Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen deutschsprachige Hausordnungen im Zusammenhang mit der Migrationsbewegung. Hier handelt es sich um eine Textsorte, die Fachsprachliches und Allgemeinsprachliches verbindet, wobei der Fachlichkeitsgrad niedrig ist. Andererseits ist der Text reich an kulturspezifischen Aspekten des deutschen Alltags und des deutschen Rechtssystems sowie an administrativen Einzelheiten. In der Arbeit wird ein Parallelkorpus aus vier Hausordnungen von deutschen öffentlichen Einrichtungen analysiert, um kulturpezifische Aspekte zu kategorisieren und den übersetzerischen Umgang damit zu beschreiben.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
0.1. Gegenstand und Ziel der Arbeit
0.2. Fragestellung
0.3. Zum Korpus
0.4. Forschungsstand
0.5. Methode und Aufbau der Arbeit
1. Kapitel: Theoretische Grundlagen
1.1. Fachsprache und Fachübersetzung
1.2. Fachübersetzung aus kulturspezifischer Perspektive
1.2.1. Translationsrelevante Kulturdefinition
1.2.2. Kulturspezifische Aspekte der Fachübersetzung
1.2.2.1. Lexikalische Aspekte
1.2.2.2. Inhaltliche Aspekte
1.2.2.2.1. Realia
1.2.2.2.2. Textsortenkonventionen.…..
1.2.2.2.3. Die pragmatische Ebene.
1.3. Hausordnung als Fachtext
2. Kapitel: Intralinguale Analyse der ausgewählten Hausordnungen
2.1. Das pragmalinguistische Modell von Juliane House
2.2. Genre
2.2.1. Sprachliche Merkmale der Hausordnung
2.2.2. Textinhalt und -struktur
2.2.3. Sender und Empfänger
2.3. Registeranalyse
2.3.1. Field
2.3.1.1. Lexikalische Mittel
2.3.1.2. Textuelle Mittel
2.3.2. Tenor
2.3.2.1. Herkunft des Ausgangstextproduzenten und -rezipienten und Beziehung zwischen den Partizipanten
2.3.2.2. Lexikalische und textuelle Mittel
2.3.2.3. Sprachliche Handlungen
2.3.3. Mode
3. Kapitel: Kulturspezifische Aspekte in den ausgewählten übersetzten Hausordnungen
3.1. Lexikalische Aspekte
3.1.1. Berufs- und Amtsbezeichnungen
3.1.2. Bezeichnungen für Institutionen und Organisationseinheiten
3.1.3. Geografische Bezeichnungen
3.1.4. Fachliche Benennungen
3.1.5. Fremdwörter
3.2. Kulturspezifische Inhalte
3.2.1. Gesellschaftlich-juristische Gegebenheiten
3.2.2. Alltagsbezogene Kulturspezifika
3.2.2.1. Zeitwahrnehmung….…..
3.2.2.2. Sauberhaltung und Umweltschutz
3.2.3. Kulturspezifische Beschreibungstiefe
3.3. Sprachliche Aspekte
3.3.1. Wortbildung
3.3.2. Nominalstil
3.3.3. Der unpersönliche Stil
3.3.4. Abkürzungen
Zusammenfassung und Ergebnisse der Arbeit
Literaturverzeichnis
Anhang 1 (AT)
Anhang 1A (ZT)
Anhang 2 (AT)
Anhang 2A (ZT)
Anhang 3 (AT)
Anhang 3A (ZT)
Anhang 4 (AT)
Anhang 4A (ZT)
0. Einleitung
0.1. Gegenstand und Ziel der Arbeit
Mit der Globalisierung und Internationalisierung steigt der Bedarf an Fachübersetzungen kontinuierlich an. Laut einer von Schmitt (1990) durchgeführten Umfrage steht Technik an erster Stelle der nachgefragten Fachgebiete mit 76% der übersetzten Fachtexte, gefolgt von Wirtschaft 12%, dann Recht 6% (Schmitt, 1990:97f.).
Vor dem Hintergrund der syrischen Krise und der daraus resultierenden Migrationswelle nach u.a. Deutschland stieg der Bedarf an Übersetzungen im Zusammenhang mit dieser Migrationsbewegung. Sie entstanden hauptsächlich aus der Tendenz, Flüchtlinge bzw. Asylbewerber in allen Bereichen des deutschen Alltags zu integrieren. Bei der Zielgruppe handelt es sich um arabische Muttersprachler, die größtenteils über keine bzw. nur geringe deutsche Sprachkenntnisse verfügen, geschweige denn, Kulturkenntnisse. Die zu übersetzenden Texte entstammen allen Bereichen des Alltags und reichen von kleinen Werbe- und Infotexten wie Flug- und Merkblättern bis zu offiziellen, institutionellen und juristischen Dokumenten verschiedenen Fachlichkeitsgrades und Umfanges.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Masterarbeit stehen deutschsprachige Hausordnungen im Zusammenhang mit der Migrationsbewegung und ihre arabischen Übersetzungen. Hier handelt es sich um eine Textsorte, die Fachsprachliches und Allgemeinsprachliches verbindet, wobei der Fachlichkeitsgrad niedrig ist. Andererseits ist der Text reich an kulturspezifischen Aspekten des deutschen Alltags und des deutschen Rechtssystems sowie an administrativen Einzelheiten.
