Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung mithilfe der ästhetischen Praxis. Die Arbeit mit dem "Kunst-Koffer"


Bachelorarbeit, 2017

46 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit
2.1 Ästhetik
2.2 Ästhetische Erfahrungen
2.3 Ästhetische Praxis
2.4 Soziale Arbeit und Kunst - ein Spannungsfeld?

3 Bedeutung der ästhetischen Praxis bei der Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder
3.1 Lebenswelt der Kinder
3.1.1 Entwicklungsabläufe
3.1.2 Wahrnehmung der Kinder
3.2 Ästhetische Bildung
3.2.1 Identitätsbildung
3.2.2 Persönlichkeitsentwicklung

4 Die „Kunst-Koffer“ kommen
4.1 Das „Kunst-Koffer“-Projekt
4.2 Einfluss des „Kunst-Koffers“ auf die Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder
4.3 Möglichkeiten und Grenzen ästhetischer Projekte

5 Zusammenfassung

6 Ausblick

7 Anhang
7.1 Literaturangaben

1 Einleitung

„Nur wenige würden SozialeArbeit mitÄsthetik assoziieren.“

(Jäger/Kuckhermann 2004, S. 9)

Die folgende Ausarbeitung soll die Thematik der ästhetischen Praxis innerhalb der Sozialen Arbeit aufgreifen. Wie die Autoren Jäger und Kuckhermann in ihrem Zitat aus ihrer Abhandlung „Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit - Wahrnehmung, Gestaltung und Kommunikation“ (Jäger/Kuckhermann 2004) verlauten lassen, würde man die Soziale Arbeit und die Methoden der Sozialen Arbeit vermutlich nicht auf den ersten Blick in Verbindung mit Ästhetik bringen. Jedoch möchte ich genau hier ansetzen.

Im ersten Kapitel werde ich zunächst auf Begriffserklärungen und Definitionen eingehen, um einen Eindruck zu geben, was Ästhetik umfasst und was man unter der ästhetischen Praxis versteht. Weiterhin werde ich mich mit der Kunst und der Sozialen Arbeit auseinandersetzen, um herauszufinden, warum Kunst eine Handlungsweise für die Soziale Arbeit sein kann und wo genau die Verbindungsstücke zwischen diesen unterschiedlichen Zugängen liegen. Als Unterstützungshilfe und zum Verständnis der Handlungsmethoden Sozialer Arbeit wird dahingehend auf die Alltags- und Lebensweltorientierung nach Thiersch als mögliche Theorie der Sozialen Arbeit eingegangen. Ästhetik gehört zu den Bezugswissenschaften einer Sozialarbeiterwissenschaft (Vgl. Klüsche 1999) und kann einen Anteil zu einer Profibildung der Sozialen Arbeit leisten, wenn es in dieser Arbeit gelingt, ein Projekt der ästhetischen Praxis, wie das Projekt der „Kunst-Koffer“, in die Konzepte der Sozialen Arbeit zu integrieren. Im zweiten Kapitel komme ich dann zur Bedeutung der ästhetischen Praxis innerhalb der Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Allen voran, werde ich zunächst Einblick in die Lebenswelt der Kinder geben, sowohl in ihrer Entwicklung, als auch ihrer Wahrnehmung. Zunächst wird die ästhetische Bildung genauer betrachtet, um feststellen zu können inwieweit sich diese auf die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung auswirken könnte. Im dritten und letzten Kapitel soll dann abschließend versucht werden, einen Zusammenhang in dieser Thematik herzustellen. Infolgedessen soll ein Projekt der ästhetischen Praxis innerhalb der pädagogischen Arbeit mit Kindern dargestellt werden. Hier werde ich versuchen zu beleuchten, inwieweit nun ästhetische Bildungsprozesse bei Kindern innerhalb des Projektes „Kunst-Koffer“ stattfinden können.

