Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Menschenrechte
2.1. Internationale Menschenrechtscharta
2.2. Recht auf Arbeit
2.2.1. Vereinigungsrecht und Kollektivverhandlungen
2.2.2. Zwangsarbeit
2.2.3. Diskriminierung
2.3. Recht auf angemessenen Wohnraum
2.4. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
3. FIFA
3.1. Zweck und Ziele der FIFA
3.2. FIFA und die Menschenrechte
4. Analysebeispiele
4.1 Brasilien
4.1.1. Zwangsumsiedelungen
4.1.2. Einordnung vor dem Hintergrund der Menschenrechte
4.1.3. Rolle der FIFA
4.1.4. Fazit Brasilien
4.2. Katar
4.2.1. Kafala-System
4.2.2. Verstoßgegen arbeitsvertragliche Regelungen und Gesundheitsschutz
4.2.3. Verbot von Kollektivverhandlungen
4.2.4. Einordnung vor dem Hintergrund der Menschenrechte
4.2.5. Rolle der FIFA
4.2.6. Fazit Katar
5. Fazit
6. Ausblick
7. Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Die nachfolgenden Abkürzungen haben die folgende Bedeutung:
1 AEMR: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
2 Amnesty: Amnesty International
3 BMZ: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
4 FIFA: Fédération Internationale de Football Association
5 IGB: Internationaler Gewerkschaftsbund
6 ILO/IAO: International Labour Organization / Internationale Arbeitsorganisation
7 IOC: International Olympic Committee / Internationales Olympisches Komitee
8 Leitprinzipien: UN- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
9 OHCHR: Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen
10 SC: Supreme Committee
11 Sozialpakt: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
12 UNHCR: UN- Hochkommissariat für Flüchtlinge
13 UNICEF: seit 1953: United Nations Children's Fund
14 VN: Vereinte Nationen
15 Weltmeisterschaft: Fußball- Weltmeisterschaft der Herren
16 Zivilpakt: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
1. Einleitung
"Rahn schießt! Tor! Tor! Tor! Tor!" - und "Aus! Aus! Aus! - Aus! - Das Spiel ist aus! - Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit drei zu zwo Toren im Finale in Bern!“ (Zimmermann 1954, zitiert in: Krause 2014). Fußball lässt Menschen jubeln, bringt sie zusammen und einmal Weltmeister geworden, werden viele Spieler zu Legenden. Doch der Fußball hat auch eine andere Seite.
Die FIFA Weltmeisterschaft der Männer 1994 wird in den USA ausgetragen. Im zweiten Gruppenspiel treffen die USA auf Kolumbien. Kolumbien ist Mitfavorit auf den Titel, muss das Spiel aber gewinnen, um eine Runde weiter zu kommen. Bereits vor dem Spiel ging per Fax eine Bombendrohung ein, adressiert an einen der Mittelfeldspieler Kolumbiens. Nach 35 Minuten Spielzeit will Andres Escobar, ein kolumbianischer Verteidiger, eine Flanke der USA abwehren und erzielt dabei ein Eigentor. Kolumbien verliert das Spiel zwei zu eins und scheidet aus dem Turnier aus. Wenige Tage nach der Rückkehr seines Teams ist Andre Escobar tot. Unbekannte hatten ihn auf offener Straße erschossen (vgl. Yallopp 1998, S. 278-280).
„Sport ist eine höchst emotionale Angelegenheit. Insbesondere der Fußball ist oft ein Mittel zum Ausdruck von nationalem Stolz und zur Selbstdarstellung“ (Pieth 2014, S. 7). Neben großen Emotionen ist der Fußball jedoch schon lange nicht mehr nur Leidenschaft und Freude, sondern in ein komplexes Konstrukt aus ökonomischen, finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen eingebettet. Mit dem Recht eine Weltmeisterschaft ausrichten zu dürfen gehen dabei viele Verpflichtungen einher: Visumsfreiheit für alle an einer WM beteiligten Personen; die Garantie der Sicherheit auf Kosten des ausrichtenden Staates; eine Steuerbefreiung der FIFA und etwaiger Drittparteien, die an der Weltmeisterschaft beteiligt sind sowie „arbeitsrechtliche und sonstige Ausnahmeregelungen“ (FIFA o. J, S. 29), für direkt an der Weltmeisterschaft beteiligte Unternehmen und Personen.