In ihrer Monografie behandelt Reinert (2009) das Phänomen der Kulturspezifika ausführlich und deren Relevanz für Fachübersetzen. In ihrer Einleitung betont sie, dass kein Zweifel an der Existenz von Kulturspezifika in Fachtexten besteht (vgl. Reinert, 2009:29). Unter Methodenvorschlägen zur Sichtbarmachung der Kulturspezifika nennt sie ,,die Auswertung bestehender Übersetzungen (Übersetzungsvergleich)“ und den Vergleich von Originaltexten der Ausgangs- und Zielsprache (ebd.). Dabei konzentriert sie sich auf die Ebenen, Lexik und Text. Grundsätzlich richtet sich ihr Interesse nach der kulturellen Einbettung der Fachtextsorten, wobei interkulturelle sowie intrakulturelle Unterschiede oder Ähnlichkeiten in einer Textsorte vorkommen könnten. Unter dem Titel ,,Kulturspezifik fachsprachlicher Benennungen“ untersucht Reinert (2009) hauptsächlich die soziokulturelle Determiniertheit von Inhaltsmerkmalen fachsprachlicher Termini in einem separaten Kapitel. Eingangs befasst sie sich mit dem Stellenwert fachsprachlicher Benennungen und unterstreicht dabei die Bedeutung der Terminologie in der fachlichen Kommunikation.
Gegenstand dieser Arbeit sind deutschsprachige Hausordnungen für Migranten samt ihren arabischen Übersetzungen. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, Kulturspezifika in Hausordnungen zu erfassen, sie als Fachtexte zu untersuchen und ihren Fachlichkeitsgrad zu eruieren. Anhand von arabischen Übersetzungen wird versucht festzustellen, Übersetzungsverfahren zur Kulturübertragung an die arabische Zielgruppe zu ermitteln und beschreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen befriedigende Antworten auf folgende Fragen gegeben werden.
0.2. Fragestellung
1. Welche textbezogenen Elemente lassen sich anhand der intralingualen Analyse der Hausordnungen verdeutlichen?
2. Welche kulturspezifischen Aspekte ergeben sich aus der Übersetzung der zu untersuchenden Hausordnungen aus dem Deutschen ins Arabische?
3. Welche Verfahren manifestieren sich in der Übertragung von kulturspezifischen Aspekten aus dem Deutschen ins Arabische?
0.3. Zum Korpus
Es ist wichtig bei der Erstellung eines Korpus, die ausgewählten Hausordnungen für öffentliche Einrichtungen von den privatrechtlichen Hausordnungen zu unterscheiden. Aus einem umfangreicheren Korpus wurden vier Hausordnungen für deutsche öffentliche Einrichtungen mit deren arabischen Übersetzungen ausgewählt. Sie stammen aus verschiedenen deutschen Bundesländern, Städten und Gemeinden aus den Jahren 2015-2016:
1- Hausordnung für die Flüchtlings-, Asylbewerber- und Obdachlosenunterkünfte der Gemeinde Odenthal; 5 Seiten; (PDF-Datei)
2- Hausordnung der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden; 36 Seiten; (PDF-Datei)
3- Hausordnung für Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen; 10 Seiten (PDF-Datei)
4- Hausordnung für die Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber Donauwörth, Sternschanzenstraße 6, 86609 Donauwörth; 7 Seiten; (Word-Datei)
0.4. Forschungsstand
Das Thema ,,Kulturspezifik in der Fachübersetzung“ wurde von einer Reihe von Wissenschaftlern aus verschiedenen Perspektiven und auf vielfältigen Ebenen aufgegriffen. Zu den wichtigen aktuellen Arbeiten gehört Horn-Helfs (2007 ) Kulturdifferenz in Fachtextsortenkonventionen, in der sie die Hierarchie kultureller Spezifik, Kulturspezifik und Kulturdifferenz im Sprachhandeln sowie technische Mikrostrukturen und ihre Textsorten behandelt. Im zweiten Kapitel entwirft sie Analysekriterien für Textsortenkonventionen, die in Merkmalskomplexe eingegliedert sind: Deklarationen, Einschubtexte, Sprechhandlungen, stilistische Aspekte, Syntax, Typografie, Textkomposition, Makrostruktur, thematische Konstituenten, Abbildungen in der Text-Bild-Gemeinschaft. Im dritten Kapitel (Arbeitsbuch) wird dann die translatorische (praktische) Behandlung dieser Merkmalskomplexe mit jeweils einer Übersetzungsaufgabe aufgegriffen.
Zu den relevanten Werken der Forschung auf diesem Gebiet zählt Sylvia Reinerts Monografie Kulturspezifik in der Fachübersetzung (2009), in der sie eine ausführliche Darstellung der Kulturspezifika in verschiedenen Fachtextsorten und damit eine konkrete theoretische Grundlage für diesen Bereich bietet. In ihrer Monografie erwähnt sie drei zweifellos grundlegende Fachgebiete: Wirtschaft, Technik und Recht (vgl. Reinert, 2009:27). Ein relevanter Beitrag zu dem Bereich, Kulturspezifika in der Fachübersetzung ist zudem Mehmet Öncüs (2013) Abhandlung der kulturspezifischen Aspekte in technischen Texten , in der er eine Analyse deutsch-türkischsprachiger Gebrauchsanleitungen unternimmt. Im theoretischen Teil zieht er einen Vergleich zwischen der deutschen und türkischen Kultur unter den Aspekten Machtdistanz, Soziale Distanz, Kollektivismus vs. Individualismus, Unsicherheitsvermeidung, Feminität vs. Maskulinität, kurzfristige vs. langfristige Zeitorientierung und behandelt das Thema ,,Gebrauchsanleitungen als Fachtextsorte“ und die Universalität oder Kulturgebundenheit von Textsortenkonventionen. Im praktischen Teil wird eine kontrastive Analyse der deutsch-türkischsprachigen Gebrauchsanleitungen vorgenommen, in der die textuellen sowie die syntaktischen Analysekriterien auf der Ebene des Satzes und des Textes untersucht werden.
Einer der erwähnenswerten Beiträge zur arabisch-deutschen Fachübersetzungsforschung ist u. a. Abdelatys (2015) Arbeit, in der er am Beispiel von Kfz1 -Betriebsanleitungen eine disziplinübergreifende und praxisnahe arabisch-deutsche fachsprachliche Untersuchung unter Betrachtung der verschiedenen Ebenen des Sprachsystems unternimmt. Dabei behandelt er auch das Thema Kulturspezifik der technischen Sprache im arabisch-deutschen Kontext. Seine Abhandlung umfasst die Kulturspezifik der Sprache der Kfz-Technik auf lexikalischer, stilistischer und pragmatischer Ebene und die kulturspezifischen Textsortenkonventionen der Fachtexte, vor allem die Kfz-Technik.