2 Ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit

2.1 Ästhetik

Wenn man Menschen darum bittet, zu beschreiben, was sie persönlich mit dem Begriff der Ästhetik assoziieren, mündet diese Fragestellung meist in einer komplexen Diskussion. Parallel zur Definition gibt es unzählige Vorstellungen und Meinungen darüber, was Ästhetik beschreibt. Der Begriff der Ästhetik wird abgeleitet aus der griechischen Sprache. „Aisthesis“ bedeutet demnach „sinnliche Wahrnehmung“, existiert seit Mitte des 18. Jahrhunderts und bezieht sich ursprünglich auf die Produktion und Rezeption von Kunstwerken. (Vgl. Müller 2005). Zudem umfasst der Begriff alle „[...] sinnlichen Wahrnehmungen, ihre Ordnung und die inneren Verarbeitungsmuster.“ (Schäfer 2008, S. 78). Eine Vielzahl von Menschen bezeichnen etwas Besonderes, etwas Schönes oder etwas Feines als „ästhetisch“. In Verbindung der visualisierten und digitalisierten Umwelt ist ein Entkommen bezüglich der Ästhetisierungsprozesse kaum möglich. Einflüsse wie Bilder, Massenmedien, Animationen und Werbungen prägen zunehmend unseren Alltag und werden zu Leitlinien. Ästhetik bestimmt ferner die Gestaltung unseres Lebens in Form von Ausprägungen angesagter Einrichtungs- und Modestilen. Ebenso, wie ein Individuum in Anlehnung an Paul Watzlawick, nicht nicht kommunizieren kann, so trifft dies auch auf die Ästhetik zu. Insofern kann sich ein Mensch „[...] nicht nicht ästhetisch verhalten“ (Meis/Mies 2012, S. 18). Durch die individuelle Auffassungs- und Verarbeitungsfähigkeit, empfindet jeder Mensch Ästhetik auf seine eigene Art und Weise. So kann jemand beispielsweise ein Kunstwerk als besonders ästhetisch empfinden und damit seine Gefühle und Gedanken verfolgen, wohingegen eine andere Person dabei nichts empfindet, oder Gefühle wie Trauer oder Abscheu empfängt. Für ein besseres Verständnis wird der Begriff der Ästhetik in zwei Zugänge unterschieden. Unter dem ersten Zugang wird alles zusammengefasst, was wahrgenommen wird, einen Menschen beschäftigt, Gefühle und Empfindungen auslöst und das Bewusstsein prägt. Dieser Zugang beschäftigt sich mit der Ästhetik im umfassenden Sinne, also mit der Lehre der menschlichen Sinneswahrnehmung. Der andere Zugang der Ästhetik geht von einem enger gefassten Verständnis aus. Somit ist die Ästhetik etwas „[...] ganz besonderes und wertvolles Sinnliches, bezogen auf die Vollkommenheit, Anmut, Harmonie und Schönheit des Gegenstandes.“ (Jager/Kuckhermann 2004, S. 15). Heutzutage wird die Ästhetik bereits immer häufiger sowohl im Verständnis der Praxis, als auch innerhalb der Theoriebildung, der Bezugswissenschaft der Sozialen Arbeit zugeordnet. Als Teilbereich der Philosophie, der „Wissenschaft oder der Lehre vom Schönen“, wird Ästhetik oder „ästhetisch“ gegenwärtig überwiegend dafür verwendet, etwas als schön, harmonisch oder angenehm zu beschreiben. Es bezeichnet die Art der Wahrnehmung eines Gegenstandes, der Natur oder der Kunst und dient gleichzeitig auch zur Charakterisierung von Gegenständen und Objekten. „Aus ihrer altgriechischen Bedeutungsgeschichte ist ästhetisch alles, was unsere Sinne beschäftigt, in uns Empfindungen und Gefühle entstehen lässt und auf solchen Wegen unser Bewusstsein prägt [...] so wurzelt das Ästhetische in der sich bewegenden und erlebten Einheit des Lebens und weist hin auf den Anspruch, sie ebenso bewegt und vereinigt auf allen Stufen der geschichtlichen Weltentwürfe wiederzufinden.“ (Jager/Kuckhermann 2004, S.13). Wenn ein Individuum seine Umwelt ästhetisch erlebt, wird die sinnliche Wahrnehmung von einem Medium, mit dem wir sonst Informationen aufnehmen, zu einem Prozess, der seinen Zweck in sich selbst trägt. (Vgl. Krinninger/Dietrich/Schubert 2012) Allein durch Trends der Bekleidungsmode lässt sich feststellen, dass die ästhetische Praxis immer an das Subjekt gebunden ist (Vgl. Jäger/Kuckhermann 2004). Welche Kleidung oder welcher Modestil als „in“, also als ästhetisch gelten, bestimmt vor allem die Gesellschaft. Das Ästhetische, welches vor allem individuell beurteilt und bestimmt wird, entsteht nicht im Objekt. Ein Objekt muss nicht schön sein, nur weil es besonders filigran gebaut ist oder besonders teure Materialien für dessen Herstellung verwendet wurden sind. Das Ästhetische, oder besser gesagt das Urteilsvermögen darin, ob etwas ästhetisch oder unästhetisch ist, entsteht im Individuum und seiner eigenen Wahrnehmung. „Ästhetik ist demnach keine Eigenschaft von Objekten oder Ereignisse, sondern eine spezifische Bedeutung, die diese für die Wahrnehmung der Subjekte haben. Erst in seiner Wirkung auf die subjektive Wahrnehmung, [...] erhält ein Gegenstand oder ein Ereignis eine ästhetische Qualität und vermittelt ästhetische Empfindungen [...] In diesem sehr spezifischen Sinne wird aus einem wahrgenommenen Gegenstand ein Medium, welches ästhetische Erfahrungen vermittelt.“ (Jäger/Kuckhermann 2004, S. 11). Als die zwei Grundströmungen der ästhetischen Praxis werden „Mimesis“ und „Poiesis“ voneinander unterschieden, müssen jedoch immer im Zusammenspiel miteinander gesehen werden. „Mimesis“ beschreibt die Ebene der Annäherung an die gegenständliche Welt. Durch Formen der Nachahmung und der Nachbildung kann dies ermöglicht werden. Innerhalb der Ebene der „Poiesis“, soll die schöpferische und kreative Neugestaltung der Welt bezeichnet werden. Mit der Nachbildung der realen Welt innerhalb der ästhetischen Objekte, entsteht zugleich eine vollkommen neue Welt. Die wichtigsten Formen der ästhetischen Tätigkeit stellen die ästhetische Produktion, die Rezeption und die Kommunikation1 dar. Trifft das Individuum innerhalb der Subjektebene auf ästhetische Objekte und ästhetische Erfahrungen, so wird in zwei zusätzliche Stufen unterschieden. Zum einen in die elementarästhetische Reaktion sowie Verarbeitung und zum anderen in die ästhetische Urteilsbildung. Durch die Entwicklung eigener Formen der Realitätswahrnehmung, des Ausdrucks und des persönlichen Stils, setzt das Subjekt indirekt die wichtigen Bausteine für die Persönlichkeitsentwicklung.