Diese Arbeit kann und soll nicht den Anspruch erheben, als Grundlage für eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der FIFA zu dienen. Dafür bietet diese Arbeit weder den Rahmen, noch ist sie daraufhin ausgelegt. Als global agierende Organisation agiert sie aber nicht in einem rechtsfreien Raum und ihre Monopolstellung ist durchaus kritisch zu betrachten. Obwohl die FIFA keinen eigenen Verein stellt, besitzt sie ein Monopol auf das begehrteste Kollektivgut der Welt - Fußball (vgl. Strünck 2017, S. 111). Die Zuschauer*innenzahlen1 der Weltmeisterschaften2 zeigen, wie groß der Einfluss der FIFA sein kann, aber auch welche Verantwortung sie trägt. Wie sie diese Verantwortung nutzt, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Die Ambivalenz zwischen theoretischen Werten, beziehungsweise ihrem Selbstanspruch auf der einen und dem realen Handeln der FIFA auf der anderen Seite, soll in dieser Arbeit, anhand von zwei Beispielen, untersucht werden.
Aufgrund des Rahmens der Hausarbeit sollen in den Kapiteln zwei und drei die Grundlagen hierfür gelegt werden. Dafür soll zuerst auf für diese Arbeit relevante Menschenrechte eingegangen werden, um in Kapitel drei die FIFA als Institution einzuordnen und eine Verbindung der Themen herzustellen. In Kapitel vier soll an zwei Beispielen schließlich untersucht werden, welchen Anteil die FIFA an den Menschenrechtsverletzungen hat. Kapitel 4.1 wird das Recht auf angemessenen Wohnraum in Brasilien behandeln, Kapitel 4.2 das Recht auf Arbeit von Wanderarbeiter*innen in Katar. In Kapitel fünf folgt ein Fazit mit dem Fokus auf dem Verantwortungsbereich der FIFA, bevor ein kurzer Ausblick folgt.
2. Menschenrechte
„Menschenrechte sind die allen Menschen kraft Geburt zustehenden, egalitären und vorstaatlichen Rechte, die auf Achtung, Schutz und Erfüllung an staatliche oder überstaatliche Hoheitsgewalt gerichtet sind. Sie beanspruchen universelle Geltung, sind unveräußerlich und interdependent' (Fremuth 2015, S. 23). Aufgrund dieser Interdependenz fällt es schwer, einzelne in den Vordergrund zu stellen, weshalb nachfolgend für diese Arbeit relevante Menschenrechtsdokumente, beziehungsweise Menschenrechte, auf die sich diese Arbeit hauptsächlich bezieht, vorgestellt werden.
2.1. Internationale Menschenrechtscharta
Die Internationale Menschenrechtscharta setzt sich aus den drei grundlegenden Menschenrechtsabkommen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) zusammen (vgl. Fremuth 2015, S. 245). Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist als Resolution der VN- Generalversammlung selbst nicht verbindlich' (ebd.), alle in ihr verbrieften Rechte werden aber von den beiden VN- Pakten aufgegriffen und spezifiziert. Die in den drei Dokumenten verbrieften Rechte bilden dadurch, zusammen mit der Ilo- Erklärung über die grundlegenden Rechte und Prinzipien bei der Arbeit, die international anerkannten Menschenrechte, welche Staaten respektieren und einhalten müssen (vgl. Ruggie 2016, S. 12).
