Was sind die Vorteile einer salutogenetischen Perspektive in der sozialarbeiterischen Praxis mit psychisch erkrankten Menschen?


Hausarbeit, 2020

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Schwierigkeit der Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit

3 Kritische Betrachtung des biomedizinischen Krankheitsmodells

4 Das Modell der Salutogenese von Aaron Antonovsky
4.1 Salutogenese und das Kohärenzgefühl (SOC)
4.2 Kohärenzgefühl, Stressoren generalisierte Widerstandsressourcen

5 Zur Relevanz der salutogenetischen Perspektive für die sozialpsychiatrische Arbeit

6 Fazit

Literaturverzeichnis

„Der Pathogenetiker ist mit einer Bestätigung von Hypothesen zufrieden; der Salutogenetiker betrachtet, ohne die Bedeutung des Erfahrenen zu verschmähen, den abweichenden Fall“ (Antonovsky 1997, S. 29)

1 Einleitung

Nicht nur im Alltag ist das Thema von Gesundheit und Krankheit omnipräsent. Die Diskussionen, die sich damit beschäftigen wer oder was „gesund“ bzw. „krank“ ist oder wie sich der jeweilige „Zustand des Krankseins“ verbessern ließe, ziehen sich unteranderem durch viele wissenschaftliche Disziplinen. Dabei überschneiden sich verschiedenste Perspektiven, welche alle einen Sachverhalt erklären und beschreiben wollen. Aussagen wie: „der oder die Person ist krank oder gesund, psychisch oder körperlich auffällig, nicht normal oder einfach verrückt“ sind allgegenwärtig. Und allen Aussagen ist eines gemein, dass es eine klare Unterscheidung von Gesundheit und Krankheit gibt, welche sich objektiv bestimmen lässt. Alexa Franke (2008, S. 9) weist zu Recht darauf hin, „[…] dass nahezu unhinterfragt das biomedizinische Krankheitsmodell theoretischer Ausgangspunkt der Diskussion ist. In der Fachliteratur erobert es beinahe wie selbstverständlich immer weitere Bereiche der Medizin, Psychologie, Pflege, Sozialpädagogik, Rehabilitation und Sonder- und Heilpädagogik.“. Dies wurde mir ebenfalls während meines Praktikums in einer gemeindepsychiatrischen Einrichtung bewusst. Es handelte sich jedoch nicht direkt -wie oben- um Diskussionen der Krankheits- oder Gesundheitsbegriffe. Vielmehr zeigte sich in der praktischen Arbeit, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen die Perspektive und eine Art der Argumentation übernommen hatten, die ich sonst von Ärzten oder Psychiatern –z.B. im Rahmen der Begleitung von Klientinnen und Klienten- kannte. Ich rede hier von der Annahme, dass es eine Grenze zwischen psychischer Normalität und psychischer Abweichung gäbe. Hierzu ein kurzes Beispiel: Ich beziehe mich hier auf eine Situation, die ich während des Praktikums erlebt habe. Einige Kolleginnen und Kollegen und ich saßen im Büro und unterhielten uns über eine Konfliktsituation die sich einige Stunden zuvor zugetragen hatte. Es ging um eine Bewohnerin welche zuvor bei einer Gruppenaktivität im Haus negativ durch ihr Handeln aufgefallen war. Ich war bei der konkreten Situation nicht dabei, jedoch habe ich die Erzählungen meiner Kolleginnen und Kollegen verfolgt. Der genaue Vorfall ist hier nicht von Belang. Was hingegen viel interessanter für mich war, war die Tatsache, dass sich einige anscheinend sehr schnell darauf geeinigt hatten, dass das „zerstörerische“ Verhalten der Bewohnerin natürlich mit ihrer Diagnose (halluzinatorische Schizophrenie) zu tun hatte. „Schizophrene sind halt so…“, dieser Satz ist mir in Erinnerung geblieben. Zum Glück hatten ein paar andere Kolleginnen und Kollegen (jedoch weit weniger als erhofft) eine gegenteilige Meinung. Ich solidarisierte mich mit letzterer Gruppe. Im Rahmen meiner Arbeit kam ich öfters mit Psychiaterinnen und Psychiatern sowie Ärztinnen und Ärzten in Kontakt und die Aussage meiner Kolleginnen und Kollegen erinnerte mich stark an diese. Ab diesem Punkt hätte ich auch über Stigmatisierung schreiben können, ich entschied mich aber die Perspektive zu erweitern und mich zu fragen, was es für übergeordnete Modell oder Konzepte gibt, welche sich mit dem Thema Normalität und Anormalität, psychischer Krankheit oder generell mit Gesundheit und Krankheit befassen sowie was dies für Auswirkungen für die Praxis Sozialer Arbeit hat.