Relevante Untersuchungen der juristischen Fachübersetzung im arabisch-deutschen Kontext liegen vor, bei denen kulturspezifische Aspekte unter den Schwierigkeiten der juristischen Fachübersetzung dargestellt werden. Dazu zählen die zwei an der Ain-Shams-Universität eingereichten Dissertationen: Schwierigkeiten bei der Übersetzung strafrechtlicher Texte aus dem Deutschen ins Arabische (2007) und Zur Übersetzung juristischer Texte für das Sprachpaar Deutsch-Arabisch am Beispiel von deutsch-ägyptischen Personalurkunden in der Zeit von 1990-2006 (2010) . In der ersten Dissertation (El-Scherbini, 2007) werden die Begriffe ,,Übersetzung“ und ,,Fachsprache“ zuerst in einer theoretischen Einführung erläutert. Dann werden das deutsche und ägyptische Strafrecht im zweiten Kapitel anhand eines Korpus miteinander verglichen. Im dritten und vierten Kapitel werden Schwierigkeiten bei der Übersetzung strafrechtlicher Texte aus dem deutschen ins Arabische kontrastiv untersucht. Unter diesen Schwierigkeiten sind besonders das Terminologieproblem des Strafrechts zwischen dem Deutschen und dem Arabischen und die Problematik der Mehrdeutigkeit der Rechtsbegriffe zu nennen. In der zweiten Dissertation (Alessaui, 2010) wird das zweite Kapitel dem Begriff „Fachsprache“, den damit verbundenen Begriffen und dem Begriff ,,Rechtssprache“ gewidmet. Dabei werden auch die Personalurkunden in der Fachsprache klassifiziert. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den spezifischen formalen und inhaltlichen Merkmalen der Personenstandsurkunden in Deutschland und Ägypten. Im vierten Kapitel werden die Übersetzungsprobleme von Personenstandsurkunden im deutsch-ägyptischen Kontext untersucht. Das erste und das fünfte Kapitel dienen als Einleitung, Zusammenfassung der Arbeit und Ergebnisse der Untersuchung.
Im Rahmen des gemeinsamen Masterstudiengangs Fachübersetzen zwischen der Universität Leipzig und der Ain-Shams-Universität sind mehrere Masterarbeiten entstanden, die sich besonders mit der Problematik der Rechtsübersetzung zwischen dem Deutschen und Arabischen befassen. In der ersten Masterarbeit werden juristische Fachtexte aus dem Bereich des Familienrechts am Beispiel deutscher und ägyptischer Gerichtsentscheidungen kontrastiv untersucht (Galal Abdelhamid Abdelnabi, 2018). Im Mittelpunkt der zweiten Masterarbeit stehen die Schwierigkeiten der Fachübersetzung von Familiengerichtsentscheidungen und Rechtsgeschäften und der Versuch herauszufinden, ob sie auf die sprachlichen Unterschiede oder auf die Unterschiede zwischen den Rechtssystemen zurückzuführen sind (Elshebokshi, 2018).
Was die Textsorte Hausordnung angeht, so liegen bisher wenige Untersuchungen dazu vor. Zu nennen ist besonders Textsorten im Deutschen (Fandrych/Thurmair, 2011 ), in dem die Autoren einen nützlichen Beitrag zum Thema ,,Ordnungstexte“ leisten. Nach einer eingehenden Recherche ist festzustellen, dass keine kontrastiven Arbeiten zu Hausordnungen vorliegen. Was die Kulturspezifik dieser Textsorte und ihre Relevanz für die Übersetzung betrifft, so liegen m. E. keine Arbeiten vor. Im Zuge der obengenannten Migrationswelle nimmt diese Textsorte eine wichtigere Rolle in der deutschen Gesellschaft bzw. deutschen Institutionen ein. Die vorliegende Arbeit möchte die Übersetzenden für kulturspezifische Aspekte sensibilisieren und damit einen Beitrag zum Bereich der Kulturspezifik in der arabisch-deutschen Fachübersetzung leisten.
0.5. Methode und Aufbau der Arbeit
Nach einer theoretischen Einführung im ersten Kapitel, in dem auf die Definition und Gliederung der Fachsprachen sowie die Hausordnung als Fachtextsorte eingegangen wird, bedient sich die Arbeit im zweiten Kapitel der Methode der intralingualen Analyse nach Juliane House ( 2015 ). Dabei wird keine übersetzungskritische Untersuchung unternommen, sondern das semiotische Modell von Juliane House (2015) wird deskriptiv als ein übersetzungsorientiertes Textanalysemodell verwendet. Dadurch werden Diskursprofile der deutschen Ausgangstexte ausgearbeitet, aus denen die situative Einbettung bzw. die Kulturdifferenzen hervorgehen. Im dritten Kapitel werden die eruierten kulturspezifischen Einheiten in den arabischen Übersetzungen untersucht, um die Übersetzungsstrategien und -verfahren unter Beachtung der kulturspezifischen Aspekte zu beschreiben. Dabei orientiert sich die Untersuchung an den Verfahren der Textübersetzung nach Schreiber (1998).
1. Kapitel Theoretische Grundlagen
1.1. Fachsprache und Fachübersetzung
Für ,,Fachübersetzen“ liegen schon unterschiedliche Definitionen vor. Hier wird nicht versucht, alle bisher vorhandenen Begriffe zu sammeln und zu diskutieren, sondern einen Aufschluss über den in der vorliegenden Arbeit verwendeten Begriff des Fachübersetzens zu geben bzw. zu erklären, was mit Fachübersetzen hier gemeint ist. Um den Begriff zu erläutern, sind bestimmte Komponenten zu definieren: Fach, Fachsprache, Fachkommunikation, Fachtext und Fachsprachlichkeit sowie der Unterschied bzw. die Relation zwischen Fachsprache und Gemeinsprache.
