Die Bedeutung von Elternarbeit in der Heimerziehung

Partizipation von Eltern mit Kindern in der sozialpädagogischen Praxis in Wohngruppen


Hausarbeit, 2021

50 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Begriffserläuterungen
1.1 Elternschaft, Elterliche Sorge und Elternverantwortung
1.2 Heimerziehung und stationäre Einrichtungen nach § 34 SGB VIII
1.3 Partizipation / Elternarbeit

2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Professionsbezogene Einordnung Sozialer Arbeit in der Heimerziehung
2.2 Notwendigkeit der Elternarbeit
2.3 Aktuelle Studien zur Elternarbeit in der Heimerziehung

3. Methodisches Vorgehen
3.1 Feldzugang und Sample
3.2 Erhebungsmethode
3.3 Transkription und Auswertungsmethode

4. Auswertung und Darstellung der Ergebnisse
4.1 Voraussetzungen für Elternarbeit
4.2 Gestaltung von Elternarbeit
4.3 Wirkung von Elternarbeit

Fazit

Anhang

I. Leitfaden des Experteninterviews

II. Transkriptionsregeln

III. Interviewtransskript

IV. Ankerbeispiel

V. Kategoriensystem

Einleitung

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit behandelt das Handlungsfeld der Hei­merziehung, welches einen Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe darstellt. Hier­bei wird insbesondere die Bedeutung von Elternarbeit fokussiert. Das Ziel dieser Hausarbeit ist die Ausarbeitung und Beantwortung der zentralen Fragestellungen, wie die Elternarbeit mit sorgeberechtigten Eltern von Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren in der Heimerziehung die Rückführung in die Herkunftsfamilie be­einflusst. Dieser Fragestellung wird in Rahmen einer qualitativen Sozialforschung nachgegangen. Dafür wurden wissenschaftliche Theorien, Erkenntnisse und Stu­dien zum Thema im Theorieteil gesammelt und niedergeschrieben. Außerdem wurde ein leitfadengestütztes Experteninterview mit einem Sozialarbeiter durchge­führt, der seit viereinhalb Jahren in einer Wohngruppe tätig ist und Fortbildungen im Bereich Elterntraining absolviert hat. Die Ergebnisse der Erhebung werden mit der referierten Literatur abgeglichen, dargestellt und ausgewertet.

Die Heimerziehung ist ein stetig wachsendes Handlungsfeld in der Sozialen Arbeit. Im Jahre 2016 leitete das Jugendamt für 53.300 Kinder eine Unterbringung in ei­nem Heim oder einer anderen betreuten Wohnform ein (vgl. Statistisches Bundes­amt: 2017). Das Statistische Bundesamt (2017) gibt an, dass somit ein Anstieg der Heimerziehung um 20% im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet wurde. In den Me­dien und der Gesellschaft wird die Heimerziehung häufig noch negativ stigmati­siert. Das Etablieren von Wohngruppe in Wohngebieten stößt nicht selten auf Ab­lehnung von den dort lebenden Menschen (vgl. Heidemann/ Greving 2017: 34). Das Ansiedeln in Wohngebieten bezieht sich auf eine Leitnorm der Lebensweltori­entierung, die im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG/ SGB VIII) verankert ist und zeichnet sich in der Entwicklung der Heimerziehung durch eine Dezentralisie­rung der Einrichtungen aus (vgl. Günder 2014: 131). Dadurch soll den Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden, in der Nähe ihres gewohnten Umfeldes wie der Schule, Familie und Sportverein leben zu können (vgl. ebd.). Mitinbegriffen ist das frühere soziale Umfeld mit besonderer Berücksichtigung der Eltern (vgl. ebd.). Im Rahmen der Heimerziehung wird der Elternarbeit eine wachsende Bedeutung zu­geschrieben. Zum einen ist die Partizipation der Eltern am Hilfeprozess der Kinder gesetzlich vorgeschrieben und zum anderen zeigen Studien, dass die Hilfe erfolg­reicher verläuft, wenn Elternarbeit geleistet wird (vgl. Günder 2014: 133; Arnold/ Macsenaere 2015: 368). Auch im Zusammenhang mit der Pluralisierung von Fa­milienformen sowie dem damit verbundenen „variantenreichen Spektrum an El­tern-Kind-Beziehungen“ und immer komplexer werdenden Lebensgeschichten, steht die Soziale Arbeit mit ihren Fachkräften vor neuen Herausforderungen (Oel- ker 2015: 351). Um die Lebensweltorientierung und den Einbezug der sozialen Kontakte zu gewährleisten, die einen Einfluss auf das Verhalten und auf emotio­nale Schwierigkeiten des Kindes haben, gewinnt die systemische Arbeit immer mehr an Bedeutung (vgl. Günder/ Nowacki 2020: 218f.).