2.2 Ästhetische Erfahrungen

„[...] sind nicht das Mittel zum Zweck der Kunsterfahrung. Ästhetischen Erfahrungen kommt ein Wert an sich zu. “ (Dewey 1988, S. 3).

Was unterscheidet eine ästhetische Erfahrung von einer alltäglichen Erfahrung? Durch das Verschwimmen der Grenzen zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Erfahrungen, entsteht eine Problematik der Abgrenzung. Ästhetische Erfahrungen können sowohl im alltäglichen Leben, als auch im Zusammenhang des Bildungsaufbaus vorhanden sein. Sie entstehen immer durch die Wahrnehmung des Menschen innerhalb seiner Umwelt. Entscheidend hierbei ist es, dass es zu einer Art des Aufbrechens von gewohnten Mustern kommt, zu Neuentdeckungen der Welt. Etwas Ungewohntes, Unbekanntes wird also bewusst wahrgenommen, anschließend erfolgt das bewusste Auseinandersetzen. Ästhetische Erfahrungen sind demnach eine Durchbrechung des Alltags. Während ästhetischen Erfahrungen im Alltag, der Umwelt und Natur eher unbewusst wahrgenommen werden, so ist es Zielsetzung der Ästhetischen Praxis und Kunst, diese bewusst zu erzeugen. (Vgl. Meis/Mies 2012, S. 27). Durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Settings, wie einem Museumsbesuch, einem Theaterbesuch, einer Musikveranstaltung oder der praktischen Tätigkeit in der ästhetischen Kunst, besteht die Möglichkeit, diese Erfahrungen gezielt herbeizurufen um einen pädagogischen Handlungsansatz finden zu können. (Vgl. ebd.) Es muss eine Beziehungsebene zwischen Subjekt und Objekt vorhanden sein, damit ästhetische Erfahrungen bewusst oder unbewusst erlebt werden können. „Ästhetische Erfahrung ist das harmonische und zweckfreie Zusammenspiel der ästhetischen Urteilskraft.“ (Karl 2015, S. 115 zit. n. Parmentier 2004, S. 18). Die ästhetische Urteilskraft wiederrum, bildet sich über die Wahrnehmung des Individuums aus. Diese vollzieht sich dabei auf zwei verschiedenen Ebenen. Zum einen auf der Ebene des unmittelbaren emotionalen Erlebens. „Die Dinge sind demnach nicht an sich objektiv schön, sondern aufgrund des ohne Interesse sich einstellenden Gefühls der Lust, das sie auslösen.“ (Vgl. Karl 2015). Beim Anblick eines Gegenstandes, Objektes oder Kunstwerkes, kann es zu spontanen Gefühlen und Reaktionen des Individuums kommen.