In Anlehnung an Kalverkämper (1998) definiert Baumann den Begriff ,,Fach“ wie folgt:
den Lebens- und Arbeits- und damit auch Kommunikationsbereich derer, die ebendiese als spezifische Fertigkeit des Denkens, Sprechens und Handelns mit eigenständigem Aufwand (wie Lehre, Studium, Ausbildungsschienen) erlernt und dann auch in diesen interaktiven und verbalen Kontexten anwenden wollen und müssen (Baumann, 2011:42).
So enthält dieser Begriff drei Aspekte: den fachlichen Gegenstand, die Interaktion der Fachleute unter sich sowie zwischen Fachleuten und Laien und die Fachkommunikation mit der Fachsprache als Instrument (vgl. ebd.:43). Die fachliche Kommunikation bezüglich eines bestimmten fachlichen Gegenstands erfordert ,,die Entwicklung eines fachspezifischen Sprachgebrauchs“, der die Fachsprache heißt (vgl. Gläser, 1990:15). Der Aspekt der Nicht-Fachleute wird jedoch nicht in der oben angeführten Definition des Faches explizit erwähnt (vgl. Baumann, 2011:42). Hierzu wird Fachsprache ergänzend nach Möhn/Pelka (1984:26) wie folgt definiert:
Wir verstehen unter Fachsprache heute die Variante der Gesamtsprache, die der Erkenntnis und begrifflichen Bestimmung fachspezifischer Gegenstände sowie der Verständigung über sie dient und damit den spezifischen kommunikativen Bedürfnissen im Fach allgemein Rechnung trägt. Fachsprache ist primär an Fachleute gebunden, doch können an ihr auch fachlich Interessierte teilhaben (zit. nach Fleischmann/Schmitt, 2004:531)
Heute gibt es einen Konsens darüber, dass sich Fachkommunikation nicht auf Fachleute beschränkt. Das Zitat impliziert, dass die Fachkommunikation wie ein Kreis ist, in dessen Zentrum Fachleute stehen; zum Kreisrand hin sind “fachlich Interessierte” zu finden, wobei das vom Fachlichkeitsgrad abhängt. Dieser Auffassung nach besteht eine gewisse Schichtung der Fachkommunikation je nach den Kommunikationsbeteiligten.
Die Grenzen zwischen Fachsprache und Gemeinsprache sind fließend. Jedoch wurden vielfältige Versuche unternommen, Fachsprache und Fachtexte zu definieren und in Schichten und Hierarchien zu systematisieren. Fachsprache kann aus drei Perspektiven betrachtet werden: Erstens das systemlinguistische Inventarmodell, das auf dem sprachlichen System mit seinem lexikalischen Inventar basiert (vgl. Roelcke, 2010:14). Die zwei weiteren Perspektiven der Fachsprache sind das pragmalinguistische Kontextmodell und das kognitionslinguistische Modell (ebd.:28). Dem systemlinguistischen Inventarmodell ist eine varietätenlinguistische Konzeption untergeordnet, deren Vertreter bestrebt sind, ,,innersprachliche Merkmale fachlicher und nichtfachlicher Varietäten“ abzugrenzen (vgl. ebd.:17). Es gilt als eine schwierige Aufgabe, denn Fachsprache und Gemeinsprache bilden wiederum ein komplementäres Begriffspaar (vgl. Ammon, 1977:75), das heißt, sie ergänzen einander. Im Gegensatz dazu steht eine starke Tendenz zur Polarisierung (vgl. Hoffmann, 1998:158), die in doppelter Hinsicht in den 60er und 70er Jahren bestand: Erstens die Gegenüberstellung von Fachsprache und Gemeinsprache, z.B. in Titeln durch versus oder contra (Fachsprache vs. Gemeinsprache) und zweitens die Untersuchung der Merkmale der Fachsprachen im Bereich des Fachwortschatzes oder der anderen sprachlichen Ebenen.
Gemeinsprache wird wie folgt definiert:
diejenigen Teile des Gesamtsprachrepertoires der Gesellschaft bezeichnet, die in den für alle Gesellschaftsmitglieder einigermaßen ähnlichen Lebensbereichen gebräuchlich sind und sich auf allgemein bekannte Gegenstände, Sachverhalte und Vorstellungen beziehen. (Ammon, 1977:75)
Daraus lässt sich ableiten, dass die Gemeinsprache breiter angelegt ist als die Fachsprache. In dieser Hinsicht wird auf die Relation zwischen Fachsprache und Gemeinsprache Bezug genommen. In Anlehnung an Ammon (1977) ist eine Wechselwirkung zwischen Gemeinsprache und Fachsprache festzustellen (vgl. ebd.). Einer der Einflüsse der Gemeinsprache auf die Fachsprache könnte meines Wissens darin bestehen, dass Fachsprache über keine eigenen syntaktischen Mittel verfügt und diese aus der Gemeinsprache herleitet . Im Gegenzug wird die Gemeinsprache durch lexikalische und syntaktische Mittel der Fachsprache bereichert. Es werden häufig fachsprachliche Ausdrücke in die Gemeinsprache übernommen, z.B. starten, Computer, röntgen, Know-how (vgl. Stolze, 2013:48). Es gibt andere Einflüsse der Fachsprache auf die Gemeinsprache, die sich auf syntaktischer Ebene in der Substantivierungstendenz und der Verwendung von Funktionsverbgefügen und auf lexikalischer Ebene in den satzsparenden Wortkomposita und Neubildungen manifestiert (vgl. ebd.:49). Stolze (2013) bezeichnet diese Beeinflussung als ,,Intellektualisierung der Gemeinsprache“ (ebd.). Darunter versteht sie, dass das immer stärkere Fachdenken neue Ansprüche an die Gemeinsprache mit sich bringt, sodass sich die Gemeinsprache dementsprechend anpassen bzw. intellektualisieren muss (vgl. ebd.).
