Extracto
Einleitung: Warum der „Leviathan“?
I. Macht und Wille als Politik
II. Deutscher Mythos und Antisemitismus als Politik
III. Reaktion und Rezeption
Literatur
Einleitung: Warum der „Leviathan“?
Wenn man heute von Carl Schmitt (1888 - 1985) gemeinhin hört oder liest, werden für gewöhnlich, ganz um objektive Ausgewogenheit bemüht, drei Informationen mitgeliefert. Erstens sei er „umstritten“, zweitens wäre seine Biographie „vieldeutig“ oder „schillernd“, drittens, und das wäre wohl das beachtlichste, wäre sein Werk von höchstem wissenschaftlichen Rang. Nun, die Wissenschaft soll dem Mann schließlich gerecht werden. So wird Schmitt nach wie vor tapfer gegen den Vorwurf verteidigt, er sei der „Kronjurist“ des Dritten Reiches gewesen, dabei ist eine derartige Position faktisch seit langem aus der akademischen Diskussion verschwunden. Seit einigen Jahren also sehen daher eben jene Informanten wieder eine auch öffentlich brauchbare Referenz in ihm. Inspirierend wirkte sein Denken ohnehin durchgängig. Innerhalb des Nachkriegskonservatismus ist Schmitts Wirkmächtigkeit umfassend: es gibt nahezu keinen konservativen oder neokonservativen Autor, der sich nicht von ihm beeinflußt fühlen muß. Schmitt wurde in der BRD weitgehend rehabilitiert und wieder hoffähig gemacht. Seine Staatsrechtslehre, wie die Wendung gegen den Rechtspositivismus des liberalen Verfassungsstaates, floß in die substanzhafte Wertordnung Grundgesetz ein und half bei der Restauration der 1945 zerstörten bürgerlichen Ordnung zur „wehrhaften Demokratie“. Vor allem in den Notstandsgesetzen fand das „Freund-Feind-Denken“[1], wenig überraschend, eine treffliche Verwendung und intellektuellen Beifall[2]. Schmitt starb hoch anerkannt, als Träger mehrerer Festschriften, im ebenso hohen Alter von 97 Jahren.
Seit der Erledigung des „short century“ (E. Hobsbawm) 1990 wird sein Werk zunehmend im Konservatismus und der Neuen Rechten, wie auch von pragmatischen ‚Querdenkenden‘ verschiedenster Couleur rezipiert und angeeignet. Es wird in politischen Kommentaren, rechtsphilosophischen Arbeiten und in Publikationen wie der „Jungen Freiheit“, „Nation Europa“ und dem Feuilleton der „FAZ“ diskutiert. Zahlreiche Schmitt-Apologeten, wie Armin Mohler, Günter Maschke, Helmut Rumpf oder Rüdiger Altmann finden dort ihre Geistesverwandten. Andere wieder, wie der Schmitt-Biograph Paul Noack geraten in faszinierte Beliebigkeit. Heute liegt in diesen ‚neuen‘ alten Einflüssen auf das politische Geschehen im Zuge der vollendeten „geistig-moralischen Wende“, der Herstellung einer „selbstbewußten Nation“, die „wieder Werte braucht“, einer gelungenen revisionistischen „Vergangenheitsbewältigung“ und „visionären“ Problemlösungen, eine gefährlich gesteigerte Aktualität der politischen Philosophie Carl Schmitts. Sie verspricht eine moralische und identitätsbildende Politik zu rekonstruieren, die ein technokratisch-rationalistisches Leitbild ablöst und wieder Moral, Ethik und Sinn der Gemeinschaft stiftet – nicht weniger als die Wiederkehr der großen gemeinsamen Werte. Die Grundlage der heutigen Debatten bestellt beileibe nicht allein das konservative Personal, Sozialdemokratie und Öko-Pax haben vor allem durch außenpolitische Richtlinien und Praxis (jüngst aber auch durch innenpolitische Begünstigungen) die parteipolitische Konkurrenz in Fragen der Standortbestimmung deutscher Befindlichkeiten geradewegs ‚deklassierend‘ überflügelt.
Die Auseinandersetzung um Schmitt ist tatsächlich eine akademische. Dennoch, wie die individuelle Biographie dieses Juristen gleichsam „normalisiert“ wird, ist beispielhaft für das politische Klima im Umgang mit deutscher Historie. Die Würdigung des „Theoretikers der Gegenrevolution“[3] bedurfte schon einer geschichtsklitternden Beschönigung, ehe sie erfolgreich sein konnte. So wurde Schmitt selber gerne beim Wort genommen, wenn es um seine Vergangenheit vor 1945 ging. Dieser verwies auf seine gescheiterte Karriere und genierte sich nicht, sich als politisch Verfolgten darzustellen dessen verdeckter Widerstand enttarnt worden war. Als ein Beleg galt ihm, wie später auch seinen Exegeten, die 1938 verfaßte Schrift - „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes - Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols“ [4]. Dort, meinte Schmitt, habe er zum einen das herrschende System als gescheitert entlarvt, also fundamental kritisiert. Zum zweiten gab er vor, seine Rolle, als klandestiner, subversiv denkender Widerständler gegen den NS, ob des Terrors natürlich versteckt, verewigt zu haben. Er sei Angehöriger jener Schwäche ausnutzenden „stillen“ Gruppe von Menschen gewesen, die als eine „Gegenkraft des Schweigens“ die gebotene Souveränität der Staatsführung untergraben habe. Willig wurde dieser Versuch der Rettung angenommen. Für seine Anhänger ohnehin ein opponenter Geist, war er für andere ein großer Denker mit zwischenzeitlicher Indisponiertheit, dessen „schlimme Entgleisungen“, „Irrtümer“ oder „opportunistische“ Anpassung einer kurzen Periode einen nicht zu kleinlichen Umgang erfahren sollten; zumal er ja, wenn auch zugegebenermaßen zu leise, dokumentiert eine ablehnende Position bezogen habe. Das Gegenteil erscheint mir richtig.