Zum anderen vollzieht sich die Wahrnehmung auf der Ebene des bewussten Empfindens und Erkennens. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, bedingt durch Vorkenntnisse, Erwartungen und Erinnerungen, kann dieser als ästhetisch oder unästhetisch wahrgenommen werden. Für den Prozess der ästhetischen Wahrnehmung und Urteilsbildung werden als Voraussetzung drei Elemente benötigt, die jeweils aufeinander bezogen sind. Zum einen wird das Subjekt, also das Individuum benötigt. Zudem muss ein Gegenstand vorhanden sein und zuletzt eine Aktivität, die durch den Gegenstand vermittelt werden soll. Die Wahrnehmungsarbeit und individuelle Urteilskraft ist hierbei zugleich Sinnesaktivität und Deutungsarbeit. Rittelmeyer betitelt diese Wahrnehmung als „[•••] eine der besonderen Qualitäten des menschlichen Erkenntnisvermögens, die man so an keiner anderen Tätigkeit beobachten kann [...]“ (Rittelmeyer 2016, S. 268). Durch die bewusste und auch unbewusste Urteilsbildung, kann der Mensch innerhalb seiner Wahrnehmung gebildet werden und entsprechend auf seine Umwelt zugehen und „[...] zugleich ein besonderer Zugang menschlicher Freiheit [...]“ (ebd.) sein.

