Ästhetik bei Platon, Aristoteles und Plotin. Was ist überhaupt schön?


Hausarbeit, 2021

20 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe

Inhalt

Einleitung

1. Plotin und Platon
1.1 Idealistisches System
1.2 Schönheitsbegriff
1.3 Kunstbegriff/ Kunstverständnis

2. Plotin und Aristoteles
2.1 Mimesis
2.2 Kunstbegriff/ Kunstverständnis

3. Plotins Platon und Aristoteles Platon

Schluss und Ausblick

Literaturverzeichnis

Strukturpyramide

Einleitung

Was ist überhaupt schön? Eine spontane Antwort darauf wird bei den meisten Befragten höchstwahrscheinlich subjektiv geprägt sein, je nach persönlichem Geschmack und individuellen Vorlieben. Tatsächlich begleitet die Frage die Menschheit schon seit über 2300 Jahren – zumindest reichen die schriftlich überlieferten Aufzeichnungen bis dahin zurück. Eine Vielzahl von bekannten Philosophen und Dichtern hat sich seitdem mit der Ästhetik beschäftigt: Beginnend bei Platon, Aristoteles, Plotin bis hin zu Kant, Hegel und Nietzsche. Die Geschichte der Ästhetik hat ihren Ursprung im antiken Griechenland. Dort begründete Platon „die erste systematische Ästhetik“1 und schuf den Grundstein für alle weiteren ästhetischen Überlegungen, selbst für seine größten Kritiker wie zum Beispiel Nietzsche. Weitere wirkmächtige antike Philosophen der Ästhetikgeschichte waren Aristoteles, der wohl bekannteste Schüler Platons, und Plotin, der mit seiner „Platon-Vergegenwärtigung […] die letzte große, antike, philosophische Strömung begründete: den Neuplatonismus“2. Beide entwickelten eigene Ideen und Überzeugungen zur Ästhetik, natürlich immer unter Rückgriff auf Platons Philosophie. Die zentrale Fragestellung der nachfolgenden Untersuchung lautet daher, wie Plotins Position zwischen Platons und Aristoteles zu verorten ist. Als Arbeitsthese dient Lambert Wiesings Aussage, „wie entscheidend – aber auch wie unterschiedlich – die Stellung der Ästhetik in einem idealistischen System sein kann.“3 Eine vergleichende Analyse der verschiedenen Ideen, Ansichten und Überzeugungen ermöglicht eine Einordnung ihres Wirkens für die Ästhetikgeschichte und kann dadurch rückblickend die philosophische Bedeutung ihrer Überlegungen verdeutlichen.

Dazu wird zunächst Plotin mit Platon verglichen und auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht. Darauf folgt ein Vergleich zwischen Plotin und Aristoteles. Im letzten Kapitel wird schließlich basierend auf dem Vergleich rekapituliert, wie Plotin und Aristoteles Platon verstanden und gedeutet haben. Von zentraler Bedeutung sind dabei ästhetische Begrifflichkeiten wie ‚das Schöne‘, ‚die Mimesis‘, der ‚Schein‘ und ‚Wahrheit‘, anhand deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Überlegungen identifiziert werden können. Als Grundlage für die Analyse fungiert Lambert Wiesings Auswahl zentraler Texte zur philosophischen Ästhetik aus Aschendorffs philosophischer Textreihe. So wird unter anderem auf Platons Symposion und Politeia, Aristoteles Poetik und Politik sowie Plotins Enneade I (Über das Schöne) und Enneade V (Die geistige Schönheit) eingegangen. Dies dient zum einen der Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes, zum anderen werden Wiesings Kommentare zu Beginn des jeweiligen Kapitels unterstützend als Thesen eingesetzt.