Hingegen vertritt Kalverkämper (1990) die Ansicht, auf ,,Gemeinsprache“ als eigenständiges Konzept zu verzichten und es in das Konzept ,,Fachsprache“ zu integrieren (vgl. Kalverkämper, 1990:111ff). Demnach kann alles als Fachkommunikation gelten. Die Bemühungen richten sich dann danach, die Stufung dieser Sprachlichkeit zu bestimmen. Daraus ergibt sich die Skala der Fachsprachlichkeit nach Kalverkämper (1990).
Fachsprachen sind nach verschiedenen Kriterien gegliedert. Sie wird horizontal und vertikal gegliedert. Die horizontale Gliederung betrifft die Einteilung der Fachbereiche und Fächergliederungen. Hingegen stellt die vertikale Gliederung die Abstraktionsebenen der Fachsprache und die Hierarchie der Fachkommunikation, darunter der Fachlichkeitsgrad von Fachtexten (vgl. Roelcke, 2010: 29-30).
Im Rahmen dieser vertikalen und horizontalen Gliederung bestehen zwei Dimensionen: Erstens die ältere Gliederung im Rahmen varietätenlinguistischer Ansätze, die auf die Darstellung der Fächer und Fachbereiche selbst zielt und zweitens die neuere Gliederung im Rahmen textlinguistischer Ansätze, die nach Verwendungsarten fachsprachlicher Äußerungen innerhalb der verschiedenen Fachbereiche verschiedene Fachtextsorten unterscheidet (vgl. ebd.). In der folgenden Abbildung werden diese Dimensionen innerhalb der vertikalen und horizontalen Gliederung verdeutlicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Kriterien fachsprachlicher Gliederung (Roelcke, 2010:30)
Ein relevanter Schwerpunkt für die vorliegende Arbeit ist die vertikale Gliederung. Wie schon im letzten Abschnitt erwähnt, geht Kalverkämper (1990) davon aus, dass bei allen Kommunikationssituationen Fachsprache verwendet wird. Damit wird das Konzept des Fachlichkeitsgrads festgelegt. Es geht also nicht mehr um die Frage, ob die vorliegende Kommunikation fachsprachlich oder allgemeinsprachlich ist, sondern darum, wie hoch der Anteil an Fachsprachlichkeit ist. Hierzu entwirft Kalverkämper (1990) eine gleitende Skala der Intensität der Fachlichkeitsmerkmale, die ein Kontinuum von zwischen ,,extrem merkmalarm“ und ,,extrem merkmalreich“ darstellt (Kalverkämper, 1990:117ff.). Dabei entscheidet die fachliche Verdichtung der Kommunikation über die Fachlichkeit. Zum Beispiel: Bei einem Gespräch über Smartphones zwischen zwei Kommunikationspartnern kann es sowohl um einfache Anwendungen und Spiele gehen als auch um komplexere Inhalte, wie die elektronischen Komponenten und technischen Daten des Geräts. Nach Roelcke (2010) steht die Untersuchung der untersten kommunikativen Ebenen der vertikalen Gliederung, d.h. die Experten-Laien-Kommunikation, im Mittelpunkt des Forschungsinteresses (vgl. Roelcke, 2010:38).
1.2. Fachübersetzung aus kulturspezifischer Perspektive
1.2.1. Translationsrelevante Kulturdefinition
Zurzeit wird der Begriff ,,Kultur“ häufig fast in allen Bereichen des Alltags verwendet und wird aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Hier wird nicht der Versuch unternommen, alle Kulturdefinition auszuführen, denn das gehört nicht zum Ziel der Arbeit und würde deren Rahmen sprengen. Vielmehr zielen die Ausführungen hier darauf ab, auf translationsrelevante Kulturbegriffe einzugehen bzw. Kriterien für einen translationsrelevanten Kulturbegriff zu erarbeiten. Zunächst soll erwähnt werden, dass die kulturelle Dimension durch die funktionalistische Wende seit den 80er Jahren stärker in den Mittelpunkt der Translationswissenschaft gerückt wurde. Nach der Skopostheorie geht es in der Translation ,,erst recht nicht um formale sprachliche Phänomene allein, daß Translation vielmehr ein kultureller und darin sprachlicher Transferprozeß ist“ (Reiß/Vermeer, 1984:122). Dieser Paradigmenwechsel lässt sich anhand eines Zitats beschreiben:
Produzent und Rezipient (Empfänger) eines Textes gehören als "Kommunikationspartner" zur "Situation". Da beide neben ihrer sozial-kulturellen Einbettung in eine menschliche Gemeinschaft gleichzeitig eine individuelle "Geschichte" haben, gehen abgesehen von der Einmaligkeit von Ort und Zeit eines Geschehens auch diese individuellen Merkmale in die Textproduktion und -rezeption ein. Die "Situation" besteht aus kulturellen Vorgegebenheiten, aktuellen äußeren Gegebenheiten und inneren und sozialen Bedingungen der Kommunikationspartner und ihres Verhältnisses zueinander. (Reiß/Vermeer, 1984:18)
Zuerst gilt noch, eine Übersicht der grundlegenden Kulturbegriffe zu geben : der intellektuell-ästhetische Kulturbegriff, der materielle Kulturbegriff und der anthropologische Kulturbegriff (Lüsebrink, 2016:10). Der intellektuell-ästhetische Kulturbegriff bezieht sich auf Kunst, Bildung, schöngeistige Literatur und ,,grenzt die Sphäre der valorisierten Bildungs- und Elitenkultur ab von dem breiten Bereich der Massen- oder Volkskulturen“ (ebd.). Jedoch scheint dieser Kulturbegriff, nur einen relativ engen Bereich der Übersetzung abzudecken, nämlich den der literarischen Übersetzung. Der materielle Kulturbegriff betrifft den sich von der ursprünglichen Bedeutung von Kultur als „Agricultura“ (Landwirtschaft) ableitende Begriff und könnte zivilisatorische Kulturspezifika umfassen, die z.B. als Kulturunterschiede in technischen Texten untersucht werden. Beim anthropologischen Kulturbegriff wird unter Kultur ,,die Gesamtheit der kollektiven Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster einer Gesellschaft verstanden“ (ebd.). Die kulturanthropologischen Ansätze brachten verschiedene Kulturdefinitionen hervor. In Analogie zu Computerbetriebssystemen bezeichnete Hofstede z.B. Kultur als kollektive ,,mentale Programmierung“, die aus ,,Denk-, Fühl- und Handlungsmustern“ besteht, die der ,,Mensch in seinem sozialen Umfeld erlernt und nicht ererbt werden“ (Hofstede, 2011:3).