2.3 ÄsthetischePraxis

Noch bis in die 1970er Jahre hinein, wurden die Angebote der ästhetischen Praxis eher fokussiert auf die Arbeit und die Bildung mit Jugendlichen und Erwachsenen. Ziel war die Kompensation und der Umgang des oftmals schwierigen Alltags der Adressatinnen, wobei der Sinn in der entlastenden Funktion der künstlerischen Prozesse und im schöpferischen Handeln gesehen wurde. (Vgl. Jäger/Kuckhermann 2004) Die ästhetische Praxis wurde unter dieser Bezugnahme also primär als Ersatzkompensation gesehen. Durch die Beschäftigung der Adressatinnen, konnten diese aus ihren Stress-, Konflikt- und Alltagssituationen entfliehen. So konnte unterstützend dazu beigetragen werden, eine Art der Entspannung, der Wertschätzung und des Gefühls des Glücks zu erreichen. Durch Modernisierungsprozesse, kulturpolitische Reformen, Neuorientierungsimpulse und die Ausformung der Kulturangebote, durch unter anderem der Erweiterung der Hochkultur und einer fortschreitenden Motivation der Gesellschaft, eine höhere Bildung zu erreichen, haben sich in diesem Zusammenhang auch die Angebote verändert. Die Soziale Arbeit stellt sich nun den unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen und eröffnet Möglichkeiten für Adressatinnen in spezifischen Stadtteil- und zielgruppenorientierten Angeboten. Die ursprüngliche Perspektive, nämlich der Kompensation der Alltagsrealität der Adressatinnen, wird nun „[...] zunehmend [...] selbst zum Gegenstand ästhetischer Projekte“ (Jäger/Kuckhermann 2004, S.7). Durch diesen neuen Impuls galten nun Videoprojekte, Schreib- und Theaterwerkstätten aber auch Kunstprojekte nicht mehr länger als „plumpe“ Freizeitbeschäftigung, welche weder in Verbindung mit der Sozialen Arbeit noch mit Bildungsprozessen stehen würden. Sie bieten einen Zugangspunkt in die verborgene Welt der Adressatinnen, ihren Problemen, dem Umfeld und ihrem Alltag. Es können hierbei ihre Sichtweisen, Verhaltensmuster und Orientierungen herausgefiltert werden, um einen Ansatzpunkt für sozialarbeiterische Methoden finden zu können. Jäger und Kuckhermann beschreiben explizit zwei Entwicklungen, welche für das Selbstverständnis der Sozialen Arbeit ausschlaggebend waren und dieses verändert haben könnten. (Vgl. Jäger/Kuckhermann 2004, S. 7). Durch die alltagstheoretische Wende, die als erste Entwicklung zu nennen ist, werden Konzepte verwendet, die sich mit der Lebenssituation der Adressatinnen der Sozialen Arbeit auseinandersetzen. Der Alltag wird als wichtiger sozialer Lebensraum betrachtet, als Deutungshorizont und als Ort der Lebensbewältigung. Für die Theorie und die Methoden der Sozialen Arbeit ist diese Entwicklung von zentraler Bedeutung. Die Kompetenz zur Alltagsbewältigung sowie das Unterstützungs- und Entwicklungspotenzial des Umfeldes werden hier erforscht. Thiersch entwickelte aus seinen Denkansätzen die sogenannte „lebensweltorientierte Theorie“, welche im späteren Verlauf noch erläutert wird. Als zweite Entwicklung können die fortschreitenden gesellschaftlichen und zeitlichen Veränderungen gesehen werden. Durch Modernisierungsprozesse kommt es zu Veränderungen innerhalb der Norm- und Wertvorstellungen, zu veränderten gesellschaftlichen Rahmen- und Umweltbedingungen. Auf diese Weise kommt es zwangsläufig zu einer zunehmenden Pluralisierung von Arbeitsfeldern und Einrichtungsformen innerhalb der Sozialen Arbeit, um immer individueller auf die Adressatinnen und deren individuelle Problemlagen eingehen zu können. Wenn die ästhetische Praxis in ihrer Form angewendet wird, kann zugleich auch von ästhetischer Bildung gesprochen werden. So meint die ästhetische Bildung der Individuen, sämtliche notwendige Bemühungen der nachwachsenden Generation, einen Zugang zur Kunst als einen Teil der menschlichen Kultur zu ermöglichen. (Vgl. Müller, 2005) Innerhalb der Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit gibt es mittlerweile Konzepte und Vorgehensweisen zu einer angeleiteten, als auch zu einer selbstständig erworbenen ästhetischen Bildung. Bei beiden Konzepten und Methoden ist der Fokus auf die Ganzheitlichkeit bezogen. Es geht nicht darum, ein Künstler zu sein und perfekt malen und gestalten zu können, ebenso wenig geht es um ein kunstbezogenes Wissen. (Vgl. Meis, 2012) Durch das Ästhetische entsteht eine Möglichkeit zur Bildung des Subjekts, also des Individuums, gleichwohl auch der Gesellschaft. Es wird als ein wichtiges Element in den Bildungsanforderungen der heutigen Zeit angesehen. (Vgl. Koch, 2010) Die ästhetische Bildung wird dahingehend immer mehr als etwas wahrgenommen, was innerhalb der Pädagogik von großer Bedeutung sein kann. So kann sie dazu beitragen, den Adressatinnen zu ihrer Selbstentwicklung förderlich und unterstützend zur Seite zu stehen. Dabei orientiert sich die ästhetische Bildung nicht an speziellem Fachwissen, sondern möchte vor allem fördern, die kritische Ausbildung des Selbst, über den Weg der Kunst, Rezeption und Produktion von Kunst. „Ästhetische Bildung [ist] die sich allmählich ausdifferenzierende Art derjenigen Weltzuwendung, die im Sinnlichen ihren Ausgangspunkt und ihr Thema findet und daraus kulturell-kollektive Ausdrucksgestalten entwickelt.“ (Dietrich, 2010, S. 2). Eine wichtige Aufgabe stellt innerhalb der ästhetischen Bildung demnach dar, dass die gesellschaftlichen und individuellen Entwicklungen und Erfahrungen jedes Individuums beachtet werden müssen und unter dieser Beachtung gefördert werden soll. (Vgl. Eckart, 2008) So unter anderem die Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit, die Orientierung an Gesundheit und Wohlbefinden, die Akzeptanz von Verletzlichkeit und Sterblichkeit, Kooperations- und Konfliktfähigkeit, symbolische Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit und viele mehr. Um Erfahrungsräume zu öffnen, sowie das bewusste Denken zu ermöglichen, hat die ästhetische Bildung das Ziel einer Auseinandersetzung mit der Umwelt der Adressatinnen. Die Ergebnisse ästhetischer Praxis können vollkommen unterschiedlich sein. So kann es sich zunächst um materielle als auch um immaterielle Dinge handeln. Ziel ästhetischer Projekte kann die Herstellung eines Produktes oder Gegenstandes sein, wie ein Kunstwerk oder eine Skulptur. Allerdings kann auch die Arbeit darauf ausgerichtet sein, Projekte zu gestalten wie Feste, Speisen oder Dekorationen. (Vgl. Meis/Mies 2012, S. 28).