Im Sozialpakt (1966) finden sich z.B. das Recht auf Arbeit (Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 16. Dezember 1966, Art. 6, BGBI. 1973 II, S. 1569, Art. 6), das Recht auf günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7), das Recht auf Bildung einer Gewerkschaft (Art. 8), das Recht auf Soziale Sicherheit (Art. 9), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 11), oder das Recht auf Bildung (Art. 13).
Im Zivilpakt (1966) finden sich z.B. das Recht auf Leben (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 16. Dezember 1966, Art. 6, BGBI. 1973 II, S. 1533), das Verbot der Folter (Art. 7), das Verbot der Sklaverei (Art. 8), das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit (Art. 9), Gleichheit vor dem Gericht (Art. 14), Religionsfreiheit (Art. 18), das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19) oder das Recht sich zu versammeln (Art. 21).
2.2. Recht auf Arbeit
Das Recht auf Arbeit spielt in mehreren Dokumenten eine wichtige Rolle. Die AEMR spricht jedem Menschen „das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 10. Dezember 1948, Art. 23 (1), A/RES/217), zu. Dazu hat jede*r das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, eine existenzsichernde Entlohnung, sowie das Recht, Gewerkschaften zu bilden (vgl. ebd. Art. 23 (2; 3; 4). Diese Rechte findet man ebenso in Art. 6-8 des Sozialpaktes wieder (vgl. Sozialpakt, Art. 6-8). Art. 8 des Zivilpaktes verbietet zudem Zwangs- und Pflichtarbeit (vgl. Zivilpakt, Art. 8).
Mit dem Recht auf Arbeit setzt sich vor allem die Internationale Arbeitsorganisation auseinander. Sie setzt sich „seit 1919 für die Rechte von Arbeitnehmern in aller Welt“ (BMZ, o.D.), mit dem Ziel, international geltende Sozial- und Arbeitsstandards zu etablieren, ein. In den von der ILO verabschiedeten Übereinkommen wird das Recht auf Arbeit spezifiziert. Mittlerweile gibt es über 190 Übereinkommen, weswegen die ILO 1998 die „Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ verabschiedet hat (vgl. Internationale Arbeitsorganisation 1998). Bestandteil der Erklärung sind acht Übereinkommen der ILO, welche als Kernarbeitsnormen verstanden werden. In der Erklärung sind die vier Grundprinzipien der Ilo verankert: Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit, Abschaffung von Kinderarbeit und das Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und im Beruf (vgl. ebd.).
2.2.1. Vereinigungsrecht und Kollektivverhandlungen
Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen haben das Recht, ohne Genehmigungen, Organisationen zu bilden und beizutreten (vgl. IAO, Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, Ü87, 17. Juni 1948, Artikel 2). Behörden besitzen dabei kein Eingriffsrecht (vgl. ebd., Artikel 3). Außerdem sind „Arbeitnehmer vor jeder gegen die Vereinigungsfreiheit gerichteten unterschiedlichen Behandlung, die mit ihrer Beschäftigung in Zusammenhang steht, angemessen zu schützen“ (IAO, Übereinkommen über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechts und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen, Ü98, 08. Juni 1949, Artikel 1).
2.2.2. Zwangsarbeit
„Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, den Gebrauch der Zwangs- oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen möglichst bald zu beseitigen“ (IAO, Übereinkommen über Zwangs- oder Pflichtarbeit, Ü29, 28. Juni 1930, Artikel 1). Als Zwangsarbeit gilt in dem Sinne „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ (ebd., Artikel 2 (1)). Hierzu zählen die Androhung sowie die Ausübung von Gewalt, der Verkauf von Menschen, das Zurückhalten von Gehalt, aber auch subtilere Formen wie der Entzug des Identitätsnachweises, falsche Versprechungen über Lohn und Arbeit, fremdverursachte Verschuldung, bspw. aufgrund von hohen Anwerbegebühren oder das Melden bei der Immigrationsbehörde3 (vgl. International Labour Office 2005, S 6).
