei der Konkurrenz der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die versuchen in der Nische der Nachhaltigkeit mit zertifizierten spezialisierten Reiseprodukten und einem Qualitätsbewusstsein, das auf einem erhöhten Umwelt- und Kulturbewusstsein gründet, Fuß zu fassen und sich gezielt auf die sich immer individualierenderen Zielgruppen zu konzentrieren. „Sanfter“ zu reisen bedeutet für den Nachfrager „so wenig“ wie möglich auf die betretene Natur einzuwirken oder ihr zu schaden, diese möglichst nah, intensiv und ursprünglich zu erleben und sich auch der Kultur und den Gebräuchen des Zielgebiets möglichst anzupassen. (Alles nachhaltige Reisemotive, die sich später in der eigenen Umfrage bestätigen).

3.3.3 Paradoxie eines „sanften Massentourismus“

„Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet“35. Diese Paradoxie bezeichnet den Umstand, dass ein anfänglich „sanfter“ Tourismus dann zum Massentourismus mutiert, wenn zu viele Touristen einen naturintakten Ort besuchen und ihm durch die „Ab-nutzung“ Schaden zufügen, z.B. in Form von mit Kettenhotels verbauten Stränden in Spanien, Ferienanlagen in naturgeschützten Tier- und Pflanzenreservaten in Afrika, oder wie zuletzt auch in Tibet die Verdrängung und Zerstörung der einheimischen Kulturen durch das chinesische Regime. Würden alle Massentouristen plötzlich auch nachhaltigen sanften Individualtourismus bevorzugen, dann würden fremde unbekannte Lebensräume noch mehr bereist und bedroht werden als jetzt schon.

Daher lautet die Optimallösung des Verteilungsproblems, dass die massentouristischen Kolonien weiter bestehen bleiben, aber gebunden sind an nachhaltige Vorgaben eines Kriterienkatalogs und Zertifizierungen wie z.B. im Falle des FAR. Die kostengünstigen Reiseprodukte kann man mit etwas Kreativität genauso differenzieren und individualisieren, ohne dass die Qualität und damit die Kundenzufriedenheit darunter leiden muss. Der Nachhaltige Tourismus sollte sich jedoch beständig weiterentwickeln und letzten Endes als Standardform eines tragbaren zukunftsfähigen Tourismus durchsetzen. Gemäß der heterogenen Biodiversität der Natur sollte eine möglichst interessante Mischung aus facettenreichen Reiseangeboten auf dem Quellmarkt zum Kauf angeboten werden, die alle sozialen Milieus und demographischen Klassen abdeckt, um einerseits die Kundenzufriedenheit maximal zu befriedigen und andererseits Nachhaltigkeit zum Schutze der Natur und Kultur sicherzustellen.

Es bleibt jedoch jetzt schon mal festzuhalten, dass „ein Sanfter Tourismus „in Reinform“ angesichts der heutigen Reiseströme nicht realisierbar ist“36. So ist es auch ein krasses Fehlurteil, dass nur die massentouristischen Pauschalurlauber generell schädlich sind, da koordinierte Besucherströme z.B. einer umweltfreundlichen Busreise die Anforderungen eines sanften Tourismus weitaus mehr erfüllen, als so genannte Individualtouristen, die nur zu zweit oder gar alleine mit dem Auto in den Urlaub fahren oder als Backpacker in unberührter Natur in Tierreservate vordringen. Was würde also passieren, wenn alle Massentouristen plötzlich auch auf eigene Faust abseits der ausgetretenen Pfade den Wunsch auf authentische Erlebnisse verspüren? Unkontrolliert massenhaft fließende Touristenströme würden die ungeschützten Natur- und Lebensräume von Menschen, Flora und Fauna früher oder später zerstören.

4. Der „geteilte“ Reiseveranstaltermarkt

Wie angesprochen liegt der Schwerpunkt der Ausarbeitung auf einer Analyse des „nachhaltigen“ Reiseveranstaltermarkts am Beispiel des FAR, jedoch gilt es vorerst den sog.