Selbst in mir bekannten kritischen Analysen wird die meiner Ansicht nach zentrale Bedeutung der Hobbes-Interpretation verkannt. Schmitt bearbeitet hier das Projekt des nationalsozialistischen Deutschen Reiches zwar wirklich nicht affirmativ, doch die Diagnose soll der Konstruktion eines völkischen Staates dienen, nicht seiner Dekonstruktion. Gerade der Zeitkern macht dies deutlich. Aus genannten und noch zu nennenden Gründen ist der „Leviathan“ daher mein Schlüssel zum Werk Carl Schmitts und seiner Rezeption. Sicher, wer Schmitt auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt, mißachtet die Kontinuität seines Denkens und reduziert deren Bedeutung. Die Klarheit seiner Analysen, die umfassende Wirkung seiner Methodik und die begriffliche Präzision treffen und üben schließlich auch starke Anziehungskraft auf die intellektuelle Linke aus[5]. Doch „es kommt bei Carl Schmitt darauf an zu fragen, gegen wen denkt er, für wen, in welcher Situation.“[6]; eine Sichtweise, die losgelöst davon, neutral, den wissenschaftlichen Inhalt prüfen oder sich aneignen will, ist nicht möglich. Genau aus diesem Grunde ist es gleichermaßen wichtig, seine Publikationen im NS zu fokussieren. Die Nationalsozialisten schufen die Realitäten, die Voraussetzung waren, um seine Theorien in die Praxis umzusetzen - und daran wollte er mitwirken. Nicht anders ist sein sofortiges Engagement im NS-Apparat zu verstehen[7]. Carl Schmitt war kein „Besiegter“[8] des 30.Januar 1933, sondern ein geistiger Profiteur. Der intellektuelle Werdegang Schmitts ist, neben dem konkreten historischen Hintergrund, der Kontext, indem der „Leviathan“ gelesen werden muß.
„Dieses kleine Büchlein“, wie Carl Schmitt seine Interpretation des hobbesschen „Leviathan“ (ersch. 1659) narzißtisch bescheiden in seinem Vorwort bezeichnet, wurde im Juli ´38 veröffentlicht; vier Monate nach dem Anschluß Österreichs (12.3.1938), zwei Monate vor dem Münchner Abkommen (29.9.1938) und vier Monate vor dem 9.11.1938, der Reichsprogromnacht. Vor dem Hintergrund dieser politischen Ereignisse schrieb der Verfassungs- und Staatsrechtler, politische Philosoph und Theoretiker Schmitt - seinen - „Leviathan“. Wenn er im Untertitel auf dem „Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols“ insistiert, dann ist das kein wirklicher „Nekrolog der Staatsidee“[9] im endgültigen Sinne, es heißt im Folgenden nur, dass er Thomas Hobbes‘ (1588-1679) Konstruktion über die Kritik im Wesen verändert und für sich perfektioniert. Am Ende steht doch die Wiederbelebung des „erlegten“[10] ,“sterblichen Gottes“[11] „Leviathan“, in ungleich gefestigterer und mächtigerer Form. Die entseelte „Maschine“[12] wird neuerlich beseelt. Dieser neubeseelte „Maschinen“-Staat aber ist nichts Anderes als die etatistische Konstitution und Legitimation der NS-Vernichtungsmaschinerie als völkisches Reich, mit einer Seele und seiner Inkarnation durch den Führer. Am Ende meiner Ausführungen wird demnach der Nachweis stehen, dass der „Leviathan“ keinen inneren Widerstand Schmitts gegen das NS-Regime, wie all zu oft behauptet, dokumentiert, sondern es vielmehr legitimiert und weiterentwickelt, indem er den NS durch eine Staatstheorie begründet. Schmitt erfindet den völkischen Staat. Es wird deutlich werden, welch wesentliche Funktion dabei dem Antisemitismus zukommt. Unumgänglich dafür ist, darzulegen, wie sich Schmitt auf diesem Wege notwendig von der Staatstheorie Hobbes‘ löst, sie entstellt und mißbraucht. Das Exemplarische dieser Schrift liegt letztlich in der Konsequenz, die in ihr ruht. Sie ist das Resultat einer kontinuierlichen Entwicklung revisionistisch-nationalistischen Denkens, das die deutsche Niederlage und ihre Folgen nie überwand, das deshalb „Positionen und Begriffe im Kampf“ gegen „Weimar-Genf-Versaille“[13] suchte und fand. Die Besonderheit liegt in der gelungenen theoretischen Vollendung der Bedürfnisse eines „konservativen Revolutionärs“[14].
I. Macht und Wille als Politik
1.) Der faschistische Staat: Staatswerdung und Wesen des Staates bei Carl Schmitt
Thomas Hobbes setzt als Prämisse seiner Staatskonstruktion ein entschieden negatives anthropologisches Menschenbild. „Der Mensch ist des Menschen Wolf“, er ist des Anderen Feind im dauernden Wetteifer und insofern im natürlichen Verhältnis zum anderen - böse. Der Naturzustand ist also ein solcher, in dem jeder einen jeden töten kann, der Krieg aller gegen alle (bellum omuium contra omnes). Die dem Naturzustand implizite Angst vor dem gewaltsamen Tod führt über die Vernunft, die der Selbsterhaltung Rechnung trägt, notwendig dazu, dass die Menschen unter sich einen schützenden Vertrag beschließen. Da aber die Einhaltung einer Vereinbarung stets durch den wölfischen Übervorteilungswillen der Individuen gefährdet wäre, übergeben sie in diesem Akt ihre Macht und ihr Recht - unter der Voraussetzung der Allgemeingültigkeit des Transfers - einem Einzigen.