Aufschlussreich sind hier die Ausführungen von House, in denen sie vier Beschreibungsebenen der Kultur unterscheidet, die von Harfmann (2010) in deutscher Sprache wiedergegeben wurden (Harfmann, 2010:59): (1) die menschliche Ebene, (2) die nationale Ebene, (3) die dritte Ebene, die mit der zweiten korrespondiert und unterschiedliche gesellschaftliche und nationale Untergruppen erfasst und (4) die individuelle Ebene (House, 2004:494). Ähnlich spricht Horn-Helf (2010) von der Hierarchie kultureller Spezifik: Universalia, Kulturkreis, Makrokultur, Mikrokultur, Unternehmenskultur, Idiokultur (vgl. Horn-Helf, 2010:52ff.). Die Kulturebenen können durch folgendes Beispiel veranschaulicht werden. Arabischen Migranten wandern nach Deutschland aus und stehen als Adressaten im Mittelpunkt der Übersetzungen. In Bezug auf die nationale Ebene gehören sie zu verschiedenen arabischen Ländern und sind Repräsentanten ihrer nationalen Kultur. Arabische Migranten sind Mitglieder eines sogenannten Kulturkreises. Er besteht aus mehreren nationalen Kulturen (Makrokulturen), die durch ,,gemeinsame Werte und/oder eine gemeinsame Sprache oder auch die Gemeinsamkeit verwandter Sprachen“ verbunden sind (vgl. Horn-Helf, 2010:55). Die Migranten gehören auch zu verschiedenen Untergruppen der nationalen Kultur (Religion, Orden, Beruf, etc.) und jedem bietet sich die Gelegenheit, mit anderen Kulturen in Kontakt zu treten und sowohl Wissen um andere Kulturen als auch Bewusstsein für die eigene Kultur zu entwickeln (vgl. Reinert, 2009:65-66). Infolgedessen kann das eigene Verhalten überdacht und modifiziert und die eigene Erwartungshaltung gegenüber anderen geändert (vgl. ebd.). Aus den beiden oberen Kulturebenen entsteht die individuelle Kulturebene, die aus der individuellen Denkweise, den Werten und der Lebensauffassung besteht. Diese persönliche Ebene bahnt m.E. den Weg zu individuellen Unterschieden, weil die individuelle Kulturebene jedes Migranten durch verschiedene Einflüsse geprägt ist, was die individuelle Kulturebene jeder einzelnen Person so spezifisch und einzigartig wie Fingerabdrücke macht. Daraus ist zu erschließen, dass kulturspezifische Ausgangstextausdrücke für einige Angehörige der Zielkultur leichter zu verstehen sind als für andere.
Es besteht bei der Behandlung der Kulturbegriffe die Gefahr, ,,leicht ins völlig Unspezifische abzugleiten” (Reinert, 2009:64). Deswegen ist es erforderlich, Kriterien für einen translationsrelevanten Kulturbegriff aufzustellen, die es ermöglichen, aus dieser Vielfalt an Kulturdefinitionen die weniger translationsrelevanten Komponenten eines Begriffs herauszufiltern und sich gezielt auf die relevanten Komponenten zu fokussieren. Reinert (2009), die davon ausgeht, dass Kulturen nicht starr und unveränderlich sind und jede Einzelkultur einem stetigen Wandlungsprozess unterliegt (vgl. ebd.:65), gelang es, Kriterien eines translationsrelevanten Kulturbegriffs zu eruieren. Dieser soll (vgl. ebd.:74ff.):
(1) sowohl für das Dolmetschen als auch das Übersetzen anwendbar sein, (2) Konventionen, Normen, Wertmaßstäbe, sprachliche Konventionen wie Benennungs- oder Vertextungskonventionen umfassen, (3) bei der Sortierung translatorischer Probleme verhindern, nicht sämtliche sprachlichen Probleme zu kulturbedingten Schwierigkeiten zu zählen (z.B. grammatische Probleme), (4) Anwendung auf allen der obengenannten Kulturbeschreibungsebenen finden, (5) für die Translationsdidaktik anwendbar sein und dabei helfen, die eingangs beschriebene Gefahr der Übergeneralisierung und des Abgleitens in Stereotype zu vermeiden, (6) neben soziokulturellen auch zivilisatorische Gegebenheiten umfassen und (7) den Faktor Wissensbestände miteinbeziehen. Als Ergebnis entwirft Reinert (2009) einen Kulturbegriff, der die genannten Kriterien erfüllt. Nach ihr bezieht sich ein translationsrelevanter Kulturbegriff auf:
die von Menschen geleistete Arbeit und Lebensformen einschließlich der Konventionen, Normen, Wertmaßstäbe und Wissensbestände, die das Denken und Handeln, aber auch die (mündlichen, schriftlichen und nonverbalen) Kommunikationshandlungen/-produkte von Angehörigen einer bestimmten Gemeinschaft idealtypisch bestimmen. (ebd.:76)
Der Begriff ist weit gefasst und umfasst sowohl das Dolmetschen als auch das Übersetzen, zumal er mündliche, schriftliche und nonverbale Kommunikationsprodukte miteinbezieht und bettet sie in den jeweiligen kulturellen Rahmen ein. Ferner ist der Begriff von großer Relevanz für die Fachübersetzungsforschung, weil Wissensbestände in den Kulturbegriff integriert sind. Ausgehend von Reinerts (2009) Definition handelt es sich bei den hier zur Untersuchung stehenden Hausordnungen um schriftliche Kommunikationsprodukte, bei denen Nonverbales auch eine Rolle spielt.