Einen Gegenpol zur vorherrschenden pathogenetischen (krankheitsentstehend) Perspektive von Krankheit und Gesundheit bietet das Konzept von Aaron Antonovsky (1923-1994). Antonovsky hatte für seine Blickrichtung „[…] den Neologismus „Salutogenese“ (Salus, lat.: Unverletztheit, Heil, Glück; Genese, griech.: Entstehung) geprägt, um den Gegensatz zur bisher dominierenden „Pathogenese“ des biomedizinischen Ansatzes und des derzeitigen Krankheitsmodells, aber auch des Risikofaktorenmodells hervorzuheben.“ (Bengel/Strittmatter/Willmann 1998, S. 24).

Ich werden zunächst die Schwierigkeiten erläutern, die sich bei einer klaren Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit ergeben. Bevor dann inhaltlich auf Antonovsky`s Konzept eingegangen wird, sollen zumindest einige wesentliche Charakteristika der Gegenposition kritisch beleuchtet werden um nicht nur aufzuzeigen welche Implikationen (z.B. das Menschenbild) eine pathogenetische Orientierung beinhaltet, sondern auch um später klarstellen zu können welche Auswirkungen diese auf die sozialpsychiatrische Arbeit hat. Im laufe der Zeit wurde das biomedizinische Krankheitsmodell zwar erweitert und einige Faktoren hinzugefügt, jedoch bleiben die Grundannahmen identisch und ich fokussiere mich deshalb nur auf dieses, um den Kontrast klar herausstellen zu können sowie den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen.

2 Schwierigkeit der Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit

Schon allein im alltäglichen Gespräch zwischen Freunden oder innerhalb der Familie fällt auf, dass Menschen eine unterschiedliche Ansicht darüber haben können ob sie sich als „gesund“ oder „krank“ bezeichnen. Dies sieht im wissenschaftlichen Diskurs nicht anders aus. Klassifikationssysteme – allen voran die ICD (International Classification of Diseases) – versuchen zwar Krankheitsbilder systematisch zu beschreiben, „[…] geben aber keine Definition von Krankheit «an sich».“ (Franke 2008, S. 18). Auch eine einheitliche Definition von Gesundheit ist nicht gegeben und damit „[…] auch kein eindeutiges Kriterium, aufgrund dessen man sagen kann, dass jemand gesund ist.“ (ebd.). Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass der objektive Befund von Fachleuten „[…] keineswegs mit dem Befinden der Betroffenen, mit ihrem subjektiven Erleben übereinstimmen […]“ (ebd., S. 19) muss. Ein Mensch welcher eine ärztliche Diagnose bekommt, muss sich nicht unbedingt „krank“ fühlen und umgekehrt muss ein sich als krank erlebender Mensch nicht unbedingt messbare Anomalien aufweisen, wie es bei psychosomatischen PatientInnen häufig der Fall ist. Eine Diagnose bedeutet eine Normabweichung, also ein statistischer Wert, welcher sich am „[…] durchschnittlichen Vorkommen eines Merkmals in einer Bevölkerungsgruppe orientiert […]“ (ebd., S. 20), was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass diese Abweichung auch Krankheitswert hat. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass in die Beurteilung was gesund und krank ist immer gesellschaftlich-kulturelle Beurteilungen mit einfließen. Franke führt hier das Beispiel des Bluthochdrucks an, was in Deutschland als eine Krankheit gewertet wird, in anderen Ländern lediglich eine Normabweichung und kein Krankheitsstatus zukommt (ebd.). Demnach ist Gesundheit und Krankheit immer im Kontext des Kulturkreises zu betrachten und ist Ausdruck eines sich prozesshaft entwickelnden Diskurses sowie gesellschaftlicher Machtverhältnisse (ebd., S. 21). So ist es auch zu verstehen, dass z.B. Krankheiten verschwinden oder neu entstehen. Die Medikalisierung, also das Phänomen „[…] dass Phasen, die Menschen naturgemäß im Leben durchlaufen, zu einem behandlungsbedürftigen Krankheitsphänomen erklärt werden […]“ (Franke 2008, S. 23), hat dem Geschäft mit der Krankheit Vorschub geleistet. Und die Definition was krank und gesund ist, obliegt denjenigen, welche in dem vorherrschenden gesellschaftlichen Diskurs mit Macht und Kompetenz ausgestattet sind. Der Diskurs hat also eine enorme berufspolitische Ebene und die Ärzteschaft hat es geschafft „[…] die alleinige Zuständigkeit für Krankheit zu haben […] und weitete […] [ihren] Zuständigkeitsbereich in dem Maße aus, in dem Abweichungszustände als Krankheit deklariert […]“ (ebd., S. 26) werden konnten.