1. Plotin und Platon

Plotins Philosophie unterscheidet sich grundlegend von der Platons.4 Wie bereits einleitend angeführt, gilt Platon als Erschaffer der ersten systematischen Ästhetik.5 Daher stellen seine Überlegungen nicht weniger als die Grundlage der Ästhetikgeschichte dar, da sich alles Darauffolgende in verschiedenster Art und Weise mit Platons Kerngedanken und Annahmen auseinandersetzte, sei es, um sie zu widerlegen oder bestimmte Ansätze weiterzuentwickeln. Plotins Philosophie gilt nach seinen eigenen Worten als eine „Platon-Vergegenwärtigung“6:

Diese Lehren sind also nicht neu, nicht jetzt erst, sondern schon längst, wenn auch nicht klar und ausdrücklich, gesagt, und unsere jetzigen Lehren stellen sich nur dar als Auslegung jener alten, und die Tatsache, daß diese Lehren alt sind, erhärten sie aus dem Zeugnis von Platons eigenen Schriften.7

Plotin bestätigt damit die Annahme, dass Platon die inhaltliche Basis geschaffen hat, auf die auch er bei seiner Theoriebildung zurückgreift. Auffällig dabei ist die Feststellung Plotins, dass Platons Lehren nicht klar und ausdrücklich festgehalten wurden. Dies erscheint besonders vor dem Hintergrund interessant, dass Plotins Überlegungen „wegen ihrer Klarheit eine ungewöhnlich hohe Verbreitung“8 erreichten. Plotins Schrift folgend, bemühte er sich also um eine Auslegung Platons, dessen Ergebnis rückblickend als Neuplatonismus bezeichnet wird.

1.1 Idealistisches System

Auch wenn sich nach Wiesing die Philosophien beider grundlegend unterscheiden, gibt es durchaus auch Gemeinsamkeiten, denn „beide Denker verankern ihre Ästhetik in einem vergleichbaren idealistischen System.“9 Dies verdeutlicht zum einen erneut Platons herausragende Stellung als Begründer in diesem Gebiet, zum anderen Plotins Rückgriff auf Platon. Sowohl Platon als auch Plotin unterscheiden also prinzipiell in zwei verschiedene Welten, nämlich in die sichtbare und die denkbare, die reale und die ideale, die körperliche und die geistige.10 Dem antiken Idealismus liegt demzufolge die Überzeugung zugrunde, dass das eigentliche Wesen der Dinge nicht in ihrer materiellen Gestalt gesehen werden kann. Die Unterscheidung zwischen den Welten kann an verschiedenen Textstellen verdeutlicht werden: In Platons Symposion wird zum Beispiel im Kontext seines Schönheitsbegriffs mehrmals die Unterteilung zwischen „dem Leibe“11 und „der Seele“12 vorgenommen und auch konkretisiert, sodass ersteres mit „Haaren, Fleisch, Knochen, Blut“13 (= sichtbar, real, körperlich) und letzteres in Form von „Gewöhnungen, Sitten, Meinungen, Begierden, Lust, Unlust, Furcht“14 (=denkbar, ideal, geistig) beschrieben wird. Auch in seiner Schrift Politeia greift Platon auf sein idealistisches System zurück, indem er zum Beispiel in „das Seiende“15 und „etwas Sobeschaffenes“16 unterscheidet, wobei mit dem erstgenannten Begriff ein denkbares Ideal und mit letzterem die sichtbare Realisierung eben dieses gemeint ist. Etwas weniger abstrakt ist seine Unterscheidung bezüglich der Dichtkunst, denn hier äußert er, dass Dichter lediglich „Erscheinungen dichten, nicht Wirkliches“17.

Wie in der These dieses Kapitels angeführt, basiert auch Plotins Philosophie nach Wiesing auf besagtem idealistischem System. Anhand seiner Überlegungen über das Schöne in Enneade I kann dies verdeutlicht werden, da er hier ganz in der Tradition Platons von „Leibern“18 und einer dazugehörigen „Seele“19 ausgeht, also jenen Ansatz wählt, den Platon bereits in Symposion nutzte.

1.2 Schönheitsbegriff

Nach Wiesing weist Platons Ästhetik zunächst zwei wesentliche Aspekte auf, „die Liebe zum Schönen“20 und „die Verbannung der Kunst“21. Der erste Aspekt ist maßgeblich für Platons Schönheitsbegriff, den er „aus dem Kontext einer Ideenschau heraus“22 erklärt, die wiederum von einem Schönheitsstreben angetrieben wird.23

Um sich Platons Schönheitsbegriff zu nähern, muss zunächst das Schönheitsstreben geklärt werden. Dieses Streben begründet Platon durch eine Kausalkette, sodass erstmal jeder nach Reichtum, Gesundheit und Stärke strebe und jene, die all dies schon besitzen, es auch in der Zukunft noch besitzen wollen.24 Schließlich will jeder, „daß das jetzt vorhandene […] auch in künftiger Zeit vorhanden sei“25. Der Mensch ist also prinzipiell durch ein Streben beziehungsweise ein Begehren angetrieben, einen bestimmten Zustand zu erreichen und diesen auch zu erhalten. Platon überträgt dieses strebsame Grundverhalten eines Jeden auf seinen Schönheitsbegriff.