Die Freiheit des Menschen liegt im Naturzustand in seinem Menschsein, bewirkt durch die eigene Macht. Macht und natürliches Recht ergeben sich im Naturzustand gegenseitig. Das heißt jeder Mensch hat ein natürliches Recht nach eigener Entscheidung sein Leben zu erhalten. Mit der Veräußerlichung ihres Rechtes und ihrer Macht geben die Individuen diese Freiheit auf und gewinnen Sicherheit und Schutz. Die Freiheit liegt jetzt in der Möglichkeit des sicheren Lebens und der ungestörten Entwicklung. Der dem so gebildeten Staat einzig vorstehende Mensch bleibt im Besitz seiner natürlichen Rechte. Er behält, durch die Abgabe der anderen, als Einziger die Macht des Naturzustandes und summiert in sich den Willen aller einzelnen Individuen. Der Einzige ist Souverän und gleichermaßen das Volk, ihm gegenüber stehen Untertanen. Diese haben die Pflicht, dem Willen des so autorisierten unbedingt Folge zu leisten. In diesem Willen liegt der Rechtsinhalt. Der Wille ist aber zwingend an den Vertrag gebunden - denn Souverän und Staat sind nicht identisch. Dem Souverän ist auferlegt, Schutz und Frieden zu schaffen, wird mit dem Prinzip gebrochen, ist der Vertrag aufgelöst.
Der Staatsherr ist also ein übriggebliebener „Wolf“, der mit seiner Macht und seinem Willen über Rechtlose regiert und nicht aus einer übergeordneten Gerechtigkeit und Güte. Der geschlossene Staatsvertrag ist kein Gesellschaftsvertrag, sondern ein Herrschaftsvertrag[15]. Er bezeichnet den Absolutismus. Die Gefahr der wölfischen Natur des Souveräns bleibt indes wenig eingeschränkt bestehen, doch Hobbes fürchtet Naturzustand und Bürgerkrieg mehr als die denkbare räuberische Willkür[16].
Den entstandenen Staat, diese künstlich, durch menschliche Intelligenz entstandene Konstruktion, nennt Hobbes den Leviathan, er ist der Garant des Schutzes. Das künstlich geschaffene Gebilde versteht Hobbes auch als „Maschine“, und aufgrund des Zustandekommens durch die Summe der menschlichen Willen, spricht er ferner von dem „künstlichen Menschen“, dem homo artificialis. Die Seele aber ist der Souverän.
Um noch einmal darauf hinzuweisen: nicht der Souverän ist der „sterbliche Gott“, sondern der Staat. Der Souverän ist, dem Naturrecht entsprechend, völlig weltlich und nicht von Gottes Gnaden. Im Gegenteil, er wird sogar als Wolf demaskiert. Der wölfische Souverän regiert zwar, nach Hobbes‘ politischer Philosophie, im Dezisionismus, dieser wird aber in seiner Absolutheit „unter liberalistische Zwecke gebeugt, nämlich unter die der persönlichen Sicherheit der Untertanen und unter die der Erhaltung des Friedens.“[17] Also an die Willensinhalte der Individuen, die ihm die Macht übertrugen. Die Legitimation ist im Kern insofern individualistisch, als der Staat zum Wohl der einzelnen Individuen gegründet wurde. Diese Punkte sind bezüglich Schmitts Interpretation wichtig.
Carl Schmitt bezeichnet den Hobbes‘schen Vertrag der Individuen als „Konsens“ aller mit allen und korrigiert, dass es sich um einen „anarchistischen Sozialvertrag“, nicht aber um einen Staatsvertrag handle.[18] Dieser Konsens wird von Schmitt allerdings in der „allgemeinen und unbedingten Unterwerfung unter die stärkste Macht“[19] durch die Individuen gesehen. Keine Rede von Abtretung der individuellen Macht und natürlichen Rechte an einen einzigen, sondern Unterwerfung vor dem Mächtigsten, den es in Hobbes‘ Naturzustand gar nicht geben dürfte. Weiter meint Schmitt, der Naturzustand könne mit den analytischen Begriffen des Rationalismus nicht in den angestrebten Frieden „geführt werden“, da die Menschen ihre Feindschaft nicht aus sich heraus überwinden. Der Staat ist mehr, als ein von bloßen Individuen geschlossener Vertrag bewirken kann. Die Übertragung der aus dem Naturrecht eines jeden abgeleiteten Mächte und Rechte wird als Herrschaftsvertrag von Schmitt negiert und ist somit auch kein Staatsvertrag mehr. Die souveräne Person entsteht aus Schmitts Sicht nicht aus diesem „Konsens“ der Individuen. Denn Schmitt meint: “Was über diesen Sozialvertrag hinaus weiter entsteht, der alleinige Garant des Friedens, die souverän-repräsentative Person ist unverhältnismäßig mehr, als die summierte Kraft aller beteiligten Einzelwillen bewirken könnte.“[20]
Nach Schmitts Diagnose entsteht durch die Summierung der Einzelwillen bestenfalls eine Repräsentative Person, die Souveränität entsteht andernorts.
So ist der durch den „Sozialvertrag“ entwickelte Staat zwar entstanden, doch eher „beschworen“ als wirklich „geschaffen“. Er ist nicht manifest und er ist nicht statisch.
„Insofern ist der neue Gott gegenüber allen einzelnen Vertragspartnern und auch ihrer Summe gegenüber transzendent.“ Das heißt, er ist, juristisch gesehen, durchlässig. Schmitt konstatiert daher, dass das „Kunstprodukt Staat“, einer inneren Logik folgend, nicht zur Person führt, sondern stattdessen zur „Maschine“. In dieser Maschine ist es nicht der Repräsentant der Einzelwillen, der den Schutz sicherstellen kann, es ist eine kalt funktionierende Befehlsmaschinerie: ein Staatsapparat.