Das erste Kapitel beinhaltet verschiedene Begriffserklärungen, die für das Ver­ständnis der theoretischen Betrachtung des Themas dieser Hausarbeit relevant und rahmengebend sind. Die Begrifflichkeiten sind in drei Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt thematisiert die Elternschaft, Elterliche Sorge und Elternverantwor­tung. Im zweiten Abschnitt werden das Heim und die stationären Einrichtungen nach § 34 SGB VIII dargestellt. Abschließend werden im dritten Abschnitt die Be­griffe Partizipation und Elternarbeit definiert. Der theoretische Hintergrund wird im zweiten Kapitel genauer betrachtet. Dafür werden zuerst die historische Entwick­lung und die rechtlichen Rahmenbedingungen der Heimerziehung fokussiert. Hier­bei findet eine professionsbezogene Einordnung der Sozialen Arbeit in der Hei­merziehung statt. Darüber hinaus werden sowohl der systemische also auch der Bindungstheoretische Ansatz sowie Methoden der Elternarbeit dargestellt, die für die Begründung der Notwendigkeit von Elternarbeit ausschlaggeben sind. Das Ka­pitel wird mit aktuellen Studien zur Wirksamkeit von Elternarbeit abgeschlossen.

Das Methodische Vorgehen der empirischen Erhebung wird im dritten Kapitel aus­führlich vorgestellt. Als erstes wird auf den Zugang zum Feld und die Auswahl des Interviewpartners eingegangen. Anschließend wird die Erhebungsmethode in Form eines leitfadengestützten Experteninterviews beschrieben. Die im dritten Ab­schnitt erwähnte Transkription und die zusammenfassende qualitative Inhaltsana­lyse nach Mayring (2017) stellen den Abschluss des Kapitels dar. Außerdem findet nach jedem Abschnitt eine kurze Reflexion zur Methode statt. Kernpunkt dieser Hausarbeit ist die Ergebnisdarstellung im vierten Kapitel. In diesem werden die aus der Inhaltsanalyse gewonnenen Erkenntnisse mit der Literatur aus dem Theorieteil verglichen und im Rahmen einer Diskussion ausgewertet. Die Ergebnisse werden in den drei Abschnitten Voraussetzungen für Elternarbeit, Gestaltung von Eltern­arbeit und Wirkungen von Elternarbeit dokumentiert. Das Fazit ergibt sich aus ei­ner zusammenfassenden Betrachtung der wichtigsten Ergebnisse, mit denen eine Beantwortung der erwähnten Forschungsfragen angestrebt wird.

1. Begriffserläuterungen

Das Kapitel veranschaulicht zunächst die Begrifflichkeiten Elternschaft, Elterliche Sorge und Elternverantwortung. Anschließend werden die Begriffe Heim und sta­tionäre Einrichtungen nach § 34 SGB VIII sowie Partizipation bzw. Elternarbeit de­finiert.