2.4 Soziale Arbeit und Kunst - ein Spannungsfeld?

In der Sozialen Arbeit existieren bereits Praxisfelder, in denen künstlerische Medien für die Arbeit mit den Adressatinnen genutzt werden. Obwohl diese Medien bewusst eingesetzt werden, um den Adressatinnen unterstützend Hilfeleistungen bieten zu können, herrscht bis heute Uneinigkeit darüber, ob die ästhetische Praxis als Handlungsmethode innerhalb der Sozialen Arbeit anerkannt wird. Durch Diskussionen muss sich die Soziale Arbeit immer wieder selbst hinterfragen, ob sie als Profession Anerkennung findet. Diese zusätzliche Problematik wirkt sich zudem auch negativ auf das Verständnis der ästhetischen Praxis innerhalb der Sozialen Arbeit aus. Durch die Professionalisierung der Sozialen Arbeit, kommt es zu einer zunehmenden Verwissenschaftlichung, Methoden müssen hinterfragt, nachgewiesen und evaluiert werden. Die künstlerische Arbeit mit Adressatinnen wird häufig von außen als eine bequeme Art der Problembewältigung gesehen. „Weil sich die Soziale Arbeit aufgrund des Professionsanspruches abgrenzen möchte, begreife sie außerdem die Realität als sehr harte, ungerecht und benachteiligt, und würde diese eben nicht spielerisch genug nachempfinden.“ (Jäger/Kuckhermann 2004, S. 16). Das Spannungsfeld lässt sich außerdem anhand dessen erläutern, dass Kunst als Wissenschaft eine exklusive Stellung im Leben zugeschrieben wird, wohingegen sie dem Prinzip der Sozialen Arbeit widersprechen würde, da diese als Profession die Nicht-Exklusivität und die Lebensweltorientierung betonen würde. Hinzu kommen Zweifel des richtigen „professionellen“ Handelns. Sozialarbeiterinnen sind zwar im Besitz einer akademischen Qualifikation und im Umgang mit den Adressatinnen geschult, jedoch verfügen nur die wenigsten über eine Qualifikation im künstlerischen Bereich. Ebenso problematisch, aber auch als Folge dessen zu sehen, ist die fehlende Empirie in der asthetischen Praxis, da die Durchfuhrung der Wirkungsforschung und Evaluation in diesem Bereich nicht einfach ist und langerfristig angesetzt werden musste.

[...]


1 Diese Formen werden auch als gestaltende, rezeptive und kommunikative Tätigkeiten bezeichnet. Sie stellen die drei Tätigkeitsfelder innerhalb der Ästhetik dar.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung mithilfe der ästhetischen Praxis. Die Arbeit mit dem "Kunst-Koffer"
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
46
Katalognummer
V1168429
ISBN (eBook)
9783346578013
ISBN (Buch)
9783346578020
Sprache
Deutsch
Schlagworte
identitätsbildung, persönlichkeitsentwicklung, praxis, arbeit, kunst-koffer
Arbeit zitieren
Sophie Vogel (Autor:in), 2017, Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung mithilfe der ästhetischen Praxis. Die Arbeit mit dem "Kunst-Koffer", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1168429

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