„Nicht die Repräsentation durch eine Person, sondern die faktisch-gegenwärtige Leistung des wirklichen Schutzes ist das, worauf es ankommt. Die Repräsentation ist nichts, wenn sie nicht tutela praesens ist. Diese aber wird nur durch den wirksam funktionierenden Befehlsmechanismus sichergestellt.“[21]
Natürlich kommt es auch bei Hobbes darauf an, dass der Souverän seine Aufgabe, nämlich Sicherheit und Frieden(!) zu schaffen, erfüllt. Eben das war ja der Sinn des Vertrages; wird er nicht erfüllt, lösen die Individuen den Vertrag wieder auf. Schmitt nun bringt es fertig, die Souveränität von diesem Vertragswerk zu lösen und von den Individuen unabhängig zu machen. Hobbes‘ Souverän ist bei Schmitt nur ein Repräsentant, die Souveränität ist ihm nicht genuin, sie muß erst hergestellt werden. Während also bei Hobbes die Souveränität durch die Summe der Willen entsteht, also im Kern individualistisch, ist sie bei Schmitt, kastriert von den Menschen, durch die souverän-repräsentative Person in Form einer eigenständigen Befehlsmaschinerie gesetzt. Damit verschiebt sich das Paradigma. Bezeichnenderweise spricht Schmitt in diesem Zusammenhang nur von der Garantie des Schutzes, nicht mehr von der des Friedens. Die Souveränität des Schmittschen Staatskonstruktes ist also nicht mehr—wie bei der Hobbes‘schen Interpretation, naturrechtlich bedingt - an die Untertanen gebunden und insofern ihnen auch nicht vertragsrechtlich verpflichtet. Der Schutz entsteht nicht durch den Vertrag der Individuen, er entsteht durch den Willen des Souveräns. Der unter liberalistische Zwecke gebeugte und damit gebundene absolute Souverän bei Hobbes, der den Willensinhalten der Individuen gemäß dem Herrschaftsvertrag verpflichtet ist, wird bei Schmitt zum rechtsfreien Diktator; einem „Führer“.
Der Befehlsmechanismus ist als Sicherheits- und Ordnungsfunktion zu verstehen. Das wesentliche Element eines solchen Staates ist dann auch seine Polizeifunktion.[22] Denn: “Dieser Staat ist entweder als Staat wirklich vorhanden, dann funktioniert er als das unwiderstehliche Instrument der Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und dann hat er alles objektive und alles subjektive Recht auf seiner Seite, da er als alleiniger und höchster Gesetzgeber alles Recht selber macht; oder er ist nicht wirklich vorhanden und erfüllt seine Funktion der Friedenssicherung nicht, dann herrscht eben wieder der Naturzustand, und es ist überhaupt kein Staat mehr da.“[23] Die Legitimation ergibt sich auch bei Schmitt aus der Schutzfunktion, aber: er will souverän-repräsentative Person und Staat identisch als Einheit verstehen.
Für Schmitt ist der Staat ein Prototyp des technisch-industriellen Zeitalters, der erste moderne Mechanismus. Eben dieses mechanistische Element des Befehls führt von der Person zur Maschine. Der Souverän als „Seele“ des Leviathans bei Hobbes kann nach Schmitt den Mechanisierungsprozeß nicht aufhalten. Der Personalismus geht im Mechanismus unter: die Vollendung des Mechanisierungsprozesses. „Der Staat ist ja als Ganzes, mit Leib und Seele, ein homo artificialis und als solcher Maschine. Er ist ein von Menschen verfertigtes Werk, bei dem Stoff und Künstler, materia und artifix, Maschine und Maschinenbauer, dasselbe sind, nämlich Menschen. Auch die Seele wird dadurch zum bloßen Bestandteil einer künstlich von Menschen gemachten Maschine. Im geschichtlichen Endergebnis konnte sich infolgedessen der >große Mensch< als souverän-repräsentative Person nicht halten. Er war ja selber nur ein Produkt menschlicher Kunst und Intelligenz. Der Leviathan wurde daher zu nichts anderem als zu einer großen Maschine, zu einem riesenhaften Mechanismus im Dienst der Sicherung des diesseitigen physischen Daseins der von ihm beherrschten und beschützten Menschen.“[24]
Schmitt setzt hier den Staat mit dem „Führer“ identisch und umgekehrt. Der „Führer“ ist der Staat. Das stellt Hobbes‘ Staatstheorie auf den Kopf. Für Hobbes ist Grundlage des Staates der aus dem Naturrecht geborene Vertrag, der den Souverän begründet, als Garanten von Schutz und Freiheit. Der gemeinsame Herrschaftsvertrag der Individuen macht den Staat aus. Doch da bei Schmitt die Souveränität nicht aus dem Vertrag heraus entsteht, sondern durch besagten Befehlsmechanismus, liegt die staatliche Legitimation allein im staatlichen Sicherheits- und Gesetzesapparat, über den der Führer willkürlich entscheidet. So macht der ‚Führerwille‘ den Staat. Wenn man dabei Hobbes‘ Verständnis des Souveräns berücksichtigt, nämlich das seines wölfischen Charakters, dann hieße das, dass Schmitts Staat genuin wölfisch ist. Bei Hobbes war der Dezisionismus des Souveräns an Willensinhalte gebunden, nämlich an die derer, die ihm ihr Machtrecht übereignet hatten. Die Angst vor dem Krieg aller gegen alle entsprach den Willensinhalten Sicherheit und Friede; „...folglich können, so konkludiert Hobbes selber ( De cive 13,2), die Gesetze des Staates mit sich, als einer Sicherheits- und Friedensanstalt, nicht streiten. War Bestialität die erste Naturbestimmung, so ist gerade deshalb Sicherheit und Friede die zweite oder das apodiktisch unabdingbare Prinzip selber, von dem die positiven Gesetze abhängen.“[25]
Schmitt interpretiert Hobbes nicht, er entwickelt eine ganz eigene Staatstheorie, in deren Zentrum ein Führerwillen steht, der den Staat in sich ausmacht und mehr ist als „die Summe aller Willen“, also nicht, wie bei Hobbes, mit dem Willen der Bürger identisch ist. Er entscheidet übergeordnet und spricht willkürlich sein Recht. Schmitt nahm Hobbes‘ rationale Rechtskonstruktion für den Dezisionismus [seines Verständnisses] in Anspruch, beziehungsweise okkupierte „das Naturrecht des Hobbes für rechtsfreie Diktatur schlechthin“.[26]
Er mystifiziert den Staatsgedanken als Ursprung der technisch-industriellen Entwicklung. Der Rest entwickelt sich mit der Weiterführung des naturwissenschaftlichen Denkens von selbst „und bedarf keines neuen metaphysischen Entschlusses.“ „Mit der Vorstellung des Staates als eines Kunstproduktes menschlicher Berechnung ist der entscheidende Schritt getan.“[27]
So sieht Schmitt den heutigen Staat als ein durch die Leistungen der Wissenschaft und Technik immer mehr verfeinertes „technisch-neutrales Instrument“.[28] Der Staatsbegriff hat also im wesentlichen dazu beigetragen, eine allgemeine „Neutralisierung“ zu vollziehen. In Anbetracht dieses Staatsideals nimmt es nicht wunder, wenn er als Vergleich zu der Schwierigkeit der Staatseinigung und -gründung Insektenstaaten als Beispiel heranzieht. Das „Problem der Staatswerdung [ist] beim Menschen unendlich schwieriger, weil dieser [im Gegensatz] zu den Insekten seine Sexualität nicht aufgibt und damit seinen ganzen rebellischen Individualismus behält.“[29] Es ließe sich nun die Frage stellen, ob das genuin Böse im Menschen für Carl Schmitt die Sexualität ist - der Text gibt darauf leider keine Antwort.