1.2.2. Kulturspezifische Aspekte der Fachübersetzung
Kulturspezifische Aspekte bestehen auf verschiedenen Ebenen: Kultur schlägt sich in der Lexik, Syntax, Pragmatik sowie den Vertextungskonventionen nieder (vgl. Stolze, 2013: 305-357). Was die Kulturspezifik in der Fachübersetzung angeht, so offenbart sie sich vor allem in visueller Kulturspezifik, fachlichen Benennungen, kulturspezifischen Versprachlichungsstrategien und kulturspezifischen Inhalten (vgl. Reinert, 2009: 79-370). Im Folgenden werden Reinerts (2009) und Stolzes (2013) Ausführungen anhand von Beispielen konkretisiert. Diese beziehen sich auf die Sprachkombination Deutsch/Arabisch.
1.2.2.1. Lexikalische Aspekte
Der lexikalischen Ebene kommt ein besonderer Stellenwert zu und ihr wird in der Fachsprachenforschung große Aufmerksamkeit gewidmet. Es ist selbstverständlich, dass die Fachsprache sich besonders von der Gemeinsprache durch Fachtermini abhebt, die Exaktheit, Ökonomie und Eindeutigkeit verlangen. Die Lexik kommt an erster Stelle, wenn es um kulturspezifische Aspekte geht. Bei der Untersuchung kulturspezifischer Aspekte treten die sogenannten interkulturellen Inkongruenzen deutlich in den Vordergrund (vgl. Reinert, 2009:146). Nach Stolze (2013) besteht eine interkulturelle Inkongruenz, ,,wenn auf der Wortebene zwei vergleichbare Terme nicht äquivalent sind, weil die Konzepte, die sie bezeichnen, kulturell verschieden sind“ (Stolze, 2013:335). Es handelt sich also um die Konzept-Referent-Relation. Dieses Problem wurde von Reinert (2009) als ,,die Verbalisierung unterschiedlicher Inhaltsmerkmale eines Begriffs“ (Reinert, 2009:128) bezeichnet. Damit meinte sie aber die kulturspezifischen Differenzen in der Terminologisierung ,,trotz des Vorliegens terminologischer Grundsatzregeln auf nationaler und internationaler Ebene“ (ebd.). Arten der begrifflichen Inkongruenzen sind erstens reale Inkongruenz, die die Begriffsinkongruenz auf der lexikalischen Ebene betrifft, zweitens die formale Inkongruenz, in der die Übersetzungsschwierigkeit aus der unterschiedlichen sprachlichen Gestaltung derselben Textsorte in der Zielkultur entsteht und drittens die semantische Inkongruenz, die die ,,kulturspezifischen und ideologischen Konnotationen von Wörtern und Termini“ (Stolze, 2013:360) betrifft, die zu Missverständnissen oder abweichenden oder unerwünschten Assoziationen in der Zielkultur führen können (vgl. ebd.).
Ursachen für Inkongruenzen sowie kulturspezifische Aspekte variieren sich je nach dem Fachgebiet und dem Thema, Text und der Übersetzungssituation. In Bezug auf Technik ist beispielsweise die Ursache für Begriffsinkongruenz:
verschiedenartige Sachkonstruktionen aufgrund unterschiedlicher Bau- oder Sicherheitsvorschriften oder Gesetze. Vorschriften können z.B. auf besonderen klimatischen Bedingungen beruhen (Stolze, 2013:337).
Es werden zahlreiche Beispiele für begriffliche Inkongruenzen in der Fachliteratur angeführt, z.B. Farbbezeichnungen, Beispiele aus der Kfz-Technik, der Wassertechnik usw.
Das Fachgebiet Recht spielt bei der Untersuchung von interkulturellen Begriffsinkongruenzen eine große Rolle, weil sie ,,stärker am Pol Kultur verortet sind“ (Reinert, 2009:147). So erscheinen sie besonders beim ,,Übertragen von Rechtstexten“ (ebd.), weil diese in der Vernetzung der Rechtsnormen des Landes (Rechtskultur) eingebettet sind (vgl. ebd.). Dieser Aspekt trifft weitgehend auf die Thematik der vorliegenden Arbeit zu, obwohl Hausordnungen nicht die prototypische Form der Rechtstexte sind, was an einer weiteren Stelle der Arbeit behandelt wird.
Zur Erklärung dienen Beispiele für juristische Fachtermini. Das Handelsgesetzbuch (HGB) der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet zwei Typen von Kaufleuten:
Istkaufmann: Jeder, der ein Handelsgewerbe betreibt, § 1 I HGB. Handelsgewerbe ist hierbei jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert, § 1 II HGB. Die frühere Unterscheidung von Musskaufmann und Sollkaufmann ist damit hinfällig. Auch die Verwendung des Begriffs Istkaufmann ist im praktischen Sprachgebrauch nicht mehr gängig.2
Kannkaufmann: Jemand, der erst durch Eintragung ins Handelsregister (Handelsregistereintragung) die Kaufmannseigenschaft erlangt. Zu den Kannkaufleuten gehören Kleingewerbetreibende, soweit sie in das Handelsregister eingetragen sind (§ 2 HGB), sowie Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (§ 3 HGB).3
Demgegenüber definiert das ägyptische Handelsgesetz nur den Kaufmann. Es stellt also nur Kriterien, die Kaufleute von Nicht-Kaufleuten unterscheiden und Kleinhandwerker niedrigen Einkommens aus dem Begriff ausschließen. Der Übersetzende braucht in einer solchen Übersetzungssituation, wo zumindest einer der genannten Fachtermini erscheint, eine adäquate Übersetzung. Er findet nur das Wort تاجر , das nicht bzw. nur einen Teil des Konzepts deckt (Teiläquivalenz bzw. Eins-Zu-Null-Äquivalenz). Die Inkongruenz entsteht also aus dem Verhalten der Benennungsfelder zueinander (vgl. ebd.:146), d.h. wie die Begriffe in der betreffenden Rechtkultur gegliedert sind. In dem obengenannten Beispiel geht es um fehlende Inhalte in der Zielkultur, was zu einer fehlenden Benennung führt. Dies kann zu den realen Inkongruenzen gezählt werden.