1.1 Elternschaft, Elterliche Sorge und Elternverantwortung

Unter Elternschaft wird in der Regel „die Rolle von Vätern und Müttern, die im ge­netischen, biologischen, juristischen und/ oder sozialen Sinn die Eltern eines Kin- des/ mehrerer Kinder sind“ verstanden (Oelkers 2015: 350). Während die biologi­sche Elternschaft aus einer Zeugung und Geburt von Kindern hervorgeht, ist bei der genetischen Elternschaft eine Zeugung und Geburt bzw. Austragung von Kin­dern „mit Hilfe der Reproduktionsmedizin“ gemeint, bei welcher eine biologische Elternschaft nicht immer eindeutig zu bestimmen ist (Oelkers 2015: 350). Die ju­ristische Elternschaft umfasst sowohl die Elternrechte als auch die Elternpflichten, die in sämtlichen Gesetzesbüchern, darunter auch im SGB VIII, rechtlich definiert sind (vgl. Oelkers 2015: 350). Die soziale Elternschaft beinhaltet die Umsetzung der Pflichten und Rechten, welche „die langfristige Übernahme von Verantwortung, Zuwendung, Betreuung, Versorgung und Erziehung“ umschließen (Oelkers 2015: 350). Die soziale Elternschaft kann von Adoptiveltern, Pflegeeltern und Stiefeltern übernommen werden (Oelkers, 2015: 350). Durch die verschiedenen Möglichkei­ten einer Elternschaft und Elternkonstellationen entsteht zunehmend eine Plurali- sierung von Familienformen. Diese können sich im Lebenslauf verändern, sodass Kinder und Jugendliche in wechselnden Familienformen aufwachsen und die El­tern-Kind-Beziehungen variieren (vgl. Oelkers 2015: 350f.).

Relevant für diese Hausarbeit sind insbesondere die juristische und die soziale Elternschaf. Das Elternrecht ist im Grundgesetz verankert und betrifft „die öffent­lich-rechtliche Beziehung zwischen den Eltern und dem Staat hinsichtlich des Kin­derrechts“ (Oelkers 2015: 352). Es besteht also ein Dreiecksverhältnis zwischen Eltern, Kinder/Jugendliche und Staat (Rätz, Schröer & Wolf 2014: 48). In der Regel sind die Familien vor staatlichen Eingriffen geschützt, jedoch verfügt der Staat über das sogenannte staatliche Wächteramt, welches Sorge trägt, wenn ein Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII vorliegt (vgl. Rätz, Schröer & Wolf 2014: 48; Oelkers 2015: 352).

Ein weiterer zentraler Begriff in der juristischen Elternschaft ist die Elterliche Sorge, die von dem Elternrecht abzugrenzen ist, da diese sich auf den Bereich der privat­rechtlichen Beziehung zwischen Eltern und minderjährigen Kindern bezieht (vgl. Oelkers 2015: 352). Die elterliche Sorge ist im Familienrecht des Bürgergesetz­buchs verankert und beinhaltet die Personen- und Vermögensfürsorge sowie die gesetzliche Vertretung (vgl. Oelkers 2015: 353). Unter die Personenfürsorge fallen alle persönlichen Angelegenheiten des Kindes wie Erziehung, Aufenthaltsbestim­mung und Beaufsichtigung (vgl. Oelkers 2015: 353). Hierbei erhält die staatliche Sorge eine Nachrangigkeit und Eltern bzw. Personenberechtigte können unter an­derem über Erziehungsstile, Religion, Weltanschauung, Schulform frei entschei­den (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 48; Oelkers 2015: 353). Die Elterliche Sorge endet mit der Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes (vgl. Oelkers 2015: 353).

Die soziale Elternschaft wird durch die Elternverantwortung abgedeckt. Das be­deutet, dass die Eltern gesetzlich und moralisch durch die Gesellschaft verpflichtet sind, das Kind zu pflegen, zu erziehen und zu fördern (vgl. Oelkers 2015: 354). Neben den Grundbedürfnissen, wie der Unterkunft und Verpflegung, sind vor allem psychosoziale Aspekte wie der Schutz vor Gefahren, die Kontinuität des Betreu­ungsverhältnisses und die Bindungen des Kindes von Bedeutung (vgl. Oelkers 2015: 354).