„geteilten“ Reiseveranstaltermarkt zu differenzieren. Nachfolgend soll dazu nach einer kurzen Definition und Beschreibung der Funktion eines Reiseveranstalters eine Analyse der Größe und Struktur des „herkömmlichen“ deutschen Reiseveranstaltermarkts mithilfe der aktuellen FVW Dokumentation durchgeführt werden, damit anschließend ein Vergleich zu den gleichen Aspekten zum „nachhaltigen“ Reiseveranstaltermarkt vorgenommen werden kann. Schlussfolgernd können dadurch Informationen zu den Wesensmerkmalen der nachhaltigen Reiseveranstalter herausgefiltert werden, bevor die Analyse im folgenden Teil den nachhaltigen Reiseveranstaltermarkt am praktischen Beispiel des FAR genauer untersucht.

4.1 Der Reiseveranstalter

In der Tourismuswirtschaft ist folgende Funktionsteilung vorzufinden: „Leistungsträger erstellen Einzelleistungen und stellen diese Reiseveranstaltern zur Verfügung (z.B. Hotelbetriebe und Fluggesellschaften), Reiseveranstalter kombinieren diese Einzelleistungen zu marktfähigen Angeboten (Pauschalreisen), Reisemittler vertreiben die marktfähigen Angebote der Reiseveranstalter.“37 Internationale Agenturen in der Zielregion kooperieren mit den nationalen Reiseveranstaltern in der Quellregion, um diesen Leistungsbausteine mit Informationen über das Zielgebiet, Reiseprogramme etc. zu vermitteln. Abb. 11 veranschaulicht die Konstellation der genannten Leistungsträger auf dem globalen Tourismusmarkt von heute.

Allgemein muss ein Unternehmen gleich welcher Art innerhalb dem internen Umfeld (Mitarbeiter) und externen Umfeld (Lieferanten, Kunden, Kooperationen, Projekte) funktionieren, um dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Folgende Abbildung veranschaulicht das enge Geflecht an Stakeholdern (Anspruchsgruppen) als Wirkungskreis für gute und tragfähige Beziehungen (Abb. 12).

Wie bereits erwähnt, stellen Reiseveranstalter als Vermittler zwischen Touristen und touristischen Leistungsträgern meist komplette Urlaubspakete zusammen, die dem Kunden entweder auf direktem Weg oder indirekt über (eigene) Reisebüros angeboten werden38. Jedes touristische Angebot besteht aus der Unterbringung meistens mit Verpflegung und dem Transport zum und im Zielgebiet, z.B. zu Ausflügen, Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten. Auch wenn der direkte Vertrieb zahlreiche Vorteile birgt wie Kontrollmöglichkeit und Kostensparsamkeit wird immer mehr bzw. wieder mehr der indirekte Vertrieb über andere Anbieter, meist bequem über das Internet, angesteuert und eingesetzt, um an Reichweite zu gewinnen und den Kunden über verschiedene Marken anzusprechen. Reiseveranstalter haben meistens keine direkte Kontrolle über die einzelnen Leistungen und ihre Wirkungen auf Umwelt oder soziales Umfeld. Die Kunden erwarten aber immer häufiger, dass die Reiseveranstalter eine hohe Qualität des Produkts und ein vorteilhaftes Preis-Leistungs- Verhältnis sicherstellen.

Ein wirklich nachhaltiger Tourismus lässt sich nur dann umsetzen, wenn alle Partner im touristischen Gesamtsystem als Einheit zusammenwirken, d.h. Leistungsträger sowohl im Quellmarkt als auch im Zielgebiet. In der Praxis erscheint eine reibungslose effektive und nachhaltige Kooperation leider nicht immer gewährleistet zu sein, da die jeweiligen einzelnen Unternehmen unterschiedliche vorwiegend ökonomische Ziele verfolgen. Bei den Reiseveranstaltern laufen alle Einzelleistungen zu einem Paket zusammen, was bedeutet, dass gerade den Reiseveranstaltern eine große Bedeutung für die Umsetzung eines Nachhaltigen Tourismus zukommt. Die individuellen Entscheidungen der Reiseveranstalter bestimmen, welche Art von Teilleistungen kombiniert werden, d.h. herkömmliche oder nachhaltige Produktkomponenten, um daraus ein markt- und konkurrenzfähiges Angebot zu entwickeln. Wie später am Beispiel des FAR beschrieben wird, begünstigen die Synergieeffekte eines kooperativen Verbunds und die zusätzliche Repräsentanz über eine Dachmarke wie dem FAR eine harmonische Abstimmung des Dreiklangs der Nachhaltigkeit im Prozess des Austauschs mit anderen Mitgliedern und der einheitlichen Anpassung der Reiseprodukte an den Kriterienkatalog des FAR.