2.2.3. Diskriminierung
Für gleichwertige Arbeit soll für weibliche und männliche Arbeitskräfte die Gleichheit des Entgelts gelten (vgl. IAO, Übereinkommen über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, Ü100, 6. Juni 1951, Artikel 2 (1)). Des Weiteren ist jedes Mitglied verpflichtet, eine innerstaatliche Politik festzulegen, welche darauf abzielt, Diskriminierung aufgrund von „Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft“ (IAO, Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Ü111, 4. Juni 1958, Artikel 1a), zu verhindern, um so „Gleichheit der Gelegenheiten und der Behandlung in Bezug auf Beschäftigung und Beruf zu fördern“ (ebd. Artikel 2).
2.3. Recht auf angemessenen Wohnraum
Das Recht auf angemessen Wohnraum ist Teil des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard, welches in Artikel 25 (1) der AEMR artikuliert und in Artikel 11 (1) des Sozialpaktes verbindlich geregelt wird. „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung“ (Sozialpakt, Art. 11 (1)). Das Recht auf Wohnen fordert den Schutz und die hinreichende Verfügbarkeit angemessenen Wohnraums sowie einen bezahlbaren und diskriminierungsfreien Zugang zu Wohnraum mit einer menschenwürdigen Wohnlage und -qualität (vgl. Krennerich 2013).
Dabei formuliert es Mindestgarantien, die für ein menschenwürdiges Leben benötigt werden und deren Achtung und Schutz jeder Staat zu gewährleisten hat. Zentrale Aspekte sind die Sicherheit des Besitzes und der Schutz vor willkürlichen Zwangsräumungen4, Zugang zu medizinischer Versorgung, sauberem Trinkwasser, sanitären Anlagen, Energieversorgung, Abfallbewirtschaftung, Bezahlbarkeit, Bewohnbarkeit5 sowie die Erreichbarkeit von Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und Arbeitsorten (vgl. OHCHR 2009, S. 3 f.).
Außerdem benennt das Menschenrecht auf Wohnen die Voraussetzungen, unter denen Menschen zwangsgeräumt werden dürfen. Dies ist dann der Fall, wenn die betroffenen Menschen im Zuge der Zwangsräumung nicht obdachlos werden, vorher konsultiert wurden, Informationen über Zeitpunkt und Zweck der Räumung sowie Rechtsschutz und eine angemessene Entschädigung erhalten (vgl. ebd. S. 4-6).
2.4. Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
Die Leitprinzipien der Vereinten Nationen „sind der weltweite Maßstab für den Umgang der Unternehmen mit Menschenrechten. Unternehmen müssen sich nicht ausdrücklich zu diesen Prinzipien bekennen; vielmehr wird erwartet, dass alle Unternehmen [...] diese Leitprinzipien achten“ (Ruggie 2016, S. 14). Die zu achtenden Menschenrechte sind mindestens die der internationalen Menschenrechtscharta sowie der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit (vgl. VN- Menschenrechtsrat, Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, 16. Juni 2011, A/HRC/17/31, Art. 12). Aus ihnen erwächst keine neue völkerrechtliche Verpflichtung, ihre starke Anlehnung an die internationale Menschenrechtscharta verdeutlicht aber den Stellenwert, den das Dokument einnehmen soll.
Die Leitprinzipien beruhen auf der Anerkennung „der bestehenden Verpflichtungen der Staaten, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten, zu schützen und zu gewährleisten' (ebd., Allgemeine Prinzipien (a)), der besonderen Verantwortung der Wirtschaftsunternehmen, die, durch die Übernahme von spezialisierten Aufgaben, Menschenrechte zu achten haben „d.h. zu verhindern, dass die Menschenrechte durch ihre Tätigkeit oder ihre Geschäftsbeziehungen [negativ] beeinträchtigt werden' (Ruggie 2016, S. 14) und „der Notwendigkeit, Rechten und Verpflichtungen im Fall ihrer Verletzung angemessene und wirksame Abhilfemaßnahmen gegenüberzustellen' (Leitprinzipien 2011, Allgemeine Prinzipien (c)). Dabei finden sie auf alle transnationalen Wirtschaftsunternehmen und Staaten Anwendung, unabhängig ihres Sektors, Standorts, der Größe, Struktur oder Eigentumsverhältnissen (vgl. ebd., Art. 14).