1.2 Heimerziehung und stationäre Einrichtungen nach § 34 SGB VIII

Der in der Gesellschaft etablierte Begriff „Heim“ ist ein Sammelbegriff für die ver­schiedene Wohn- und Unterbringungsformen über Tag und Nacht für Kinder und Jugendliche außerhalb der Herkunftsfamilie (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 168; Heidemann/ Greving 2017: 4ff.) Die Unterbringung außerhalb der Herkunftsfamilie wird auch „Fremdunterbringung“ genannt (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 168). In Deutschland haben sich die Unterbringungsformen in den letzten Jahren immer weiter differenziert. Dazu gehören unter anderem Kinder- und Jugendheime, Säuglingsheime, Mutter-/Vater-Kind-Heim oder Heilpädagogisches Heime sowie die Betreuungsformen innerhalb der Heimerziehung nach § 34 SGB VlIl (vgl. Hei- demann/ Greving 2017: 4ff.). Die Heimerziehung nach § 34 SBV III ist eine statio­näre Maßnahme der Hilfen zur Erziehung und bietet eine 24 Stunden Betreuung der Kinder und Jugendlichen außerhalb der Familie (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 168). Die stationären Maßnahmen der Heimerziehung werden in verschie­denen Formen differenziert.

Eine mögliche Unterbringungsform in der Heimerziehung sind die Wohngruppen eines Heims. Diese befinden sich oftmals in Einfamilienhäusern oder in Etagen­wohnungen, die häufig in einer größeren Heimeinrichtungen integriert sind (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171). In der Regel leben dort bis zu zehn Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Alter und Geschlecht. Betreut werden sie von einem multiprofessionellen Team im Schichtdienst. Die Lebensform innerhalb der Wohngruppe wird „familienähnlich“ gestaltet, es wird von einer „familienanaloger Erziehung“ gesprochen (Heidemann/ Greving 2017: 50). Daran anknüpfend ver­sorgen sich die meisten Wohngruppen selbst und übernehmen die alltäglichen Aufgaben wie einkaufen, putzen und kochen eigenständig (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171; Heidemann/ Greving 2017: 50). Die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen erfolgt in Ein- oder Zweibettzimmern, die sie nach Bedarf gestalten können. Neben den Zimmern der Kinder und Jugendlichen sind die Wohngruppen mit einem „Wohnzimmer, Aufenthaltsraum, Esszimmer, Küche, Bad und Toiletten­räumen“ ausgestattet. Die Räumlichkeiten ähneln ebenfalls einer geregelten Wohnsituation und bieten den Kindern und Jugendlichen genügend Freiräume (vgl. Heidemann/ Greving 2017: 50).

Eine weitere Form ist die Heilpädagogisch-therapeutische Intensivstation, die sich durch einen besonders strukturierten Alltag sowie durch therapeutische Zusatzan­gebote (therapeutisches Milieu) für Kinder und Jugendliche kennzeichnet (Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171).

Unter familienähnliche Wohnformen sind Kinderdörfer oder Kleinsteinrichtungen zu verstehen, die oft nur aus einer Gruppe bestehen (Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171). Auch die Unterbringung in heilpädagogischen Erziehungsstellen in privaten Haushalten wird dieser Form zugeordnet. Hierbei leben Kinder und Jugendliche „mit einem besonders intensiven Betreuungsbedarf unter professioneller Betreu­ung in Lebensgemeinschaft mit einer betreuenden Person und ggf. mit deren Fa­milie“ (Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171).

Das Heim soll ein geschützter und positiver Lebensort für die Kinder und Jugend­lichen darstellen, die dort für eine bestimmte Dauer leben. Die Heimerziehung soll dabei helfen Ressourcen zu aktivieren, gemachte Erfahrungen zu verarbeiten, den Kindern und Jugendlichen Wertschätzung entgegenzubringen und neue Lebens­perspektiven fördern. Dafür ist eine lebensweltorientierte Heimerziehung notwen­dig (vgl. Günder/ Nowacki 2020:15).