„Aber der Mensch hat ein Gehirn, einen Intellekt, und dieser ermöglicht die Staatenbildung auch ohne Vernichtung der Sexualität.“[30] Damit meint er Triebunterdrückung und Vergeistigung. Das paßt zum kalten berechnenden Staat, der neutrales, wertfreies Instrument ist. Geist und Werte für einen solchen Staates, das wird sich noch zeigen, bringt der „Führer“.
2) Die Volksgemeinschaft: Das Verhältnis von Bekenntnis und Glauben bei Carl Schmitt
Über die Frage des Wunderglaubens kommt Thomas Hobbes zu der Feststellung, dass die Bürger sich zum Staat bedingungslos bekennen müssen. „Autoritas, non veritas facit legem.“ (Kap. 19) Der Grund für die Verbindlichkeit der Gesetze ist nicht eine ihnen innewohnende Gerechtigkeit, sondern der souveräne Wille, sie zu erlassen.
Der Wille des Souveräns ist also Geltungsgrund aller staatlichen Anordnungen. Hobbes macht aber die Einschränkung, dass die natürlichen und die bürgerlichen Gesetze ineinander enthalten. Friede und Sicherheit, der Zweck der natürlichen Gesetze, die schließlich zu Staatsgründung und Machtrecht-Verzicht führten, werden jetzt zwar nur von den bürgerlichen Gesetzen gewährleistet, aber dies ist auch ihre einzige Legitimation und vor allem Geltungsgrenze. Hobbes leitet das Recht des Willens des Souveräns von dem Primat der Allmacht und des Willens Gottes, von dessen Verstand, bzw. einer ihm innewohnenden Gerechtigkeit, ab. Der Wille entscheidet, was gerecht ist. Hobbes säkularisiert also das göttliche Prinzip. Er richtete sich damit gegen den Feudalismus: ein Recht zählt, das des absoluten Souveräns. Doch zog er aus den oben genannten Erwägungen eine Grenze zwischen dem eingeforderten, unabdingbaren Bekenntnis (confessio) und dem inneren Glauben (fides). Der innere Glauben bleibt dem Bürger überlassen, er ist und bleibt seine natürliche Freiheit.
Schmitt bezieht sich auf Hobbes‘ befohlenen Glauben an den Souverän, der auch das Bekenntnis zum Wunderglauben erzwingt. Hier liegt für ihn der Höhepunkt der staatlichen Durchsetzungskraft und der Macht der souveränen Gewalt. „Wunder ist das, woran die souveräne staatliche Gewalt als an ein Wunder zu glauben befiehlt.“[31] Doch die Grenze, die Hobbes zieht, der Unterschied zwischen äußerem Bekenntnis und innerem Gauben, zwischen öffentlich und privat, ist für ihn die Einbruchstelle des Liberalismus und der vorgezeichnete Untergang des Leviathan[32]. Für Schmitt ist die Grenze zwischen privat und öffentlich der fatale Fehler überhaupt.[33]
Wenn der Staat das Gewissen und die Gedanken seiner Individuen, also der einzelnen Bürger seines Volkes, nicht mehr unter seinem Zugriff behält, die innere Disposition also nicht mehr unter Kontrolle halten kann, ist das der Beginn des Untergangs für den Staat. Wenn die private Sphäre, das Innen, sich verselbständigt, spielt das Außen, die öffentliche Gewalt, nur eine untergeordnete Rolle, sie ist ein zwangsläufig unterzuordnendes Element. „In dem Augenblick, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen anerkannt wird, ist die Überlegenheit des Innerlichen über das Äußerliche und damit die des Privaten über das Öffentliche im Kern bereits entschiedene Sache. Eine öffentliche Macht und Gewalt mag noch so restlos und nachdrücklich anerkannt und noch so loyal respektiert werden, als eine nur öffentliche und nur äußerliche Macht ist sie hohl und von innen bereits entseelt.“[34]
Die Konsequenz daraus ist klar: Schmitt gibt den Weg frei für jedwede Art von totalitärer Gedankenkontrolle. Er legitimiert den gesamten NS-Sicherheitsapparat des Reichssicherheitshauptamtes (GeStaPo, SD), Goebbels Propagandapolitik, das Blockwart-System, HJ und BDM[35], sowie die ganze staatstragende denunziatorische Atmosphäre in der NS-Gesellschaft, die von der innenpolitischen Strategie gefördert wurde. Denn es bestand die Gefahr der stillen Verweigerung, des passiven Widerstandes. „Wenn aber wirklich die öffentliche Macht nur noch öffentlich sein will, wenn Staat und Bekenntnis den innerlichen Glauben ins Private abdrängen, dann begibt sich die Seele eines Volkes auf den geheimnisvollen Weg, der nach innen führt. Dann wächst die Gegenkraft des Schweigens und der Stille.“[36]
Die Konsequenz aus diesen Überlegungen ist die von Schmitt geforderte „Einheitlichkeit“, die homogene Gesellschaft, die sich kritiklos dem Führerwillen und der Staatsmaschinerie unterwirft und in sie eingliedert. Die Homogenität, die Einheitlichkeit der NS- Gesellschaft aber war die Volksgemeinschaft. Wer ausscherte, war der Feind, das Maß war die Artgleichheit, von der auch Schmitt spricht.[37] So ist für ihn die Verfolgung, Deportation und Vernichtung Andersdenkender gerechtfertigt. Zur Definition der Andersartigkeit, der Nicht- Artgleichheit gehört auch eindeutig die jüdische Bevölkerung.[38] Schmitt sah in einem von ihm so genannten „jüdischen Geist“ den antagonistischen Widerpart zum „deutschen Geist“. „Wer sich auf den Gegensatz von Innerlich und Äußerlich überhaupt einläßt, hat damit die letztliche Überlegenheit des Innerlichen gegenüber dem Sichtbaren, des Stillen gegenüber dem Lauten, des Jenseits gegenüber dem Diesseits bereits anerkannt. Diese Überlegenheit des Nichtöffentlichen kann sich in unendlich mannigfacher Weise verwirklichen, [...]. Aber so verschieden, so andersgeartet Maurerlogen, Konventikel, Synagogen und literarische Zirkel untereinander sein mögen, im politischen Ergebnis treffen sie sich schon im 18. Jahrhundert sämtlich in der Feindschaft gegen den zum Symbol des Staates erhobenen Leviathan.“[39] Hier weist Schmitt auf einen guten Teil seiner und der Deutschen „Feinde“ hin und gibt sie der Verfolgung und Vernichtung durch das menschenverachtende System preis.