„Zum Umfang des griechischen Schönheitsbegriffs gehören selbstverständlich und wesentlich Charaktereigenschaften, Wahrheitsvorstellungen und Tugenden.“26 Schönheit definiert sich nach Platon also nicht nur über äußere beziehungsweise sichtbare Merkmale, sodass sich sein Schönheitsbegriff vielmehr aus einer Korrelation von Begriffen ergibt. Da wäre als erstes Attribut „das Gute“27 zu nennen, da dies laut Platon „schön ist“28. Sein Schönheitsbegriff wird damit direkt zu Beginn seiner Überlegungen im Symposion über eine wesentliche Charaktereigenschaft beziehungsweise Tugend angereichert. Platons Schönheitsstreben kann auch mittels des Guten belegt werden, da man „das Gute immer haben will“29 und das Gute schließlich auch das Schöne sei.

Darüber hinaus arbeitet Platon heraus, dass Schlussfolgerungen resultierend aus Schubladendenken seinem Gegenstand des Schönheitsbegriffes nicht gerecht werden: „Folgere also nicht, was nicht schön ist, sei häßlich, noch was nicht gut sei, schlecht“30. Im übertragenen Sinn ist diese Aussage nichts Geringeres als eine vernichtende Kritik zu totalitären Denkmustern und in Anbetracht globaler politischer Entwicklungen aktueller denn je. Dieser Aspekt ist vor dem Hintergrund durchaus nennenswert, da Platon mit seinen Überlegungen zur Ästhetik schließlich auch die von ihm hervorgebrachte Staatslehre vervollständigte.31

Ein weiterer wichtiger Begriff stellt die Weisheit dar, denn diese „gehört zu dem Schönsten“32. Im Kontrast dazu sei Unverstand von niederträchtiger und böser Gesinnung, „ohne schön und gut und vernünftig zu sein“33. Auch hier lässt sich in Zeiten globaler Verschwörungstheorien eine beachtliche Aktualität seiner Überlegungen feststellen: „Denn das ist eben das Arge am Unverstande, daß er, […] doch sich selbst ganz genug zu sein dünkt“34. Das Schöne muss demzufolge nicht nur gut und Weise, sondern auch vernünftig sein, womit Platons Schönheitsbegriff bereits durch drei Charaktereigenschaften und Tugenden konkretisiert wird. Ein weiteres Attribut des Schönen stellt die Angemessenheit dar, denn „unangemessen ist das Häßliche“35, während „das Schöne aber angemessen“36 sei. Der vorangehenden These folgend, stellen aber auch Wahrheitsvorstellungen beim griechischen Schönheitsbegriff einen wesentlichen Bestandteil dar, die sich bei Platon ebenfalls finden lassen. Dazu muss jedoch auf das idealistische System aus Kapitel 1.1 zurückgegriffen werden: Platon untergliedert in eine Ideenwelt und eine reale Welt, der Mensch als Individuum partizipiert an beiden gleichermaßen, an der Ideenwelt durch die Seele, an der realen Welt durch die körperliche Gegenwart, also dem Leib. Die Seele stellt dabei die entscheidende Komponente dar, da mit ihr der Zugang zur Ideenwelt und damit auch zur absoluten Wahrheit ermöglicht wird, welche der Ideenwelt zugrunde liegt. Dazu Wiesing:

Platon erhebt das Schöne nur deshalb zum Ideal menschlichen Strebens, weil das Schöne für ihn gleichzeitig und selbstverständlich das Wahre und das Gute mit umfaßt: Schön ist, was moralisch ist.37

Es wird deutlich, dass Platons Schönheitsbegriff sehr facettenreich ist und den in der These genannten Umfang bestätigt. Nach Platon ist demzufolge etwas schön, wenn es im gleichen Zuge auch gut, weise, vernünftig, angemessen und natürlich wahr ist. Das von ihm formulierte Schönheitsstreben eines jeden beinhaltet also gleichzeitig ein Streben nach den eben angeführten Attributen. Inwiefern Platons Schönheitsbegriff seinen Kunstbegriff prägte, wird in Kapitel 1.3 näher betrachtet.