1.3 Partizipation / Elternarbeit

Der Begriff Partizipation wird von dem lateinischen Wort „participare“ abgeleitet und bedeutet Teilnahme, Teilhabe und wird als Synonym für Beteiligung, Mitwir­kung und Mitbestimmung benutzt (vgl. Pluto 2007: 16). Seinen ursprünglichen ge­brauch findet er in der Politik und wird als Teilhabe von Bürger*innen an „politi­schen Beratungen und Entscheidungen“ definiert (Schnurr 2015: 1171). In der So­zialen Arbeit wird die Partizipation erstmals im Zusammenhang mit der Sozialpla­nung (Bürger*innenbeteiligung) erwähnt. Eine besondere Beachtung erfährt die Partizipation in dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Im SGB Vlll § 8 ist fest­gelegt, dass Kinder und Jugendliche abhängig von ihrem Entwicklungsstand an alle für sie relevanten Entscheidungen mit einzubeziehen sind. Partizipation ist in der Kinder- und Jugendhilfe aber nicht nur an die Kinder und Jugendlichen gerich­tet, sondern schließt auch auf die erziehungsberechtigten Eltern mit ein. Allgemein findet die Partizipation in der Sozialen Arbeit vor allem im Rahmen einer Beteili­gung von potenziellen Klient*innen an Entscheidungen über Angebote und Leis­tungen, sowie bei der Wahlfreiheit auf unterschiedliche Formen der Leistungser­bringung statt (vgl. Schnurr 2015: 1171). Partizipation hat verschiedene normative Gradmesser, sie reicht von „Fremdbestimmung“ bis hin zur „Selbstbestimmung“ und ist abhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie die den Kon­zepten der jeweiligen Einrichtungen (vgl. Schurr2015 1177 f.; Wolff 2014: 437).

In der Fachliteratur existieren unterschiedliche Annahmen von Elternarbeit, sodass keine einheitliche Definition festgelegt ist. Elternarbeit wird oft mit Angehörigen­oder Familienarbeit gleichgesetzt und ist ein Sammelbegriff unter anderem für Be­ratung, Beziehungspflege und therapeutische Verfahren (vgl. Norman 2018: 17). Dabei wird sie als systemischer und zielgerichteter geplanter Kontakt mit den Per­sonenberechtigten und Familien definiert und soll den Erfolg der pädagogischen Maßnahmen erhöhen. Der Kontakt mit den Eltern orientiert sich immer am Einzel­fall und jede konzeptuelle Umsetzung wird individuell gestaltet. In einzelnen Defi­nitionen wird bereits jeder formlose Kontakt oder jedes Gespräch als Elternarbeit betitelt (vgl. ebd.: 18).

Elternarbeit wird unterschiedlich ausgeübt und lässt sich in drei Arbeitsformen un­terscheiden. Dazu zählen erstens die „Kooperationsansätze“ die auf eine Gestal­tung der Zusammenarbeit abzielen, zweitens die Elternberatungen oder Elterntrai­nings, die eine eindringlichere Form darstellen und drittens die intensivste Arbeits- form. Hierbei handelt es sich um „therapeutischen Familieninterventionen“,beide- nen es verschiedene Methoden gibt. Diese werden in implizite, das bedeutet un­geplante und absichtslose sowie explizite, geplante Methoden differenziert (vgl. Schulze-Krüdener/ Homfeldt 2013: 255).

2. Theoretischer Hintergrund

In diesem Kapitel findet eine professionsbezogene Einordnung der Sozialen Arbeit in der Heimerziehung statt. Dafür werden die historische Entwicklung, die rechtli­chen Rahmenbedingungen und die Ziele der Heimerziehung dargestellt. Anschlie­ßend wird die Elternarbeit näher betrachtet, indem eine Begründung der Elternar­beit sowie die Formen, Ziele und Konzepte dargestellt werden. Zuletzt werden ak­tuelle Forschungsbefunde und die Relevanz für die Soziale Arbeit thematisiert.