4.2 Der „herkömmliche“ Reiseveranstaltermarkt

4.2.1 Größe und Struktur

Eine Unterteilung der Reiseveranstalter auf dem Markt kann hinsichtlich verschiedener Kriterien erfolgen, wie z.B. dem Gesamtjahresumsatz, der Teilnehmerzahl oder der Anzahl der Reiseangebote. Die folgenden Zahlen wurden der aktuellen FVW Dokumentation entnommen, die den Reiseveranstaltermarkt Deutschlands jährlich darstellt. Bei dieser Studie werden nur große und mittelständische Veranstalter39 betrachtet, was zu einer eingeschränkten Marktanalyse führt, weil die Kleinveranstalter und die anderen nicht erfassten mittelständischen Veranstalter in der Analyse fehlen.

Laut der FVW Analyse und den Global Trends 2008 befindet sich der deutsche Reiseveranstaltermarkt seit 2001 nach Störfaktoren wie dem Terroranschlag in New York am 11. September 2001, die Ausbreitung der Vogelgrippe und SARS in Asien 2003, dem Tsunami im Indischen Ozean 2004 und den Bombenanschlägen in Bali, Ägypten und London 2004/0540 nun im Jahre 2007 erstmals wieder auf einem neuen Rekordhoch von 20,3 Milliarden Euro Gesamtumsatz und einer Zahl von 39,3 Mio. deutschen Reisenden (Abb. 13).

In der FVW Analyse wurden insgesamt 66 Reiseveranstalter betrachtet, von denen die TUI als größter deutscher Reiseveranstalter einen Umsatz von 4,63 Mrd. Euro und eine Teilnehmerzahl von 13,5 Mio. Reisenden erreichte (Abb. 14). Im Vergleich dazu erzielte der kleinste Veranstalter einen Umsatz von ca. 5,2 Mio. Euro und die geringste Teilnehmerzahl eines Reiseveranstalters betrug 3.531 Reisende. Der Großteil des Markts wird der Analyse zufolge wie in den Vorjahren durch sechs Branchenriesen dominiert (TUI, TC, REWE, Alltours, FTI und Öger), die zusammen einen Umsatz von 12,76 Mrd. Euro verbuchen (Gesamtumsatz aller Veranstalter: 16,3 Mrd. Euro), und damit zusammen einen Marktanteil von 78,3% besitzen. Diese Zahlenvergleiche veranschaulichen die Diskrepanz zwischen den großen und den kleinen Veranstaltern auf dem Reisemarkt.

Von den sechs größten Veranstaltern regiert die TUI mit 28,4% Marktanteil 2007 weiter als Platzhirsch und konnte im vergangenen Jahr weitere 3,7% zulegen bei steigendem Teilnehmerplus von 9,5%, vor allem weil sie auf der Nah- und Mittelstrecke die Nase vorn hat. Dagegen büßte der Rivale TC mit einem Umsatzrückgang von 7,2% zwei Prozentpunkte seines Marktanteils ein, die Teilnehmerzahl sank sogar um 8,9%. Der dritte im Bunde REWE verteidigt weiter die „Fernreise-Krone“ und verzeichnet ein kleines Umsatzplus von 2,9% und ein Teilnehmerwachstum von 4,3%. Alltours gewinnt mit einem Umsatzplus von 4,3% minimale Marktanteile, während FTI mit +15,7% den größten Umsatzsprung macht. Auch Öger erzielt nach der Erholung des Türkei-Geschäfts einen neuen Rekordumsatz. Die aktuellen Umsatzzahlen der drei größten Reiseveranstalter TUI, TC und REWE finden sich in Abb. 15.