Bezüglich Plotin führt Wiesing an, dass auch dieser „die Schönheit […] durch einen Verweis auf die wahrhaft schöne Ideenwelt“38 bestimmt. Hier sind ebenfalls einige Gemeinsamkeiten zu finden: So untergliedert auch Plotin in das Schöne und das Hässliche, ohne dabei totalitäre Denkmuster zu etablieren.39 Dabei nutzt er eine Gegenüberstellung, um sich aus der Bestimmung des Hässlichen das Schöne herleiten zu können:

Nehmen wir also eine häßliche Seele, zuchtlos und ungerecht, voll von vielen Begierden, von vieler Wirrnis, in Ängsten aus Feigheit, in Neid aus Kleinlichkeiten, all ihre Gedanken, soweit sie überhaupt denkt, sind irdisch und niedrig, verzerrt in allen Stücken, unreinen Lüsten verfallen40.

Ausgehend von dem Zitat ist bei Plotin das Schöne in Abgrenzung zum Hässlichen also auch maßgeblich durch Charaktereigenschaften und Tugenden geprägt. Des Weiteren wird der Wahrheitsaspekt indirekt aufgegriffen, da die Gedanken einer solch verkommenen Seele nur irdisch und niedrig seien, sich also nicht an der wahren Ideenwelt orientieren oder nach ihr streben. Plotin entwickelt Platons Schönheitsstreben sogar noch weiter und macht eine schöne Seele zur Voraussetzung dafür, das Schöne überhaupt sehen und wahrnehmen zu können, denn „so sieht auch keine Seele das Schöne, welche nicht schön geworden ist.“41 Es gilt also die Charaktereigenschaften und Tugenden des Schönheitsbegriffs zu verinnerlichen, um schön zu werden. Eine weitere Gemeinsamkeit, begründet durch das idealistische System, ist die Annahme, dass die Schönheit in der Ideenwelt verankert sei: „die Ideen; denn durch sie ist alles schön, sie, die Erzeugnisse des Geistes und der Seinsheit“42.

Darüber hinaus hält auch er fest, dass „die Schönheit […] zugleich das Gute ist“43 und dies nicht weniger sei, „nach welchem jede Seele strebt“44, womit erneut die Gemeinsamkeit des Strebens bestätigt werden kann. Plotin belässt es im Gegensatz zu Platon aber nicht dabei, bleibt nach Wiesing „nicht bei diesem Verweis stehen“45. Dies zeigt sich auch bei Plotins Beschreibung, was alles schön sein kann:

Das Schöne findet sich in Fülle im Bereich des Gesichts; es findet sich auch im Bereich des Gehörs, bei der Fügung der Wörter und in der gesamten Musik (denn Melodie und Rhythmus sind auch etwas Schönes); es finden sich aber auch, wenn wir von dem Wahrnehmungsbereich nach oben fortschreiten, schöne Beschäftigungen, Handlungen, Zustände, Wissenschaften und endlich die Schönheit der Tugenden.46

Im Vergleich zu Platon konkretisiert Plotin das Schöne am Sinnlich-Wahrnehmbaren. Während Platons Schönheitsbegriff also auf einer abstrakten, idealen Ebene bleibt, verankert Plotin seinen Schönheitsbegriff in der sichtbaren, realen Welt. Die Ursache dafür ist in einem äußerst divergierenden Kunstbegriff und Kunstverständnis zu finden, was Gegenstand des folgenden Kapitels ist.

1.3 Kunstbegriff/ Kunstverständnis

Während sich beim Schönheitsbegriff zumindest noch einige Gemeinsamkeiten finden lassen, manifestiert sich am Kunstbegriff die Gegensätzlichkeit beider Philosophen. Der Kunstbegriff ergibt sich sowohl bei Platon als auch bei Plotin als logische Konsequenz ihres Schönheitsbegriffs und wie sie eben diesen auslegten.