Schmitt sieht in der Trennung von privatem und öffentlichem Leben einen doppelten Verfassungsansatz, der eben letztlich den „sterblichen Gott zur Strecke bringt“. „Hier liegt, verfassungsgeschichtlich gesehen, ein doppelter Ansatz: der juristisch (nicht theologisch) konstruierte Beginn der modernen individualistischen Gedanken- und Gewissensfreiheit und damit der für die Struktur des liberalen Verfassungssystems kennzeichnenden Freiheitsrechte des einzelnen; und zweitens der Ursprung des Staates als einer aus der Unerkennbarkeit substanzieller Wahrheit gerechtfertigten, äußerlichen Macht, der Ursprung des stato neutrale e agnostico des 19. und 20. Jahrhunderts.“[40] Da ist für Schmitt der Ausgangspunkt für den verhaßten neutralen Rechts- und Verfassungsstaat auszumachen, der das staatliche Prinzip seiner Façon von innen aushöhlt und die „Ordnung“ an das Äußerliche abdrängt. Der „Keim“, den Hobbes mit seinem „Glaubensvorbehalt“ legt, wird zur alles beherrschenden Überzeugung. Gemeint ist die heterogene Gesellschaft, die sich an wertfreien Gesetzen orientiert, ohne sich mit ihnen zu identifizieren. So ist aus dem Leviathan „eine äußerlich allmächtige, innerlich ohnmächtige Machtkonzentration, die nur >Zwangspflichten aus der Verbindlichkeit der Furcht< begründen kann [...]“[41], geworden. Diese Einräumung der liberalen Prinzipien bürgerlichen Rechtes, als Raum politischer Entwicklung lag jedoch, wie beschrieben, in der Absicht von Hobbes‘ Staatskonstruktion.
3.) Die Gleichschaltung: Legalität und Legitimität bei Carl Schmitt
Thomas Hobbes‘ Schritt in Richtung Absolutismus trug seiner Angst vor Revolution und Bürgerkrieg Rechnung. Ursachen der englischen Revolution waren die überkommene feudale Ständegesellschaft sowie der noch immerwährende Machtanspruch der römisch-katholischen Kirche. Hobbes wollte also die feudalen und ständischen Interessenvertretungen entmachten und die Politik säkularisieren. Der Souverän sollte demnach der alleinige Vertreter politischer Entscheidungen sein, die einzige machtgebietende Institution, die alle anderen Institutionen und „indirekten Gewalten“ ersetzt.
Schmitt sieht die indirekten Gewalten im modernen bürgerlichen Staat zu erneuter Macht gekommen. „Die alten Gegner, die ‚indirekten‘ Gewalten von Kirche und Interessenorganisationen sind in diesem Jahrhundert in moderner Gestalt als politische Parteien, Gewerkschaften, soziale Verbände, mit einem Wort als ‚Mächte der Gesellschaft‘ wiedererschienen. Sie haben sich auf dem Wege über das Parlament der Gesetzgebung und des Gesetzesstaates bemächtigt und konnten glauben, den Leviathan vor ihre Fahrzeuge gespannt zu haben.“[42]
Diese „indirekten Gewalten“ werden von Schmitt aufs schärfste angegriffen. Die Ursache ihrer Rückkehr entdeckt er in dem Verfassungssystem, das sich durch seine Grundlage -die individuellen Freiheitsrechte - definiert. Die besagte freie Privatsphäre wurde „den >freien<, d.h. unkontrollierten und unsichtbaren Mächten der ‚Gesellschaft‘ ausgeliefert [...].“[43]
Aus diesen Mächten, den verschiedensten Interessenvertretungen, bildete sich das politische Parteiensystem, in dessen Kern Kirchen und Gewerkschaften stehen.[44] „Aus dem Dualismus von Staat und staatsfreier Gesellschaft wurde ein sozialer Pluralismus, in dem die indirekten Gewalten mühelos Triumphe feiern konnten.[...] Es gehört zum Wesen einer indirekten Gewalt, dass sie die eindeutige Übereinstimmung von staatlichem Befehl und politischer Gefahr, von Macht und Verantwortung, Schutz und Gehorsam, trübt und, aus der Unverantwortlichkeit eines zwar nur indirekten, aber darum nicht weniger intensiven Herrschens heraus, alle Vorteile und keine Gefahr der politischen Macht in der Hand hat.“[45] Diese indirekte Methode des politischen Eingriffs ist für Schmitt letztendlich die Zerstörung der „Maschine“ „Leviathan“ mit ihren eigenen Mitteln, der Legalität.[46]
Wenn der Staat, also der Führer schützt und für Frieden und Sicherheit im staatlichen Territorium sorgt, dann vereint das Wesen des Führers automatisch jedes subjektive und objektive Recht und damit die gesamte Gesetzgebung. Die Gewaltenteilung ist also überflüssig und wird liquidiert. Die „souverän-repräsentative Person“ ist Legislative, Exekutive und Judikative in einem. „Der wahre Führer ist immer auch Richter“[47]. Die „Tat“ des „Führers“ ist „echte Gerichtsbarkeit und „höchste Justiz“ - damit legitimiert Schmitt den Maßnahmenstaat.