Zu den Aspekten der soziokulturell beeinflussten Benennungsbildung gehören auch metaphorische Bildungen und onymische Bildungen. Die metaphorische Bildung entsteht aus dem metaphorischen Gebrauch gemeinsprachlicher Lexeme oder tritt dort auf, wo Metaphern als Bestandteile von Wortzusammensetzungen fungieren (vgl. Reinert, 2009:129). So werden oft Körperteilbezeichnungen oder andere Gegenstände in der Technik verwendet, z.B. Aufsatzkopf غطاء , Zahnscheibe قرص مسنن , Mixtopffuß قاعدة وعاء الخلط usw. Onymische Bildung bezeichnet die Fachtermini, die durch ,,die Ableitung aus Eigennamen von Erfindern oder Forschern“ gebildet werden (ebd.:131), z.B. Röntgenstrahlung, im Englischen X-rays und im Arabischen ,, الأشعة السينية “ .
Die kulturelle Prägung betrifft aber auch die Art und Weise, wie Wörter gebildet und verknüpft werden: Es gibt sprachspezifische Formen der lexikalischen Verknüpfung (vgl. Stolze, 2013:338). Als Beispiel für kulturspezifische Wortbildung gilt die deutsche Wortkomposition. Im Vergleich zu der deutschen Sprache verfügt die arabische Sprache meines Wissens über keine Wortkomposition in diesem Sinn, sondern über andere Realisierungsmöglichkeiten, und zwar die Genitivverbindung und Adjektiv-Substantiv-Kombination4. Ein Beispiel für die Übersetzung von Komposita ist das Kompositum Untersuchungshaftvollzugsgesetz durch قانون تنفيذ الحبس الاحتياطي , wobei die Genitivverbindung für die Verknüpfung von drei Teilen und ein adjektivisches Attribut für den vierten Teil eingesetzt werden. Als ein weiteres Beispiel wird Bundesverfassungsgericht angeführt, das durch المحكمة الدستورية الاتحادية durch zwei Adjektivische Attribute (Substantiv-Adjektiv-Adjektiv) übertragen wird.
1.2.2.2. Inhaltliche Aspekte
1.2.2.2.1. Realia
Kulturspezifika sind nicht immer nur auf Wortebene erkennbar. Daher werden in diesem Abschnitt kulturspezifische Inhalte und Informationen auf Textebene dargestellt. Realia gehören zu den großen Übersetzungsproblemen, denn sie betreffen den außersprachlichen Gegenstandsbereich (vgl. Reinert, 2009:296). Das Problem bezieht sich auf die fehlende denotative Äquivalenz für einen Gegenstand in einer anderen Kultur. Koller (2011) definiert sie wie folgt:
[…] bei Realia-Bezeichnungen (so genannte landeskonventionellen, in einem weiteren Sinne: kulturspezifischen Elementen), d. h. Ausdrücken und Namen für Sachverhalte politischer, institutioneller, sozio-kultureller, geographischer Art, die spezifisch sind für bestimmte Länder (Koller, 201 1 :234).
Ferner werden Realia als ,,Identitätsträger eines nationalen/ethnischen Gebildes“ (Markstein, 1998:288) bezeichnet. Sie sind an folgenden Aspekten zu erkennen: Erstens haben sie keine identische Entsprechung in der Zielkultur. Auch wenn sie nicht völlig fremd erscheinen und übertragbar sind, sind sie doch konnotativ geladen und enthalten somit versteckte Inhaltsmerkmale.
Zweitens sind Realia mit dem Alltag der betreffenden Ausgangskultur verflochten. Der Aspekt ,,Realia“ wird der Textebene zugeordnet, weil die Übertragung der ,,Welt“ der Bezeichnungen nicht immer ausreichend auf Wortebene erfolgt. (vgl. ebd.:300). Ferner stehen die Bezeichnungen nicht allein, sondern sie sind in vielen Fällen in einem Netz bzw. in einer Hierarchie mit anderen Bezeichnungen verwoben.
Drittens wird angenommen, dass Realia emotiv sind, daher hauptsächlich in expressiven, respektive appellativen Texten verwendet und dem Terminus entgegengesetzt sind (Markstein, 1998:288), was die Rekurrenz der Realia in sachlichen Textsorten ausschließt. Diese Annahme impliziert auch, dass Fachtermini nicht als Realia betrachtet werden können. Aus beiden Gründen ist diese Annahme in Frage zu stellen. Das erklärt Reinert (2009) anhand der deutschen Institutionsbezeichnungen. Dazu wird bei ihr eine Liste der deutschen Gerichtsbezeichnungen des Auswärtigen Amtes mit deren Übersetzungen ins Englische, Französische und Spanische herangezogen (Stand 2006). In der aktuellen Version enthält das Dokument zehn Sprachen (Arabisch nicht mit einbegriffen)5.
[...]
1 Kraftfahrzeug
2 https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/istkaufmann-41709/version-265068, zuletzt abgerufen am 23. 4. 2020
3 https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/kannkaufmann-41454/version-264818, zuletzt abgerufen am 23. 4. 2020
4 Jedoch sind nur wenige Ausnahmen zu nennen, z.B. الأورومتوسطي
5 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/215264/75565a752981761b77442da1660f1cee/gerichtsbezeichnungen-data.pdf, zuletzt abgerufen am 23. 4. 2020
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- Islam Elshaarawi (Author), 2020, Kulturspezifische Aspekte der deutsch-arabischen Übersetzung von Hausordnungen für Migranten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167319
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