2.1 Professionsbezogene Einordnung Sozialer Arbeit in der Heimerziehung

Die stationäre Jugendhilfe hat sich aus den ursprünglich seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland bestehenden Waisenhausanstalten entwickelt (vgl. Winkelmann 2014: 73). Diese orientierten sich meistens an einer christlichen Anstaltserziehung, die sich durch unmenschliche Lebensbedingungen sowie eine mangelnde Vorbe­reitung der Kinder und Jugendlichen auf ein selbstständiges Leben kennzeichnen lässt (vgl. Winkelmann 2014: 73). Zu dem mussten die Kinder und Jugendlichen bis zu den Heimreform in den 1970er und 1980er Jahren ihren Lebensunterhalt, beispielsweise durch Torf stechen, selbst verdienen (vgl. Winkelmann 2014: 73). Die Reform wurde durch eine Studierendenbewegung initiiert, die mit Hilfe von Medien gegen die Anstaltserziehung postulierten (vgl. Winkelmann 2014: 73). Win­kelmann (2014: 73) nennt folgende Forderungen zur Reform der Heimerziehung:

- Abschaffung repressiver, autoritärer Erziehungsmethoden,
- die Verringerung der Gruppengröße,
- tarifgerechte Entlohnung sowie Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten für Heimerzieher*innen und
- die Abschaffung von Stigmatisierungsmerkmalen, wie zum Beispiel An­staltskleidung, Heime in abgelegenen Lagern etc.

Des Weiteren etablierte sich in den 1970er Jahren die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien, woraus eine Reduzierung der Heimplätze resultierte (vgl. Win­kelmann 2014: 74). Winkelmann (2014: 74) beschreibt, dass lediglich die Kinder, die bereits in Pflegeverhältnissen gescheitert waren und als stark problembelastet galten, in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden sollten. Zugleich fand in den 1970er und 1980er Jahren die Auflösung von Erziehungsanstalten statt, wodurch Heimgruppen in andere Häuser und Städte verlegt, Außenwohngruppen sowie selbstständige Wohngemeinschaften geschaffen und erste Formen des Be­treuten Wohnens eingeführt wurden (vgl. Günder 2014: 132; Günder & Nowacki 2020: 75). Die Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) fand deutschlandweit am 01.01.1991 statt (vgl. Günder 2014: 133; Winkelmann 2014: 74; Struck 2016: 666).

Das aktuelle KJHG bezieht sich auf das SGB VIII und umfasst das Recht auf Er­ziehung, Elternverantwortung und Jugendhilfe. Im § 1 SGB VIII wird in den ersten beiden Absätzen das Recht des jungen Menschen „auf Förderung seiner Entwick­lung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ sowie das Recht und die Pflicht der Eltern „zur Pflege und Erzie­hung der Kinder“ geregelt. Der dritte Absatz beschreibt die Aufgaben der Jugend­hilfe zur Verwirklichung der beiden vorangehenden Absätze (vgl. Rätz, Schröer & Wolff 2015: 59). Die Hilfeformen innerhalb der Heimerziehung sind in den §§ 27 bis § 35 SGB VIII festgelegt. Im Kontext dieser Hausarbeit ist insbesondere die Hilfemaßnahme nach dem SGB VIII § 34 Heimerziehung, sonstige betreute Wohn­formen relevant. Hierbei stehen vor allem die Stabilisierung und Unterstützung des Kindes bzw. des Jugendlichen im Fokus, welche durch pädagogische und thera­peutische Angebote im Alltag umgesetzt werden sollen (Schumacher 2016: 17).