Es bleibt damit die Frage unbeantwortet, welche Stellung die übrigen Veranstalter in Deutschland einnehmen, in der Grafik gekennzeichnet durch „Sonstige“ mit immerhin noch 21,7 %. Da es sich bei diesen Veranstaltern meist um lokale und regionale Spezialisten handelt (Angebot oder Zielgruppen orientiert), kann ihre Bedeutung und ihr Anteil am jeweiligen Teil- oder Spezialmarkt weitaus höher sein. Ferner zählen zur Gruppe der kleinen Reiseveranstalter auch Gelegenheitsveranstalter, die nur in geringem Umfang Reisen veranstalten. Im Vergleich zu den Vorjahren ist nicht nur seit 2001 erstmals wieder ein Rekordgesamtumsatz zu verzeichnen, viele KMU Veranstalter gewinnen als Spezialisten immer mehr an Boden und setzen ihren Wachstumskurs fort. Trotzdem ist die Struktur des Reiseveranstaltermarktes immer noch gekennzeichnet durch eine markante Polarisierung weniger großer und vieler kleiner Reiseanbieter und man spricht immer noch von einer generellen Tendenz zu einem „geteilten Reiseveranstaltermarkt“41.

4.2.2 Kooperationen der Marktführer

Um die Marktanteile nicht an die Konkurrenz der immer spezialisierenden KMU Veranstalter zu verlieren, bewiesen die Großveranstalter TUI und TC erst kürzlich großes Verhandlungsgeschick. Erst im vergangenen Jahr 2007 brachte der Frühling ungeahnte Gemeinschaftsgefühle zum Vorschein und die Folge waren zwei deutsch-englische Elefantenhochzeiten. Es paarten sich die beiden Branchenriesen TUI mit First Choice und TC mit My Travel, und realisierten damit die bislang größten Fusionen auf dem. Reiseveranstaltermarkt. Das Zeitalter der Fusionen und Kooperationen hat nun also auch die Reiseveranstalterbranche erreicht, und andere Tourismusbranchen wie dem Flugsektor machten kurze Zeit später von sich reden.

Schon immer gab es im Tourismus Kooperationen auf horizontaler Ebene, also zwischen Leistungsträgern derselben Sparte wie Reiseveranstalter, Airlines und Hotels, aber auch auf vertikaler oder lateraler Ebene wie etwa Kooperationen des Tourismus mit anderen Branchen zur Nutzung von Multiplikatorenketten. Doch gerade horizontale Kooperationen haben den Vorteil einer gegenseitigen Nutzenstiftung und bewirken eine Form von „Coopetition“, einer Mischform aus Kooperation und „Competition“ (engl. für Wettbewerb). Die Synergieeffekte einer Kooperation verursachen einen unternehmensinternen Rationalisierungsprozess, der zwar kurzfristig Verluste bringt, aber langfristig durch Aufbau einer einheitlichen Marke einen Wachstumsschub auslöst, der das Unternehmen stärkt und resistenzfähiger macht gegen die Konkurrenz der gleichen Leistungserstellungsebene. Vorteil ist vor allem die Kostendegression für die Kommunikation nach außen in Form von Werbekosten oder für die Distribution durch Vereinfachung und Verkürzung der Vertriebswege. Nicht zuletzt die Einsparung der „variablen“ Personal- und Raumkosten durch Zusammenlegung der Niederlassungen und Positionen senken die Gesamtkosten zweier erst konkurrierender und dann kooperierender Großkonzerne wie der TUI mit First Choice oder TC mit My Travel erheblich.

Ein interessanter Vergleich beider genannten Fusionen in Zahlen findet sich in folgender Abb. 16, die Zahlen mit Erläuterung stellen sich wie folgt dar:42

TUI und First Choice:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ergebnis des Vergleichs in Worten: Natürlich erhöhen beide Unternehmen nach der Fusion ihren Gesamtgewinn und die Kundenanzahl. Am Direktvergleich in Zahlen erkennt man, dass die TUI seine Marktführerschaft klar ausbauen konnte. TC und My Travel machen ca. 6.000 Mio. Euro weniger Umsatz und verzeichnen ca. 9.000 Mio. weniger Gäste – eine beträchtliche Summe.

4.2.3 KMU Veranstalter als Spezialisten

Mit Titeln wie „Größe ist nicht alles“ und „Die Kleinen kommen“ spricht die FVW Analyse den neuerlichen Erfolg der Spezialisten an.43 Spezialisten können mit ihren Produkten beim Einkauf und der Vermarktung bezüglich der zunehmenden Individualisierung der Kundenwünsche schneller und flexibler reagieren. Vor allem die Mittelständler stehen einmal mehr auf der Gewinnerseite, wenn sie ihr Heil in der Nische suchen.