Unternehmen können dabei an negativen Auswirkungen auf Menschenrechte beteiligt sein, wenn sie selbst aktiv daran beteiligt sind (z.B. unsichere Arbeitsbedingungen), wenn Beschaffungspraktiken bei Lieferant*innen den Anreiz schaffen sie zu verletzen (z.B. unrealistische vertragliche Anforderungen, die zu unbezahlten Überstunden führen), oder passiv, wenn Dritte, die mit dem Unternehmen in einem vertraglichen Verhältnis stehen Menschenrechte verletzen (z.B. Zwangs- oder Kinderarbeit in Subunternehmen) (vgl. Ruggie 2016, S. 15).
Dabei müssen Staaten „den Schutz vor Menschenrechtsverletzungen gewähren, die in ihrem Hoheitsgebiet und/ oder ihrer Jurisdiktion von Dritten, einschließlich Wirtschaftsunternehmen verübt werden' (Leitprinzipien, Art. 1), unabhängig ob durch Politiken, Gesetze, gerichtliche Entscheidungen oder sonstige Regelungen. Wirtschaftsunternehmen sollen die Menschenrechte achten, indem sie vermeiden die Menschenrechte Anderer negativ zu beeinträchtigen und nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkungen begegnen (vgl. ebd., Art. 11).
Für John Ruggie (2016), sind die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte auf jede Sportorganisation anwendbar6 (vgl., S. 12). Deshalb sollen im nächsten Kapitel die FIFA und ihre Arbeitsweise eingeordnet werden, um anschließend die Themen FIFA und Menschenrechte miteinander in Verbindung zu bringen.
3. FIFA
"Die FIFA ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion" (Blatter 2015, zitiert in: Der Spiegel 2015).
Die FIFA ist, nach Schweizer Recht, ein gemeinnütziger Verein (vgl. Strünck 2017, S. 110). Sie wurde am „21. Mai 1904 in Paris als Dachverband der nationalen Fußballverbände gegründet“ (Wiemann; Pyritz 2019, S. 1). Waren es 1921 gerade einmal 20 Mitglieder, umfasst die FIFA mittlerweile 209 Mitgliedsverbände (vgl. ebd.). Diese 209 Verbände wiederum gliedern sich in sechs Kontinentalverbände, wobei die Mitgliedschaft in einem Kontinentalverband die Voraussetzung für die Mitgliedschaft bei der FIFA, und, damit auch für die Teilnahme an den Weltmeisterschaften ist (vgl. Ruggie 2016, S. 18). Strünck (2017), verwendet deshalb auch den Begriff der 'verkappten Zwangsorganisation' (vgl., S. 115).
Welches Konstrukt die FIFA am Ende genau ist - ob eine internationale Sportorganisation (vgl. Strünck 2017, S. 109), ein multinationaler Konzern (vgl. Pieth 2014, S. 32) oder eine Meta- Organisation (vgl. Ahrne; Brunsson 2008, S. 68) - bleibt umstritten. Obwohl sie offiziell eine Nicht- Profit Organisation ist, besitzt sie Vermögenswerte in Höhe von circa 4,4 Milliarden US- Dollar und enormen politischen sowie sozialen Einfluss (vgl. FIFA 2019; Geeraert 2016, S. 12).
In dieser Arbeit wird sich auf John Ruggie (2016) bezogen, der die FIFA anhand ihrer organisatorischen und rechtlichen Struktur als weltweites Sportunternehmen einstuft (vgl., S. 18).