Das primäre Ziel der Sozialen Arbeit in stationären Einrichtungen ist die Rückfüh­rung des Kindes bzw. des Jugendlichen in die Herkunftsfamilie (vgl. Günder 2014: 133). Für das Handlungsfeld der Heimerziehung in der Sozialen Arbeit bedeutet dies, die Versorgung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen für eine gewisse Dauer in einer familienähnlichen Form zu übernehmen. Sowohl die zu betreuen­den Kinder und Jugendlichen als auch ihre Eltern sind in ihrem Leben schon oft auf Ablehnung und Abwertung gestoßen, sodass sie ein Gespür für negative Hal­tungen haben (Winkelmann 2014: 145). Für die Soziale Arbeit ist es hierbei be­deutsam, den Familien eine alternative Erfahrung zu ermöglichen und ihnen mit einer wertschätzenden Haltung in jeglichen Situationen zu begegnen (Winkelmann 2014: 145). Es ist notwendig diese wertschätzende Haltung kontinuierlich beizu­behalten, da Eltern und Kinder erst einmal Zeit benötigen, um diese für sich an­nehmen zu können (Winkelmann 2014: 145). Für die Soziale Arbeit folgt daraus ein hoher Stellenwert für die Beziehungs- und Bindungsarbeit innerhalb der Hei­merziehung (Winkelmann 2014: 145). Auch die Berücksichtigung der jeweiligen Lebensgeschichten bzw. -umständen ist von großer Bedeutung. So sollte den in­dividuellen Lebensgeschichten mit Respekt entgegengetreten werden, da diese ein besseres Verstehen der bisherigen Handlungsweisen von Kindern und Eltern ermöglichen (Winkelmann 2014: 146). Das Primäre Ziel der Rückführung kann nicht immer realisiert werden, sodass es teilweise zu kleineren Zielsetzungen kommt, denen gleichwohl eine enorme Wichtigkeit zugesprochen wird. Weitere Ziele der Elternarbeit im Bereich der Heimerziehung sind die Unterstützung in der Entwicklungsförderung des Kindes und die Stärkung der Herkunftsfamilie durch die systematische Betrachtungsweise. Außerdem sollen die elterlichen Erzie­hungskompetenzen erweitert sowie die Beziehung zwischen Eltern und Kind ge­fördert werden (vgl. ebd. 146f.).

2.2 Notwendigkeit der Elternarbeit

Eine Fremdunterbringung von Kindern und Jugendlichen erfolgt, wenn Eltern ihre Erziehungsrechte- und Pflichten aus verschiedenen Gründen kurz- oder langfristig nicht angemessen ausüben können (Rätz, Schröer & Wolff 2014: 171). In der Re­gel erfolgt eine Unterbringung in der Heimerziehung mit Einverständnis der Eltern und wird nur in Ausnahmefällen durch ein Vormundschaftsgericht beschlossen (Rätz, Schröer & Wolff 2014: 172). Nach dem statistischen Bundesamt wurde ein Drittel der Unterbringung in der Heimerziehung im Jahr 2018 von der Familie selbst initiiert (Günder & Nowacki 2020: 41). Nach § 5 SGB VIII verfügen Eltern und Er­ziehungsberechtigte über ein Wunsch- und Wahlrecht im Hinblick auf den Träger, die Unterbringung und die Hilfegestaltung (vgl. Albus 2012: 478; Günder 2014: 134).

Die Eltern- und Familienarbeit ist im SGB VIII verbindlich geregelt und zielt in erster Linie auf die Rückführung des Kindes bzw. des Jugendlichen in die Herkunftsfami­lie ab (vgl. Günder 2014: 133; Günder & Nowacki: 218). Auch wenn das Ziel der Rückführung nicht erreicht werden kann, ist die Arbeit mit den Eltern von Bedeu­tung und betrifft insbesondere grundlegende Entscheidungen sowie die Lebens­perspektive und Entwicklung des Kindes (vgl. Günder 2014: 133; Günder & Nowa- cki 2020: 218). Voraussetzung ist, dass durch die Beziehung zwischen Kindern und Eltern nicht das Kindeswohl gefährdet ist (Günder & Nowacki 2020: 218). Dem entsprechend sind auch Eltern an der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII vor und während der Gewährung zur Hilfe beteiligt und können über den Hilfeverlauf mit­entscheiden (vgl. Matzner & Munsch 2014: 211; Günder & Nowacki 2020: 218). Obwohl im SGB VIII eine kontinuierliche und qualitätsorientierte Elternarbeit betont wird, ist die Umsetzung in der Realität nicht immer möglich und begrenzt sich oft­mals lediglich auf die alleinige „Kontaktpflege“ (vgl. Günder 2014: 133). Die Eltern­arbeit mit ihren „Anforderungen einer zielgerichteten und methodisch abgesicher­ten Vorgehensweise“ setzt „ein hohes Maß an Professionalität und Arbeitsauf­wand“ der Fachkräfte voraus (Günder 2014: 133).