Auch Hobbes hat die Gewaltenteilung als Gefahr erkannt, schließlich war es ja das englische Parlament, das die Revolution auslöste, und der Souverän hatte alle Entscheidungen unter sich, dennoch empfand er die Gewaltenteilung nicht als überflüssig. Der Wille des Souveräns bewirkt zwar die Gesetzgebung, entscheidet über Krieg und Frieden und spricht auch Recht, doch ist er auch per Bestimmung des Staatsvertrags nachgerade rechtlich gebunden (an die grundlegenden Willensinhalte der Machtrecht abtretenden Individuen nämlich); gleichsam bringt diese Verpflichtung eine Vergesetzlichung des apodiktischen Prinzips - Sicherheit und Friede - mit sich. Carl Schmitt aber spricht von einer gesetzesstaatlichen Legalität, die der Führer bestimmt.
Er stellt fest, dass aus dem „Macht- und Polizeistaat“ des absoluten Souveräns, in dem Recht und Gesetz mit der Entwicklung des Staates zur Maschine ebenfalls weiter mechanisiert wurden, durch die gesetzliche Bindung des Souveräns ein „Rechtsstaat“ entstand. Mit ihm wandelte sich auch das Gesetz, das zum Mordinstrument am Leviathan wurde. Sinn dieser allgemeinen Vergesetzlichung war es, den staatlichen Machtapparat berechenbarer zu machen. „Der Staat selbst aber verwandelt sich in ein positivistisches Legalitätssystem. Aus dem legislator humanus wird eine machina legislatoria.“[48]
Der Souverän wird seiner Legitimität beraubt, und es bleibt lediglich die staatliche Legalität zurück - der Rechtsstaat. Im Zuge der historischen Entwicklung wird das Recht nach Schmitt zum Gesetz technisiert und neutralisiert, es wird zu einem Instrument der Zwangsmotivierung und des berechenbaren Funktionierens, das nicht in Zielen und Inhalten unterscheidet und allem gleichgültig gegenübersteht.[49] Die Legalität gilt als Legitimität. Dieses staatliche Recht macht für Schmitt den liberalen Rechtsstaat aus; und den bekämpft er. „Diese Formalisierung und Neutralisierung des Begriffs >Rechtsstaat< zu einem ohne Rücksicht auf inhaltliche Ziele oder inhaltliche Wahrheit und Gerechtigkeit berechenbar funktionierenden, staatlichen Legalitätssystem ist unter dem Namen >Gesetzespositivismus< während des 19. Jahrhunderts zur allgemein herrschenden juristischen Lehre geworden.[...] Damit war sowohl die neue Trennung von Inhalt und Form, Ziel und Charakter, wie auch der im 18. Jahrhundert entwickelte Gegensatz von Innen und Außen gesichert.“[50] Das bedeutete die Trennung von Moral und Recht, die Nichterzwingbarkeit einer Ethik. Die Zerstörung des Leviathans wird konsequent fortgesetzt und führt vom Konstitutionalismus über besagte „positivistische Veräußerlichung der Norm“ zum liberalen bürgerlichen Staat. So wurden „die Institutionen und Begriffe des Liberalismus, auf denen der positivistische Gesetzesstaat beruhte, [...] zu Waffen und Machtpositionen höchst unliberaler Mächte.“[51] Der Leviathan stirbt das zweite Mal. Doch Schmitt insistiert hier nicht etwa auf dem NS-Verbrecherstaat, sondern auf seinem alten Feind Sozialismus / Kommunismus - dem im eigenen Staat der Weimarer Republik (der Gedanke an „Dolchstoßlegende“/Versailles und Revolution/Weimar sollte ihm da schon genügen) und dem im europäischen Ausland. „Die Verlegenheit der bürgerlichen Verfassungsjuristen war daher groß, als seit den Jahren 1917-1920 ein bolschewistischer Staatsapparat auf dem Plan erschien und, insofern er nach berechenbaren Normen funktionierte, ebenfalls den Namen „Rechtsstaat“ für sich beanspruchen konnte.“[52] Die „Bolschewisten“ sind natürlich „jüdischen Geistes“, sie „zerschneiden“ den Leviathan und „verteilen sein Fleisch unter sich“.
Doch was stellt Schmitt dagegen?[53]
Die von dem Staat gegebenen Gesetze dirigieren und regulieren bis in die kleinsten Einzelheiten hinein das Zusammenleben der Individuen. Diesen Verwaltungsakt betreibt ein ausgedehnter Staatsapparat „der intelligenten, fachlich gebildeten Bürokratie, weil sie die eigentliche Trägerin des durchtechnisierten, mit innerer rationaler Folgerichtigkeit nach legalen Normen arbeitenden Betriebes „Staat“ ist. Die Legalität ist der positivistische Funktionsmodus der Bürokratie. Moderner Staat und Legalität gehören damit wesentlich zusammen.“[54]
Die Legalität umfaßt also damit den rationalistisch durchkonstruierten Befehlsmechanismus Staat. Das im Staat vollzogene Recht ist in dem Moment automatisch immer Gesetz. Der Rechtsstaat ist also ein Gesetzesstaat. Und das ist für die Organisation des Staates unabdingbar. Schmitt fordert den Bürokratismus. „Das Problem der Legalität läßt sich also nicht als eine ‚bloß formale‘, juristische Kulissen- oder Etikettenfrage abtun. Richtg verstanden und richtig gehandhabt ist die Legalität in einem modern organisierten Staatswesen eine Realität ersten Ranges, weil wirkliche Größen und Kräfte, wie Bürokratie und Beamtentum der Gesetzmäßigkeit als eines Funktionsmodus bedürfen. Durch ihre technische Vervollkommnung wird die Maschine eben doch zu einer eigengesetzlichen Größe, die sich nicht von jedem beliebigen willkürlich handhaben läßt, deren Funktionsgesetze vielmehr respektiert werden müssen, wenn sie ein zuverlässiger Diener sein sollen.“[55]
Am Ende steht der bürokratische Gesetzesstaat auf der Basis der Legalität, doch darf diese (aus besagten Gründen) nicht zum Legitimationsprinzip erhoben werden. An der Spitze des Gesetzesstaates, steht der „Souverän“, der Führer, doch der ist mehr als nur der oberste Bürokrat, er ist Denker und Lenker (und Henker). „Denn die wunderbare Armatur einer modernen staatlichen Organisation erfordert einen einheitlichen Willen und einene einheitlichen Geist. Wenn mehrere verschiedenartige, miteinander streitende Geister aus dem Dunkeln heraus diese Armatur bewegen, wird die Maschine bald zerbrechen und mit ihr das System einer gesetzesstaatlichen Legalität.“[56]
Der Führer ist der einheitliche Wille und der einheitliche Geist (des „Volkes“), in ihm liegt die Legitimation und die Legalität, und er füllt die wertfreien und normlosen Gesetze mit seinen „wahren“ Inhalten - ein Bewahrer „substanzieller Wahrheit“. Die Gleichschaltung des politischen Lebens ist staatstheoretisch vollzogen.[57] Der Führer schafft Recht. Denn er schützt nicht nur das Recht, er schützt auch den wahren Geist. Es ist der Geist des deutschen Faschismus, und seine Feinde sind ihm willkürlich ausgesetzt.