3.1. Zweck und Ziele der FIFA
In den Statuten der FIFA sind Zweck und Ziele verankert. Die FIFA hat das Ziel „den Fussball [sic] fortlaufend zu verbessern und weltweit zu verbreiten, wobei der völkerverbindende, erzieherische, kulturelle und humanitäre Stellenwert des Fussballs [sic] berücksichtigt werden soll“ (FIFA 2018a, Art. 2). Zentrale Handlungs- und Organisationsprinzipien der FIFA sind politische und weltanschauliche Neutralität (vgl. a.a.O., Art. 4 (2)). Ihren Zweck sieht die FIFA darin, internationale Wettbewerbe zu organisieren, Vorschriften und Bestimmungen zu erlassen, durchzusetzen und zu kontrollieren, die den Fußball betreffen, Fußball für alle zu ermöglichen sowie Ethik, Integrität und Fairness zu fördern, um Korruption, Doping und Spielmanipulation zu verhindern. Außerdem regelt sie den Status von Spieler*innen, vermittelt bei Konflikten, erlässt und überwacht die Spielregeln, ist für die Aufnahme, Suspendierung und den Ausschluss von Verbänden verantwortlich und regelt die Rechte und Pflichten der einzelnen Mitgliedsverbände (vgl. a.a.O., Art. 2; 5; 6; 7; 10; 11; 12; 13).
3.2. FIFA und die Menschenrechte
Mit dem Argument der politischen Neutralität rechtfertigt die FIFA auch die Vergabe von Weltmeisterschaften an autokratische Staaten und die Zusammenarbeit mit Staaten, die stark für ihre Menschenrechtsverletzungen kritisiert werden.
Bei näherer Betrachtung hält das Argument der politischen Neutralität aber immer seltener einem Realitätscheck stand. Seien es türkische Nationalspieler, die auf dem Spielfeld einen Angriffskrieg der Türkei per Salut unterstützen, die #NoBan4Women Kampagne, die auf das Stadionverbot von Frauen im Iran aufmerksam machte oder einfach die Kontakte, die man als Funktionär*in der FIFA mit Staatsoberhäuptern schließt - Fußball ist politisch (vgl. Gertz 2019).
Auch die FIFA selbst hat ihre Macht genutzt, um politisch aktiv zu werden. 1961 beispielsweise, war die FIFA die erste sportliche Organisation, welche Sanktionen gegen das Apartheidsregime Südafrikas verhängte (vgl. Institute for Human Rights and Business 2013, S. 6).
Keinem Land ließe sich ein perfektes Menschenrechtszeugnis ausstellen, aber die Auswahl von Veranstaltungsländern mit dokumentierten, schweren Menschenrechtsverletzungen, zeugen zumindest von impliziter Akzeptanz, denn es ist zu erwarten, dass das Ausrichten von Sportgroßveranstaltungen zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führt (vgl. ebd.).
Mit zunehmendem zivilgesellschaftlichem Druck sowie der starken medialen Präsenz von Menschenrechtsverletzungen bei Weltmeisterschaften und vor allem in Vorbereitung dieser, wurde die FIFA zum Handeln gezwungen. So hat sie u.a. 2001 die Buenos Aires Resolution verabschiedet, in der sie sich zu Anti- Diskriminierungsmaßnahmen7 verpflichtet. Außerdem wurde 2013 eine Taskforce gegen Rassismus und Diskriminierung gegründet und mittlerweile kooperiert die FIFA, unter anderem, auch mit UNICEF, der ILO oder dem UNHCR (vgl. a.a.O., S. 19). Für die Vergabe der Weltmeisterschaft 2026 wurden letztendlich auch Forderungen zur Einhaltung der Menschenrechte aufgenommen und die Wahl der Austragungsorte der WM- Endrunden findet mittlerweile transparenter statt, wobei jeder Mitgliedsverband eine Stimme erhält (vgl. FIFA o.J.; FIFA 2018a, Art. 26).