3 Kritische Betrachtung des biomedizinischen Krankheitsmodells

Das heutige „[…] System der Gesundheitsversorgung bzw. Krankenbehandlung ist geprägt durch ein Handeln und Denken, das häufig als pathogenetische Betrachtungsweise gekennzeichnet wird“ (Bengel/Strittmatter/Willmann 1998, S. 14). Das bedeutet, dass die Symptomatik im Vordergrund steht, also die jeweiligen Beschwerden und Schmerzen des/der PatientIn. Zentral bei diesem Krankheitsverständnis ist der Ursache-Wirkungszusammenhang, dass es auf einer einfachen Kausalität beruht: „Wo ein Keim ist, da entsteht eine Krankheit – und im Umkehrschluss muss da, wo eine Krankheit auftritt, ein Keim sein.“ (Franke 2008, S. 121). Diese Annahme stammt historisch aus dem Ende des 19. Jh., genauer aus der „Zellularpathologie“ (vgl. ebd.). Damals konnte es sich schnell durchsetzen, da Infektionskrankheiten hinreichend erklärt werden konnten. Dies gilt auch heute noch und die Forschung arbeitet stetig daran ihre Konzepte zu verbessern und konnte in den vergangenen Jahrzehnten enorme Erfolge in Diagnostik und Therapie erzielen (vgl. Bengel/Strittmatter/Willmann 1998, S. 14). Dieses biomedizinische Krankheitsmodell konzentriert sich, laut Franke (2008, S. 121), auf zwei Punkte: „(1.) auf die Betrachtung der Krankheit, ohne Aspekte der Gesundheit mit einzubeziehen und konzentriert sich (2.) auf die Krankheit als solche, nicht auf den von ihr betroffenen Menschen.“. Auf der Basis dieser Prämissen wird angenommen, es gäbe einen „Normalzustand“ des menschlichen Organismus (ebd.). „Krank“ ist nach dieser Logik eine Person, welche von dieser natürlichen Norm abweicht und „Krankheit steht nicht in Kontinuität mit Gesundheit, sondern Krankheit und Gesundheit verhalten sich dichotom zueinander.“ (ebd.). Grundlegend ist eine Störung oder Beschädigung, welche „[…] biochemischer als auch mechanischer oder genetischer Art […]“ (ebd., S. 122) sein kann. In jedem Fall ist es eine Abnormität welche es von einem Arzt zu behandeln gilt. Entscheidend ist nun, dass dieses biomedizinische Krankheitsmodell auf Erkrankungen ausgeweitet wurde, „[…] welche auf den ersten Blick nichts mit einer Infektionskrankheit zu tun hatten - die psychischen Erkrankungen.“ (Franke 2008, S. 123).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Was sind die Vorteile einer salutogenetischen Perspektive in der sozialarbeiterischen Praxis mit psychisch erkrankten Menschen?
Hochschule
Katholische Fachhochschule Mainz
Note
1,7
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V1169327
ISBN (eBook)
9783346582492
ISBN (Buch)
9783346582508
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vorteile, perspektive, praxis, menschen
Arbeit zitieren
Johannes Zeimet (Autor:in), 2020, Was sind die Vorteile einer salutogenetischen Perspektive in der sozialarbeiterischen Praxis mit psychisch erkrankten Menschen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1169327

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