Platon und Plotin sehen im sinnlichen Schönen einen Abglanz des Geistig-Schönen. Platon betont und überbewertet ‚Ab‘ in ‚Abglanz‘, das heißt die geringere Qualität alles sichtbaren Schönen. Plotin sieht hingegen den ‚Glanz‘ im ‚Abglanz‘.47

Der Aussage Wiesings folgend bedeutet dies nichts Geringeres, als dass Platon das Sinnlich-Schöne degradiert, während Plotin es aufwertet. Belegt werden kann dies anhand von Platons Politea und Plotins Enneade I (Über das Schöne) sowie Enneade V (Die geistige Schönheit). Dabei sind im Folgenden zentrale Begriffe wie ‚Mimesis‘ und ‚Schein‘ zu klären.

Vorab gilt es jedoch noch zu erwähnen, dass ähnlich wie beim Schönheitsbegriff das griechische Verständnis von Kunst mehr umfasst. Jede „mit Wissen und Können durchgeführte Tätigkeit“48, also im Prinzip jedes Handwerk, wurde demzufolge als Kunst bezeichnet. Um sich davon abzugrenzen, entwickelte Platon die Begriffe der nachahmenden und schönen Künste.49

Platon nähert sich dem Gegenstand durch ein Bettgestell. Von diesem gebe es nun drei Exemplare: Zunächst ist da „das in der Natur seiende“50, womit das ideale Bettgestell der Ideenwelt gemeint ist, geformt durch Gott beziehungsweise die Götter. Ein weiteres Gestell sei durch einen Tischler erschaffen, der jedoch in der realen Welt nur „etwas Sobeschaffenes wie das Seiende“51 hervorbringt, befähigt durch sein Wissen und Können in diesem Handwerk. Das letzte Bettgestell sei durch einen Maler erschaffen, der aber im Gegensatz zum Tischler nicht als „Werkbildner“52 bezeichnet werden kann, sondern nur als „Nachbildner“53. Dies begründet Platon damit, dass der Maler im Gegensatz zum Tischler nur das „Erscheinende“54 nachbildet, während der Tischler, befähigt durch Wissen und Können, sich am Wahrhaften und Idealen orientiert. Platon schlussfolgert: „Gar weit also von der Wahrheit ist die Nachbildnerei“55. Da Mimesis zunächst einmal nur Nachahmung bedeutet, kann anhand Platons Überlegungen zum Bettgestell bereits erkannt werden, dass Platon dieser sehr kritisch gegenüberstand. Darüber hinaus seien auch „vom Homeros an alle Dichter nur Nachbildner von Schattenbildern der Tugend […] und der andern Dinge, worüber sie dichten, die Wahrheit aber gar nicht berühren“56, da sie nur „Erscheinungen dichten, nicht Wirkliches“57. Man sieht also auch hier wieder das zugrundeliegende idealistische System der zwei Welten: Werkbildner bilden das Ideal und damit das Wahre ab, während sich Nachbildner der Erscheinung in der realen Welt bedienen. Platon degradiert die Nachbildnerei aber noch weiter, indem „der Nachbildner nichts der Rede Wertes versteht von dem, was er nachbildet“58 und sie „nur ein Spiel [...] und kein Ernst“59 sei. Diese ablehnende Haltung ist aber nicht nur über Platons idealistisches System zu begründen, sondern auch über den zweiten zentralen Begriff dieses Kapitels: den Schein. Um den platonischen Nachahmungs-Begriff (Mimesis) in seiner Gänze zu fassen, muss also auch die Scheinhaftigkeit berücksichtigt werden. Da eine Nachbildung nur den Schein des Wahren besitzen kann, ist sie in der Konsequenz eine Illusion und Fälschung des Wahren beziehungsweise des Idealen und damit schlussendlich auch irreführend.60 Nachahmende Kunst sei also nicht nur an sich etwas Verwerfliches, sondern führe regelrecht in eine Abwärtsspirale: „Selbst also schlecht und mit Schlechtem sich verbindend erzeugt die Nachbildnerei auch Schlechtes.“61 Platon verdeutlicht dies anhand eines nachahmenden Tragödiendichters, dessen Dichtung niemals einer wahrhaften Tragödie gerecht werden könne, denn „sie nährt und begießt alles dieses, was doch sollte ausgetrocknet werden“62. Das Ergebnis davon seien schlichtweg schlechtere und elendere Menschen, statt besseren und glückseligeren.63 Die nachahmende Kunst kann nach Platon also auch nicht schön sein, da sie unter Berücksichtigung seines Schönheitsbegriffs ja weder etwas Gutes noch etwas Wahres darstellt und sich hinter dem Schein in Wirklichkeit eine irreführende Illusion und Fälschung verbirgt. Zu den nachahmenden Künsten gehören nach Platon die Malerei, Bildhauerei, Tragödiendichtung, Musik und der Tanz – also eigentlich alles sinnlich-wahrnehmbare.64 Es kommt damit zur Verbannung der Kunst, wie sie bereits zu Beginn von Kapitel 1.2 angeführt wurde.