Wie bereits angesprochen gewinnen die übrigen großen Veranstalter der Top 10 (Aida, Ltur, Phoenix, Schauinsland) und die „sonstigen“ KMU Veranstalter als Spezialisten trotz der Fusionen immer mehr Marktanteile. Klare Gewinner sind laut der FVW Analyse aber immer noch die mittelständischen Spezialisten, die ohne die sechs großen Veranstalter ein Umsatzplus von 10,1 % und einen Gästezuwachs von 12,1 % verbuchen, und damit erneut stärker als der Gesamtmarkt wachsen. Von 51 Veranstaltern, die sich zur Ertragslage äußerten, verbessern 27 ihren Gewinn vor Steuern, lediglich vier fahren 2006/07 ein schlechteres Ergebnis als im Vorjahr ein.

Ein Paradebeispiel für einen der großen Gewinner der letzten Jahre ist die Aida auf dem Sektor der Kreuzfahrten mit einem Umsatzplus 2006/07 von 9,6 %, die sich neben anderen Veranstaltern entsprechend dem Boom der vergangenen Jahre auf Segmente wie den erlebnisorientierten und begegnungsfreudigen Singles mit der Einstellung „arbeiten um zu leben“ konzentriert hat (Abb. 17). Kreuzfahrten kombinieren den erholsamen Urlaub auf dem Schiff, am Strand oder auf dem Golfplatz mit kulturellen Angeboten wie Städtebesichtigungen oder sportlichen Aktivitäten an Bord, im Meer oder an Land. Entscheidend ist dabei weniger der Preis, sondern die Qualität eines eher kurzweiligen aber intensiven Reiseerlebnisses mit vielen Eindrücken und Begegnungen innerhalb der großen Reisegruppen an Bord, in denen man sich aber auch jederzeit in die Kabine zurückziehen kann, wenn man für sich sein will. Ganz nach Belieben passt der Tourist dabei seine individuellen Wünsche und Vorlieben seiner jeweiligen Tagesform und Stimmung an, und muss sich dadurch nicht bedrängt fühlen, wie z.B. bei dem festen Programm einer Pauschalreise.

4.2.4 Trends auf dem Reiseveranstaltermarkt

Ein Trend aus heutiger Sicht ist „eine wahrscheinliche Entwicklung in der Zukunft, die in der Gegenwart sichtbar ist, und von der man begründet annehmen kann, dass sie sich in Zukunft fortsetzen wird“44. Dabei interessieren vor allem die greifbaren, d.h. messbaren Entwicklungen im Tourismus, und zwar auf der Nachfrageseite. Zuerst werden jedoch in Kürze die Anbietertrends vorgestellt.

4.2.4.1 Anbietertrends

Die FVW Analyse dokumentiert eine Reihe von Wesensmerkmalen und Trends des deutschen Reiseveranstaltermarkts, welche zu einem besseren Verständnis hinsichtlich des Ungleichgewichts und der neuzeitlichen Verlagerung der Marktanteile beitragen. Wie bereits angesprochen befindet sich der Gesamtmarkt der Reiseveranstalter auf einem Rekordniveau, wobei die Spezialisten auf höherem Wachstumskurs sind als die Großveranstalter, das am schnellsten wachsende Segment sind neben den genannten Kreuzfahrten (+9,6%) die Fernreisen (+7,1%) vor allem nach Asien, wohingegen die Nah- und Mittelstrecke hingegen nur +1,2% Anteile hat und davon liegen vor allem die Destinationen Türkei und Ägypten wieder im Trend, Deutschland selbst sowieso weiterhin überdurchschnittlich mit Bayern an der Spitze. Auch Anbieter von Studien- und Erlebnisreisen wie Studiosus (+7,9%) oder Lernidee vom FAR (+20%) profitieren vom Boom der Fernreiseziele. Kurzweilige Städtereisen erfreuen sich wachsender Beliebtheit, vor allem aufgrund der Billigfluglinien wie Airberlin, Ryanair, Easyjet, Tuifly oder German Wings, mit denen Touristen an einem verlängerten Wochenende beliebte europäische Städte wie Lissabon oder Venedig45 besuchen.