Auch durch ihre Statuten bekennt sich die FIFA „zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser ein“ (FIFA 2018a, Art. 3). Des Weiteren ist „jegliche Diskriminierung eines Landes, einer Einzelperson oder von Personengruppen aufgrund von Hautfarbe, ethnischer, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand, sexueller Orientierung oder aus einem anderen Grund [.] unter Androhung der Suspendierung oder des Ausschlusses verboten' (a.a.O., Art. 4).
Seit 2017 besitzt die FIFA außerdem eine FIFA- Menschenrechtspolitik, mit der sie das statutarische Bekenntnis aus Artikel drei genauer definiert (vgl. FIFA 2017, S. 32). Darin bekennt sie sich zu allen international anerkannten Menschenrechtsverträgen, zur Einhaltung der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit, zu Standards und Grundsätzen, die besonders vulnerable Gruppen8 betreffen sowie zur Einhaltung der Leitprinzipien (vgl. a.a.O., Art. 1; 2).
Dabei verpflichtet sie ebenso „FIFA-Tochtergesellschaften, von der FIFA anerkannte Kontinentalverbände, FIFA-Mitgliedsverbände, Institutionen, die mit der Ausrichtung von FIFA-Wettbewerben beauftragt sind, FIFA-Geschäftspartner, Dienstleistungsanbieter und Lieferanten sowie andere mit der FIFA geschäftlich verbundene Unternehmen' (a.a.O., S. 32), die Menschenrechte zu achten und einzuhalten.
Inwiefern all diese Reformen und Bekenntnisse ernst zu nehmen sind, soll auch Bestandteil dieser Arbeit sein. In den nächsten zwei Kapiteln soll es um konkrete Beispiele von Menschenrechtsverletzungen gehen, die in den Austragungsländern der FIFA Fußballweltmeisterschaften 2014 in Brasilien und 2022 in Katar begangen wurden und immer noch begangen werden.
[...]
1 3,5 Milliarden Menschen bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland (vgl. FIFA 2019).
2 Diese Arbeit handelt von den Fußball- Weltmeisterschaften der Männer. Die Verkürzung auf den Begriff „Weltmeisterschaft" ist durchaus kritisch zu betrachten, da es auch eine Weltmeisterschaft der Frauen gibt. Die Weltmeisterschaften der Männer bieten zu diesem Thema allerdings eine bessere Datenlage, wobei auch das kritisch hinterfragt werden sollte. Auch diskriminierende Sprache in einem solchen Zusammenhang sollte an anderer Stelle thematisiert werden, denn die FIFA nennt Männerfußball „Fußball", wohingegen Frauenfußball „Frauenfußball" heißt (vgl. Pieth; Lyss 2016, S. 163).
3 Eine vollständige Auflistung ist zu finden bei: International Labour Office (2005): A global alliance against forced labour. Global Report under the Follow-up to the ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work 2005.
4 Zwangsräumung wird definiert als „gegen den Willen der Betroffenen stattfindende Vertreibung aus ihren Wohnungen oder von ihrem Land, ohne dass ein geeigneter rechtlicher oder anderer Schutz vorhanden ist" (Amnesty 2009).
5 Schutz vor: Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Wind und Regen
6 Die entscheidende Frage hier ist, ob durch die Organisation kommerzielle Tätigkeiten durchgeführt werden. Dies ist unabhängig der Rechtsform und dem Gebiet zu bewerten. Da die FIFA in großem Umfang kommerziell tätig ist, fällt sie unter den Bereich der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (vgl. Ruggie 2016, S. 11).
7 Beispiel: Say no to racism Kampagne.
8 "indigene Völker, Frauen, nationale, ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten, Kinder, Menschen mit Behinderung, Arbeitsmigranten und ihre Familien sowie Menschenrechtsaktivisten" (FIFA 2017, Seite 33).