[...]


1 Wiesing, Lambert: Kommentar (Platon). In: Philosophische Ästhetik. Hrsg. von Armin Müller. Münster: Aschendorff-Verlag 1992 (= Aschendorffs philosophische Textreihe Kurs 7). S. 1.

2 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 39.

3 Wiesing: Vorwort. Ästhetik. S. V.

4 Vgl. Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

5 Vgl. Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 1.

6 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 39.

7 Ebd., zitiert nach: Plotins Schriften, Bd. 1, hg. und übersetzt von R. Hader, Hamburg 1956, S. 229.

8 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

9 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

10 Vgl. Ebd.

11 Platon: Symposion. In: Philosophische Ästhetik. Hrsg. von Armin Müller. Münster: Aschendorff-Verlag 1992 (= Aschendorffs philosophische Textreihe Kurs 7). S. 10f.

12 Ebd.

13 Ebd. S. 11

14 Ebd.

15 Platon: Politeia. In: Philosophische Ästhetik. Hrsg. von Armin Müller. Münster: Aschendorff-Verlag 1992 (= Aschendorffs philosophische Textreihe Kurs 7). S. 18.

16 Ebd.

17 Ebd. S. 20.

18 Plotin: Enneade I. In: Philosophische Ästhetik. Hrsg. von Armin Müller. Münster: Aschendorff-Verlag 1992 (= Aschendorffs philosophische Textreihe Kurs 7). S. 41f.

19 Ebd.

20 Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 1.

21 Ebd.

22 Ebd.

23 Vgl. Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 1

24 Platon: Symposion. In: Ästhetik. S. 4f.

25 Ebd. S. 5.

26 Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 2.

27 Platon: Symposion. In: Ästhetik. S. 5.

28 Ebd.

29 Platon: Symposion. In: Ästhetik. S. 10.

30 Ebd. S. 6.

31 Vgl. Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 1.

32 Platon: Symposion. In: Ästhetik. S. 8.

33 Ebd.

34 Ebd.

35 Ebd. S. 10.

36 Ebd.

37 Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 2.

38 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

39 Vgl. Plotin: Enneade I. In: Ästhetik. S. 42.

40 Ebd. S. 45.

41 Ebd. S. 49.

42 Plotin: Enneade I. In: Ästhetik. S. 50.

43 Ebd. S. 47.

44 Ebd.

45 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

46 Plotin: Enneade I. In: Ästhetik. S. 40f.

47 Wiesing: Kommentar (Plotin). Ästhetik. S. 40.

48 Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 2.

49 Vgl. Ebd. S. 3.

50 Platon: Politeia. In: Ästhetik. S. 18.

51 Ebd.

52 Ebd.

53 Ebd. S. 18f.

54 Ebd.

55 Ebd.

56 Ebd. S. 22.

57 Platon: Politeia. In: Ästhetik. S. 20.

58 Ebd. S. 23.

59 Ebd.

60 Vgl. Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 3.

61 Platon: Politeia. In: Ästhetik. S. 24.

62 Ebd. S. 27.

63 Ebd.

64 Vgl. Wiesing: Kommentar (Platon). Ästhetik. S. 3.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Ästhetik bei Platon, Aristoteles und Plotin. Was ist überhaupt schön?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,0
Jahr
2021
Seiten
20
Katalognummer
V1167314
ISBN (Buch)
9783346576590
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ästhetik, Platon, Aristoteles, Plotin, schön, Kunst, Kunstbegriff, Mimesis, Hegel, Nietzsche, Geschichte, Antike, Frühe Neuzeit, Enneade, Politik, Poetik, Symposion, Politeia, System, Systematisierung, Vergleich, Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Kultur, Kant, Griechenland, Philosophie, Philosophen, Denker, Dichter, Interpretation
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Anonym, 2021, Ästhetik bei Platon, Aristoteles und Plotin. Was ist überhaupt schön?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167314

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