4.) Die Negation des Widerstandsrechts
Schmitt spricht einem eventuellen Widerstandsrecht in Hobbes‘ Staat, angesichts des Befehlsmechanismus, nicht nur jede Erfolgschance ab, er bestreitet sogar die subjektive und objektive Berechtigung eines solchen. „Im absoluten Staat des Hobbes ist ein Widerstandsrecht als >Recht< auf einer Ebene mit dem staatlichen Recht in jeder Hinsicht, faktisch wie rechtlich, widersinnig und eine Absurdität.“[58]
Er negiert die theoretische Möglichkeit eines Widerstandes, dieser wäre weder als Frage noch als Problem vorhanden, es gäbe schlicht keine juristische Ansatzmöglichkeit. Das Widerstandsrecht „hat überhaupt keinen Platz in dem von der unwiderstehlichen großen Maschine beherrschten Raum. Es ist ohne Ansatzpunkt, ohne Standort und Standpunkt, im eigentlichen Sinne des Wortes >utopisch<. Gegen den unwiderstehlichen, alles in gleicher Weise seinem >Gesetz< unterwerfenden Leviathan >Staat< gibt es weder einen unterscheidbaren >Stand<, noch gar einen >Wider-Stand<“.[59] Wenn also der Staat wirklich vorhanden ist, gibt es keinen Widerstand; es kann ihn gar nicht geben, wenn der Staat seine Funktion der Friedenssicherung erfüllt. Erfüllt er sie nicht, dann ist auch der Staat nicht mehr existent, dann herrscht der Naturzustand. „Es kommt allerdings vor, daß der Staat aufhört zu funktionieren und die große Maschine an Rebellion und Bürgerkrieg zerbricht. Das hat aber mit >Widerstandsrecht< nichts zu schaffen. Dieses wäre, vom Staat des Hobbes aus gesehen, ein staatlich anerkanntes Recht zum Bürgerkrieg, d.h. zur Staatsvernichtung, also Widersinn. Der Staat macht ja gerade dem Bürgerkrieg ein Ende. Was dem Bürgerkrieg kein Ende macht, ist kein Staat.“[60]
Schmitt spricht freilich wieder von seinem Staat, nicht von dem des Hobbes. Der Staat ist bei ihm nicht gleichzusetzen mit dem „Souverän“; er ist an den Willensinhalten der Individuen, also an dem - bestimmten - Gemeinwohl, gebunden. Greift er also die von Naturrecht und Machtrecht abgeleitete, Bestimmungen seiner Untertanen - Sicherheit und Friede - an, und das Durchdringen der Privatsphäre wäre ein solcher Angriff, ist der Frieden gestört, auch wenn eine Ordnung erhalten bleibt: dann haben die Untertanen das Recht zum Widerstand. Denn dann wird der Vertrag, der den Hobbes‘schen Staat ausmacht, gekündigt und der Naturzustand kehrt wieder ein. Die Suspendierung selbst wäre der Widerstandsakt. Schmitts Führerstaat dagegen ist total, dessen Logik läßt kein Widerstandsrecht zu - wäre doch schon die Einräumung eines solchen, notwendig die totale Negation des Bestehenden.
5.) Ein neues Völkerrecht : Das Verhältnis der Leviathane zueinander
Carl Schmitt zeigt sich mit seinem 1938 verfaßten Werk aktuell und begibt sich an die Front. Im Kampf gegen Genf entwickelt er den Ansatz eines neuen Völkerrechts.[61]
Das Völkerrecht kann nur von Staaten getragen werden, die der „spezifischen Ordnung“ des Rechtes wesensgemäß sind und gilt dementsprechend auch nur zwischen Staaten. Der Staatsbegriff umfaßt alle Rechtsgarantien des Rechtssystems und definiert seine Ordnung. Gemeint ist der Staat des „technisierten“ Befehlsmechanismus, der in sich geschlossene, rational funktionierende. Nur diese, im Sinne Schmitts, totalen Staaten können sich als Kombattanten auf den völkerrechtlichen Schutz berufen. „Völker und Länder, die nicht imstande sind, die zu einem modernen Staat gehörende Organisation aufzubringen, sind >unzivilisiert<, sie können sich, wie es im Genfer Völkerrechtspakt (Art. 22) sehr exakt heißt, >in den ganz besonders harten Bedingungen der modernen Welt< [...] nicht selber lenken; sie werden zu Kolonien, Protektoraten oder sonstwie zu Objekten des Schutzes und der Beherrschung durch solche Staaten, die dieser organisatorisch-technischen Leistung fähig sind und daher die Qualität von >Subjekten< dieses Völkerrechts haben.“[62]
- Citar trabajo
- Ralf Steckert (Autor), 2000, Die Erfindung des völkischen Staats, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1168947
Así es como funciona
Comentarios