Damit verbunden ist der weitere Trend des Wachstums des Flugeinzelplatzgeschäfts, bedingt durch die steigende Teilnehmerzahlen aufgrund der zahlreichen Billigaktionen. Im Vergleich zu den Flugreisen sind die erdgebundenen Reisen mit einem Umsatzplus von +5,5% wieder im Trend, wobei das Reisen mit dem eigenen Auto wegen der zunehmenden Individualität beliebter ist als Busreisen. Damit verbunden ist auch ein solides Wachstum der Ferienhausspezialisten wie Inter Chalet (+8,4%), wo Auto fahrende Urlauber dann nächtigen.

4.2.4.2 Verbrauchertrends

Generell spricht man auf dem Nachfragermarkt (im Tourismus) von einem „Verlust der Mitte“ (Abb. 18), einem wiederum „zweigeteilten“ Markt mit preiswerten Massenangeboten, Marke „billig und gut“ und auf der anderen Seite die weitaus kostspieligeren, spezialisierten, qualitativ hochwertigen, meist luxuriösen Reiseangebote aus den Nischen wie z.B. des Nachhaltigen Tourismus, Abenteuer- und Erlebnistourismus, Kreuzfahrttourismus und Hotel- und Golfanlagentourismus. Die Mitte verschiebt sich zunehmend nach links, d.h. mehr Kunden wollen „günstige und gute“ aber nicht „billige“ Reiseangebote buchen, also für wenig Geld trotzdem noch Qualität und Sicherheit. Die Anbieter tanzen nach der Pfeife der Mehrheit und machen durch den massenhaften Kettenein- und verkauf trotzdem Gewinne. Wie bereis angesprochen können aus dieser Schichtverlagerung und -verschmelzung jedoch nur die wirklich großen Veranstalter einen Vorteil ziehen.

Gerade deswegen müssen die KMU Veranstalter wie später angeführt am Beispiel der Mitglieder im FAR Ihren Vorteil an anderer Stelle gewinnen – durch Segmentierung und Targeting der sich individualisierenden psychographischen und demographischen Zielgruppen sowie der geographischen Zielgebiete. Statt einer Sättigung der Masse mit den „4 S„(Sea, Sand, Sun, Sex) treten neue Merkmalsvariablen im Zuge steigender Reiseerfahrenheit in den Vordergrund der „4 I“ (Insights, Inspiration, Information, Involvement).46

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem Massenmarketing und dem Segmentmarketing (Abb. 19). Bei dem Segmentmarketing steht das differenzierte Produkt im Vordergrund, was den heterogenen Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen angepasst wird. Durch die Differenzierung soll das Produkt auf dem freien Wettbewerbermarkt abgegrenzt werden und kann dadurch einen höheren Profit nach sich ziehen. Die neuesten beiden Formen der Marketingstrategie sind nach dem Massenmarketing (Vorteil „Preis“), dem differenzierten Marketing (Vorteil „Produktmerkmal“) und dem Segmentmarketing (Vorteil „Zielgruppenbezug“), das Nischenmarketing und das „angepasste“ Marketing, wobei der Differenzierungsgrad mit jeder Stufe zunimmt (Abb. 20).

Nach Freter gibt es fünf verschieden Typen der Segmentierung: soziodemographisch (Alter, Geschlecht, Status/Kinder, Bildung, Arbeit, Einkommen, Milieu, Nationalität, Religion), geographisch (Herkunft nach Region, sog. Nielsen Zones), psychographisch (Einstellungen, Motive), verhaltensbezogen (Kaufverhalten, Wahl des Produkts nach Preis etc.) und lebensstilbezogen (Lebensführung).47

Im Folgenden werden verschiedene Analysen aus der Marktforschung zu aktuellen Verbrauchertrends im Jahre 2008 herangezogen, um die derzeit gefragten Segmente und Nischen auf dem Reiseveranstaltermarkt genauer unter die Lupe zu nehmen. Im Schlussteil können die hier gewonnenen Informationen zum Kundenverhalten mit den eigenen Ergebnissen der Analysen mit den Mitgliedern des FAR sinnvoll verglichen werden.