Obwohl die Versorgung der Kinder durch die Eltern unzureichend ist, sind die El­tern die wichtigsten Bezugspersonen für die Kinder. (vgl. Schleiffer 2015: 11). Die Fremdunterbringung ist für die Kinder als auch für die Eltern ein kritisches Lebens­ereignis, das einen Bindungsabbruch und emotionalen Stress mit sich bringt (vgl. ebd.) Für die Beteiligten ist unklar, wie die Bindungsbedürfnisse in absehbarer Zeit befriedigt werden. Deswegen wird der Bindungstheorie von John Bolwby einen hohen Stellenwert bei der Begründung zur Notwendigkeit von Elternarbeit zuge­sprochen (vgl. ebd.) In der Theorie wird davon ausgegangen, dass Bindung akti­viert wird, wenn das Kind einer kritischen Situation oder einer Gefahr, wie z.B. Angst, Höhe oder einem plötzlichen Reizwechsel ausgesetzt ist (vgl. ebd.: 30). Ab dem vierten Lebensmonat wird die Bindungsbeziehung zwischen dem Kind und der Bezugsperson aufgebaut und die Bindungsbedürfnisse bleiben ein Leben lang bestehen (vgl. ebd. 30 ff.). Unterschieden wird dabei in die vier verschiedenen Bin­dungssysteme: Sicher gebunden, Unsicher-vermeidend gebunden, Unsicher-am­bivalent gebunden und Unsicher-desorganisiert gebunden (vgl. ebd.: 34ff.). Bei der von Hans Thiersch durchgeführten „Evaluationsstudie zu stationären und teilstati­onären Erziehungshilfen“ JULE stellte sich heraus, dass bei 67% der Kinder in diesen Einrichtungen eine gestörte „Eltern-Kind-Beziehung“ vorlag (Schleiffer 2015: 108).

Eine weitere entscheidende Theorie zur Notwendigkeit von Elternarbeit ist das Konzept der Lebensweltorientierung, die als Leitnorm im SGB VIII verankert ist (vgl. Günder 2014: 131). Als Lebensweltorientierung werden die Unterstützung der alten Kontakte und eine Unterbringung in der Nähe des ehemaligen Wohnorts de­finiert (vgl. ebd.) Elternarbeit soll dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche von ihrer Familie nicht entfremdet werden, weshalb das pädagogische und beratende Angebot nach den Lebenswelten von Kindern und Eltern ausgerichtet wird (vgl. Günder 2014: 134; Günder & Nowacki 2020: 218f.). Das bedeutet, dass die Eltern dort abgeholt werden, wo sie sich befinden.

[...]

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Details

Titel
Die Bedeutung von Elternarbeit in der Heimerziehung
Untertitel
Partizipation von Eltern mit Kindern in der sozialpädagogischen Praxis in Wohngruppen
Hochschule
Fachhochschule Dortmund
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
50
Katalognummer
V1167589
ISBN (eBook)
9783346577245
ISBN (Buch)
9783346577252
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehungshilfe, Hilfen zur Erziehung, Wohnungruppe, Elternarbeit, SGB 8, KJHG, Partizipation, Elterntraining, §34, stationär, stationäre Hilfe, Lebensweltorientierung, qualitative Forschung, interview, Leitfaden Interview, Inhaltsanalyse Mayring
Arbeit zitieren
Ivo Hintze (Autor:in), 2021, Die Bedeutung von Elternarbeit in der Heimerziehung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1167589

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