4.2.4.2.1 Projekt INVENT (2005)

Das Projekt INVENT (Innovative Vermarktungskonzepte nachhaltiger Tourismusangebote) der ISOE „hat innovative Reiseangebote entwickelt, die sowohl einen nachhaltigen Tourismus fördern als auch erfolgreich in den Segmenten des Massen- und Volumenmarktes platzierbar sind. Ausgangspunkt bildete die Frage, ob die Produkte die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe treffen bzw. was an den Angeboten verändert werden muss, um die Zielgruppen zufrieden zu stellen und dennoch einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen“48. Von daher ist diese Analyse mit Methoden der qualitativen Markt- und Sozialforschung ideal zum näheren Vergleich der unterschiedlichen Zielgruppen bezogen auf den „zweigeteilten“ Reiseveranstaltermarkt. Die Studie war Teil eines dreijährigen Forschungsprojekts 2002-05 in Kooperation mit dem BMBF und Wissenschaftlern der Universität Lüneburg, und wurde auch schon auf der ITB präsentiert.. Auch hier zeigt sich also wieder in anschaulicher Weise, wie eine Kooperation verschiedener Parteien aus Tourismus, Politik und Wissenschaft von Nutzen sein kann, wie in diesem Fall mit einer großflächigen und damit repräsentativen Analyse des Nachfragermarkts.

Den Ergebnissen der lebensstilbezogenen sozialwissenschaftlichen Befragung zufolge können Zielgruppen im Tourismusmarkt unter dem Aspekt motivationaler Hintergründe in Bezug auf Reiseziele und -wünsche in folgende sieben verschiedene Urlaubertypen unterteilt werden (Segment nach Größe absteigend): Sonne-Strand-Pauschalurlauber, traditionelle Gewohnheitsurlauber, anspruchsvolle Kulturreisende, Natur- und Outdoor-Urlauber, Kinder- und Familienorientierte, junge Fun- und Actionurlauber, unkonventionelle Entdecker (siehe entwickeltes Zielgruppenmodell in Abb. 21). Die Verteilung der Segmente ist ungefähr gleich, wobei man die Urlaubertypen nochmals nach den Faktoren „harter“ und „weicher“ Tourist in neue Gruppen unterteilen könnte. So enthielte die erste Gruppe mit „harten“ Touristen die Strand, Gewohnheits- und Actionurlauber, und die zweite Gruppe mit den „weichen“ Touristen die Kultur-, Natur-, Familien- und Entdeckerurlauber.49 Der Großteil der deutschen Reisenden plant den Urlaub demnach am Mittelmeer im näheren Europa und verbringt seine Zeit am liebsten passiv am Strand oder aktiv unterwegs in der Natur. Demnach kann man schlussfolgern, dass der Nachfrager generell in der näheren Umgebung mit einer gesunden Mischung aus Erholung und Aktivität vom Veranstalter bedient werden will bzw. zufrieden gestellt werden kann.

4.2.4.2.2 FUR Reiseanalyse (2007)

Laut der letzten ausführlichen Reiseanalyse des FUR von 2007 wächst die Urlaubsreiseintensität der Deutschen stetig und lag 2006 bei knapp 75% (Abb. 22). Seit 15 Jahren hält sich die Nachfrage stabil auf einheitlich hohem Niveau, und man rufe sich an dieser Stelle wieder in Erinnerung, dass die Deutschen nach wie vor „Reiseweltmeister“ sind. Die zunehmende Reiseintensität der Deutschen begründet sich vor allem auch in den sinkenden Kosten einer Pauschalreise auf der Mittelstrecke, von 546 Euro in 2002 auf 521 Euro in 2006 (Abb. 23). Dabei ist auch ein anhaltender Boom im Fernreisetourismus zu verzeichnen, 2007 waren es schon 6,7 %.50 Innerkontinentale Reisen vor allem nach Spanien oder in die Türkei entsprechen dem Großteil der Reiseziele und tragen zu einem massiven Ansturm auf die deutschen lastminute Billigfluganbieter bei. Ein Beispiel für den unbändigen Wachstum ist Ryanair mit 5 Mio. Passagieren im Jahr 2000 auf 50 Mio. Passagieren im Jahr 2008 (Abb. 24). Bei den deutschen Billigflugreisen insgesamt waren es im Jahr 2002 nur 3,4% der Bevölkerung und im Jahr 2006 hat sich die Zahl bereits auf 12,4% vervierfacht (Abb. 25).

Die Analyse Urlaubstrends 2007 des Focus Magazins mit den Daten der Reiseanalyse offenbart die wichtigsten Trends des Reiseveranstaltermarkts. Die Überschrift des Artikels nennt die wichtigsten Wesensmerkmale des Nachfragermarkts von 2007: „Urlaub in Deutschland, das Mittelmeer und ein Hauch Fernweh sind angesagt. Doch alle Reisen haben etwas Neues gemeinsam: Der Trend zum Individuellen verstärkt sich“. Immer noch die Mehrheit der Deutschen, 20,7 Mio. (32,1%), favorisieren den Urlaub zuhause im eigenen Land, davon am meisten in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg (Abb. 26).

[...]


1 Spezielle Form der internationalen Verflechtung von Wirtschaft, Kultur, Politik, Umwelt, Technik.

2 Kösterke/Lassberg (2005), S.55.

3 Forum Anders Reisen (2008).

4 Nagel/Rasner (1993).

5 Worldometers (2008).

6 Greenpeace (2008).

7 Stern (2008), Artikel „Wie viel Energie kostet eine Google-Suche?“.

8 Welt (2007), Artikel „Das Internet ist der wahre Klimakiller“.

9 FVW (2007), Artikel „Urlaub unter der CO2-Lupe“.

10 FVW (2007), Artikel „Anhörung zum Klimawandel“.

11 Deutschlandfunk (2007), „Radiobeitrag zum Thema Atmosfair“.

12 Brundtland Report (1987), „Unsere gemeinsame Zukunft“.

13 Eigener Ausdruck.

14 FUR (2007).

15 Friedl (2002), S.14.

16 Petermann (1998).

17 World Economic Forum (2007).

18 FVW (2008), 11/08, S.62.

19 FVW (2008), 11/08, S.63.

20 Eigener Ausdruck.

21 Middleton/Hawkins (1998).

22 Amadeus (2008), “Future Traveler Tribes”.

23 Länderkontakte (2006).

24 WTO (2007).

25 OECD (2007).

26 Friedl (2002), S. 22.

27 Ebd., S.31/32.

28 Forum Umwelt und Entwicklung (2003).

29 Freyer (2001), S.66.

30 FAR (2008), „Kriterienkatalog“.

31 Freyer (2001), S.67.

32 Kirstges/Lück (2001), S.14.

33 Friedl (2002), S. 23.

34 Margraf (2006), S.16.

35 Kirstges 2003, S.73.

36 Kirstges/Lück 2001, S.20.

37 Kirstges (2003) S. 13.

38 Ecotrans (2008).

39 In dieser Analyse werden Reiseveranstalter aufgenommen, die entweder mindestens 120 000 Reiseteilnehmer oder mindestens 30 Mio. Euro Veranstalterumsatz vorweisen können.

40 Global Trends (2008).

41 Freyer (2001), S.70.

42 Eigene Berechnung des Vergleichs in Zahlen anhand Abb. 4.6.

43 FVW Analyse (2007).

44 Lohmann (2008), „Urlaubstrends 2015“.

45 Focus Magazin (2007).

46 Middleton/Hawkins (1998).

47 Freter (1995), S.97, in: Global Trends (2008).

48 ISOE (2008).

49 INVENT Tourismus (2005), Broschüre.

50 FUR (2007).

Fin de l'extrait de 131 pages

Résumé des informations

Titre
Kooperation nachhaltiger Reiseveranstalter unter der Dachmarke forumandersreisen
Université
University of Lüneburg
Note
2,0
Auteur
Année
2008
Pages
131
N° de catalogue
V116566
ISBN (ebook)
9783640181360
ISBN (Livre)
9783640181445
Taille d'un fichier
3221 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kooperation, Reiseveranstalter, Dachmarke
Citation du texte
MA Stefan Ginter (Auteur), 2008, Kooperation nachhaltiger Reiseveranstalter unter der Dachmarke forumandersreisen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/116566

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